Euripides
Helena
Euripides

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(Ein Bote tritt auf)

Bote:
Dich sucht ich lange und find ich endlich, Menelas,
Im ganzen welschen Lande hier umhergeirrt,
Von deinen hinterlaßnen Freunden ausgesandt.

Menelaos:
Was gibt es? Plündern etwa gar die Welschen euch?

Bote:
Ein Wunder! Worte erreichen seine Größe nicht!

Menelaos:
So sprich! Es kündet deine Hast Seltsames an.

Bote:
Wohl! Deine tausend Mühen trugst du ganz umsonst.

Menelaos:
Ein altes Lied um altes Leid! Was bringst du sonst?

Bote:
Entrückt, empor zum Äthersraum gehoben ward
Dein Weib, verschwebend und verschwindend in der Luft,
Verließ die heilige Grotte dort und unsre Hut
Und redete also: "Jammervolles Phrygervolk
Und arme Griechen, meinetwegen sanket ihr
Durch Heras Künste an Skamanders Ufern hin,
Im Wahn, Helenen habe Paris, der sie nicht
Besaß! Ich aber gehe, weil die Zeit erfüllt
Ist und mein Schicksal ausgedauert, nun zurück
Zum Himmel, meinem Vater, und umsonst ertrug
Das ganz unschuldige Tyndarskind den üblen Ruf!"
(Er erblickt Helena)
O Heil dir, Ledas Tochter! Also bist du hier,
Indem ich melde, wie du auf zu Sternenhöhn
Dich schwangest, und nicht ahnte, daß dein leichter Leib
Geflügelt schwebt? Nun sollst du nicht zum zweitenmal
Uns höhnen, daß du deinem Mann in Ilion
Und seinen Streitern ganz umsonst die Mühen schufst!

Menelaos:
Das also war es! Was sie sprach, ist wahr und stimmt
Zu dieser Botschaft! O ersehnter schöner Tag,
Der dich, Geliebte, meinen Armen wiederschenkt!

Helena:
O liebster Mann, mein Menelas! Die Not ist jetzt
Vergangen: gegenwärtig mein Entzücken nur!
    Meinen ersehnten Gatten, o ihr Lieben, hab
    Ich und umschling ich froh
    Nach viel Sonnenaufgängen mit liebem Arm!

Menelaos:
Ich habe dich! Und möchte vieles fragen, viel
Dir sagen, weiß nicht, wo ich nur beginnen soll!

Helena:
    Vor Freude beb ich, Wonnenschauer sträuben
    Mein Haar ums Haupt, und Freudenzähren rinnen.
    Um den geliebten Mann schling ich die Arme, hoch
    Entzückt! Mein Gemahl!

Menelaos:
    O lieber, süßer Blick! Ich bin's zufrieden:
    Zeus' Kind und Ledas liegt in meinen Armen,
    Welcher im Kerzenschein jubelten einst die Brü-
    Der, die reisigen Jünglinge!
Und die entrückt durch Götter war aus meinem Haus!

Helena:
    Das Rad dreht sich jetzo! Ein glücklicheres Los bringt der Himmel!
    Und es hat uns ja wieder zusammen das freudige Leid geführt
    So spät! Dennoch laß mich froh sein des Glücks!

Menelaos:
Genieß es dauernd! Also fleh ich dir vereint!
So eng verbunden, teil ich Wohl und Weh mit dir!

Helena:
    O liebste Fraun!
    Über das frühre Leid härm ich mich jetzt nicht mehr!
    Meinen Gemahl besitz ich, den viele Jahr
    Erwarteten vom Krieg!

Menelaos:
Dein bin ich, du bist mein. Nach tausend Sonnen, die
In Not verbracht sind, ahnt ich erst der Göttin Trug!
    An meinen Tränen hat mehr das Entzücken als
    Herbe Erinnrung teil.

Helena:
Noch staun ich! Wer auf Erden hätte das gedacht,
    Daß ich wider Erwarten dich drück ans Herz!

Menelaos:
Ich habe dich und meinte, fort zur Idastadt
    Seist du geflohn zur unglücklichen Trojerburg!
Beim Himmel, sprich, wie wardst du meinem Haus entführt?

Helena:
    Ach, du betrittst einen betrübten Pfad!
    Ach, du begehrst einen Bericht voll Schmerz!

Menelaos:
Sprich, laß mich alles hören, was der Himmel gab!

Helena:
    Abscheulich und häßlich ist, was ich erwähnen soll.

Menelaos:
Sprich immerhin! Von Abenteuern hört man gern.

Helena:
    Nicht in den Arm des welschen Jünglings im Flug
    Des Seeschiffs, im Fluge der Begier nach buhlerischer Liebeslust –

Menelaos:
Und welches Schicksal raubte dich dem Vaterland?

Helena:
    Des Zeus und der Maia Sohn, Liebster, brachte mich ins Niltal her.

Menelaos:
Erstaunlich! Und wer sandt ihn? Oh, seltsames Wort!

Helena:
    Ach, ich bewein es, heiß rinnen die Tränen mir
    Vom Aug: Zeusens Gattin war mein Verderb!

Menelaos:
Hera? Was trieb sie, Ungemach uns anzutun?

Helena:
    Wehe, du schlimmes Bad und ihr, Gewässer, wo
    Sich die Gestalt der Göttinnen verschönte, daß
    Das Urteil entschied!

Menelaos:
Wiefern hat Hera auf den Spruch dies zugefügt?

Helena:
    Mich dem Paris zu rauben –

Menelaos:                                 Wie? O sprich!

Helena:
    Dem mich Kypris gelobte –

Menelaos:                                 Jammervoll!

Helena:
    Jammer, o Jammer! trug sie mich Ägypten zu!

Menelaos:
Und gab dafür dein Ebenbild, so sagtest du!

Helena:
    Ach, und in deinem Haus das Leid!
    Meine Mutter, weh mir!

Menelaos:                           Was ist's!

Helena:
    Dahin meine Mutter! Sie erhing aus Scham
    Sich um die Ehebrecherin im Todesstrick!

Menelaos:
Weh mir! Und lebt die Tochter noch, Hermione?

Helena:
    Ledig und kinderlos, o mein Gemahl, beklagt
    Sie meiner Uneh Schmach!

Menelaos:
Oh, bis zum Grund hast, Paris, du mein Haus zerstört!
    Das vernichtete dich und der tapfern Achaier
    Tausend in ehernem Kleid!

Helena:
    Und von der Heimat riß mich Unselge ein Gott,
    Mich, von der Stadt und dir; ein Fluch ruht' auf mir,
    Als ich vom Hause ging und nicht ging, im Ruf
    Schmählicher Buhlerei!

Chor:
Wofern das Glück auch in der Zukunft günstig noch
Euch lächelt, kann das frühre Leid vergütet sein.

Bote:
Gönnt, Menelas, an eurer Wonne mir auch Teil!
Ich gewahr es selbst wohl, doch begreifen kann ich's nicht.

Menelaos:
Wohl, Alter, komm du zum Gespräche nur herbei!

Bote:
Ist an den Mühn vor Troja denn nicht diese schuld?

Menelaos:
Nicht diese! Ein Trug des Himmels hatt uns blind gemacht,
Ein kläglich Luftgebilde war in unsrer Hand.

Bote:
Was? Um ein Luftbild waren unsre eitlen Mühn?

Menelaos:
Ein Werk der Hera, nach der drei Göttinnen Streit!

Bote:
Ist diese ein wahrhaft Wesen, ist dein Eheweib?

Menelaos:
Sie ist es. Traue gläubig hierin meinem Wort!

Bote:
Wie wunderbar, wie unerforschlich, Tochter, ist
Des Himmels Fügung! Weise dreht und wendet er
Hinüber und herüber alles. Dieser ringt
Mit Not, und der, der früher nichts erlitt, verdirbt.
Im wechselvollen Leben ist kein dauernd Glück.
Du und dein Gatte littet manches Ungemach,
Du durch den Leumund, er im ernsten Kriegessturm,
Und nichts gewann sein eifrig Ringen – jetzt gewinnt
Er's, stellt das schönste Glück sich ein ganz ungesucht.
So hast du denn den greisen Vater nicht entehrt
Noch auch die Brüder! Und erlogen war der Ruf!
Jetzt lebt dein Hochzeitsreigen auf in meinem Geist,
Des Fackelglanzes denk ich, den ich leuchten ließ,
Beim Viergespanne schreitend, als dein Bräutigam
Dich führte heim vom hochbeglückten Elternhaus.
Ja, schlecht ist, wer nicht seine Herrschaft ehret, nicht
Mit ihr sich freut und redlich ihre Schmerzen teilt.
Ich möchte, bin ich immerhin nur Knecht, doch stets
Den Sklaven edler Denkung beigezählet sein
Und, wenn ich unfrei heiße, doch der Seele nach
Frei sein; denn dies ist besser, als wenn einen zwei
Gebrechen drücken: daß er schlecht sei von Gemüt
Und anderen Menschen untertan als Knecht zugleich.

Menelaos:
Wohlan, o Greis! So viele Nöte hast du schon
Mit mir, an meiner Seite ringend, durchgekämpft,
So geh, nachdem du dieses Glückes Zeuge warst,
Jetzt hin und melde meinem Rest von Freunden dies,
So wie du's fandest und so wie die Sache steht.
Und heiß am Strand sie bleiben und gewärtig sein
Des Abenteuers, das, so ahn ich, meiner harrt,
Und, falls ich diese irgendwie fortstehlen kann,
Achthaben, daß wir, eines Glücks Genossen, weg
Vom welschen Volk uns retten, wenn es möglich ist!

Bote:
Es soll geschehen! Aber, Fürst, wie nichtig hat
Weissagung hier sich kundgetan, wie lügenhaft!
So haben denn die Opferflammen nichts getaugt
Und nichts die Vogelstimmen! Albern ist es, nur
Zu glauben, daß die Vögel Menschen nützen je.
Denn Kalchas hat's dem Heere nie verraten, daß
Er um ein Luftbild seine Freunde sterben sah,
Noch auch Helen'; er ließ umsonst die Vaterstadt
Verwüsten! Gott hat's nicht gewollt, so sagt man: gut!
Was aber prophezeien? Opfern muß man und
Um Gutes bitten, doch die Seherei verschmähn.
Das ist zum Geldesköder bloß erfunden, und
Kein Müßiggänger wurde reich durch Flammenschau:
Der beste Seher ist Verstand und kluger Sinn!
(Ab)

Chor:
Dieselbe Ansicht über Seher heg ich wie
Der Alte: wer die Götter nur zu Freunden hat,
Besitzt die besten Sehersprüche für sein Haus.

Helena:
Wohlan, bis hierher gingen unsre Sachen gut.
Die bestandnen Nöte auf der Rückfahrt, Armer, kann
Zu wissen zwar nicht frommen; dennoch trägt der Freund
Verlangen, mitzufühlen, was der Freund erlitt.

Menelaos:
Mit einem Wort, in einem Zuge fragst du viel!
Wer schildert auf Ägäschem Meer den Untergang,
Des Nauplios trüglich Leuchten am Euböerstrand,
Und Kretas, Libyens Städte, wo ich umgeirrt,
Und Perseus' Warten? Fertig würd ich nimmer mit
Erzählen, und erneuten Schmerz empfänd ich wie
Beim Dulden: meinen Schmerz verdoppeln hieße das!

Helena:
Wohl ist die Antwort besser, als die Frage war:
Doch sag mir eins für alles nur: wie lange Zeit
Verlorst du dich in irrer Fahrt auf hoher See?

Menelaos:
Ich brachte nach den zehen Sonnenkreisen dort
Vor Troja sieben volle Jahrumläufe zu.

Helena:
Ach wehe! Welche lange Frist, du armer Mann!
Und, dort gerettet, fällst du hier in Mörderhand!

Menelaos:
Was sagst du? Wie? Du hast mich ganz vernichtet, Frau!

Helena:
Der Besitzer dieses Hauses hier ermordet dich!

Menelaos:
Was tat ich, das mich solchen Unglücks würdig macht?

Helena:
Dein Kommen stört ihm meine Heirat unverhofft.

Menelaos:
Verlangt man wirklich, mein Gemahl zu ehlichen?

Helena:
Und – möcht ich's nie erdulden! – roh zu nötigen!

Menelaos:
Ein mächtiger Bürger? Oder gar der Landesherr?

Helena:
Der Sohn des Proteus, dieses Landes König hier.

Menelaos:
Das also war das Rätsel, das die Sklavin sprach!

Helena:
An welchen welschen Pforten hast du angeklopft?

Menelaos:
Hier, wo ich wie ein Bettler abgewiesen ward.

Helena:
Du batst gewiß um Unterhalt? O jammervoll!

Menelaos:
Die Sache war so; doch des Scheins enthielt ich mich.

Helena:
So weißt du, wie's mit meinem Freier steht, gewiß?

Menelaos:
Wohl, aber ob du seine Liebe miedest, nicht.

Helena:
Ich habe dir die Treue wahrlich rein bewahrt.

Menelaos:
Süß klingt es, wenn's wahrhaftig ist! Was bürgt dafür?

Helena:
Du siehst am Grab hier meinen unglückseligen Sitz?

Menelaos:
Strohpolster seh ich, Arme – was bedarfst du der?

Helena:
Hier sucht ich Schutz vor seinem Bett, am heilgen Ort.

Menelaos:
Gab's keine Tempel? Oder ist es welscher Brauch?

Helena:
Nicht schlechtren Schutz als Göttertempel bot die Gruft.

Menelaos:
Dich nach der Heimat bringen dürft ich also nicht?!

Helena:
Dein harrt ein Schwertstreich eher wohl als meine Hand.

Menelaos:
Ein größres Elend hätte nie die Welt gesehn!

Helena:
Drum ohne Scheu entfliehe rasch aus diesem Land!

Menelaos:
Dich lassend? und zerstörte Troja deinethalb?

Helena:
Doch besser, als wenn mein Besitz dich mordete!

Menelaos:
Ein feiger und des Trojerkriegs unwürdger Rat!

Helena:
Du denkst den Herrn zu töten wohl? Das kannst du nicht!

Menelaos:
Ist denn sein Körper unverwundbar für den Stahl?

Helena:
Erprob es! Was unmöglich, wagt kein weiser Mann.

Menelaos:
Ich laß mir wohl die Hände binden, still und stumm?

Helena:
Kein Rat und Ausweg! Hier bedarf es einer List!

Menelaos:
Ein tapfrer Tod ist süßer als ein leidender.

Helena:
Auf einem Weg nur gibt es Hoffnung unsres Heils –

Menelaos:
Bestechung, Kühnheit oder Überredungskunst?

Helena:
Wenn deine Ankunft unbekannt dem Herrscher bleibt.

Menelaos:
Wer sagt's ihm? Und erkennen wird er doch mich nicht?

Helena:
Es wohnt ein göttergleicher Beistand drin im Haus!

Menelaos:
Wohl eine Stimme im Hause, die vom Innern schallt?

Helena:
Nein, sondern eine Schwester namens Theonoe.

Menelaos:
Ein Orakel nach dem Namen! Sprich, was droht sie mir?

Helena:
Allwissend ist sie, zeigt dich ihrem Bruder an.

Menelaos:
Da sterb ich! denn unmöglich bleib ich unentdeckt.

Helena:
Ob etwa unser Flehen doch sie rühren kann –

Menelaos:
Zu welcher Handlung? Welche Hoffnung zeigst du mir?

Helena:
Dem Bruder deine Gegenwart nicht kundzutun.

Menelaos:
Und wenn's gelänge, wär Entrinnen möglich dann?

Helena:
Vereint mit ihr leicht, aber ohn ihr Wissen nicht.

Menelaos:
Das wäre dein Werk: Frauen sind den Frauen hold.

Helena:
Oh, ihre Knie umschling ich gerne mit der Hand!

Menelaos:
Wie aber, wenn sich unsrem Wort ihr Ohr verschließt?

Helena:
Dann ist der Tod dir, mir die Zwangsheirat gewiß.

Menelaos:
Du brächst die Treu und wärst entschuldigt durch den Zwang!

Helena:
Geschworen sei's mit heilgem Eid bei deinem Haupt –

Menelaos:
Wie? Willst du sterben, keines andern Gattin sein?

Helena:
Durch selbiges Schwert! An deiner Seite sink ich hin!

Menelaos:
So reiche zur Versicherung deine Rechte mir!

Helena:
Hier! Scheiden will ich aus der Welt, wenn du mir stirbst!

Menelaos:
Und ich mein Dasein enden, werd ich dein beraubt.

Helena:
Nun gilt es, so zu sterben, daß man Ruhm erwirbt.

Menelaos:
Hier auf dem Grabmal töt ich dich, dann töt ich mich!
Jedoch zuvor wohl kämpf ich einen tüchtgen Kampf
Um deine Hand: er komme, wer ihn wagen will!
Den Ruhm bei Troja mach ich nicht zuschanden hier,
Noch komm ich je nach Griechenland mit Schmach bedeckt.
Ich, der der Thetis ihren Heldensohn geraubt,
Des Telamonschen Aias Blut sah fließen und
Den greisen Neleussohn verwaist – ich sollte nicht
Um meine Gattin wagen, in den Tod zu gehn?
O nein! Denn wenn die Götter weise sind, so wird
Ein mutiger Held, von Feindeshand erschlagen, sanft
Im Grab von ihnen zugedeckt mit leichtem Sand,
Doch auf dem Feigling lastet hart der Erde Druck.

Chor:
O Götter, laßt doch endlich wieder glücklich sein
Das Haus des Tantal, und erlöst es aus der Not!

Helena:
O Not und Jammer! Ja, das ist mein Stand und Los!
Es ist um uns geschehen, Menelas: sie tritt
Heraus, die Seherin Theonoe! Die Türe tut
Sich auf, die Riegel klirren – flieh! Allein, was hilft's?
Abwesend und anwesend, gleicherweise weiß
Sie deine Ankunft! Wehe! Dies vernichtet mich!
Aus Troja kaum gerettet und vom welschen Land,
Gerätst du wieder unter welsche Schwerter hier!

(Theonoe tritt aus dem Haus, begleitet von zwei Mägden)

Theonoe:
Du schreite mir mit hellem Fackelglanz voran,
Laß Schwefel wallen nach dem heilgen Äther, daß
Ich reinen Atem aus den Lüften schöpfen mag!
Und du berühre mit der Sühnungsflamme mir
Den Pfad, im Fall ein Sünderfuß ihn wo betrat,
Und schwing die Kerze, wo ich wandeln soll, voran.
Und ist mein Brauch den Göttern so vollbracht, so geht
Und tragt das Herdesfeuer hin ins Haus zurück.
(Zu Helena)
Wie steht's um mein Weissagen? Nun, Helena, sprich!
Ist nicht dein Gatte Menelas leibhaftig hier,
Verlor die Schiffe und deine Doppelgängerin?
(Zu Menelaos)
Du Armer, argen Nöten kaum entronnen, weißt
Du nicht, ob Heimkehr möglich, ob du bleiben mußt!
Denn Hader wird im Himmel deinetwegen sein,
Beratungssitzung heute sein im Saal des Zeus;
Und Hera zwar, die feindlich bisher grollte stets,
Ist dir gewogen, will dich heimwärts retten jetzt
Mit ihr, damit die Welt erfahre, daß die Braut
Des Paris nur ein Truggeschenk der Kypris war.
Doch Kypris möchte diese Fahrt vereiteln, daß
Die Welt es nicht erfahre, welche schnöde Braut
Helenens wegen ihr die Schönheit kaufen half.
Es kommt auf mich an, ob ich, Kypris' Wunsch gemäß
Dem Bruder deine Gegenwart verratend, dich
Vernichten, ob, mit Hera stimmend, retten will,
Verhehlend meinem Bruder, was er mir gebot,
Ihm's, wenn du hierherkommen solltest, kundzutun.
(Zu den Dienern)
Geht einer hin, dem Bruder seine Gegenwart
Zu melden, daß ich meinesteils gesichert sei?

Helena:
Jungfrau, zu deinen Knieen fall ich flehend hin!
Erbarmungswürdig sieh mich vor dir liegen hier,
Für mich und diesen, den ich, langersehnt und kaum
Gefunden, tot erblicken soll im Augenblick.
Verrat es deinem Bruder nicht, daß mein Gemahl
Zurück in meinen trauten Arm gekommen ist.
Oh, rett uns, hör mein Flehen! Opfre nimmermehr
Dem Bruder deine Frömmigkeit um schnöde Gunst,
Erkaufe dir nicht schlechte Gunst um schlechte Tat.
Gott haßt Gewalttat: wohlerworbnes Eigentum
Soll jedermann besitzen, nicht auf Plünderung
Bedacht, um reich zu werden durch unrechtes Gut.
Gemeinsam allen Menschen ist der Himmel und
Die Erde, wo man Haus und Hof sich gründen, nicht
Nach Fremdem greifen, nichts gewaltsam rauben soll.
Mich brachte Hermes deinem Vater teils zum Heil
Und teils zum Elend, daß er meinem Gatten mich
Erhielte, der mich auszulösen hier erscheint.
Wie kann er, wenn er tot ist, mich empfangen? Wie
Proteus dem Toten rückverleihn die Lebende?
Betrachte dann des Vaters und des Gottes Recht.
Wird Hermes, wird der Abgeschiedne fremdes Gut
Wohl wiedergeben wollen, oder wird er's nicht?
Ich meine wohl! Drum muß der edle Vater dir
Mehr gelten als des lasterhaften Bruders Gunst.
Wenn als Prophetin, die das Überirdische glaubt,
Du deines edlen Vaters Tat zunichte machst,
Dafür dem ungerechten Bruder frönst, so ist's
Dir Schmach, zu kennen alles Unsichtbare, was
Da ist und nicht ist, aber Pflicht und Tugend nicht.
Oh, sei mein Hort in meinem Elend, meiner Not!
Gewähr es als Zubuße meines Mißgeschicks!
O sieh, Helena ist aller Welt ein Greuel; denn
Ich steh im Rufe, meinem Gatten ungetreu
Gelebt zu haben in der reichen Phrygerburg.
Gelang ich nun nach Hellas und zur Sparterstadt,
Und hört man, sieht man, daß ein Trug des Himmels sie
Verdarb und ich dem Meinen nicht die Treue brach,
So werd ich wieder eingesetzt in Tugendschmuck
Und kann mein Kind vermählen, das jetzt keiner freit,
Und dann, erlöst vom ruhelosen Leben hier,
Genieß ich froh der Güter, die mein Haus besitzt.
Wär er gestorben und bestattet in der Gruft,
Ich würde fern dem Fernentschwundnen Tränen weihn.
Nun lebt er, ist gerettet, und man raubt ihn mir!
O nicht doch, Jungfrau! Laß mein Flehn dich rühren und
Verleih mir diese Gnade; sei ein würdges Kind
Des tugendhaften Vaters! Denn für Kinder, die
Von braven Eltern stammen, ist's der schönste Ruhm,
Den Eltern nachzuschlagen in Gemüt und Art.

Chor:
Mitleid erweckt die vorgebrachte Rede, Frau,
Du selbst auch Mitleid! Nun begehr ich Menelas
Zu hören, welche Wort er für sein Leben spricht!

Menelaos:
Ich werde weder deine Knie umschlingen noch
Mein Aug in Tränen baden: solch demütiges
Gebaren würde meinen Ruhm entwürdigen.
Zwar glaubt man, daß es keinen Helden schmähen kann,
Wenn ihm die Zähr im Leiden von der Wimper fällt:
Indes ich werde, falls es ziemt, dies Ziemende
Nicht setzen über Heldenmut und Tapferkeit.
Nein, ist dir's lieb, zu retten einen fremden Mann,
Der seine Gattin rechtlich rückempfangen will,
So gib sie, rett ihn obendrein! Beliebt dir's nicht,
So bin ich nicht zum ersten, sondern hundertsten
Mal elend – doch du handelst wie ein schlechtes Weib.
Indes was meiner würdig und gebührend scheint
Und was am ersten dein Gemüt ergreifen kann,
Das will ich sprechen hier an deines Vaters Grab:
Greis, der du hier ruhst unter dieser Marmorgruft,
Ich fordre mein Gemahl zurück. Drum gib sie mir,
Sie, welche Zeus, mir aufzuheben, hergesandt.
Du kannst sie freilich nie mir geben: du bist tot,
Doch diese hier wird ihren Vater, den ich ruf,
Von drunten, jenen sonst so hochgepriesnen Mann,
Nicht schimpfen lassen; denn es liegt in ihrer Hand.
Auch deinen Beistand, Gott der Hölle, ruf ich an.
So viele Leben hast du schon empfangen, durch
Mein Schwert für sie geopfert, bist längst abgelohnt:
Nun gib entweder jene neubelebt zurück,
Wo nicht, so nötige diese, meine Gattin mir
Zu geben, als des frommen Vaters echtes Kind!
Doch wollt ihr meines Weibes mich berauben, nun,
So sag ich ferner, was Helena übrigließ:
Erfahr es, Jungfrau, daß ein Schwur mich bindet hier,
Zuerst zum Kampf zu schreiten mit dem Bruder dein
Auf Tod und Leben – daß du's kurz und bündig weißt!
Doch stellt er nicht zur Gegenwehr Fuß gegen Fuß,
Will uns durch Hunger treiben von dem heilgen Ort,
So steht es fest, ich töte sie und stoße dann
Das doppelschneidige Eisen mir ins eigne Herz
Hier auf des Grabes Rücken, daß die Ströme Bluts
Hinab den Hügel fließen, und wir liegen dann
Zwei Leichen beieinander auf der Gruft von Stein,
Dir ewige Reue, deinem Vater ewige Schmach!
Ja, ihre Hand wird weder je dein Bruder noch
Ein andrer Mann empfangen! Nein, ich nehme sie,
Wenn nicht zur Heimat, mit hinab ins Schattenreich! –
Wie nun? Verfiel ich tränenfeucht ins Weibische,
So wär ich nicht tatkräftig, nur bedauernswert.
Beliebt dir's, töt uns! Und wir sterben ruhmgekrönt!
Doch besser gibst du meinem Wort Gehör, auf daß
Du tugendhaft bleibst, mir die Gattin wiederkehrt!

Chor:
Auf deine Entscheidung, hohe Jungfrau, kommt es an,
Und mag der Ausspruch jedes Beifalls würdig sein!

Theonoe:
Gemüt und Wille ziehen mich zur Frömmigkeit.
Mich selber ehrend, mag ich auch des Vaters Ruhm
Niemals beflecken noch dem Bruder, ungerecht
Und mir zur Schmach und Schande, seinen Willen tun.
Ein unentweihtes Heiligtum der Tugend thront
In meinem Herzen. Dieses Erbteil, Menelas,
Von Nereus will ich treu bewahren immerdar
Und Heren, die dein Wohlergehn beschlossen hat,
Beipflichten. Kypris mag mir immer gnädig sein,
Doch hat sie niemals meinem Herzen beigewohnt,
Und streb ich Jungfrau, keusch zu bleiben immerdar.
Und was du meinem Vater vorhältst hier am Grab,
Das sprech ich gleichfalls: großes Unrecht tät ich, wenn
Ich dir sie vorenthielte. Jener, lebt' er noch,
Er schenkte sie dir, schenkte dich ihr ebenfalls.
Vergeltung gibt es in der andern Welt sowohl
Als auch im Diesseits allgemein; zwar lebt der Geist
Der Gestorbnen nicht, doch sein Bewußtsein bleibt ihm dort,
Im ewigen Äther aufgenommen, ewiglich.
Nun um mich kurz zu fassen: treu verschweigen will
Ich das, um was ihr bittet, meinem Bruder nicht
In seiner Torheit irgend Vorschub leisten. Denn
So werd ich, ohne daß ich's scheine, ihm Gutes tun
Und lenk ihn ab vom Frevel hin zur Frömmigkeit.
Sucht ihr nun selber einen Ausweg auszuspähn!
Ich tret euch aus dem Wege und werde stille sein.
Beginnet bei den Göttern nun und bittet sie,
Daß Kypris gönne Wiederkehr ins Vaterland,
Daß Here im Vorsatz treu verharre, den sie hegt
Hinsichts der Rettung deiner und des Gatten hier.
Doch du, mein abgeschiedner Vater, sollst, soviel
An mir es liegt, nicht bös für fromm gescholten sein!
(Ab in den Palast)

Chor:
Kein Ungerechter erntet jemals wahres Glück:
Die Tugend nur leiht Hoffnung auf Wohlfahrt und Heil.

Helena:
Nun, von der Jungfrau Seiten sind wir nicht bedroht.
Jetzt ist's an dir, das Wort zu nehmen, mein Gemahl,
Um uns zu einen in gemeinem Rettungsplan.

Menelaos:
So höre denn! Du lebtest lang genug im Haus
Und bist vertraut wohl mit des Königs Dienerschaft.

Helena:
Wo zielt das hin? Du deutest mir die Hoffnung an,
Etwas zu unternehmen, was uns beiden frommt!

Menelaos:
Vermagst du einen, dem der Marstall untertan,
Zu überreden, Roß und Wagen herzuleihn?

Helena:
Das könnt ich, aber wie entfliehn wir und wohin,
Der welschen Städt unkundig und der Gegenden?

Menelaos:
Unmöglich denn! Wie wär es, wenn ich, im Palast
Versteckt, den Herrn mit meinem Schwert ermordete?

Helena:
Das würde wohl die Schwester nicht gestatten noch
Verschweigen, wenn du ihren Bruder morden willst.

Menelaos:
Wir haben leider nicht einmal ein Schiff, um uns
Durch Flucht zu retten; denn das unsre hat das Meer.

Helena:
Hör an! Vielleicht spricht auch ein Weib ein kluges Wort!
Sag, willst du wohl tot heißen, ohne tot zu sein?

Menelaos:
Zwar schlechte Vorbedeutung! Doch wenn's Nutzen bringt,
So mag das Wort mich sterben lassen, leb ich doch!

Helena:
Ich würde dich durch Lockenschur nach Frauenart
Und Tränen schwer betrauern vor dem bösen Mann.

Menelaos:
Wiefern enthält dies Arzenei zum Heil für uns?
In deinem Vorschlag steckt ein Kunstgriff ganz gewiß!

Helena:
Ich bitte dann den Herrscher, leere Grabesehr
Dir weihn zu dürfen als im Meer Ertrunkenem.

Menelaos:
Laß ihn's gewähren! Aber wie dann ohne Schiff
Die Rettung finden bei der Scheinbestattung dort?

Helena:
Ich fordr ein Fahrzeug, um den Leichenschmuck hinein
Zur Ruhestatt zu fahren in den Meeresschoß.

Menelaos:
Ganz wohl gesprochen bis auf eins! Er heißt am Land
Die Bestattung machen, und der Vorwand führt zu nichts!

Helena:
So sag ich ihm, in Hellas sei dies nicht der Brauch,
Mit Erde zuzudecken, wer im Meer ertrank.

Menelaos:
Gut vorgesehn! Ich schiffe mit natürlich, um
Den Schmuck hinabzulassen, in demselben Boot!

Helena:
Du mußt dabeisein schlechterdings und, wer mit dir
Schiffbruch gelitten, deine Seegefährten, auch!

Menelaos:
Und bin ich einmal nur im Schiff beim Ankerplatz,
So stehn wir schwertbewaffnet auch Mann gegen Mann!

Helena:
Auf deine Leitung kommt es an: nur günstiger Wind
Schwell unsre Segel und verleih uns rasche Fahrt!

Menelaos:
Ich hoff es; denn die Götter enden meine Not!
Allein die Kunde meines Tods, wo rührt sie her?

Helena:
Von dir! Und sprich, du einzig seist dem Tod entflohn,
Mit Atreus' Sohne segelnd, den du sterben sahst.

Menelaos:
Ganz wohl! Und diese Körperhüllen zeugen selbst
Von Takelwerkesfetzen aus dem Schiffeswrack.

Helena:
Sie sind erwünscht, wie ihr Verlust dir schmerzlich war,
Und jenes Elend schlägt vielleicht zum Segen aus.

Menelaos:
Und soll ich mit ins Haus hineingehn oder hier
Gelassen sitzen auf dem Grabmal, bis er kommt?

Helena:
Bleib immer hier! Denn wenn er freveln will an dir,
So kann das Grab dich schützen und dein tapfres Schwert.
Ich geh ins Haus und schneide Trauerlocken ab
Und lege schwarze Kleider statt der hellen an
Und ritz die Wangen blutig mit den Nägeln. Denn
Nun tut es not: es liegen auf der Waage zwei
Geschicke, Tod entweder, wenn die List entdeckt
Wird, oder Heimkehr und Errettung deines Leibs.
O Göttin Hera, die an Zeusens Seite ruht,
Erquicke zwei Elende in ihrer Leidensqual!
Wir heben flehend unsre Arme empor zu dir
Im Himmel, wo du thronest unterm Sternenzelt.
Und du, Dionens Tochter, die um meine Hand
Den Preis der Schönheit kaufte, Kypris, schone mein!
Genug der Qualen hast du bisher zugefügt,
Den Welschen meinen Namen opfernd, ohne mich.
Und willst du denn mich töten, laß mich wenigstens
In der Heimat sterben, setze meiner Not ein Ziel!
Verliebtheit, Tücke, hinterlistige Täuschungen
Und blutbefleckten Zauber, laß sie endlich ruhn!
Holdseligst wärst du aller Welt vor allen, wenn
Du mäßig walten wolltest. Dies bekenn ich frei!
(Ab)

Erste Strophe

Chor:
    Du Vogel, der im schattigen Laubengezelt
    Wohnsitz und Sangestempel hat, Nachtigall, dich ruf ich,
    Du unerschöpflicher, wohllautströmender Sänger
    Voll klagender Sangesweisen!
    Erschein, aus falber Kehle zu wirbeln ein wimmerndes Lied,
    Mein Weinen und Jammern hier um Helenens Gefahr und Not,
    Um troischer Frauen Not meinen Schmerz zu begleiten ob
    Dem Kriegssturm der Achaier!
    Als Paris kam, mit welschem Ruderschlage rasch
    Die brausende Fläche furchend, o Helena, von
    Lakedaimon die Unglücksbraut,
    Der entsetzliche Freier, nach Ilion im
    Geleit der Kypris bringend.

Erste Gegenstrophe

    Und viele Achaier sanken, von Lanzen durchbohrt,
    Zermalmt von Felsenblöcken, hin, jammervollen Todes,
    Daß manches jammernde Weib sein lockiges Haupt schor,
    Verwitwete Hallen trauern.
    Und viele Achaier tötet' ein Lotse im einzelnen Boot
    Durch leuchtenden Flammenglanz am euböischen Klippenstrand,
    Trugfeuer, am Kaphereus und ägäischem Seegestad
    Gleich Irrlichtern gezündet,
    Als Sturmeswehen ihn führete weg von dem Vaterland
    Zum Malea-Kap auf irrige, welsche Pfade hin!
    Und er führte am Bord den Zwist
    Der Achaier, ein göttlich Gebilde von Luft,
    Ein reizend Ungeheuer!

Zweite Strophe

    Was Zufall sei, göttliche Hand und was nicht –
    Wer glaubt in der Welt, bis zum Ururgrund
    Forschend, er hab es ergründet, wenn er im Irdischen sieht,
    Wie die Geschicke vernunftlos springen hinüber und her,
    Und wieder rückwärts, unverhofft?
    Du bist des Zeus Tochter, Helena, man sagt,
    Als weißer Schwan in Ledas Schoß hat dich der Vater gezeugt,
    Und wurdest trotzdem verschrien durch die Welt
    Als Treu- und Pflicht- und Gottvergeßne! Nein, ich kann
    Nicht sagen, wo im Lauf der Welt Götterspruch sich deutlich zeigte!

Zweite Gegenstrophe

    Der ist ein Tor, welcher die Tugend erstrebt
    Durch kriegrischen Mut und Stärke des Arms.
    Werden die Leiden der Menschheit damit beendigt, o Tor?
    Sollt es ein wechselndes Blutbad schlichten, so würde der Streit
    Niemals im Staat und Hause ruhn.
    Auch Priams Volk ließ die Gemächer verwaist,
    Anstatt, Helen', um dich den Streit gütlich zu schlichten. Und jetzt
    Sind die dahin, ruhn im Grab modernd, und
    Die Mauern hat, wie Blitzesglut, der Brand verheert;
    Und du erduldest Leid auf Leid, jammervoll in deinem Elend!


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