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Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte; rufe ich mir aber alles das ins Gedächtnis zurück, was sie mir schon in meiner frühesten Jugend von ihm erzählte, so muß ich wohl glauben, daß es ein mit tiefen Kenntnissen begabter, lebenskluger Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter über ihr früheres Leben, die mir erst später verständlich worden, weiß ich, daß meine Eltern von einem bequemen Leben, welches sie im Besitz vielen Reichtums führten, herabsanken in die drückendste bitterste Armut und daß mein Vater, einst durch den Satan verlockt zum versuchten Frevel, eine Todsünde beging, die er, als ihn in späten Jahren die Gnade Gottes erleuchtete, abbüßen wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, daß diese nicht unfruchtbar bleiben würde, wie mein Vater befürchtet, und seiner Dürftigkeit unerachtet war er hoch erfreut, weil nun eine Vision in Erfüllung gehen sollte, in welcher ihm der heilige Bernardus Trost und Vergebung der Sünde durch die Geburt eines Sohnes zugesichert hatte. In der heiligen Linde erkrankte mein Vater, und je weniger er die vorgeschriebenen beschwerlichen Andachtsübungen seiner Schwäche unerachtet aussetzen wollte, desto mehr nahm das Übel überhand; er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als ich geboren wurde. Mit dem ersten Bewußtsein dämmern in mir die lieblichen Bilder von dem Kloster und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf. Mich umtauscht noch der dunkle Wald – mich umduften noch die üppig aufgekeimten Gräser, die bunten Blumen, die meine Wiege waren. Kein giftiges Tier, kein schädliches Insekt nistet in dem Heiligtum der Gebenedeiten; nicht das Sumsen einer Fliege, nicht das Zirpen des Heimchens unterbricht die heilige Stille, in der nur die frommen Gesänge der Priester erhalten, die, mit den Pilgern goldne Weihrauchfässer schwingend, aus denen der Duft des Weihrauchopfers emporsteigt, in langen Zügen daherziehen. Noch sehe ich mitten in der Kirche den mit Silber überzogenen Stamm der Linde, auf welche die Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel – der Heiligen – von den Wänden, von der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster, wo ihrem tiefsten Schmerz gnadenreicher Trost zuteil wurde, sind so in mein Innres gedrungen, daß ich alles selbst gesehen, selbst erfahren zu haben glaube, unerachtet es unmöglich ist, daß meine Erinnerung so weit hinausreicht, da meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – So ist es mir, als hätte ich selbst einmal in der öden Kirche die wunderbare Gestalt eines ernsten Mannes gesehen, und es sei eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit, als eben die Kirche gebaut, erschien, dessen Sprache niemand verstehen konnte und der mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das herrlichste ausmalte, dann aber, als er fertig geworden, wieder verschwand. So gedenke ich ferner noch eines alten fremdartig gekleideten Pilgers mit langem grauem Barte, der mich oft auf den Armen umhertrug, im Walde allerlei bunte Moose und Steine suchte und mit mir spielte; unerachtet ich gewiß glaube, daß nur aus der Beschreibung meiner Mutter sich im Innern sein lebhaftes Bild erzeugt hat. Er brachte einmal einen fremden, wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Und herzend und küssend, saßen wir im Grase, ich schenkte ihm alle meine bunten Steine, und er wußte damit allerlei Figuren auf dem Erdboden zu ordnen, aber immer bildete sich daraus zuletzt die Gestalt des Kreuzes. Meine Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank, und der Alte schaute, hinter ihr stehend, mit mildem Ernst unsern kindischen Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch, die, nach ihrer Kleidung und nach ihrem ganzen Wesen zu urteilen, wohl nur aus Neugierde und Schaulust nach der heiligen Linde gekommen waren. Einer von ihnen riet, indem er uns gewahr wurde, lachend: »Sie da! eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!« – Er zog wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an, uns zu zeichnen, da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig: »Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe; aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst, und du wirst wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eigenen Armseligkeit.« – Die Jünglinge eilten bestürzt von dannen. Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter: »Ich habe Euch heute ein wunderbares Kind gebracht, damit es in Eurem Sohn den Funken der Liebe entzünde, aber ich muß es wieder von Euch nehmen, und Ihr werdet es wohl sowie mich selbst nicht mehr schauen. Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet, aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blute, er kann jedoch sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen, lasset ihn geistlich werden!« – Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen unauslöschlichen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht hatten; sie beschloß aber demunerachtet, meiner Neigung durchaus keinen Zwang anzutun, sondern ruhig abzuwarten, was das Geschick über mich verhängen und wozu es mich leiten würde, da sie an irgendeine andere höhere Erziehung, als die sie selbst mir zu geben imstande war, nicht denken konnte. Meine Erinnerungen aus deutlicher, selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser-Nonnenkloster gekommen war, dessen gefürstete Äbtissin, die meinen Vater gekannt hatte, sie freundlich aufnahm. Die Zeit von jener Begebenheit mit dem alten Pilger, welche ich in der Tat aus eigner Anschauung weiß, so daß sie meine Mutter nur rücksichts der Reden des Malers und des alten Pilgers ergänzt hat, bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin brachte, machte eine völlige Lücke: nicht die leiseste Ahnung ist mir davon übriggeblieben. Ich fand mich erst wieder, als die Mutter meinen Anzug, soviel es ihr nur möglich war, besserte und ordnete. Sie hatte neue Bänder in der Stadt gekauft, sie verschnitt mein wildverwachsnes Haar, sie putzte mich mit aller Mühe und schärfte mir dabei ein, mich ja recht fromm und artig bei der Frau Äbtissin zu betragen. Endlich stieg ich an der Hand meiner Mutter die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte Gemach, in dem wir die Fürstin fanden. Es war eine große, majestätische schöne Frau, der die Ordenstracht eine Ehrfurcht einflößende Würde gab. Sie sah mich mit einem ersten, bis ins Innerste dringenden Blick an und frug: »Ist das Euer Sohn?« – Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehn – selbst die fremde Umgebung, das hohe Gemach, die Bilder, alles wirkte so auf mich, daß ich, von dem Gefühl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich zu weinen anfing. Da sprach die Fürstin, indem sie mich milder und gütiger anblickte: »Was ist dir, Kleiner, fürchtest du dich vor mir? Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?« »Franz«, erwiderte meine Mutter, da rief die Fürstin mit der tiefsten Wehmut: »Franziskus!« und hob mich auf und drückte mich heftig an sich, aber in dem Augenblick preßte mir ein jäher Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so daß die Fürstin erschrocken mich losließ und die durch mein Betragen ganz bestürzt gewordene Mutter auf mich zusprang, um nur gleich mich fortzufahren. Die Fürstin ließ das nicht zu; es fand sich, daß das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich, indem sie heftig mich an sich drückte, am Halse so stark beschädigt hatte, daß die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war. »Armer Franz«, sprach die Fürstin, »ich habe dir weh getan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden.« Eine Schwester brachte Zuckerwerk und süßen Wein, ich ließ mich, jetzt schon dreister geworden, nicht lange nötigen, sondern naschte tapfer von den Süßigkeiten, die mir die holde Frau, welche sich gesetzt und mich auf den Schoß genommen hatte, selbst in den Mund steckte. Als ich einige Tropfen des süßen Getränks, das mir bis jetzt ganz unbekannt gewesen, gekostet, kehrte mein munterer Sinn, die besondere Lebendigkeit, die nach meiner Mutter Zeugnis von meiner frühsten Jugend mir eigen war, zurück. Ich lachte und schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir unerklärlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fürstin von den schönen, herrlichen Dingen meines Geburtsortes zu erzählen, und ich, wie von einer höheren Macht inspiriert, ihr die schönen Bilder des fremden, unbekannten Malers so lebendig, als habe ich sie im tiefsten Geiste aufgefaßt, beschreiben konnte. Dabei ging ich ganz ein in die herrlichen Geschichten der Heiligen, als sei ich mit allen Schriften der Kirche schon bekannt und vertraut geworden. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich voll Erstaunen an, aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung, und als mich endlich die Fürstin fragte: »Sage mir, liebes Kind, woher weißt du denn das alles?« – da antwortete ich, ohne mich einen Augenblick zu besinnen, daß der schöne, wunderbare Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hätte, mir alle Bilder in der Kirche erklärt, ja selbst noch manches Bild mit bunten Steinen gemalt und mir nicht allein den Sinn davon gelöset, sondern viele andere heilige Geschichten erzählt hätte.
Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Tüte gepackt, die sie mir gab und die ich voller Vergnügen einsteckte. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner Mutter: »Ich sehe Euren Sohn als meinen Zögling an, liebe Frau, und will von nun an für ihn sorgen.« Meine Mutter konnte vor Wehmut nicht sprechen, sie küßte, heiße Tränen vergießend, die Hände der Fürstin. Schon wollten wir zur Tür hinaustreten, als die Fürstin uns nachkam, mich nochmals aufhob, sorgfältig das Kreuz beiseite schiebend, mich an sich drückte und heftig weinend, so daß die heißen Tränen auf meine Stirne fielen, ausrief: »Franziskus! – Bleibe fromm und gut!« – Ich war im Innersten bewegt und mußte auch weinen, ohne eigentlich zu wissen warum. –
Durch die Unterstützung der Äbtissin gewann der kleine Haushalt meiner Mutter, die unfern dem Kloster in einer kleinen Meierei wohnte, bald ein besseres Ansehen. Die Not hatte ein Ende, ich ging besser gekleidet und genoß den Unterricht des Pfarrers, dem ich zugleich, wenn er in der Klosterkirche das Amt hielt, als Chorknabe diente.
Wie umfängt mich noch wie ein seliger Traum die Erinnerung an jene glückliche Jugendzeit! Ach, wie ein fernes heiliges Land, wo die Freude wohnt und die ungetrübte Heiterkeit des kindlichen, unbefangenen Sinnes, liegt die Heimat weit, weit hinter mir, aber wenn ich zurückblicke, da gähnt mir die Kluft entgegen, die mich auf ewig von ihr geschieden. Von heißer Sehnsucht ergriffen, trachte ich immer mehr und mehr, die Geliebten zu erkennen, die ich drüben, wie im Purpurschimmer des Frührots wandelnd, erblicken ich wähne ihre holden Stimmen zu vernehmen. Ach! – gibt es denn eine Kluft, über die die Liebe mit starkem Fittich sich nicht hinwegschwingen könnte? Was ist für die Liebe der Raum, die Zeit! – Lebt sie nicht im Gedanken, und kennt der denn ein Maß? – Aber finstere Gestalten steigen auf, und immer dichter und dichter zusammendrängend, immer enger und enger mich einschließend, versperren sie die Aussicht und befangen meinen Sinn mit den Drangsalen der Gegenwart, daß selbst die Sehnsucht, welche mich mit namenlosem, wonnevollem Schmerz erfüllte, nun zu tötender heilloser Qual wird!
Der Pfarrer war die Güte selbst, er wußte meinen lebhaften Geist zu fesseln, er wußte seinen Unterricht so nach meiner Sinnesart zu formen, daß ich Freude daran fand und schnelle Fortschritte machte. – Meine Mutter liebte ich über alles, aber die Fürstin verehrte ich wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag für mich, wenn ich sie sehen durfte. Jedesmal nahm ich mir vor, mit den neuerworbenen Kenntnissen recht vor ihr zu leuchten, aber wenn sie kam, wenn sie freundlich mich anredete, da konnte ich kaum ein Wort herausbringen, ich mochte nur sie anschauen, nur sie hören. Jedes ihrer Worte blieb tief in meiner Seele zurück, noch den ganzen Tag über, wenn ich sie gesprochen, befand ich mich in wunderbarer, feierlicher Stimmung, und ihre Gestalt begleitete mich auf den Spaziergängen, die ich dann besuchte. – Welches namenlose Gefühl durchbohrte mich, wenn ich, das Rauchfaß schwingend, am Hochaltare stand, und nun die Töne der Orgel von dem Chore herabströmten und, wie zur brausenden Flut anschwellend, mich fortrissen – wenn ich dann in dem Hymnus ihre Stimme erkannte, die wie ein leuchtender Strahl zu mir herabdrang und mein inneres mit den Ahnungen des Höchsten – des Heiligsten erfüllte. Aber der herrlichste Tag, auf den ich mich wochenlang freute, ja, an den ich niemals ohne inneres Entzücken denken konnte, war das Fest des heiligen Bernardus, welches, da er der Heilige der Zisterzienser ist, im Kloster durch einen großen Ablaß auf das feierlichste begangen wurde. Schon den Tag vorher strömten aus der benachbarten Stadt sowie aus der ganzen umliegenden Gegend eine Menge Menschen herbei und lagerten sich auf der großen blumichten Wiese, die sich an das Kloster schloß, so daß das frohe Getümmel Tag und Nacht nicht aufhörte. Ich erinnere mich nicht, daß die Witterung in der günstigen Jahreszeit (der Bernardustag fällt in den August) dem Feste jemals ungünstig gewesen sein sollte. In bunter Mischung sah man dort andächtige Pilger, Hymnen singend, daherwandeln, dort Bauernburschen sich mit den geputzten Dirnen jubelnd umhertummeln – Geistliche, die in frommer Betrachtung, die Hände andächtig gefaltet, in die Wolken schauen – Bürgerfamilien im Grase gelagert, die die hochgefüllten Speisekörbe auspacken und ihr Mahl verzehren. Lustiger Gesang, Gelächter der Fröhlichen, Klagen, Jauchzen, Jubel, Scherze, Gebet erfüllen wie in wunderbarem, betäubendem Konzert die Lüfte! – Aber sowie die Glocke des Klosters anschlägt, verhallt das Getöse plötzlich – soweit das Auge nur reicht, ist alles, in dichte Reihen gedrängt, auf die Knie gesunken, und nur das dumpfe Murmeln des Gebets unterbricht die heilige Stille. Der letzte Schlag der Glocke tönt aus, die bunte Menge strömt wieder durcheinander, und aufs neue erschallt der minutenlang unterbrochene Jubel. – Der Bischof selbst, welcher in der benachbarten Stadt residiert, hielt an dem Bernardustag in der Kirche des Klosters, bedient von der untern Geistlichkeit des Hochstifts, das feierliche Hochamt, und seine Kapelle führte auf einer Tribüne, die man zur Seite des Hochaltars errichtet und mit reicher, seltener Hautelisse behängt hatte, die Musik aus. – Noch jetzt sind die Empfindungen, die damals meine Brust durchbebten, nicht erstorben, sie leben auf in jugendlicher Frische, wenn ich mein Gemüt ganz zuwende jener seligen Zeit, die nur zu schnell verschwunden. Ich gedenke lebhaft eines Gloria, welches mehrmals ausgeführt wurde, da die Fürstin eben diese Komposition vor allen andern liebte. – Wenn der Bischof das Gloria intoniert hatte und nun die mächtigen Töne des Chors daherbrausten: Gloria in excelsis deo! – war es nicht, als öffne sich die Wolkenglorie über dem Hochaltar? – ja, als erglühten durch ein göttliches Wunder die gemalten Cherubim und Seraphim zum Leben und regten und bewegten die starken Fittiche und schwebten auf und nieder, Gott lobpreisend mit Gesang und wunderbarem Saitenspiel? – Ich versank in das hinbrütende Staunen der begeisterten Andacht, die mich durch glänzende Wolken in das ferne, bekannte, heimatliche Land trug, und in dem duftenden Walde ertönten die holden Engelsstimmen, und der wunderbare Knabe trat wie aus hohen Lilienbüschen mir entgegen und frug mich lächelnd: »Wo warst du denn so lange, Franziskus? – ich habe viele schöne Blumen, die will ich dir alle schenken, wenn du bei mir bleibst und mich liebst immerdar.« –
Nach dem Hochamt hielten die Nonnen unter dem Vortritt der Äbtissin, die mit der Inful geschmeckt war und den silbernen Hirtenstab trug, eine feierliche Prozession durch die Gänge des Klosters und durch die Kirche. Welche Heiligkeit, welche Würde, welche überirdische Größe strahlte aus jedem Blick der herrlichen Frau, leitete jede ihrer Bewegungen! Es war die triumphierende Kirche selbst, die dem frommen, gläubigen Volk Gnade und Segen verhieß. Ich hätte mich vor ihr in den Staub werfen mögen, wenn ihr Blick zufällig auf mich fiel. – Nach beendigtem Gottesdienst wurde die Geistlichkeit sowie die Kapelle des Bischofs in einem großen Saal des Klosters bewirtet. Mehrere Freunde des Klosters, Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nahmen an dem Mahle teil, und ich durfte, weil mich der Konzertmeister des Bischofs liebgewonnen und gern sich mit mir zu schaffen machte, auch dabeisein. Hatte sich erst mein Inneres, von heiliger Andacht durchglüht, ganz dem Überirdischen zugewendet, so trat jetzt das frohe Leben auf mich ein und umfing mich mit seinen bunten Bildern. Allerlei lustige Erzählungen, Späße und Schwänke wechselten unter dem lauten Gelächter der Gäste, wobei die Flaschen fleißig geleert wurden, bis der Abend hereinbrach und die Wagen. zur Heimfahrt bereitstanden.
Sechzehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklärte, daß ich nun vorbereitet genug sei, die höheren theologischen Studien in dem Seminar der benachbarten Stadt zu beginnen: ich hatte mich nämlich ganz für den geistlichen Stand entschieden, und dies erfüllte meine Mutter mit der innigsten Freude, da sie hiedurch die geheimnisvollen Andeutungen des Pilgers, die in gewisser Art mit der merkwürdigen, mir unbekannten Vision meines Vaters in Verbindung stehen sollten, erklärt und erfüllt sah. Durch meinen Entschluß glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis gerettet. Auch die Fürstin, die ich jetzt nur im Sprechzimmer sehen konnte, billigte höchlich mein Vorhaben und wiederholte ihr Versprechen, mich bis zur Erlangung einer geistlichen Würde mit allem Nötigen zu unterstützen. Unerachtet die Stadt so nahe lag, daß man von dem Kloster aus die Türme sehen konnte, und nur irgend rüstige Fußgänger von dort her die heitre, anmutige Gegend des Klosters zu ihren Spaziergängen wählten, so wurde mir doch der Abschied von meiner guten Mutter, von der herrlichen Frau, die ich so tief im Gemüte verehrte, sowie von meinem guten Lehrer recht schwer. Es ist ja auch gewiß, daß dem Schmerz der Trennung jede Spanne außerhalb dem Kreise der Lieben der weitesten Entfernung gleich dünkt! – Die Fürstin war auf besondere Weise bewegt, ihre Stimme zitterte vor Wehmut, als sie noch salbungsvolle Worte der Ermahnung sprach. Sie schenkte mit einen zierlichen Rosenkranz und ein kleines Gebetbuch mit sauber illuminierten Bildern. Dann gab sie mir noch ein Empfehlungsschreiben an den Prior des Kapuzinerklosters in der Stadt, den sie mir empfahl, gleich aufzusuchen, da er mir in allem mit Rat und Tat eifrigst beistehen würde,
Gewiß gibt es nicht so leicht eine anmutigere Gegend, als diejenige ist, in welcher das Kapuzinerkloster dicht vor der Stadt liegt. Der herrliche Klostergarten mit der Aussicht in die Gebirge hinein schien mir jedesmal, wenn ich in den langen Alleen wandelte und bald bei dieser, bald bei jener üppigen Baumgruppe stehen blieb, in neuer Schönheit zu erglänzen. – Gerade in diesem Garten traf ich den Prior Leonardus, als ich zum erstenmal das Kloster besuchte, um mein Empfehlungsschreiben von der Äbtissin abzugeben. – Die dem Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhöht, als er den Brief las, und er wußte so viel Anziehendes von der herrlichen Frau, die er schon in frühen Jahren in Rom kennengelernt, zu sagen, daß er schon dadurch im ersten Augenblick mich ganz an sich zog. Er war von den Brüdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhältnis des Priors zu den Mönchen, die ganze klösterliche Einrichtung und Lebensweise: die Ruhe und Heiterkeit des Geistes, welche sich in dem Äußerlichen des Priors deutlich aussprach, verbreitete sich über alle Brüder. Man sah nirgends eine Spur des Mißmuts oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt. Unerachtet der strengen Ordensregel waren die Andachtsübungen dem Prior Leonardus mehr Bedürfnis des dem Himmlischen zugewandten Geistes als asketische Buße für die der menschlichen Natur an klebende Sünde, und er wußte diesen Sinn der Andacht so in den Brüdern zu entzünden, daß sich über alles, was sie tun mußten, um der Regel zu genügen, eine Heiterkeit und Gemütlichkeit ergoß, die in der Tat ein höheres Sein in der irdischen Beengtheit erzeugte. – Selbst eine gewisse schickliche Verbindung mit der Welt wußte der Prior Leonardus herzustellen, die für die Brüder nicht anders als heilsam sein konnte. Reichliche Spenden, die von allen Seiten dem allgemein hochgeachteten Kloster dargebracht wurden, machten es möglich, an gewissen Tagen die Freunde und Beschützer des Klosters in dem Refektorium zu bewirten. Dann wurde in der Mitte des Speisesaals eine lange Tafel gedeckt, an deren oberem Ende der Prior Leonardus bei den Gästen saß. Die Brüder blieben an der schmalen, der Wand entlang stehenden Tafel und bedienten sich ihres einfachen Geschirres, der Regel gemäß, während an der Gasttafel alles sauber und zierlich mit Porzellan und Glas besetzt war. Der Koch des Klosters wußte vorzüglich auf eine leckere Art Fastenspeisen zuzubereiten, die den Gästen gar wohl schmeckten. Die Gäste sorgten für den Wein, und so waren die Mahle im Kapuzinerkloster ein freundliches, gemütliches Zusammentreten des Profanen mit dem Geistlichen, welches in wechselseitiger Rückwirkung für das Leben nicht ohne Nutzen sein konnte. Denn indem die im weltlichen Treiben Befangenen hinaustreten und eingingen in die Mauern, wo alles das ihrem Tun schnurstracks entgegengesetzte Leben der Geistlichkeit verkündet, mußten sie, von manchem Funken, der in ihre Seele fiel, aufgeregt, eingestehen, daß auch wohl auf andere Wege, als auf dem, den sie eingeschlagen, Ruhe und Glück zu finden sei, ja, daß vielleicht der Geist, je mehr er sich über das Irdische erhebe, dem Menschen schon hienieden ein höheres Sein bereiten könne. Dagegen gewannen die Mönche an Lebensumsicht und Weisheit, da die Kunde, welche sie von dem Tun und Treiben der bunten Welt außerhalb ihrer Mauern erhielten, in ihnen Betrachtungen mancherlei Art erweckte. Ohne dem Irdischen einen falschen Wert zu verleihen, mußten sie in der verschiedenen, aus dem Innern bestimmten Lebensweise der Menschen die Notwendigkeit einer solchen Strahlenbrechung des geistigen Prinzips, ohne welche alles farb- und glanzlos geblieben wäre, anerkennen. Über alle hocherhaben rücksichts der geistigen und wissenschaftlichen Ausbildung stand von jeher der Prior Leonardus. Außerdem daß er allgemein für einen wackern Gelehrten in der Theologie galt, so, daß er mit Leichtigkeit und Tiefe die schwierigsten Materien abzuhandeln wußte und sich die Professoren des Seminars oft bei ihm Rat und Belehrung holten, war er auch mehr, als man es wohl einem Klostergeistlichen zutrauen kann, für die Welt ausgebildet. Er sprach mit Fertigkeit und Eleganz das Italienische und Französische, und seiner besonderen Gewandtheit wegen hatte man ihn in früherer Zeit zu wichtigen Missionen gebraucht. Schon damals, als ich ihn kennenlernte, war er hochbejahrt, aber indem sein weißes Haar von seinem Alter zeugte, blitzte aus den Augen noch jugendliches Feuer, und das anmutige Lächeln, welches um seine Lippen schwebte, erhöhte den Ausdruck der innern Behaglichkeit und Gemütsruhe. Dieselbe Grazie, welche seine Rede schmeckte, herrschte in seinen Bewegungen, und selbst die unbehilfliche Ordenstracht schmiegte sich wundersam den wohlgebauten Formen seines Körpers an. Es befand sich kein einziger unter den Brüdern, den nicht eigne freie Wahl, den nicht sogar das von der innern geistigen Stimmung erzeugte Bedürfnis in das Kloster gebracht hätte; aber auch den Unglücklichen, der im Kloster den Port gesucht hätte, um der Vernichtung zu entgehen, hätte Leonardus bald getröstet; seine Buße wäre der kurze Übergang zur Ruhe geworden, und, mit der Welt versöhnt, ohne ihren Tand zu achten, hätte er, im Irdischen lebend, doch sich bald über das Irdische erhoben. Diese ungewöhnlichen Tendenzen des Klosterlebens hatte Leonardus in Italien aufgefaßt, wo der Kultus und mit ihm die ganze Ansicht des religiösen Lebens heitrer ist als in dem katholischen Deutschland. So wie bei dem Bau der Kirchen noch die antiken Formen sich erhielten, so scheint auch ein Strahl aus jener heitern lebendigen Zeit des Altertums in das mystische Dunkel des Christianismus gedrungen zu sein und es mit dem wunderbaren Glanze erhellt zu haben, der sonst die Götter und Helden umstrahlte.
Leonardus gewann mich lieb, er unterrichtete mich im Italienischen und Französischen, vorzüglich waren es aber die mannigfachen Bücher, welche er mir in die Hände gab, sowie seine Gespräche, die meinen Geist auf besondere Weise ausbildeten. Beinahe die ganze Zeit, welche meine Studien im Seminar mir übrig ließen, brachte ich im Kapuzinerkloster zu, und ich spürte, wie immer mehr meine Neigung zunahm, mich einkleiden zu lassen. Ich eröffnete dem Prior meinen Wunsch; ohne mich indessen gerade davon abbringen zu wollen, riet er mir, wenigstens noch ein paar Jahre zu warten und unter der Zeit mich mehr als bisher in der Welt umzusehen. So wenig es mir indessen an anderer Bekanntschaft fehlte, die ich mir vorzüglich durch den bischöflichen Konzertmeister, welcher mich in der Musik unterrichtete, erworben, so fühlte ich mich doch in jeder Gesellschaft und vorzüglich, wenn Frauenzimmer zugegen waren, auf unangenehme Weise befangen, und dies sowie Oberhaupt der Hang zum kontemplativen Leben schien meinen innern Beruf zum Kloster zu entscheiden. –
Einst hatte der Prior viel Merkwürdiges mit mir gesprochen über das profane Leben; er war eingedrungen in die schlüpfrigsten Materien, die er aber mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit und Anmut des Ausdrucks zu behandeln wußte, so daß er, alles nur im mindesten Anstößige vermeidend, doch immer auf den rechten Fleck traf. Er nahm endlich meine Hand, sah mir scharf ins Auge und frug, ob ich noch unschuldig sei. – Ich fühlte mich erglühen, denn indem Leonardus mich so verfänglich trug, sprang ein Bild in den lebendigen Farben hervor, welches so lange ganz von mir gewichen. – Der Konzertmeister hatte eine Schwester, welche gerade nicht schön genannt zu werden verdiente, aber doch, in der höchsten Blüte stehend, ein überaus reizendes Mädchen war. Vorzüglich zeichnete sie ein im reinsten Ebenmaß geformter Wuchs aus; sie hatte die schönsten Arme, den schönsten Busen in Form und Kolorit, den man nur sehen kann. – Eines Morgens, als ich zum Konzertmeister gehen wollte meines Unterrichts halber, überraschte ich die Schwester im leichten Morgenanzuge, mit beinahe ganz entblößter Brust; schnell warf sie zwar das Tuch über, aber doch schon zu viel hatten meine gierigen Blicke erhascht, ich konnte kein Wort sprechen, nie gekannte Gefühle regten sich stürmisch in mir und trieben das glühende Blut durch die Adern, daß hörbar meine Pulse schlugen. Meine Brust war krampfhaft zusammengepreßt und wollte zerspringen, ein leiser Seufzer machte mir endlich Luft. Dadurch, daß das Mädchen ganz unbefangen auf mich zukam, mich bei der Hand faßte und fragte, was mir denn wäre, wurde das Übel wieder ärger, und es war ein Glück, daß der Konzertmeister in die Stube trat und mich von der Qual erlöste. Nie hatte ich indessen solche falsche Akkorde gegriffen, nie so im Gesang detoniert als diesmal. Fromm genug war ich, um später das Ganze für eine böse Anfechtung des Teufels zu halten, und ich pries mich nach kurzer Zeit recht glücklich, den bösen Feind durch die asketischen Übungen, die ich unternahm, aus dem Felde geschlagen zu haben. Jetzt bei der verfänglichen Frage des Priors sah ich des Konzertmeisters Schwester mit entblößtem Busen vor mir stehen, ich fühlte den warmen Hauch ihres Atems, den Druck ihrer Hand – meine innere Angst stieg mit jedem Momente. Leonardus sah mich mit einem gewissen ironischen Lächeln an, vor dem ich erbebte. Ich konnte seinen Blick nicht ertragen, ich schlug die Augen nieder, da klopfte mich der Prior auf die glühenden Wangen und sprach: »Ich sehe, mein Sohn, daß Sie mich gefaßt haben, und daß es noch gut mit Ihnen steht, der Herr bewahre Sie vor der Verführung der Welt; die Genüsse, die sie Ihnen darbietet, sind von kurzer Dauer, und man kann wohl behaupten, daß ein Fluch darauf ruhe, da in dem unbeschreiblichen Ekel, in der vollkommenen Erschlaffung, in der Stumpfheit für alles Höhere, die sie hervorbringen, das bessere geistige Prinzip des Menschen untergeht.« – So sehr ich mich mühte, die Frage des Priors und das Bild, welches dadurch hervorgerufen wurde, zu vergessen, so wollte es mir doch durchaus nicht gelingen, und war es mir erst geglückt, in Gegenwart jenes Mädchens unbefangen zu sein, so scheute ich doch wieder jetzt mehr als jemals ihren Anblick, da mich schon bei dem Gedanken an sie eine Beklommenheit, eine innere Unruhe überfiel, die mir um so gefährlicher schien, als zugleich eine unbekannte wundervolle Sehnsucht und mit ihr eine Lüsternheit sich regte, die wohl sündlich sein mochte. Ein Abend sollte diesen zweifelhaften Zustand entscheiden. Der Konzertmeister hatte mich, wie er manchmal zu tun pflegte, zu einer musikalischen Unterhaltung, die er mit einigen Freunden veranstaltet, eingeladen. Außer seiner Schwester waren noch mehrere Frauenzimmer zugegen, und dieses steigerte die Befangenheit, die mir schon bei der Schwester allein den Atem versetzte. Sie war sehr reizend gekleidet, sie kam mir schöner als je vor, es war, als zöge mich eine unsichtbare unwiderstehliche Gewalt zu ihr hin, und so kam es denn, daß ich, ohne selbst zu wissen wie, mich immer ihr nahe befand, jeden ihrer Blicke, jedes ihrer Worte begierig aufhaschte, ja mich so an sie drängte, daß wenigstens ihr Kleid im Vorbeistreifen mich berühren mußte, welches mich mit innerer, nie gefehlter Lust erfüllte. Sie schien es zu bemerken und Wohlgefallen daran zu finden; zuweilen war es mir, als müßte ich sie wie in toller Liebeswut an mich reißen und inbrünstig an mich drücken! – Sie war lange neben dem Flügel gesessen, endlich stand sie auf und ließ auf dem Stuhl einen ihrer Handschuhe liegen, den ergriff ich und drückte ihn im Wahnsinn heftig an den Mund! – Das sah eins von den Frauenzimmern, die ging zu des Konzertmeisters Schwester und flüsterte ihr etwas ins Ohr, nun schauten sie beide auf mich und kicherten und lachten höhnisch! – Ich war wie vernichtet, ein Eisstrom goß sich durch mein Inneres – besinnungslos stürzte ich fort ins Kollegium – in meine Zelle. Ich warf mich wie in toller Verzweiflung auf den Fußboden – glühende Tränen quollen mir aus den Augen, ich verwünschte – ich verfluchte das Mädchen – mich selbst – dann betete ich wieder und lachte dazwischen wie ein Wahnsinniger! Überall erklangen um mich Stimmen, die mich verspotteten, verhöhnten; ich war im Begriff, mich durch das Fenster zu stürzen, zum Glück verhinderten mich die Eisenstäbe daran, mein Zustand war in der Tat entsetzlich.
Erst als der Morgen anbrach, wurde ich ruhiger, aber fest war ich entschlossen, sie niemals mehr zu sehen und Überhaupt der Welt zu entsagen. Klarer als jemals stand der Beruf zum eingezogenen Klosterleben, von dem mich keine Versuchung mehr ablenken sollte, vor meiner Seele. Sowie ich nur von den gewöhnlichen Studien loskommen konnte, eilte ich zu dem Prior in das Kapuzinerkloster und eröffnete ihm, wie ich nun entschlossen sei, mein Noviziat anzutreten, und auch schon meiner Mutter sowie der Fürstin Nachricht davon gegeben habe. Leonardus schien über meinen plötzlichen Eifer verwundert; ohne in mich zu dringen, suchte er doch auf diese und jene Weise zu erforschen, was mich wohl darauf gebracht haben könne, nun mit einemmal auf meine Einweihung zum Klosterleben zu bestehen, denn er ahnte wohl, daß ein besonderes Ereignis mir den Impuls dazu gegeben haben müsse. Eine innere Scham, die ich nicht zu überwinden vermochte, hielt mich zurück, ihm die Wahrheit zu sagen, dagegen erzählte ich ihm mit dem Feuer der Exaltation, das noch in mir glühte, die wunderbaren Begebenheiten meiner Kinderjahre, welche alle auf meine Bestimmung zum Klosterleben hindeuteten. Leonardus hörte mich ruhig an, und ohne gerade gegen meine Visionen Zweifel vorzubringen, schien er doch sie nicht sonderlich zu beachten, er äußerte vielmehr, wie das alles noch sehr wenig für die Echtheit meines Berufs spräche, da eben hier eine Illusion sehr möglich sei. Überhaupt pflegte Leonardus nicht gern von den Visionen der Heiligen, ja selbst von den Wundern der ersten Verkündiger des Christentums zu sprechen, und es gab Augenblicke, in denen ich in Versuchung geriet, ihn für einen heimlichen Zweifler zu halten. Einst erdreistete ich mich, um ihn zu irgendeiner bestimmten Äußerung zu nötigen, von den Verächtern des katholischen Glaubens zu sprechen und vorzüglich auf diejenigen zu schmälen, die im kindischen Übermute alles Übersinnliche mit dem heillosen Schimpfwort des Aberglaubens abfertigten. Leonardus sprach sanft lächelnd: »Mein Sohn, der Unglaube ist der ärgste Aberglaube«, und fing ein anderes Gespräch von fremden gleichgültigen Dingen an. Erst später durfte ich eingehen in seine herrliche Gedanken über den mystischen Teil unserer Religion, der die geheimnisvolle Verbindung unsers geistigen Prinzips mit höheren Wesen in sich schließt, und mußte mir denn wohlgestehen, daß Leonardus die Mitteilung alles des Sublimen, das aus seinem Innersten sich ergoß, mit Recht nur für die höchste Weihe seiner Schüler aufsparte. –
Meine Mutter schrieb mir, wie sie es längst geahnt, daß der weitgeistliche Stand mir nicht genügen, sondern daß ich das Klosterleben erwählen werde. Am Medardustage sei ihr der alte Pilgersmann aus der heiligen Linde erschienen und habe mich im Ordenskleid der Kapuziner an der Hand geführt. Auch die Fürstin war mit meinem Vorhaben ganz einverstanden. Beide sah ich noch einmal vor meiner Einkleidung, welche, da mir, meinem innigsten Wunsche gemäß, die Hälfte des Noviziats erlassen wurde, sehr bald erfolgte. Ich nahm auf Veranlassung der Vision meiner Mutter den Klosternamen Medardus an. –
Das Verhältnis der Brüder untereinander, die innere Einrichtung rücksichts der Andachtsübungen und der ganzen Lebensweise im Kloster bewährte sich ganz in der Art, wie sie mir bei dem ersten Blick erschienen. Die gemütliche Ruhe, die in allem herrschte, goß den himmlischen Frieden in meine Seele, wie er mich, gleich einem seligen Traum aus der ersten Zeit meiner frühsten Kinderjahre im Kloster der heiligen Linde umschwebte. Während des feierlichen Akts meiner Einkleidung erblickte ich unter den Zuschauern des Konzertmeisters Schwester; sie sah ganz schwermütig aus, und ich glaubte Tränen in ihren Augen zu erblicken, aber vorüber war die Zeit der Versuchung, und vielleicht war es frevelnder Stolz auf den so leicht erfochtenen Sieg, der mir das Lächeln abnötigte, welches der an meiner Seite wandelnde Bruder Cyrillus bemerkte. »Worüber erfreuest du dich so, mein Bruder?« frug Cyrillus. »Soll ich denn nicht froh sein, wenn ich der schnöden Welt und ihrem Tand entsage?« antwortete ich, aber nicht zu leugnen ist es, daß, indem ich diese Worte sprach, ein unheimliches Gefühl, plötzlich das Innerste durchbebend, mich Lügen strafte. – Doch dies war die letzte Anwandlung irdischer Selbstsucht, nach der jene Ruhe des Geists eintrat. Wäre sie nimmer von mir gewichen, aber die Macht des Feindes ist groß! – Wer mag der Stärke seiner Waffen, wer mag seiner Wachsamkeit vertrauen, wenn die unterirdischen Mächte lauern? –
Schon fünf Jahre war ich im Kloster, als nach der Verordnung des Priors mir der Bruder Cyrillus, der alt und schwach worden, die Aufsicht über die reiche Reliquienkarnmer des Klosters übergeben sollte. Da befanden sich allerlei Knochen von Heiligen, Späne aus dem Kreuze des Erlösers und andere Heiligtümer, die in saubern Glasschränken aufbewahrt und an gewissen Tagen dem Volk zur Erbauung ausgestellt wurden. Der Bruder Cyrillus machte mich mit jedem Stücke sowie mit den Dokumenten, die über ihre Echtheit und über die Wunder, welche sie bewirkt, vorhanden, bekannt. Er stand rücksichts der geistigen Ausbildung unserm Prior an der Seite, und um so weniger trug ich Bedenken, das zu äußern, was sich gewaltsam aus meinem Innern hervordrängte. »Sollten denn, lieber Bruder Cyrillus«, sagte ich, »alle diese Dinge gewiß und wahrhaftig das sein, wofür man sie ausgibt? – Sollte auch hier nicht die betrügerische Habsucht manches untergeschoben haben, was nun als wahre Relique dieses oder jenes Heiligen gilt? So z. B. besitzt irgendein Kloster das ganze Kreuz unsers Erlösers, und doch zeigt man überall wieder so viel Späne davon, daß, wie jemand von uns selbst, freilich, in freveligem Spott, behauptete, unser Kloster ein ganzes Jahr hindurch damit geheizt werden könnte.« – »Es geziemt uns wohl eigentlich nicht«, erwiderte der Bruder Cyrillus, »diese Dinge einer solchen Untersuchung zu unterziehen, allein offenherzig gestanden, bin ich der Meinung, daß, der darüber sprechenden Dokumente unerachtet, wohl wenige dieser Dinge das sein dürften, wofür man sie ausgibt. Merke wohl auf, lieber Bruder Medardus, wie ich und unser Prior darüber denken, und du wirst unsere Religion in neuer Glorie erblicken. Ist es nicht herrlich, lieber Bruder Medardus, daß unsere Kirche darnach trachtet, jene geheimnisvollen Fäden zu erfassen, die das Sinnliche mit dem Übersinnlichen verknüpfen, ja unseren zum irdischen Leben und Sein gediehenen Organismus so anzuregen, daß sein Ursprung aus dem höhern geistigen Prinzip, ja seine innige Verwandtschaft mit dem wunderbaren Wesen, dessen Kraft wie ein glühender Hauch die ganze Natur durchdringt, klar hervortritt und uns die Ahndung eines höheren Lebens, dessen Keim wir in uns tragen, wie mit Seraphsfittischen umweht. – Was ist jenes Stückchen Holz – jenes Knöchlein, jenes Läppchen – man sagt, aus dem Kreuz Christi sei es gehauen, dem Körper – dem Gewande eines Heiligen entnommen; aber den Gläubigen, der, ohne zu grübeln, sein ganzes Gemüt darauf richtet, erfüllt bald jene überirdische Begeisterung, die ihm das Recht der Seligkeit erschließt, das er hienieden nur geahndet; und so wird der geistige Einfluß des Heiligen, dessen auch nur angebliche Relique den Impuls gab, erweckt, und der Mensch vermag Stärke und Kraft im Glauben von dein höheren Geiste zu empfangen, den er im Innersten des Gemüts um Trost und Beistand anrief. Ja, diese in ihn, erweckte höhere geistige Kraft wird selbst Leiden des Körpers zu überwinden vermögen, und daher kommt es, daß diese Reliquien jene Mirakel bewirken, die, da sie so oft vor den Augen des versammelten Volks geschehen, wohl nicht geleugnet werden können.« – ich erinnerte mich augenblicklich gewisser Andeutungen des Priors, die ganz mit den Worten des Bruders Cyrillus übereinstimmten, und betrachtete nun die Reliquien, die mir sonst nur als religiöse Spielerei erschienen, mit wahrer innerer Ehrfurcht und Andacht . Dem Bruder Cyrillus entging diese Wirkung seiner Rede nicht, und er fuhr nun fort, mit größerem Eifer und nüt recht zum Gemüte sprechender Innigkeit mir die Sammlung Stück für Stück zu erklären. Endlich nahm er aus seinem wohlverschlossenen Schranke ein Kistchen heraus und sagte: »Hierinnen, lieber Bruder Medardus, ist die geheimnisvollste, wunderbarste Reliquie enthalten, die unser Kloster besitzt. Solange ich im Kloster bin, hat dieses Kistchen niemand in der Hand gehabt als der Prior und ich; selbst die andern Brüder, viel weniger Fremde, wissen etwas von dem Dasein dieser Reliquie. Ich kann die Kiste nicht ohne inneren Schauer anrühren, es ist, als sei darin ein böser Zauber verschlossen, der, gelänge es ihm, den Bann, der ihn umschließt und wirkungslos macht, zu zersprangen, Verderben und heillosen Untergang jedem bereiten könnte, den er ereilt. Das, was darinnen enthalten, stammt unmittelbar von dem Widersacher her, aus jener Zeit, als er noch sichtlich gegen das Heil der Menschen zu kämpfen vermochte.« – Ich sah den Bruder Cyrillus im höchsten Erstaunen an; ohne mir Zeit zu lassen, etwas zu erwidern, fuhr er fort: »Ich will mich, lieber Bruder Medardus, gänzlich enthalten, in dieser höchst mystischen Sache nur irgendeine Meinung zu äußern oder wohl gar diese – jene – Hypothese aufzutischen, die mir durch den Kopf gefahren, sondern lieber getreulich dir das erzählen, was die über jene Reliquie vorhandenen Dokumente davon sagen. – Du findest diese Dokumente in jenem Schrank und kannst sie selbst nachlesen. – Dir ist das Leben des heiligen Antonius zur Genüge bekannt, du weißt, daß er, um sich von allem Irdischen zu entfernen, um seine Seele ganz dem Göttlichen zuzuwenden, in die Wüste zog und da sein Leben den strengsten Buß- und Andachtsübungen weihte. Der Widersacher verfolgte ihn und trat ihm oft sichtlich in den Weg, um ihn in seinen frommen Betrachtungen zu stören. So kam es denn, daß der heilige Antonius einmal in der Abenddämmerung eine finstere Gestalt wahrnahm, die auf ihn zuschnitt. In der Nähe erblickte er zu seinem Erstaunen, daß aus den Löchern des zerrissenen Mantels, den die Gestalt trug, Flaschenhälse hervorguckten. Es war der Widersacher, der in diesem seltsamen Aufzuge ihn höhnisch anlächelte und frug, ob er nicht von den Elixieren, die er in den Flaschen bei sich trüge, zu kosten begehre. Der heilige Antonius, den diese Zumutung nicht einmal verdrießen konnte, weil der Widersacher, ohnmächtig und kraftlos geworden, nicht mehr imstande war, sich auf irgendeinen Kampf einzulassen und sich daher auf höhnende Reden beschränken mußte, trug ihn, warum er denn so viele Flaschen und auf solche besondere Weise bei sich trüge. Da antwortete der Widersacher: >Siehe, wenn mir ein Mensch begegnet, so schaut er mich verwundert an und kann es nicht lassen, nach meinen Getränken zu fragen und zu kosten aus Lüsternheit. Unter so vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet, und er säuft die ganze Flasche aus und wird trunken und ergibt sich mir und meinem Reiche.< – Soweit steht das in allen Legenden; nach dem besonderen Dokument, das wir über diese Vision des heiligen Antonius besitzen, heißt es aber weiter, daß der Widersacher, als er sich von dannen hub, einige seiner Flaschen auf einem Rasen stehen ließ, die der heilige Antonius schnell in seine Höhle mitnahm und verbarg, aus Furcht, selbst in der Einöde könnte ein Verirrter, ja wohl gar einer seiner Schüler von dem entsetzlichen Getränke kosten und ins ewige Verderben geraten. – Zufällig, erzählt das Dokument weiter, habe der heilige Antonius einmal eine dieser Flaschen geöffnet, da sei ein seltsamer betäubender Dampf herausgefahren und allerlei scheußliche sinnverwirrende Bilder der Hölle hätten den Heiligen umschwebt, ja ihn mit verführerischen Gaukeleien zu verlocken gesucht, bis er sie durch strenges Fasten und anhaltendes Gebet wieder vertrieben. – In diesem Kistchen befindet sich nun aus dem Nachlaß des heiligen Antonius eben eine solche Flasche mit einem Teufelselixier, und die Dokumente sind so authentisch und genau, daß wenigstens daran, daß die Flasche wirklich nach dem Tode des heiligen Antonius unter seinen nachgebliebenen Sachen gefunden wurde, kaum zu zweifeln ist. Übrigens kann ich versichern, lieber Bruder Medardus, daß, sooft ich die Flasche, ja nur dieses Kistchen, worin sie verschlossen, berühre, mich ein unerklärliches inneres Grauen angewandelt, ja, daß ich wähne, etwas von einem ganz seltsamen Duft zu spüren, der mich betäubt und zugleich eine innere Unruhe des Geistes hervorbringt, die mich selbst bei den Andachtsübungen zerstreut. Indessen überwinde ich diese böse Stimmung, weiche offenbar von dem Einfluß irgendeiner feindlichen Macht berrührt, sollte ich auch an die unmittelbare Einwirkung des Widersachers nicht glauben, durch standhaftes Gebet. Dir, lieber Bruder Medardus, der du noch so jung bist, der du noch alles, was dir deine von fremder Kraft aufgeregte Fantasie vorbringen mag, in glänzenderen, lebhafteren Farben erblickst, der du noch wie ein tapferer, aber unerfahrener Krieger zwar rüstig im Kampfe, aber vielleicht zu kühn, das Unmögliche wagend, deiner Stärke zu sehr vertraust, rate ich, das Kistchen niemals oder wenigstens erst nach Jahren zu öffnen, und damit dich deine Neugierde nicht -in Versuchung führe, es dir weit weg aus den Augen zu stellen.«
Der Bruder Cyrillus verschloß die geheimnisvolle Kiste wieder in den Schrank, wo sie gestanden, und übergab mir den Schlüsselbund, an dem auch der Schlüssel jenes Schranks hing; die ganze Erzählung hatte auf mich einen eignen Eindruck gemacht, aber je mehr ich eine innere Lüsternheit emporkeimen fühlte, die wunderbare Relique zu sehen, desto mehr war ich, der Warnung des Bruders Cyrillus gedenkend, bemüht, auf jede Art mir es zu erschweren. Als Cyrillus mich verlassen, übersah ich noch einmal die mir anvertrauten Heiligtümer, dann löste ich aber das Schlüsselchen, welches den gefährlichen Schrank schloß, vom Bunde ab und versteckte es tief unter meine Skripturen im Schreibpulte.
Unter den Professoren im Seminar gab es einen vortrefflichen Redner, jedesmal, wenn er predigte, war die Kirche überfüllt; der Feuerstrom seiner Worte riß alles unwiderstehlich fort, die inbrünstigste Andacht im Innern entzündend. Auch mir drangen seine herrlichen, begeisterten Reden ins Innerste, aber indem ich den Hochbegabten glücklich pries, war es mir, als rege sich eine innere Kraft, die mich mächtig antrieb, es ihm gleichzutun. Hatte ich ihn gehört, so predigte ich auf meiner einsamen Stube, mich ganz der Begeisterung des Moments überlassend, bis es mir gelang, meine Ideen, meine Worte festzuhalten und aufzuschreiben. – Der Bruder, welcher im Kloster zu predigen pflegte, wurde zusehends schwächer, seine Reden schlichen wie ein halbversiegter Bach mühsam und tonlos dahin, und die ungewöhnlich gedehnte Sprache, welche der Mangel an Ideen und Worten erzeugte, da er ohne Konzept sprach, machten seine Reden so unausstehlich lang, daß vor dem Amen schon der größte Teil der Gemeinde, wie bei dem bedeutungslosen eintönigen Geklapper einer Mühle sanft eingeschlummert war und nur durch den Klang der Orgel wieder erweckt werden konnte. Der Prior Leonardus war zwar ein ganz vorzüglicher Redner, indessen trug er Scheu, zu predigen, weil es ihn bei den schon erreichten hohen Jahren zu stark angriff, und sonst gab es im Kloster keinen, der die Stelle jenes schwächlichen Bruders hätte ersetzen können. Leonardus sprach mit mir über diesen Übelstand, der der Kirche den Besuch mancher Frommen entzog; ich faßte mir ein Herz und sagte ihm, wie ich schon im Seminar einen innern Beruf zum Predigen gespürt und manche geistliche Rede aufgeschrieben habe. Er verlangte sie zu sehen und war so höchlich damit zufrieden, daß er in mich drang, schon am nächsten heiligen Tage den Versuch mit einer Predigt zu machen, der um so weniger mißlingen werde, als mich die Natur mit allem ausgestattet habe, was zum guten Kanzelredner gehöre, nämlich mit einer einnehmenden Gestalt, einem ausdrucksvollen Gesicht und einer kräftigen, tonreichen Stimme. Rücksichts des äußern Anstandes, der richtigen Gestikulation unternahm es Leonardus selbst, mich zu unterrichten. Der Heiligentag kam heran, die Kirche war besetzter als gewöhnlich, und ich bestieg nicht ohne inneres Erbeben die Kanzel. – Im Anfang blieb ich meiner Handschrift getreu, und Leonardus sagte mir nachher, daß ich mit zitternder Stimme gesprochen, welches aber gerade den andächtigen wehmutsvollen Betrachtungen, womit die Rede begann, zugesagt und bei den mehrsten für eine besondere wirkungsvolle Kunst des Redners gegolten habe. Bald aber war es, als strahle der glühende Funke himmlischer Begeisterung durch mein Inneres – ich dachte nicht mehr an die Handschrift, sondern überließ mich ganz den Eingebungen des Moments. ich fühlte, wie das Blut in allen Pulsen glühte und sprühte ich hörte meine Stimme durch das Gewölbe donnern – ich sah mein erhobenes Haupt, meine ausgebreiteten Arme, wie vom Strahlenglanz der Begeisterung umflossen. – Mit einer Sentenz, in der ich alles Heilige und Herrliche, das ich verkündet, nochmals wie in einem flammenden Fokus zusammenfaßte, schloß ich meine Rede, deren Eindruck ganz ungewöhnlich, ganz unerhört war. Heftiges Weinen – unwillkürlich die Lippen entziehende Ausrufe der andachtsvollsten Wonne – lautes Gebet hallte meinen Worten nach. Die Brüder zollten mir ihre höchste Bewunderung, Leonardus umarmte mich, er nannte mich den Stolz des Klosters. Mein Ruf verbreitete sich schnell, und um den Bruder Medardus zu hören, drängte sich der vornehmste, der gebildetste Teil der Stadtbewohner schon eine Stunde vor dem Läuten in die nicht allzu große Klosterkirche. Mit der Bewunderung stieg mein Eifer und meine Sorge, den Reden im stärksten Feuer Ründe und Gewandtheit zu geben. Immer mehr gelang es mir, die Zuhörer zu fesseln, und, immer steigend und steigend, glich bald die Verehrung, die sich überall, wo ich ging und stand, in den stärksten Zügen an den Tag legte, beinahe der Vergötterung eines Heiligen. Ein religiöser Wahn hatte die Stadt ergriffen, alles strömte bei irgendeinem Anlaß, auch an gewöhnlichen Wochentagen, nach dem Kloster, um den Bruder Medardus zu sehen, zu sprechen. – Da keimte in mir der Gedanke auf, ich sei ein besonders Erkorner des Himmels; die geheimnisvollen Umstände bei meiner Geburt am heiligen Orte zur Entsündigung des verbrecherischen Vaters, die wunderbaren Begebenheiten in meinen ersten Kinderjahren, alles deutete da hin, daß mein Geist, in unmittelbarer Berührung mit dem Himmlischen, sich schon hienieden über das Irdische erhebe und ich nicht der Welt, den Menschen angehöre, denen Heil und Trost zu geben ich hier auf Erden wandle. Es war mir nun gewiß, daß der alte Pilgram in der heiligen Linde der heilige Joseph, der wunderbare Knabe aber das Jesuskind selbst gewesen, das in mir den Heiligen, der auf Erden zu wandeln bestimmt, begrüßt habe. Aber so wie dies alles immer lebendiger vor meiner Seele stand, wurde mir auch meine Umgebung immer lästiger und druckender. Jene Ruhe und Heiterkeit des Geistes, die mich sonst umfing, war aus meiner Seele entschwunden – ja, alle gemütlichen Äußerungen der Brüder, die Freundlichkeit des Priors erweckten in mir einen feindseligen Zorn. Den Heiligen, den hoch über sie erhabenen, sollten sie in mir erkennen, sich niederwerfen in den Staub und die Fürbitte erflehen vor dem Throne Gottes. So aber hielt ich sie für befangen in verderblicher Verstocktheit. Selbst in meine Reden flocht ich gewisse Anspielungen ein, die darauf hindeuteten, wie nun eine wundervolle Zeit, gleich der in schimmernden Strahlen leuchtenden Morgenröte, angebrochen, in der, Trost und Heil bringend der gläubigen Gemeinde, ein Auserwählter Gottes auf Erden wandle. Meine eingebildete Sendung kleidete ich in mystische Bilder ein, die um so mehr wie ein fremdartiger Zauber auf die Menge wirkten, je weniger sie verstanden wurden. Leonardus wurde sichtlich kälter gegen mich, er vermied, mit mir ohne Zeugen zu sprechen, aber endlich, als wir einmal, zufällig von allen Brüdern verlassen, in der Allee des Klostergartens einhergingen, brach er los: »Nicht verhehlen kann ich es dir, lieber Bruder Medardus, daß du seit einiger Zeit durch dein ganzes Betragen mir Mißfallen erregst. – Es ist etwas in deine Seele gekommen, das dich dem Leben in frommer Einfalt abwendig macht. In deinen Reden herrscht ein feindliches Dunkel, aus dem nur noch manches hervorzutreten sich scheut, was dich wenigstens mit mir auf immer entzweien würde. – Laß mich offenherzig sein! – Du trägst in diesem Augenblick die Schuld unseres sündigen Ursprungs, die jedem mächtigen Emporstreben unserer geistigen Kraft die Schranken des Verderbnisses öffnet, wohin wir uns in unbedachtem Fluge nur zu leicht verirren! – Der Beifall, ja die abgöttische Bewunderung, die dir die leichtsinnige, nach jeder Anreizung lüsterne Welt gezollt hat, hat dich geblendet, und du siehst dich selbst in einer Gestalt, die nicht dein eigen, sondern ein Trugbild ist, welches dich in den verderblichen Abgrund lockt. Gehe in dich, Medardus –, entsage dem Wahn, der dich betört – ich glaube ihn zu kennen –, schon jetzt ist dir die Ruhe des Gemüts, ohne welche kein Heil hienieden zu finden, entflohen. – Laß dich warnen, weiche aus dem Feinde, der dir nachstellt. – Sei wieder der gutmütige Jüngling, den ich mit ganzer Seele liebte.« Tränen quollen aus den Augen des Priors, als er dies sprach; er hatte meine Hand ergriffen, sie loslassend, entfernte er sich schnell, ohne meine Antwort abzuwarten. – Aber nur feindselig waren seine Worte in mein Inneres gedrungen; er hatte des Beifalls, ja der höchsten Bewunderung erwähnt, die ich mir durch meine außerordentlichen Gaben erworben, und es war mir deutlich, daß nur kleinlicher Neid jenes Mißbehagen an mir erzeugt habe, das er so unverhohlen äußerte. Stumm und in mich gekehrt, blieb ich, vom innern Groll ergriffen, bei den Zusammenkünften der Mönche, und ganz erfüllt von dem neuen Wesen, das mir aufgegangen, sann ich den Tag über und in den schlaflosen Nächten, wie ich alles in mir Aufgekeimte in prächtige Worte fassen und dem Volk verkünden wollte. Je mehr ich mich nun von Leonardus und den Brüdern entfernte, mit desto stärkeren Banden wußte ich die Menge an mich zu ziehen. –
Am Tage des heiligen Antonius war die Kirche so gedrängt voll, daß man die Türen weit öffnen mußte, um dem zuströmenden Volk zu vergönnen, mich auch noch vor der Kirche zu hören. Nie hatte ich kräftiger, feuriger, eindringender gesprochen. Ich erzählte, wie gewöhnlich, manches aus dem Leben des Heiligen und knüpfte daran fromme, tief ins Leben eindringende Betrachtungen. Von den Verführungen des Teufels, dem der Sündenfall die Macht gegeben, die Menschen zu verlocken, sprach ich, und unwillkürlich führte mich der Strom der Rede hinein in die Legende von den Elixieren, die ich wie eine sinnreiche Allegorie darstellen wollte. Da fiel mein in der Kirche umherschweifender Blick auf einen langen, hageren Mann, der mir schrägüber auf eine Bank gestiegen, sich an einen Eckpfeiler lehnte. Er hatte auf seltsame fremde Weise einen dunkelvioletten Mantel umgeworfen und die übereinander geschlagenen Arme darin gewickelt. Sein Gesicht war leichenblaß, aber der Blick der großen, schwarzen, stieren Augen fuhr wie ein glühender Dolchstich durch meine Brust. Mich durchbebte ein unheimliches, grauenhaftes Gefühl, schnell wandte ich mein Auge ab und sprach, alle meine Kraft zusammennehmend, weiter. Aber wie von einer fremden zauberischen Gewalt getrieben, musste ich immer wieder hinschauen, und immer starr und bewegungslos stand der Mann da, den gespenstischen Blick auf mich gerichtet. So wie bittrer Hohn und verachtender Haß lag es auf der hohen gefurchten Stirn, in dem herabgezogenen Mund. Die ganze Gestalt hatte etwas Furchtbares – Entsetzliches! – Ja! – Es war der unbekannte Maler aus der heiligen Linde. Ich fühlte mich wie von eiskalten, grausigen Fäusten gepackt – Tropfen des Angstschweißes standen auf meiner Stirn – meine Perioden stockten – immer verwirrter wurden meine Reden – es entstand ein Flüstern – ein Gemurmel in der Kirche – aber starr und unbeweglich lehnte der fürchterliche Fremde am Pfeiler, den stieren Blick auf mich gerichtet. Da schrie ich auf in der Höllenangst wahnsinniger Verzweiflung. »Ha Verruchter! Hebe dich weg, – hebe dich weg – denn ich bin es selbst! – ich bin der heilige Antonius!« – Als ich aus dem bewußtlosen Zustand, in den ich mit jenen Worten versunken, wieder erwachte, befand ich mich auf meinem Lager, und der Bruder Cyrillus saß neben mir, mich pflegend und tröstend. Das schreckliche Bild des Unbekannten stand mir noch lebhaft vor Augen, aber je mehr der Bruder Cyrillus, dem ich alles erzählte, mich zu überzeugen suchte, daß dieses nur ein Gaukelbild meiner durch das eifrige und starke Reden erhitzten Fantasie gewesen, desto tiefer fühlte ich bittre Reue und Scham über mein Betragen auf der Kanzel. Die Zuhörer dachten, wie ich nachher erfuhr, es habe mich ein plötzlicher Wahnsinn überfallen, wozu ihnen vorzüglich mein letzter Ausruf gerechten Anlaß gab. Ich war zerknirscht – zerrüttet im Geiste; eingeschlossen in meine Zelle, unterwarf ich mich den strengsten Bußübungen und stärkte mich durch inbrünstige Gebete zum Kampfe mit dem Versucher, der mir selbst an heiliger Stätte erschienen, nur in frechem Hohn die Gestalt borgend von dem frommen Maler in der heiligen Linde. Niemand wollte übrigens den Mann im violetten Mantel erblickt haben, und der Prior Leonardus verbreitete nach seiner anerkannten Gutmütigkeit auf das eifrigste überall, wie es nur der Anfall einer hitzigen Krankheit gewesen, welcher mich in der Predigt auf solche entsetzliche Weise mitgenommen und meine verwirrten Reden veranlaßt habe: wirklich war ich auch noch siech und krank, als ich nach mehreren Wochen wieder in das gewöhnliche klösterliche Leben eintrat. Dennoch unternahm ich es, wieder die Kanzel zu besteigen, aber, von innerer Angst gefoltert, verfolgt von der entsetzlichen, bleichen Gestalt, vermochte ich kaum, zusammenhängend zu sprechen, viel weniger mich wie sonst dem Feuer der Beredsamkeit zu überlassen. Meine Predigten waren gewöhnlich – steif – zerstückelt. – Die Zuhörer bedauerten den Verlust meiner Rednergabe, verloren sich nach und nach, und der alte Bruder, der sonst gepredigt und nun noch offenbar besser redete als ich, ersetzte wieder meine Stelle. –
Nach einiger Zeit begab es sich, daß ein junger Graf, von seinem Hofmeister, mit dem er auf Reisen begriffen, begleitet, unser Kloster besuchte und die vielfachen Merkwürdigkeiten desselben zu sehen begehrte. Ich mußte die Reliquienkammer aufschließen, und wir traten hinein, als der Prior, der mit uns durch Chor und Kirche gegangen, abgerufen wurde, so daß ich mit dem Fremden allein blieb. Jedes Stück hatte ich bezeigt und erklärt, da fiel dem Grafen der mit zierlichem, altdeutschem Schnitzwerk geschmückte Schrank ins Auge, in dem sich das Kistchen mit dem Teufelelixier befand. Unerachtet ich nun nicht gleich mit der Sprache heraus wollte ' was in dem Schrank verschlossen, so drangen beide, der Graf und der Hofmeister, doch so lange in mich, bis ich die Legende vom heiligen Antonius und dem arglistigen Teufel erzählte und mich über die als Relique aufbewahrte Flasche ganz getreu nach den Worten des Bruders Cyrillus ausließ, ja sogar die Warnung hinzufügte, die er mir rücksichts der Gefahr des Öffnens der Kiste und des Vorzeigens der Flasche gegeben. Unerachtet der Graf unserer Religion zugetan war, schien er doch ebensowenig als der Hofmeister auf die Wahrscheinlichkeit der heiligen Legenden viel zu bauen. Sie ergossen sich beide in allerlei witzigen Anmerkungen und Einfällen über den komischen Teufel, der die Verführungsflaschen im zerrissenen Mantel trage, endlich nahm aber der Hofmeister eine ernsthafte Miene an und sprach: »Haben Sie an uns leichtsinnigen Weltmenschen kein Ärgernis, ehrwürdiger Herr! – Seien Sie überzeugt, daß wir beide, ich und mein Graf, die Heiligen als herrliche, von der Religion hoch begeisterte Menschen verehren, die dem Heil ihrer Seele sowie dem Heil der Menschen alle Freuden des Lebens, ja, das Leben selbst opferten, was aber solche Geschichten betrifft, wie die soeben von Ihnen erzählte, so glaube ich, daß nur eine geistreiche, von dem Heiligen ersonnene Allegorie durch Mißverstand als wirklich geschehen ins Leben gezogen wurde.« –
Unter diesen Worten hatte der Hofmeister den Schieber des Kistchens schnell aufgeschoben und die schwarze, sonderbar geformte Flasche herausgenommen. Es verbreitete sich wirklich, wie der Bruder Cyrillus es mir gesagt, ein starker Duft, der indessen nichts weniger als betäubend, sondern vielmehr angenehm und wohltätig wirkte. »Ei«, rief der Graf, »ich wette, daß das Elixier des Teufels weiter nichts ist als herrlicher echter Syrakuser.« – »Ganz gewiß«, erwiderte der Hofmeister, »und stammt die Flasche wirklich aus dem Nachlaß des heiligen Autonius, so geht es Ihnen, ehrwürdiger Herr, beinahe besser als dem König von Neapel, den die Unart der Römer, den Wein nicht zu pfropfen, sondern nur durch darauf getröpfeltes Öl zu bewahren, um das Vergnügen brachte, altrömischen Wein zu kosten. Ist dieser Wein auch lange nicht so alt, als jener gewesen wäre, so ist es doch fürwahr der älteste, den es wohl geben mag, und darum täten Sie wohl, die Reliquie zu Ihrem Nutzen zu verwenden und getrost auszunippen.« – »Gewiß«, fiel der Graf ein, »dieser uralte Syrakuser würde neue Kraft in Ihre Adern gießen und die Kränklichkeit verscheuchen, von der Sie, ehrwürdiger Herr, heimgesucht scheinen.« Der Hofmeister holte einen stählernen Korkzieher aus der Tasche und öffnete, meiner Protestationen unerachtet, die Flasche. – Es war mir, als zucke mit dem Herausfliegen des Korks ein blaues Flämmchen empor, das gleich wieder verschwand. – Stärker stieg der Duft aus der Flasche und wallte durch das Zimmer. Der Hofmeister kostete zuerst und rief begeistert: »Herrlicher – herrlicher Syrakuser! In der Tat, der Weinkeller des heiligen Antonius war nicht übel, und machte der Teufel seinen Kellermeister, so meinte er es mit dem heiligen Mann nicht so böse, als man glaubt – kosten Sie, Graf!« – Der Graf tat es und bestätigte das, was der Hofmeister gesprochen. Beide scherzten noch mehr über die Reliquie, die offenbar die schönste in der ganzen Sammlung sei – sie wünschten sich einen ganzen Keller voll solcher Reliquien usw. Ich hörte alles schweigend mit niedergesenktem Haupte, mit zur Erde starrendem Blick an; der Frohsinn der Fremden hatte für mich in meiner düsteren Stimmung etwas Quälendes; vergebens drangen sie in mich, auch von dem Wein des heiligen Antonius zu kosten, ich verweigerte es standhaft und verschloß die Flasche, wohl zugepfropft, wieder in ihr Behältnis. –
Die Fremden verließen das Kloster, aber als ich einsam in meiner Zelle saß, konnte ich mir selbst ein gewisses innres Wohlbehagen, eine rege Heiterkeit des Geistes nicht ableugnen. Es war offenbar, daß der geistige Duft des Weins mich gestärkt hatte. Keine Spur der üblen Wirkung, von der Cyrillus gesprochen hatte, empfand ich, und nur der entgegengesetzte wohltätige Einfluß zeigte sich auf auffallende Weise: je mehr ich über die Legende des heiligen Antonius nachdachte, je lebhafter die Worte des Hofmeisters in meinem Innern widerklangen, desto gewisser wurde es mir, daß die Erklärung des Hofmeisters die richtige sei, und nun erst durchfuhr mich wie ein leuchtender Blitz der Gedanke, daß an jenem unglücklichen Tage, als eine feindselige Vision mich in der Predigt auf so zerstörende Weise unterbrach, ich ja selbst im Begriff gewesen, die Legende auf dieselbe Weise als eine geistreiche, belehrende Allegorie des heiligen Mannes vorzutragen. Diesem Gedanken knüpfte sich ein anderer an, welcher bald mich so ganz und gar erfüllte, daß alles übrige in ihm unterging. – »Wie«, dachte ich, »wenn das wunderbare Getränk mit geistiger Kraft dein Inneres stärkte, ja die erloschene Flamme entzünden könnte, daß sie in neuem Leben emporstrahlte? – Wenn schon dadurch eine geheimnisvolle Verwandtschaft deines Geistes mit den in jenem Wein verschlossenen Naturkräften sich offenbart hätte, daß derselbe Duft, der den schwächlichen Cyrillus betäubt, auf dich nur wohltätig wirkte?« – Aber war ich auch schon entschlossen, dem Rate der Fremden zu folgen, wollte ich schon zur Tat schreiten, so hielt mich immer wieder ein inneres, mir selbst unerklärliches Widerstreben davon zurück. Ja, im Begriff, den Schrank aufzuschließen, schien es mir, als erblicke ich in dem Schnitzwerk das entsetzliche Gesicht des Malers mit den mich durchbohrenden lebendig-totstarren Augen, und von gespenstischem Grauen gewaltsam ergriffen, floh ich aus der Reliquienkammer, um an heiliger Stätte meinen Vorwitz zu bereuen. Aber immer und immer mehr verfolgte mich der Gedanke, daß nur durch den Genuß des wunderbaren Weins mein Geist sich erlaben und stärken könne. – Das Betragen des Priors – der Mönche – die mich wie einen geistig Erkrankten mit gutgemeinter, aber niederbeugender Schonung behandelten, brachte mich zur Verzweiflung, und als Leonardus nun gar mich von den gewöhnlichen Andachtsübungen dispensierte, damit ich meine Kräfte ganz sammeln solle, da beschloß ich, in schlafloser Nacht von tiefem Gram gefoltert, auf den Tod alles zu wagen, um die verlorne geistige Kraft wiederzugewinnen oder unterzugehn.
Ich stand vom Lager auf und schlich wie ein Gespenst mit der Lampe, die ich bei dem Marienbilde auf dem Gange des Klosters angezündet, durch die Kirche nach der Reliquienkammer. Von dem flackernden Schein der Lampe beleuchtet, schienen die heiligen Bilder in der Kirche sich zu regen, es war, als blickten sie rnitleidsvoll auf mich herab, es war, als höre ich in dem dumpfen Brausen des Sturms, der durch die zerschlagenen Fenster ins Chor hineinfuhr, klägliche warnende Stimmen, ja, als riefe mir meine Mutter zu aus weiter Ferne. »Sohn Medardus, was beginnst du, laß ab von dem gefährlichen Unternehmen!« – Als ich in die Reliquienkammer getreten, war alles still und ruhig, ich schloß den Schrank auf, ich ergriff das Kistchen, die Flasche; bald hatte ich einen kräftigen Zug getan! – Glut strömte durch meine Adern und erfüllte mich mit dem Gefühl unbeschreiblichen Wohlseins ich trank noch einmal, und die Lust eines neuen herrlichen Lebens ging mir auf! – Schnell verschloß ich das leere Kistchen in den Schrank, eilte rasch mit der wohltätigen Flasche nach meiner Zelle und stellte sie in mein Schreibepult. – Da fiel mir der kleine Schlüssel in die Hände, den ich damals, um jeder Versuchung zu entgehen, vom Bunde löste, und doch hatte ich ohne ihn sowohl damals, als die Fremden zugegen waren, als jetzt den Schrank aufgeschlossen? Ich untersuchte meinen Schlüsselbund, und siehe, ein unbekannter Schlüssel, mit dem ich damals und jetzt den Schrank geöffnet, ohne in der Zerstreuung darauf zu merken, hatte sich zu den übrigen gefunden. – Ich erbebte unwillkürlich, aber ein buntes Bild jagte das andere bei dem wie aus tiefem Schlaf aufgerüttelten Geiste vorüber. Ich hatte nicht Ruh, nicht Rast, bis der Morgen heiter anbrach und ich hinabeilen konnte in den Klostergarten, um mich in den Strahlen der Sonne, die feurig und glühend hinter den Bergen emporstieg, zu baden. Leonardus, die Brüder bemerkten meine Veränderung; statt daß ich sonst, in mich verschlossen, kein Wort sprach, war ich heiter und lebendig. Als rede ich vor versammelter Gemeinde, sprach ich mit dem Feuer der Beredsamkeit, wie es sonst mir eigen. Da ich mit Leonardus allein geblieben, sah er mich lange an, als wollte er mein Innerstes durchdringen, dann sprach er aber, indem ein leises ironisches Lächeln über sein Gesicht flog: »Hat der Bruder Medardus vielleicht in einer Vision neue Kraft und verjüngtes Leben von oben herab erhalten?« – Ich fühlte mich vor Scham erglühen, denn in dem Augenblick kam mir meine Exaltation, durch einen Schluck alten Weins erzeugt, nichtswürdig und armselig vor. Mit niedergeschlagenen Augen und gesenktem Haupt stand ich da, Leonardus überließ mich meinen Betrachtungen. Nur zu sehr hatte ich gefürchtet, daß die Spannung, in die mich der genossene Wein versetzt, nicht lange anhalten, sondern vielleicht zu meinem Gram noch größere Ohnmacht nach sich ziehen würde; es war aber dem nicht so, vielmehr fühlte ich, wie mit der wiedererlangten Kraft auch jugendlicher Mut und jenes rastlose Streben nach dem höchsten Wirkungskreise, den mir das Kloster darbot, zurückkehrte. Ich bestand darauf, am nächsten heiligen Tage wieder zu predigen, und es wurde mir vergönnt. Kurz vorher, ehe ich die Kanzel bestieg, genoß ich von dem wunderbaren Weine; nie hatte ich darauf feuriger, salbungsvoller, eindringender gesprochen. Schnell verbreitete sich der Ruf meiner gänzlichen Wiederherstellung, und so wie sonst füllte sich wieder die Kirche, aber je mehr ich den Beifall der Menge erwarb, desto ernster und zurückhaltender wurde Leonardus, und ich fing an, ihn von ganzer Seele zu hassen, da ich ihn von kleinlichem Neide und mönchischem Stolz befangem glaubte.
Der Bernardustag kam heran, und ich war voll brennender Begierde, vor der Fürstin recht mein Licht leuchten zu lassen, weshalb ich den Prior bat, es zu veranstalten, daß mir es vergönnt werde, an dem Tage im Zisterzienserkloster zu predigen. – Den Leonardus schien meine Bitte auf besondere Weise zu überraschen, er gestand mit unverhohlen, daß er gerade dieses Mal im Sinn gehabt habe, selbst zu predigen und daß deshalb schon das Nötige angeordnet sei, desto leichter sei indessen die Erfüllung meiner Bitte, da er sich mit Krankheit entschuldigen und mich statt seiner herausschicken werde. –
Das geschah wirklich! – Ich sah meine Mutter sowie die Fürstin den Abend vorher; mein Innres war aber so ganz von meiner Rede erfüllt, die den höchsten Gipfel der Beredsamkeit erreichen sollte, daß ihr Wiedersehen nur einen geringen Eindruck auf mich machte. Es war in der Stadt verbreitet, daß ich statt des erkrankten Leonardus predigen würde, und dies hatte vielleicht noch einen größeren Teil des gebildeten Publikums herbeigezogen. Ohne das mindeste aufzuschreiben, nur in Gedanken die Rede in ihren Teilen ordnend, rechnete ich auf die hohe Begeisterung, die das feierliche Hochamt, das versammelte andächtige Volk, ja selbst die herrliche, hochgewölbte Kirche in mir erwecken würde, und hatte mich in der Tat nicht geirrt. – Wie ein Feuerstrom flossen meine Worte, die mit der Erinnerung an den heiligen Bernhard die sinnreichsten Bilder, die frömmsten Betrachtungen enthielten, dahin, und in allen auf mich gerichteten Blicken las ich Staunen und Bewunderung. Wie war ich darauf gespannt, was die Fürstin wohl sagen werde, wie erwartete ich den höchsten Ausbruch ihres innigsten Wohlgefallens, ja es war mir, als müsse sie den, der sie schon als Kind in Erstaunen gesetzt, jetzt die ihm inwohnende höhere Macht deutlicher ahnend, mit unwillkürlicher Ehrfurcht empfangen. Als ich sie sprechen wollte, ließ sie mir sagen, daß sie, plötzlich von einer Kränklichkeit überfallen, niemanden, auch mich nicht, sprechen könne. – Dies war mir um so verdrießlicher, als nach meinem stolzen Wahn die Äbtissin in der höchsten Begeisterung das Bedürfnis hätte fühlen sollen, noch salbungsreiche Worte von mir zu vernehmen. Meine Mutter schien einen heimlichen Gram in sich zu tragen, nach dessen Ursache ich mich nicht unterstand zu forschen, weil ein geheimes Gefühl mir selbst die Schuld davon aufbürdete, ohne daß ich mir dies hätte deutlicher enträtseln können. Sie gab mir ein kleines Billett von der Fürstin, das ich erst im Kloster öffnen sollte; kaum war ich in meiner Zelle, als ich zu meinem Erstaunen folgendes las:
»Du hast mich, mein lieber Sohn (denn noch will ich Dich so nennen), durch die Rede, die Du in der Kirche unseres Klosters hieltest, in die tiefste Betrübnis gesetzt. Deine Worte kommen nicht aus dem andächtigen, ganz dem Himmlischen zugewandten Gemüte, Deine Begeisterung war nicht diejenige, welche den Frommen auf Seraphsfittichen emporträgt, daß er in heiliger Verzückung das himmlische Reich zu schauen vermag. Ach! Der stolze Prunk Deiner Rede, Deine sichtliche Anstrengung, nur recht viel Auffallendes, Glänzendes zu sagen, hat mir bewiesen, daß Du, statt die Gemeinde zu belehren und zu frommen Betrachtungen zu entzünden, nur nach dem Beifall, nach der wertlosen Bewunderung der weltlich gesinnten Menge trachtest. Du hast Gefühle geheuchelt, die nicht in Deinem Innern waren, ja Du hast selbst gewisse sichtlich studierte Mienen und Bewegungen erkünstelt, wie ein eitler Schauspieler, alles nur des schnöden Beifalls wegen. Der Geist des Trugs ist in Dich gefahren und wird Dich verderben, wenn Du nicht in Dich gehst und der Sünde entsagst. Denn Sünde, große Sünde ist Dein Tun und Treiben, um so mehr, als Du Dich zum frömmsten Wandel, zur Entsagung aller irdischen Torheit im Kloster dem Himmel verpflichtet. Der heilge Bernardus, den Du durch Deine trügerische Rede so schnöde beleidigt, möge Dir nach seiner himmlischen Langmut verzeihen, ja Dich erleuchten, daß Du den rechten Pfad, von dem Du, durch den Bösen verlockt, abgewichen, wieder findest, und er fürbitten könne für das Heil Deiner Seele. Gehab Dich wohl!«
Wie hundert Blitze durchfuhren mich die Worte der Äbtissin, und ich erglühte vor innerm Zorn, denn nichts war mir gewisser, als daß Leonardus, dessen mannigfache Andeutungen über meine Predigten ebendahin gewiesen hatten, die Andächtelei der Fürstin benutzt und sie gegen mich und mein Rednertalent aufgewiegelt habe. Kaum konnte ich ihn mehr anschauen, ohne vor innerlicher Wut zu erbeben, ja es kamen mir oft Gedanken, ihn zu verderben, in den Sinn, vor denen ich selbst erschrak. Um so unerträglicher waren mir die Vorwürfe der Äbtissin und des Priors, als ich in der tiefsten Tiefe meiner Seele wohl die Wahrheit derselben fühlte; aber immer fester und fester beharrend in meinem Tun, mich stärkend durch Tropfen Weins aus der geheimnisvollen Flasche, fuhr ich fort, meine Predigten mit allen Künsten der Rhetorik auszuschmücken und mein Mienenspiel, meine Gestikulationen sorgfältig zu studieren, und so gewann ich des Beifalls, der Bewunderung immer mehr und mehr.
Das Morgenlicht brach in farbechten Strahlen durch die bunten Fenster der Klosterkirche; einsam und in tiefe Gedanken versunken, saß ich im Beichtstuhl; nur die Tritte des dienenden Laienbruders, der die Kirche reinigte, hallten durch das Gewölbe. Da rauschte es in meiner Nähe, und ich erblickte ein großes schlankes Frauenzimmer, auf fremdartige Weise gekleidet, einen Schleier über das Gesicht gehängt, die, durch die Seitenpforte hereingetreten, sich mir nahte, um zu beichten. Sie bewegte sich mit unbeschreiblicher Anmut, sie kniete nieder, ein tiefer Seufzer entfloh ihrer Brust, ich fühlte ihren glühenden Atem, es war, als umstricke mich ein betäubender Zauber, noch ehe sie sprach! Wie vermag ich den ganz eignen, ins Innerste dringenden Ton ihrer Stimme zu beschreiben. – Jedes ihrer Worte griff in meine Brust, als sie bekannte, wie sie eine verbotene Liebe hege, die sie schon seit langer Zeit vergebens bekämpfe, und daß diese Liebe um so sündlicher sei, als den Geliebten heilige Bande auf ewig fesselten; aber im Wahnsinn hoffnungsloser Verzweiflung habe sie diesen Banden schon geflucht. – Sie stockte – mit einem Tränenstrom, der die Worte beinahe erstickte, brach sie los: »Du selbst – du selbst, Medardus, bist es, den ich so unaussprechlich liebe!« – Wie im tötenden Krampf zuckten alle meine Nerven, ich war außer mir selbst, ein nie gekanntes Gefühl zerriß meine Brust, sie sehen, sie an mich drücken – vergehen vor Wonne und Qual, eine Minute dieser Seligkeit für ewige Marter der Hölle! – Sie schwieg, aber ich hörte sie tief atmen. – In einer Art wilder Verzweiflung raffte ich mich gewaltsam zusammen, was sie gesprochen, weiß ich nicht mehr, aber ich nahm wahr, daß sie schweigend aufstand und sich entfernte, während ich das Tuch fest vor die Augen drückte und wie erstarrt, bewußtlos im Beichtstuhl sitzen blieb. –
Zum Glück kam niemand mehr in die Kirche, ich konnte daher unbemerkt in meine Zelle entweichen. Wie so ganz anders erschien mir jetzt alles, wie töricht, wie schal mein ganzes Streben. – Ich hatte das Gesicht der Unbekannten nicht gesehen, und doch lebte sie in meinem Innern und blickte mich an mit holdseligen, dunkelblauen Augen, in denen Tränen perlten, die wie mit verzehrender Glut in meine Seele fielen und die Flamme entzündeten, die kein Gebet, keine Bußübung mehr dämpfte. Denn diese unternahm ich, mich züchtigend bis aufs Blut mit dem Knotenstrick, um der ewigen Verdammnis zu entgehen, die mir drohte, da oft jenes Feuer, das das fremde Weib in mich geworfen, die sündlichsten Begierden, welche sonst mir unbekannt geblieben, erregte, so daß ich mich nicht zu retten wußte vor wollüstiger Qual.
Ein Altar in unserer Kirche war der heiligen Rosalia geweiht und ihr herrliches Bild in dem Moment gemalt, als sie den Märtyrertod erleidet. – Es war meine Geliebte, ich erkannte sie, ja sogar ihre Kleidung war dem seltsamen Anzug der Unbekannten völlig gleich. Da lag ich stundenlang, wie von verderblichem Wahnsinn befangen, niedergeworfen auf den Stufen des Altars und stieß heulende entsetzliche Töne der Verzweiflung aus, daß die Mönche sich entsetzten und scheu von mir wichen. – In ruhigeren Augenblicken lief ich im Klostergarten auf und ab, in duftiger Ferne sah ich sie wandeln, sie trat aus den Gebüschen, sie stieg empor aus den Quellen, sie schwebte auf blümichter Wiese, überall nur sie, nur sie! – Da verwünschte ich mein Gelübde, mein Dasein! – Hinaus in die Welt wollte ich und nicht rasten, bis ich sie gefunden, sie erkaufen mit dem Heil meiner Seele. Es gelang mir endlich wenigstens, mich in den Ausbrüchen meines den Brüdern und dem Prior unerklärlichen Wahnsinns zu mäßigen, ich konnte ruhiger scheinen, aber immer tiefer ins Innere hinein zehrte die verderbliche Flamme. Kein Schlaf! – Keine Ruhe! – Von ihrem Bilde verfolgt, wälzte ich mich auf dem harten Lager und rief die Heiligen an, nicht, mich zu retten von dem verführerischen Gaukelbilde, das mich umschwebte, nicht, meine Seele zu bewahren vor ewiger Verdammnis, nein! – mir das Weib zu geben, meinen Schwur zu lösen, mir Freiheit zu schenken zum sündigen Abfall! –
Endlich stand es fest in meiner Seele, meiner Qual durch die Flucht aus dem Kloster ein Ende zu machen. Denn nur die Befreiung von den Klostergelübden schien mir nötig zu sein, um das Weib in meinen Armen zu sehen und die Begierde zu stillen, die in mir brannte. Ich beschloß, unkenntlich geworden durch das Abscheren meines Bartes und weltliche Kleidung, so lange in der Stadt umherzuschweifen, bis ich sie gefunden, und dachte nicht daran, wie schwer, ja wie unmöglich dies vielleicht sein werde, ja, wie ich vielleicht, von allem Gelde entblößt, nicht einen einzigen Tag außerhalb der Mauern würde leben können.
Der letzte Tag, den ich noch im Kloster zubringen wollte, war endlich herangekommen, durch einen günstigen Zufall hatte ich anständige bürgerliche Kleider erhalten; in der nächsten Nacht wollte ich das Kloster verlassen, um nie wieder zurückzukehren. Schon war es Abend geworden, als der Prior mich ganz unerwartet zu sich rufen ließ. Ich erbebte, denn nichts glaubte ich gewisser, als daß er von meinem heimlichen Anschlage etwas bemerkt habe. Leonardus empfing mich mit ungewöhnlichem Ernst, ja mit einer imponierenden Würde, vor der ich unwillkürlich erzittern mußte. »Bruder Medardus«, fing er an, »dein unsinniges Betragen, das ich nur für den stärkeren Ausbruch jener geistigen Exaltation halte, die du seit längerer Zeit, vielleicht nicht aus den reinsten Absichten, herbeigeführt hast, zerreißt unser ruhiges Beisammensein, ja es wirkt zerstörend auf die Heiterkeit und Gemütlichkeit, die ich als das Erzeugnis eines stillen frommen Lebens bis jetzt unter den Brüdern zu erhalten strebte. – Vielleicht ist aber auch irgendein feindliches Ereignis, das dich betroffen, daran schuld. Du hättest bei mir, deinem väterlichen Freunde, dem du sicher alles vertrauen konntest, Trost gefunden, doch du schwiegst, und ich mag um so weniger in dich dringen, als mich jetzt dein Geheimnis um einen Teil meiner Ruhe bringen könnte, die ich im heitern Alter über alles schätze. Du hast oftmals, vorzüglich bei dem Altar der heiligen Rosalia, durch anstößige entsetzliche Reden, die dir wie im Wahnsinn zu entfahren schienen, nicht nur den Brüdern, sondern auch Fremden, die sich zufällig in der Kirche befanden, ein heilloses Ärgernis gegeben; ich könnte dich daher nach der Klosterzucht hart strafen, doch will ich dies nicht tun, da vielleicht irgendeine böse Macht – der Widersacher selbst, dem du nicht genugsam widerstanden, an deiner Verirrung schuld ist, und gebe dir nur auf, rüstig zu sein in Buße und Gebet. – Ich schaue tief in deine Seele! Du willst ins Freie!« –
Durchdringend schaute Leonardus mich an, ich konnte seinen Blick nicht ertragen, schluchzend stürzte ich nieder in den Staub, mir bewußt des bösen Vorhabens. »Ich verstehe dich«, fuhr Leonardus fort, »und glaube selbst, daß besser als die Einsamkeit des Klosters die Welt, wenn du sie in Frömmigkeit durchziehst, dich von deiner Verirrung heilen wird. Eine Angelegenheit unseres Klosters erfordert die Sendung eines Bruders nach Rom. Ich habe dich dazu gewählt, und schon morgen kannst du, mit den nötigen Vollmachten und Instruktionen versehen, deine Reise antreten. Um so mehr eignest du dich zur Ausführung dieses Auftrages, als du noch jung, rüstig, gewandt in Geschäften und der italienischen Sprache vollkommen mächtig bist. – Begib dich jetzt in deine Zelle; bete mit Inbrunst um das Heil deiner Seele, ich will ein gleiches tun, doch unterlasse alle Kasteiungen, die dich nur schwächen und zur Reise untauglich machen würden. Mit dem Anbruch des Tages erwarte ich dich hier im Zimmer.« –
Wie ein Strahl des Himmels erleuchteten mich die Worte des ehrwürdigen Leonardus, ich hatte ihn gehaßt, aber jetzt durchdrang mich wie ein wonnevoller Schmerz die Liebe, welche mich sonst an ihn gefesselt hatte. Ich vergoß heiße Tränen, ich drückte seine Hände an die Lippen. Er umarmte mich, und es war mir, als wisse er nun meine geheimsten Gedanken und erteile mir die Freiheit, dem Verhängnis nachzugeben, das, über mich waltend, nach minutenlanger Seligkeit mich vielleicht in ewiges Verderben stürzen konnte.
Nun war die Flucht unnötig geworden, ich konnte das Kloster verlassen und ihr, ihr, ohne die nun keine Ruhe, kein Heil für mich hienieden zu finden, rastlos folgen, bis ich sie gefunden. Die Reise nach Rom, die Aufträge dahin schienen mir nur von Leonardus ersonnen, um mich auf schickliche Weise aus dem Kloster zu entlassen.
Die Nacht brachte ich betend und mich bereitend zur Reise zu, den Rest des Weins füllte ich in eine Korbflasche, um ihn als bewährtes Wirkungsmittel zu gebrauchen, und setzte die Flasche, welche sonst das Elixier enthielt, wieder in die Kiste.
Nicht wenig verwundert war ich, als ich aus den weitläufigen Instruktionen des Priors wahrnahm, daß es mit meiner Sendung nach Rom nun wohl seine Richtigkeit hatte, und daß die Angelegenheit, welche dort die Gegenwart eines bevollmächtigten Bruders verlangte, gar viel bedeutete und in sich trug. Es fiel mir schwer aufs Herz, daß ich gesonnen, mit dem ersten Schritt aus dem Kloster ohne alle Rücksicht mich meiner Freiheit zu überlassen; doch der Gedanke an sie ermutigte mich, und ich beschloß, meinem Plan treu zu bleiben.
Die Brüder versammelten sich, und der Abschied von ihnen, vorzüglich von dem Vater Leonardus, erfüllte mich mit der tiefsten Wehmut. – Endlich schloß sich die Klosterpforte hinter mir, und ich war, gerüstet zur weiten Reise, im Freien.