Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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8.

(Tagebuchblätter.)

Dass Beethoven das Meer nicht kennen gelernt hat. Sein Atem ist wie der des Ozeans. Dieser grosszügige Wellengang seiner Melodie. Der hätte uns eine Ozeansymphonie schenken müssen.

Dass alle unsere Grössten dem Meer so fremd waren! Goethe, Schiller, Beethoven.

Byron, der kannte das Meer!

Und Böcklin kennt es!


Wie organisch die Phantasiegebilde Böcklins sind, sehe ich an Thoma, diesem lieben, stillen, deutschen Meister. Dem gelingen seine Bockfüsser nicht immer, Menschen mit Ziegenbeinen. Aber ein Böcklinscher Faun, der ist echt.


Ich sehe die Natur böcklinisch, d.h. in vielen guten Augenblicken. Das macht, Böcklin ist so wahr wie die Natur selbst, er hat sie erfasst, hat sie in ihren Muttertiefen belauscht. Die Natur ist böcklinisch. Nie erinnert sie mich an Klinger, so gross der ist, so sehr ich ihn verehre. Aber Böcklin liebe ich. Und es ist nicht nur das Meer, die Nähe des Meeres. Neulich auf der Dorfstrasse, die dunklen Lindenwipfeln gegen den Abendhimmel – Farbe, Stimmung, Musik: alles Böcklin. Oder die kleinen schwarzen Steine, die aus den Watten herausgucken, wenn die Flut leise heranspült, eine Möwe ruhte sich auf dem grössten Stein: Klinger zeichnet so was auch, ganz köstlich. Aber die Natur erinnert mich nie an ihn. Das macht, er ist viel zu sehr Klinger.

Böcklin: Monolog! Klinger: Dialog!

Bei dem einen redet nur die Natur, dem Zauberstab des grossen Künstlers gehorsam. Beim andern wird eine Unterhaltung draus, ein Zwiegespräch. Der Künstler hat geistreiche Antworten, Einwände, auch mal einen Witz. Er ist nicht – rein. Wohlverstanden!


Welcher Blödsinn: Moderne Kunst! Echte Kunst steht über allen Zeiten, ist immer und nie modern.


Nordsee.

Ein frischer Nordnordwest mit wilden Rufen,
Er packt das Meer und zerrt es an den Mähnen.
Da schirrt es sich; da stampft's von tausend Hufen,
Viel tausend Rosse blecken mit den Zähnen;
und lauter klatscht von seinen Wolkenstufen
Der Gott hernieder seine Peitschensträhnen;
Drauf seh, als Sporn und Stacheln Eile schufen,
Den Griesbart greinend ich hintüberlehnen.


Non est.

In dieser grenzenlosen Einsamkeit
Blüht neu in mir ein reineres Gefühl,
Und aus dem Zwang der innern Qual befreit,
Lausch ich der Wellen plätscherndem Gespühl;
Und vor mir fliegt ein weisses Mädchenkleid,
Es drängt der Locken wirrendes Gewühl,
Und wie das Sternenlicht im Schaum versprüht,
Seh ich ein Augenpaar, das mir erglüht.


Ob Gerdsen sich noch mit dem Roman quält? Mir ist diese ganze Idee mit dem Roman schon albern geworden. Er soll sich nicht weiter bemühen, oder es deichseln, wie er will. Wenn er seinen Helden (sic!) mit der Komtesse Bruckner kopuliert, werden es ihm die Leserinnen danken und der Verleger auch.


Moiken. Aber nein!

Moiken hat so was dummes, so was – sachliches. Ein Stück Mensch. Isst, trinkt, schläft und ist da. Sag ich komm! kommt sie, geh! so geht sie. Daran könnte sich eigentlich der Mann genügen lassen. Aber da hapert's. Der »Nichts als Mann«, ja! Aber wenn man sich Blockhäuser baut, Blumen in ein leeres Zimmer stellt und Verse macht – ist man da eigentlich noch Mann?


Ein Kork, der den tiefen Drang in sich spürt, sich zu ersäufen! Ich kann mich selbst manchmal nur ironisch nehmen. Diese verdammte Neigung über sich selbst zu grübeln. Nicht Neigung, sondern Zwang, Verhängnis!


Des Leuchtturmwärters Frau mit ihrem Heimweh. Sie verbittert ihm die Einsamkeit, die ihm Lebensbedürfnis ist. Er war früher Musiker bei der Matrosenkapelle. Ein Sonderling, verrückt! Natürlich! Ich aber verstehe ihn. Die Frau versteh ich freilich auch. Er wird ihr eines Tags nachgeben und seinen Posten quittieren, wieder unter die Leute gehen. Es ist immer die Frau, die den Mann sich nicht ausleben lässt, so oder so. Sie tut mir übrigens leid.


Die Musik, vor allem die nordische, kann einen so weit bringen, Leuchtturmwächter zu werden. Musik, diese Allerweltssprache, die jeder versteht; sie sollte also verbinden, ausgleichen. Mich aber isoliert sie. Ein Beethovensches Adagio isoliert mich, führt mich ganz auf mich selbst zurück. Ich möchte nach jeder Musik, die mich völlig ergriffen hat, in die Einsamkeit.


Das Schauspiel der intelligenten, geistvollen Schriftsteller, die gerne Dichter sein wollen. Aber das ist ihnen versagt. So ein reines einfaches Gemüt, das an intellektuellem Besitz nicht den zehnten Teil in die Wagschale zu werfen hat, findet Töne, die einen den ganzen Geistreichtum der andren vergessen lassen, als etwas von dieser Welt. Jene Töne aber stammen aus einer Welt, für deren Seligkeiten alle Päpste und Könige dieser Welt ihre Kronen und Throne geben würden.


Dichter und Propheten, ihnen ist der Himmel offen.


Schaffenslust und Schaffensqualen. Ja, aber so aus dem Vollen schaffen können, diese göttliche Freude, diese fröhliche Göttlichkeit, wiegt das nicht alle Qualen auf? Aber dagegen die Qualen der Halben, die nur ein versprengter Tropfen des heiligen Öls traf. Wollen, wollen und nicht können. Glühen, aber es wollen keine Flammen werden.


Das denk ich mir die grösste Vaterfreude: einen Sohn haben, in dem das, was in einem glühte, Flamme ward. In dem hellen leuchtenden Tag seine Nächte und Träume wiedererkennen, seine gebärenden, schmerzlichen Nächte.


Wenn ich von Fides träume, ist es immer dieselbe Situation. Wir gehen zusammen durch ein reifes Kornfeld. Der Himmel glüht in einem sanften Abendrot. Wir sprechen nicht, gehen nur stumm nebeneinander, bis sie allmählich wie ein Schatten vor mir entschwebt, nach der Seite hin wegrückt. Wie die Entfernung wächst, ihre Gestalt undeutlicher wird, wächst eine seltsame Angst in mir; ich will ihr zurufen, aber die Stimme versagt. Schon drei- oder viermal hatte ich diesen Traum. Nur einmal vermischte sie sich mit Moikens Bild, und ich trank ihre Küsse von Moikens Lippen.


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