E.T.A. Hoffmann
Die Elixiere des Teufels
E.T.A. Hoffmann

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E.T.A. Hoffmann: Die Elixiere des Teufels / Teil 1

Vierter Abschnitt

Das Leben am fürstlichen Hofe

Die Residenz des Fürsten bildete gerade den Gegensatz zu der Handelsstadt, die ich verlassen. Im Umfange bedeutend kleiner, war sie regelmäßiger und schöner gebaut, aber ziemlich menschenleer. Mehrere Straßen, worin Alleen gepflanzt, schienen mehr Anlagen eines Parks zu sein, als zur Stadt zu gehören; alles bewegte sich still und feierlich, selten von dem rasselnden Geräusch eines Wagens unterbrochen. Selbst in der Kleidung und in dem Anstande der Einwohner bis auf den gemeinen Mann herrschte eine gewisse Zierlichkeit, ein Streben, äußere Bildung zu zeigen.

Der fürstliche Palast war nichts weniger als groß, auch nicht im großen Stil erbaut, aber rücksichts der Eleganz, der richtigen Verhältnisse eines der schönsten Gebäude, die ich jemals gesehen; an ihn schloß sich ein anmutiger Park, den der liberale Fürst den Einwohnern zum Spaziergang geöffnet.

Man sagte mir in dem Gasthause, wo ich eingekehrt, daß die fürstliche Familie gewöhnlich abends einen Gang durch den Park zu machen pflege und daß viele Einwohner diese Gelegenheit niemals versäumten, den gütigen Landesherrn zu sehen. Ich eilte um die bestimmte Stunde in den Park, der Fürst trat mit seiner Gemahlin und einer geringen Umgebung aus dem Schlosse. Ach! – bald sah ich nichts mehr als die Fürstin, sie, die meiner Pflegemutter so ähnlich war! – Dieselbe Hoheit, dieselbe Anmut in jeder ihrer Bewegungen, derselbe geistvolle Blick des Auges, dieselbe freie Stirne, das himmlische Lächeln. – Nur schien sie mir im Wuchse voller und jünger als die Äbtissin. Sie redete liebreich mit mehreren Frauenzimmern, die sich eben in der Allee befanden, während der Fürst mit einem ernsten Mann im interessanten eifrigen Gespräch begriffen schien. – Die Kleidung, das Benehmen der fürstlichen Familie, ihre Umgebung, alles griff ein in den Ton des Ganzen. Man sah wohl, wie die anständige Haltung in einer gewissen Ruhe und anspruchslosen Zierlichkeit, in der sich die Residenz erhielt, von dem Hof ausging. Zufällig stand ich bei einem aufgeweckten Mann, der mir auf alle mögliche Fragen Bescheid gab und manche muntere Anmerkung einzuflechten wußte. Als die fürstliche Familie vorüber war, schlug er mir vor, einen Gang durch den Park zu machen und mir, dem Fremden, die geschmackvollen Anlagen zu zeigen, welche überall in demselben anzutreffen; das war mir nun ganz recht, und ich fand in der Tat, daß überall der Geist der Anmut und des geregelten Geschmacks verbreitet, wiewohl mir oft in den im Park zerstreuten Gebäuden das Streben nach der antiken Form, die nur die grandiosesten Verhältnisse duldet, den Bauherrn zu Kleinlichkeiten verleitet zu haben schien. Antike Säulen, deren Kapitelle ein großer Mann beinahe mit der Hand erreicht, sind wohl ziemlich lächerlich. Ebenso gab es in entgegengesetzter Art im andern Teil des Parks ein paar gotische Gebäude, die sich in ihrer Kleinheit gar zu kleinlich ausnahmen. Ich glaube, daß das Nachahmen gotischer Formen beinahe noch gefährlicher ist als jenes Streben nach dem Antiken. Denn ist es auch allerdings richtig, daß kleine Kapellen dem Baumeister, der rücksichts der Größe des Gebäudes und der darauf zu verwendenden Kosten eingeschränkt ist, Anlaß genug geben, in jenem Stil zu bauen, so möchte es doch wohl mit den Spitzbogen, bizarren Säulen, Schnörkeln, die man dieser oder jener Kirche nachahmt, nicht getan sein, da nur der Baumeister etwas Wahrhaftiges in der Art leisten wird, der sich von dem tiefen Sinn – wie er in den alten Meistern wohnte, welche das willkürlich, ja das heterogen Scheinende so herrlich zu einem sinnigen bedeutungsvollen Ganzen zu verbinden wußten – beseelt fühlt. Es ist mit einem Wort der seltene Sinn für das Romantische, der den gotischen Baumeister leiten muß, da hier von dem Schulgerechten, an das er sich bei der antiken Form halten kann, nicht die Rede ist. Ich äußerte alles dies meinem Begleiter; er stimmte mir vollkommen bei und suchte nur für jene Kleinigkeiten darin eine Entschuldigung, daß die in einem Park nötige Abwechslung und selbst das Bedürfnis, hie und da Gebäude als Zufluchtsort bei plötzlich einbrechendem Unwetter oder auch nur zur Erholung, zum Ausruhen zu finden, beinahe von selbst jene Mißgriffe herbeiführe. – Die einfachsten, anspruchslosesten Gartenhäuser, Strohdächer, auf Baumstämme gestützt und in anmutige Gebüsche versteckt, die eben jenen angedeuteten Zweck erreichten, meinte ich dagegen, wären mir lieber als alle jene Tempelchen und Kapellchen; und sollte denn nun einmal gezimmert und gemauert werden, so stehe dem geistreichen Baumeister, der rücksichts des Umfanges und der Kosten beschränkt sei, wohl ein Stil zu Gebote, der, sich zum antiken oder zum gotischen hinneigend, ohne kleinliche Nachahmerei, ohne Anspruch, das grandiose, alte Muster zu erreichen, nur das Anmutige, den dem Gemüte des Beschauers wohltuenden Eindruck bezwecke.

»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, erwiderte mein Begleiter, »indessen rühren alle diese Gebäude, ja die Anlage des ganzen Parks von dem Fürsten selbst her, und dieser Umstand beschwichtigt, wenigstens bei uns Einheimischen, jeden Tadel. – Der Fürst ist der beste Mensch, den es auf der Welt geben kann, von jeher hat er den wahrhaft landesväterlichen Grundsatz, daß die Untertanen nicht seinetwegen da wären, er vielmehr der Untertanen wegen da sei, recht an den Tag gelegt. Die Freiheit, alles zu äußern, was man denkt; die Geringfügigkeit der Abgaben und der daraus entspringende niedrige Preis aller Lebensbedürfnisse; das gänzliche Zurücktreten der Polizei, die nur dem boshaften Übermut ohne Geräusch Schranken setzt und weit entfernt ist, den einheimischen Bürger sowie den Fremden mit gehässigem Amtseifer zu quälen; die Entfernung alles soldatischen Unwesens, die gemütliche Ruhe, womit Geschäfte, Gewerbe getrieben werden: alles das wird Ihnen den Aufenthalt in unserem Ländchen erfreulich machen. Ich wette, daß man Sie bis jetzt noch nicht nach Namen und Stand gefragt hat und der Gastwirt keineswegs, wie in andern Städten, in der ersten Viertelstunde mit dem großen Buche unterm Arm feierlich angerückt ist, worin man genötigt wird, seinen eignen Steckbrief mit stumpfer Feder und blasser Tinte hineinzukritzeln. Kurz, die ganze Einrichtung unseres kleinen Staats, in dem die wahre Lebensweisheit herrscht, geht von unserm herrlichen Fürsten aus, da vorher die Menschen, wie man mir gesagt hat, durch albernen Pedantismus eines Hofes, der die Ausgabe des benachbarten großen Hofes in Taschenformat war, gequält wurden. Der Fürst liebt Künste und Wissenschaft, daher ist ihm jeder geschickte Künstler, jeder geistreiche Gelehrte willkommen, und der Grad seines Wissens nur ist die Ahnenprobe, die die Fähigkeit bestimmt, in der nächsten Umgebung des Fürsten erscheinen zu dürfen. Aber eben in die Kunst und Wissenschaft des vielseitig gebildeten Fürsten hat sich etwas von dem Pedantismus geschlichen, der ihn bei seiner Erziehung einzwängte und der sich jetzt in dem sklavischen Anhängen an irgendeine Form ausspricht. Er schrieb und zeichnete den Baumeistern mit ängstlicher Genauigkeit jedes Detail der Gebäude vor, und jede geringe Abweichung von dem aufgestellten Muster, das er mühsam aus allen nur möglichen antiquarischen Werken herausgesucht, konnte ihn ebenso ängstigen, als wenn dieses oder jenes dem verjüngten Maßstab, den ihm die beengten Verhältnisse aufdrängen, sich durchaus nicht fügen wollte. Durch eben das Anhängen an diese oder jene Form, die er liebgewonnen, leidet auch unser Theater, das von der einmal bestimmten Manier, der sich die heterogensten Elemente fügen müssen, nicht abweicht. Der Fürst wechselt mit gewissen Lieblingsneigungen, die aber gewiß niemals irgend jemandem zu nahe treten. Als der Park angelegt wurde, war er leidenschaftlicher Baumeister und Gärtner, dann begeisterte ihn der Schwung, den seit einiger Zeit die Musik genommen, und dieser Begeisterung verdanken wir die Einrichtung einer ganz vorzüglichen Kapelle. – Dann beschäftigte ihn die Malerei, in der er selbst das Ungewöhnliche leistet. Selbst bei den täglichen Belustigungen des Hofes findet dieser Wechsel statt. – Sonst wurde viel getanzt, jetzt wird an Gesellschaftstagen eine Pharobank gehalten, und der Fürst, ohne im mindesten eigentlicher Spieler zu sein, ergötzt sich an den sonderbaren Verknüpfungen des Zufalls, doch bedarf es nur irgendeines Impulses, um wieder etwas anderes an die Tagesordnung zu bringen. Dieser schnelle Wechsel der Neigungen hat dem guten Fürsten den Vorwurf zugezogen, daß ihm diejenige Tiefe des Geistes fehle, in der sich, wie in einem klaren, sonnenhellen See, das farbenreiche Bild des Lebens unverändert spiegelt; meiner Meinung nach tut man ihm aber unrecht, da eine besondere Regsamkeit des Geistes nur ihn dazu treibt, diesem oder jenem nach erhaltenem Impuls mit besonderer Leidenschaft nachzuhängen, ohne daß darüber das ebenso Edle vergessen oder auch nur vernachlässigt werden sollte. Daher kommt es, daß Sie diesen Park so wohl erhalten sehen, daß unsere Kapelle, unser Theater fortdauernd auf alle mögliche Weise unterstützt und gehoben, daß die Gemäldesammlung nach Kräften bereichert wird. Was aber den Wechsel der Unterhaltungen bei Hofe betrifft, so ist das wohl ein heitres Spiel im Leben, das jeder dem regsamen Fürsten zur Erholung vom ernsten, oft mühevollen Geschäft recht herzlieb gönnen mag.«

Wir gingen eben bei ganz herrlichen, mit tiefem malerischem Sinn gruppierten Gebüschen und Bäumen vorüber, ich äußerte meine Bewunderung, und mein Begleiter sagte: »Alle diese Anlagen, diese Pflanzungen, diese Blumengruppen sind das Werk der vortrefflichen Fürstin. Sie ist selbst vollendete Landschaftsmalerin und außerdem die Naturkunde ihre Lieblingswissenschaft. Sie finden daher ausländische Bäume, seltene Blumen und Pflanzen, aber nicht wie zur Schau ausgestellt, sondern mit tiefem Sinn so geordnet und in zwanglose Partien verteilt, als wären sie ohne alles Zutun der Kunst aus heimatlichem Boden entsprossen. – Die Fürstin äußerte einen Abscheu gegen all die aus Sandstein unbeholfen gemeißelten Götter und Göttinnen, Najaden und Dryaden, wovon sonst der Park wimmelte. Diese Standbilder sind deshalb verbannt worden, und Sie finden nur noch einige gute Kopien nach der Antike, die der Fürst gewisser, ihm teurer Erinnerungen wegen gern im Park behalten wollte, die aber die Fürstin so geschickt – mit zartem Sinn des Fürsten innerste Willensmeinung ergreifend – aufstellen zu lassen wußte, daß sie auf jeden, dem auch die geheimeren Beziehungen fremd sind, ganz wunderbar wirken.«

Es war später Abend geworden, wir verließen den Park, mein Begleiter nahm die Einladung an, mit mir im Gasthofe zu speisen, und gab sich endlich als den Inspektor der fürstlichen Bildergalerie zu erkennen.

Ich äußerte ihm, als wir bei der Mahlzeit vertrauter geworden, meinen herzlichen Wunsch, der fürstlichen Familie näherzutreten, und er versicherte, daß nichts leichter sei als dieses, da jeder gebildete, geistreiche Fremde im Zirkel des Hofes willkommen wäre. Ich dürfe nur dem Hofmarschall den Besuch machen und ihn bitten, mich dem Fürsten vorzustellen. Diese diplomatische Art, zum Fürsten zu gelangen, gefiel mir um so weniger, als ich kaum hoffen konnte, gewissen lästigen Fragen des Hofmarschalls über das »Woher?«, über Stand und Charakter zu entgehen; ich beschloß daher, dem Zufall zu vertrauen, der mir vielleicht den kürzeren Weg zeigen würde, und das traf auch in der Tat bald ein. Als ich nämlich eines Morgens in dem zur Stunde gerade ganz menschenleeren Park lustwandelte, begegnete mir der Fürst in einem schlichten Oberrock. Ich grüßte ihn, als sei er mir gänzlich unbekannt, er blieb stehen und eröffnete das Gespräch mit der Frage, ob ich fremd hier sei. – ich bejahte es, mit dem Zusatz, wie ich vor ein paar Tagen angekommen und bloß durchreisen wollen; die Reize des Orts und vorzüglich die Gemütlichkeit und Ruhe, die hier überall herrschen, hätten mich aber vermocht, zu verweilen. Ganz unabhängig, bloß der Wissenschaft und der Kunst lebend, wäre ich gesonnen, recht lange hier zu bleiben, da mich die ganze Umgebung auf höchste Weise anspreche und anziehe. Dem Fürsten schien das zu gefallen, und er erbot sich, mir als Cicerone alle Anlagen des Parks zu zeigen. Ich hütete mich, zu verraten, daß ich das alles schon gesehen, sondern ließ mich durch alle Grotten, Tempel, gotische Kapellen, Pavillons führen und hörte geduldig die weitschweifigen Kommentare an, die der Fürst von jeder Anlage gab. Überall nannte er die Muster, nach welchen gearbeitet worden, machte mich auf die genaue Ausführung der gestellten Aufgaben aufmerksam und verbreitete sich Oberhaupt über die eigentliche Tendenz, die bei der ganzen Einrichtung dieses Parks zum Grunde gelegen und die bei jedem Park verwalten sollte. Er frug nach meiner Meinung; ich rühmte die Anmut des Ortes, die üppige, herrliche Vegetation, unterließ aber auch nicht rücksichts der Gebäude mich ebenso wie gegen den Galerie-Inspektor zu äußern. Er hörte mich aufmerksam an, er schien manches meiner Urteile nicht gerade zu verwerfen, indessen schnitt er jede weitere Diskussion über diesen Gegenstand durch die Äußerung ab, daß ich zwar in ideeller Hinsicht recht haben könne, indessen mir die Kenntnis des Praktischen und der wahren Art der Ausführung fürs Leben abzugehen scheine. Das Gespräch wandte sich zur Kunst, ich bewies mich als guter Kenner der Malerei und als praktischer Tonkünstler, ich wagte manchen Widerspruch gegen seine Urteile, die geistreich und präzis seine innere Überzeugung aussprachen, aber auch wahrnehmen ließen, daß seine Kunstbildung zwar bei weitem die übertraf, wie sie die Großen gemeinhin zu erhalten pflegen, indessen doch viel zu oberflächlich war, um nur die Tiefe zu ahnen, aus der dem wahren Künstler die herrliche Kunst aufgeht und in dem den göttlichen Funken des Strebens nach dem Wahrhaftigen entzündet. Meine Widersprüche, meine Ansichten galten ihm nur als Beweis meines Dilettantismus, der gewöhnlich nicht von der wahren praktischen Einsicht erleuchtet werde. Er belehrte mich über die wahren Tendenzen der Malerei und der Musik, über die Bedingnisse des Gemäldes, der Oper. – Ich erfuhr viel von Kolorit, Draperie, Pyramidalgruppen, von ernster und komischer Musik, von Szenen für die Primadonna, von Chören, vom Effekt, vom Helldunkel, der Beleuchtung usw. Ich hörte alles an, ohne den Fürsten, der sich in dieser Unterhaltung recht zu gefallen schien, zu unterbrechen. Endlich schnitt er selbst seine Rede ab mit der schnellen Frage: »Spielen Sie Pharo?« – Ich verneinte es. »Das ist ein herrliches Spiel«, fuhr er fort, »in seiner hohen Einfachheit das wahre Spiel für geistreiche Männer. Man tritt gleichsam aus sich selbst heraus, oder besser, man stellt sich auf einen Standpunkt, von dem man die sonderbaren Verschlingungen und Verknüpfungen, die die geheime Macht, welche wir Zufall nennen, mit unsichtbarem Faden spinnt, zu erblicken imstande ist. Gewinn und Verlust sind die beiden Angeln, auf denen sich die geheimnisvolle Maschine bewegt, die wir angestoßen und die nun der ihr einwohnende Geist nach Willkür forttreibt. – Das Spiel müssen Sie lernen, ich will selbst Ihr Lehrmeister sein.« – Ich versicherte, bis jetzt nicht viel Lust zu einem Spiel in mir zu spüren, das, wie mir oft versichert worden, höchst gefährlich und verderblich sein solle. – Der Fürst lächelte und fuhr, mich mit seinen lebhaften klaren Augen scharf anblickend, fort: »Ei, das sind kindische Seelen, die das behaupten, aber am Ende halten Sie mich wohl für einen Spieler, der Sie ins Garn locken will. – Ich bin der Fürst; gefällt es Ihnen hier in der Residenz, so bleiben Sie hier und besuchen Sie meinen Zirkel, in dem wir manchmal Pharo spielen, ohne daß ich zugebe, daß sich irgend jemand durch das Spiel derangiere, unerachtet das Spiel bedeutend sein muß, um zu interessieren, denn der Zufall ist träge, sobald ihm nur Unbedeutendes dargeboten wird.«

Schon im Begriff, mich zu verlassen, kehrte der Fürst sich noch zu mir und frug: »Mit wem habe ich aber gesprochen?« – Ich erwiderte, daß ich Leonard heiße und als Gelehrter privatisiere, ich sei übrigens keineswegs von Adel und dürfe vielleicht daher von der mir angebotenen Gnade, im Hofzirkel zu erscheinen, keinen Gebrauch machen. »Was Adel, was Adel«, rief der Fürst heftig. »Sie sind, wie ich mich überzeugt habe, ein sehr unterrichteter, geistreicher Mann. – Die Wissenschaft adelt Sie und macht Sie fähig, in meiner Umgebung zu erscheinen. Adieu, Herr Leonard, auf Wiedersehen!« – So war denn mein Besuch früher und leichter, als ich es mir gedacht hatte, erfüllt. Zum erstenmal in meinem Leben sollte ich an einem Hofe erscheinen, ja, in gewisser Art selbst am Hofe leben, und mir gingen all die abenteuerlichen Geschichten von den Kabalen, Ränken, Intrigen der Höfe, wie sie sinnreiche Roman- und Komödienschreiber aushecken, durch den Kopf. Nach Aussage dieser Leute mußte der Fürst von Bösewichtern aller Art umgeben und verblendet, insonderheit aber der Hofmarschall ein ahnenstolzer, abgeschmackter Pinsel, der erste Minister ein ränkevoller, habsüchtiger Bösewicht, die Kammerjunker müssen aber lockere Menschen und Mädchenverführer sein. – Jedes Gesicht ist kunstmäßig in freundliche Falten gelegt, aber im Herzen Lug und Trug; sie schmelzen vor Freundschaft und Zärtlichkeit, sie bücken und krümmen sich, aber jeder ist des andern unversöhnlicher Feind und sucht ihm hinterlistig ein Bein zu stellen, daß er rettungslos umschlägt und der Hintermann in seine Stelle tritt, bis ihm ein gleiches widerfährt. Die Hofdamen sind häßlich, stolz, ränkevoll, dabei verliebt und stellen Netze und Sprenkeln, vor denen man sich zu hüten hat wie vor dem Feuer! – So stand das Bild eines Hofes in meiner Seele, als ich im Seminar so viel davon gelesen; es war mir immer, als treibe der Teufel da recht ungestört sein Spiel, und unerachtet mir Leonardus manches von Höfen, an denen er sonst gewesen, erzählte, was zu meinen Begriffen davon durchaus nicht passen wollte, so blieb mir doch eine gewisse Scheu vor allem Höfischen zurück, die noch jetzt, da ich im Begriff stand, einen Hof zu sehen, ihre Wirkung äußerte. Mein Verlangen, der Fürstin näherzutreten, ja eine innere Stimme, die mir unaufhörlich wie in dunklen Worten zurief, daß hier mein Geschick sich bestimmen werde, trieben mich unwiderstehlich fort, und um die bestimmte Stunde befand ich mich, nicht ohne innere Beklemmung, im fürstlichen Vorsaal. –

Mein ziemlich langer Aufenthalt in jener Reichs- und Handelsstadt hatte mir dazu gedient, all das Ungelenke, Steife, Eckichte meines Betragens, das mir sonst noch vom Klosterleben anklebte, ganz abzuschleifen. Mein von Natur geschmeidiger, vorzüglich wohlgebauter Körper gewöhnte sich leicht an die ungezwungene freie Bewegung, die dem Weltmann eigen. Die Blässe, die den jungen Mönch auch bei schönem Gesicht entstellt, war aus meinem Gesicht verschwunden, ich befand mich in den Jahren der höchsten Kraft, die meine Wangen rötete und aus meinen Augen blitzte; meine dunkelbraunen Locken verbargen jedes Überbleibsel der Tonsur. Zu dem allen kam, daß ich eine feine, zierliche schwarze Kleidung im neuesten Geschmack trug, die ich aus der Handelsstadt mitgebracht, und so konnte es nicht fehlen, daß meine Erscheinung angenehm auf die schon Versammelten wirken mußte, wie sie es durch ihr zuvorkommendes Betragen, das, sich in den Schranken der höchsten Feinheit haltend, nicht zudringlich wurde, bewiesen. So wie nach meiner aus Romanen und Komödien gezogenen Theorie der Fürst, als er mit mir im Parke sprach, bei den Worten: »Ich bin der Fürst«, eigentlich den Oberrock rasch aufknöpfen und mir einen großen Stern entgegenblitzen lassen mußte, so sollten auch all die Herren, die den Fürsten umgaben, in gestickten Röcken, steifen Frisuren usw. einhergehen, und ich war nicht wenig verwundert, nur einfache, geschmackvolle Anzüge zu bemerken. ich nahm wahr, daß mein Begriff vom Leben am Hofe wohl Oberhaupt ein kindisches Vorurteil sein könne, meine Befangenheit verlor sich, und ganz ermutigte mich der Fürst, der mit den Worten auf mich zutrat: »Sieh da, Herr Leonard!« und dann über meinen strengen kunstrichterlichen Blick scherzte, mit dem ich seinen Park gemustert. – Die Flügeltüren öffneten sich, und die Fürstin trat in den Konversationssaal, nur von zwei Hofdamen begleitet. Wie erbebte ich bei ihrem Anblick im Innersten, wie war sie nun beim Schein der Lichter meiner Pflegemutter noch ähnlicher als sonst. – Die Damen umringten sie, man stellte mich vor, sie sah mich an mit einem Blick, der Erstaunen, eine innere Bewegung verriet, sie lispelte einige Worte, die ich nicht verstand, und kehrte sich dann zu einer alten Dame, der sie etwas leise sagte, worüber diese unruhig wurde und mich scharf anblickte. Alles dieses geschah in einem Moment. – Jetzt teilte sich die Gesellschaft in kleinere und größere Gruppen, lebhafte Gespräche begannen, es herrschte ein freier ungezwungener Ton, und doch fühlte man es, daß man sich im Zirkel des Hofes, in der Nähe des Fürsten befand, ohne daß dies Gefühl nur im mindesten gedrückt hätte. Kaum eine einzige Figur fand ich, die in das Bild des Hofes, wie ich ihn mir sonst dachte, gepaßt haben sollte. Der Hofmarschall war ein alter lebenslustiger, aufgeweckter Mann, die Kammerjunker muntre Jünglinge, die nicht im mindesten darnach aussahen, als führten sie Böses im Schilde. Die beiden Hofdamen schienen Schwestern, sie waren sehr jung und ebenso unbedeutend, zum Glück aber sehr anspruchslos geputzt. Vorzüglich war es ein kleiner Mann mit aufgestützter Nase und lebhaft funkelnden Augen, schwarz gekleidet, den langen Stahldegen an der Seite, der, indem er sich mit unglaublicher Schnelle durch die Gesellschaft wand und schlängelte und bald hier, bald dort war, nirgends weilend, keinem Rede stehend, hundert witzige, sarkastische Einfälle wie Feuerfunken umhersprühte, überall reges Leben entzündete. Es war des Fürsten Leibarzt. – Die alte Dame, mit der die Fürstin gesprochen, hatte unbemerkt mich so geschickt zu umkreisen gewußt, daß ich, ehe ich mir's versah, mit ihr allein im Fenster stand. Sie ließ sich alsbald in ein Gespräch mit mir ein, das, so schlau sie es anfing, bald den einzigen Zweck verriet, mich über meine Lebensverhältnisse auszufragen. – Ich war auf dergleichen vorbereitet und überzeugt, daß die einfachste, anspruchsloseste Erzählung in solchen Fällen die unschädlichste und gefahrloseste ist, schränkte ich mich darauf ein, ihr zu sagen, daß ich ehemals Theologie studiert, jetzt aber, nachdem ich den reichen Vater beerbt, aus Lust und Liebe reise. Meinen Geburtsort verlegte ich nach dem polnischen Preußen und gab ihm einen solchen barbarischen, Zahn und Zunge zerbrechenden Namen, der der alten Dame das Ohr verletzte und ihr jede Lust benahm, noch einmal zu fragen. »Ei, ei«, sagte die alte Dame, »Sie haben ein Gesicht, mein Herr, das hier gewisse traurige Erinnerungen wecken könnte, und sind vielleicht mehr als Sie scheinen wollen, da Ihr Anstand keineswegs auf einen Studenten der Theologie deutet.«

Nachdem Erfrischungen gereicht worden, ging es in den Saal, wo der Pharotisch in Bereitschaft stand. Der Hofmarschall machte den Bankier, doch stand er, wie man mir sagte, mit dem Fürsten in der Art im Verein, daß er allen Gewinn behielt, der Fürst ihm aber jeden Verlust, insofern er den Fonds der Bank schwächte, ersetzte. Die Herren versammelten sich um den Tisch bis auf den Leibarzt, der durchaus niemals spielte, sondern bei den Damen blieb, die an dem Spiel keinen Anteil nahmen. Der Fürst rief mich zu sich, ich mußte neben ihm stehen, und er wählte meine Karten, nachdem er mir in kurzen Worten das Mechanische des Spiels erklärt. Dem Fürsten schlugen alle Karten um, und auch ich befand mich, so genau ich den Rat des Fürsten befolgte, fortwährend im Verlust, der bedeutend wurde, da ein Louisdor als niedrigster Point galt. Meine Kasse war ziemlich auf der Neige, und schon oft hatte ich gesonnen, wie es gehen würde, wenn die letzten Louisdors ausgegeben, um so mehr war mir das Spiel, welches mich auf einmal arm machen konnte, fatal. Eine neue Taille begann, und ich bat den Fürsten, mich nun ganz mir selbst zu überlassen, da es scheinen als wenn ich, als ein ausgemacht unglücklicher Spieler, ihn auch in Verlust brächte. Der Fürst meinte lächelnd, daß ich noch vielleicht meinen Verlust hätte einbringen können, wenn ich nach dem Rat des erfahrnen Spielers fortgefahren, indessen wollte er nun sehn, wie ich mich benehmen würde, da ich mir so viel zutraue. – Ich zog aus meinen Karten, ohne sie anzusehen, blindlings eine heraus, es war die Dame. Wohl mag es lächerlich zu sagen sein, daß ich in diesem blassen, leblosen Kartengesicht Aureliens Züge zu entdecken glaubte. Ich starrte das Blatt an, kaum konnte ich meine innere Bewegung verbergen; der Zuruf des Bankiers, ob das Spiel gemacht sei, riß mich aus der Betäubung. Ohne mich zu besinnen, zog ich die letzten fünf Louisdors, die ich noch bei mir trug, aus der Tasche und setzte sie auf die Dame. Sie gewann, nun setzte ich immer fort und fort auf die Dame, und immer höher, sowie der Gewinn stieg. Jedesmal, wenn ich wieder die Dame setzte, riefen die Spieler: »Nein, es ist unmöglich, jetzt muß die Dame untreu werden« – und alle Karten der übrigen Spieler schlugen um. »Das ist mirakulös, das ist unerhört«, erscholl es von allen Seiten, indem ich still und in mich gekehrt, ganz mein Gemüt Aurelien zugewendet, kaum das Gold achtete, das mir der Bankier einmal übers andere zuschob. – Kurz, in den vier letzten Taillen hatte die Dame unausgesetzt gewonnen und ich die Taschen voll Gold. Es waren an zweitausend Louisdors, die mir das Glück durch die Dame zugeteilt, und unerachtet ich nun aller Verlegenheit enthoben, so konnte ich mich doch eines innern unheimlichen Gefühls nicht erwehren. – Auf wunderbare Art fand ich einen geheimen Zusammenhang zwischen dem glücklichen Schuß aufs Geratewohl, der neulich die Hühner herabwarf, und zwischen meinem heutigen Glück. Es wurde mir klar, daß nicht ich, sondern die fremde Macht, die in mein Wesen getreten, alles das Ungewöhnliche bewirke und ich nur das willenlose Werkzeug sei, dessen sich jene Macht bediene zu mir unbekannten Zwecken. Die Erkenntnis dieses Zwiespalts, der mein Inneres feindselig trennte, gab mir aber Trost, indem sie mir das allmähliche Aufkeimen eigner Kraft, die, bald stärker und stärker werdend, dem Feinde widerstehen und ihn bekämpfen werde, verkündete. – Das ewige Abspiegeln von Aureliens Bild konnte nichts anderes sein, als ein verruchtes Verlocken zum bösen Beginnen, und eben dieser frevelige Mißbrauch des frommen lieben Bildes erfüllte mich mit Grauen und Abscheu.

In der düstersten Stimmung schlich ich des Morgens durch den Park, als mir der Fürst, der um die Stunde auch zu lustwandeln pflegte, entgegentrat. »Nun, Herr Leonard«, rief er, »wie finden Sie mein Pharospiel? – Was sagen Sie von der Laune des Zufalls, der Ihnen alles tolle Beginnen verzieh und das Gold zuwarf? Sie hatten glücklicherweise die Karte Favorite getroffen, aber so blindlings dürfen Sie selbst der Karte Favorite nicht immer vertrauen.« – Er verbreitete sich weitläufig über den Begriff der Karte Favorite, gab mir die wohlersonnensten Regeln, wie man dem Zufall in die Hand spielen müsse, und schloß mit der Äußerung, daß ich nun mein Glück im Spiel wohl eifrigst verfolgen werde. Ich versicherte dagegen freimütig, daß es mein fester Vorsatz sei, nie mehr eine Karte anzurühren. Der Fürst sah mich verwundert an. – »Eben mein gestriges, wunderbares Glück«, fuhr ich fort, »hat diesen Entschluß erzeugt, denn alles das, was ich sonst von dem Gefährlichen, ja Verderblichen dieses Spiels gehört, ist dadurch bewährt worden. Es lag für mich etwas Entsetzliches darin, daß, indem die gleichgültige Karte, die ich blindlings zog, in mir eine schmerzhafte, herzzerreißende Erinnerung weckte, ich von einer unbekannten Macht ergriffen wurde, die das Glück des Spiels, den losen Geldgewinn mir zuwarf, als entsprösse es aus meinem eignen Innern, als wenn ich selbst, jenes Wesen denkend, das aus der leblosen Karte mir mit glühenden Farben entgegenstrahlte, dem Zufall gebieten könne, seine geheimsten Verschlingungen erkennend.« – »Ich verstehe Sie«, unterbrach mich der Fürst, »Sie liebten unglücklich, die Karte rief das Bild der verlernen Geliebten in Ihre Seele zurück, obgleich mich das, mit Ihrer Erlaubnis, possierlich anspricht, wenn ich mir das breite, blasse komische Kartengesicht der Coeurdame, die Ihnen in die Hand fiel, lebhaft imaginiere. – Doch Sie dachten nun einmal an die Geliebte, und sie war Ihnen im Spiel treuer und wohltuender als vielleicht im Leben; aber was darin Entsetzliches, Schreckbares liegen soll, kann ich durchaus nicht begreifen, vielmehr muß es ja erfreulich sein, daß Ihnen das Glück wohlwollte. Überhaupt – ist Ihnen denn nun einmal die ominöse Verknüpfung des Spielglücks mit Ihrer Geliebten so unheimlich, so trägt nicht das Spiel die Schuld, sondern nur Ihre individuelle Stimmung.« – »Mag das sein, gnädigster Herr«, erwiderte ich, »aber ich fühle nur zu lebhaft, daß es nicht sowohl die Gefahr ist, durch bedeutenden Verlust in die übelste Lage zu geraten, welche dieses Spiel so verderblich macht, sondern vielmehr die Kühnheit, geradezu wie in offener Fehde es mit der geheimen Macht aufzunehmen, die aus dem Dunkel glänzend hervortritt und uns wie ein verführerisches Trugbild in eine Region verlockt, in der sie uns höhnend ergreift und zermalmt. Eben dieser Kampf mit jener Macht scheint das anziehende Wagestück zu sein, das der Mensch, seiner Kraft kindisch vertrauend, so gern unternimmt und das er, einmal begonnen, beständig, ja noch im Todeskampfe den Sieg hoffend, nicht mehr lassen kann. Daher kommt meines Bedünkens die wahnsinnige Leidenschaft der Pharospieler und die innere Zerrüttung des Geistes, die der bloße Geldverlust nicht nach sich zu ziehen vermag und die sie zerstört. Aber auch schon in untergeordneter Hinsicht kann selbst dieser Verlust auch den leidenschaftslosen Spieler, in den noch nicht jenes feindselige Prinzip gedrungen, in tausend Unannehmlichkeiten, ja in offenbare Not stürzen, da er doch nur, durch die Umstände veranlaßt, spielte. Ich darf es gestehen, gnädigster Herr, daß ich selbst gestern im Begriff stand, meine ganze Reisekasse gesprengt zu sehen.« – »Das hätte ich erfahren«, fiel der Fürst rasch ein, »und Ihnen den Verlust dreidoppelt ersetzt, denn ich will nicht, daß sich jemand meines Vergnügens wegen ruiniere, Überhaupt kann das bei mir nicht geschehen, da ich meine Spieler kenne und sie nicht aus den Augen lasse.« – »Aber eben diese Einschränkung, gnädigster Herr«, erwiderte ich, »hebt wieder die Freiheit des Spiels auf und setzt selbst jenen besonderen Verknüpfungen des Zufalls Schranken, deren Betrachtung Ihnen, gnädigster Herr, das Spiel so interessant macht. Aber wird nicht auch dieser oder jener, den die Leidenschaft des Spiels unwiderstehlich ergriffen, Mittel finden, zu seinem eigenen Verderben der Aufsicht zu entgehen und so ein Mißverhältnis in sein Leben bringen, das ihn zerstört? – Verzeihen Sie meine Freimütigkeit, gnädigster Herr! Ich glaube überdem, daß jede Einschränkung der Freiheit, sollte diese auch mißbraucht werden, drückend, ja, als dem menschlichen Wesen schnurstracks entgegenstrebend, unausstehlich ist.« – »Sie sind nun einmal, wie es scheint, überall nicht meiner Meinung, Herr Leonard«, fuhr der Fürst auf und entfernte sich rasch, indem er mir ein leichtes »Adieu« zuwarf. Kaum wußte ich selbst, wie ich dazu gekommen, mich so offenherzig zu äußern, ja ich hatte niemals, unerachtet ich in der Handelsstadt oft an bedeutenden Banken als Zuschauer stand, genug über das Spiel nachgedacht, um meine Überzeugung im Innern so zu ordnen, wie sie mir jetzt unwillkürlich von den Lippen floß. Es tat mir leid, die Gnade des Fürsten verscherzt und das Recht verloren zu haben, im Zirkel des Hofes erscheinen und der Fürstin nähertreten zu dürfen. Ich hatte mich indessen geirrt, denn noch denselben Abend erhielt ich eine Einladungskarte zum Hofkonzert, und der Fürst sagte im Vorbeistreifen mit freundlichem Humor zu mir: »Guten Abend, Herr Leonard, gebe der Himmel, daß meine Kapelle heute Ehre einlegt und meine Musik Ihnen besser gefällt als mein Park.«

Die Musik war in der Tat recht artig, es ging alles präzis, indessen schien mir die Wahl der Stücke nicht glücklich, indem eins die Wirkung des andern vernichtete, und vorzüglich erregte mir eine lange Szene, die mir wie nach einer aufgegebenen Formel komponiert zu sein schien, herzliche Langeweile. Ich hütete mich wohl, meine wahre innere Meinung zu äußern, und hatte um so klüger daran getan, als man mir in der Folge sagte, daß eben jene lange Szene eine Komposition des Fürsten gewesen.

Ohne Bedenken fand ich mich in dem nächsten Zirkel des Hofes ein und wollte selbst am Pharospiel teilnehmen, um den Fürsten ganz mit mir auszusöhnen, aber nicht wenig erstaunte ich, als ich keine Bank erblickte, vielmehr sich einige gewöhnliche Spieltische formten und unter den übrigen Herren und Damen, die sich im Zirkel um den Fürsten setzten, eine lebhafte geistreiche Unterhaltung begann. Dieser oder jener wußte manches Ergötzliche zu erzählen, ja Anekdoten mit scharfer Spitze wurden nicht verschmäht; meine Rednergabe kam mir zustatten, und es waren Andeutungen aus meinem eigenen Leben, die ich unter der Hülle romantischer Dichtung auf anziehende Weise vorzutragen wußte. So erwarb ich mir die Aufmerksamkeit und den Beifall des Zirkels; der Fürst liebte aber mehr das Heitre, Humoristische, und darin übertraf niemand den Leibarzt, der in tausend possierlichen Einfällen und Wendungen unerschöpflich war.

Diese Art der Unterhaltung erweiterte sich dahin, daß oft dieser oder jener etwas aufgeschrieben hatte, das er in der Gesellschaft vorlas, und so kam es denn, daß das Ganze bald das Ansehen eines wohlorganisierten literarisch-ästhetischen Vereins erhielt, in dem der Fürst präsidierte und in welchem jeder das Fach ergriff, welches ihm am meisten zusagte. – Einmal hatte ein Gelehrter, der ein trefflicher tiefdenkender Physiker war, uns mit neuen interessanten Entdeckungen im Gebiet seiner Wissenschaft überrascht, und so sehr dies den Teil der Gesellschaft ansprach, der wissenschaftlich genug war, den Vortrag des Professors zu fassen, so sehr langweilte sich der Teil, dem das alles fremd und unbekannt blieb. Selbst er Fürst schien sich nicht sonderlich in die Ideen des Professors zu finden und auf den Schluß mit herzlicher Sehnsucht zu warten. Endlich hatte der Professor geendet, der Leibarzt war vorzüglich erfreut und brach aus in Lob und Bewunderung, indem er hinzufügte, daß dem tiefen Wissenschaftlichen wohl zur Erheiterung des Gemüts etwas folgen könne, das nun eben auf nichts weiter Anspruch mache als auf Erreichung dieses Zwecks. – Die Schwächlichen, die die Macht der ihnen fremden Wissenschaft gebeugt hatte, richteten sich auf, und selbst des Fürsten Gesicht überflog ein Lächeln, welches bewies, wie sehr ihm die Rückkehr ins Alltagsleben wohltat.

»Sie wissen, gnädigster Herr«, hob der Leibarzt an, indem er sich zum Fürsten wandte, »daß ich auf meinen Reisen nicht unterließ, all die lustigen Vorfälle, wie sie das Leben durchkreuzen, vorzüglich aber die possierlichen Originale, die mir aufstießen, treu in meinem Reisejournal zu bewahren, und eben aus diesem Journal bin ich im Begriff etwas mitzuteilen, das, ohne sonderlich bedeutend zu sein, doch mir ergötzlich scheint. – Auf meiner vorjährigen Reise kam ich in später Nacht in das schöne große Dorf vier Stunden von B.; ich entschloß mich, in den stattlichen Gasthof einzukehren, wo mich ein freundlicher, aufgeweckter Wirt empfing. Ermüdet, ja zerschlagen von der weiten Reise, warf ich mich in meinem Zimmer gleich ins Bett, um recht auszuschlafen, aber es mochte eben eins geschlagen haben, als mich eine Flöte, die dicht neben mir geblasen wurde, weckte. In meinem Leben hatt' ich solch ein Blasen nicht gehört. Der Mensch mußte ungeheure Lungen haben, denn mit einem schneidenden, durchdringenden Ton, der den Charakter des Instruments ganz vernichtete, blies er immer dieselbe Passage hintereinander fort, so daß man sich nichts Abscheulicheres, Unsinnigeres denken konnte. Ich schimpfte und fluchte auf den verdammten, tollen Musikanten, der mir den Schlaf raubte und die Ohren zerriß, aber wie ein aufgezogenes Uhrwerk rollte die Passage fort, bis ich endlich einen dumpfen Schlag vernahm, als würde etwas gegen die Wand geschleudert, worauf es still blieb und ich ruhig fortschlafen konnte.

Am Morgen hörte ich ein starkes Gezänk unten im Hause. Ich unterschied die Stimme des Wirts und eines Mannes, der unaufhörlich schrie: >Verdammt sei Ihr Haus, wäre ich nie über die Schwelle getreten. – Der Teufel hat mich in Ihr Haus geführt, wo man nichts trinken, nichts genießen kann! – Alles ist infam schlecht und hundemäßig teuer. – Da haben Sie Ihr Geld, Adieu, Sie sehn mich nicht wieder in Ihrer vermaledeiten Kneipe.< Damit sprang ein kleiner, winddürrer Mann in einem kaffeebraunen Rocke und fuchsroter, runder Perücke, auf die er einen grauen Hut ganz schief und martialisch gestülpt, schnell zum Hause hinaus und lief nach dem Stalle, aus dem ich ihn bald auf seinem ziemlich steifen Gaul in schwerfälligem Galopp zum Hof hinausreiten sah.

Natürlicherweise hielt ich ihn für einen Fremden, der sich mit dem Wirte entzweit habe und nun abgereist sei; eben deshalb nahm es mich nicht wenig wunder, als ich mittags, da ich mich in der Wirtsstube befand, dieselbe komische, kaffeebraune Figur mit der fuchsroten Perücke, welche des Morgens hinausritt, eintreten und ohne Umstände an dem gedeckten Tisch Platz nehmen sah. Es war das häßlichste und dabei possierlichste Gesicht, das mir jemals aufstieß. In dem ganzen Wesen des Mannes lag so etwas drollig Ernstes, daß man, ihn betrachtend, sich kaum des Lachens enthalten konnte. Wir aßen miteinander, und ein wortkarges Gespräch schlich zwischen mir und dem Wirt hin, ohne daß der Fremde, der gewaltig aß, daran Anteil nehmen wollte. Offenbar war es, wie ich nachher einsah, Bosheit des Wirts, daß er das Gespräch geschickt auf nationale Eigentümlichkeiten lenkte und mich geradezu frug, ob ich wohl schon Irländer kennengelernt und von ihren sogenannten Bulls etwas wisse. >Allerdings!< erwiderte ich, indem mir gleich eine ganze Reihe solcher Bulls durch den Kopf ging. Ich erzählte von jenem Irländer, der, als man ihn frug, warum er den Strumpf verkehrt angezogen, ganz treuherzig antwortete: >Auf der rechten Seite ist ein Loch!< – Es kam mir ferner der herrliche Bull jenes Irländers in den Sinn, der mit einem jähzornigen Schotten zusammen in einem Bett schlief und den bloßen Fuß unter der Decke hervorgestreckt hatte. Nun bemerkte dies ein Engländer, der im Zimmer befindlich, und schnallte flugs dem Irländer den Sporn an den Fuß, den er von seinem Stiefel heruntergenommen. Der Irländer zog schlafend den Fuß wieder unter die Decke und ritzte mit dem Sporn den Schotten, der darüber aufwachte und dem Irländer eine tüchtige Ohrfeige gab. Darauf entspann sich unter ihnen folgendes sinnreiche Gespräch: >Was Teufel ficht die an, warum schlägst du mich?< – >Weil Du mich mit deinem Sporn geritzt hast!< – >Wie ist das möglich, da ich mit bloßen Füßen bei dir im Bett liege?< – >Und doch ist es so, sieh nur her.< – >Gott verdamm mich, du hast recht, hat der verfluchte Kerl von Hausknecht mir den Stiefel ausgezogen und den Sporn sitzen lassen.< – Der Wirt brach in ein unmäßiges Gelächter aus, aber der Fremde, der eben mit dem Essen fertig geworden und ein großes Glas Bier untergestürzt hatte, sah mich ernst an und sprach: >Sie haben ganz recht, die Irländer machen oft dergleichen Bulls, aber es liegt keineswegs an dem Volke, das regsam und geistreich ist, vielmehr weht dort eine solche verfluchte Luft, die einen mit dergleichen Tollheiten wie mit einem Schnupfen befällt, denn, mein Herr, ich selbst bin zwar ein Engländer, aber in Irland geboren und erzogen und nur deshalb jener verdammten Krankheit der Bulls unterworfen.< – Der Wirt lachte noch stärker, und ich mußte unwillkürlich einstimmen, denn sehr ergötzlich war es doch, daß der Irländer, nur von Bulls sprechend, gleich selbst einen ganz vortrefflichen zum besten gab. Der Fremde, weit entfernt, durch unser Gelächter beleidigt zu werden, riß die Augen weit auf, legte die Finger an die Nase und sprach: >In England sind die Irländer das starke Gewürz, das der Gesellschaft hinzugefügt wird, um sie schmackhaft zu machen. Ich selbst bin in dem einzigen Stück dem Falstaff ähnlich, daß ich oft nicht allein selbst witzig bin, sondern auch den Witz anderer erwecke, was in dieser nüchternen Zeit kein geringes Verdienst ist. Sollten Sie denken, daß in dieser ledernen, leeren Bierwirtsseele sich auch oft dergleichen regt, bloß auf meinen Anlaß? Aber dieser Wirt ist ein guter Wirt, er greift sein dürftig Kapital von guten Einfällen durchaus nicht an, sondern leiht hie und da in Gesellschaft der Reichen nur einen aus auf hohe Zinsen; er zeigt, ist er dieser Zinsen nicht versichert, wie eben jetzt, höchstens den Einband seines Hauptbuchs, und der ist sein unmäßiges Lachen; denn in dies Lachen hat er seinen Witz eingewickelt. Gott befohlen, meine Herren!< – Damit schritt der originelle Mann zur Türe hinaus, und ich bat den Wirt sofort um Auskunft über ihn. >DieserIrländer<, sagte der Wirt, >der Ewson heißt und deswegen ein Engländer sein will, weil sein Stammbaum in England wurzelt, ist erst seit kurzer Zeit hier, es werden nun gerade zweiundzwanzig Jahre sein. – Ich hatte als ein junger Mensch den Gasthof gekauft und hielt Hochzeit, als Herr Ewson, der auch noch ein Jüngling war, aber schon damals eine fuchsrote Perücke, einen grauen Hut und einen kaffeebraunen Rock von demselben Schnitt wie heute trug, auf der Rückreise nach seinem Vaterlande begriffen, hier vorbeikam und durch die Tanzmusik, die lustig erschallte, hereingelockt wurde. Er schwur, daß man nur auf dem Schiffe zu tanzen verstehe, wo er es seit seiner Kindheit erlernt, und führte, um dies zu beweisen, indem er auf gräßliche Weise dazu zwischen den Zähnen pfiff, eine Hornpipe aus, wobei er aber bei einem Hauptsprunge sich den Fuß dermaßen verrenkte, daß er bei mir liegenbleiben und sich heilen lassen mußte. – Seit der Zeit hat er mich nicht wieder verlassen. Mit seinen Eigenheiten habe ich meine liebe Not; jeden Tag seit den vielen Jahren zankt er mit mir, er schmäht auf die Lebensart, er wirft mir vor, daß ich ihn überteure, daß er ohne Roastbeef und Porter nicht länger leben könne, packt sein Felleisen, setzt seine drei Perücken auf, eine über die andere, nimmt von mir Abschied und reitet auf seinem alten Gaul davon. Das ist aber nur sein Spazierritt, denn mittags kommt er wieder zum andern Tore herein, setzt sich, wie Sie heute gesehen haben, ruhig an den Tisch und ißt von den ungenießbaren Speisen für drei Mann. Jedes Jahr erhält er einen starken Wechsel; dann sagt er mir ganz wehmütig Lebewohl, er nennt mich seinen besten Freund und vergießt Tränen, wobei mir auch die Tränen über die Backen liefen, aber vor unterdrücktem Lachen. Nachdem er noch lebens- und sterbenshalber seinen Letzten Willen aufgesetzt und, wie er sagt, meiner ältesten Tochter sein Vermögen vermacht hat, reitet er ganz langsam und betrübt nach der Stadt. Den dritten oder höchstens vierten Tag ist er aber wieder hier und bringt zwei kaffeebraune Röcke, drei fuchsrote Perücken, eine gleitender als die andere, sechs Hemden, einen neuen grauen Hut und andere Bedürfnisse seines Anzuges, meiner ältesten Tochter, seinem Liebling, aber ein Tütchen Zuckerwerk mit wie einem Kinde, unerachtet sie nun schon achtzehn Jahre alt worden. Er denkt dann weder an seinen Aufenthalt in der Stadt noch an die Heimreise. Seine Zeche berichtigt er jeden Abend, und das Geld für das Frühstück wirft er mir jeden Morgen zornig hin, wenn er wegreitet, um nicht wiederzukommen. Sonst ist er der gutmütigste Mensch von der Welt, er beschenkt meine Kinder bei jeder Gelegenheit, er tut den Armen im Dorfe wohl, nur den Prediger kann er nicht leiden, weil er, wie Herr Ewson es von dem Schulmeister erfuhr, einmal ein Goldstück, das Ewson in die Armenbüchse geworfen, eingewechselt und lauter Kupferpfennige dafür gegeben hat. Seit der Zeit weicht er ihm überall aus und geht niemals in die Kirche, weshalb der Prediger ihn für einen Atheisten ausschreit. Wie gesagt, habe ich aber oft meine liebe Not mit ihm, weil er jähzornig ist und ganz tolle Einfälle hat. Erst gestern hörte ich, als ich nach Hause kam, schon von weitem ein heftiges Geschrei und unterschied Ewsons Stimme. Als ich ins Haus trat, fand ich ihn im stärksten Zank mit der Hausmagd begriffen. Er hatte, wie es im Zorn immer geschieht, bereits seine Perücke weggeschleudert und stand im kahlen Kopf, ohne Rock, in Hemdärmeln dicht vor der Magd, der er ein großes Buch unter die Nase hielt und, stark schreiend und fluchend, mit dem Finger hineinwies. Die Magd hatte die Hände in die Seiten gestemmt und schrie, er möge andere zu seinen Streichen brauchen, er sei ein schlechter Mensch, der an nichts glaube usw. Mit Mühe gelang es mir, die Streitenden auseinanderzubringen und der Sache auf den Grund zu kommen. – Herr Ewson hatte verlangt, die Magd solle ihm Oblate verschaffen zum Briefsiegeln; die Magd verstand ihn anfangs gar nicht, zuletzt fiel ihr ein, daß das Oblate sei, was bei dem Abendmahl gebraucht werde, und meinte, Herr Ewson wolle mit der Hostie versuchtes Gespötte treiben, weil der Herr Pfarrer ohnedies gesagt, daß er ein Gottesleugner sei. Sie widersetzte sich daher, und Herr Ewson, der da glaubte, nur nicht richtig ausgesprochen zu haben und nicht verstanden zu sein, holte sofort sein englisch-deutsches Wörterbuch und demonstrierte daraus der Bauernmagd, die kein Wort lesen konnte, was er haben wolle, wobei er zuletzt nichts als englisch sprach, welches die Magd für das sinnverwirrende Gewäsche des Teufels hielt. Nur mein Dazwischentreten verhinderte die Prügelei, in der Herr Ewson vielleicht den kürzeren gezogen.<

Ich unterbrach den Wirt in der Erzählung von dem drolligen Manne, indem ich frug, ob das vielleicht auch Herr Ewson gewesen, der mich in der Nacht durch sein gräßliches Flötenblasen so gestört und geärgert habe. >Ach, mein Herr!< fuhr der Wirt fort, das ist nun auch eine von Herrn Ewsons Eigenheiten, womit er mir beinahe die Gäste verscheucht. Vor drei Jahren kam mein Sohn aus der Stadt hieher; der Junge bläst eine herrliche Flöte und übte hier fleißig sein Instrument. Da fiel es Herrn Ewson ein daß er ehemals auch Flöte geblasen, und ließ nicht nach, bis ihm Fritz seine Flöte und ein Konzert, das er mitgebracht hatte, für schweres Geld verkaufte.

Nun fing Herr Ewson, der gar keinen Sinn für Musik, gar keinen Takt hat, mit dem größten Eifer an, das Konzert zu blasen. Er kam aber nur bis zum zweiten Solo des ersten Allegros, da stieß ihm eine Passage auf, die er nicht herausbringen konnte, und diese einzige Passage bläst er nun seit den drei Jahren fast jeden Tag hundertmal hintereinander, bis er im höchsten Zorn erst die Flöte und dann die Perücke an die Wand schleudert. Da dies nun wenige Flöten lange aushalten, so braucht er gar oft neue und hat jetzt gewöhnlich drei bis vier im Gange. Ist nur ein Schräubchen zerbrochen oder eine Klappe schadhaft, so wirft er sie mit einem >Gott verdamm mich, nur in England macht man Instrumente, die was taugen!< – durchs Fenster. Ganz schrecklich ist es, daß ihn diese Passion der Flötenbläserei oft nachts überfällt und er dann meine Gäste aus dem tiefsten Schlafe dudelt. Sollten Sie aber glauben, daß hier im Amtshause sich beinahe ebenso lange, als Herr Ewson bei mir ist, ein englischer Doktor aufhält, der Green heißt und mit Herrn Ewson darin sympathisiert, daß er ebenso originell, ebenso voll sonderbaren Humors ist? – Sie zanken sich unaufhörlich und können doch nicht ohne einander leben. Es fällt mir eben ein, daß Herr Ewson auf heute abend einen Punsch bei mir bestellt hat, zu dem er den Amtmann und den Doktor Green eingeladen. Wollen Sie es sich, mein Herr, gefallen lassen, noch bis morgen früh hier zu verweilen, so können Sie heute abend bei mir das possierlichste Kleeblatt sehen, das sich nur zusammenfinden kann.< –

Sie stellen sich es vor, gnädigster Herr, daß ich mir den Aufschub der Reise gerne gefallen ließ, weil ich hoffte, den Herrn Ewson in seiner Glorie zu sehen. Er trat, sowie es Abend worden, ins Zimmer und war artig genug, mich zu dem Punsch einzuladen, indem er hinzusetzte, wie es ihm nur leid täte, mich mit dem nichtswürdigen Getränk, das man hier Punsch nenne, bewirten zu müssen; nur in England trinke man Punsch, und da er nächstens dahin zurückkehren werde, hoffe er, käme ich jemals nach England, mir es beweisen zu können, daß er es verstehe, das köstliche Getränk zu bereiten. – Ich wußte, was ich davon zu denken hatte. – Bald darauf traten auch die eingeladenen Gäste ein. Der Amtmann war ein kleines, kugelrundes, höchst freundliches Männlein mit vergnügt blickenden Augen und einem roten Näschen; der Doktor Green ein robuster Mann von mittleren Jahren mit einem auffallenden Nationalgesicht, modern, aber nachlässig gekleidet, Brill' auf der Nase, Hut auf dem Kopfe. >Gebt mir Sekt, daß meine Augen rot werden!< rief er pathetisch, indem er auf den Wirt zuschnitt und ihn, bei der Brust packend, heftig schüttelte: >Halunkischer Cambyses, sprich! wo sind die Prinzessinnen? Nach Kaffe riecht's und nicht nach Trank der Götter!< – >Laß ab von mir, o Held, weg mit der starken Faust, zermalmst im Zorne mir die Rippen!< rief der Wirt keuchend. >Nicht eher,feiger Schwächling<, fuhr der Doktor fort, >bis süßer Dampf des Punsches, Sinn umnebelnd, Nase kitzelt, nicht eher laß ich dich, du ganz unwerter Wirt!< – Aber nun schoß Ewson grimmig auf den Doktor los und schalt: >Unwürd'ger Green! Grün soll's dir werden vor den Augen, ja greinen sollst du gramerfüllt, wenn du nicht abläßt von schmachvoller Tat!< – Nun, dacht ich, würde Zank und Tumult losbrechen, aber der Doktor sagte: >So will ich, feiger Ohnmacht spottend, ruhig sein und harren des Göttertranks, den du bereitet, würd'ger Ewson.< – Er ließ den Wirt los, der eiligst davonsprang, setzte sich mit einer Cato-Miene an den Tisch, ergriff die gestopfte Pfeife und blies große Dampfwolken von sich. – >Ist das nicht, als wäre man im Theater?< sagte der freundliche Amtmann zu mir, >aber der Doktor, der sonst kein deutsches Buch in die Hand nimmt, fand zufällig Schlegels Shakespeare bei mir, und seit der Zeit spielt er, nach seinem Ausdruck, uralte bekannte Melodien auf einem fremden Instrumente. Sie werden bemerkt haben, daß sogar der Wirt rhythmisch spricht, der Doktor hat ihn sozusagen eingejambt.< – Der Wirt brachte den dampfenden Punschnapf, und unerachtet Ewson und Green schwuren, er sei kaum trinkbar, so stürzten sie doch ein großes Glas nach dem andern hinab. Wir führten ein leidlich Gespräch. Green blieb wortkarg, nur dann und wann gab er auf komische Weise, die Opposition behauptend, etwas von sich. So sprach z. B. der Amtmann von dem Theater in der Stadt, und ich versicherte, der erste Held spiele vortrefflich. – >Das kann ich nichtfinden<, fiel sogleich der Doktor ein, >glauben Sie nicht, daß, hätte der Mann sechsmal besser gespielt, er des Beifalls viel würdiger sein würde?< Ich mußte das notgedrungen zugeben und meinte nur, daß dies sechsmal besser Spielen dem Schauspieler not tue, der die zärtlichen Väter ganz erbärmlich tragiere. – >Das kann ich nichtfinden<, sagte Green wieder, >der Mann gibt alles, was er in sich trägt! Kann er dafür, daß seine Tendenz sich zum Schlechten hinneigt? Er hat es aber im Schlechten zu rühmlicher Vollkommenheit gebracht, man muß ihn deshalb loben!< – Der Amtmann saß mit seinem Talent, die beiden anzuregen zu allerlei tollen Einfällen und Meinungen, in ihrer Mitte wie das exzitierende Prinzip, und so ging es fort, bis der starke Punsch zu wirken anfing. Da wurde Ewson ausgelassen lustig, er sang mit krächzender Stimme Nationallieder, er warf Perücke und Rock durchs Fenster in den Hof und fing an, mit den sonderbarsten Grimassen auf so drollige Weise zu tanzen, daß man sich vor Lachen hätte ausschütten mögen. Der Doktor blieb ernsthaft, hatte aber die seltsamsten Visionen. Er sah den Punschnapf für eine Baßgeige an und wollte durchaus darauf herumstreichen, mit dem Löffel Ewsons Lieder akkompagnierend, wovon ihn nur des Wirts dringendste Protestationen abhalten konnten. – Der Amtmann war immer stiller und stiller geworden, am Ende stolperte er in eine Ecke des Zimmers, wo er sich hinsetzte und heftig zu weinen anfing. Ich verstand den Wink des Wirts und frug den Amtmann um die Ursache seines tiefen Schmerzes. – >Ach, ach!< brach er schluchzend los, >der Prinz Eugen war doch ein großer Feldherr, und dieser heldenmütige Fürst mußte sterben. Ach! ach!< – und damit weinte er heftiger, daß ihm die hellen Tränen über die Backen liefen. Ich versuchte ihn über den Verlust dieses wackern Prinzen des längst vergangenen Jahrhunderts möglichst zu trösten, aber es war vergebens. Der Doktor Green hatte indessen eine große Lichtschere ergriffen und fuhr damit unaufhörlich gegen das offene Fenster. – Er hatte nichts Geringeres im Sinn, als den Mond zu putzen, der hell hineinschien. Ewson sprang und schrie, als wäre er besessen von tausend Teufeln, bis endlich der Hausknecht, des hellen Mondscheins unerachtet, mit einer großen Laterne in das Zimmer trat und laut rief: >Da bin ich, meine Herren, nun kann's fortgehen!< Der Doktor stellte sich dicht vor ihn hin und sprach, ihm die Dampfwolken ins Gesicht blasend: >Willkommen, Freund! Bist du der Squenz, der Mondschein trägt und Hund und Dornbusch? Ich habe dich geputzt, Halunke, darum scheinst du hell! Gut' Nacht denn, viel des schnöden Safts hab ich getrunken, gut' Nacht, mein werter Wirt, gut' Nacht, mein Pyladesl< – Ewson schwur, daß kein Mensch nach Hause gehen solle, ohne den Hals zu brechen, aber niemand achtete darauf, vielmehr nahm der Hausknecht den Doktor unter den einen, den Amtmann, der noch immer über den Verlust des Prinzen Eugen lamentierte, unter den andern Arm, und so wackelten sie über die Straße fort nach dem Amtshause. Mit Mühe brachten wir den närrischen Ewson in sein Zimmer, wo er noch die halbe Nacht auf der Flöte tobte, so daß ich kein Auge zutun und mich erst, im Wagen schlafend, von dem tollen Abend im Gasthause erholen konnte.«

Die Erzählung des Leibarztes wurde oft durch lauteres Gelächter, als man es wohl sonst im Zirkel eines Hofes hören mag, unterbrochen. Der Fürst schien sich sehr ergötzt zu haben. »Nur eine Figur«, sagte er zum Leibarzt, »haben Sie in dem Gemälde zu sehr in den Hintergrund gestellt, und das ist Ihre eigene, denn ich wette, daß Ihr zuzeiten etwas boshafter Humor den närrischen Ewson sowie den pathetischen Doktor zu tausend tollen Ausschweifungen verleitet hat und daß Sie eigentlich das exzitierende Prinzip waren, für das Sie den lamentablen Amtmann ausgeben.« »Ich versichere, gnädigster Herr«, erwiderte der Leibarzt, »daß dieser aus seltner Narrheit komponierte Klub so in sich abgerundet war, daß alles Fremde nur dissoniert hätte. Um in dem musikalischen Gleichnis zu bleiben, waren die drei Menschen der reine Dreiklang, jeder verschieden, im Ton aber harmonisch mitklingend, der Wirt sprang hinzu wie eine Septime. « – Auf diese Weise wurde noch manches hin- und hergesprochen, bis sich, wie gewöhnlich, die fürstliche Familie in ihre Zimmer zurückzog und die Gesellschaft in der gemütlichsten Laune auseinanderging. Ich bewegte mich heiter und lebenslustig in einer neuen Welt. Je mehr ich in den ruhigen gemütlichen Gang des Lebens in der Residenz und am Hofe eingriff, je mehr man mir einen Platz einräumte, den ich mit Ehre und Beifall behaupten konnte, desto weniger dachte ich an die Vergangenheit, sowie daran, daß mein hiesiges Verhältnis sich jemals ändern könne. Der Fürst schien ein besonderes Wohlgefallen an mir zu finden, und aus verschiedenen flüchtigen Andeutungen konnte ich schließen, daß er mich auf diese oder jene Weise in seiner Umgebung festzustellen wünschte. Nicht zu leugnen war es, daß eine gewisse Gleichförmigkeit der Ausbildung, ja eine gewisse angenommene gleiche Manier in allem wissenschaftlichen und künstlerischen Treiben, die sich vom Hofe aus über die ganze Residenz verbreitete, manchem geistreichen und an unbedingte Freiheit gewöhnten Mann den Aufenthalt daselbst bald verleidet hätte; indessen kam mir, sooft auch die Beschränkung, welche die Einseitigkeit des Hofes hervorbrachte, lästig wurde, das frühere Gewöhnen an eine bestimmte Form, die wenigstens das Äußere regelt, dabei sehr zustatten. Mein Klosterleben war es, das hier, freilich unmerklicherweise, noch auf mich wirkte. – So sehr mich der Fürst auszeichnete, so sehr ich mich bemühte, die Aufmerksamkeit der Fürstin auf mich zu ziehen, so blieb diese doch kalt und verschlossen. Ja, meine Gegenwart schien sie oft auf besondere Weise zu beunruhigen, und nur mit Mühe brachte sie es über sich, mir wie den andern ein paar freundliche Worte zuzuwerfen. Bei den Damen, die sie umgaben, war ich glücklicher; mein Äußeres schien einen günstigen Eindruck gemacht zu haben, und indem ich mich oft in ihren Kreisen bewegte, gelang es mir bald, diejenige wunderliche Weltbildung zu erhalten, welche man Galanterie nennt und die in nichts anderm besteht, als die äußere körperliche Geschmeidigkeit, vermöge der man immer da, wo man steht oder geht, hinzupassen scheint, auch in die Unterhaltung zu übertragen. Es ist die sonderbare Gabe, über nichts mit bedeutenden Worten zu schwatzen und so den Weibern ein gewisses Wohlbehagen zu erregen, von dem, wie es entstanden, sie sich selbst nicht Rechenschaft geben können. Daß diese höhere und eigentliche Galanterie sich nicht mit plumpen Schmeicheleien abgeben kann, fließt aus dem Gesagten, wiewohl in jenem interessanten Geschwätz, das wie ein Hymnus der Angebeteten erklingt, eben das gänzliche Eingehen in ihr Innerstes liegt, so daß ihr eigenes Selbst ihnen klar zu werden scheint und sie sich in dem Reflex ihres eignen Ichs mit Wohlgefallen spiegeln. – - Wer hätte nun noch den Mönch in mir erkennen sollen! – Der einzige mir gefährliche Ort war vielleicht nur noch die Kirche, in welcher es mir schwer wurde, jene klösterlichen Andachtsübungen, die ein besonderer Rhythmus, ein besonderer Takt auszeichnet, zu vermeiden. –

Der Leibarzt war der einzige, der das Gepräge, womit alles wie gleiche Münze ausgestempelt war, nicht angenommen hatte, und dies zog mich zu ihm hin, so wie er sich deshalb an mich anschloß, weil ich, wie er recht gut wußte, anfangs die Opposition gebildet und meine freimütigen Äußerungen, die dem für kecke Wahrheit empfänglichen Fürsten eindrangen, das verhaßte Pharospiel mit einemmal verbannt hatten.

So kam es denn, daß wir oft zusammen waren und bald über Wissenschaft und Kunst, bald über das Leben, wie es sich vor uns ausbreitete, sprachen. Der Leibarzt verehrte ebenso hoch die Fürstin als ich und versicherte, daß nur sie es sei, die manche Abgeschmacktheit des Fürsten abwende und diejenige sonderbare Art Langeweile, welche ihn auf der Oberfläche hin- und hertreibe, dadurch zu verscheuchen wisse, daß sie ihm oft ganz unvermerkt ein unschädliches Spielzeug in die Hände gebe. Ich unterließ nicht, bei dieser Gelegenheit mich zu beklagen, daß ich, ohne den Grund erforschen zu können, der Fürstin durch meine Gegenwart oft ein unausstehliches Mißbehagen zu erregen scheine. Der Leibarzt stand sofort auf und holte, da wir uns gerade in seinem Zimmer befanden, ein kleines Miniaturbild aus dem Schreibpult, welches er mir mit der Weisung, es recht genau zu betrachten, in die Hände gab. Ich tat es und erstaunte nicht wenig, als ich in den Zügen des Mannes, den das Bild darstellte, ganz die meinigen erkannte. Nur der Änderung der Frisur und der Kleidung, die nach verjährter Mode gemalt war, nur der Hinzufügung meines starken Backenbartes, dem Meisterstück Belcampos, bedurfte es, um das Bild ganz zu meinem Porträt zu machen. Ich äußerte dies unverhohlen dem Leibarzt. »Und eben diese Ähnlichkeit«, sagte er, »ist es, welche die Fürstin erschreckt und beunruhigt, sooft Sie in ihre Nähe kommen, denn Ihr Gesicht erneuert das Andenken einer entsetzlichen Begebenheit, die vor mehreren Jahren den Hof traf wie ein zerstörender Schlag. Der vorige Leibarzt, der vor einigen Jahren starb und dessen Zögling in der Wissenschaft ich bin, vertraute mir jenen Vorgang in der fürstlichen Familie und gab mir zugleich das Bild, welches den ehemaligen Günstling des Fürsten, Francesko, darstellt und Zugleich, wie Sie sehen, rücksichts der Malerei ein wahres Meisterstück ist. Es rührt von dem wunderlichen fremden Maler her, der sich damals am Hofe befand und eben in jener Tragödie die Hauptrolle spielte.« – Bei der Betrachtung des Bildes regten sich gewisse verworrene Ahnungen in mir, die ich vergebens trachtete klar aufzufassen. – Jene Begebenheit schien mir ein Geheimnis erschließen zu wollen, in das ich selbst verflochten war, und um so mehr drang ich in den Leibarzt, mir das zu vertrauen, welches zu erfahren mich die zufällige Ähnlichkeit mit Francesko zu berechtigen scheine. – »Freilich«, sagte der Leibarzt, »muß dieser höchst merkwürdige Umstand Ihre Neugierde nicht wenig aufregen, und so ungern ich eigentlich von jener Begebenheit sprechen mag, über die noch jetzt, für mich wenigstens, ein geheimnisvoller Schleier liegt, den ich auch weiter gar nicht lüften will, so sollen Sie doch alles erfahren, was ich davon weiß. Viele Jahre sind vergangen und die Hauptpersonen von der Bühne abgetreten, nur die Erinnerung ist es, welche feindselig wirkt. Ich bitte, gegen niemanden von dem, was Sie erfuhren, etwas zu äußern.« Ich versprach das, und der Arzt fing in folgender Art seine Erzählung an:

»Eben zu der Zeit, als unser Fürst sich vermählte, kam sein Bruder in Gesellschaft eines Mannes, den er Francesko nannte, unerachtet man wußte, daß er ein Deutscher war, sowie eines Malers von weiten Reisen zurück. Der Prinz war einer der schönsten Männer, die man gesehen, und schon deshalb stach er vor unserm Fürsten hervor, hätte er ihn auch nicht an Lebensfülle und geistiger Kraft übertroffen. – Er machte auf die junge Fürstin, die damals bis zur Ausgelassenheit lebhaft und der der Fürst viel zu formell, viel zu kalt war, einen seltenen Eindruck, und ebenso fand sich der Prinz von der jungen, bildschönen Gemahlin seines Bruders angezogen. Ohne an ein strafbares Verhältnis zu denken, mußten sie der unwiderstehlichen Gewalt nachgeben, die ihr inneres Leben, nur wie wechselseitig sich entzündend, bedingte und so die Flamme nähren, die ihr Wesen in eins verschmolz. Francesko allein war es, der in jeder Hinsicht seinem Freunde an die Seite gesetzt werden konnte, und so wie der Prinz auf die Gemahlin seines Bruders, so wirkte Francesko auf die ältere Schwester der Fürstin. Francesko wurde sein Glück bald gewahr, benutzte es mit durchdachter Schlauheit, und die Neigung der Prinzessin wuchs bald zur heftigsten, brennendsten Liebe. Der Fürst war von der Tugend seiner Gemahlin zu sehr überzeugt, um nicht alle hämische Zwischenträgerei zu verachten, wiewohl ihn das gespannte Verhältnis mit dem Bruder drückte; und nur dem Francesko, den er seines seltnen Geistes, seiner lebensklugen Umsicht halber liebgewonnen, war es möglich, ihn in gewissem Gleichmut zu erhalten. Der Fürst wollte ihn zu den ersten Hofstellen befördern, Francesko begnügte sich aber mit den geheimen Vorrechten des ersten Günstlings und mit der Liebe der Prinzessin. In diesen Verhältnissen bewegte sich der Hof, so gut es gehen wollte, aber nur die vier durch geheime Bande verknüpften Personen waren glücklich in dem Eldorado der Liebe, das sie sich gebildet und das anderen verschlossen. – Wohl mochte es der Fürst, ohne daß man es wußte, veranstaltet haben, daß mit vielem Pomp eine italienische Prinzessin am Hofe erschien, die früher dem Prinzen als Gemahlin zugedacht war, und der er, als er auf der Reise sich am Hofe ihres Vaters befand, sichtliche Zuneigung bewiesen hatte. – Sie soll ausnehmend schön und Oberhaupt die Grazie, die Anmut selbst gewesen sein, und dies spricht auch das herrliche Porträt aus, was Sie noch auf der Galerie sehen können, Ihre Gegenwart belebte den in düstre Langeweile versunkenen Hof, sie überstrahlte alles, selbst die Fürstin und ihre Schwester nicht ausgenommen. Franceskos Betragen änderte sich bald nach der Ankunft der Italienerin auf eine ganz auffallende Weise; es war, als zehre ein geheimer Gram an seiner Lebensblüte, er wurde mürrisch, verschlossen, er vernachlässigte seine fürstliche Geliebte. Der Prinz war ebenso tiefsinnig geworden, er fühlte sich von Regungen ergriffen, denen er nicht zu widerstehen vermochte. Der Fürstin stieß die Ankunft der Italienerin einen Dolch ins Herz. Für die zur Schwärmerei geneigte Prinzessin war nun mit Franceskos Liebe alles Lebensglück entflohen, und so waren die vier Glücklichen, Beneidenswerten in Gram und Betrübnis versenkt. Der Prinz erholte sich zuerst, indem er bei der strengen Tugend seiner Schwägerin den Lockungen des schönen verführerischen Weibes nicht widerstehen konnte. Jenes kindliche, recht aus dem tiefsten Innern entsprossene Verhältnis mit der Fürstin ging unter in der namenlosen Lust, die ihm die Italienerin verhieß, und so kam es denn, daß er bald aufs neue in alten Fesseln lag, denen er seit nicht lange her sich entwunden. – Je mehr der Prinz dieser Liebe nachhing, desto auffallender wurde Franceskos Betragen, den man jetzt beinahe gar nicht mehr am Hofe sah, sondern der einsam umherschwärmte und oft wochenlang von der Residenz abwesend war. Dagegen ließ sich der wunderliche menschenscheue Maler mehr sehen als sonst und arbeitete vorzüglich gern in dem Atelier, das ihm die Italienerin in ihrem Hause einrichten ließ. Er malte sie mehrmals mit einem Ausdruck ohnegleichen; der Fürstin schien er abhold, er wollte sie durchaus nicht malen, dagegen vollendete er das Porträt der Prinzessin, ohne daß sie ihm ein einziges Mal gesessen, auf das ähnlichste und herrlichste. Die Italienerin bewies diesem Maler so viel Aufmerksamkeit, und er dagegen begegnete ihr mit solcher vertraulicher Galanterie, daß der Prinz eifersüchtig wurde und dem Maler, als er ihn einmal im Atelier arbeitend antraf und er, fest den Blick auf den Kopf der Italienerin, den er wieder hingezaubert, gerichtet, sein Eintreten gar nicht zu bemerken schien – rund heraus sagte, er möge ihm den Gefallen tun und hier nicht mehr arbeiten, sondern sich ein anderes Atelier suchen. Der Maler schnickte gelassen den Pinsel aus und nahm schweigend das Bild von der Staffelei. Im höchsten Unmute riß es der Prinz ihm aus der Hand mit der Äußerung, es sei so herrlich getroffen, daß er es besitzen müsse. Der Maler, immer ruhig und gelassen bleibend, bat, nur zu erlauben, daß er das Bild mit ein paar Zügen vollende. Der Prinz stellte das Bild wieder auf die Staffelei, nach ein paar Minuten gab der Maler es ihm zurück und lachte hell auf, als der Prinz über das gräßlich verzerrte Gesicht erschrak, zu dem das Porträt geworden. Nun ging der Maler langsam aus dem Saal, aber nah an der Türe kehrte er um, sah den Prinzen an mit ernstem durchdringendem Blick und sprach dumpf und feierlich: >Nun bist du verloren!< –

Dies geschah, als die Italienerin schon für des Prinzen Braut erklärt war und in wenigen Tagen die feierliche Vermählung vor sich gehen sollte. Des Malers Betragen achtete der Prinz um so weniger, als er in dem allgemeinen Ruf stand, zuweilen von einiger Tollheit heimgesucht zu werden. Er saß, wie man erzählte, nun wieder in seinem kleinen Zimmer und starrte tagelang eine große aufgespannte Leinwand an, indem er versicherte, wie er eben jetzt an ganz herrlichen Gemälden arbeite; so vergaß er den Hof und wurde von diesem wieder vergessen.

Die Vermählung des Prinzen mit der Italienerin ging in dem Palast des Fürsten auf das feierlichste vor sich; die Fürstin hatte sich in ihr Geschick gefügt und einer zwecklosen, nie zu befriedigenden Neigung entsagt; die Prinzessin war wie verklärt, denn ihr geliebter Francesko war wieder erschienen, blühender, lebensfroher als je. Der Prinz sollte mit seiner Gemahlin den Flügel des Schlosses beziehen, den der Fürst erst zu dem Behuf einrichten lassen. Bei diesem Bau war er recht in seinem Wirkungskreise, man sah ihn nicht anders, als von Architekten, Malern, Tapezierern umgeben, in großen Büchern blätternd und Pläne, Risse, Skizzen vor sich ausbreitend, die er zum Teil selbst gemacht und die mitunter schlecht genug geraten waren. Weder der Prinz noch seine Braut durften früher etwas von der inneren Einrichtung sehen, bis am späten Abend des Vermählungstages, an dem sie von dem Fürsten in einem langen feierlichen Zuge durch die in der Tat mit geschmackvoller Pracht dekorierten Zimmer geleitet wurden, und ein Ball in einem herrlichen Saal, der einem blühenden Garten glich, das Fest beschloß. In der Nacht entstand in dem Flügel des Prinzen ein dumpfer Lärm, aber lauter und lauter wurde das Getöse, bis es den Fürsten selbst aufweckte. Unglückahnend sprang er auf, eilte, von der Wache begleitet, nach dem entfernten Flügel und trat in den breiten Korridor, als eben der Prinz gebracht wurde, den man vor der Tür des Brautgemachs, durch einen Messerstich in den Hals ermordet, gefunden. Man kann sich das Entsetzen des Fürsten, der Prinzessin Verzweiflung, die tiefe, herzzerreißende Trauer der Fürstin denken. – Als der Fürst ruhiger worden, fing er an, der Möglichkeit, wie der Mord geschehen, wie der Mörder durch die überall mit Wachen besetzten Korridore habe entfliehen können, nachzuspähen; alle Schlupfwinkel wurden durchsucht, aber vergebens. Der Page, der den Prinzen bedient, erzählte, wie er seinen Herrn, der, von banger Ahnung ergriffen, sehr unruhig gewesen und lange in seinem Kabinett auf und ab gegangen sei, endlich entkleidet und mit dem Armleuchter in der Hand bis an das Vorzimmer des Brautgemachs geleuchtet habe. Der Prinz hätte ihm den Leuchter aus der Hand genommen und ihn zurückgeschickt; kaum sei er aber aus dem Zimmer gewesen, als er einen dumpfen Schrei, einen Schlag und das Klirren des fallenden Armleuchters gehört. Gleich sei er zurückgerannt und habe bei dem Schein eines Lichts, das noch auf der Erde fortgebrannt, den Prinzen vor der Türe des Brautgemachs und neben ihm ein kleines, blutiges Messer liegen gesehen, nun aber gleich den Lärm gemacht. – Nach der Erzählung der Gemahlin des unglücklichen Prinzen war er, gleich nachdem sie die Kammerfrauen entfernt, hastig ohne Licht in das Zimmer getreten, hatte alle Lichter schnell ausgelöscht, war wohl eine halbe Stunde bei ihr geblieben und hatte sich dann wieder entfernt; erst einige Minuten darauf geschah der Mord, – Als man sich in Vermutungen, wer der Mörder sein könne, erschöpfte, als es durchaus kein einziges Mittel mehr gab, dem Täter auf die Spur zu kommen, da trat eine Kammerfrau der Prinzessin auf, die in einem Nebenzimmer, dessen Tür geöffnet war, jenen verfänglichen Auftritt des Prinzen mit dem Maler bemerkt hatte; den erzählte sie nun mit allen Umständen. Niemand zweifelte, daß der Maler sich auf unbegreifliche Weise in den Palast zu schleichen gewußt und den Prinzen ermordet habe. Der Maler sollte im Augenblick verhaftet werden, schon seit zwei Tagen war er aber aus dem Hause verschwunden, niemand wußte wohin, und alle Nachforschungen blieben vergebens. Der Hof war in die tiefste Trauer versenkt, die die ganze Residenz mit ihm teilte, und es war nur Francesko, der, wieder unausgesetzt bei Hofe erscheinend, in dem kleinen Familienzirkel manchen Sonnenblick aus den trüben Wolken hervorzubringen wußte.

Die Prinzessin fühlte sich schwanger, und da es klar zu sein schien, daß der Mörder des Gemahls die ähnliche Gestalt zum versuchten Betruge mißbraucht, begab sie sich auf ein entferntes Schloß des Fürsten, damit die Niederkunft verschwiegen bliebe, und so die Frucht eines höllischen Frevels wenigstens nicht vor der Welt, der der Leichtsinn der Diener die Ereignisse der Brautnacht verraten, den unglücklichen Gemahl schände. –

Franceskos Verhältnis mit der Schwester der Fürstin wurde in dieser Trauerzeit immer fester und inniger, und ebensosehr verstärkte sich die Freundschaft des fürstlichen Paares für ihn. Der Fürst war längst in Franceskos Geheimnis eingeweiht, er konnte bald nicht länger dem Andringen der Fürstin und der Prinzessin widerstehen und willigte in Franceskos heimliche Vermählung mit der Prinzessin. Francesko sollte sich im Dienst eines fremden Hofes zu einem hohen militärischen Grad aufschwingen und dann die öffentliche Kundmachung seiner Ehe mit der Prinzessin erfolgen. An jenem Hofe war das damals, bei den Verbindungen des Fürsten mit ihm, möglich.

Der Tag der Verbindung erschien, der Fürst mit seiner Gemahlin sowie zwei vertraute Männer des Hofes (mein Vorgänger war einer von ihnen) waren die einzigen, die der Trauung in der kleinen Kapelle im fürstlichen Palast beiwohnen sollten. Ein einziger Page, in das Geheimnis eingeweiht, bewachte die Tür.

Das Paar stand vor dem Altar, der Beichtiger des Fürsten, ein alter ehrwürdiger Priester, begann das Formular, nachdem er ein stilles Amt gehalten. – Da erblaßte Francesko, und mit stieren, auf den Eckpfeiler beim Hochaltar gerichteten Augen rief er mit dumpfer Stimme: >Was willst du von mir?< – An den Eckpfeiler gelehnt, stand der Maler, in fremder seltsamer Tracht, den violetten Mantel um die Schulter geschlagen, und durchbohrte Francesko mit dem gespenstischen Blick seiner hohlen schwarzen Augen. Die Prinzessin war der Ohmacht nahe, alles erbebte, vom Entsetzen ergriffen, nur der Priester blieb ruhig und sprach zu Francesko: >Warum erschreckt dich die Gestalt dieses Mannes, wenn dein Gewissen rein ist?< Da raffte sich Francesko auf, der noch gekniet, und stürzte mit einem kleinen Messer in der Hand auf den Maler, aber noch ehe er ihn erreicht, sank er mit einem dumpfen Geheul ohnmächtig nieder, und der Maler verschwand hinter dem Pfeiler. Da erwachten alle wieder aus einer Betäubung, man eilte Francesko zu Hilfe, er lag totenähnlich da. Um alles Aufsehen zu vermeiden, wurde er von den beiden vertrauten Männern in die Zimmer des Fürsten getragen. Als er aus der Ohnmacht erwachte, verlangte er heftig, daß man ihn entlasse in seine Wohnung, ohne eine einzige Frage des Fürsten über den geheimnisvollen Vorgang in der Kirche zu beantworten. Den andern Morgen war Francesko aus der Residenz mit den Kostbarkeiten, die ihm die Gunst des Prinzen und des Fürsten zugewendet, entflohen. Der Fürst unterließ nichts, um dem Geheimnis, dem gespenstischen Erscheinen des Malers auf die Spur zu kommen. Die Kapelle hatte nur zwei Eingänge, von denen einer aus den inneren Zimmern des Palastes nach den Logen neben dem Hochaltar, der andere hingegen aus dem breiten Hauptkorridor in das Schiff der Kapelle führte. Diesen Eingang hatte der Page bewacht, damit kein Neugieriger sich nahe, der andere war verschlossen, unbegreiflich blieb es daher, wie der Maler in der Kapelle erscheinen und wieder verschwinden hatte können. – Das Messer, welches Francesko gegen den Maler gezückt, behielt er, ohnmächtig werdend, wie im Starrkrampf in der Hand, und der Page (derselbe, der an dem unglücklichen Vermählungsabend den Prinzen entkleidete und der nun die Türe der Kapelle bewachte) behauptete, es sei dasselbe gewesen, das damals neben dem Prinzen gelegen, da es seiner silbernen, blinkenden Schale wegen sehr ins Auge falle. – Nicht lange nach diesen geheimnisvollen Begebenheiten kamen Nachrichten von der Prinzessin; an eben dem Tage, da Franceskos Vermählung vor sich gehen sollte, hatte sie einen Sohn geboren und war bald nach der Entbindung gestorben. – Der Fürst betrauerte ihren Verlust, wiewohl das Geheimnis der Brautnacht schwer auf ihr lag und in gewisser Art einen vielleicht ungerechten Verdacht gegen sie selbst erweckte. Der Sohn, die Frucht einer freveligen versuchten Tat, wurde in entfernten Landen unter dem Namen des Grafen Viktorin erzogen. Die Prinzessin (ich meine die Schwester der Fürstin), im Innersten zerrissen von den schrecklichen Begebenheiten, die in so kurzer Zeit auf sie eindrangen, wählte das Kloster. Sie ist, wie es Ihnen bekannt sein wird, Äbtissin des Zisterzienserklosters in * * *. – Ganz wunderbar und geheimnisvoll sich beziehend auf jene Begebenheiten an unserm Hofe, ist nun aber ein Ereignis, das sich unlängst auf dem Schlosse des Barons F. zutrug und diese Familie so wie damals unsern Hof auseinanderwarf. – Die Äbtissin hatte nämlich, gerührt von dem Elend einer armen Frau, die mit einem kleinen Kinde auf der Pilgerfahrt von der heiligen Linde ins Kloster einkehrte, ihren –«

Hier unterbrach ein Besuch die Erzählung des Leibarztes, und es gelang mir, den Sturm, der in mir wogte, zu verbergen. Klar stand es vor meiner Seele, Francesko war mein Vater, er hatte den Prinzen mit demselben Messer ermordet, mit dem ich Hermogen tötete! – Ich beschloß, in einigen Tagen nach Italien abzureisen und so endlich aus dem Kreise zu treten. in den mich die böse feindliche Macht gebannt hatte. Denselben Abend erschien ich im Zirkel des Hofes; man erzählte viel von einem herrlichen, bildschönen Fräulein, die als Hofdame in der Umgebung der Fürstin heute zum erstenmal erscheinen werde, da sie erst gestern angekommen.

Die Flügeltüren öffneten sich, die Fürstin trat herein, mit ihr die Fremde. – Ich erkannte Aurelien.


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