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Die Uhr schlug zwölf. Der Vollmond stand am Himmel,
Doch heller strahlte noch das Flammenmeer,
Da zogen durch des Menschenstroms Gewimmel,
Zwei flotte Herren Arm in Arm daher.
An mancher feschen, wunderhübschen Kleinen
Der Blick der beiden prüfend hastend blieb,
»Beim Jupiter!« entfuhr es laut dem einen,
»Das nenn' ich Leben! Das ist doch Betrieb!
Heut geh' ich durch, das soll mir niemand wehren, –
Laß uns zunächst ein Ball-Lokal beehren!«
Bald hat der »Moulin bleu« uns aufgenommen.
Wir waren just zur rechten Zeit gekommen,
Dort drinnen herrschte laute Fröhlichkeit.
Wir ließen uns bescheiden abseits nieder,
Bestellten Wein und tranken immer wieder
Auf Lieb' und Lust und goldene Jugendzeit, –
Das heißt auf
unsre Jugend! Bei den holden,
Die rings um uns gleich durst'gen Trunkenbolden
Den Wein aus Humpen in die Kehlen gossen
Und dann im Tanze durcheinander schossen,
War nämlich nichts von Jugend mehr zu sehn.
Und manche, die berechnend ihre Schenkel
Im ›Twostep‹ zeigten, hatten sicher Enkel,
Die schon seit Jahren in die Schule gehn.
Am liebsten wär' ich schleunigst fortgegangen,
Doch hatte Feuer schon mein Freund gefangen
Und fühlte sich in seinem Element;
Ich aber meinte: »Nur zum ersten Male
Hält man es länger aus in dem Lokale,
Verzichtet, wenn man erst den Rummel kennt.
Wie krampfhaft ist der Frohsinn, wie gezwungen,
So schal der Witz, die Weiber so gemein,
Sie alle sind von einem Wunsch durchdrungen:
Wie legen wir die Gäste gründlich 'rein?
Geschäft ihr Lächeln, käuflich ihre Glut,
Der blaue Schein des Lebens höchstes Gut,
Verführung die Parole, Unzucht Trumpf, –
Mich ekelt vor der Liebe tiefstem Sumpf!
Doch mehr noch als die alternden Kokotten
Sind widrig mir die Großstadt-Hottentotten
Die meistens
fremdes Geld verlottern hier,
Unreife Gecken, überreife Bengel,
Hochstapler, Schieber, Ladenkassenschwengel,
Sie spielen hier feudal den ›Kavalier‹.
Den Dirnen glauben sie zu imponieren,
Wenn sie ›Baron‹ und ›Graf‹ sich titulieren
Und Sekt spendieren diesem ›Damenflor‹;
Wenn sie als ›Ausgekochte‹ sich gebärden.
Brutal mit Worten und mit Händen werden,
Dann kommen sie sich furchtbar schneidig vor.
Wie höhnisch sie auf den Philister schauen,
Der seinem Weibe treu als Ehemann,
Wie reden hämisch sie von Ehefrauen,
von denen man doch ›jede haben kann‹!
Du solltest sie nur renommieren hören
Von Lolas Busen, Emmys runden Knien,
Wie sie mit grinsendem Behagen schwören:
›'ne Jungfer? Gibt's ja gar nicht in Berlin!‹
Und grade sie, für die das Weib nur Dirne,
Die nie ein echtes, reines Weib geschaut,
Sie sind es, die verkünden frech und laut
Die Lehre von dem ›kleinen Frauenhirne‹.
Solch Bursche, her den Lebejungen mimt,
Stand eben nie in unseres Dichters Bann:
›Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an …‹«
Ich war im besten Zuge, warm zu werden
(Denn meine Ehrfurcht vor der Frau ist groß),
Da plötzlich nahm mit kosenden Gebärden
Just eine Hulda Platz auf meinem Schoß;
Sie pfiff auf alle Anstandsparagraphen,
Frug nicht, ob sie erwünscht, ob sie gefiel,
Schon waren mir die Beine eingeschlafen, –
Zwei gute Zentner ist ein bißchen viel!
Erst griff sie ungeniert nach unsrer Pulle
Und leerte bis zur Neige sie mit Gier,
Dann kreischte sie: »Du kleener, süßer Bulle,
Ick liebe dir, du Aas! Wat schenkste mir?«
»Me miserum!« fiel Juvenal vom Stengel
Und fragte flüsternd mich: »was will der Engel
Mit seinem groben Schimpfen und Gezanke?
Vox populi, vox Dei, – na, ich danke!«
»Reg dich nicht auf, die Tonart ist hier Mode,«
Gab auf lateinisch ich dem Freund zurück,
»Programmgemäß ist diese Episode,
Ein kleines Pröbchen vom Berliner Schick.
Graziöse Keckheit darfst du hier nicht suchen,
Das Zierlich-Niedliche ist streng verbannt,
hier findet man die Dirnen nur pikant,
Die wie die Unteroffiziere fluchen, –
Die frech und dreist sich aufzudrängen wissen,
Die längst vergaßen jeden Herzenston,
Die mit dem trunknen ›Freiersmann‹ gerissen
verstehn zu feilschen um der Sünde Lohn.
Und je unweiblicher sie sich betragen,
Um desto höher steigen sie im Preis,
Je mehr sie sich pervers zu geben wagen,
Um desto rascher wächst ihr Kundenkreis.
Fast ist's unglaublich, daß ein Mann sich findet,
Bei dem die Achtung vor sich selbst so schwindet,
Daß solche wüsten Dirnen sein Idol,
Unglaublich wär's, – gäb's nicht den Alkohol!«
Die Hulda, die kein Wort Latein verstanden
(Was ihr auch gar nicht zu verdenken war),
Erlöste mich aus ihren zarten Banden,
Zumal der Wein bei uns entschieden rar.
Erst hat sie kräftig mich ins Kreuz gepatscht,
Dann sprach gelassen sie das große Wort:
»Wenn ihr Chinesisch miteinander quatscht,
Dann drick ick mir!« – Beleidigt ging sie fort.
Von weitem hört' ich was wie: »Lausepack …!«
Ich zahlte rasch … Als ich den Saal verließ,
Mein Freund mich heimlich in die Rippen stieß:
»Die Rechnung hier war wenig mein Geschmack!«
»Wohl sind die Preise«, sagt' ich, »eminente,
Die nolens, volens hier der Gast muß blechen,
Jedoch die Mädchen kriegen von den Zechen
Fürs Animieren jedesmal Prozente,
Kassieren vor und nach dem Sündenfalle, –
Die Dummen, Freundchen, werden niemals alle!«
Wir bummelten die Friedrichstraße weiter.
Schon leichtbeschwipst erschien mir mein Begleiter,
Und plötzlich fühlte er in seiner Hand
Ein Zettelchen, auf dem zu lesen stand:
»Du schöner Herr, o komm doch noch ein Weilchen
Zu uns als Gast in das ›Verborgne Veilchen‹!
Die ganze Lebewelt des Kontinentes,
Sie tollt hier Nacht für Nacht im Bacchanal,
Die lust'ge Wirtin – etwas ganz Patentes,
Bedienung jung und international!
Im Bauchtanz wird sich Esmeralda zeigen,
Die ganz Berlin versetzt in Raserei,
Das Zymbal tönt, süß locken dich die Geigen,
Es blinkt der edle Wein! – Entree ist frei!«
»Da muß ich hin, den Wissensdrang zu stillen,
Den Bauchtanz sehn. Du bist doch auch dabei?«
Ich rief entsetzt: »Halt ein, um Gotteswillen,
Fall doch nicht rein auf diese Schwindelei!
Derart'ge Zettel kriegst du hier in Massen,
Reklamen, plump und dennoch raffiniert,
Für Weiberkneipen in verrufnen Gassen,
Die eine rote Lampe lüstern ziert.
Laß nur dies ›Veilchen‹ im ›Verborgnen‹ blühen;
Du brauchst dich nicht zum Pflücken zu bemühen!
's ist nichts, als eine schmutzige Spelunke, –
Ganz anders als nach Veilchen riecht es hier,
Die ›junge Wirtin‹ eine alte Unke,
Das ›Freikonzert‹ ein elendes Klavier.
Als ›edlen Wein‹ – o schändliches Geläster! –
Man einen Krätzer auf den Tisch dir stellt,
Du aber bist der einz'ge Gast, mein Bester,
›Des Kontinentes ganze Lebewelt‹!
Und lockt der Bauchtanz dort dich auf dem Zettel,
So schwör' ich dir: Mit größrem Temp'rament
Tanz' ich ihn dir, als jene alte Vettel
Die sich so klangvoll ›Esmeralda‹ nennt.
Nie sah sie jemals Afrikas Gestad',
Niemals die braunen Zelte der Kabylen,
Sie scheuerte vor kurzem noch die Dielen
In der Berliner ›rue des palissades‹!« –
»Mußt du denn jede Illusion mir rauben,
Du Pessimist?«
+»Du solltest dankbar sein,
Anstatt mich voll Entrüstung anzuschnauben,
Schenk' ich dir ein der Wahrheit reinen Wein.
Nie werd' ich als Philister gelten können,
Werd' stets den andern ihr Vergnügen gönnen,
Doch Rücksicht fordre ich, Bescheidenheit, –
Daß heut die Dirnen, diese viel zu vielen,
Die Herrscherinnen ganzer Straßen spielen
Und alle Welt beläst'gen, geht zu weit!
Und erst die Herren!! Was nur lange Haare
Und lange Kleider trägt, ist ihnen Ware
Und wird als vogelfrei inkommodiert,
Kaum gibt es auf der Straße eine Dame,
Die diese Lotterbande, die infame,
Nicht als willkommnes Opfer insultiert;
Selbst bei der reinsten Frau wird fort und fort
Mit kecken Blicken ein Versuch gewagt,
Durch des Verfolgers zynisch freches Wort
Das Rot der Scham ins Antlitz ihr gejagt.
Ihr Frauen, denen solche Schmach begegnet,
In eurer Schwester Namen seid gesegnet,
Wenn ihr vor Zorn die Fassung nicht verliert
Und frischen Mutes diese Schandgesellen
Als Antwort auf den Antrag, den sie stellen,
Mit einem Backenstreiche prompt traktiert! …«
Ein »Psst!« erklang, wir wandten schnell die Köpfe
Und sahen eines jener Nachtgeschöpfe
Einfältig grinsend folgen unserm Schritt;
»Psst,« winkte sie, »psst, Herzchen, kommst du mit?«
Ich danke bestens, denn ich war noch nüchtern,
Und zog behende meinen Freund vom Platz,
Die Dulcinea aber, gar nicht schüchtern:
»Komm,« lockte sie, »du bist so nett, mein Schatz!«
Ich winkte ab. Da fing sie an zu schelten –
Und darin war das Weib ein Phänomen –
Daß beiden uns die Ohren mächtig gellten, –
Ein Schutzmann war natürlich nicht zu sehn.
Dafür sah ich verdächtige Gestalten
Im Schatten schleichen, heimlich und gewandt,
Von denen eine einen Gegenstand,
Der blitzte, hinterm Rücken schien zu halten.
Wir bogen rasch in eine Seitengasse;
Zwei Burschen folgten uns in schnellem Lauf …
Ein greller Pfiff, – mit höhnischer Grimasse
Taucht' plötzlich dicht vor uns ein dritter auf.
Von vorn und hinten drängte sich Gesindel,
Als wollt' es sagen: »Ihr entkommt uns nicht!«
»Verdammt!« rief Juvenal, »wir sind im Schwindel, –
Volldampf voraus, mein Bester! Feind in Sicht!«
Wer weiß, wie's schließlich uns ergangen wäre,
Denn aussichtslos schien für uns zwei die Schlacht,
Hätt' nicht der Zufall Rettung uns gebracht, –
Ein Taxameter kam uns in die Quere.
Mit einem Sprunge saßen wir im Wagen,
's war höchste Zeit, sonst ging's uns an den Kragen!
Wir fuhren ziellos durch die Straßen weiter,
Kein Sterbenswort ertönte lange Zeit,
Bis endlich seufzend meinte mein Begleiter:
»Nichts geht doch über die Gemütlichkeit!
Die Kerle hätten schön uns zugerichtet,
Der Zwischenfall war gar nicht mein Geschmack, –
Ist denn die Polizei hier nicht verpflichtet
Zu schützen gegen solch Verbrecherpack?
Warum wird nicht wie einst in unsren Tagen
Das Dirnentum in Häusern kaserniert?
Dann würde von der schlimmsten aller Plagen
Das Publikum weit seltner molestiert.
Von allem wüsten nächt'gen Straßenleben
Wär' so mit einem Schlag erlöst die Stadt,
Wer Lust hat sich mit Dirnen abzugeben,
Der weiß dann, wo er sie zu suchen hat!«
»Zu hoher Weisheit«, fing ich an zu spotten,
»Hast du, mein Freund, dich eben aufgerafft,
Du meinst, das Übel wäre auszurotten,
Indem man öffentliche Häuser schafft?
Gut! Baue solche Häuser nur in Masse,
Damit das ›sittliche Niveau‹ sich hebt,
Und sperr hinein die ganze Menschenklasse,
Die hier auf Erden von der Liebe lebt.
Doch sei gerecht und übe kein Erbarmen –
Vor dem Gesetz muß volle Gleichheit sein –,
Nicht nur die unbemittelten, die armen,
Nein, auch die reichen Dirnen sperre ein!
Sperr ein der Fürsten schmucke Konkubinen,
Sperr ein die Schar der lieblichen ›Cousinen‹,
Sperr ein in deine ries'ge Lustkaserne
Die vielen unsrer feschen Bühnensterne,
Sperr ein Choristinnen und Balleteusen,
Soubretten, Tänzerinnen und Masseusen,
Hinein die Damen von der Konfektion,
Der muntren Kellnerinnen Legion, –
Sperr alle ein, die hier im Jammertale
Das Handwerk treiben, das horizontale!
Scheuch aus dem Bett sie, reiß sie von dem Pflaster,
Aus Kneipe, Ballsaal, Auto und Gespann,
Unendliche Reserven hat das Laster,
Die keine Macht der Welt erschöpfen kann.
Und glaube mir: Hast du sie sämtlich drinnen,
Bis auf die letzte in dein Haus gebracht,
Hier auf der Friedrichstraße wird beginnen
Dasselbe Treiben in der nächsten Nacht.
Solange Licht brennt, lockt es auch die Motten,
Und wer den ernsten Wunsch zu bessern hegt,
Der hoffe nicht, ein Übel auszurotten,
Eh' er des Übels Wurzeln bloßgelegt!
Sei mir nicht böse, teurer Sangesbruder,
Daß mich das Thema so ereifern kann,
Mich grinsen unter Schminke, Stift und Puder
Das Elend nur, die bittre Schande an.
Leicht ist es, diese Dirnen zu verachten,
Die in des Lasters Höllenpfuhle schmachten!
Aus tiefer Nacht als leuchtende Gestirne
Erglänzen auch in der verkommnen Dirne
Erinn'rung an die Zeit, da sie noch rein.
Und bessrer Zukunft zager Hoffnungsschein.
Und deshalb fühl' ich innerstes Erbarmen
Mit diesen Ärmsten unter allen Armen!«
»Du bist verrückt, mein Kind!« sprach Juvenal,
»Mal wieder durch und durch sentimental!
Die Weiber fühlen sich in ihrer Lage
Ganz kreuzvergnügt zum allergrößten Teil,
Sie feiern lustig ihre guten Tage
Und pfeifen auf ›Moral‹ und ›Seelenheil‹.
Sie leben wie im Bienenstock die Drohne,
Ihr Dasein ist ein steter Freudenrausch,
Und böt' sich ihnen eine Königskrone,
Sie dankten lächelnd für den schlechten Tausch!«
»Du sprichst, wie du's verstehst! Und dein Verständnis
Ist, wie ich sehe, leider minimal,
Dir fehlt für solche Dinge die Erkenntnis
wie allen Alten, lieber Juvenal!
Drum prüfe du zunächst an Ort und Stelle,
Sieh die Verhältnisse dir selbst erst an,
Vielleicht veränderst du dein Urteil dann, –
He, Kutscher! Etwas dalli, – zum Bordelle!«
Ein dunkles Haus, verschlossen war das Tor.
Wir schellten. Leise ward uns aufgemacht.
Auf einer engen Treppe ging's empor
Bei kargem Licht. Wir gaben sorgsam acht,
Sonst hätten sicher wir den Hals gebrochen!
Wir hörten unsres Herzens lautes Pochen,
Die Brust war uns von schwerer Last beengt,
Die dumpfe Luft wie chloroformgetränkt.
Einladend war das nicht. Ein niedres Zimmer,
Mit schäb'gem Luxus kläglich ausstaffiert,
Erhellt von einer roten Lampe Schimmer,
Mit Patschuli betäubend parfümiert.
Und auf dem Sofa sah'n wir müßig thronen,
Die Arme träge auf den Tisch gestemmt,
Der Venus Priesterinnen, drei Matronen
In ihrem Arbeitskleid, – im dünnen Hemd.
Sie stellten sich, als wir den Raum betraten,
In eine Reihe, stramm wie die Soldaten,
Und zwangen sich zu lächeln uns zu Ehren;
Auf den geschminkten Lippen lag die Bitte:
»Sucht euch ein Opfer aus aus unsrer Mitte,
Und fällt die Wahl auf mich, – ich kann's nicht wehren!«
Wir haben beide dankend abgewinkt.
»Nein, Mäuschen,« sprach ich gütig, »Gott behüte! –
Doch mache ich den Vorschlag euch in Güte,
Daß ihr ein Gläschen mit uns beiden trinkt.
Fahrt Sekt heran, und zwar gefälligst kalten!
Wir wollen uns gemütlich unterhalten.«
Nur langsam löste uns der Sekt die Zungen,
Die laue Unterhaltung kam in Zug,
Allmählich ward sie äußerst ungezwungen,
Bis ich zuletzt die armen Mädels frug:
»Wie seid in dieser Bude ihr gelandet?
Erzählt mir, Kinder, mal, wann, wie, warum
Einst euer Lebensschiff so jäh gestrandet?
Doch einzeln, bitte! … Hübsch die Reih' herum!«
Es wurde still, die Lampe brannte trüber.
Gleichgültig, tonlos sprach mein Gegenüber.
»Im Grunde ist es schnuppe, wie's geschieht!
Wie das so kam? Kaum weiß ich selbst noch recht, –
Gewöhnlich ist's ja stets dasselbe Lied:
Erst hat man einen lieb, dann wird man schlecht!
Hübsch war der Herr Student, der mich verdarb!
Auch ich war anders, als ich heute bin,
Gar mancher wackre Bursch, der um mich warb,
Mir aber lag der eine nur im Sinn.
Ich war, ich schwör' es euch, ein braves Ding.
Doch der verstand's: Er redete mir zu,
Ließ mir bei Tag, ließ mir bei Nacht nicht Ruh',
Versprach die Heirat mir, gab mir den Ring.
Nicht schenkt' ich mich freiwillig dem Halunken,
Er überwand mich listig durch Verrat,
Beim Tanze macht' er mich mit Wein betrunken,
Nur so gelang ihm seine Heldentat!
Zum Jammern und zum Klagen war's zu spät,
Ich war nun mal mit Haut und Haaren sein, –
Bald stellten sich die Folgen bei mir ein,
Er – wechselte die Universität.
Sein Vater zählte zu des Staates Spitzen,
So ließ der Sohn mich selbstverständlich sitzen!
Was weiter kommen mußte, sieht ein Blinder,
Ihm ging es gut, er avancierte schnell,
Ist heut Regierungsrat, hat Weib und Kinder,
Und ich – nun ja – ich sitz' hier im Bordell …«
Sie schwieg. Wir waren bei der dritten Flasche,
Der Dunst von Sekt, Parfüm, Zigarrenasche
Nahm von den Köpfen nach und nach Besitz, –
Wir alle hatten einen kleinen Spitz.
»Nun?« wandte Juvenal sich an die Zweite,
»Wie legtest du dich auf die leichte Seite?«
»Bei mir war's ganz das Gleiche, Allbekannte,
Nur war ich freilich etwas älter schon,
Kein dummer Backfisch mehr, war Gouvernante,
Und mein Verführer war des Hauses Sohn.
Dem Hausherrn selbst hin ich mit Not entgangen,
Dem Sprößling aber blieb im Netz ich hangen.
Bald sah die Hausfrau, was er angerichtet
(Es war gewiß auch nicht der erste Fall),
Sehr praktisch hat sie den Konflikt geschlichtet:
Sie jagte aus dem Haus mich Knall und Fall
Und drohte, sollte ich nicht muckstill schweigen,
Der Polizei mich Dirne anzuzeigen …
Mein Vater war ein Offizier a. D.,
Erfüllt vom Stolze auf sein Portepee.
Als heim ich kam in meiner Eltern Haus,
Warf rasend er mich auf die Straße raus,
Erbarmungslos hinaus in Not und Schande, –
So zog ich bettelnd, rechtlos durch die Lande,
Verhungernd schleppt' ich mich an diese Schwelle
Und fand hier Brot und Obdach – im Bordelle …«
Die Dritte lachte zynisch: »Ich war heller!
Die Sache ging bei mir ein bißchen schneller,
Mir hat kein Mann erst etwas vorgekohlt.
Dazu hab' ich zu frühe angefangen, –
Mit vierzehn Jahren bin ich schon ›gegangen‹,
Hab' mir die Freier selber 'rangeholt.
Sechs Gören war'n wir! Nichts im Haus zu nagen,
Dafür hat Vater uns halbtot geschlagen, –
Herr Gott, was hat die Alte oft geflennt!
Ein Zimmer nur, zu acht in einem Zwinger,
Als kleines Würmchen sah ich da schon Dinger, –
Das war das Richt'ge für mein Temp'rament!
Wie ich kaum vierzehn war, ich dumme Rieke,
Verschoben sie mich schlank in die Fabrike,
Wir schufteten da, wie das liebe Vieh, –
Ein halbes Jahr ist's so lala gegangen,
Dann hat's mir schon zum Halse 'rausgehangen,
Das macht doch keine, die nicht lüttiti!
Am Tag geschunden, – abends dann verdroschen,
Gab ich dem Alten nicht zum Schnaps die Groschen,
Nein, dafür war ich mir denn doch zu gut!
Da gibt's genug, die gerne Gold berappen, –
Und eines Abends ging ich durch die Lappen,
Denn unsereins ist auch von Fleisch und Blut!
›Adjö‹, schrieb ich, ›ihr armen Hungerleider,
In vierzehn Tagen trag' ich feine Kleider
Und suche mir 'nen reichen Tapergreis,
Der ›jung Gemüse‹ gut zu würd'gen weiß.
Dann trinke ich das liebe, lange Jahr
Nur Sekt und futtre Austern, Kaviar,
Trag' bunte seidne Wäsche, Samt und Spitzen,
In meinen Ohren die Brillanten blitzen,
Mein Alter schenkt mir Auto und Coupé
Und eine Villa hinterm Schlachtensee' …
Ich fand 'ne Bude am Küstriner Platz,
Ein kleiner Fähnrich war mein erster Schatz,
Dann kam ein andrer … Mäßig der Profit …
Und eines Nachts, da nahmen in die Mitte
Zwei ›Blaue‹ mich, – schon war ich unter ›Sitte‹, –
Acht Tage drauf saß ich in Moabit!
Ein Russe war's, betrunken, roh und toll,
Das ganze Portemonnaie mit Scheinen voll,
Ein Riesenmensch … Ich hatte solche Bange,
Er schlägt mich tot, wenn ich mein Geld verlange,
So'n Kerl kriegt alles fertig in der Wut.
Ich brauchte Miete, braucht' 'nen Winterhut …
Dem hab' ich heimlich etwas Geld ›geklaut‹.
Kaum aber, daß der nächste Morgen graut,
Da holte mich der Schutzmann aus dem Bett.
Dann hat das Pech mich hin und her gehetzt,
Wo ich auch wohnte, wurd' ich 'rausgesetzt,
Ich wurde häßlich, mager wie'n Skelett;
Geht's erst mal abwärts, geht es riesig schnell.
Und nirgends liest mir Ruhe die ›Polente‹, –
Kein Heim, kein Brot, – ich fror, ich schrie und flennte,
Dann macht' ich's kurz und – ging hier ins Bordell …«
»Ich wünschte,« rief ich bitter, »nur das Eine:
O hätten doch die Sittlichkeitsvereine
Das, was ihr drei uns jetzt erzählt, gehört!
Ich gönnte es den prüden Tugendsternen,
Hier könnten noch die Herren manches lernen,
Die Braven, die moralisch stets empört!
Dann wüßten sie: Nicht Bilderkonfiszieren,
Nicht Schnüffeln bringt das Laster aus der Welt, –
Umsonst ist alles stramme Denunzieren,
Ist wo ein Akt im Fenster ausgestellt,
Unglaublich kindlich sind die Feigenblätter,
Frivol die Statuenverstümmelei,
Ihr macht euch lächerlich, ihr Sittenretter,
Mit eurem Kreischen nach der Polizei!
Wollt ihr die Zahl der Lasterhaften mindern
Und die Gefallnen stützen in der Not,
So helft die Armut, helft den Hunger lindern,
So gebt den Dürftigen statt Steine Brot!
Nicht schroffer Hochmut bessert diese Plage,
Nur Mitleid mildert dieses Elends Qual,
O glaubt es mir: Die Frage der
Moral,
Sie ist nicht anders als
soziale Frage!
Ihr Braven hattet immer satt zu essen,
Ihr sitzt im Warmen, keusch und wohlbeleibt,
Wie könnt ihr ›Saturierten‹ es ermessen,
Wozu das Elend einen Menschen treibt!
Doch wäret ihr im Hunger aufgewachsen,
In ew'ger, stumpfer, tiefer Geistesnacht,
Ihr lachtet eurer eignen prüden Faxen, –
Wer weiß, ob ihr's nicht schlimmer noch gemacht!«
»Mensch, du vergißt, wo wir uns hier befinden!«
Fiel Juvenal verärgert mir ins Wort,
»Willst du die Menschen mit Problemen schinden,
Ist diese Stätte nicht der rechte Ort!
Nicht tragisch sein! wozu die Stimmung stören?
Trink Sekt und scherze, dann gefällst du mir,
Nicht um zu reden, sondern um zu hören,
Collega laureate, sind wir hier!
Und ihr, verehrte Mädels, nur nicht traurig!
Ist eure Lage wirklich denn so schaurig?
Im großen ganzen habt ihr's doch recht nett.
Ihr dürft dem süßen Nichtstun euch ergeben,
Bald könnt ihr fein von euren Zinsen leben,
Zieht euch zurück und werdet dick und fett!«
Als Antwort scholl ein gellendes Gelächter:
»Hast du 'ne Ahnung!« rief die eine aus,
»Im Zuchthaus lebt der größte Schuft nicht schlechter,
Als wir in diesem gottverdammten Haus.
Uns, meinst du, bleibt der Lohn, den wir verdienen?
Ja prost! Dreiviertel steckt die ›Mutter‹ ein, –
Sind wir denn Menschen? Wir sind nur Maschinen,
Die täglich neu geheizt mit Schnaps und Wein!
Wir müssen alles zehnfach hier bezahlen;
Das Hemd, in dem verführerisch wir strahlen,
Das höchstens drei, vier Meter kosten kann,
Schreibt sie mit fünfzig baren Mark uns an.
Für jeden Happen Fleisch, den wir genießen,
Muß ihr ein Taler in die Kasse fließen,
Und jedes Bettuch, – klingt es nicht wie Hohn? –
Verschlingt uns einen halben Wochenlohn.
Solang wir unser Konto nicht begleichen,
Ist's uns unmöglich – darauf rechnet sie! –
Aus diesem Jammerkasten zu entweichen,
Und kleiner – werden unsre Schulden nie!
In ew'ge Ketten sind wir so geschlagen,
Die reinsten Sklaven, wehrlos, hilflos, stumm,
Wir dürfen keinem Ekel uns versagen,
Und dreht sich uns das Herz im Leibe 'rum.
Kaum sehn wir, wie die goldne Sonne lacht
Auf Wald und Feldern, wie das ärmste Kind,
Und trinken müssen wir bei Tag und Nacht,
So daß wir nie bei klaren Sinnen sind.
Warum wir unsres Lebens uns nicht wehren?
Da kennt ihr beiden doch die Sache schlecht!
Wo soll sich eine Dirne denn beschweren,
Wo gibt man einer ›Kontrollierten‹ recht?
Und fände sie den Weg bis zum Minister,
Ihr würde sicher doch Gehör verwehrt,
Denn jede hat ihr langes Strafregister,
Das sich naturgemäß beständig mehrt.
Wir alle sahen hinter Eisentüren
Gefangen uns, – wer macht sich was daraus?
Man kann oft im Gefängnis Liebe spüren
Mehr als in manchem stolzen Krankenhaus …«
»Nun hab' ich satt die ew'ge Heulerei«,
Schalt Juvenal, »jetzt ist's genug gestöhnt!
Ich bin das Weiberjammern nicht gewöhnt,
Trinkt, Mädels, trinkt, das macht die Herzen frei!
Und du, hör auf mit der ›sozialen Frage‹«,
Fuhr er mich dann mit bösen Augen an,
»Nun kommt die internationale Lage
Und ähnlicher Klimbim wohl nächstens dran?
Marokko, Landwirtschaft und Syndikate,
Freihandel, Luftschiff, Streiks, Armee und Bebel, –
Mir scheint's, du hast für solchen Kram ein Faible,
Für Haag, das Genfer Kreuz und Surrogate
Von gleicher Art der heutigen Kultur,
Wo alles übertünchte Gräber nur?
Wo Wort und Taten komödiantenhaft
Und eins nur fehlt, – des Willens Riesenkraft!«
Ich schwieg verletzt. War Juvenal denn toll?
O nein, er war nur süßen Weines voll!
»Seid lustig,« schrie er laut, »was kost't die Welt?
Schleppt neuen Sekt heran, mein Freund hat Geld!«
Gesagt, getan! In schallendem Gejohle
Vergaß das Trio seines Lebens Leid,
Das graue Elend wich dem Alkohole
Und machte Platz der Ausgelassenheit,
Der zügellosen Lust der Hoffnungslosen.
Die eine sang: »Dann geh' ich zu Maxim«,
Die Zweite sah mit Juvenal ich kosen,
Die Dritte nahte sich mit Küssen ihm.
Bei jedem Witz erscholl ein laut Hallo, –
Der Rest sei Schweigen. Es ist besser so …
*
Der Morgen dämmerte. Ein lauer Regen
Fiel müde auf das schlummernde Berlin,
Verkatert sahen wir auf Zickzackwegen
Die letzten Bummelanten heimwärts ziehn.
Auf harten Bänken schliefen arme Leute,
Auf andren kauerte ein Liebespaar,
In manchem Auto saß bei süßer Beute
Der Junggeselle, der bei Kasse war.
Schon zeigten sich die ersten Bäckerjungen,
Die Bolle-Mädchen brachten Milch ins Haus.
Die Zeitung trugen blasse Kinder aus,
Doch halb im Schlaf, von Müdigkeit bezwungen.
Da sind wir beide auch nach Haus getaumelt –
Dann »gehen« nennen konnte man das kaum –,
Es schwankte Juvenal, wie an dem Baum
Im Wettersturme eine Pflaume baumelt.
»Ich muß was essen«, ächzte er. »Schaff Nahrung!
Mir ist so schlecht, so scheußlich schlecht, o Gott,
Tu mir die Liebe, kauf mir einen Harung!«
»Bedaure«, sprach ich dumpf, »ich bin bankrott.
Den ganzen Vorrat haben wir verzettelt,
Den letzten ›Blauen‹ gab für Sekt ich her,
Das Kleingeld hat mir Rieke abgebettelt, –
Nun hab' ich keinen blanken Heller mehr!
Doch reut's mich nicht, denn du hast viel gesehen
Und viel gehört, was nie ein Römer sah,
Ich hoffe stark, du wirst mir zugestehen:
Bis Fremdenführer steh' ich einzig da!«
Jetzt kam in den Erschlafften neues Leben,
Und zornig hat er mir zurückgegeben:
»Was nie ein Römer sah? Daß ich nicht lache!
Was bildest du naiver Mensch dir ein?
Das hältst du schon für eine große Sache?
Das soll der Gipfelpunkt des Lasters sein?
Da sind wir Alten weiter doch gewesen
In allen Künsten ungezähmter Lieb', –
Hast die Satiren du denn nicht gelesen,
Die ich vor rund zweitausend Jahren schrieb?
Ihr schätzt noch der Gesundheit Gottesgabe,
Bei euch tut keiner selbst sich in die Acht
Und bläht vor seinen Freunden sich, er habe
Jüngst eine ›Kinderkrankheit‹ durchgemacht.
Dem eignen Weib das Gift zu übertragen,
Hat sich gerühmt bei uns so mancher Wicht,
In solchen Lastern seid ihr nicht beschlagen!«
Ich schwieg und dachte mir: »Du ahnst es nicht …«
»Kennt ihr die Helferschar der Kupplerinnen,
Des Mädchenhandels feile Industrie,
Die ahnungslose Wesen wie die Spinnen
In ihre Netze lockt mit Perfidie,
Die sie für hohen Lohn ins Ausland dingt,
Die ehrlich Brot und goldne Zeit verspricht
Und doch sie nur in Not und 8chande bringt?«
Ich schwieg und dachte mir: »Du ahnst es nicht …«
»Kennt ihr die Häuser, wo zur nächt'gen Stunde
Dumpf hinter Polstertüren Jammern gellt,
Wo reine Mädchen man mit falscher Kunde
Verschleppt und jahrelang gefangen hält?
Wo man im Schlaf das Opfer niederringt,
Mit Peitschenhieben sie zur Sünde zwingt?
Kennt ihr wohl jene Kräuter, jene Pillen,
Die heimlich dem Getränk wir mischten bei,
Die jede Unschuld wider ihren Willen
Versetzten in die tollste Raserei?
Blutschande ist euch völlig fremd geworden,
Die alle Bande der Natur zerbricht, –
Kennt ihr die Bestien, die aus Wollust morden?«
Ich schwieg und dachte mir: »Du ahnst es nicht …«
»Kennt ihr des Altertums Perversitäten,
Bei deren Schild'rung euch das Blut erstarrt?
Blieb's
uns versagt, dies Unkraut auszujäten,
So weiß ich, es gelang der Gegenwart:
Der Männerfreundschaft lüsterne Vertreter,
Die Zopfabschneider und die Schuhanbeter
Verkriechen heut sich ängstlich vor dem Licht!«
Ich schwieg und dachte mir: »Du ahnst es nicht …«
»Kennt ihr die abgelebte Scheusalsbrut,
Die jedes Laster längst schon ausgeschmeckt,
Die nur durch Knute und durch warmes Blut
Zur Liebe ihre toten Sinne weckt?
Kennt ihr die Orgien an verborgener Stätte,
Der Folterung willkommnes Blutgericht?
Nein, nein! Ihr kennt sie sicher nicht, ich wette!«
Ich schwieg und dachte mir: »Du ahnst es nicht …«
»Ihr wißt ja nichts von geilen Menschenschindern,
Die so an Leib und Seele ruiniert,
Daß nur die Lust an kleinen, zarten Kindern
Allein noch diese Tiere delektiert.
Kennt ihr Megären, die mit solcher ›Ware‹
Hausieren gehn beim hellen Tageslicht?
Nun, Freundchen? Sträuben jetzt sich dir die Haare?«
Ich schwieg und dachte mir: »Du ahnst es nicht …«
»Du schweigst und schweigst«, schrie Juvenal entrüstet,
»Zum Donnerwetter noch einmal! Mir scheint,
Die Sünden all, nach denen uns gelüstet,
Sind im modernen Babel auch vereint.
Mich dünkt, ihr ›beßren Menschen‹ seid im Grunde
Verlognere und klügre Heuchler nur,
Doch heimlich ganz dieselben Schweinehunde?
Dann pfeif' ich auf den ›Fortschritt der Kultur‹!
Und somit sag' ich dir: Mir kann auf Erden
Die ganze Menschheit heut gestohlen werden!«
»Das geht zu weit!« Auch mir stieg nun die Galle.
»Du bist zu dumm, um recht uns zu verstehn,
Dein neidisch Auge sieht die Fehler alle,
Das Gute willst du eben niemals sehn.
Nur auszuweichen weißt du den Debatten,
Mit Grobheit, Bester, widerlegt man nichts
Denn das begreifst du nicht: Wo vieles Licht,
Da ist natürlich auch so mancher Schatten.
Von unsrem Fortschritt hast du keinen Schimmer,
Zu kleinlich, zu beschränkt ist dein Verstand,
Trotz aller Fehler: Deutschland ist noch immer,
Gott sei's gedankt, ein kerngesundes Land!
Ich bin kein Nörgler, laß dir's nochmals sagen,
Ein Spötter nur! Jedoch ich weiß es gut,
Wir können ruhig diesen Spott vertragen,
Solang' der Drang zur Besserung nicht ruht.
Der Spötter ist ein Kämpfer, kühn und ehrlich,
Und nur der Kampf gebiert, was stolz und groß,
Dank heischt der Spott, – nur eines wär' gefährlich:
Hielt' sich die Gegenwart für tadellos!
Zu bessern gibt's noch manches sicherlich,
Und dennoch ruf' ich: Eine Lust zu leben!
Der Sturmwind braust! Die Geister regen sich! –
Von deutschen Bergen grüßen voll die Reben,
Zur Wahrheit wurde, was vor langer Zeit
Des deutschen Dichters Genius prophezeit:
Die Essen flammen und der Hammer klingt,
Auf unsren Feldern hell die Sense blinkt,
Es wogt die goldne Saat, von Segen schwer,
Und deutsche Schiffe ziehn auf fernstem Meer,
In tiefem Frieden regt sich froh das Land,
Beschirmt von unsres Herrschers starker Hand!«
»Geschwätz, Geschwätz!« rief Juvenal noch wilder,
»Mit falschen Karten nenn' ich das gespielt, –
Glaub nicht, daß du durch solche Friedensbilder
Den Eindruck mildern kannst, den ich erhielt.
Mein scharfes Urteil änderst du mit nichten,
Und wärst du noch so grob und noch so laut,
Die Unterwelt wird ebenso euch richten,
Erzähl' ich, was auf Erden ich geschaut!«
Dem Lästrer hab' ich doppelt scharf entgegnet.
Er aber war im Schelten mir voraus,
Beleidigungen hat es da geregnet!
Ein Trotzwort löste rasch das andre aus.
Wir hatten eben beide stark getrunken,
Drum ließ die Selbstbeherrschung uns im Stich,
Zuletzt sind wir vor Wut so tief gesunken,
Daß wir uns prügelten gottsjämmerlich.
Schon fühlte er ermatten seine Glieder,
Da schlug der Feigling mit geballter Hand
Mir nach der Schläfe. Mein Bewußtsein schwand,
Und röchelnd sank ich auf das Pflaster nieder …
*
Ich sank – aufs Pflaster? Ist das nicht mein Zimmer?
Bin ich behext? – Ich habe keinen Schimmer!
Ich lieg' in einem großen Weindunstpfuhl,
Quer über mir mein schwerer Sorgenstuhl,
Am Boden schlummern Gläser, Stummel, Asche,
Daneben eine halbgefüllte Flasche …
Schlug Juvenal nicht hart zu Boden mich?
Ich raff' mich auf … Wo bin ich eigentlich?
Könnt' ich nur denken! Doch die Schläfen hämmern,
Es schmerzt der Kopf, als hätt' er einen Sprung,
Ganz langsam endlich fängt es an zu dämmern,
Allmählich kommt mir die Erinnerung …
Hat mir ein guter Freund nicht edlen Wein
Inkognito heut morgen zugeschickt?
Hab' ich nicht dankbar mich daran erquickt?
Ich trank und trank … Schlief ich am Ende ein?
Doch Juvenal saß ja in diesem Raum
Bei mir am Tische! Oder war's ein Traum?
Der Witwe Cliquot töricht Gaukelspiel,
Bis ich vom Wein gezwungen niederfiel?
Wer löst mir meiner Zweifel herbe Qual!
Dich frage ich, – wo warst du, Juvenal?
Kamst du als fleischgewordenes Phantom
Zu mir, ein Meister aus dem alten Rom, –
Lagst friedlich schlummernd du die ganze Zeit
In deiner Gruft für alle Ewigkeit …?
Mit müdem Haupt sitz' ich in meiner Klause,
Die Abendsonne goldne Fäden spinnt,
Kein Laut im kühlen, laubumrankten Hause,
Mit Blatt und Blüten schmeichelnd spielt der Wind …
*