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Ludwig Feuerbach
Seinem vor kurzem verstorbenen Glaubensboten Friedrich Jodl in Wien zum Gedächtnis gewidmet

siehe Bildunterschrift

Ludwig Feuerbach
Der Philosoph
1804 – 1872

Nach einer Photographie, die Frau Generaloberarzt Dr. Feuerbach in München gütigst zur Verfügung stellte.

 

Das Jahr 1848 hatte vorüberwettergeleuchtet. Ganz wie ein solches Naturerscheinen, wild flackernd und den Himmel, besonders an seinen irdischen Rändern, aufreißend und die Welt in ihrem Dunkel grell beleuchtend. Aber sonst ohne tiefere Veränderungen und Wirkungen zu hinterlassen. Da machte sich in seiner schwersten Verzweiflung ein von den lahmen Folgen dieses tollen Jahres vielleicht am bittersten betroffener, enttäuschter Mensch, der Russe Michel Bakunin, zu einer Reise auf. Sohn eines etwas verschwärmten russischen Adeligen, hatte er nach dem Willen dieses mit den Jahren haltbedürftigen Vaters Offizier werden sollen. Aber eben dies väterliche Erbteil, Weichheit und Rastlosigkeit, ließ den jungen Bakunin nicht lange Freude am Gedrilltwerden und am Drillen finden. Nach einem flüchtigen Hochschulbesuch in Moskau, wo er sich, fahrig und zerstreut wie Hamlet, der deutschen Philosophie ergab, war er in das Mutterland dieser Weltweisheit geflüchtet. Als Anstellungs- und Beschäftigungsloser, mit dem einzigen Beruf, Unruhe und Unzufriedenheit mit der heutigen Gesellschaftsordnung zu stiften. Kurzum als Anarchist, mit einem Schreckenswort. Hier in dem vormärzlichen Deutschland, wie er es in Berlin und in Dresden, der guten Stube des Philistertums, kennen gelernt, hatte sich die Enttäuschung an seine Sohlen geheftet und ihn mit tiefem Ekel vor diesen nur um ihr Geld und ihren Besitz bangenden deutschen Bürgerseelen erfüllt. Von den zaristischen Schergen verfolgt, von den preußischen Behörden ausgewiesen, hatte er gegen Ende des freiheittrunkenen Jahres eine Freistatt im anhaltinischen Kleinstaat zwischen Köthen und Bernburg gefunden.

Von dort raffte er sich an einem trübseligen Herbstmorgen, der sein Gemüt noch mehr niederdrückte, zusammen, um seinen Lieblingsdenker, der für ihn Spiegel aller Welterklärung geworden war, um Ludwig Feuerbach aufzusuchen. Wie Orest zu seiner Heilung nach Delphi zum Mutterschoß aller Weisheit floh, so flüchtete jetzt Bakunin, an seiner Zeit verzweifelnd, zu dem Weltforscher, der nach seiner Ansicht das Bild des ganzen menschlichen Hierseins am klarsten aufgefangen hatte. Damals war die Reise von Mitteldeutschland nach dem Süden, der Maingegend, in der Ludwig Feuerbach seit acht Jahren ständig hauste, noch sehr schwierig und langwierig. Zwar konnte man schon ein gut Teil der Strecke auf der Eisenbahn zurücklegen, mit dem »Dampfwagen«, wie Feuerbach sich noch ausdrückte, der, ein Freund des Fortschrittes, überall, als einer der ersten die deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth benützt hatte, während Schopenhauer bis an sein Ende nur höchst ungern solche lebensgefährlichen Vehikel bestieg. Aber die Verbindung mit dem einsam gelegenen Schloß Bruckberg in Mittelfranken, an der Straße von Ansbach nach Nürnberg, ergab sich denn doch als höchst mittelalterlich und rückständig. Man mußte mehrfach in alte Postchaisen klettern, die den Russen verteufelt an die klapprigen russischen Postwagen aus der Zeit der Kaiserin Katharina erinnerten. Und mit dem Fahren und Rasten und Bespannen und Ausruhen gingen fast fünf Tage hin. Indessen Bakunin, zwischen Petersburg und Moskau geboren, wäre nicht Russe genug gewesen, wenn er über dieser Trödelei, an die er von Kindheit an selig gewöhnt war, die Geduld verloren hätte. Und siehe, schon lag es vor ihm, das Schlößchen, in dem der Denker Feuerbach den wenn nicht größten, so doch schönsten Teil seines Lebens, volle dreiundzwanzig Jahre in ländlicher Zurückgezogenheit verbringen sollte. Auf einer mäßigen Anhöhe prangte in einem Wiesental das kleine Schloß, rings von Wald umrahmt, über einem Bach, die Haßlach genannt. Der Bau stammte aus der Zopfzeit, da noch Markgrafen über Ansbach-Bayreuth thronten, und ähnelte besonders an einer Seite, wo ein Söller auf weißen Säulen ruhte, dem Schloß bei Twer, in dem Bakunin seine Jugend verbracht hatte. Nur störte den Russen, daß man einen Teil des Schlosses in dieser erwerbsgierigen Zeit zu einer Porzellanfabrik, wie es hieß, eingerichtet hatte. An dieser Fabrik war Feuerbachs Frau, der dieser sein ganzes Stilleben zu verdanken hatte, mit einem Drittel des Reinertrages Mitbesitzerin.

Der Denker selbst arbeitete meist in den Turmräumen des Schlosses, die er stets bis auf das Bett sich wie Pascal selbst besorgte und winters persönlich einheizte. Die Räume lagen unmittelbar neben der Turmuhr, die ihm viertelstündig die Vergänglichkeit der Zeit in die Ohren rasselte. Doch der Mechanismus beeinträchtigte Feuerbach nicht, wenn ihn nur die Menschen in Ruhe ließen, Heute morgen hatte er sich bereits länger in seinem zur ebenen Erde gelegenen Studierzimmer im rechten Schloßflügel aufgehalten, das er in der kälteren Jahreszeit, weil die oberen Kammern schwer warm werden wollten, zu beziehen pflegte. Bakunin ließ sich unter dem Namen eines »Doktor Schwarz« bei ihm melden. Er liebte es, sich unter fremden Namen zu verstecken, wie er denn auch seine erste Kampfschrift gegen die Willkürherrschaft in Rußland unter dem Namen »Jules Elyzard« veröffentlicht hatte, aus dem kein zaristischer Spürhund auf Bakunin als Verfasser hätte schließen können. Den Namen »Schwarz« aber hatte sich der russische Umwälzer in Erinnerung an den sagenhaften Erfinder des Pulvers gewählt, dem er es im Punkte der Vernichtung mindestens gleichtun wollte.

Zu seiner Verwunderung wurde Bakunin von dem dienstbaren Wesen, das ihn empfangen hatte, nicht gleich in das Schloß selbst, sondern in eine Laube im Garten geführt, die von bereits recht schütter gewordenen Flieder- und Akazienbäumen umschlossen war. Statt des häßlichen, halb kalten, halb warmen Regens, der Bakunin auf der ganzen Fahrt hieher wie die laue gräuliche Stumpfheit des deutschen Bürgertums begleitet hatte, war an diesem Tag die Sonne ungetrübt aufgegangen. Und ein herrlicher Herbstmorgen wand sich wie ein Rückbleibsel aus dem heißen Sommer in die nahende Winterzeit. In den hohen Pappeln, an denen nur noch wenige Blätter lose wie fromme Kindheitserinnerungen im Haupt eines Zweiflers hingen, sammelte sich schreiend ein Schwärm von Staren, der sich verspätet hatte, zum Flug nach dem Süden. Sehnsuchtsvoll starrte der Russe ihnen nach. »Wär' es in Italien nicht vielleicht besser als hier?« mußte er denken. »Aber auch dort gibt es Pfaffen, mehr noch als hier!« antwortete ihm eine Schar Raben, die zornig krächzend über diese kleineren Spätlinge das Schloß umkreisten. Bakunin bückte sich nach einem weißen Blatt Papier, das unter dem Tisch der Laube zwischen dem Efeu lag. Es war ein Auszug aus Leibniz' Schriften und hieß: »Alles, was im Verstande ist, kommt durch die Einlaßpforte der Sinne; nur der Verstand selbst ist früher als seine Inhalte.« Anscheinend arbeitete Feuerbach in der wärmeren Jahreszeit draußen im Freien in der Laube. Und dieser Zettel war als eine von ihm abgepflückte Lesefrucht hier vergessen worden. »Schnurrige Leute, diese Deutschen!« grübelte der Russe: »Da ziehen sie ihr Leben auf solche Papierfetzen wie auf Flaschen und zerdenken sich ihre harten Schädel, statt sich an dem schäumenden Most des Daseins zu ergötzen.«

Da kam Ludwig Feuerbach selber auf ihn zugeschritten: Halb so groß wie der Hüne Bakunin, hatte er den leichten, federnden Gang der schlanken Menschen. Sein frisches, rötliches Gesicht mit dem kurzen, dichten, braunen Haar und dem langen roten Vollbart ließ eher bei ihm auf einen Förster als auf einen Stubengelehrten schließen. Nur seine kleinen, hellblauen, scharfen Augen sprachen mit jedem Blick, den sie aus der Tiefe der Geisteserforschung ausstrahlten: »Cogitare necesse est«, ohne Denken lohnt sich dies Leben nicht! Feuerbach war an diesem Morgen nicht eben aufs beste gelaunt. Er hielt sich nur für wenige Tage auf seinem Landsitze auf. War soeben mißmutig von dem ergebnislosen Gerede der Frankfurter Nationalversammlung, deren Mitglied er als Abgeordneter für Ansbach gewesen, und verstimmt über den dortigen Septemberputsch, der Schopenhauer zum überköniglich gesinnten Manne machte, nach Hause gekehrt, um so bald wie möglich nach Heidelberg zu reisen, wo ihn eine Schar freisinniger Arbeiter und begeisterter Hochschüler, darunter Gottfried Keller, erwartete. Erwartete, um von ihm gottlose Vorträge über das Wesen der Religion anzuhören. Am heutigen Morgen war es nun zu allem großen Staatsleid noch zu einer kleinen Meinungsverschiedenheit mit seiner etwas älteren, tüchtigen, aber häuslich nüchternen Frau gekommen. Sie hatte erklärt, daß es obrigkeitlich gefordert werde, daß ihr Kind, ihr einziges kleines Mädchen, an dem kirchlichen Religionsunterricht in der Schule teilnehme. »Das wäre doch absurd. Die Religion ist doch heute verschwunden bis auf das Wort. ›Relljohn‹ sagen die Leute, ohne sich etwas dabei zu denken. Womöglich sollen wir Lorchen demnächst gar in die Konfirmationsstunden schicken müssen?« hatte er seine Frau mit seiner schwachtönenden Stimme, die ihm in ihrer Trockenheit seine Dozentenlaufbahn mit verdarb, angeherrscht. »Wahrscheinlich leider auch!« hatte die Antwort geklungen mit dem Zusatz: »Was willst du? Wir können doch nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen!« Dieser letztere Einwurf, das übliche Bremsen der Nachgiebigkeit, hatte ihn so wild gemacht, daß er, um nicht heftiger zu werden, spornstreichs hinausgerannt war, um den Fremden, der ihm gemeldet war, in Augenschein zu nehmen, »Was wünschen Sie, Herr Doktor Schwarz?«

Bakunin lächelte, gewandt wie er war, über diesen barschen Ton: »›Sire! Geben Sie Gedankenfreiheit!‹ kann ich nicht gut sagen. Denn wir sollen uns ja dieses Zustandes heute erfreuen, wie es heißt.«

Feuerbach verstand sogleich die Ironie seines Besuchers: »Ach, gehen Sie! Europa ist ein Gefängnis und wird es immer mehr werden. Ich höre beständig Kettengerassel in meinen Ohren wie der arme Silvio Pellico.« Schroff brach die Unterhaltung damit ab. Feuerbach, der Denker, war im Grunde seines Wesens ein Einsiedler, ein verschlossener Schweiger und Büchermensch, der die Gesellschaften und das Städteleben haßte und sich darum auch auf keiner der deutschen Universitäten wohl fühlte, sondern sich sein Leben lang aufs Land verkroch. Aber Bakunin, in allem diesem sein genaues Gegenteil, lebhaft gesprächig, sieben Sprachen beherrschend und höchst liebenswürdig, brachte die stockende Auseinandersetzung wieder in Fluß. Lachend schüttelte er sein mähnenartiges Haupthaar, das seinem Kopf etwas Löwenhaftes gab: »Warum so ganz verzweifelt! Wer uns den lieben Gott auf Erden und im Himmel genommen hat, der muß uns doch noch die Hoffnung lassen!«

»Aber gewiß lasse ich Ihnen diese!« wehrte Feuerbach sich und versuchte auf den scherzhaften Ton des Russen einzugehen, was ihm bei seiner völligen Humorlosigkeit freilich kaum gelang: »Ich bin ja kein Weltschmerzler in der Philosophie, wie es dieser Schopenhauer ist, dessen Namen Sie wohl schon gehört haben, da man ihn letzthin häufiger nennt. Ich habe Gott entthront, dessen Abdankung allerdings rein wissenschaftlich bereits Kant auf dem Papier erzwungen hatte. Nur durch den absoluten Monarchisten Hegel, dieses schädelspaltende Genie, war er vorübergehend wieder zur Herrschaft gelangt. Aber ich habe statt Seiner – groß geschrieben! – vor dem die Völker in ihrer Kindheit auf den Knien lagen, den Menschen eingesetzt, den Menschen als Herrn über diese seine Erde und die Welt.« Feuerbachs Stirn, nicht allzu hoch, aber schön geführt, glühte unter diesem Leitgedanken seiner Lehren.

»Gewiß! Ich weiß es. Ich kenne alle Ihre Schriften von Ihrer ersten anonymen, den Gedanken über Tod und Unsterblichkeit angefangen, bis zu Ihrer Hegelschen Philosophie und zu Ihrem Hauptwerk vom Wesen des Christentums«, verneigte sich Bakunin leicht gegen seinen Meister. »Aber ist der Menschgott, den Sie uns statt des kosmischen Gottes predigen, es wirklich wert, daß man ihn erhöht, verehrter Lehrer? Ergreift einen nicht ein Abscheu ohnegleichen vor diesem schlimmsten Tier, wenn man, wie wir, soeben sein beständiges Hinabgleiten in die Niedrigkeit und Gleichgültigkeit erlebt, wenn wir die feurige Lava, die dies Jahr 48 hervorstieß, zu kalter nichtsnutziger Schlacke werden sehen?«

»Freilich! Freilich!« bestätigte Feuerbach mehr sich als dem anderen: »Der Mensch ist vorläufig noch ein halbes Tier, hin und her geschleudert vom Eigennutz und von der Rücksichtnahme auf andere, zur Hälfte Geisteswesen, zur Hälfte Triebtier, mit dem Willen monogam und als Fleisch noch polygam veranlagt.« Der Denker schloß für eine Sekunde seine Augen, als träumte er von der kurzen glühenden Leidenschaft, die ihn für die junge, herausfordernde Johanna Kapp, des Freundes Tochter in Heidelberg, durchfiebert hatte, bis er ihr erklären mußte, daß er gebunden und fest entschlossen sei, sich niemals von Frau und Kind zu trennen. Bakunin betrachtete ihn sich die Weile haarscharf wie einen, dessen Bild man sich für sein Leben lang mitnehmen will, wie der Anbeter der Menschheit da vor ihm stand, in seiner fleckenlosen, aber etwas ländlichen, dunklen Hausjoppe, seinen festen Schuhen, die er, ein Freund des Wanderns, niemals auch am Schreibtisch nicht, mit Pantoffeln vertauschte, sauber von oben bis unten anzusehen.

»Wir sind völlig einer Meinung,« stellte der Russe nunmehr fest: »Das heißt, ich bin der Ihrigen, da ich sie von Ihnen gelernt habe. Der Mensch ist der höchste Begriff für uns Erdenbewohner, wie er es auch unbewußt stets war. Denn der Mensch kann nur Menschliches vergotten. Und die Geschichte der Götter und Gottes ist zugleich die Geschichte der Menschheit. Sie hören, ich kenne Ihre Lehren. Und es wird auch in alle Zukunft nichts Höheres für den Menschen geben können, als eben den Menschen oder, was das gleiche ist, einen mit schönsten und besten menschlichen Eigenschaften ausgestatteten Gott. Wir sind uns ganz einig. Auch mir ist wie Ihnen die Gesundheit mehr wert als die Unsterblichkeit. Auch ich lebe wie Sie ganz im Diesseits. Aber eben darum gilt es, die Menschen, die Halbfertigen, zur Vollkommenheit zu züchten, zu verbessern. Und wenn die heutigen Menschen dies noch nicht wollen, so muß man diejenigen, die sich gegen ihre Veredelung sperren, einfach vernichten.«

Der schüchterne, gütige Mensch, der in dem Denker Feuerbach lebte, zuckte bei diesem letzten einschneidenden Wort zusammen: »Um Gottes willen!« Er gebrauchte vor Aufregung noch diese alte Beteuerung, die sich aus seinem Munde für Bakunin ganz wunderlich anhörte: »Wo gleiten Sie hin bei solchen radikalen Vorschlägen? In den wildesten Stirner hinein, wie mir scheint.« Er bezog sich bei dieser Bemerkung auf das zu jener Zeit erschienene, teilweise gegen Feuerbach gerichtete Stirnersche Buch von dem Einzigen und seinem Eigentum, dieses Schulbuch der Staatsverneinung, der ein Mann wie Bakunin lebte. Und einmal im Zuge konnte Feuerbach nicht umhin, den Fremden vor einer Überspannung des Individualismus noch weiter zu warnen. Es gebe in Wirklichkeit Einzelleben nur im Gemeinschaftsleben der Menschen, wie dies schon an ihrer das ganze seelische Dasein bedingenden Sprache ersichtlich sei. Infolgedessen wäre Stirners »Einziger« nur eine scheinbare, während seine »Menschheit« eine tatsächliche Realität sei.

Unwillkürlich war er ein wenig ins Vortragen geraten, als stände er schon im Rathaussaal zu Heidelberg und brächte seinen aus allen Ständen gemischten Zuhörern seine Gottlosigkeit bei. »Gewiß muß man das gegenwärtige grundverdorbene, grundbetörte Geschlecht hinaufzüchten!« stimmte er Bakunin zu: »Aber das läßt sich vom Lehrstuhl oder vom Schreibpult besser tun als mit Dreinschlagen oder mit Ermordung von irgendwelchen Mißliebigen, wie von Lichnowsky und Auerswald jüngst in Frankfurt. Sonst käme man ja dazu, wieder Madame la guillotine als Lehrmeisterin in Betrieb zu setzen.«

»Warum nicht?« blitzte Bakunin, von einer Aufwallung seines Blutes mitgerissen, ihn an: »Wenn wir dadurch unser Endziel, die allgemeine Föderation der europäischen Republiken erreichen!« Feuerbach musterte den Eindringling mit einem ruhigen prüfenden Blick: »Also, eine große Schweiz wollen Sie aus Europa machen!« entspannte er in seiner kühlen Art den aufgeregten Umsturzmann: »Gar kein übler Gedanke! Besonders für uns freiheitlich gesonnene Süddeutsche! Oberhalb des Mains dürften Sie freilich weniger Anhänger für Ihre Staatslehre finden. Und je weiter nördlich Sie gehen, desto weniger! Übrigens, wenn Sie ein Russe sind, wie ich vorhin, als Sie heftiger wurden, aus Ihrer Sprache hörte, so nehmen Sie sich in acht! Die Königlich Bayrische Regierung hat für Nihilisten wenig Verständnis. Und die Eingangstür zu meinem Gelehrtenheim wird streng bewacht. Noch vor wenigen Jahren hat man Haussuchung bei mir abgehalten, ist von Rechts wegen bei mir eingebrochen, auf gut deutsch, um nach Briefen von Studenten und Studentenverbindungen zu fahnden. Armes Deutschland! Selbst deine Wissenschaft wird geknebelt!«

Er schaute scheu an dem Russen entlang und bemerkte ein schmales Buch in seiner Hand. Gewohnt, oft tagelang nur das Allernotwendigste mit den Seinigen zu besprechen, hielt dieser zur Rasse der Schweiger gehörende Denker inne und lauschte verwundert seiner eigenen Stimme, die er so selten mehr hörte, wie sie nun im Freien verhallte. Dann räusperte er sich und fragte: »Sie möchten sicher etwas in Ihr Reisebuch hineingeschrieben haben? Geben Sie es mir mit! Vertreten Sie sich indessen ein wenig im Park! Sie werden dort nur meine geliebten Rehe, keine Polizisten treffen. Auch der Blick auf das übliche abgedroschen romantisch gelegene Kirchlein wird Ihnen geschenkt bleiben. Denn dieses hat zu Ende des vorigen Jahrhunderts der Blitz vernichtet. Glücklicherweise nicht zu meiner Zeit! Denn sonst hätte man meine Anwesenheit womöglich für dies himmlische Strafgericht verantwortlich gemacht. Gehaben Sie sich wohl, mein Herr! In einer halben Stunde werden Sie dies Buch mit meiner Inschrift auf diesem Tische finden.«

»Danke sehr, Herr –!« Bakunin besann sich, ob er ihn schulgerecht deutsch mit »Professor« oder »Doktor« betiteln müßte.

»Sagen Sie einfach ›Herr Feuerbach‹ zu mir, wie die Bauern mich hier benennen. Bewegen Sie sich ein wenig! Erkälten Sie sich nicht! Das Leben ist ein Feldzug, und die Gesundheit das höchste Gut. Nochmals, leben Sie wohl!«

So verschwand er, hastig atmend über dies ihm schwere, lange Sprechen, der Mann, der für Bakunin Daseinsdeuter war. »Sonderbar!« dachte der Russe, hinter ihm herschauend: »Wir sollten einander doch völlig begreifen, dieser klarste Denker und ich, sein unablässiger Jünger. Und dabei mißverstehen wir einander gleich über die einfachsten praktischen Folgen unserer Denkweise. Wie soll die Menschheit unter einen republikanischen Hut zu bringen sein, wenn wir beide schon über der Ausführung der gleichen Ideen derartig in Unstimmigkeit geraten? Ein verteufelt disharmonisches Konzert läßt sich der tote liebe Gott zu seiner Bestattung da von uns aufführen! Es ist zum Schopenhauerianer zu werden.«

Feuerbach erkannte erst an seinem Schreibpult, als er das Büchlein Bakunins aufblätterte, daß es nicht eines der üblichen Sammelbücher war, wie sie ihm um diese Zeit auf dem Gipfel seines Ansehens häufig zum Einschreiben zugesandt wurden. Später, da er einem dem Fortschritt feindlichen Geschlecht nur mehr als einer der »seichten Materialisten« galt und still in der Nähe von Nürnberg wie eine fast vergessene, totgeschwiegene Berühmtheit leidend erlosch, da mühten sich wenige nur hoch um ein Zeichen seiner Hand. Höchstens, daß ihn noch einmal der eine, die andere darum bat, ihnen sein geflügelt gewordenes Wort: »Der Mensch ist, was er ißt« auf einen Zettel zu schreiben.

Das dünne Buch, das Bakunin auf die Reise mitgenommen hatte, war das »Manifest der kommunistischen Partei«, das sein Freund Karl Marx, der dem feurigen Russen mit den Jahren noch zu zahm werden sollte, kürzlich in London hatte aufflammen lassen. Und obschon Marx, der mit ihm von Hegel ausgegangene und von Hegel abtrünnig gewordene Denker, bereits den kecken Vers als Widmung für Bakunin hineingeschrieben hatte:

»Es wird nicht besser trotz Gendarm
Und heil'gem Sakrament,
Als bis am letzten Pfaffendarm
Der letzte König hängt«,

setzte Feuerbach mutig wie stets und ohne Scheu vor solcher roten Nachbarschaft eigenhändig noch einige Xenien hinzu. Nach Art jener theologisch-satirischen Stachelverse, die er, seine Laufbahn als deutscher Universitätsprofessor sich selber von vornherein versalzend, seinem Erstlingswerk angehängt hatte. (Später freilich hütete er sich, irdischer geworden und als »Dichterdilettant« von der Zunft böse verrissen, das Musenroß öffentlich weiter zu tummeln.) Die Xenien Feuerbachs, die Bakunin mit einem Herbstblatt in seinem »Marx« vorfand, lauteten:

 

Eisig und klar ist die Luft, in die ich Menschen,
Euch führe.

Jeder Nebel zergeht vor dem ergründenden Blick.

 

Majas Schleier sogar, den Träumer der Schöpfung
umspinnen,

Fällt von dem Wesen der Welt. Raum und Zeiten,
sie sind.

 

Einen Trost nur: die Hoffnung auf Besserung lass'
ich Euch stehn.

Glaubt an den Fortschritt und helft! Siehe, so muß
er geschehn!

 

Und unterschrieben waren diese Verspaare mit:

L. Feuerbach, ein Bruder Giordano Brunos.


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