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III

Von neuem saß ich still in meiner Klause,
Um mich ein Sommermorgen, warm und klar,
Und sann und sann im weinumrankten Hause,
Ob all das Gestern wirklich Wahrheit war,
Gedanken, licht und dunkel, stark und nichtig –
Als plötzlich meines Freundes Stimme rief:
»Da schläft der Mensch! Na, das Geschäft ist richtig!
Schnarchst du, carissime, schon lang' so tief?«
Ich fuhr empor. Ich war allein im Zimmer,
Vergebens suchte ich nach Juvenal,
Nur dort im Laubgang zitterte ein Schimmer
Wie ein verirrter, scheuer Sonnenstrahl.
Mein Staunen unterbrach ein dröhnend Lachen,
Und siehe da, der Dichter stand vor mir:
»Du suchst das Medibumsel? Nichts zu machen! –
Sieh diese beiden Nebelkappen hier!
Sie sind famos, will einer sich verbergen,
(Zum Beispiel, wenn der Barbestand erschöpft),
Die eine hier stahl ich den sieben Zwergen,
Die zweite hab' ich Siegfried abgeknöpft.
Da nimm! Sie ist zwar etwas abgetragen
Und steht verteufelt schäbig zu Gesicht,
Doch unter Brüdern hat das nichts zu sagen,
Und, nebenbei bemerkt, – man sieht's ja nicht!«
Doch plötzlich brach er mit Begeist'rung los:
»Mensch! Gestern abend war es ganz famos!
Nie darfst Philisterseele du mir lästern
Je wiederum Berlins Bevölkerung,
Ich sage dir, im ›Wintergarten‹ gestern,
Mein alter Freund, – da wird man wieder jung!
Ich saß Parkett-Fauteuil für sechs Denare,
Vor mir ein Weib – mein Herz schlug im Galopp!
Die Haut wie Marmor, rötlich-blond die Haare,
Mit einem Wort, Verehrtester, – tipp topp!
Kaum sah in Rom ich je sowas Patentes,
Wir waren beide riesig aufgeräumt, –
Herrgott, du weißt: Amantes sunt amentes!
So hab' ich mich denn schauderhaft versäumt.
Zur Strafe für den Urlaubsübertritt
Gab Pluto heut mir keinen Schlüssel mit.
Drum muß um zehn ich in den Orkus hasten,
Sonst blühen sicher mir drei Tage Kasten.«

»Bon!« sagte ich, »das paßt in seltner Weise,
Denn mein Programm ist heut nicht allzu groß,«
Wir kippten einen Lucca auf die Reise
Und zogen Arm in Arm zum Bummel los …

Ich mußte auf der Straße auf mich achten
(Von mir zu sehen war ja keine Spur),
Erst fühlt' ich Stöße, daß die Rippen krachten,
Bald aber schuppste ich die andern nur …
»Eins fällt mir auf«, hört' Juvenal ich sagen,
»Daß fast auf jedem Platz, zu dem ich komm',
Ich eine Kirche seh' zum Himmel ragen,
Seid ihr denn wirklich in Berlin so fromm?
Wir hatten nämlich auch so manchen Tempel,
Doch unsre Frömmigkeit war nicht weither, –
Wir pfiffen meistens auf den ganzen Krempel,
Uns imponierte der Olymp nicht mehr.
Man opferte, weil es mal Tradition,
Man plauderte mit allerlei Bekannten,
Beäugelte inzwischen mit Passion
Zum Arger aller unbemannten Tanten
Die neueste Hetärensensation, –
Kurz, jedes Genre war am heiligen Ort
Vertreten, jeglicher verbotne Sport,
Die Zungen übten sich in Witz und Hohn,
Vergessen war nur eins, – die Religion.«

» Die Art des Heuchelns kann mich nicht verblüffen,«
versetzte ich auf Juvenals Bericht,
»Denn auch bei uns hier wimmelt's von Tartüffen,
So plötzlich ändern sich die Menschen nicht.
Die wenigsten, die unsre Kirchen füllen,
Treibt wahre Andacht, echter Glaube hin,
Auch ihnen steht wie euch danach der Sinn,
Sich in der Demut Lammfell einzuhüllen.
Sie schwören auf das Christentum und preisen
Das Evangelium als Quell des Heils,
Doch es durch Taten praktisch zu beweisen,
Da, lieber Freund, da hapert's größtenteils.
Sie beten: ›Herr, vergib uns unsre Schuld,
Wie wir auch unsren Schuldigem vergeben‹, –
So heißt es in der Kirche, – doch im Leben
Kennt man nicht Mitleid, Rücksicht, noch Geduld.
Die Kinder lehren sie: ›Du sollst nicht lügen‹,
Sie selber aber gaunern und betrügen.
Sie sagen: ›Herr, vor dir sind alle gleich‹,
Und meiden ängstlich den, der minder reich.
Sie hoffen, jeder Kirchgang hier auf Erden
Wird ihnen treulich angerechnet werden,
Und halten Gott für einen Handelsmann,
Den man mit Schläue auch bemogeln kann!
Und wie à conto betet seine Herde,
So betet nur per Kasse mancher Hirt,
Uns predigt er Verzicht auf dieser Erde.
Indes er selber immer fetter wird.
Die Kirche rechnet schon bei deiner Taufe,
Sie liquidiert, führst du ein Weib ins Haus,
Und aus dem Regen kommst du in die Traufe,
Stößt du einmal den letzten Seufzer aus;
Denn solltest nichts du hinterlassen haben,
Muß deine Witwe bitten um Geduld,
Dann, lieber Freund, ist's deine eigne Schuld,
Dann laß dich selber nur getrost begraben.
Wo nur die Pfaffen Menschenfreiheit wittern,
Gleich krächzen sie mit wütendem Geschrei
Und schleppen der Verleumdung Schmutz herbei,
Das Leben solchem Ketzer zu verbittern.
Sie jammern Zetermordio und Wehe
Bei dem Gedanken an gemischte Ehe
Und fluchen dem, der staatlich nur getraut;
Sie schelten seinen Bund mit zorn'ger Stirne
Konkubinat! ›Sein Weib ist eine Dirne,
Sie leben wie die Tiere!‹ heißt es laut.
Der aber, der von Schulden hart gequält
Sich aus Berechnung seine Gattin wählt,
Die Schlächtertochter, die den Herrn Baron
Sich kürt zum Manne gegen Provision,
Der Millionär, der kaum vor Asthma schnauft
Und noch als Greis ein blühend Weib sich kauft,
(Ein junges Blut, das, um sein Glück genarrt,
Von seinen Eltern selbst verschachert ward),
Sie alle schließen gottgefäll'ge Ehen, –
Falls in die Kirche sie zur Trauung gehen.
Und wie die Pfaffen vorher sich gebärden,
So herrschen sie auch über Weib und Mann,
Nie darf die Ehe je geschieden werden,
Und gehn zugrunde beide auch daran.
Umsonst läßt man sie nach Erlösung dürsten,
Was schiert sie Haß? Was schiert sie Herzeleid?
Ausnahmen machen höchstens sie bei Fürsten, –
Warum? – Da schweigt des Sängers Höflichkeit.
Als sündhaft gelten alle Lotterieen,
Und das mit Recht, denn manches fromme Schaf
Kommt so zu Mammon, den die Christen fliehen, –
Nur Kirchenlose kaufen, das ist brav!
Der Schnaps ist allen Gläubigen ein Grauen,
Ihn schuf Beelzebub, der Höllenfeind, –
Das heißt: Likör, den fromme Klöster brauen,
Ist selbstverständlich nicht damit gemeint.
Nie darfst im Gotteshaus du weltlich denken,
Das ist ein Sakrileg, – doch passioniert
Sollst du Gehör dem Kanzelredner schenken,
Der für die Landtagswahlen agitiert.
Den Nächsten sollst du lieben, ihm verzeihen,
Sollst denen Gutes tun, die dich verletzt,
Und sollst zugleich dein Ohr dem Eifrer leihen,
Der dich fanatisch auf den Bruder hetzt,
Der lamentiert: Die Welt sei grundverdorben,
Die fromme Scheu sei gänzlich ausgestorben,
An allem Schlimmen, das zum Himmel schreit,
Sei schuld allein die Sittenlosigkeit.
Wenn irgendwo die Erde bebt
Und Städte aus den Fugen hebt,
Wenn eine Überschwemmung droht,
Wenn ein Theater prasselnd loht,
Wenn ein Komet am Himmel kreist,
Wenn irgendwo ein Zug entgleist,
Wenn der Vesuv, der Ätna speit, –
Schuld ist die Sittenlosigkeit!
Noch mehr jedoch kann eines mich ergötzen
Bei diesen Stützen wahrer Religion:
So, wie sie gegen alle ›Heiden‹ Hetzen,
Hetzt Konfession auch gegen Konfession.
Die Andersgläub'gen sind die schlimmsten Feinde
Von Ewigkeiten bis zur Gegenwart,
Der Kirchhof gilt entweiht bei der Gemeinde,
Auf dem ein ›Ketzer‹ abseits ward verscharrt.
Klug wie die Schlangen, arglos wie die Tauben,
Versuchen sie die Schäflein sich zu rauben;
Weicht je einmal in evangel'schem Lande
Ein Katholik von des Gesetzes Bahn,
Ruft stolz der Protestant: ›Seht ihr die Bande,
Natürlich hat's ein Katholik getan!‹
Und ist die Mehrzahl umgekehrt katholisch
Und ein Lutherischer der Arrestant,
Wie freuen sich dann alle diabolisch:
›Da sieht man's ja! Der Schuft von Protestant!‹
Doch ist der Inkulpat, den ohn' Erbarmen
Man eingesperrt, aus oriental'schem Blut,
Liegt stolz die Christenheit sich in den Armen:
›Na selbstverständlich, wieder so ein Jud'!‹ – –
Und dennoch geht, trotz Heuchelei und Trug,
Durch unsre Zeit ein religiöser Zug.
Wir dürsten nach Erkenntnis, nach Erbauung,
Dem Glauben, der uns alle, alle eint,
Wir ringen hart um eine Weltanschauung,
Die hell bejaht, wo Pfaffenwut verneint.
Nicht fluchen wir mehr grausam, unerbittlich
Den sinnenfrohen Trieben der Natur,
Nein, – was natürlich ist, erscheint uns sittlich,
Unsittlich Lüge und Askese nur.
Uns schreckt nicht mehr das alte Ammenmärchen
Von Fegefeuer und von Höllenqual,
Wir halten nicht mehr jedes Liebespärchen
Für tiefverrucht im Namen der Moral, –
Die ›Frucht der Sünde‹ können wir nicht hassen
Und nicht das junge Weib in Scham und Leid,
Wir rufen laut: ›Dem Leben freie Gassen,
Und freie Bahnen der Barmherzigkeit!‹«

»Das hör' ich gerne!« sagte mein Begleiter.
»Ich sehe wohl, die Menschheit schreitet weiter,
Und ist das Tempo auch nicht allzu flott,
So kenn' ich doch das Wort: Festina lente,
Die zähe Kraft im Kirchenregimente, –
Erzähl mir mehr von eurem neuen Gott!«

»Hm!« machte ich bedauernd und verlegen,
»Gefunden ist der neue Gott noch nicht,
Man sucht ihn noch auf gar verschiednen Wegen,
Und viele führen leider nicht zum Licht.
Tagtäglich fast entstehen neue Sekten,
Die der fanat'schen Überzeugung sind,
Daß sie allein den Quell des Heils entdeckten,
Und daß die andre Menschheit taub und blind.
Was wird für Unsinn nicht der Welt verkündet
Und findet doch sein gläubig Publikum,
Was für ›Gemeinden‹ wurden schon gegründet,
Was für ›Propheten‹ laufen nicht herum!
Die tolle Sekte ist von dieser Sorte,
Die unbekümmert, wo der Kranke weilt,
Durch Beten gegen Geld und gute Worte
Die unheilbarste Krankheit gründlich heilt.
Hast du in Japan dir den Fuß vertreten,
Biß in Marokko dich ein toller Hund,
So laß nur in Chicago für dich beten, –
Und hilft es dir, wirst du bestimmt gesund.
Du brauchst noch nicht mal nach Chicago schreiben,
Auch hier bei uns triffst du die Leute an,
Die dieses recht rentable Handwerk treiben, –
Berlin ist ja in allem vornean.
Nimmt vor den Betern – wie es meist geschehen –
Der sündige Bazillus nicht Reißaus,
Mußt du zum Doktor Philadelphiae gehen,
Der treibt dein Leiden dir magnetisch aus;
Das heißt: Es treibt nicht aus, es treibt nach innen
Dir die exotische Kapazität
Dein Leiden, bis es nie mehr weicht von hinnen,
Als sei die Krankheit Eisen, du – Magnet.
Doch glaube etwa nicht, daß als Patienten
Die Dummen nur zu solchem Pfuscher gehn,
Du kannst da viele Auch-Intelligenten
In Scharen in dem Wartezimmer sehn.
Dem Arzt sich anvertrauen? Kein Gedanke!
Naturheilkraft ist jetzt die Panazee,
Und findet nicht Erleichterung der Kranke,
So findet sie doch stets sein Portemonnaie.
Erst wenn er fühlt, er ist des Todes Beute,
Dann geht's zum Arzt, ob der noch helfen kann.
Und ist's zu spät, so heißt's: ›Da seht ihr, Leute,
Ein Scharlatan ist der studierte Mann!‹
Die Menschen lassen sich den Wahn nicht rauben,
Daß überall die Geister spielen mit,
Vom Überglauben bis zum Aberglauben
Ist heut noch immer nur ein kleiner Schritt.
Sie glauben ständig an geheimes Walten,
An seltne Kräfte in des Henkers Strick,
Die kranken Kühe für verhext sie halten
Und schaudern vor der Vettel bösem Blick.
Noch jetzt kannst du verliebte Leute schauen,
Die von der Qual der Eifersucht erdrückt
Beim Vollmondscheine Liebestränke brauen
Und Sprüche murmeln, die total verrückt;
Noch immer gibt es aufgeklärte Geister,
Der wundermächt'gen Zauberwurzel Meister,
Die nächtlich nach verborgnen Schätzen graben
Und morgens nichts als – einen Schnupfen haben.
Das höchste aber scheint an Kretinismus
Mir doch die Lehre von dem Spiritismus;
Die Seelen jener, die im Grabe ruh'n,
Die haben ja nichts Besseres zu tun,
Bis den Böotiern, die auf Erden fragen,
Auf ihren Quatsch sofort Bescheid zu sagen.
Da soll Napoleons Genie entscheiden,
Ob Fräulein Müller rote Blusen kleiden,
Und Herr Geheimrat Goethe muß verraten,
Ob Zwiebeln er gewünscht am Hammelbraten.
Meist telefunkt der Geist zwar unterm Tisch
Nur par distance durch abgezähltes Pochen,
Doch manchmal wird er auch gebieterisch
Höchstselbst herbeizitiert mit Haut und Knochen.
Dann gibt's bisweilen richt'ge Kirmeßgaudi,
Er schmeißt mit Blumen, Stuhl und Kanapee,
Kurz, er benimmt sich wie ein richt'ger Rowdy, –
Verbunden wird man in der Charité.
Genau so geistvoll ist das Traumauslegen
Das bei euch alten Römern schon grassiert,
Träumst du von Käse, heißt das Kindersegen,
Träumst du von Kuhmist, wirst du dekoriert.
Zwar wird ein gutes Traumbuch nie versagen,
Es deutet dir der Träume tiefsten Sinn, –
Nur daß die Menschen, die solch Buch befragen,
Komplette Narren sind, steht nicht darin.
Daneben wurzeln andere Systeme,
Wie Kartenlegen, noch im Volke fest,
Ja, selbst der Kaffeesatz enthält Probleme,
Die unsre Weisheit sich nicht träumen läßt.
Der Freitag gilt als Tag voll böser Tücken,
Kein Aberglauben ist das, keine Mär,
An diesem Tag wird dir bestimmt mißglücken,
Was auch am Samstag dir mißraten wär'.
Das Kindchen, das am Sonntag ward geboren,
Wird stets ein Glückspilz sein, ein Sonnenkind, –
Das heißt, falls es sich Eltern auserkoren,
Die reich, gesund und guten Herzens sind.
Eins weiß ein jeder, wenn zu Abend schmaust er
Mit zwölf am Tisch, droht allen die Gefahr:
Reicht man als ersten Gang verdorbne Auster,
Stirbt einer, – wenn nicht alle dreizehn gar.
Den Weidmann wird es ungemein verdrießen
Trifft auf der Pürsch ein altes Weib er an,
Dann wird er stets ein Loch ins Blaue schießen, –
Sofern er überhaupt nicht schießen kann.
Die Linien deiner Hand sind äußerst wichtig,
Der Aberglaube legt viel wett darauf,
Denn diese Runen sie verkünden richtig
Für jeden Kenner deinen Lebenslauf.
Zum Beispiel kann ich dem es prophezeien,
Der an der linken Hand den Goldreif trägt,
Das ihm vom Schicksal vorbestimmt zu freien, –
Falls er sich nicht die Sache überlegt.
Sogar die Handschrift deutet mir dein Wesen,
In keinem Falle mißglückt mir der Versuch,
Ich brauche wen'ge Zeilen nur zu lesen
Und kenn' dich wie ein aufgeschlagnes Buch.
Schreibst du ›Kamehl‹, so künd' ich auf der Stelle,
Daß du das Geld für Bücher lieber sparst,
Und schreibst du deiner Liebsten: ›Madmaselle‹,
So weiß ich, daß du nie in Frankreich warst.
Und gar …«

»Verzeih, in meinen Heidensünden
Starb ich vor fast zweitausend Jahren schon,
Nun kam ich her, im Hades zu verkünden
Den Fortschritt eurer Zivilisation.
Doch was ich seh', was ich von dir muß hören –
Ich hab's heut früh mir sorgsam überdacht –,
Kann mich begeistern nicht, mich nicht betören
Zum Lob, wie ihr's so herrlich weit gebracht.
Darf ich auch nur als Laie mit dir plaudern,
Bin ich in vielem auch nicht kompetent,
Das muß ich dir gestehn: Mich läßt erschaudern
Das Monstrum, das sich heut Kulturmensch nennt.
Stupidität und Blödsinn überwiegen,
So teilnahmslos die Massen, stumm und trist,
Sollt' es vielleicht an der Erziehung liegen,
Daß nicht schon längst die Menschheit weiter ist?«

»Was die Erziehung anbetrifft der Knaben,«
Versetzte ich, »so magst du recht schon haben;
Ich muß zu meinem Schmerz beschämt gestehn:
Es ließe vieles besser sich gestalten, –
Jedoch was soll ich dir erst Vortrag halten?
Komm mit, so kannst du alles selber sehn!«

Wir traten lautlos in die nächste Schule
Und lehnten unsichtbar uns an die Wand;
Steif wie ein Buddha saß auf seinem Stuhle
Der Lehrer, seinen Kommentar zur Hand,
Und fing in seinem blanken Bratenrocke
Den armen Jungen zu dozieren an,
Was man aus Schillers Meisterwerk, der »Glocke«,
Grammatikalisch alles lernen kann.
Unendlich strömte seiner Weisheit Quelle,
Er schilderte ausführlich und beredt,
Warum an dieser oder jener Stelle
Ein Komma und kein Semikolon steht.
Er ließ – mich packte innerlich ein Grauen
Ob solcher literar'schen Freveltat –
Aus Schillers Versen Mustersätze bauen
Mit Hauptwort, Umstandswort und Prädikat.
Dann, um der Schüler Ethik zu vermehren,
Zog aus dem Text er salbungsvolle Lehren
Und predigte inbrünstiglich Moral:
Daß nimmermehr die Wohlfahrt könnt' gedeihen,
Wenn sich die bösen Völker selbst befreien,
Betonte ziemlich er ein dutzendmal.
Er kommentierte gründlich jede Zeile,
Die Schüler schnarchten laut vor Langeweile,
Und das war sehr begreiflich in der Tat;
Nur hinten in der allerletzten Reihe,
Da spielten, um sich wach zu halten, dreie
Im Schweiße Ihres Angesichtes Skat.
So riß zu meinem ehrlichen Entsetzen
Der Mensch das wundervolle Lied in Fetzen
Mit Tüftelei und Wörterklauberei
Und frug zum Schluß: »Kannst du mir sagen, Meier,
Warum reißt bei des Lebens schönster Feier
Gleichzeitig mit dem Gürtel und dem Schleier,
Wie Schiller sagt, der schöne Wahn entzwei?«
Vor Lachen hat sich Juvenal getrudelt,
Ich aber fluchte wütend insgeheim
Und sprach: »So wird die Jugend uns verhudelt,
Der Dichtung Glanz banausisch ihr besudelt,
Und jeder Schönheitssinn erstickt im Keim.
O diese pädagog'schen Kellerasseln!
Statt daß der Klasse solcher Tag ein Fest,
Lernt sie das Lied mechanisch 'runterrasseln,
Und wer zu klug dazu, der kriegt Arrest.
Das ist ja das entsetzliche Verhängnis,
Die Muckerluft, die heut noch bei uns weht,
Sie degradiert die Schule zum Gefängnis,
In das das Kind mit Zähneknirschen geht.
Und falls noch obendrein die armen Knaben
Verknöcherte, stupide Eltern haben,
Die sie zuschanden prügeln, tief verletzt,
Wenn ihre Sprößlinge mal nicht versetzt,
Dann muß die Lust zum Leben wohl vergehen,
Und auch ein Römer wird's vielleicht verstehen,
Wenn solch ein junges Herz den Mut verliert,
Der Kinderselbstmord immer mehr grassiert.
Du kannst mir's glauben: Ich, der doch schon lange –
Gott sei's gedankt! – der Schulgewalt entfloh'n,
Ich träum' noch heut, ich wär' ein kleiner Range
Und stände wieder unter dieser Fron,
Und hilflos knirsch' ich wieder mit den Zähnen
Und haß' den Mann, der mich mit Drillen plagt,
Und wein' im Traum von neuem heiße Tränen,
Bis ich erwache, fiebernd, angstgejagt …«

Der Herr Professor hörte unser Flüstern
(Ich sprach im Zorn wohl lauter, als ich wollte).
Inquisitorisch blähte er die Nüstern
Und rief, indem er wild die Augen rollte:
»Ihr sittenlosen, ganz verkommnen Jungen!
Indes ein Meisterwerk der Lit'ratur
Vor euren Eselsohren hier erklungen,
Schwatzt frech dahinten eine Kreatur!
Ihr seid es gar nicht wert, ihr Höllenstrunke,
Daß Schiller uns geschenkt ein solch Gedicht, –
Du warst es, Cohn! Die ›Glocke‹ schreibst, Halunke,
Du zehnmal ab mit Inhaltsübersicht!«

»Nu, aber raus! Der Mensch hat keinen Schimmer!«,
Rief Juvenal, »ich hab' genug für heut!«
Ich aber zog ihn in ein Klassenzimmer,
Wo den Primanern wurde eingebleut
Der Römerzeit gewaltige Geschichte.
Das hat uns riesig beide int'ressiert,
Doch ach! Ich sah an Juvenals Gesichte,
Daß ihm die Sache wenig imponiert.
»Total gefälscht, verworren und verschwommen!«,
Rief er nach kurzem Tauschen tief empört,
»Wie soll ein Kind ein Bild von Rom bekommen,
Wenn es solch blödes Wischiwaschi hört?
Der haust ja schlimmer noch, als die Vandalen!« –
Ich lächelte und meinte: »Nicht so heiß!
Der Schwerpunkt liegt doch in den Jahreszahlen,
Wenn nur die Oberprima diese weiß!
Dein Standpunkt ist verkehrt, er macht mich lachen.
Du meinst, der Schule höchster Ehrgeiz ist,
Die Jugend klug und wissensfroh zu machen?
Was bist du, Bester, für ein Optimist!
Zu Strebern wird die Jugend hier erzogen,
Das Lachen wird verfolgt, bestraft, gehaßt,
Herz und Gemüt sind für die Pädagogen
Zwei Dinge, die der Lehrplan nicht umfaßt.
›Was fragst du, Narr! Setz dich! Lern die Vokabeln!‹
So wird des Kinder Wißbegier verhöhnt,
Talent? Begabung? Unsinn! Weiberfabeln!
Was nicht im Schulbuch steht, ist streng verpönt.
Wohl fühlt sich einer zur Physik gezogen,
Der andre zeichnet wieder ganz famos,
Der dritte inkliniert zum Philologen,
Ein vierter hat das Rechnen trefflich los,
Ein fünfter eignet sich zum Advokaten,
Schriftsteller wird ein sechster sicherlich,
Ein siebenter hat sichtlich zum Soldaten,
Zum künft'gen Feldmarschall das Zeug in sich, –
Das alles ist dem Herrn Professor schnuppe!
Aus jedem macht nach üblichem Rezept
Er ganz dieselbe wohldressierte Puppe,
Die er im Halbschlaf zum Maturum schleppt.
Wie viele Hoffnung wird hier jäh vernichtet,
Wie manche zarte Knospe roh geknickt,
Wie viel Begabung wird zugrund' gerichtet,
Wie viele Lebenslust im Keim erstickt!
Sieh sie dir an, gedrückt, geplagt, ergeben,
Gab's das im alten Rom und in Athen?
Schon müde, eh' sie treten in das Leben,
Kurzsichtig, – eh' sie noch was Recht's gesehn!
Da sitzen sie im dicken Moderduft, –
Luft brauchen sie! Zum Kuckuck, frische Luft!«

»Die brauch' ich auch!« schrie Juvenal. »Die Hitze!
Wie ich in dieser Nebelkappe schwitze!
Auch ist die Atmosphäre hier zu schlecht.
Die Beine tun mir weh vom langen Stehen,
Laß uns zur Stehbierhalle 'rübergehen
Und uns ein Schöppchen leisten!«

»Mir ist 's recht!«

Wir saßen, bis die Müdigkeit gewichen,
Bei Aschinger. Mein Freund in größter Ruh'
Verzehrte eine Wurst, mit Senf bestrichen.
Und aß umsonst zwölf Brötchen rasch dazu.
Dann sprach er, als er innehielt mit Kauen:
»Schimpf noch ein bißchen! Erstens ist's modern,
Des weitern läßt sich's gut dabei verdauen,
Und drittens hör' ich's für mein Leben gern.
Nach Deiner Schild'rung ist die Schule pleite,
Und ihr gebührt ein kräftig Pereat,
Doch mein' ich, bester Freund, auch diesmal hat
Noch die Medaille eine andere Seite.
Ein Zorniger wird leicht ein Ungerechter,
Der, ohne daß es Absicht ist, verdreht, –
Am Ende geht's dem Lehrer selbst noch schlechter,
Als es den Kindern in der Klasse geht?«

»Da hast du recht! Mich dauern unsre Lehrer,
Mit stillem Grimm gestehe ich dir ein,
Ich möchte wahrlich lieber Gassenkehrer,
Als hierzulande Volksschullehrer sein.
Den ganzen lieben Tag in harter Frone,
Ein Pionier und Opfer der Kultur,
Bezahlung schäbig, unter der Kanone,
Als Ruhgehalt ein elend Trinkgeld nur.
Und Doppelt schwer hat's jener, der es ehrlich,
Der's wahrhaft gut mit seinen Schülern meint,
Ein solcher echter Jugendbildner scheint
Den hohen Vorgesetzten staatsgefährlich.
Beim ersten Anlaß geht's ihm an den Kragen,
Am eignen Leib erfährt er (wie es heißt
So schön im Faust): ›Das Beste, was du weißt,
Darfst du den Buben doch nicht sagen!‹
Wenn einer vor dem Pfarrer sich nicht duckt
Und gegen ihn nur im geringsten muckt,
Wenn frei er denkt und deshalb freier lehrt,
Als Hochehrwürden es von ihm begehrt,
So nennt man das: Die Jugend frech verführen!,
Und schleunigst muß der Mann sein Bündel schnüren.
Die Schwarzen wissen: haben wir die Schule
Erst unter unsre Eisenfaust gebracht,
Sitzt unser Geist erst auf dem Rektorstuhle,
Dann Wahrheit, Fortschritt, Eintracht: Gute Nacht!
Daß Menschen friedlich beieinander wohnen,
Ist dieser Dunkelmänner herbstes Leid,
Drum wollen trennen sie die Konfessionen
Schon auf der Schulbank, noch im Kinderkleid.
Und deshalb kriecht aus dem Intrigenpfuhle
Die kecke Lüge seit Jahrzehnten schon:
Das wahre Ziel der simultanen Schule
Sei Krieg dem Gott und Krieg der Religion!
Die Kinderchen erziehe sie zu Heiden,
Mit Keulen schlüge sie den Glauben tot, –
Die Wahrheit ist: Sie können sie nicht leiden,
Weil sie am schärfsten ihre Macht bedroht.
Ums deutsche Schulhaus flattern so die Raben,
Die Schnäbel wetzend für den Leichenschmaus,
Bei Gott, – die Schule, die wir nötig haben,
Sieht anders, als die Schwarzen planen, aus.
In dieser Schule gibt es keine Zimmer,
Wo ängstlich wird dem hellen Sonnenschimmer
Der Eintritt in das Kinderherz verwehrt;
Da gibt's nicht Räume voller Dunst und Schimmel,
Nein, unter Gottes freiem blauen Himmel
Wird klug und liebevoll das Kind belehrt.
Da wird nicht Angst und Schaudern mehr empfunden,
Die Kinder freuen sich auf ihre Stunden
Und lernen doppelt viel und doppelt leicht,
Weiß doch der Lehrer selbst die schwersten Sachen
Begreiflich, klar und int'ressant zu machen,
So daß die Arbeit fast dem Spiele gleicht.
Verbannt ist, was der Jugend höchster Schrecken,
Das grobe Wort, Arrest und harter Stecken,
Der Lehrer ist ein Freund der jungen Schar;
Die Mädels und die Knaben all, die strammen,
Die sitzen auf derselben Bank zusammen,
Die Backen rot, die Augen hell und klar.
Da wird erfaßt und nicht mehr eingedrillt,
Und fragt ein Kind den Lehrer lernbeflissen,
So heißt es nicht: ›Das brauchst du nicht zu wissen!‹
Geduldig wird sein Bildungsdurst gestillt.
Und alle Konfessionen sind vereinigt,
Da wird kein Kind von anderen gesteinigt,
Denn alle haben dort einander lieb;
Keins wird im andern einen Ketzer sehen,
Weil sie nicht in die gleiche Kirche gehen
Und jedes treu dem Elternglauben blieb.
Dann gilt bei keinem mehr als ungebührlich
Und sittenlos, was gut ist und natürlich,
Kein Klassiker wird mehr ›gereinigt‹ dann;
Da gibt's kein freches Wort, kein scheues Flüstern,
Die Jungen schauen nicht mehr keck und lüstern,
Nein, rein und ehrfurchtsvoll die Mädchen an.
Der Lehrer selbst wird suchen, sie beizeiten
In der Natur Geheimnis einzuleiten
Mit ernster, liebevoller Vaterhand;
Nicht heimlich mehr von unberufnen Leuten,
Die häßlich und gemein das Wunder deuten,
Erfährt die Jugend, wie sie einst entstand.
Schulhaus und Elternhaus sind eng verbunden;
Die Heimat, die die Kinder dort gefunden,
Die finden hier sie freudig abermals,
Und wie sie nach der Eltern Lieb' begehren,
So werden sie den Lehrer dankbar ehren,
Den Hüter ihres Jugendideals!«

»Ei, ei! Was phantasierst du da so fleißig!«
Rief Juvenal. »Dein Eifer sei bezähmt!
Ich bin bereits beim Brötchen Nummer dreißig,
Noch mehr zu futtern wär' wohl unverschämt.
He, Kellner! hierher! – Lieber Freund, bezahle!
Für mich nur eine Wurst! Dann durch die Stadt
Gehn wir zur nächsten Aschinger-Filiale,
Denn – unter uns – ganz bin ich noch nicht satt!«

Wir wanden uns durch des Lokales Enge
Und waren ein paar Schritte kaum spaziert,
Als plötzlich mitten in der Menschenmenge
Ein junger Herr mich aufhält im Gedränge
Und kräht: »Äh – Äh –, Sie haben mich fixiert!«
Ich musterte das Bürschlein, das erboste,
Und sprach: »Nanu? Sie sind nicht recht bei Troste!
Das tat ich nicht, – Sie haben wohl geträumt!
Ich muß zu Ihrem Schmerze eingestehen,
Ich habe Sie vollständig übersehen
Und offenbar auch nichts dabei versäumt.
Denn – denken Sie! –, mein Herrchen, mein verehrtes,
An Ihnen ist durchaus nichts Sehenswertes!
Sie haben zwar auf ihrer linken Wange
Den standesmäßig schlechtverheilten Schmiß
Und halten ihn in ihrem Jugenddrange
Für eine hehre Manneszier gewiß, –
Ich aber muß ihr Selbstbewußtsein dämpfen:
Nach meiner Ansicht zeugt's von größrem Mut,
Gewisse Vorurteile zu bekämpfen,
Wie es der Gegner der Mensuren tut.
Sie sind entsetzt natürlich ob der Lehre,
Die ich verkünde, – denn als Korpsstudent
Besitzen Sie ja eine höh're Ehre,
Als unsereiner sie sein eigen nennt.
Ich bin sogar nicht einmal Burschenschafter,
Ja, denken Sie, ich habe nie studiert,
Und doch dünkt meine Ehr' mir dauerhafter
Als die, mit der Sie eben kokettiert:
Sie ist von andern völlig unabhängig,
Sie ist von außen völlig unzugängig
Und lacht der ›Traditionen‹ inniglich,
Kein Ehrenrat und kein Gericht entscheidet,
Wann meine Ehre einen Schaden leidet,
Denn das weiß einer nur, und der – bin ich!«

Ich sprach und sprach und hätte wohl noch Stunden
Dem jungen Mann den Standpunkt klar gemacht,
Wär' er nicht plötzlich unbemerkt verschwunden,
Worüber sich mein Freund halbkrank gelacht:
»Kaum kann ich meinen eignen Augen trauen,
Es wundert mich, daß der nicht zugehauen …«

»Wie? Korps und Holzkomment! Ganz ausgeschlossen!
Auch hat's der Jüngling eben nicht gewagt, –
Sieh hier mal diese beiden Vorderflossen.
Da sprießt kein Veilchen, – wie der Volksmund sagt.
Kommt solchem Fex ein Stärkrer in die Quere,
So denkt er naserümpfend: ›Der Bandit
Ist für mich Luft!‹ – worauf aus der Affäre
Er affenartig schnell sich rückwärts zieht.«

Allmählich erst kam Juvenal zu Worte
vor Staunen über diese jungen Herrn
Und frug: »Ist dieses Spezies jetzt modern?
Gibt es noch mehr von der famosen Sorte?«

»Sprich nicht gering von diesem Musterknaben«,
Ermahnte ich den alten Juvenal.
»Er ist der Schlimmste wahrlich nicht! Wir haben
Die Typen leider noch in großer Zahl.
Ich mach' wahrhaftig keine faulen Witze, –
Sieh dir sie gründlich an und lerne draus:
So sehen Deutschlands künft'ge Größen aus,
Die Exzellenzen an des Reiches Spitze!
Sie sind des Staates teure Lieblingssöhne;
Wer für das Edle, Wahre, Schöne
Beim Korps mit Inbrunst kontrahiert,
Der avanciert, – der avanciert.

Und immer tiefer sieht mit Grausen
Er auf die übrigen Banausen,
Die damit nur, daß sie mit Fleiß studieren
Und Rechtes lernen, ihre Zeit verlieren,
Die nie ›pro gloria‹ den Schläger schwingen,
Beschwiemelt nie den Landesvater singen.
Denn paragraphisch ist der Suff geregelt,
Streng nach Komment verläuft die Kneiperei,
Und wer als letzter auf den Boden kegelt,
Der ist der Heros seiner Kumpanei.
Wer unentwegt sich abgestumpft den Magen,
Bis er unmenschlich Alkohol verträgt,
Wer die gewagtsten Mikosch-Witze prägt,
Darf als Chargierter seine Farben tragen.
Ich weiß, der Studio ist kein Philister,
Er ist noch jung, und Jugend tobt sich aus,
Und nur das eine tadle ich, vergißt er
Des Lebens ernstes Ziel im Saus und Braus.
Das gilt für alle! Denn nicht nur Studenten
Betreiben unverständig den Komment,
Auch anderweitig gibt es Int'ressenten
Für dieses törichte ›Amüsement‹.
Die Herrn Kommis, die bilden auch Vereine
Und mimen den Komment mit Ach und Weh,
Sie imitieren kläglich den S.-C.
Und brechen stolz und männlich wie die Schweine.
Sie lieben es, mit Mützen sich zu kleiden,
Sie lassen vom Barbier für schweres Geld
Sich beim Rasieren in die Wange schneiden
Und prunken mit dem ›Schmiß‹ vor aller Welt.
Um Samstag handeln sie mit Seife, Kerzen,
Stehn sie im Herings-, Kaffee-, Käseduft,
Und Sonntags draußen schlagen in die Luft
Mit ihren Stöcken Quarten sie und Terzen …
Ach! Die Vereine sind ein deutsches Laster,
Laß nur drei Deutsche wo beisammen sein,
So ist das Resultat stets ein Verein,
Wo man bei schalem Bier und schlechtem Knaster
Zunächst sich heftig zankt um das Statut,
Und jeder Bonze furchtbar wichtig tut.
In jedem neuen Jahr zum Stiftungsfeste
Empfängt im Schärpenschmuck man seine Gäste,
Verzapft mit feuchten Augen Festgedichte,
Spielt Stücke aus des Vaterlands Geschichte,
Hält Reden, daß die Fensterscheibe klirrt,
Bis allen schwarz es vor den Augen schwirrt;
Läßt von den Jungfrau'n eine Fahne sticken,
Taxiert des Nächsten Frau mit plumpen Blicken,
Steht, wenn Durchlaucht durchs Städtchen reist, Spalier
Und trinkt vor allem Bier und nochmals Bier.
Wer hierzulande schießen kann, wer kegelt,
Wer radelt, fußballt, rudert oder segelt,
Wer in Thaliens Kunst sich gerne zeigt,
Wer singt und bläst, wer klimpert, dudelt, geigt,
Wer Skat, wer Schach spielt, Tabak raucht und schnupft,
Wer Pilze sammelt, in das Schwimmbad hupft,
Wünscht, daß man sein Talent gebührend feiert,
Und ergo wird drauf los – vereinsgemeiert.«

»Oho! Da bin ich völlig andrer Meinung!
Ich finde höchst erfreulich die Erscheinung,«
Fiel Juvenal verweisend mir ins Wort.
»Ich schätze außerordentlich den Sport.
Mag man mit Recht auch manchen Auswuchs rügen,
So gönn' man doch den Leuten ihr Vergnügen,
Dem röm'schen Spruche stimm' ein jeder bei:
›In sano corpore mens sana‹ sei!«

»Ich danke schön für deine weisen Worte,«
Versetzte ich ein wenig ärgerlich,
»Ich schätze selbst, was gut und schön am Sporte,
Und dieses eine nur bekämpfe ich,
Daß ihm verständnislos die Jugend fröne,
Daß er direkt zum Unfug artet aus, –
Wie vielen Eltern brachte schon die Söhne
Man mit zerbrochnen Gliedern in das Haus!
Kennst du denn nicht den Bergfex, der verwegen
Nur das Gebirge ›nimmt‹, das voll Gefahr,
Die Zinne, wo kein andrer vor ihm war,
Der führerlos dem Tode geht entgegen?
Da ist der Fußballspieler! Wie ein Wilder
Stürmt er ins Feld mit wütendem Geschrei,
Man sieht bei diesem Sport mitunter Bilder,
Wie bei der schönsten Bauernkeilerei.
Die Sonntagsjäger, wie mich die verdrießen,
Sie, die des edlen Sports Karikatur!
Das Wild, das pflegen weidwund sie zu schießen,
Im Feuer bleibt der arme Treiber nur.
Kaum ist der Rennsport um ein Härchen besser:
Was hat mit Wein und Spiel und andren Dingen
Zu schaffen unsres Vollbluts stolzes Ringen? –
Jedoch die wüsten Kilometerfresser,
Die Autosportler hab' ich sicherlich
Von allen doch am meisten auf dem Strich,
Wenn rücksichtslos vorbei sie an dem Volke,
Wie Jupiter gehüllt in eine Wolke,
Mit wahrhaft infernalischem Gestank,
Mit lautem Knattern und mit Huppe-Blasen
Gleich wilden Teufeln durch die Straßen rasen,
Als wären sie im Oberstübchen krank, –
Dann fragt der Wanderer, der aufgebracht,
Um sich zu retten, in den Graben sprang:
Ist heut denn Trumpf geschäft'ger Müßiggang?
Hat diese Bande denn die Welt in Pacht? –
Nicht weil ich gift'gen Neid im Herzen hege,
Bin ich dem Schnauferlsport so wenig hold;
Jedoch ich meine: wenn ihr sausen wollt,
So baut gefälligst euch doch Extrawege!
Baut eigne Bahnen, wie's die Radler taten,
Und gönnt dem schlichtem Manne seine Ruh',
Schützt ihn vor Staub und Schreck und Attentaten,
Ihr habt ja, denk' ich, Geld genug dazu!
Und habt ihr Sehnsucht nach Pokal und Kränzen
In internationalen Konkurrenzen,
Wo hart am Abgrund wächst als Siegespreis
Das heißbegehrte grüne Lorbeerreis,
Wo Tod und Leben schwebt auf Messers Schneide
Und mancher seinen Wahnsinn sterbend büßte, –
So geht nur nach der Lüneburger Heide,
Wie Fürst Borghese durch die China-Wüste,
Setzt über zur Prärie des wilden Westens, –
Wir Städter danken für die Ehre bestens!«

– Pardauz! Ein »Halt!«, ein Schrei, ein lautes Krachen!
Ich fuhr zurück, – was ist denn da passiert?
Ein Auto hat uns just karamboliert,
Ich sah schon fern sich's aus dem Staube machen.
Gottlob! Ich kam davon mit bloßem Schrecken!
Wo aber mochte mein Begleiter stecken?
Ich sucht' ihn überall, von Angst gepackt.
Hat ihn das Auto zu Ragout zerhackt?
Ward er gleich Max und Moritz wie ein Kuchen
Ganz platt gewalzt? Wo soll ich Ärmster suchen,
Wie soll ich wissen, was dem Freund geschah?
Ich suchte – suchte, – doch er war nicht da.
»He, Juvenal«, so schrie ich, »Juvenaaal!«, –
Er war und blieb zu meiner Qual verschwunden,
Doch hatte schnell sich eine Menschenzahl,
Neugierig, wer da brüllte, eingefunden,
Die immer stärker den Verkehr beengte,
Mit Witzen übergoß mich armen Schelm,
Bis sich ein Schutzmann mit dem blanken Helm
Und: »Platz da!« durch die dichte Menge drängte.
Er schnob mich an, als wollt' er gleich mich fressen,
Doch als ich ihm berichtet den Verlauf,
Da mustert er mich würdig und gemessen,
Nahm sein Notizbuch vor und – schrieb mich auf.
Dann ließ er mich als Missetäter stehen
Und herrschte: »Vorwärts, Leute! Weiter gehen!«
Ich aber schlich mit finsterem Gemüte
Nach Haus in meiner Sünden Maienblüte …


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