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I

Ich sitze still verträumt in meiner Klause,
Die Frühlingssonne goldne Fäden spinnt,
Kein Laut im kühlen, laubumrankten Hause,
Mit Blatt und Blüten schmeichelnd spielt der Wind.
Da horch, ein Tritt … Es läutet: »Guten Morgen!
Ein Postpaket!« … An mich? Was mag das sein?
Die Hülle ab! – In weichem Stroh geborgen
Grüßt froh mich der Champagne Perlenwein!
Wer ist der Freund, der mir solch Labsal spendet?
Trotz Grübelns bleib ich völlig ungewiß, –
Vielleicht daß »er«, der mir den Sekt gesendet,
Am Ende feminini generis?
Die Handschrift der Adresse bleibt verdächtig …
Der Teufel hol's, ich bring es nicht heraus!
Sei's wer es sei, die Gabe freut mich mächtig
Als seltner Luxus im Poetenhaus.
Mit Vorsicht sollt' ich zwar den Trunk genießen,
Denn ich vertrage schlecht den Alkohol,
Doch will ich heut die Nase mir begießen
Auf des Anonymus verehrtes Wohl.
Ein Knall! Zur Decke springt erlöst der Pfropfen
Und saust ins Tintenfaß aus lichten Höhn,
Ich schenke ein, ich schlürf', – o edler Tropfen!
Ein Laster ist der Trunk, doch wunderschön …
Schon leer? Just wo es anfängt, mir zu schmecken?
Die zweite her! Hei, wie das schäumt und gleißt!
Ich möcht' als Sybarit mal gründlich schlecken,
Gleich dem Lukull, der bei Lukullus speist.
Auch Nummer zwei geleert? So komm, du dritte,
Du jungfräuliche Königin des Weins,
heut' halt' ich es nach alter Vätersitte
Und trinke eins und immer wieder eins.
Bald heb' ich jauchzend den gefüllten Becher,
Bald atm' ich tief der Cliquot würz'gen Duft
Und schrei – schon fühl' ich mich als wackrer Zecher –
Ein übermütig »Prosit!« in die Luft.
Doch halt …! Was ist das für ein seltsam Klirren,
Als klänge leis ein Glas an meines an,
Beginnt sich mir der Geist schon zu verwirren?
Mir gegenüber sitzt ein fremder Mann!
Die Toga wallt von seinen Schultern nieder,
Mit Lorbeerzweigen ist die Stirn umlaubt,
Ist es ein Wahnbild? … Eben winkt er wieder
Und lacht mir zu und nickt mit grauem Haupt. –
»Wer bist du, Fremdling, der hier eingedrungen?«
Er spricht – die Stimme scheint mir recht jovial –,
Und wie lateinisch hat es mir geklungen:
»Carissime, ich bin's, – der Juvenal!
Es rühmte sich mein Freund Ovidius Naso,
Daß seine ›Liebeskunst‹ jetzt neu erschien
In München, Leipzig oder irgend da so
In Deutschland 'rum, vermutlich in Berlin, –
Wo dem Verleger nie die Lust vergällte
Ein Brief, der ihn nach Moabit zitiert,
Wo's nicht Zensur gibt, keine Staatsanwälte,
Wo jeder das liest, was ihm konveniert.
Er habe sich das Büchlein ausgeliehen,
Zu sehn, wie weit Gott Amor heute sei, –
Die Chose sei höchst mäßig nur gediehen,
Ganz wie in Rom, – die alte Schwindelei.
›Freund Naso‹, sagt' ich ihm, ›bedenke eben,
In diesem Punkt bleibt sich die Welt egal,
Was soll's wohl in der Liebe Neues geben?
Das, was sich ändert, ist nur die Moral.‹
Ovid, der grinst: ›So mach' dich auf die Strümpfe
Und frag den Autor, der mich neu verfaßt,
Ich wett', du siehst genau die gleichen Sümpfe,
wie du sie, Juvenal, einst so gehaßt.‹
Ich schwieg und sann … Kann denn Ovidius wissen,
Wie's wirklich aussieht in moderner Zeit?
Der Kerl war doch sein Lebelang gerissen,
Ein Renommist voll krassem Futterneid …
Ich wälzte mich von Zweifeln und von Qualen
Erfüllt so manchen endlos langen Tag,
Und schließlich knüpft' ich fester die Sandalen
Und schlüpft' hinaus aus meinem Sarkophag.
Zum Leihhaus trug ich meine letzten Spangen
Und frug mich durch zum Polizeirevier,
Die wiesen mich an das Bureau von Stangen,
Der brachte mich zum Zug … so bin ich hier!«

»Sei mir gegrüßt!« rief ich aus voller Kehle.
»Willkommen, altes Haus! Das ist famos!
Ich liebte dich schon längst aus tiefster Seele,
Denn, Juvenal, du hast das Dichten los!
Als Bädeker der römisch-alten Sitten,
Als hochmodern-antiker Realist
Ist heute noch dein Ansehn unbestritten,
Nur scheint's, du bist jetzt krasser Optimist.
Denn gar so herrlich, wie du angedeutet,
Ist nun das zwanzigste Jahrhundert nicht,
Der Schwindel, der euch einstmal ausgebeutet,
Höhnt heut uns noch mit grinsendem Gesicht.
Wohin sich auch die Blicke prüfend wenden,
Prallt man zurück und ruft: ›Das ist zu arg!‹
In allen Ecken und an allen Enden
Ist etwas faul im Staate Dänemark.
Zieht doch die Heuchelei von Sieg zu Siege
Und bricht des Nächsten Ehre, Glück und Blut,
Sie greift schon nach dem Säugling in der Wiege
Und hetzt ihm nach, bis er im Sarge ruht.
Non olet! lacht der Protz in seinem Fette,
Drückt eine Exzellenz ihm warm die Hand,
Er hält ein Mädel aus vom Hofballette –
Sein drittes Wort ist ›Gott‹ und ›Vaterland‹.
Der Gatte spricht: ›Mein Engel, sei nicht böse,
Ich muß noch aus, es tut mir furchtbar leid!‹,
Und unten harrt schon seiner die Chanteuse
Vom Cabaret, die er verehrt zurzeit.
Siehst du den Blinden dort in Lumpen frieren?
Gern gibst du reichlich, wenn das Elend fleht,
Doch wechselst du dein Heim, kann's dir passieren,
Daß er als Hauswirt schmunzelnd vor dir steht.
Ein Mädchen kenn' ich, das verschämt errötet,
Wenn einen kleinen Scherz ein Frechdachs macht,
Das hold die Mär vom Klapperstorch noch flötet –
Der ihr bereits drei Kinderchen gebracht!

»Die Bilder, die bisher in kurzen Zügen
Ich dir skizziert, sie wiegen nicht zu schwer.
Du wünschst dir schärfre Bissen? – Mit Vergnügen!
Mein Stoff ist unerschöpflich wie das Meer.

»Entrüstet flucht ein Pfäfflein früh und späte
Der Sinnenlust, die unser Blut entfacht, –
Ahnst du den Grund, warum des Pfarrers Käthe
Geheimnisvoll in ihrer Küche lacht? –
Hörst du der jungen Witwe herbes Klagen?
Sie will nicht leben ohne ihren Mann,
Und grad' ein Jahr nach jenen Schmerzenstagen
Kommt ihr zum Trost ein Zwillingspärchen an.
Dort drüben wiegt sich in der Equipage
Die blasse Schönheit, die von Steinen strahlt;
Sie hat nur hundert Mark im Monat Gage,
Wovon sie Wohnung, Schmuck und Wagen zahlt.
Siehst du den Alten in der Kirche beten?
Des Glaubens Inbrunst seine Wimper netzt,
Indes dort draußen mit Gerichtsdekreten
Er seine Mieter auf die Straße setzt.
Das Fräulein sieh dir an, das luxuriöse,
Das sich kokett in Samt und Seide dreht,
Es geht ihr trefflich, denn sie ist Masseuse, –
Die ›Lilie auf dem Felde, die nicht sät‹.
Wie jenen Kavalier das Volk bewundert,
Die Hand, wie sie von Diamanten blitzt!
Ein Matador der oberen Fünfhundert,
Wenn er mal grade nicht im Zuchthaus sitzt.
Schau den Beamten dort in Orden schimmern,
Er avanciert in seltsam kurzer Frist.
Tät' Faulheit weh, er müßt' vor Schmerzen wimmern, –
Ein Glück, das seine Frau so niedlich ist.
Dem kahlen Kopf dort bitt' ich auszuweichen:
Ein internationaler Spekulant,
Weit um den Erdball seine Fänge reichen, –
Des Mädchenhandels bester Lieferant.
Da fährt die Gräfin vor, die vielgereiste,
Wie hoheitsvoll ihr Wuchs, wie stolz ihr Tritt, –
Aus den Hotels, wo Hochgeboren speiste,
Nimmt sie die silbernen Bestecke mit.
Und nun: Der Kapitän vom Narrenschiffe!
Steh stramm! Die Brust heraus, den Leib herein!
Setzt kommt der Pächter der Moralbegriffe,
Der große Mann vom Sittlichkeitsverein!
Der läßt sich nicht von ›ekler Kunst‹ betören,
Er schießt im Übereifer Bock um Bock,
Gibt man die ›nackte‹ Wahrheit ihm zu hören,
Bums! kriegt der Ärmste einen Nervenchok!«

»Hör auf,« rief Juvenal, »mit der Beschreibung,
Du wirst zu grimmig, Bester, halte ein,
Ich glaube fast, du liebst die Übertreibung, –
Ganz so unglaublich kann es doch nicht sein!«

»Ich übertreiben? O, da muß ich bitten!
Ich schilderte, was Tag für Tag geschieht,
Ich malte photographisch unsre Sitten …
Doch da ich weiß, man glaubt nur, was man sieht,
So ziehe selbst doch durch die deutschen Gauen
Und nimm mit mir als Führer du vorlieb,
Mit eignen Augen sollst du um dich schauen.
Dich überzeugen, ob ich übertrieb.«

Ein Schmunzeln zeigten meines Freundes Züge.
»Ein flotter Bummel, ich und du, wir zwei?
Das ist ein Vorschlag, dem ich gern mich füge,
Fürwahr, ein wackres Wort! Wohlan – es sei!
Nimm Hut und Mantel, Schirm auch für den Regen,
Hier, Freund, steck dir für mich Zigarren ein, –
Die Spesen … bitt' ich, für mich auszulegen!«

»Es wird mir eine große Ehre sein!«
Beseligt sind wir uns ans Herz gesunken,
Und Juvenal hat mich halbtot gedrückt, –
Dann, als der letzte Tropfen ausgetrunken,
Sind Arm in Arm wir beide ausgerückt.


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