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Die letzte Scheibe – – da sollte der ganze, fröhlich wedelnde Schweif heruntergesäbelt werden. Mir und allen anderen im Lande!

Frieden war ausgebrochen und man musste mich gnädigst aus dem Lager herauslassen. Nur, man dachte nicht daran, mir die gütige Erlaubnis zu geben, heimfahren zu dürfen. Noch war die hysterische Furcht vor den »schrecklichen deutschen Spionen« viel zu gross. Was die Behörden glaubten, dass ich wirklich noch hätte anstellen können, ist mir stets ein Rätsel geblieben – und den Behörden vermutlich auch. Aber das hinderte nicht, dass ich mich alle drei Tage auf der Polizei melden musste, dass ein paar Detektive stets um mein Hotel herumlungerten und mir wie Hündchen folgten, wenn ich ausging, und dass Haussuchungen bei mir an der Tagesordnung waren.

In dieser Zeit wurde die allgemeine Prohibition in den Vereinigten Staaten eingeführt. Soviel Betrunkene, Männlein und Weiblein, wie in der letzten Woche vor dieser Einführung, hat sicher die Welt seit Loth's Zeiten nicht gesehen; besonders in der letzten Nacht schien ganz New York einen Riesenrausch zu haben.

Aber dann, glaubte man, war es aus. Alle Brauereien geschlossen, überall im Lande. Die Whiskybrennereien Kentuckys vernichtet, Kaliforniens Weinberge brachgelegt. Trockengelegt eine ganze Bevölkerung von über hundert Millionen – und ich auch, solange ich in diesem Lande war.

Nun – es kam ein wenig anders.

Zunächst war ja, in manchen reichen Häusern noch Wein im Keller – das Gesetz erlaubte, den ruhig auszutrinken. Dann aber setzte ein merkwürdiger Eifer ein – jeder Mensch versuchte, den Trank, den er auf regelrechte Weise nicht mehr bekommen konnte, sich auf andere Weise zu verschaffen. Der Krieg war vorbei; die künstlich grossgezogene Manie gegen alles Deutsche musste allgemach schwinden. Aber das Volk war die wilde Erregung einmal gewohnt, so musste an die Stelle der Deutschenverfolgung etwas anderes treten. Das war zunächst eine ebenso wilde Hetze gegen alles, was rot war, alles, was »bolschewistisch verseucht« war – und dem stockkonservativen Amerikaner gilt schon der sanfteste Liberalismus als ultraradikal. Dieser Kreuzzug bevölkerte von neuem die Zuchthäuser und Gefängnisse – die Zellen, die bisher »deutsche Spione« beherbergten, nahmen nun sogenannte Bolschewisten auf. Aber auch das flaute ab und nun wandte man sich einem neuen Sport zu – dem Kampf gegen das Alkoholverbot.

Viele Tausende von Beamten stellte die Regierung an, um ihrem Gesetze Geltung zu verschaffen, Millionen von in Vereinen organisierten Alkoholgegnern leisteten durch Anzeigen diesen Beamten freiwillige Hilfe. Wie scharf diese Elemente versuchen, das Gesetz durchzukämpfen, mag aus der Tatsache hervorgehen, dass allein in der Stadt Philadelphia nicht weniger als zweihundertundsiebenundzwanzigtausend Menschen innerhalb zweier Jahre wegen Uebertretung dieses Gesetzes ins Gefängnis wanderten. (New Republic, 20. Januar 1926.)

Wenn man bedenkt, dass gewiss nicht jeder, der einen Schluck trinkt, gleich dabei erwischt wird, so mag man sich einen Begriff davon machen, welcher Prozentsatz der Bewohner dieser Stadt für und welcher gegen das Gesetz ist.

Woche um Woche, ja Tag um Tag nahm dieser Kampf groteskere Formen an. Es ist gar nicht aufzuzählen, auf welche Weise sich das einzelne Individuum gegen die ungeheuerliche Freiheitsberaubung der Prohibition zu wehren sucht; wollte man es versuchen, man müsste dicke Bände vollschreiben. Erstaunlich ist dabei, dass diese Unterdrückung eine ganze Reihe von Menschen zu schweren Alkoholikern machte, die früher ausserordentlich mässig waren, ja die, aus Temperenzfamilien stammend, in ihrem ganzen Leben nie einen Tropfen auch nur des leichtesten Weines oder Bieres über die Lippen brachten. Für solche Menschen mag das alte Sprichwort, dass verbotene Frucht am besten schmecke, wirklich zutreffen.

Ich für meinen Teil kann das freilich nicht behaupten. Zwar bekommt man in den »trockenen« Vereinigten Staaten zu jeder Tages- und Nachtstunde immer wieder und überall das schwerste Getränk vorgesetzt, aber geschmeckt hat mir ein Trunk nur in sehr seltenen Fällen. Die Quantität des Alkoholprozentsatzes ist sehr gestiegen – aber die Qualität des Getränkes hat dafür einen schlimmen Tiefstand erreicht. An Bier ist das beste das eingeschmuggelte kanadische Gebräu, das jedoch keinen Vergleich aushält mit dem früheren amerikanischen Stoff, geschweige denn mit dem deutschen; das »Hausbier«, das manche sich selber brauen, ist fast stets ungeniessbar. Wein aller Art wird eingeschmuggelt, sehr häufig als »heiliger Wein«, der angeblich zu sakramentalen Zwecken benutzt wird – leider ersetzt die Heiligkeit nicht die Güte. Beides aber, Bier und Wein, ist im Konsum nur äusserst gering gegen den Schnaps, der unter dem alten Namen »Whisky« fast zum Alleinherrscher geworden ist. Ich habe Schnaps aus allen nur denkbaren Behältnissen trinken müssen, aus Füllfederhaltern und Automobilreifen, aus Glühbirnen und Telefonhörern: jedes Ding, das irgendwo hohl ist, scheint geeignet zu sein, Schnaps zu verbergen, besonders wenn seine Verwendung zu diesem Zwecke den Menschen, die dafür bezahlt werden, ihren Mitmenschen jede Lebensfreude zu unterbinden, noch nicht bekannt ist.

Es ist zum grossen Sport geworden, dem Gesetz bei jeder Gelegenheit ein Schnippchen zu schlagen, häufig führt das zu den komischsten, oft genug auch zu sehr gefährlichen Situationen. Ich kannte einen Richter aus Missouri, der früher kaum ein Glas Bier trank, seinen Wein – wenn er alle halbe Jahre mal ein Glas trank – stets mit Wasser mischte, der aber mit Einführung der Prohibition zum schweren Säufer geworden war. Jedesmal, wenn er voll geladen hatte – und das war fast jede Nacht der Fall – sprang er in seinen Kraftwagen und fuhr wie ein Rasender Roland stundenlang über Land; das, meinte er, sei erstens ein grosses Vergnügen und zweitens höchst geeignet, einen Rausch loszuwerden. Ich hatte ihn seit Jahren nicht gesehn, wusste nichts von seiner neuen Leidenschaft, sonst hätte ich gewiss nicht seine Einladung zu einer nächtlichen Fahrt angenommen. In dieser Nacht freilich passierte uns nichts, obwohl er wie ein Wahnsinniger drauflosfuhr; aber ein halbes Jahr später brach er das Genick, nachdem er, neben unzähligen kleinen Unfällen für sich und andere, drei Wagen völlig zuschandengefahren hatte. Und dieser Mann war nur einer von sehr vielen!

Lustig war ein Erlebnis, das ich im Mittelwesten hatte. Eine grosse, aufstrebende Stadt gab zur Eröffnung einer Ausstellung ein Bankett für die Presse, zu dem ich auch geladen war. Im Empfangszimmer wurden unmittelbar vor dem Essen Cocktails rumgereicht – in erstaunlich grossen Gläsern. Jeder roch an seinem Glase, jeder schmunzelte verständnisinnig. Da schob sich eine lange, bebrillte Dame vor, Mitglied der antialkoholischen Anti-Saloon-Liga, der nicht zum wenigsten die Einführung der glorreichen Prohibition zu danken ist.

»Ich hoffe, Euer Ehren«, sagte sie zu dem gastgebenden Bürgermeister, »dass dies Getränk nicht gegen das Gesetz verstösst.«

Keine Miene zuckte in dem Gesicht des Stadtoberhauptes, als er feierlich antwortete: »Ich bin zum Bürgermeister dieser Stadt erwählt worden, um dem Gesetze des Landes Geltung zu verschaffen. Wo ich herrsche, da herrscht das Gesetz allein und sonst nichts!«

Damit leerte er sein Glas und mit ihm alle Anwesenden – die Temperenzdame auch. Ich muss sagen, dass ich in meinem Leben noch nicht einen Cocktail getrunken habe, der es so in sich hatte, wie dieser – die nötige Stimmung zum Bankett brachte man gleich mit!


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