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32. Dem Ziele nah

Behaglich dahinfließende Tage waren in Berblingers Leben selten genug gewesen, als ob ihn die ruhelose neue Zeit, noch ehe sie angebrochen war, in ihre Wirbel gezogen hätte; aber noch nie hatte er Monate erlebt wie zu Anfang des Jahres 1811, so voll hoffnungsfroher Pläne, leidenschaftlicher Arbeit und erfolgverheißender Aussichten, und all das übergossen vom Licht eines Traumes, der immer deutlicher aus dem silberhellen Nebel einer glücklichen Zukunft hervortrat.

In den Weihnachtsfeiertagen sprach man schon unter jedem Christbaum, in dessen Zweigen ein geflügeltes Engelchen hing, von dem Beschluß des Ratskollegiums – so hieß jetzt der provisorische Gemeinderat der Stadt –, und daß nun bald nicht bloß die Engelchen, sondern jedes brave Ulmer Kind um die Fenster flattern, statt an der Haustür klopfen würde. Man spottete wohl auch noch und lachte, und grämliche alte Leute schüttelten die Köpfe ärgerlich; doch wurden es der Spötter immer weniger, und wenn Berblinger über die Straße ging, zeigten sich die Leute den Mann, der im Begriff war, der größte Ulmer zu werden. Im Februar wollten einige Narren in dem wiederauflebenden Karnevalszug – man konnte in diesen harten Zeiten doch nicht ewig den Kopf hängen! – einen geflügelten Bierbrauer umherführen, wurden aber durch entrüstete Freunde hiervon abgehalten. Die Sache war zu ernst, um sie dem Gespött einer unwissenden Menge preiszugeben. Auch die unverbesserlichsten Spaßvögel der Stadt gaben es auf, gegen den Strom zu schwimmen, als anfangs März Doktor Baldinger zu seinem Vortrag über ›das Flugproblem in alter und neuer Zeit‹ einlud und in Aussicht stellte, daß der Erfinder des neuesten und einzig erfolgreichen Flugapparates denselben im Saal des Goldenen Kreuzes vorzeigen und voraussichtlich Proben seiner Kunst zur Darstellung bringen werde.

So sehr sich Berblinger dieser plötzlichen Wendung in der Stimmung seiner Mitbürger freute, so wenig ließ er sich in emsiger Arbeit stören. Es war ihm voller Ernst mit der Sache, und der Glaube an den schließlichen Erfolg, gestützt von hundert Gleichdenkenden, blieb unerschütterlich, selbst nach jedem noch immer nicht völlig überzeugenden Versuch mit einem neuen Flügelpaar. Er fühlte dann nur, daß noch weit nicht alle Möglichkeiten erschöpft waren. Sogar unmittelbar vor der Vorstellung im Goldenen Kreuz hatte er eine Entdeckung gemacht, die ihn zu dem Entschluß führte, alle bisher gefertigten Flügel als gänzlich unbrauchbar zu vernichten und sofort mit dem Bau eines neuen Paars zu beginnen.

Es hatte sich nämlich gezeigt, daß die Tragkraft langer und besonders schmaler Flügel größer war, als wenn dieselben möglichst breit gehalten wurden, ja, daß die Tragkraft fühlbar wuchs, wenn die Luft zwischen den einzelnen Blättern, welche die Schwungfedern vorstellten, eine offene Spalte fand, durch die sie frei durchstreichen konnte. Auch die Flügelflächen größerer Vögel mit ihren spitz zulaufenden Schwungfedern sind dementsprechend geformt. Jetzt erst sah er dies und wunderte sich über die eigne Blindheit; allerdings konnte zu seiner Zeit noch niemand erklären, warum dies so sei. »Es herrscht eben ein Verstand in den Dingen, die Gott geschaffen hat, der über allen menschlichen Verstand geht«, sagte der Pestilenziarius, als er von der Sache hörte, und dasselbe sagte Lombard auf dem Münsterturm eigentlich auch; nur meinte dieser, es sei die Natur selbst, die den Verstand habe. Dies begriff Berblinger, der im Grunde seines Herzens zur alten Schule gehörte, weniger als die Erklärung, die ihm am Fuß des Münsters gegeben wurde. Zum Glück hatte er keine Zeit, des weiteren über die Frage nachzudenken, wer den ersten Falkenflügel aufgezeichnet haben mag.

Der Vortrag und die Versuche im Goldenen Kreuz überzeugten die letzten Zweifler, daß die Aufgabe der Lösung nahe war. Baldinger sprach mit solcher Wärme, und Berblinger flatterte an dem Seil, an dem gewöhnlich der Kronleuchter hing, mit solcher Kraft und Kunst, daß das Seil beim Niederschlagen der Flügel ganz schlaff zu sein schien. Die Leute im oberen Stockwerk, die es hielten, zogen ihn in ihrem Eifer allerdings dermaßen in die Höhe, daß er in Gefahr kam, den Schädel an der Saaldecke einzuschlagen. Dies erhöhte den Eindruck eines durchaus gelungenen Flugversuchs und führte Herrn Baldinger auf die allgemein als richtig anerkannte Bemerkung, daß der beschränkte Raum leider nicht gestatte, die Flügel ganz vogelartig zu gebrauchen, daß sie natürlich im Freien eine ganz andre Wirkung haben müßten. Nur Berblinger selbst war von dem Erfolg nicht völlig befriedigt, hatte den Kopf voll von einer neuen Form von Flügeln und wollte nichts mehr von den alten wissen, da er überdies von einem aus Ungarn zurückgekehrten Schiffer gehört hatte, daß durchlochte Segel weit wirksamer seien als Vollsegel. Das stimmte mit dem Bau luftdurchlassender Vogelschwingen überein. Durchlochte Flügel! Ein neuer Gedanke, der versucht werden sollte.

Nur einige Herren des Ratskollegiums, hinter denen der alte Nusser stand, wagten noch halblaute mißliebige Bemerkungen, denen merkwürdigerweise Berblinger zustimmte. Sie sagten, an ein Seil könne man schließlich jeden hängen, und das Zappeln ergebe sich dann von selbst. Ehe man einen Versuch im Freien sehe und ohne Seil, sei noch immer zu befürchten, daß die hundert Gulden, die der alte Gemeinderat übereilig bewilligt habe, weggeworfenes Geld seien. Berblinger wünschte in der Tat nichts sehnlicher, als einen solchen Versuch machen zu können, aber die Sache hatte ihre Schwierigkeiten. Seine Flügel, ursprünglich von einer mäßigen doppelten Armslänge, waren stetig gewachsen und jetzt schon so groß, daß sie nur von einem hohen Gestell aus entfaltet und bewegt werden konnten. Dazu brauchte er einen geeigneten Platz, wohl auch polizeilichen Schutz und andre Vorbereitungen, für die die städtischen Verhältnisse noch nicht reif waren. Wenn ihm Herr Nusser und seine Gesinnungsgenossen hierzu verhelfen wollten –! Herr Nusser aber schüttelte sein weißes Haupt mit aller Energie und entfernte sich, so schnell es ihm möglich war.

Diese Herren waren übrigens nicht die einzigen Gegner, welche die zuversichtliche Volksstimmung herabdrückten. Andre, Näherstehende machten ihm größeren Kummer. Dem Pestilenziarius konnte er nicht begegnen, ohne daß ihn dieser in rührenden Worten bat, von seinem törichten, sündhaften Unterfangen abzulassen und zu Nadel und Schere zurückzukehren. Selbst das fast vergessene Gretle, das jetzt Jungfer Margret hieß und im Spital eine vielbeneidete und bewunderte Stellung einnahm, rief der alte Mann zu Hilfe. Er habe sie noch nie so traurig gesehen. Alle Kranken mühten sich ab, sie zu trösten, ohne zu wissen, woher ihre Betrübnis komme. Eine treuere Seele gebe es nicht; das sei auch ein kleines Opfer wert, auch wenn er nichts mehr von ihr wissen wolle. Sie wolle ja auch nichts mehr von ihm, aber den Gedanken könne sie kaum ertragen, daß er unseren lieben Gott ins Gesicht zu fliegen versuche. Berblinger lachte; aber in der Tiefe seiner Seele schluchzte etwas, als er dies hörte. Doch ging's vorüber, denn er hatte jetzt keine Zeit mehr anzusehen, was in der Tiefe seiner Seele vorging.

Nach der Vorstellung im Goldenen Kreuz versenkte sich Professor Zeller wieder in sorgfältige Berechnungen, in denen er nur mit Hilfe der kompliziertesten Differential- und Integralformeln zum Ziel kam; aber auch er schüttelte den Kopf, wenn sie sich begegneten. Zwei- oder dreimal hatte er ihm Papierblättchen zugesteckt, die mit Zahlen und algebraischen Gleichungen bedeckt waren. Das Ergebnis dieser Arbeiten war stets das gleiche: daß nach allen bis jetzt bekannten und ganz sicher für alle Zeiten gültigen Gesetzen der Mathematik und der Physik weder Berblinger noch irgendein andrer Vogel jemals fliegen könne. Es war nicht ganz unnatürlich, daß sich hierbei Zeller mehr als Berblinger beunruhigt fühlte.

Aber selbst Lombard stand nicht rückhaltlos auf seiner Seite. Der ehemalige Schneider war jedoch geneigt, dem alten Türmer zu verzeihen. Dieser war seit einiger Zeit mit seinen eignen schwierigen Forschungen Tag und Nacht beschäftigt und nicht mehr imstande, etwas andres zu sehen oder zu hören. Die Hilfswächter beklagten sich laut. Es sei wahrhaftig lustig genug dort oben, aber man sei manchmal am Ersticken, so dampfe und qualme es in dem Hexenstübchen, von einem gelegentlichen Knall nicht zu reden, der wohl noch einmal die ganze Münsterturmspitze in die Luft blasen werde. Die höchste Zeit wäre es, daß die hohe Geistlichkeit endlich einmal heraufkäme und dem alten Heiden das Handwerk legte. Lombard selbst fragte längst nach niemand mehr und bat nur Berblinger gelegentlich und zerstreut, er solle sich doch nicht beeilen. In drei, vier Wochen werde das neue Kraftpulver gefunden sein. Dann sei es ein Kinderspiel, eine Maschine zu bauen, die fünf Pfund wiege und die Kraft von zehn Pferden abgebe. Damit sei auch ohne weitere Mühe das Fliegen erfunden und jedem Kinde möglich. Berblinger, der noch immer an Lombard hinaufsah wie an einem Wesen aus einer andern Welt, wagte nicht anzudeuten, daß die drei bis vier Wochen schon seit mehreren Jahren kein Ende nehmen wollten und daß er selbst nur noch zwei bis drei Wochen nötig habe, um ein völlig brauchbares, ideal wirksames Flügelpaar herzustellen. Seine Besuche auf dem Turm wurden gegen das Frühjahr hin seltener. Es war ihm nicht angenehm, ebenfalls daran erinnert zu werden, daß sich seine eignen ›zwei bis drei Wochen‹ ungebührlich lange hinzogen.

Um so begeisterter für die Sache war sein Onkel Schwarzmann geworden. Keine Woche verging ohne seinen Besuch in der Herrenkellergasse, wo er sich alle Änderungen, alle Fortschritte im Flügelbau erklären ließ. Selbst in größerer Gesellschaft sprach er mit Selbstgefühl von ›meinem Neffen Albrecht, dem Erfinder‹, und als Herr von Schad, der Bürgermeister, die Nachricht von Stuttgart erhielt, daß Seine Majestät der König wahrscheinlich gegen Ende Mai seine neue Stadt Ulm besuchen werde, hatte er eine geheime Konferenz mit dem Stadtoberhaupt, von welcher selbst dessen Geheimschreiber Törle nur zu erzählen wußte, daß man mit dem Gedanken umgehe, Seine Majestät mit einer Kompagnie geflügelter Soldaten zu überraschen.

Und die Baldinger – und Lucinde –

Wäre Berblinger nicht ein arbeitsfroher, grundsolider Mensch und ein geborener Erfinder gewesen, so wären in diesen vier Monaten nicht ein, geschweige denn acht Paar Flügel fertig geworden. So oft er sie besuchte – und weniger als einmal in der Woche war ihm dies nicht möglich –, waren vierundzwanzig Stunden für vernünftige Arbeit verloren, obgleich er jedesmal mit dem festen Willen, bis zum Mond emporzusteigen, wenn sie es verlange, aus der Frauenstraße zurückkehrte. Er warf dann den in Arbeit befindlichen Flügel in der Stube umher, riß ihm die künstlichen Federn aus, befestigte Riemen und Schnallen an den verkehrten Enden, so daß Fränzle, der Lehrjunge, nur staunen und warten konnte. Nach vierundzwanzig Stunden war der Paroxysmus vorüber, worauf die Arbeit ihren ruhigen Fortgang nehmen konnte. Ob Lucinde ahnte, welches Unheil sie jedesmal anrichtete? Es sah fast aus, als ob es ihr Spaß machte, und doch war nicht zu verkennen, daß es auch ihr, wie hundert andere in der Stadt, mit dem Fliegen bitter ernst war. Vetter George, der ein philosophischer Kopf, und der Staatsrat, der ein verliebter Vater war, lachten beide. Es war ja Lucinde; man mußte dem verzogenen Kind manches nachsehen. Eins war klar: im ganzen Haus dachte niemand mehr daran, vielleicht mit Ausnahme des Stubenmädchens, welch bescheidene Rolle Berblinger hier vor nicht langer Zeit gespielt hatte. Schon das machte ihn halb glücklich.

 

Drunten im ›Steinheile‹, einem neu angelegten Vergnügungsort auf dem rechten Donauufer, halb Park, halb Wildnis, war Maienfest. Ihre Lebenslust verloren die Ulmer auch in den schwersten Zeiten nicht. Es war ein liebliches und lustiges Bild, die Hunderte von lachenden, spielenden Kindern; die Buben mit Fähnchen, meist in den neuen Landesfarben Schwarz und Rot, aber auch einige noch weiß und blau, vom vorigen Jahr, ja da und dort gar eins schwarz und weiß, die Farben der alten Reichsstadt; die Mädchen mit Maiglöckchen in den Händen und Veilchen in den Haaren. Die Zünfte mit ihren Bannern und sonstigen Zunftabzeichen, jede um einen mit Bierkrügen schwer beladenen Tisch geschart: dort die Bäcker, hier die Metzger, die Schneider hier, die Schuster dort, dann die Kleinkrämer, die Schiffer, die Schlosser und Schmiede: sechzehn Tische – und doch fehlte die Hälfte; dann, etwas getrennt von diesen Tischreihen, die Honoratioren, in würdigem Schwarz: die Herren vom Gymnasium und von den Gerichten, die neuen Herren von der Regierung. Auch württembergisches Militär in Grün und Blau, da und dort ein Bayer aus Elchingen und Günzburg, der sich nach seinem alten Schatz umsah, von dessen Seite ihn die erbarmungslose hohe Politik gerissen hatte. Auch an Damen in bunten Frühlingskleidern fehlte es keineswegs, und das Gold von manchem alten Ulmer Häubchen schimmerte munter und herausfordernd durchs Gebüsch.

Lucinde von Baldinger, die überall als die schönste Ulmerin anerkannt wurde, war Maienkönigin gewesen. Sie hatte Berblinger strenge Weisung gegeben, heute nachmittag seine Flügel ruhen zu lassen und am Feste teilzunehmen. Der Aufzug der Kinder, das Tanzen um den Maienbaum, das erste Spielen mit den Kleinen war vorüber. Schaukeln und Karusselle waren im Gang und zwei Musikbanden spielten herzzerreißend ineinander. Auch die Ruhigeren kamen jetzt zu ihrem Recht und freuten sich des herrlichen Sonnenuntergangs, der sich in der Donau spiegelte und den massigen Münsterturm in sattem Violett auf den Goldgrund des Himmels malte.

An einem der Ehrentische saßen die Baldinger, die Schwarzmann und Berblinger, den sein Onkel geflissentlich zu sich heranzog, mitten unter ihnen. Der ehemalige Schneider dachte an ein ähnliches Bild: wie er vor Jahren im Ruhetal, hinter Buschwerk versteckt, fast dieselbe Gesellschaft beobachtet hatte. Damals war er noch Lehrjunge gewesen, und was für einer! Wie hatte sich das Blättchen gewendet! Jetzt behandelten ihn alle wie ihresgleichen; niemand schien daran zu denken, daß er ein Schneider gewesen war oder vielmehr noch war. Denn es war keine Rede mehr davon, ihn aus dem Zunftregister zu streichen.

George Baldinger hatte sich soeben auch eingefunden und setzte sich neben Lucinde, die in ihrem duftigen Frühlingskleid wie eine zierliche kleine Blumenelfe aussah. Er kam aus einer Komiteesitzung, alle Taschen voll Neuigkeiten und bereit, der erwartungsvollen Tafelrunde mitzuteilen, was in den nächsten Wochen die ganze Stadt in ein Fieber der Erregung versetzen mußte. Es war sicher, daß der König Friedrich in vierzehn Tagen Ulm besuchen werde. Man sei sich der Wichtigkeit dieser Tatsache voll bewußt. Die Stadt müsse das möglichste tun, um dem neuen Landesfürsten ihre Loyalität zu zeigen; darüber herrsche nur eine Stimme. Zunächst sei eine Triumphpforte am Stuttgarter Tor geplant. Man besitze zu ihrer Ausschmückung noch zwei große Löwen aus Gips aus der bayrischen Zeit. Dieselben seien aber natürlich nur zur Hälfte verwendbar. Rommel, der geschickte Hafnermeister, sei deshalb beauftragt worden, so schnell als möglich einen Hirsch zu fabrizieren und ihn mit der Unterschrift ›Furchtlos‹ zu versehen, während der eine verwendbare Löwe die Unterschrift ›und treu‹ erhalte oder umgekehrt. ›Furchtlos und treu!‹ sei nämlich der schöne Wahlspruch Württembergs, wie aus Stuttgart mitgeteilt werde, und müsse natürlich jetzt auch in Ulm irgendwie verwertet werden. Sämtliche Schulkinder hätten an dieser Ehrenpforte ein entsprechendes Lied zu singen, das der Gynmasiallehrer Schwätzler bereits zu dichten begonnen habe. Er sei die geeignetste Persönlichkeit für Festgedichte dieser Art, wie sein prächtiger Triumphgesang auf den Imperator Napoleon schon Anno 1806 bewiesen habe. Rechts und links von der Ehrenpforte würden die Spitzen der provisorischen Regierung, die Geistlichkeit und die bürgerlichen Kollegien Aufstellung nehmen und Huldigungs- und Begrüßungsanreden halten. Geläute mit allen Glocken, mit Ausschluß des Armesünderglöckchens, das das vorige Mal für den Kurfürsten von Bayern aus Versehen mitgeläutet worden, sei bestellt und Kanonendonner verstehe sich von selbst. Am Abend sei eine allgemeine freiwillige Illumination der Stadt angeordnet und am folgenden Nachmittag eine Fête champêtre in dem Hölzchen vor dem Gänsetor, das bei dieser Gelegenheit ›Friedrichshain‹ oder ›-au‹ getauft werden solle. Es sei hierbei eine ganz originelle Veranstaltung in Aussicht genommen. Da der König den Bürgern von Ulm, um ihnen seine besondere Huld zu erweisen, den Jagdfrondienst erlassen habe, soll die Dankbarkeit hierfür durch eine Statue der Diana ausgedrückt werden, die ebenfalls von dem Hafnermeister Rommel, einem wahren Künstler auf diesem Gebiet, schleunigst anzufertigen sei. Vor der Statue werden rechts und links Altäre errichtet, auf denen je drei Vestalinnen ein heiliges Opferfeuer erhalten – das Holz liefere natürlich die Stadt –, welche beide Feuer die Herzensempfindungen der Ulmer darstellten, rechts unauslöschliche Dankbarkeit, links brennende Liebe zum Herrscherhaus. Was man am dritten Tag mit Seiner Majestät anfange, sei noch fraglich, da auf allerhöchsten Wunsch das Hauptfestmahl im Rathaus schon am vorangegangenen Nachmittag stattzufinden habe.

Hier wurde der Doktor, dem alle und namentlich Lucinde mit der regsten Aufmerksamkeit gelauscht hatten, in unerwarteter Weise unterbrochen. Von einem benachbarten Tisch waren drei Herren aufgestanden, hatten sich feierlich, wenn auch etwas verlegen, dem Baldingerschen Tisch genähert und waren hinter dem nichtsahnenden Berblinger stehen geblieben. Verwundert machte der Doktor eine Pause, die der mittlere der Herren benutzte, sich sehr laut zu räuspern. Berblinger, der diesen Laut kannte, fuhr in die Höhe und drehte sich um. Vor ihm stand Knöppel, sein Oberzunftmeister, zu dessen Rechten Glöcklen, zur Linken Bockelhardt. Jeder der beiden Begleiter hatte einen Maßkrug in der Hand, Knöppel selbst einen Teller, über den ein rotes Taschentuch gebreitet war. Er begann jetzt mit lauter feierlicher Stimme:

»Mit Gunst und Verlaub, ihr Herren allesamt und auch das Frauenvolk! Gott grüß' Euch, Meister Berblinger!«

»Gott grüß' Euch, ihr Meister allesamt«, erwiderte Berblinger, der sich rasch gefaßt hatte, aber einen sehr roten Kopf bekam.

»Mit Gunst, Meister Berblinger«, wiederholte Knöppel mit großem Ernst. »Da Ihr nicht zu uns kommet noch mit der Brüderschaft sitzet, wie es allerdings einem ehrsamen Meister geziemte, so kommen wir zu Euch und wollen's Euch nicht verdenken, sintemal wir nicht zu leugnen vermögen, daß etliche unter uns Euch nicht behandelt haben, wie sich's unter Brüdern gebührt. Sie haben dies aber nicht getan aus Böswilligkeit, sondern aus Unverstand. Sobald wir solches erkannt und eingesehen, haben wir beschlossen, daß es wieder sollte gutgemacht werden von wegen des Handwerks, und daß wir heut, an diesem Freuden- und Frühlingstag, Euch bitten mögen, Vergangenes vergangen sein lassen, gleichwie der Schnee vom letzten Winter auch vergangen ist. Und zum Zeichen, daß solches geschehen, soll Euch von Zunfts wegen ein Angedenken dargereicht werden, wie ich solches unter diesem Tuch verborgen halte und nun öffentlich zeigen will, vor aller Welt.«

Er ergriff das Tuch mit Daumen und Zeigefinger und hob es zierlich in die Höhe. Auf dem Teller lag eine Schere.

»Sie ist von Silber!« sagte Bockelhardt flüsternd, als er Berblinger erbleichen sah.

»Und zum Zeichen, daß alles vergeben und vergessen sei«, fuhr Knöppel fort, »sollt Ihr uns Bescheid tun aus dieser Kanne Bier. Gott segne das Handwerk!«

Er griff nach Bockelhardts Krug, während Glöcklen den seinen Berblinger reichte. Sie tranken beide herzhaft und reichten sich die Hände. Berblinger schien nicht mehr verlegen zu sein, selbst als ihm Bockelhardt die Schere in die Brusttasche seines Rocks steckte, aus der der Handgriff funkelnd hervorragte. Etwas vom Stolz des Handwerks war doch auch in ihm sitzen geblieben.

»Ich dank' Euch, Meister allesamt«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Und wenn mir Gott Glück schenkt und mich vollbringen läßt, was ich unternommen habe, so sei's zur Ehre des Handwerks. Läßt er mir's aber nicht gelingen, so lacht nicht zu sehr, dieweil ich mein Bestes habe tun wollen und es getan habe, so gut ich konnte.«

Er war so gerührt, daß seine Stimme zitterte. Die drei sahen ihn verwundert an, machten drei zierliche Kratzfüße und gingen nach ihrem Tisch zurück.

Der erste, der nach einer etwas verlegenen Pause sprach, war der Staatsrat:

»Das laß ich mir gefallen! Halt den Kopf hoch, Berblinger, von wegen des Handwerks! Du kannst es noch zu allem bringen; aber mach's Maul auf!«

Jetzt lachten alle; nur Lucinde schien etwas verstimmt, doch auch dies ging vorüber. Schwarzmann aber winkte dem jungen Baldinger und nahm ihn auf die Seite, offenbar um eine hochwichtige Angelegenheit mit ihm, zu besprechen. Sie flüsterten lang und eifrig; dann setzten sie sich wieder nachdenklich, ohne in das allgemeine, munter hin und her fliegende Gespräch einzugreifen, bis der junge Baldinger, dem man ansah, daß ihn ein schweres Geheimnis drückte, laut lachend losbrach:

»Was braucht's das Geheimtun, Herr Rat? In acht Tagen ist doch alle Welt voll davon, und je bälder es Berblinger erfährt, um so besser. Ihr Herr Onkel, der eben doch der findigste Kopf ist, der unser Rathaus ziert, weiß, was wir am dritten Tag mit dem König zu tun haben. Die Majestät soll Respekt vor den Ulmern bekommen. Sie müssen ihm vor aller Welt ad oculos demonstrieren, daß man in Ulm zu fliegen versteht!«

Berblinger sprang auf, halb im Schrecken, halb vor Freude. Er wollte protestieren. Ganz sicher war er seiner Sache ja noch nicht, wenn auch die neuesten Flügel mit gespaltenen Schwungfedern sich zweifellos bewähren mußten. Dann aber traf ihn ein strahlender Blick Lucindes, worauf er sich wieder setzte und nervös mit der kleinen silbernen Schere zu spielen begann, die ihm beim Aufspringen aus der Tasche gefallen war.

»Wir haben die Sache reiflich überlegt«, fuhr George fort. »In glänzenderer Weise kann sich Ulm bei Seiner Majestät nicht einführen, und unser Berblinger ist mit einem Schlag ein weltberühmter Mann. Daß der Vorschlag aus dem Rathaus Anklang, stürmischen Anklang finden wird, daran ist nicht zu zweifeln; also fehlt nichts, als daß unser beschwingter Freund ja sagt und die Vorbereitungen, die er für nötig hält, schleunigst getroffen werden.«

Lucinde klatschte jetzt in die Hände.

»So hab' ich mir's von jeher gedacht, Herr Berblinger«, rief sie. »Das wird anders aussehen als in Wien in der engen, dumpfigen Aula, und ein König ist mehr als ein Erzherzog. Über die Donau soll er fliegen, oder übers Münster, Papa, daß alle Welt sieht, was die Ulmer können. Sie sagen ja, Herr Berblinger, das versteht sich. Ich bitte Sie darum; ich will es!«

Noch immer öffnete und schloß Berblinger die silberne Schere, ohne zu wissen, was er tat. Er schien mit sich selbst zu kämpfen und der Kampf kein leichter zu sein. Zwei große Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und Lucinde wurde sichtlich ungeduldig.

»Aber ich begreife nicht, Herr Berblinger, wie Sie Ihr Glück und Ihren Ruhm von sich stoßen mögen«, sagte sie mit einem Zug des Spotts in dem lieblichen Gesichtchen. »Vor dem König zu zeigen, wer Sie sind! Da würde mich nichts in der Welt abhalten, ja zu sagen.«

Er sah auf. Was ging ihn der König an!

»Ich wollte wohl – aber –«, sagte er leise, zögernd.

»Aber!« spottete Lucinde. »Da haben wir's! Ein echter Schwabe sind Sie doch: begehrlich, solang nichts zu machen ist, bedenklich wie eine Schnecke, sobald das Glück winkt. Zugreifen heißt es in der Welt, in der große Männer wachsen.«

Das war sie! Das war seine Egeria; aber noch immer schwieg Berblinger.

»Mach's Maul auf, Brechtle!« rief der Staatsrat, halb über das Drängen seiner Tochter, halb über den zurückhaltenden großen Mann laut lachend.

Jetzt aber warf Berblinger mit einer heftigen Bewegung die Schere zu Boden, stieß den Bierkrug auf den Tisch und sagte mit halberstickter Stimme:

»Nun ja; ich will's tun.«

Wieder klatschte Lucinde in die Hände und warf ihm einen strahlenden Blick zu, der ihm bis in die tiefste Seele drang. Wie hatte er so lange zaudern können? fragte er sich bebend. Ja, ja! Ich will's tun, mag daraus werden, was da will. Alles, alles für sie!

»Jacta est alea!« bemerkte der Doktor mit einer Feierlichkeit, hinter der sich der Schalk kaum verstecken konnte, und reichte ihm die Hand. Das taten sie dann alle. Es war, man wußte nicht recht wie, eine ernste, gehobene Stimmung über die heitere Gesellschaft gekommen, die jetzt den Rückweg nach der Stadt antrat. Lucinde schritt munter plaudernd voran, neben Berblinger, der wie im Traum ging. Zuletzt kam George mit dem jungen Hans Schwarzmann, der den ganzen Nachmittag still und mißmutig dagesessen hatte. Auch jetzt konnte ihm der Doktor kaum ein Wort entlocken. Hans wußte und der Doktor vermutete, weshalb. Aber er lachte nur.

 

Noch nie waren vierzehn Tage über die gute Stadt Ulm mit solch unsinniger Geschwindigkeit hingegangen als in den Wochen, die dem Besuch des Königs vorangingen. Man hatte gar zuviel zu ordnen, neu zu schaffen, zu ändern, und auch das Aufräumen mit altem Kram aus der bayrischen, ja selbst aus der reichsstädtischen Zeit – es hieß, mit König Friedrich sei in dieser Beziehung nicht zu spaßen – erforderte eine fast fieberhafte Tätigkeit, die bis zur Vernachlässigung des Frühschoppens und zu unangenehmen Lücken an Stammtischen in den höchsten Kreisen führte. Man lernte den Rat Schwarzmann, der eine Zeitlang unter einer Wolke gesessen hatte, wieder schätzen: Es galt so manche ungewohnte Schwierigkeit zu überwinden; da brauchte man einen Mann von praktischem Sinn und raschen Entschlüssen. Der Hirsch des Hafnermeisters Rommel wollte auf seinen naturgetreu dünnen Beinen nicht stehen. Die Schulkinder mußten gedrillt werden, um im richtigen Augenblick ein verständliches, möglichst tausendstimmiges: »Es lebe unser geliebter Landesvater hoch – hoch – hoch« erschallen zu lassen. Für die freiwillige Illumination war den ärmeren Bürgern ein teilweiser Ersatz für Talglichter zu gewähren. Die Wahl der sechs Vestalinnen für den Friedrichshain war wegen des überwältigenden Zudrangs von Jungfrauen keine kleine Aufgabe und führte zu Familienfehden, in denen sich Geld und Geburt, äußere Schönheit und innerer Wert bis aufs Blut bekämpften. Schließlich war aber doch am Morgen des 29. Mai alles halb fertig, um den König gegen vier Uhr am Stuttgarter Tor programmgemäß zu empfangen. Schon zwei Stunden später verkündigte Kanonendonner, daß Seine Majestät herannahe, was besonders von den städtischen Kollegien aufs dankbarste begrüßt wurde, die infolge des langen Wartens und des bis zur Unerträglichkeit wachsenden Durstes sichtlich der Auflösung nahe waren.

Am meisten beschäftigte den Rat Schwarzmann nicht so sehr der Gedanke, wie sich ein württembergischer Orden neben seinem bayrischen ausnehmen würde, als die Vorbereitungen für die Glanznummer des Festprogramms: die für den dritten Tag vorgesehene Vorführung der größten Erfindung der Neuzeit, des fliegenden Menschen. Daß dieser Mensch zugleich sein Neffe war, erfüllte ihn nachgerade mit einem Stolz, den er nicht mehr verbergen konnte. Man hatte nach sorgfältiger Prüfung aller Möglichkeiten die Adlerbastei als die geeignete Stelle erkannt, von der aus die Versuche stattfinden sollten. Die vierzig Fuß hohe Mauer der alten Festung wird von der Donau bespült, welche hier nach Umkreisung der Insel vor dem Herdbruckertor in beträchtlicher Breite beide Arme wieder vereinigt. Auf der Bastei hatte man einen hölzernen Turm errichtet, von dessen Plattform aus der Flug beginnen sollte. Das Ziel war zunächst ein bescheidenes: Der Fliegende sollte sich auf dem entgegengesetzten flachen Ufer in nicht allzu großer Entfernung niederlassen, somit zum mindesten von einem Königreich ins andre gelangen und damit zugleich in sinniger Weise andeuten, daß die Technik der Neuzeit keine Grenzen mehr kenne und daß die Nation, die zuerst fliegt, ohne Schwierigkeit Besitz von allem nehmen kann, was sie in ihrem kühnen Flug zu erreichen vermag. Für die Majestät wurde ein Prunkzelt neben dem Turm aufgeschlagen, das einen freien Blick über den Strom bot und die genaueste Beobachtung der voraussichtlichen Flugbahn gestattete, während auf der Terrasse der Bastei die Spitzen der Behörden und die Honoratioren der Stadt Platz nehmen sollten und endlich entlang der beiden Ufer des Flusses eine gewaltige Volksmenge Aufstellung nehmen konnte.

Berblinger selbst war sich des Ernsts der kommenden Ereignisse wohl bewußt. Er arbeitete mit unermüdlichem Eifer und mit der größten Sorgfalt an der Herstellung seiner neuesten Flügel, die weit schwieriger zu bauen waren als alle früheren, weil sie auf ein Drittel der Länge aus einzelnen federartigen Blättern bestanden, zwischen denen eine schmale Spalte der Luft freien Durchzug nach oben gestattete. Er suchte dies zu erzielen, indem er das kräftige Hauptgestell gegen die Spitzen der Flügel hin mit einem durchlöcherten Strohgeflecht überzog, auf welches die die Federn darstellenden Blätter angenäht wurden. Zu seinen übrigen Künsten war nun auch das Strohflechten gekommen. Hierin zeigte sich der Lehrjunge Fränzle besonders geschickt, der mit brennenderem Eifer bei der Sache war als sein Meister. Auch die Befestigung der Flügel am Leib des Fliegenden hatte verschiedene Verbesserungen erfahren, so daß die Bewegung der Beine, ähnlich wie beim Schwimmen, das Auf- und Niederschlagen der Flügel unterstützen konnte und so die ganze Kraft des menschlichen Körpers für den Flug zur Verwendung kam.

Drei Tage vor Ankunft des Königs war die Arbeit beendet, und was irgend zu ersinnen war, diese Art von Flügeln tadellos herzustellen, ausgeführt. Nun mußte sich zeigen, ob die Wirkung des Apparats den Erwartungen entsprechen konnte. Einen Vorversuch zu machen war unmöglich, da ein solcher nur von dem noch im Bau begriffenen Gerüst aus unternommen werden konnte. Aber es mußte ja gelingen! In sinkender Nacht, um einen Auflauf zu vermeiden, brachte man die Flügel nach dem Rathaus, wo sie in einer Kammer im Erdgeschoß, zwischen Feuereimern, Leitern und Spritzen aufgestellt von hundert hoffnungsfrohen Besuchern angestaunt wurden. Schwarzmann kam täglich mehrmals, umgeben von ganzen Gesellschaften, denen er die Theorie und die Wirkungsweise der Erfindung seines Neffen erklärte. Eine ganz besondere Wißbegier schien auch seinen Sohn Hans plötzlich zu beleben. Er fand sich jeden Abend ein und blieb, bis das Spritzenhaus für die Nacht geschlossen wurde, indem er die einzelnen Teile und ihre Befestigung betrachtete und die Größe und das Gewicht des Ganzen festzustellen suchte. Manchem fiel er hierbei auf, weil sein sonst lautes, überlustiges Wesen sich in das Gegenteil umgewandelt zu haben schien und er bleich und sichtlich magerer geworden war. »Ein Schiffer«, erklärte er unwirsch, wenn ihn jemand zur Rede stellte, »sollte auch etwas vom Luftschiffen verstehen.«

Neben diesen den ganzen Mann erfordernden Arbeiten hatte aber Berblinger noch eine andre Beschäftigung, die ebenfalls wohl imstande war, eine Menschenkraft zu verzehren. Es verging jetzt kein Tag, an dem er nicht in Baldingers Haus einen kurzen oder längeren Besuch machte. Lucinde wollte wissen, was jeder Tag Neues brachte, begann in ihrem Eifer ihm Ratschläge zu geben und darüber nachzudenken, wie Federn zu fabrizieren seien oder das Gewicht der Flügel vermindert werden könnte. Wenn er dann seine eignen Ideen erklärte, sah sie still und staunend in sein hübsches Gesicht. Es hatte in den letzten Zeiten den Ausdruck einer männlichen Entschlossenheit angenommen, die ihm nicht übel stand. Hatte sie den Mann gefunden, an dem sie hinaufsehen konnte?

Aber noch immer lachte Vetter George, so daß sie gelegentlich mit dem Fuß stampfte. Er wollte nicht eifersüchtig werden. Das war bei Hans anders und amüsanter.

Berblinger war jetzt einfach und ehrlich verliebt bis über die Ohren. Ob der Zustand tragisch oder komisch genommen wird, seine Wirkung ist dieselbe: entweder macht er den Mann unfähig zu irgendeiner vernünftigen Handlung oder er bewirkt eine Steigerung seines Wollens und manchmal selbst seines Könnens, die staunenerregend ist. In dieser Richtung beeinflußte Lucinde den ergebensten ihrer Anbeter. Es war ihm jetzt völlig klar, nach was er strebte, und es fehlte ihm nicht an Mut. Er erinnerte sich daran, daß er vor seiner Schneiderzeit nach Geburt und Erziehung zu etwas Besserem bestimmt gewesen war. Wenn sein jetziges Werk gelänge, das sagte ihm nicht nur ihr Blick bei jedem Wiedersehen, ihr Händedruck bei jedem Abschied, das sagte ihm auch der Rest des Menschenverstandes, der ihm geblieben war, wenn ihm mit dem Gelingen seiner Erfindung Reichtum und Lebensstellung sicher waren, dann konnte er alles hoffen, alles verlangen.

Der 29. Mai kam und mit ihm der jetzt heißersehnte Besuch des Königs. Das Kanonieren und das Glockengeläute, welche die Begrüßungsanreden begleiteten, der Flaggenschmuck der Stadt, die freiwillige Illumination und die Beleuchtung des Münsters, am andere Morgen die Besichtigung der geschleiften Festungswerke und andrer Sehenswürdigkeiten – all das verlief zur vollsten Zufriedenheit Seiner Majestät und seines zahlreichen Gefolges von Prinzen und hohen Würdenträgern unter dem nicht endenden, auf drei Tage wohlverteilten Jubel seiner neuen Landeskinder. Besonders ergreifend, wenn auch etwas abgekürzt, war die Dankesfeier im neuen Friedrichshain, wo inmitten der sechs Vestalinnen Professor Schwätzler als eine Art Apollo im Kreis der Musen – obgleich drei fehlten – vor dem als Jupiter gedachten König sein zweites Festgedicht selbst vortrug. Das erste hatte die Liedertafel schon tags zuvor am Stuttgarter Tor verbraucht. Es ging nach der Melodie des schon damals berühmten württembergischen Festgesangs:

Hängt ihn auf, hängt ihn auf,
Hängt ihn auf an Stuttgarts Toren,
Euern schönsten Freudenkranz!

Hinter den Kulissen dieser schönen Feier spielte sich allerdings seit dem Morgen des zweiten Tags eine kleine Störung ab, die kaum ganz zu verbergen war. In aller Frühe hatte ein Depeschenreiter aus Stuttgart die Stadt erreicht, und kurze Zeit darauf sprach man in allen Straßen davon, daß die Abreise des Königs infolge eines ernsten politischen Zwischenfalls schon in der kommenden Nacht erfolgen müsse. Es werde somit der dritte Festtag eigentlich überflüssig, obgleich die Prinzen und der größere Teil des Gefolges hierbleiben sollten, um das Programm auch dieses Tages möglichst zur Geltung zu bringen. Eine halbe Stunde lang war Schwarzmann, der Hauptfestordner, in Verzweiflung. Der Bürgermeister, den er nur auf einen Augenblick sehen konnte und bei dem die gleiche Geistesverfassung seit mehreren Tagen chronisch geworden war, sagte stöhnend: »Machen Sie ins Kuckucks Namen, was Sie wollen; ich kann nicht mehr!« und eilte, sich den Angstschweiß – es war erst neun Uhr morgens und ein schöner kühler Tag – von der Stirn wischend, dem König nach, der trotz seiner achtunggebietenden Beleibtheit rasch die Treppe im Schwörhaus hinaufstieg.

So machte Schwarzmann, was er wollte. In zehn Minuten war das Programm für den Tag abgeändert und die nötigen Weisungen nach allen Seiten ausgesandt. Die Nachmittagsfeier im Friedrichshain mußte um elf Uhr beginnen, Professor Schwätzler zehn Verse seines Festgedichts fallen lassen, die vom Liederkranz neu einstudierten Chöre aus der Zauberflöte prestissimo gesungen werden. Das Gabelfrühstück im Festzelt auf dem Kienlesberg, wo Napoleon an einem denkwürdigen Tag gestanden hatte, fiel weg. Das Festmahl im Rathaus, das um fünf Uhr hätte beginnen sollen, wurde auf ein Uhr verlegt. Nach dem Mahl durfte Majestät nur eine, statt anderthalb Stunden der Ruhe pflegen. Dann konnte man auf die Adlerbastei ziehen und Berblinger seine Triumphe feiern sehen. So ging's!

 

Wir überlassen einem gewissenhafteren Chronikschreiber, zu erzählen, wie all das auf unerwartet glückliche Weise ineinandergriff und sogar die Bevölkerung der Stadt, die ihre Aufmerksamkeit zwischen dem König und dem einstigen Schneidermeister in der Herrenkellergasse teilen mußte, rechtzeitig erfuhr, daß um fünf Uhr nachmittags an den Ufern der Donau ein die Welt bewegendes Ereignis stattfinden werde. Alles strömte zum Herbel- oder Gänsetor hinaus und suchte möglichst günstige Standorte, um sowohl den neuen Landesherrn als auch den großen Erfinder sehen zu können. Leider mußte der geplante Festzug vom Rathaus nach der Bastei unterbleiben, weil im Gouvernementsgebäude Seine Majestät von vier bis fünf Uhr der Ruhe pflegen wollte, die durch Musik und Paukenschlagen und das zu erwartende allgemeine Getümmel gestört worden wäre. Die Flügel wurden deshalb in aller Stille, nur geleitet von einem Dutzend Gassenjungen, an Ort und Stelle gebracht und unter Aufsicht des Stadtbaumeisters vorsichtig auf den Holzturm hinaufgewunden. Berblinger selbst sollte sich im benachbarten städtischen Hospital fluggemäß ankleiden, auf ein mit der Trompete zu gebendes Zeichen durch ein Seitenpförtchen hervortreten und, nachdem er dem König vorgestellt worden war, den Turm besteigen, wo ihn zwei wegen ihrer Intelligenz dafür bestimmte städtische Beamte, einer der Hilfsturmwächter, der andre ein Stadtsoldat, dessen Schwindelfreiheit zuvor amtlich geprüft worden war, erwarteten, um ihm beim Anlegen der Flügel behilflich zu sein. Schon eine Stunde vor der bestimmten Zeit füllten sich die Gelände entlang dem Fluß auf beiden Seiten mit Schaulustigen, doch nicht so sehr, als erwartet werden konnte, da die Nachricht von der Änderung des Festprogramms doch nur in der Stadt bekannt geworden war. Nach einer weiteren halben Stunde erschienen im Königszelt und in dem abgesperrten Raum am Fuß des Turmes einzelne Herren, die Spitzen der Behörden, höhere Offiziere, der Bürgermeister und die Herren vom Magistrat und Ratskollegium, unter ihnen alle überragend der Rat Schwarzmann, im Vollgefühl der Tatsache, daß alles, was man hier sah, sein Werk war, und daß dies durch den Staatsrat von Baldinger dem König mitgeteilt worden sei. Auch an Damen fehlte es nicht, und Lucindes reizende Schönheit fand wie gewöhnlich auch heute die gebührende Beachtung, so daß sie bald der Mittelpunkt eines Kreises von jungen Herren und Offizieren war, die sie scherzend und plaudernd umstanden, denen sie heute jedoch zerstreut und fast unhöflich antwortete. Eine sichtbare Spannung lag auf allen, die dem kommenden Ereignis näherstanden. In ganz auffallender Weise war dies bei Hans der Fall, der sich im Hintergrund hielt, aber bleich und verstört die Augen nicht von Fräulein von Baldinger abwandte.

Jetzt schlug es auf der nahen Dreifaltigkeitskirche fünf Uhr. Mit dem letzten Glockenschlag erhob sich in der Richtung des Gouvernementsgebäude ein brausendes Geschrei, das sich zu nähere schien. Das hundertstimmige »Vivat, es lebe der König! Hurra – hoch!« war jetzt deutlich zu verstehen. Die Damen und Herren im Königszelt begannen sich zu ordnen.

Und jetzt kamen zwei Heiducken mit langen Stäben um die Hospitalecke und wenige Schritte hinter ihnen der König in der Uniform seiner Grenadiere; zu Fuß, raschen Schrittes dem Zelt zuschreitend, hinter ihm ein glänzendes Gefolge: der Kronprinz Wilhelm, die Brüder des Königs, Herzog Wilhelm und Herzog Heinrich von Württemberg, der Gouverneur der Stadt ein halbes Dutzend Generale und Adjutanten, und sehr bescheiden in dieser goldstrotzenden Gesellschaft, Herr von Schad, der Bürgermeister.

Der König war in den Jahren, in denen ihn die Fettleibigkeit noch nicht übermannt hatte, eine imposante, wirklich königliche Erscheinung, ein kluger, heller Kopf, blitzende Augen in einem einnehmenden Gesicht, wenn er wie heute guter Laune zu sein geruhte. Doch sah man in seinem Mienenspiel und jeder Bewegung, daß dieser Mann gewohnt war, zu befehlen, und darauf rechnete, daß man ohne Zucken gehorchte. Das drückte sich auch in seiner Umgebung aus. Selbst sein Sohn Wilhelm schien die Last der väterlichen Autorität zu fühlen und gefiel sich darin, der letzte im Gefolge zu sein und mit einem untergeordneten Offizier gelegentlich ein Wort zu wechseln.

Die hohe Gesellschaft trat unter das Zelt, wo sich alle Anwesenden tief verbeugten. Schwarzmann, der dem König schon gestern vorgestellt worden war, schien noch immer nicht in seiner ganzen Bedeutung erkannt zu werden. Für diesen und jenen hatte die Majestät einige huldvolle Worte, zu ihm sagte er trocken:

»Es freut mich, zu sehen, daß die Sympathien für meinen liebwerten Nachbarn in Bayern einer etwas ruhigeren Überlegung Platz gemacht haben.«

War das der Dank für all die Arbeit in den letzten Wochen? Aber die Majestät war schon an ihm vorüber und wandte sich lächelnd an Lucinde, die neben ihrem Vater stand und von diesem vorgestellt wurde.

»Das ist nett, daß die Ulmer mir auch ihre Maiglöckchen zeigen«, sagte der König. »Ich hatte kaum gehofft, hier oben, hinter der Rauhen Alb, dergleichen schon zu finden.«

Lucinde wurde purpurrot vor Vergnügen. Der König von Württemberg verstand noch besser als ein Erzherzog von Österreich, was hübsch war.

»Und Sie wollen auch fliegen lernen, Mademoiselle?« setzte er lachend hinzu.

»Nein, Königliche Majestät! Ich wollte mich nur mit Eurer Majestät freuen, daß ein Ulmer fliegt«, sagte sie ziemlich keck, fühlte aber im nächsten Augenblick, als die blitzenden Augen des gewaltigen Königs auf ihr ruhten, daß sie unangenehm klein war. Es wirbelte ihr im Kopf, so daß sie sich später nicht mehr erinnern konnte, was der König geantwortet und was sie hierauf gesagt habe. Jedenfalls dauerte es nicht lange; ein Trompetenstoß machte dem Gespräch ein Ende, und dort kam schon Berblinger, fast wie der König, mit einem kleinen Gefolge von fünf, sechs Herren. Es war Knöppel, Glöcklen, der junge Baldinger und einige Herren vom Ratskollegium; alle in festliches Schwarz gekleidet. Er selbst hatte einen phantastischen, selbsterfundenen Anzug angelegt, der nicht unpraktisch sein mochte; ärgerlich war nur, daß er in demselben mehr einem Seiltänzer als einem ehrbaren Bürger von Ulm glich. Doch schritt er ohne Zagen auf das Zelt zu und verneigte sich vor dem König.

»Wie heißt Er?« fragte dieser, ohne zu lächeln.

»Albrecht Berblinger, Majestät.«

»Und Er will Vögel aus Menschen machen?« war die nächste Frage.

»Ich möchte zeigen, daß die Menschen nicht ungeschickter sind als Vögel, Majestät«, versetzte Berblinger entschlossen.

Er fühlte die auf ihn gerichteten Augen Lucindes lebhafter als die des Königs, und sie hatten auch heute den Einfluß, den er in diesem Augenblick erst in die Worte zu fassen wußte, die ihm durch den Kopf schossen: »Alles oder nichts!«

»Wenn Er das fertig brächte«, sagte der König jetzt lachend, »wollt' ich Ihn zum Geheimen Hofrat ernennen. Aber sehen muß ich vorher, was Er selbst kann. Ist Er Württemberger?«

»Mein Vater war's.«

»So, so! Da hat Er wohl etwas schwäbischen Witz geerbt. Fliegt viel im Nebel herum. Soldat gewesen?«

»Nein, Majestät!«

»Das wäre vielleicht gescheiter als fliegen. Na, was nicht ist, kann noch werden. Jetzt zeig Er den Ulmern einmal, wie's die Spatzen machen.«

Der König gab mit einer Handbewegung zu verstehen, daß die Unterredung zu Ende sei.

»Mut!« sagte Lucinde leise, als er an ihr vorüberging und fast ihr Kleid streifte.

»Alles für dich!« entgegnete er leiser, aber doch so, daß sie es hören konnte. Sie errötete. Es war doch eine Überraschung, daß er du gesagt hatte. Er selbst fühlte es kaum, denn die Gefahr, der er entgegenging, die Entscheidung, welche die nächsten Minuten bringen mußten, die ganze, völlig ungewohnte Lage, in der er sich befand, hatten ihn aus sich selbst herausgehoben; er wußte für diesen Augenblick nicht mehr, was er tat und was er sagte. Erst als er an den Fuß der Leiter kam, die auf das Gerüst führte, hatte er sich wieder soweit gefaßt, um zu begreifen, daß er jetzt nur noch an eines denken durfte: sein Wort mit Ehren einzulösen. Er wurde ruhiger, während er die Leiter emporstieg. Als er die kleine Plattform betrat, wo ihm der Hilfsturmwächter und der Stadtsoldat die Hand reichten, brach die Menge entlang den Ufern in lautes Freudengeschrei aus.

Wäre er nicht an den Ausblick vom Münsterturm gewöhnt gewesen, so hätte ihn die Höhe schwindlig machen können, auf der er stand. Die Plattform war ohne jedes Geländer, nur die beiden mächtigen Flügel, die rechts und links an einem Pfosten aufgehängt waren, bildeten eine Art scheinbarer Schutzwehr. Senkrecht unter ihm, in der Tiefe von zwölf Klaftern, rauschte, den Fuß der Bastei bespülend, die Donau, rechts und links sah er über die Gipfel von Bäumen weg, die noch nicht lange gepflanzt worden waren, vor ihm, am jenseitigen Flußufer und über die dichtgedrängte Volksmenge hinweg, lag die offene, freie Ebene des neuen Bayerlandes, das er erreichen mußte, wenn nicht alles verloren sein sollte.

Vorwärts also!

Die beiden Hilfsarbeiter warteten auf die Weisung, ihm beim Anlegen der Flügel behilflich zu sein. Er schien ihnen unnötig lang zu zaudern; hinter seinem Rücken winkten sie sich mit einem halb mitleidigen, halb spöttischen Lächeln zu. Jetzt warf er einen prüfenden Blick auf den rechts hängenden Flügel, und plötzlich trat alles Blut aus seinem Gesicht. Er wankte, trat zurück und wäre sicher vom Gerüst gestürzt, wenn ihn nicht einer der Männer gehalten hätte.

»Was ist's?« fragte der Soldat selbst erschrocken, »was haben Sie?«

Berblinger deutete sprachlos auf das Riemenzeug des Flügels. Der Mann verstand nicht was er wollte.

»Zerschnitten!« stöhnte er jetzt fast tonlos. »Herrgottsackerment!« schrie der Mann, der jetzt ebenfalls sah, was geschehen war.

»Wer hat mir das getan? Wer hat mir das getan?« wimmerte Berblinger.

»Ein Sauhund! der größte Spitzbube von Ulm! Donnerwetter! Donnerwetter!« schrie der Stadtsoldat in ehrlicher Entrüstung. »Wenn wir den erwischen – Gott gnad' seinen Knochen!«

Berblinger war nicht ohne Geistesgegenwart. Der erste Schrecken war vorüber. Jetzt galt es, dem entsetzlichen Geschick die Stirne zu bieten. Zu machen war für den Augenblick nichts; die Versuche mußten aufgegeben werden.

Er kletterte die Leiter hinunter. Noch war die Volksmenge, die nicht begriff, was vorging, ruhig. Als er aber festen Boden berührte, brach ein häßliches, wildes Gejohl und Gelächter los.

Sie vermuteten ganz richtig, daß Berblinger nicht fliegen konnte oder wollte. Auch im Königszelt war alles in Bewegung. Der König hatte eine tiefe senkrechte Falte auf der Stirne; seine Augen funkelten. Lucinde war todesblaß und blickte wie geistesabwesend über den Fluß weg, als ob sie auf das Geschrei der Leute horchte. Schwarzmann kam Berblinger entgegen, zitternd vor Wut und Schrecken.

»Was ist's?« zischte er ihm entgegen. »Was willst du hier unten?« Der Rat war blaurot im Gesicht, sichtlich einem Schlaganfall nahe.

»Ich kann nichts machen«, sagte Berblinger leis. »Die Tragriemen sind zerschnitten.«

»Wer?« schrie Schwarzmann.

»Gott weiß! Der größte Schuft unter der Sonne – der Teufel!« brach jetzt auch Berblinger los.

»Komm!« knirschte der Rat, packte ihn am Arm und führte ihn wie einen gefangenen Verbrecher geradeswegs vor den König. Hatte diesen die klägliche Gestalt des ehemaligen Schneiders gerührt oder wollte er den Ulmern nicht zeigen, wie ein König in seinem Zorn wüten kann: Er lachte laut, und das ganze Gefolge lachte, wie es seine Pflicht war, etwas leiser mit.

»Na, warum fliegt Er nicht?« rief er, »nicht genug Luft dort oben, he?«

»Majestät«, antwortete Berblinger, über den jetzt die Ruhe der Verzweiflung gekommen war; »ein Bösewicht hat die Flügel zerschnitten. Mit zerschnittenen Flügeln bin ich wie ein angeschossener Adler.«

Der König brach wieder in ein schallendes Gelächter aus.

»Er sieht aus wie ein Adler, wahrhaftig! Er sieht nicht einmal aus, als ob Er seinen Hokuspokus mit mir hätte treiben wollen. Ich will's ihm glauben. Aber laß Er sich's nicht wieder einfallen, mir ein X für ein U vorzumachen, sonst setzt's was! Wann kann Er fliegen?«

»Morgen, Majestät!« sagte Berblinger entschlossen.

»Gut! Das soll sich mein Bruder, der Herzog Heinrich, ansehen und mir berichten. Schlaf Er jetzt aus und laß Er sich die Flügel hübsch wachsen; sonst – Bombenbataillon – sonst setzt's was!«

Der König drehte sich um, verließ raschen Schritts das Zelt und trat den Rückweg nach dem Gouvernementsgebäude an, da und dort von einem vereinzelten Vivat der verwirrten Menge begrüßt, hinter ihm her das gesamte Gefolge, im Trab aber in derselben Ordnung, in der es gekommen war. Niemand hatte Schwarzmanns tiefe Bücklinge beachtet.

Dieser richtete sich auf und sah Berblinger an, der mit gesenktem Kopf vor Lucinde stand, die ihn ihrerseits mit funkelnden Augen und zitternden Lippen betrachtete. Man sah ihr an, sie wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen.

»Was«, schrie der Rat endlich, »was in drei Teufels Namen ist passiert?«

Berblinger erklärte in wenigen Worten, denen man den wachsenden Zorn anhörte, daß er den Hauptteil der Befestigungsbänder zerschnitten gefunden habe.

»Das soll untersucht werden!« rief Schwarzmann, trostlos umherblickend, »der Kerl muß hängen, der das getan hat. Aber was jetzt?«

»Ganz einfach!« sagte der junge Baldinger, der einzige, der während des Vorgangs die Ruhe nicht verloren hatte. »Wenn der Schaden bis morgen repariert werden kann, so fliegt Berblinger morgen. Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden, und Erfindungen, die die Welt bewegen, hängen nicht an vierundzwanzig Stunden. Wollen Sie morgen fliegen?«

»So wahr mir Gott helfe!« sagte Berblinger, die Augen fest auf Lucinde gerichtet. Was ging ihn der König an? Hier stand seine Königin.

Sie lächelte wieder, ihr liebliches Lächeln, und gab ihm die Hand.


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