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In wessen Leben ging nicht einmal das wunderbare, in tiefster Brust bewahrte Geheimnis der Liebe auf! – Wer du auch sein magst, der du künftig diese Blätter liest, rufe dir jene höchste Sonnenzeit zurück, schaue noch einmal das holde Frauenbild, das, der Geist der Liebe selbst, dir entgegentrat. Da glaubtest du ja nur in ihr dich, dein höheres Sein zu erkennen. Weißt du noch, wie die rauschenden Quellen, die flüsternden Büsche, wie der kosende Abendwind von ihr, von deiner Liebe so vernehmlich zu dir sprachen? Siehst du es noch, wie die Blumen dich mit hellen freundlichen Augen anblickten, Gruß und Kuß von dir bringend? – Und sie kam, sie wollte dein sein ganz und gar. Du umfingst sie voll glühenden Verlangens und wolltest, losgelöst von der Erde, auflodern in inbrünstiger Sehnsucht! – Aber das Mysterium blieb unerfüllt, eine finstre Macht zog stark und gewaltig dich zur Erde nieder, als du dich aufschwingen wolltest mit ihr zu dem fernen Jenseits, das dir verheilen. Noch ehe du zu hoffen wagtest, hattest du sie verloren, alle Stimmen, alle Töne waren verklungen, und nur die hoffnungslose Klage des Einsamen ächzte grauenvoll durch die düstre Einöde. – Du, Fremder! Unbekannter! Hat dich je solch namenloser Schmerz zermalmt, so stimme ein in den trostlosen Jammer des ergrauten Mönchs, der in finstrer Zelle der Sonnenzeit seiner Liebe gedenkend, das harte Lager mit blutigen Tränen netzt, dessen bange Todesseufzer in stiller Nacht durch die düstren Klostergänge hallen. Aber auch du, du mir im Innern Verwandter, auch du glaubst es, daß der Liebe höchste Seligkeit, die Erfüllung des Geheimnisses, im Tode aufgeht. – So verkünden es uns die dunklen weissagenden Stimmen, die aus jener, keinem irdischen Maßstab meßlichen Urzeit zu uns herübertönen, und wie in den Mysterien, die die Säuglinge der Natur feierten, ist uns ja auch der Tod das Weihefest der Liebe! –
Ein Blitz fuhr durch mein Innres, mein Atem stockte, die Pulse schlugen, krampfhaft zuckte das Herz, zerspringen wollte die Brust! – Hin zu ihr – hin zu ihr – sie an mich reißen in toller Liebeswut! – »Was widerstrebst du, Unselige, der Macht, die dich unauflöslich an mich gekettet? Bist du nicht mein! – mein immerdar?« Doch besser als damals, als ich Aurelien zum erstenmal im Schlosse des Barons erblickte, hemmte ich den Ausbruch meiner wahnsinnigen Leidenschaft. Überdem waren aller Augen auf Aurelien gerichtet, und so gelang es mir, im Kreise gleichgültiger Menschen mich zu drehen und zu wenden, ohne daß irgendeiner mich sonderlich bemerkt oder gar angeredet hätte, welches mir unerträglich gewesen sein würde, da ich nur sie sehen – hören – denken wollte. –
Man sage nicht, daß das einfache Hauskleid das wahrhaft schöne Mädchen am besten ziere, der Putz der Weiber übt einen geheimnisvollen Zauber, dem wir nicht leicht widerstehen können. In ihrer tiefsten Natur mag es liegen, daß im Putz recht aus ihrem Innern heraus sich alles schimmernder und schöner entfaltet, wie Blumen nur dann vollendet sich darstellen, wenn sie in Üppiger Fülle in bunten, glänzenden Farben aufgebrochen. – Als du die Geliebte zum erstenmal geschmeckt sahst, fröstelte da nicht ein unerklärlich Gefühl dir durch Nerv und Adern? – Sie kam dir so fremd vor, aber selbst das gab ihr einen unnennbaren Reiz. Wie durchbebten dich Wonne und namenlose Lüsternheit, wenn du verstohlen ihre Hand drücken konntest! – Aurelien hatte ich nie anders als im einfachen Hauskleid gesehen, heute erschien sie, der Hofsitte gemäß, in vollem Schmuck. – Wie schön sie war! Wie fühlte ich mich bei ihrem Anblick von unnennbarem Entzücken, von süßer Wollust durchschauen! – Aber da wurde der Geist des Bösen mächtig in mir und erhob seine Stimme, der ich williges Ohr lieh. »Siehst du es nun wohl, Medardus«, so flüsterte es mir zu, »siehst du es nun wohl, wie du dem Geschick gebietest, wie der Zufall, dir untergeordnet, nur die Fäden geschickt verschlingt, die du selbst gesponnen?« – Es gab in dem Zirkel des Hofes Frauen, die für vollendet schön geachtet werden konnten, aber vor Aureliens das Gemüt tief ergreifendem Liebreiz verblaßte alles wie in unscheinbarer Farbe, Eine eigne Begeisterung regte die Trägsten auf, selbst den älteren Männern riß der Faden gewöhnlicher Hofkonversation, wo es nur auf Wörter ankommt, denen von außen her einiger Sinn anfliegt, jählings ab, und es war lustig, wie jeder mit sichtlicher Qual darnach rang, in Wort und Miene recht sonntagsmäßig vor der Fremden zu erscheinen. Aurelie nahm diese Huldigungen mit niedergeschlagenen Augen, in holder Anmut hoch errötend, auf; aber als nun der Fürst die älteren Männer um sich sammelte und mancher bildschöne Jüngling sich schüchtern mit freundlichen Worten Aurelien nahte, wurde sie sichtlich heitrer und unbefangener. Vorzüglich gelang es einem Major von der Leibgarde, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, so daß sie bald in lebhaftem Gespräch begriffen schienen. Ich kannte den Major als entschiedenen Liebling der Weiber. Er wußte mit geringem Aufwande harmlos scheinender Mittel Sinn und Geist aufzuregen und zu umstricken. Mit feinem Ohr auch den leisesten Anklang erlauschend, ließ er schnell wie ein geschickter Spieler alle verwandten Akkorde nach Willkür vibrieren, so daß die Getäuschte in den fremden Tönen nur ihre eigene innere Musik zu hören glaubte. – Ich stand nicht fern von Aurelien, sie schien mich nicht zu bemerken – ich wollte hin zu ihr, aber wie mit eisernen Banden gefesselt, vermochte ich nicht, mich von der Stelle zu rühren. – Noch einmal den Major scharf anblickend, war es mir plötzlich, als stehe Viktorin bei Aurelien. Da lachte ich auf im grimmigen Hohn: »Hei! – Hei! Du Verruchter, hast du dich im Teufelsgrunde so weich gebettet, daß du in toller Brunst trachten magst nach der Buhlin des Mönchs?« –
Ich weiß nicht, ob ich diese Worte wirklich sprach, aber ich hörte mich selbst lachen und fuhr auf wie aus tiefem Traum, als der alte Hofmarschall, sanft meine Hand fassend, frug: »Worüber erfreuen Sie sich so, lieber Herr Leonard?« – Eiskalt durchbebte es mich!
Waren das nicht die Worte des frommen Bruders Cyrill, der mich ebenso frug, als er bei der Einkleidung mein freveliges Lächeln bemerkte? – Kaum vermochte ich, etwas Unzusammenhängendes herzustammeln. Ich fühlte es, daß Aurelie nicht mehr in meiner Nähe war, doch wagte ich es nicht, aufzublicken, ich rannte fort durch die erleuchteten Säle. Wohl mag mein ganzes Wesen gar unheimlich erschienen sein; denn ich bemerkte, wie mir alles scheu auswich, als ich die breite Haupttreppe mehr hinabsprang als hinabstieg.
Ich mied den Hof, denn Aurelien ohne Gefahr, mein tiefstes Geheimnis zu verraten, wiederzusehen, schien mir unmöglich. Einsam lief ich durch Flur und Wald, nur an sie denkend, nur sie schauend. Fester und fester wurde meine Überzeugung, daß ein dunkles Verhängnis ihr Geschick in das meinige verschlungen habe und daß das, was mir manchmal als sündhafter Frevel erschienen, nur die Erfüllung eines ewigen, unabänderlichen Ratschlusses sei. So mich ermutigend, lachte ich der Gefahr, der mir dann drohen könnte, wenn Aurelie in mir Hermogens Mörder erkennen sollte. Dies dünkte mir jedoch überdem höchst unwahrscheinlich. – Wie erbärmlich erschienen mir nun jene Jünglinge, die in eitlem Wahn sich um die bemühten, die so ganz und gar mein eigen worden, daß ihr leisester Lebenshauch nur durch das Sein in mir bedingt schien. – Was sind mir diese Grafen, diese Freiherren, diese Kammerherren. diese Offiziere in ihren bunten Röcken – in ihrem blinkenden Golde, ihren schimmernden Orden anders als ohnmächtige, geschmückte Insektlein, die ich, wird mir das Volk lästig, mit kräftiger Faust zermalme. – In der Kutte will ich unter sie treten, Aurelien bräutlich geschmeckt in meinen Armen, und diese stolze feindliche Fürstin soll selbst das Hochzeitslager bereiten dem siegenden Mönch, den sie verachtet. – In solchen Gedanken arbeitend, rief ich oft laut Aureliens Namen und lachte und heulte wie ein Wahnsinniger. Aber bald legte sich der Sturm. Ich wurde ruhiger und fähig, darüber Entschlüsse zu fassen, wie ich nun mich Aurelien nähern wollte. – Eben schlich ich eines Tages durch den Park, nachsinnend, ob es ratsam sei, die Abendgesellschaft zu besuchen, die der Fürst ansagen lassen, als man von hinten her auf meine Schulter klopfte. Ich wandte mich um, der Leibarzt stand vor mir. »Erlauben Sie mir Ihren werten Puls!« fing er sogleich an und griff, starr mir ins Auge blickend, nach meinem Arm. »Was bedeutet das?« frug ich erstaunt. »Nicht viel«, fuhr er fort, »es soll hier still und heimlich einige Tollheit umherschleichen, die die Menschen recht banditenmäßig überfällt und ihnen eins versetzt, daß sie leicht aufkreischen müssen, klingt das auch zuweilen nur wie ein unsinnig Lachen. Indessen kann alles auch nur ein Phantasma oder jener tolle Teufel nur ein gelindes Fieber mit steigender Hitze sein, darum erlauben Sie Ihren werten Puls, Liebster!« – »Ich versichre Ihnen, mein Herr, daß ich von dem allen kein Wort verstehe!« So fiel ich ein, aber der Leibarzt hatte meinen Arm gefaßt und zählte den Puls mit zum Himmel gerichtetem Blick – eins – zwei, drei. – Mir war sein wunderliches Betragen rätselhaft, ich drang in ihn, mir doch nur zu sagen, was er eigentlich wolle. »Sie wissen also nicht, werter Herr Leonard, daß Sie neulich den ganzen Hof in Schrecken und Bestürzung gesetzt haben. – Die Oberhofmeisterin leidet bis dato an Krämpfen, und der Konsistorial-Präsident versäumt die wichtigsten Sessionen, weil es Ihnen beliebt hat, über seine podagrischen Füße wegzurennen, so daß er, im Lehnstuhl sitzend, noch über mannigfache Stiche beträchtlich brüllt! – Das geschah nämlich, als Sie, wie von einiger Tollheit heimgesucht, aus dem Saale stürzten, nachdem Sie ohne merkliche Ursache so aufgelacht hatten, daß allen ein Grausen ankam und sich die Haare sträubten!« – In dem Augenblick dachte ich an den Hofmarschall und meinte, daß ich mich nun wohl erinnere, in Gedanken laut aufgelacht zu haben, um so weniger könne das aber von solch wunderlicher Wirkung gewesen sein, als der Hofmarschall mich ja ganz sanft gefragt hätte, worüber ich mich so erfreue. »Ei, Ei!« fuhr der Leibarzt fort, »das will nichts bedeuten, der Hofmarschall ist solch ein homo impavidus, der sich aus dem Teufel selbst nichts macht. Er blieb in seiner ruhigen Dolcezza, obgleich erwähnter Konsistorial-Präsident wirklich meinte, der Teufel habe aus Ihnen, mein Teurer, auf seine Weise gelächelt, und unsere schöne Aurelie von solchem Grausen und Entsetzen ergriffen wurde, daß alle Bemühungen der Herrschaft, sie zu beruhigen, vergebens blieben und sie bald die Gesellschaft verlassen mußte, zur Verzweiflung sämtlicher Herren, denen sichtlich das Liebesfeuer aus den exaltierten Toupets dampfte! In dem Augenblick, als Sie. werter Herr Leonard, so lieblich lachten, soll Aurelie mit schneidendem, in das Herz dringenden Ton: >Hermogen!< gerufen haben. Ei, Ei! Was mag das bedeuten? – Das könnten Sie vielleicht wissen – Sie sind Oberhaupt ein lieber, lustiger, kluger Mann, Herr Leonard, und es ist mir nicht unlieb, daß ich Ihnen Franceskos merkwürdige Geschichte anvertraut habe, das muß recht lehrreich für Sie werden!« – Immerfort hielt der Leibarzt meinen Arm fest und sah mir starr in die Augen. –
»Ich weiß«, sagte ich, mich ziemlich unsanft losmachend, »ich weiß Ihre wunderliche Reden nicht zu deuten, mein Herr, aber ich muß gestehen, daß, als ich Aurelien von den geschmückten Herren umlagert sah, denen, wie Sie witzig bemerken, das Liebesfeuer aus den exaltierten Toupets dampfte, mir eine sehr bittre Erinnerung aus meinem früheren Leben durch die Seele fuhr und daß ich, von recht grimmigem Hohn über mancher Menschen töricht Treiben ergriffen, unwillkürlich hell auflachen mußte. Es tut mir leid, daß ich, ohne es zu wollen, so viel Unheil angerichtet habe, und ich büße dafür, indem ich mich selbst auf einige Zeit vorn Hofe verbanne. Mag mir die Fürstin, mag mir Aurelie verzeihen.« – »Ei, mein lieber Herr Leonard«, versetzte der Leibarzt, »man hat ja wohl wunderliche Anwandlungen, denen man leicht widersteht, wenn man sonst nur reinen Herzens ist.« – »Wer darf sich dessen rühmen hienieden?« frug ich dumpf in mich hinein. Der Leibarzt änderte plötzlich Blick und Ton. »Sie scheinen mir«, sprach er milde und ernst, »Sie scheinen mir aber doch wirklich krank. – Sie sehen blaß und verstört aus – Ihr Auge ist eingefallen und brennt seltsam in rötlicher Glut ... Ihr Puls geht fieberhaft ... Ihre Sprache klingt dumpf ... Soll ich Ihnen etwas aufschreiben?« – »Gift!« sprach ich kaum vernehmbar. »Ho, ho!« rief der Leibarzt, »steht es so mit Ihnen? Nun, nun, statt des Gifts das niederschlagende Mittel zerstreuender Gesellschaft. – Es kann aber auch sein, daß ... Wunderlich ist es aber doch ... vielleicht –« »Ich bitte Sie, mein Herr!« rief ich ganz erzürnt, »ich bitte Sie, mich nicht mit abgebrochenen unverständlichen Reden zu quälen, sondern lieber geradezu alles ... « »Halt!« unterbrach mich der Leibarzt, »halt ... es gibt die wunderlichsten Täuschungen, mein Herr Leonard, beinahe ist's mir gewiß, daß man auf augenblicklichen Eindruck eine Hypothese gebaut hat, die vielleicht in wenigen Minuten in nichts zerfällt. Dort kommt die Fürstin mit Aurelien, nützen Sie dieses zufällige Zusammentreffen, entschuldigen Sie Ihr Betragen ... Eigentlich ... mein Gott! eigentlich haben Sie ja auch nur gelacht ... freilich auf etwas wunderliche Weise, wer kann aber dafür, daß schwachnervige Personen darüber erschrecken? Adieu!« –
Der Leibarzt sprang mit der ihm eignen Behendigkeit davon. Die Fürstin kam mit Aurelien den Gang herab. – Ich erbebte. Mit aller Gewalt raffte ich mich zusammen. Ich fühlte nach des Leibarztes geheimnisvollen Reden, daß es nun galt, mich auf der Stelle zu behaupten. Keck trat ich den Kommenden entgegen. Als Aurelie mich ins Auge faßte, sank sie mit einem dumpfen Schrei wie tot zusammen, ich wollte hinzu, mit Abscheu und Entsetzen winkte mich die Fürstin fort, laut um Hilfe rufend. Wie von Furien und Teufeln gepeitscht, rannte ich fort durch den Park. Ich schloß mich in meine Wohnung ein und warf mich, vor Wut und Verzweiflung knirschend, aufs Lager! – Der Abend kam, die Nacht brach ein, da hörte ich die Haustüre aufschließen, mehrere Stimmen murmelten und flüsterten durcheinander, es wankte und tappte die Treppe herauf – endlich pochte man an meine Türe und befahl mir im Namen der Obrigkeit, aufzumachen. Ohne deutliches Bewußtsein, was mir drohen könne, glaubte ich zu fühlen, daß ich nun verloren sei. Rettung durch Flucht – so dachte ich und riß das Fenster auf. –- Ich erblickte Bewaffnete vor dem Hause, von denen mir einer sogleich bemerkte. »Wohin?« rief er mir zu, und in dem Augenblick wurde die Türe meines Schlafzimmers gesprengt. Mehrere Männer traten herein; bei dem Leuchten der Laterne, die einer von ihnen trug, erkannte ich sie für Polizeisoldaten. Man zeigte mir die Ordre des Kriminalgerichts, mich zu verhaften, vor; jeder Widerstand wäre töricht gewesen. Man warf mich in den Wagen, der vor dem Hause hielt, und als ich, an dem Ort, der meine Bestimmung schien, angekommen, frug, wo ich mich befände, so erhielt ich zur Antwort: »In den Gefängnissen der obern Burg.« Ich wußte, daß man hier gefährliche Verbrecher während des Prozesses einsperre. Nicht lange dauerte es, so wurde mein Bett gebracht, und der Gefangenenwärter frug mich, ob ich noch etwas zu meiner Bequemlichkeit wünsche. Ich verneinte das und blieb endlich allein. Die lange nachhallenden Tritte und das Auf- und Zuschließen vieler Türen ließen mich wahrnehmen, daß ich mich in einem der innersten Gefängnisse auf der Burg befand. Auf mir selbst unerklärliche Weise war ich während der ziemlich langen Fahrt ruhig geworden, ja in einer Art Sinnesbetäubung erblickte ich alle Bilder, die mir vorübergingen, nur in blassen, halberloschenen Farben. Ich erlag nicht dem Schlaf, sondern einer Gedanken und Fantasie lähmenden Ohnmacht. Als ich am hellen Morgen erwachte, kam mir nur nach und nach die Erinnerung dessen, was geschehen und wo ich hingebracht worden. Die gewölbte, ganz zellenartige Kammer, wo ich lag, hätte mir kaum ein Gefängnis geschienen, wenn nicht das kleine Fenster stark mit Eisenstäben vergittert und so hoch angebracht gewesen wäre, daß ich es nicht einmal mit ausgestreckten Hand erreichen, viel weniger hinausschauen konnte. Nur wenige Sonnenstrahlen fielen sparsam herein; mich wandelte die Lust an, die Umgebung meines Aufenthaltes zu erforschen, ich rückte daher mein Bett heran und stellte den Tisch darauf.
Eben wollte ich hinaufklettern, als der Gefangenenwärter hereintrat und über mein Beginnen sehr verwundert schien. Er frug mich, was ich da mache, ich erwiderte, daß ich nur hinausschauen wollte; schweigend trug er Tisch, Bett und den Stuhl fort und schloß mich sogleich wieder ein. Nicht eine Stunde hatte es gedauert, als er, von zwei anderen Männern begleitet, wieder erschien und mich durch lange Gänge treppauf, treppab führte, bis ich endlich in einen kleinen Saal eintrat, wo mich der Kriminalrichter erwartete. Ihm zur Seite saß ein junger Mann, dem er in der Folge alles, was ich auf die an mich gerichteten Fragen erwidert hatte, laut in die Feder diktierte. Meinen ehemaligen Verhältnissen bei Hofe und der allgemeinen Achtung, die ich in der Tat so lange genossen hatte, mochte ich die höfliche Art danken, mit der man mich behandelte, wiewohl ich auch die Überzeugung darauf baute, daß nur Vermutungen, die hauptsächlich auf Aureliens ahnendem Gefühl beruhen konnten, meine Verhaftung veranlaßt hatten. Der Richter forderte mich auf, meine bisherigen Lebensverhältnisse genau anzugeben; ich bat ihn, mir erst die Ursache meiner plötzlichen Verhaftung zu sagen, er erwiderte, daß ich über das mir schuld gegebene Verbrechen zu seiner Zeit genau genug vernommen werden solle. Jetzt komme es nur darauf an, meinen ganzen Lebenslauf bis zur Ankunft in der Residenz auf das genaueste zu wissen, und er müsse mich daran erinnern, daß es dem Kriminalgericht nicht an Mitteln fehlen würde, auch dem kleinsten von mir angegebenen Umstand nachzuspüren, weshalb ich denn ja der strengsten Wahrheit treu bleiben möge. Diese Ermahnung, die der Richter, ein kleiner dürrer Mann mit fuchsroten Haaren, mit heiserer, lächerlich quäkender Stimme mir hielt, indem er die grauen Augen weit aufriß, fiel auf einen fruchtbaren Boden; denn ich erinnerte mich nun, daß ich in meiner Erzählung den Faden genau so aufgreifen und fortspinnen müsse, wie ich ihn angelegt, als ich bei Hofe meinen Namen und Geburtsort angab. Auch war es wohl nötig, alles Auffallende vermeiden, meinen Lebenslauf ins Alltägliche, aber weit Entfernte, Ungewisse zu spielen, so daß die weiteren Nachforschungen dadurch auf jeden Fall weit aussehend und schwierig werden mußten. In dem Augenblick kam mir auch ein junger Pole ins Gedächtnis, mit dem ich auf dem Seminar in B. studierte; ich beschloß, seine einfachen Lebensumstände mir anzueignen. So gerüstet, begann ich in folgender Art: »Es mag wohl sein, daß man mich eines schweren Verbrechens beschuldigt, ich habe indessen hier unter den Augen des Fürsten und der ganzen Stadt gelebt, und es ist während der Zeit meines Aufenthaltes kein Verbrechen verübt worden, für dessen Urheber ich gehalten werden oder dessen Teilnehmer ich sein könnte. Es muß also ein Fremder sein, der mich eines in früherer Zeit begangenen Verbrechens anklagt, und da ich mich von aller Schuld völlig rein fühle, so hat vielleicht nur eine unglückliche Ähnlichkeit die Vermutung meiner Schuld erregt; um so härter finde ich es aber, daß man mich leerer Vermutungen und vorgefaßter Meinungen wegen, dem überführten Verbrecher gleich, in ein strenges Kriminalgefängnis sperrt. Warum stellt man mich nicht meinem leichtsinnigen, vielleicht boshaften Ankläger unter die Augen? ... Gewiß ist es am Ende ein alberner Tor, der ... « »Gemach, gemach, Herr Leonard«, quäkte der Richter, »menagieren Sie sich, Sie könnten sonst garstig anstoßen gegen hohe Personen, und die fremde Person, die Sie, mein Herr Leonard, oder Herr ... (er biß sich schnell in die Lippen) erkannt hat, ist auch weder leichtsinnig noch albern, sondern ... Nun, und dann haben wir gute Nachrichten aus der ... « Er nannte die Gegend, wo die Güter des Barons F. lagen, und alles klärte sich dadurch mir deutlich auf. Entschieden war es, daß Aurelie in mir den Mönch erkannt hatte, der ihren Bruder ermordete. Dieser Mönch war ja aber Medardus, der berühmte Kanzelredner aus dem Kapuzinerkloster in B. Als diesen hatte ihn Reinhold erkannt, und so hatte er sich auch selbst kundgetan. Daß Francesko der Vater jenes Medardus war, wußte die Äbtissin, und so mußte meine Ähnlichkeit mit ihm, die der Fürstin gleich anfangs so unheimlich worden, die Vermutungen, welche die Fürstin und die Äbtissin vielleicht schon brieflich unter sich angeregt hatten, beinahe zur Gewißheit erheben. Möglich war es auch, daß Nachrichten selbst aus dem Kapuzinerkloster in B. eingeholt worden; daß man meine Spur genau verfolgt und so die Identität meiner Person mit dem Mönch Medardus festgestellt hatte. Alles dieses überdachte ich schnell und sah die Gefahr meiner Lage. Der Richter schwatzte noch fort, und dies brachte mir Vorteil, denn es fiel mir auch jetzt der lange vergebens gesuchte Name des polnischen Städtchens ein, das ich der alten Dame bei Hofe als meinen Geburtsort genannt hatte. Kaum endete daher der Richter seinen Sermon mit der barschen Äußerung, daß ich nun ohne weiteres meinen bisherigen Lebenslauf erzählen solle, als ich anfing: »Ich heiße eigentlich Leonard Krczynski und bin der einzige Sohn eines Edelmanns, der sein Gütchen verkauft hatte und sich in Kwiecziczewo aufhielt.« »Wie, was?« – rief der Richter, indem er sich vergebens bemühte, meinen sowie den Namen meines angeblichen Geburtsortes nachzusprechen. Der Protokollführer wußte gar nicht, wie er die Wörter aufschreiben sollte; ich mußte beide Namen selbst einrücken und fuhr dann fort: »Sie bemerken, mein Herr, wie schwer es der deutschen Zunge wird, meine konsonantenreichen Namen nachzusprechen, und darin liegt die Ursache, warum ich ihn, sowie ich nach Deutschland kam, wegwarf und mich bloß nach meinem Vornamen, Leonard, nannte. Übrigens kann keines Menschen Lebenslauf einfacher sein als der meinige. Mein Vater, selbst ziemlich unterrichtet, billigte meinen entschiedenen Hang zu den Wissenschaften und wollte mich eben nach Krakau zu einem ihm verwandten Geistlichen, Stanislaw Krczynski schicken, als er starb. Niemand bekümmerte sich um mich, ich verkaufte die kleine Habe, zog einige Schulden ein und begab mich wirklich mit dem ganzen mir von meinem Vater hinterlassenen Vermögen nach Krakau, wo ich einige Jahre unter meines Verwandten Aufsicht studierte. Dann ging ich nach Danzig und nach Königsberg. Endlich trieb es mich wie mit unwiderstehlicher Gewalt, eine Reise nach dem Süden zu machen; ich hoffte, mich mit dem Rest meines kleinen Vermögens durchzubringen und dann eine Anstellung bei irgendeiner Universität zu finden, doch wäre es mir hier beinahe schlimm ergangen, wenn nicht ein beträchtlicher Gewinn an der Pharobank des Fürsten mich in den Stand gesetzt hätte, hier noch ganz gemächlich zu verweilen und dann, wie ich es im Sinn hatte, meine Reise nach Italien fortzusetzen. Irgend etwas Ausgezeichnetes, das wert wäre, erzählt zu werden, hat sich in meinem Leben gar nicht zugetragen. Doch muß ich wohl noch erwähnen, daß es mir leicht gewesen sein würde, die Wahrheit meiner Angaben ganz unzweifelhaft nachzuweisen, wenn nicht ein ganz besonderer Zufall mich um meine Brieftasche gebracht hätte, worin mein Paß, meine Reiseroute und verschiedene andere Skripturen befindlich waren, die jenem Zweck gedient hätten.« – Der Richter fuhr sichtlich auf, er sah mich scharf an und frug mit beinahe spöttischem Ton, welcher Zufall mich denn außerstande gesetzt hätte, mich, wie es verlangt werden müßte, zu legitimieren. »Vor mehreren Monaten«, so erzählte ich, »befand ich mich auf dem Wege hieher im Gebirge. Die anmutige Jahreszeit sowie die herrliche, romantische Gegend bestimmten mich, den Weg zu Fuße zu machen. Ermüdet saß ich eines Tages in dem Wirtshause eines kleinen Dörfchens; ich hatte mir Erfrischungen reichen lassen und ein Blättchen aus meiner Brieftasche genommen, um irgend etwas, das mir eingefallen, aufzuzeichnen; die Brieftasche lag vor mir auf dem Tische. Bald darauf kam ein Reiter dahergesprengt, dessen sonderbare Kleidung und verwildertes Aussehen meine Aufmerksamkeit erregte.
Er trat ins Zimmer, forderte einen Trunk und setzte sich, finster und scheu mich anblickend, mir gegenüber an den Tisch. Der Mann war mir unheimlich, ich trat daher ins Freie hinaus. Bald darauf kam auch der Reiter, bezahlte den Wirt und sprengte, mich flüchtig grüßend, davon. Ich stand im Begriff, weiterzugehen, als ich mich der Brieftasche erinnerte, die ich in der Stube auf dem Tische liegengelassen; ich ging hinein und fand sie noch auf dem alten Platz. Erst des andern Tages, als ich die Brieftasche hervorzog, entdeckte ich, daß es nicht die meinige war, sondern daß sie wahrscheinlich dem Fremden gehörte, der gewiß aus Irrtum die meinige eingesteckt hatte. Nur einige mir unverständliche Notizen und mehrere an einen Grafen Viktorin gerichtete Briefe befanden sich darin. Diese Brieftasche nebst dem Inhalt wird man noch unter meinen Sachen finden; in der meinigen hatte ich, wie gesagt, meinen Paß, meine Reiseroute und, wie mir jetzt eben einfällt, sogar meinen Taufschein; um das alles bin ich durch jene Verwechslung gekommen.«
Der Richter ließ sich den Fremden, dessen ich erwähnt, von Kopf bis zu Fuß beschreiben, und ich ermangelte nicht, die Figur mit aller nur möglichen Eigentümlichkeit aus der Gestalt des Grafen Viktorin und aus der meinigen auf der Flucht aus dem Schlosse des Barons F. geschickt zusammenzufügen. Nicht aufhören konnte der Richter, mich über die kleinsten Umstände dieser Begebenheit auszufragen, und indem ich alles befriedigend beantwortete, rundete sich das Bild davon so in meinem Innern, daß ich selbst daran glaubte und keine Gefahr lief, mich in Widersprüche zu verwickeln. Mit Recht konnte ich es übrigens wohl für einen glücklichen Gedanken halten, wenn ich, den Besitz jener an den Grafen Viktorin gerichteten Briefe, die in der Tat sich noch im Portefeuille befanden, rechtfertigend, zugleich eine fingierte Person einzuflechten suchte, die künftig, je nachdem die Umstände darauf hindeuteten, den entflohenen Medardus oder den Grafen Viktorin vorstellen konnte. Dabei fiel mir ein, daß vielleicht unter Euphemiens Papieren sich Briefe vorfanden, die über Viktorins Plan als Mönch im Schlosse zu erscheinen, Aufschluß gaben, und daß dies aufs neue den eigentlichen Hergang der Sache verdunkeln und verwirren könne. Meine Fantasie arbeitete fort, indem der Richter mich frug, und es entwickelten sich mir immer neue Mittel, mich vor jeder Entdeckung zu sichern, so daß ich auf das Ärgste gefaßt zu sein glaubte. – Ich erwartete nun, da über mein Leben im allgemeinen alles genug erörtert schien, daß der Richter dem mir angeschuldigten Verbrechen näherkommen würde, es war aber dem nicht so; vielmehr frug er, warum ich habe aus dem Gefängnis fliehen wollen. – Ich versicherte, daß mir dies nicht in den Sinn gekommen sei. Das Zeugnis des Gefangenenwärters, der mich an das Fenster hinaufkletternd angetroffen, schien aber wider mich zu sprechen. Der Richter drohte mir, daß ich nach einem zweiten Versuch angeschlossen werden solle. Ich wurde in den Kerker zurückgeführt. – Man hatte mir das Bett genommen und ein Strohlager auf dem Boden bereitet, der Tisch war festgeschraubt, statt des Stuhles fand ich eine sehr niedrige Bank. Es vergingen drei Tage, ohne daß man weiter nach mir frug, ich sah nur das mürrische Gesicht eines alten Knechts, der mir das Essen brachte und abends die Lampe ansteckte. Da ließ die gespannte Stimmung nach, in der es mir war, als stehe ich im lustigen Kampf auf Leben und Tod, den ich wie ein wackrer Streiter ausfechten werde. Ich fiel in ein trübes, düstres Hinbrüten, alles schien mir gleichgültig, selbst Aureliens Bild war verschwunden. Doch bald rüttelte sich der Geist wieder auf, aber nur um stärker von dem unheimlichen, krankhaften Gefühl befangen zu werden, das die Einsamkeit, die dumpfe Kerkerluft erzeugt hatte und dem ich nicht zu widerstehen vermochte. Ich konnte nicht mehr schlafen. In den wunderlichen Reflexen, die der düstre, flackernde Schein der Lampe an Wände und Decke warf, grinsten mich allerlei verzerrte Gesichter an; ich löschte die Lampe aus, ich barg mich in die Strohkissen, aber gräßlicher tönte dann das dumpfe Stöhnen, das Kettengerassel der Gefangenen durch die grauenvolle Stille der Nacht. Oft war es mir, als höre ich Euphemiens – Viktorins Todesröcheln. »Bin ich denn schuld an eurem Verderben? Wart ihr es nicht selbst, Verruchte, die ihr euch hingabt meinem rächenden Arm?« – So schrie ich laut auf, aber dann ging ein langer, tief ausatmender Todesseufzer durch die Gewölbe, und in wilder Verzweiflung heulte ich: »Du bist es, Hermogen! ... Nah ist die Rache! ... Keine Rettung mehr!« – In der neunten Nacht mochte es sein, als ich, halb ohnmächtig von Grauen und Entsetzen, auf dem kalten Boden des Gefängnisses ausgestreckt lag. Da vernahm ich deutlich unter mir ein leises, abgemessenes Klopfen. Ich horchte auf, das Klopfen dauerte fort, und dazwischen lachte es seltsamlich aus dem Boden hervor! Ich sprang auf und warf mich auf das Strohlager, aber immerfort klopfte es und lachte und stöhnte dazwischen. – Endlich rief es leise, leise, aber wie mit häßlicher, heiserer, stammelnder Stimme hintereinander fort: »Me-dar-dus! Me-dar-dus!« – Ein Eisstrom goß sich mir durch die Glieder! Ich ermannte mich und rief »Wer da! Wer ist da?« – Lauter lachte es nun und stöhnte und ächzte und klopfte und stammelte heiser: »Me-dar-dus ... Me-dar-dus!« Ich raffte mich auf vom Lager. »Wer du auch bist, der du hier tollen Spuk treibst, stell dich her sichtbarlich vor meine Augen, daß ich dich schauen mag, oder höre auf mit deinem wüsten Lachen und Klopfen!« – So rief ich in die dicke Finsternis hinein, aber recht unter meinen Füßen klopfte es stärker und stammelte: »Hihihi ... hihihi ... Brü-der-lein ... Brü-der-lein Me-dar-dus ... ich bin da ... bin da ... ma-mach auf ... auf ... wir wollen in den Wa-Wald gehn ... Wald gehn!« – Jetzt tönte die Stimme dunkel in meinem Innern wie bekannt; ich hatte sie schon sonst gehört, doch nicht, wie mich es dünkte, so abgebrochen und so stammelnd. Ja, mit Entsetzen glaubte ich meinen eignen Sprachton zu vernehmen. Unwillkürlichl, als wollte ich versuchen, ob es dem so sei, stammelte ich nach: »Me-dar-dus ... Me-dar-dus!« Da lachte es wieder, aber höhnisch und grimmig und rief: »Brü-der-lein ... Brü-der-lein, hast ... du, du mi-mich erkannt ... er-kannt? ... ma-mach auf, wir wo-wollen in den Wa-Wald in den Wald!« – »Armer Wahnsinniger«, so sprach es dumpf und schauerlich aus mir heraus, »armer Wahnsinniger, nicht aufmachen kann ich dir, nicht heraus mit dir in den schönen Wald, in die herrliche freie Frühlingsluft, die draußen wehen mag; eingesperrt im dumpfen, düstern Kerker bin ich wie du!« – Da ächzte es im trostlosen Jammer, und immer leiser und unvernehmlicher wurde das Klopfen, bis es endlich ganz schwieg; der Morgen brach durch das Fenster, die Schlösser rasselten, und der Kerkermeister, den ich die ganze Zeit über nicht gesehen, trat herein. »Man hat«, fing er an, »in dieser Nacht allerlei Lärm in Ihrem Zimmer gehört und lautes Sprechen. Wie ist es damit?« – »Ich habe die Gewohnheit«, erwiderte ich so ruhig, als es mir nur möglich war, »laut und stark im Schlafe zu reden, und führte ich auch im Wachen Selbstgespräche, so glaube ich, daß mir dies wohl erlaubt sein wird.« »Wahrscheinlich«, fuhr der Kerkermeister fort, »ist Ihnen bekannt worden, daß jeder Versuch zu entfliehen, jedes Einverständnis mit den Mitgefangenen hart geahndet wird.« – Ich beteuerte, nichts dergleichen hätte ich vor. – Ein paar Stunden nachher führte man mich hinauf zum Kriminalgericht. Nicht der Richter, der mich zuerst vernommen, sondern ein anderer, ziemlich junger Mann, dem ich auf den ersten Blick anmerkte, daß er dem vorigen an Gewandtheit und eindringenden Sinn weit überlegen sein müsse, trat freundlich auf mich zu und lud mich zum Sitzen ein. Noch steht er mir gar lebendig vor Augen. Er war für seine Jahre ziemlich untersetzt, sein Kopf beinahe haarlos, er trug eine Brille. In seinem ganzen Wesen lag so viel Güte und Gemütlichkeit, daß ich wohl fühlte, gerade deshalb müsse jeder nicht ganz versteckte Verbrecher ihm schwer widerstehen können. Seine Fragen warf er leicht, beinahe im Konversationston hin, aber sie waren überdacht und so präzis gestellt, daß nur bestimmte Antworten erfolgen konnten. »Ich muß Sie zuvörderst fragen«, so fing er an, »ob alles das, was Sie über Ihren Lebenslauf angegeben haben, wirklich gegründet ist, oder ob bei reiflichem Nachdenken Ihnen nicht dieser oder jener Umstand einfiel, den Sie noch erwähnen wollen?«
»Ich habe alles gesagt, was ich über mein einfaches Leben zu sagen wußte.«
»Haben Sie nie mit Geistlichen ... mit Mönchen Umgang gepflogen?«
»Ja, in Krakau ... Danzig ... Frauenburg ... Königsberg. Am Letztem Orte mit den Weltgeistlichen, die bei der Kirche als Pfarrer und Kapellan angestellt waren.«
»Sie haben früher nicht erwähnt, daß Sie auch in Frauenburg gewesen sind?«
»Weil ich es nicht der Mühe wert hielt, eines kurzen, wie mich dünkt, achttägigen Aufenthalts dort auf der Reise von Danzig nach Königsberg zu erwähnen.«
»Also in Kwiecziczewo sind Sie geboren?«
Dies frug der Richter plötzlich in polnischer Sprache, und zwar in echt polnischem Dialekt, jedoch ebenfalls ganz leichthin. Ich wurde in der Tat einen Augenblick verwirrt, raffte mich doch zusammen, besann mich auf das wenige Polnische, was ich von meinem Freunde Krczynski im Seminar gelernt hatte, und antwortete:
»Auf dem kleinen Gute meines Vaters bei Kwiecziczewo.«
»Wie hieß dieses Gut?«
»Krcziniewo, das Stammgut meiner Familie.«
»Sie sprechen für einen Nationalpolen das Polnische nicht sonderlich aus. Aufrichtig gesagt, in ziemlich deutschem Dialekt. Wie kommt das?«
»Schon seit vielen Jahren spreche ich nichts als Deutsch. Ja selbst schon in Krakau hatte ich viel Umgang mit Deutschen, die das Polnische von mir erlernen wollten; unvermerkt mag ich ihren Dialekt mir angewöhnt haben, wie man leicht provinzielle Aussprache annimmt und die bessere, eigentümliche darüber vergißt.«
Der Richter blickte mich an, ein leises Lächeln flog über sein Gesicht, dann wandte er sich zum Protokollführer und diktierte ihm leise etwas. Ich unterschied deutlich die Worte: »Sichtlich in Verlegenheit« und wollte mich eben noch mehr über mein schlechtes Polnisch auslassen, als der Richter frug:
»Waren Sie niemals in B.?«
»Niemals!«
»Der Weg von Königsberg hieher kann Sie über den Ort geführt haben?«
»Ich habe eine andere Straße eingeschlagen.«
»Haben Sie nie einen Mönch aus dem Kapuzinerkloster in B. kennengelernt?«
»Nein!«
Der Richter klingelte und gab dem hereintretenden Gerichtsdiener leise einen Befehl. Bald darauf öffnete sich die Türe, und wie durchbebten mich Schreck und Entsetzen, als ich den Pater Cyrillus eintreten sah. Der Richter frug:
»Kennen Sie diesen Mann?«
»Nein! ... ich habe ihn früher niemals gesehen!«
Da heftete Cyrillus den starren Blick auf mich, dann trat er näher; schlug die Hände zusammen und rief laut, indem Tränen ihm aus den Augen gewaltsam hervorquollen: »Medardus, Bruder Medardus ... ! um Christus willen, wie muß ich dich wiederfinden, im Verbrechen teuflisch frevelnd. Bruder Medardus, gehe in dich, bekenne, bereue ... Gottes Langmut ist unendlich!« – Der Richter schien mit Cyrillus' Rede unzufrieden, er unterbrach ihn mit der Frage: »Erkennen Sie diesen Mann für den Mönch Medardus aus dem Kapuzinerkloster in B.?«
»So wahr mir Christus helfe zur Seligkeit«, erwiderte Cyrillus, »so kann ich nicht anders glauben, als daß dieser Mann, trägt er auch weltliche Kleidung, jener Medardus ist, der im Kapuzinerkloster zu B. unter meinen Augen Noviz war und die Weihe empfing. Doch hat Medardus das rote Zeichen eines Kreuzes an der linken Seite des Halses, und wenn dieser Mann« ... »Sie bemerken«, unterbrach der Richter den Mönch, sich zu mir wendend, »daß man Sie für den Kapuziner Medardus aus dem Kloster in B. hält und daß man eben diesen Medardus schwerer Verbrechen halber angeklagt hat. Sind Sie nicht dieser Mönch, so wird es Ihnen leicht werden, dies darzutun; eben daß jener Medardus ein besonderes Abzeichen am Halse trägt, – welches Sie, sind Ihre Angaben richtig, nicht haben können – gibt Ihnen die beste Gelegenheit dazu. Entblößen Sie Ihren Hals.« – »Es bedarf dessen nicht«, erwiderte ich gefaßt, »ein besonderes Verhängnis scheint mir die treueste Ähnlichkeit mit jenem angeklagten, mir gänzlich unbekannten Mönch Medardus gegeben zu haben, denn selbst ein rotes Kreuzzeichen trage ich an der linken Seite des Halses.« – Es war dem wirklich so, jene Verwundung am Halse, die mir das diamantne Kreuz der Äbtissin zufügte, hatte eine rote, kreuzförmige Narbe hinterlassen, die die Zeit nicht vertilgen konnte. »Entblößen Sie Ihren Hals«, wiederholte der Richter. – Ich tat es, da schrie Cyrillus laut: »Heilige Mutter Gottes, es ist es, es ist das rote Kreuzzeichen! ... Medardus ... Ach, Bruder Medardus, hast du denn ganz entsagt dem ewigen Heil?« – Weinend und halb ohnmächtig sank er in einen Stuhl. »Was erwidern Sie auf die Behauptung dieses ehrwürdigen Geistlichen?« frug der Richter. In dem Augenblick durchfuhr es mich wie eine Blitzesflamme; alle Verzagtheit, die mich zu übermannen drohte, war von mir gewichen, ach, es war der Widersacher selbst, der mir zuflüsterte: »Was vermögen diese Schwächlinge gegen dich Starken in Sinn und Geist? ... Soll Aurelie denn nicht dein werden?« – Ich fuhr heraus beinahe in wildem, höhnendem Trotz: »Dieser Mönch da, der ohnmächtig im Stuhle liegt, ist ein schwachsinniger, blöder Greis, der in toller Einbildung mich für irgendeinen verlaufenen Kapuziner seines Klosters hält; von dem ich vielleicht eine flüchtige Ähnlichkeit trage.« – Der Richter war bis jetzt in ruhiger Fassung geblieben, ohne Blick und Ton zu ändern; zum erstenmal verzog sich nun sein Gesicht zum finstern, durchbohrenden Ernst, er stand auf und blickte mir scharf ins Auge. Ich muß gestehen, selbst das Funkeln seiner Gläser hatte für mich etwas Unerträgliches, Entsetzliches, ich konnte nicht weiterreden; von innerer verzweifelnder Wut grimmig erfaßt, die geballte Faust vor der Stirn, schrie ich laut auf: »Aurelie! « – »Was soll das, was bedeutet der Name?« frug der Richter heftig. – »Ein dunkles Verhängnis opfert mich dem schmachvollen Tode«, sagte ich dumpf, »aber ich bin unschuldig, gewiß ... ich bin ganz unschuldig ... entlassen Sie mich ... haben Sie Mitleiden ... ich fühle es, daß Wahnsinn mir durch Nerv und Adern zu toben beginnt ... entlassen Sie mich!« – Der Richter, wieder ganz ruhig geworden, diktierte dem Protokollführer vieles, was ich nicht verstand, endlich las er mir eine Verhandlung vor, worin alles, was er gefragt und was ich geantwortet sowie was sich mit Cyrillus zugetragen hatte, verzeichnet war. Ich mußte meinen Namen unterschreiben, dann forderte mich der Richter auf, irgend etwas polnisch und deutsch aufzuzeichnen, ich tat es. Der Richter nahm das deutsche Blatt und gab es dem Pater Cyrillus, der sich unterdessen wieder erholt hatte, mit der Frage in die Hände: »Haben diese Schriftzüge Ähnlichkeit mit der Hand, die Ihr Klosterbruder Medardus schrieb?« – »Es ist ganz genau seine Hand, bis auf die kleinsten Eigentümlichkeiten«, erwiderte CyrilIus und wandte sich wieder zu mir. Er wollte sprechen, ein Blick des Richters wies ihn zur Ruhe. Der Richter sah das von mir geschriebene polnische Blatt sehr aufmerksam durch, dann stand er auf, trat dicht vor mich hin und sagte mit sehr ernstem, entscheidendem Ton:
»Sie sind kein Pole. Diese Schrift ist durchaus wichtig, voller grammatischer und orthographischer Fehler. Kein Nationalpole schreibt so, wäre er auch viel weniger wissenschaftlich ausgebildet als Sie es sind.«
»Ich bin in Krcziniewo geboren, folglich allerdings ein Pole. Selbst aber in dem Fall, daß ich es nicht wäre, daß geheimnisvolle Umstände mich zwängen, Stand und Namen zu verleugnen, so würde ich deshalb doch nicht der Kapuziner Medardus sein dürfen, der aus dem Kloster in B., wie ich glauben muß, entsprang.«
»Ach, Bruder Medardus«, fiel Cyrillus ein, »schickte dich unser ehrwürdiger Prior Leonardus nicht im Vertrauen auf deine Treue und Frömmigkeit nach Rom? ... Bruder Medardus, um Christus willen, verleugne nicht länger auf gottlose Weise den heiligen Stand, dem du entronnen.«
»Ich bitte Sie, uns nicht zu unterbrechen«, sagte der Richter und fuhr dann, sich zu mir wendend, fort:
»Ich muß Ihnen bemerklich machen, wie die unverdächtige Aussage dieses ehrwürdigen Herrn die dringendste Vermutung bewirkt, daß Sie wirklich der Medardus sind, für den man Sie hält. Nicht verhehlen mag ich auch, daß man Ihnen mehrere Personen entgegenstellen wird, die Sie für jenen Mönch unzweifelhaft erkannt haben . Unter diesen Personen befindet sich eine, die Sie, treffen die Vermutungen ein, schwer fürchten müssen. Ja selbst unter Ihren eigenen Sachen hat sich manches gefunden, was den Verdacht wider Sie unterstützt. Endlich werden bald die Nachrichten über ihre vorgeblichen Familienumstände eingehen, um die man die Gerichte in Posen ersucht hat ... Alles dieses sage ich Ihnen offner, als es mein Amt gebietet, damit Sie sich überzeugen, wie wenig ich auf irgendeinen Kunstgriff rechne, Sie, haben jene Vermutungen Grund, zum Geständnis der Wahrheit zu bringen. Bereiten Sie sich vor, wie Sie wollen; sind Sie wirklich jener angeklagte Medardus, so glauben Sie, daß der Blick des Richters die tiefste Verhüllung bald durchdringen wird; Sie werden dann auch selbst sehr genau wissen, welcher Verbrechen man Sie anklagt. Sollten Sie dagegen wirklich der Leonard von Krczynski sein, für den Sie sich ausgeben, und ein besonderes Spiel der Natur Sie, selbst rücksichts besonderer Abzeichen, jenem Medardus ähnlich gemacht haben, so werden Sie selbst leicht Mittel finden, dies klar nachzuweisen. Sie schienen mir erst in einem sehr exaltierten Zustande, schon deshalb brach die Verhandlung ab" indessen wollte ich Ihnen zugleich auch Raum geben zum reiflichen Nachdenken. Nach dem, was heute geschehen, kann es Ihnen an Stoff dazu nicht fehlen.«
»Sie halten also meine Angaben durchaus für falsch? ... Sie sehen in mir den verlaufenen Mönch Medardus?« – So frug ich; der Richter sagte mit einer leichten Verbeugung: »Adieu, Herr von Krczynski!« und man brachte mich in den Kerker zurück.
Die Worte des Richters durchbohrten mein Innres wie glühende Stacheln. Alles, was ich vorgegeben, kam mir seicht und abgeschmackt vor. Daß die Person, der ich entgegengestellt werden und die ich so schwer zu fürchten haben sollte, Aurelie sein mußte, war nur zu klar. Wie sollt' ich das ertragen! Ich dachte nach, was unter meinen Sachen wohl verdächtig sein könne, da fiel es mir schwer aufs Herz, daß ich noch aus jener Zeit meines Aufenthaltes auf dem Schlosse des Barons von F. einen Ring mit Euphemiens Namen besaß sowie daß Viktorins Felleisen, das ich auf meiner Flucht mit mir genommen, noch mit dem Kapuzinerstrick zugeschnürt war! – Ich hielt mich für verloren! – Verzweifelnd rannte ich den Kerker auf und ab. Da war es, als flüsterte, als zischte es mir in die Ohren: »Du Tor, was verzagst du? Denkst du nicht an Viktorin?« – Laut rief ich: »Ha! Nicht verloren, gewonnen ist das Spiel.« Es arbeitete und kochte in meinem Innern! Schon früher hatte ich daran gedacht, daß unter Euphemiens Papieren sich wohl etwas gefunden haben müsse, was auf Viktorins Erscheinen auf dem Schlosse als Mönch hindeute. Darauf mich stützend, wollte ich auf irgendeine Weise ein Zusammentreffen mit Viktorin, ja selbst mit dem Medardus, für den man mich hielt, vorgeben; jenes Abenteuer auf dem Schlosse, das so fürchterlich endete, als vom Hörensagen erzählen und mich selbst, meine Ähnlichkeit mit jenen beiden, auf unschädliche Weise geschickt hineinverflechten. Der kleinste Umstand mußte reiflich erwogen werden; aufzuschreiben beschloß ich daher den Roman, der mich retten sollte! – Man bewilligte mir die Schreibmaterialien, die ich forderte, um schriftlich noch manchen verschwiegenen Umstand meines Lebens zu erörtern. Ich arbeitete mit Anstrengung bis in die Nacht hinein; im Schreiben erhitzte sich meine Fantasie, alles formte sich wie eine gerundete Dichtung, und fester und fester spann sich das Gewebe endloser Lügen, womit ich dem Richter die Wahrheit zu verschleiern hoffte.
Die Burgglocke hatte zwölf geschlagen, als sich wieder leise und entfernt das Pochen vernehmen ließ, das mich gestern so verstört hatte. – Ich wollte darauf nicht achten, aber immer lauter pochte es in abgemessenen Schlägen, und dabei fing es wieder an, dazwischen zu lachen und zu ächzen. – Stark auf den Tisch schlagend, rief ich laut: »Still ihr da drunten!« und glaubte mich so von dem Grauen, das mich befing, zu ermutigen, aber da lachte es gellend und schneidend durch das Gewölbe und stammelte: »Brüder-lein, Brü-der-lein ... zu dir her-auf ... her-auf ... ma-mach auf ... mach auf!« – Nun begann es dicht neben mir im Fußboden zu schaben, zu rasseln und zu kratzen, und immer wieder lachte es und ächzte; stärker und immer stärker wurde das Geräusch, das Rasseln, das Kratzen – dazwischen dumpf dröhnende Schläge wie das Fallen schwerer Massen. – Ich war aufgestanden, mit der Lampe in der Hand. Da rührte es sich unter meinem Fuß, ich schritt weiter und sah, wie an der Stelle, wo ich gestanden, sich ein Stein des Pflasters losbröckelte. Ich erfaßte ihn und hob ihn mit leichter Mühe vollends heraus. Ein düstrer Schein brach durch die Öffnung, ein nackter Arm mit einem blinkenden Messer in der Hand streckte sich mir entgegen. Von tiefem Entsetzen durchschauert, bebte ich zurück. Da stammelte es von unten herauf: »Brü-der-lein! Brü-der-lein, Me-dar-dus ist da-da, herauf ... nimm, nimm! ... brich ... brich ... in den Wa-Wald ... in der, Wald!« – Schnell dachte ich Flucht und Rettung; alles Grauen überwunden, ergriff ich das Messer, das die Hand mir willig ließ und fing an, den Mörtel zwischen den Steinen des Fußbodens emsig wegzubrechen. Der, der unten war, drückte wacker herauf. Vier, fünf Steine lagen zur Seite weggeschleudert, da erhob sich plötzlich ein nackter Mensch bis an die Hüften aus der Tiefe empor und starrte mich gespenstisch an mit des Wahnsinns grinsendem, entsetzlichem Gelächter. Der volle Schein der Lampe fiel auf sein Gesicht – ich erkannte mich selbst – mir vergingen die Sinne. – Ein empfindlicher Schmerz an den Armen weckte mich aus tiefer Ohnmacht! – Hell war es um mich her, der Kerkermeister stand mit einer blendenden Leuchte vor mir, Kettengerassel und Hammerschläge hallten durch das Gewölbe. Man war beschäftigt, mich in Fesseln zu schmieden. Außer den Hand- und Fußschellen wurde ich mittels eines Ringes um den Leib und einer daran befestigten Kette an die Mauer gefesselt. »Nun wird es der Herr wohl bleiben lassen, an das Durchbrechen zu denken«, sagte der Kerkermeister. – »Was hat denn der Kerl eigentlich getan?« frug ein Schmiedeknecht. »Ei«, erwiderte der Kerkermeister, »weißt du denn das nicht, Jost? ... die ganze Stadt ist ja davon voll. 's ist ein verfluchter Kapuziner, der drei Menschen ermordet hat. Sie haben's schon ganz heraus. In wenigen Tagen haben wir große Gala, da werden die Räder spielen.« – Ich hörte nichts mehr, denn aufs neue entschwunden mir Sinn und Gedanken. Nur mühsam erholte ich mich aus der Betäubung, finster blieb es, endlich brachen einige matte Streiflichter des Tages herein in das niedrige, kaum sechs Fuß hohe Gewölbe, in das, wie ich jetzt zu meinem Entsetzen wahrnahm, man mich aus meinem vorigen Kerker gebracht hatte. Mich dürstete, ich griff nach dem Wasserkruge, der neben mir stand, feucht und kalt schlüpfte es mir durch die Hand, ich sah eine aufgedunsene scheußlich Kröte schwerfällig davonhüpfen. Voll Ekel und Abscheu ließ ich den Krug fahren. »Aurelie!« stöhnte ich auf in dem Gefühl des namenlosen Elends, das nun über mich hereingebrochen. »Und darum das armselige Leugnen und Lügen vor Gericht? – Alle gleißnerischen Künste des teuflichen Heuchlers? – Darum, um ein zerrissenes, qualvolles Leben einige Stunden länger zu fristen? Was willst du, Wahnsinniger! Aurelien besitzen, die nur durch ein unerhörtes Verbrechen dein werden konnte? – Denn immerdar, lügst du auch der Welt deine Unschuld vor, würde sie in dir Hermogens versuchten Mörder erkennen und dich tief verabscheuen. Elender, wahnwitziger Tor, wo sind nun deine hochfliegenden Pläne, der Glaube an deine überirdische Macht, womit du das Schicksal selbst nach Willkür zu lenken wähntest; nicht zu töten vermagst du den Wurm, der an deinem Herzmark mit tödlichem Bissen nagt, schmachvoll verderben wirst du in trostlosem Jammer, wenn der Arm der Gerechtigkeit auch deiner schont.« So, laut klagend, warf ich mich auf das Stroh und fühlte in dem Augenblick einen Druck auf der Brust, der von einem harten Körper in der Busentasche meiner Weste herzurühren schien. Ich faßte hinein und zog ein kleines Messer hervor. Nie hatte ich, solange ich im Kerker war, ein Messer bei mir getragen, es mußte daher dasselbe sein, das mir mein gespenstisches Ebenbild heraufgereicht hatte. Mühsam stand ich auf und hielt das Messer in den stärker hereinbrechenden Lichtstrahl. Ich erblickte das silbern blinkende Heft. Unerforschliches Verhängnis! Es war dasselbe Messer, womit ich Hermogen getötet und das ich seit einigen Wochen vermißt hatte. Aber nun ging plötzlich in einem Innern, wunderbar leuchtend, Trost und Rettung von der Schmach auf. Die unbegreifliche Art, wie ich das Messer erhalten, war mir ein Fingerzeig der ewigen Macht, wie ich meine Verbrechen büßen, wie ich im Tode Aurelien versöhnen solle. Wie ein göttlicher Strahl im reinen Feuer, durchglühte mich nun die Liebe zu Aurelien, jede sündliche Begierde war von mir gewichen. Es war mir, als sähe ich sie selbst, wie damals, als sie am Beichtstuhl in der Kirche des Kapuzinerklosters erschien. »Wohl liebe ich dich, Medardus, aber du verstandest mich nicht! ... Meine Liebe ist der Tod!« – so umflüsterte mich Aureliens Stimme, und fest stand mein Entschluß, dem Richter frei die Geschichte meiner Verirrungen zu gestehen und dann mir den Tod zu geben.
Der Kerkermeister trat herein und brachte mir bessere Speisen, als ich sonst zu erhalten pflegte, sowie eine Flasche Wein. – »Vom Fürsten so befohlen«, sprach er, indem er den Tisch, den ihm sein Knecht nachtrug, deckte und die Kette, die mich an die Wand fesselte, losschloß. Ich bat ihn, dem Richter zu sagen, daß ich vernommen zu werden wünsche, weil ich vieles zu eröffnen hätte. was mir schwer auf dem Herzen liege. Er versprach, meinen Auftrag auszurichten, indessen wartete ich vergebens, daß man mich zum Verhör abholen solle; niemand ließ sich mehr sehen, bis der Knecht, als es schon ganz finster geworden, hereintrat und die am Gewölbe hängende Lampe anzündete. In meinem Innern war ich ruhiger als jemals, doch fühlte ich mich sehr erschöpft und versank bald in tiefen Schlaf. Da wurde ich in einen langen, düstern, gewölbten Saal geführt, in dem ich eine Reihe in schwarzen Talaren gekleideter Geistlicher erblickte, die der Wand entlang auf hohen Stühlen saßen. Vor ihnen, an einem mit blutroter Decke behangenen Tisch saß der Richter und neben ihm ein Dominikaner im Ordenshabit. »Du bist jetzt«, sprach der Richter mit feierlich erhabener Stimme, »dem geistlichen Gericht übergeben, da du, verstockter, freveliger Mönch, vergebens deinen Stand und Namen verleugnet hast. Franziskus, mit dem Klosternamen Medardus genannt, sprich, welcher Verbrechen bist du beziehen worden?« – Ich wollte alles, was ich je Sündhaftes und Freveliges begangen, offen eingestehen, aber zu meinem Entsetzen war das, was ich sprach. durchaus nicht das, was ich dachte, und sagen wollte. Statt des ernsten reuigen Bekenntnisses verlor ich mich in ungereimte, unzusammenhängende Reden. Da sagte der Dominikaner, riesengroß vor mir dastehend und mit gräßlich funkelndem Blick mich durchbohrend: »Auf die Folter mit dir, du halsstarriger, verstockter Mönch!« Die seltsamen Gestalten rings umher erhoben sich und streckten ihre langen Arme nach mir aus und riefen in heiserem, grausigem Einklang: »Auf die Folter mit ihm!« Ich riß das Messer heraus und stieß nach meinem Herzen, aber der Arm fuhr unwillkürlich herauf; ich traf den Hals, und am Zeichen des Kreuzes sprang die Klinge wie in Glasscherben, ohne mich zu verwunden. Da ergriffen mich die Henkersknechte und stießen mich hinab in ein tiefes unterirdisches Gewölbe. Der Dominikaner und der Richter stiegen mir nach. Noch einmal forderte mich dieser auf, zu gestehen. Nochmals strengte ich mich an, aber in tollem Zwiespalt standen Rede und Gedanke. – Reuevoll, zerknirscht von tiefer Schmach, bekannte ich im Innern alles – abgeschmackt, verwirrt, sinnlos war, was der Mund ausstieß. Auf den Wink des Dominikaners zogen mich die Henkersknechte nackt aus, schnürten mir beide Arme über den Rücken zusammen, und hinaufgewunden fühlte ich, wie die ausgedehnten Gelenke knackend zerbröckeln wollten. In heillosem, wütendem Schmerz schrie ich laut auf und erwachte. Der Schmerz an den Händen und Füßen dauerte fort, er rührte von den schweren Ketten her, die ich trug, doch empfand ich noch außerdem einen Druck über den Augen, die ich nicht aufzuschlagen vermochte. Endlich war es, als würde plötzlich eine Last mir von der Stirn genommen, ich richtete mich schnell empor, ein Dominikanermönch stand vor meinem Strohlager. Mein Traum trat in das Leben, eiskalt rieselte es mir durch die Adern. Unbeweglich wie eine Bildsäule, mit übereinandergeschlagenen Armen stand der Mönch da und starrte mich an mit den hohlen. schwarzen Augen. Ich erkannte den gräßlichen Maler und fiel halb ohnmächtig auf mein Strohlager zurück. – Vielleicht war es nur eine Täuschung der durch den Traum aufgeregten Sinne? Ich ermannte mich, ich richtete mich auf, aber unbeweglich stand der Mönch und starrte mich an mit den hohlen, schwarzen Augen. Da schrie ich in wahnsinniger Verzweiflung: »Entsetzlicher Mensch ... hebe dich weg! ... Nein! ... Kein Mensch, du bist der Widersacher selbst, der mich stürzen will in ewige Verderbnis ... hebe dich weg, Verruchter! hebe dich weg!« – »Armer, kurzsichtiger Tor, ich bin nicht der, der dich ganz unauflöslich zu umstricken strebt mit ehernen Banden! – der dich abwendig machen will dem heiligen Werk, zu dem dich die ewige Macht berief. – Medardus! – Armer, kurzsichtiger Tor! Schreckbar, grauenvoll bin ich dir erschienen, wenn du über dem offenen Grabe ewiger Verdammnis leichtsinnig gaukeltest. Ich warnte dich, aber du hast mich nicht verstanden! Auf! nähere dich mir!« Der Mönch sprach alles dieses im dumpfen Ton der tiefen, herzzerschneidendsten Klage; sein Blick, mir sonst so fürchterlich, war sanft und milde geworden, weicher die Form seines Gesichts. Eine unbeschreibliche Wehmut durchbebte mein Innerstes; wie ein Gesandter der ewigen Macht, mich aufzurichten, mich zu trösten im endlosen Elend, erschien mir der sonst so schreckliche Maler. – Ich stand auf vom Lager, ich trat ihm nahe, es war kein Phantom, ich berührte sein Kleid; ich kniete unwillkürlich nieder, er legte die Hand auf mein Haupt, wie mich segnend. Da gingen in lichten Farben herrliche Gebilde in mir auf. – Ach, ich war in dem heiligen Walde! – Ja, es war derselbe Platz, wo in früher Kindheit der fremdartig gekleidete Pilger mir den wunderbaren Knaben brachte. Ich wollte fortschreiten, ich wollte hinein in die Kirche, die ich dicht vor mir erblickte. Dort sollte ich (so war es mir) büßend und bereuend Ablaß erhalten von schwerer Sünde. Aber ich blieb regungslos mein eigenes Ich konnte ich nicht erschauen, nicht erfassen. Da sprach eine dumpfe, hohle Stimme: »Der Gedanke ist die Tat!« Die Träume vorschwebten; es war der Maler, der jene Worte gesprochen. »Unbegreifliches Wesen, warst du es denn selbst an jenem unglücklichen Morgen in der Kapuzinerkirche zu B., in der Reichsstadt, und nun?« – »Halt ein«, unterbrach mich der Maler, »ich war es, der überall dir nahe war, um dich zu retten von Verderben und Schmach, aber dein Sinn blieb verschlossen! Das Werk, zu dem du erkoren, mußt du vollbringen zu deinem eignen Heil.« – »Ach«, rief ich voll Verzweiflung, »warum hieltest du nicht meinen Arm zurück, als ich in versuchtem Frevel jenen Jüngling ... « »Das war mir nicht vergönnt«, fiel der Maler ein, »frage nicht weiter! Vermessen ist es, vorgreifen zu wollen dem, was die ewige Macht beschlossen ... Medardus! Du gehst deinem Ziel entgegen ... morgen!« – Ich erbebte in eiskaltem Schauer, denn ich glaubte den Maler ganz zu verstehen. Er wußte und billigte den beschlossenen Selbstmord. Der Maler wankte mit leisem Tritt nach der Tür des Kerkers. »Wann, wann sehe ich dich wieder?« – »Am Ziele!« – rief er, sich noch einmal nach mir umwendend, feierlich und stark, daß das Gewölbe dröhnte – »Also morgen?« – Leise drehte sich die Tür in den Angeln, der Maler war verschwunden. –
Sowie der helle Tag nur angebrochen, erschien der Kerkermeister mit seinen Knechten, die mir die Fesseln von den wunden Armen und Füßen ablösten. Ich solle bald zum Verhör hinaufgeführt werden, hieß es. Tief in mich gekehrt, mit dem Gedanken des nahen Todes vertraut, schritt ich hinauf in den Gerichtssaal; mein Bekenntnis hatte ich im Innern so geordnet, daß ich dem Richter eine kurze, aber den kleinsten Umstand mit aufgreifende Erzählung zu machen hoffte. Der Richter kam mir schnell entgegen, ich mußte höchst entstellt aussehen, denn bei meinem Anblick verzog sich schnell das freudige Lächeln, das erst auf seinem Gesicht schwebte, zur Miene des tiefsten Mitleids. Er faßte meine beiden Hände und schob mich sanft in seinen Lehnstuhl. Dann mich starr anschauend, sagte er langsam und feierlich: »Herr von Krczynski! Ich habe Ihnen Frohes zu verkünden! Sie sind frei! Die Untersuchung ist auf Befehl des Fürsten niedergeschlagen worden. Man hat Sie mit einer andern Person verwechselt, woran Ihre ganz unglaubliche Ähnlichkeit mit dieser Person schuld ist. Klar, ganz klar ist Ihre Schuldlosigkeit dargetan! ... Sie sind frei!« – Es schwirrte und sauste und drehte sich alles um mich her. – Des Richters Gestalt blinkte, hundertfach vielfältig, durch den düstern Nebel, alles schwand in dicker Finsternis. – Ich fühlte endlich, daß man mir die Stirne mit starkem Wasser rieb, und erholte mich aus dem ohnmachtähnlichen Zustand, in den ich versunken. Der Richter las mir ein kurzes Protokoll vor, welches sagte, daß er mir die Niederschlagung des Prozesses bekanntgemacht und meine Entlassung aus dem Kerker bewirkt habe. Ich unterschrieb schweigend, keines Wortes war ich mächtig. Ein unbeschreibliches, mich im Innersten vernichtendes Gefühl ließ keine Freude aufkommen. Sowie mich der Richter mit recht in das Herz dringender Gutmütigkeit anblickte, war es mir, als müsse ich nun, da man an meine Unschuld glaubte und mich freilassen wollte, allen versuchten Frevel, den ich begangen, frei gestehen und dann mir das Messer in das Herz stoßen. – Ich wollte reden – der Richter schien meine Entfernung zu wünschen. Ich ging nach der Türe, da kam er mir nach und sagte leise: »Nun habe ich aufgehört Richter zu sein; von dem ersten Augenblick, als ich Sie sah, interessierten Sie mich auf das höchste. So sehr wie (Sie werden dies selbst zugeben müssen) der Schein wider Sie war, so wünschte ich doch gleich, daß Sie in der Tat nicht der abscheuliche, verbrecherische Mönch sein möchten, für den man Sie hielt. jetzt darf ich Ihnen zutraulich sagen ... Sie sind kein Pole. Sie sind nicht in Kwiecziczewo geboren. Sie heißen nicht Leonard von Krczynski.« – Mit Ruhe und Festigkeit antwortete ich: »Nein!« »Und auch kein Geistlicher?« frug der Richter weiter, indem er die Augen niederschlug, wahrscheinlich um mir den Blick des Inquisitors zu ersparen. Es wallte auf in meinem Innern. – »So hören Sie denn«, fuhr ich heraus – »Still«, unterbrach mich der Richter, »was ich gleich anfangs geglaubt und noch glaube, bestätigt sich. Ich sehe, daß hier rätselhafte Umstände walten, und daß Sie selbst mit gewissen Personen des Hofes in ein geheimnisvolles Spiel des Schicksals verflochten sind. Es ist nicht mehr meines Berufs, tiefer einzudringen, und ich würde es für unziemlichen Vorwitz halten, Ihnen irgend etwas über Ihre Person, über Ihre wahrscheinlich ganz eigenen Lebensverhältnisse entlocken zu wollen! – Doch, wie wäre es, wenn Sie, sich losreißend von allem Ihrer Ruhe Bedrohlichem, den Ort verließen. Nach dem, was geschehen, kann Ihnen ohnedies der Aufenthalt hier nicht wohltun.« – Sowie der Richter dieses sprach, war es, als flöhen alle finstren Schatten, die sich drückend über mich gelegt hatten, schnell von hinnen. Das Leben war wiedergewonnen, und die Lebenslust stieg durch Nerv und Adern glühend in mir auf. Aurelie! sie dachte ich wieder, und ich sollte jetzt fort von dem Ort, fort von ihr? – Tief seufzte ich auf: »Und sie verlassen?« – Der Richter blickte mich im höchsten Erstaunen an und sagte dann schnell »Ach! Jetzt glaube ich klar zu sehen! Der Himmel gebe, Herr Leonard, daß eine sehr schlimme Ahnung, die mir eben jetzt recht deutlich wird, nicht in Erfüllung gehen möge.« Alles hatte sich in meinem Innern anders gestaltet. Hin war alle Reue, und wohl mochte es beinahe frevelnde Frechheit sein, daß ich den Richter mit erheuchelter Ruhe fragte: »Und Sie halten mich doch für schuldig?« – »Erlauben Sie, mein Herr«, erwiderte der Richter sehr ernst, »daß ich meine Überzeugungen, die doch nur auf ein reges Gefühl gestützt scheinen, für mich behalte. Es ist ausgemittelt nach bester Form und Weise, daß Sie nicht der Mönch Medardus sein können, da eben dieser Medardus sich hier befindet. und von dem Pater Cyrill, der sich durch Ihre ganz genaue Ähnlichkeit täuschen ließ, anerkannt wurde, ja auch selbst gar nicht leugnet, daß er jener Kapuziner sei. Damit ist nun alles geschehen, was geschehen konnte, um Sie von jedem Verdacht zu reinigen, und um so mehr muß ich glauben, daß Sie sich frei von jeder Schuld fühlen.«-
Ein Gerichtsdienen rief in diesem Augenblick den Richter ab, und so wurde ein Gespräch unterbrochen, als es eben begann mich zu peinigen.
Ich begab mich nach meiner Wohnung und fand alles so wieder, wie ich es verlassen. Meine Papiere hatte man in Beschlag genommen, in ein Paket gesiegelt lagen sie auf meinem Schreibtisch, nur Viktorins Brieftasche, Euphemiens Ring und den Kapuzinerstrick vermißte ich, meine Vermutungen im Gefängnis waren daher richtig. Nicht lange dauerte es, so erschien ein fürstlicher Diener, der mit einem Handbillett des Fürsten mir eine goldene, mit kostbaren Steinen besetzte Dose überreichte. »Es ist Ihnen übel mitgespielt worden, Herr von Krczynski«, schrieb der Fürst, »aber weder ich noch meine Gerichte sind schuld daran. Sie sind einem sehr bösen Menschen auf ganz unglaubliche Weise ähnlich; alles ist aber nun zu Ihrem Besten aufgeklärt; ich sende Ihnen ein Zeichen meines Wohlwollens und hoffe, Sie bald zu sehen.« – Des Fürsten Gnade war mir ebenso gleichgültig wie sein Geschenk; eine düstre Traurigkeit, die geisttötend mein Inneres durchschlich, war die Folge des strengen Gefängnisses; ich fühlte, daß mir körperlich aufgeholten werden müsse, und lieb war es mir daher, als der Leibarzt erschien. Das Ärztliche war bald besprochen. »Ist es nicht«, fing nun der Leibarzt an, »eine besondere Fügung des Schicksals, daß eben in dem Augenblick, als man davon überzeugt zu sein glaubt, daß Sie jener abscheuliche Mönch sind, der in der Familie des Barons von F. so viel Unheil anrichtete, dieser Mönch wirklich erscheint und Sie von jedem Verdacht rettet?«
»Ich muß versichern, daß ich von den näheren Umständen, die meine Befreiung bewirkten, nicht unterrichtet bin; nur im allgemeinen sagte mir der Richter, daß der Kapuziner Medardus, dem man nachspürte und für den man mich hielt, sich hier eingefunden habe.«
»Nicht eingefunden hat er sich, sondern hergebracht ist er worden, festgebunden auf einem Wagen, und seltsamerweise zu derselben Zeit, als Sie hergekommen waren. Eben fällt mir ein, daß, als ich Ihnen einst jene wunderbaren Ereignisse erzählen wollte, die sich vor einiger Zeit an unserm Hofe zutrugen, ich gerade dann unterbrochen wurde, als ich auf den feindlichen Medardus, Franceskos Sohn, und auf seine versuchte Tat im Schlosse des Barons von F. gekommen war. Ich nehme den Faden der Begebenheit da wieder auf, wo er damals abriß. Die Schwester unserer Fürstin, wie Sie wissen, Äbtissin im Zisterzienserkloster zu B., nahm einst freundlich eine arme Frau mit einem Kinde auf, die von der Pilgerfahrt nach der heiligen Linde wiederkehrte.«
»Die Frau war Franceskos Witwe, und der Knabe eben der Medardus.«
»Ganz recht, aber wie kommen Sie dazu, dies zu wissen?«
»Auf die seltsamste Weise sind mir die geheimnisvollen Lebensumstände des Kapuziners Medardus bekannt geworden. Bis zu dem Augenblick, als er aus dem Schloß des Barons von F. entfloh, bin ich von dem, was sich dort zutrug, unterrichtet.«
»Aber wie? ... von wem?« ...
»Ein lebendiger Traum hat mir alles dargestellt.« »Sie scherzen?«
»Keineswegs. Es ist mir wirklich so, als hätte ich träumend die Geschichte eines Unglücklichen gehört, der, ein Spielwerk dunkler Mächte, hin und her geschleudert und von Verbrechen zu Verbrechen getrieben wurde. In dem ... tzer Forst hatte mich auf der Reise hierher der Postillion irre gefahren; ich kam in das Försterhaus, und dort ... «
»Ha! ich verstehe alles, dort trafen Sie den Mönch an ... «
»So ist es, er war aber wahnsinnig.«
»Er scheint es nicht mehr zu sein. Schon damals hatte er lichte Stunden und vertraute Ihnen alles? ... «
»Nicht geradezu. In der Nacht trat er, von meiner Ankunft im Försterhaus nicht unterrichtet, in mein Zimmer. Ich, mit der treuen, beispiellosen Ähnlichkeit, war ihm furchtbar. Er hielt mich für seinen Doppelgänger, dessen Erscheinung ihm den Tod verkündete. – Er stammelte – stotterte Bekenntnisse her – unwillkürlich übermannte mich, von der Reise übermüdet, der Schlaf; es war mir, als spreche der Mönch nun ruhig und gefaßt weiter, und ich weiß in der Tat jetzt nicht, wo und wie der Traum eintrat. Es dünkt mich , daß der Mönch behauptete, nicht er habe Euphemien und Hermogen getötet, sondern beider Mörder sei der Graf Viktorin.« –
»Sonderbar, höchst sonderbar, aber warum verschwiegen Sie das alles dem Richter?«
»Wie konnte ich hoffen, daß der Richter auch nur einiges Gewicht auf eine Erzählung leben werde, die ihm ganz abenteuerlich klingen mußte. Darf denn Oberhaupt ein erleuchtetes Kriminalgericht an das Wunderbare glauben?«
»Wenigstens hätten Sie aber doch gleich ahnen können, daß man Sie mit dem wahnsinnigen Mönch verwechsle, und diesen als den Kapuziner Medardus bezeichnen sollen?«
»Freilich – und zwar nachdem mich ein alter, blöder Greis, ich glaube, er heißt Cyrillus, durchaus für seinen Klosterbruder halten wollte. Es ist mir nicht eingefallen, daß der wahnsinnige Mönch eben der Medardus, und das Verbrechen, das er mir bekannte, Gegenstand des jetzigen Prozesses sein könne. Aber wie mir der Förster sagte, hatte er ihm niemals seinen Namen genannt – wie kam man zur Entdeckung?«
»Auf die einfachste Weise. Der Mönch hatte sich, wie Sie wissen, einige Zeit bei dem Förster aufgehalten; er schien geheilt, aber aufs neue brach der Wahnsinn so verderblich aus, daß der Förster sich genötigt sah, ihn hierher zu schaffen, wo er in das Irrenhaus eingesperrt wurde. Dort saß er Tag und Nacht mit starrem Blick, ohne Regung, wie eine Bildsäule. Er sprach kein Wort und mußte gefuttert werden, da er keine Hand bewegte. Verschiedene Mittel, ihn aus der Starrsucht zu wecken, blieben fruchtlos, zu den stärksten durfte man nicht schreiten, ohne Gefahr, ihn wieder in wilde Raserei zu stürzen. Vor einigen Tagen kommt des Försters ältester Sohn nach der Stadt, er geht in das Irrenhaus, um den Mönch wieder zu sehen. Ganz erfüllt von dem trostlosen Zustande des Unglücklichen, tritt er aus dem Hause, als eben der Pater Cyrillus aus dem Kapuzinerkloster in B. vorüberschreitet. Den redet er an und bittet ihn, den unglücklieben, hier eingesperrten Klosterbruder zu besuchen, da ihm Zuspruch eines Geistlichen seines Ordens vielleicht heilsam sein könne. Als Cyrillus den Mönch erblickt, fährt er entsetzt zurück. >Heilige Mutter Gottes! Medardus, unglückseliger Medardus!< So ruft Cyrillus, und in dem Augenblick beleben sich die starren Augen des Mönchs. Er steht auf und fällt mit einem dumpfen Schrei kraftlos zu Boden. – Cyrillus mit den übrigen, die bei dem Ereignis zugegen waren, geht sofort zum Präsidenten des Kriminalgerichts und zeigt alles an. Der Richter, dem die Untersuchung wider Sie übertragen, begibt sich mit Cyrillus nach dem Irrenhause; man findet den Mönch sehr matt, aber frei von allem Wahnsinn. Er gesteht ein, daß er der Mönch Medardus aus dem Kapuzinerkloster in B. sei. Cyrillus versicherte seinerseits, daß Ihre unglaubliche Ähnlichkeit mit Medardus ihn getäuscht habe. Nun bemerke er wohl, wie Herr Leonard sich in Sprache, Blick, Gang und Stellung sehr merklich von dem Mönch Medardus, den er nun vor sich sehe, unterscheide. Man entdeckte auch das bedeutende Kreuzeszeichen an der linken Seite des Halses, von dem in Ihrem Prozeß so viel Aufhebens gemacht worden ist. Nun wird der Mönch über die Begebenheiten aus dem Schlosse des Barons von F. befragt. – >Ich bin ein abscheulicher, verruchter Verbrecher<, sagt er mit matter, kaum vernehmbarer Stimme, >ich bereue tief, was ich getan. – Ach, ich ließ mich um mein Selbst, um meine unsterbliche Seele betrügen! ... Man habe Mitleiden! ... Man lasse mir Zeit ... alles. . . alles will ich gestehen!< – Der Fürst, unterrichtet, befiehlt, sofort den Prozeß wider Sie aufzuheben und Sie aus d er Haft zu entlassen. Das ist die Geschichte Ihrer Befreiung. – Der Mönch ist nach dem Kriminalgefängnis gebracht worden.«
»Und hat alles gestanden? Hat er Euphemien, Hermogen ermordet? Wie ist es mit dem Grafen Viktorin? ... «
»Soviel ich weiß, fängt der eigentliche Kriminalprozeß wider den Mönch erst heute an. Was aber den Grafen Viktorin betrifft, so scheint es, als wenn nun einmal alles, was nur irgend mit jenen Ereignissen an unserem Hofe in Verbindung steht, dunkel und unbegreiflich bleiben müsse.«
»Wie die Ereignisse auf dem Schlosse des Barons von F. aber mit jener Katastrophe an Ihrem Hofe sich verbinden sollen, sehe ich in der Tat nicht ein.«
»Eigentlich meinte ich auch mehr die spielenden Personen als die Begebenheiten.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Erinnern Sie sich genau meiner Erzählung jener Katastrophe, die dem Prinzen den Tod brachte?«
»Allerdings.«
»Ist es Ihnen dabei nicht völlig klargeworden, daß Francesko verbrecherisch die Italienerin liebte? Daß er es war, der vor dem Prinzen in die Brautkammer schlich und den Prinzen niederstieß? Viktorin ist die Frucht jener freveligen Untat. – Er und Medardus sind Söhne seines Vaters. Spurlos ist Viktorin verschwunden, alles Nachforschen blieb vergebens.«
»Der Mönch schleuderte ihn hinab in den Teufelsgrund. Fluch dem wahnsinnigen Brudermörder!« –
Leise – leise ließ sich in dem Augenblick, als ich heftig diese Worte ausstieß, jenes Klopfen des gespenstischen Unholds aus dem Kerker hören. Vergebens suchte ich das Grausen zu bekämpfen, welches mich ergriff. Der Arzt schien so wenig das Klopfen als meinen innern Kampf zu bemerken. Er fuhr fort: »Was? ... Hat der Mönch Ihnen gestanden, daß auch Viktorin durch seine Hand fiel?«
»Ja! ... Wenigstens schließe ich aus seinen abgebrochenen Äußerungen, halte ich damit Viktorins Verschwinden zusammen, daß sich die Sache wirklich so verhält. Fluch dem wahnsinnigen Brudermörder!« – Stärker klopfte es und stöhnte und ächzte; ein feines Lachen, das durch die Stube pfiff, klang wie Medardus ... Medardus ... hi ... hi ... hi hilf! – Der Arzt, ohne das zu bemerken, fuhr fort:
»Ein besonderes Geheimnis scheint noch auf Franceskos Herkunft zu ruhen. Er ist höchstwahrscheinlich dem fürstlichen Hause verwandt. Soviel ist gewiß, daß Euphemie die Tochter ... «
Mit einem entsetzlichen Schlage, daß die Angeln zusammenkrachten, sprang die Tür auf, ein schneidendes Gelächter gellte herein. »Ho ho ... ho... ho Brüderlein«, schrie ich wahnsinnig auf, »hoho ... hieher... frisch, frisch, wenn du kämpfen willst mit mir ... der Uhu macht Hochzeit; nun wollen wir auf das Dach steigen und ringen miteinander, und wer den andern herabstößt, ist König und darf Blut trinken.« – Der Leibarzt faßte mich in die Arme und rief: »Was ist das? Was ist das? Sie sind krank ... in der Tat, gefährlich krank. Fort, fort, zu Bette.« – Aber ich starrte nach der offnen Türe, ob mein scheußlicher Doppelgänger nicht hereintreten werde, doch ich erschaute nichts und erholte mich bald von dem wilden Entsetzen, das mich gepackt hatte mit eiskalten Krallen. Der Leibarzt bestand darauf, daß ich kränker sei, als ich selbst wohl glauben möge, und schob alles auf den Kerker und die Gemütsbewegung, die mir Oberhaupt der Prozeß verursacht haben müsse. Ich brauchte seine Mittel, aber mehr als seine Kunst trug zu meiner schnellen Genesung bei, daß das Klopfen sich nicht mehr hören ließ, der furchtbare Doppelgänger mich daher ganz verlassen zu haben schien.
Die Frühlingssonne warf eines Tages ihre goldnen Strahlen hell und freundlich in mein Zimmer, süße Blumendüfte strömten durch das Fenster; hinaus ins Freie trieb mich ein unendlich Sehnen, und des Arztes Verbot nicht achtend, lief ich fort in den Park. – Da begrüßten Bäume und Büsche rauschend und flüsternd den von der Todeskrankheit Genesenen. Ich atmete auf, wie aus langem, schwerem Traum erwacht, und tiefe Seufzer waren des Entzückens unaussprechbare Worte. die ich hineinhauchte in das Gejauchze der Vögel, in das fröhliche Summen und Schwirren bunter Insekten.
Ja! – ein schwerer Traum dünkte mir nicht nur die letztvergangene Zeit, sondern mein ganzes Leben, seitdem ich das Kloster verlassen, als ich mich in einem von dunklen Platanen beschatteten Gang befand. – Ich war im Garten der Kapuziner zu B. Aus dem fernen Gebüsch ragte schon das hohe Kreuz hervor, an dem ich sonst oft mit tiefer Inbrunst flehte um Kraft, aller Versuchung zu widerstehen. – Das Kreuz schien mir nun das Ziel zu sein, wo ich hinwallen müsse, um, in den Staub niedergeworfen, zu bereuen und zu büßen den Frevel sündhafter Träume, die mir der Satan vorgegaukelt; und ich schritt fort mit gefalteten, emporgehobenen Händen, den Blick nach dem Kreuz gerichtet. – Stärker und stärker zog der Luftstrom – ich glaubte die Hymnen der Brüder zu vernehmen, aber es waren nur des Waldes wunderbare Klänge, die der Wind, durch die Bäume sausend, geweckt hatte, und der meinen Atem fortriß, so daß ich bald erschöpft stillstehen, ja mich an einem nahen Baum festhalten mußte, um nicht niederzusinken. Doch hin zog es mich mit unwiderstehlicher Gewalt nach dem fernen Kreuz; ich nahm alle meine Kraft zusammen und wankte weiter fort, aber nur bis an den Moossitz dicht vor dem Gebüsch konnte ich gelangen; alle Glieder lähmte plötzlich tödliche Ermattung; wie ein schwacher Greis ließ ich langsam mich nieder, und in dumpfem Stöhnen suchte ich die gepreßte Brust zu erleichtern. – Es rauschte im Gang dicht neben mir ... Aurelie! Sowie der Gedanke mich durchblitzte, stand sie vor mir! – Tränen inbrünstiger Wehmut quollen aus den Himmelsaugen, aber durch die Tränen funkelte ein zündender Strahl; es war der unbeschreibliche Ausdruck der glühendsten Sehnsucht, der Aurelien fremd schien. Aber so flammte der Liebesblick jenes geheimnisvollen Wesens am Beichtstuhl, das ich oft in süßen Träumen sah. »Können Sie mir jemals verzeihen!« lispelte Aurelie. Da stürzte ich. wahnsinnig vor namenlosem Entzücken, vor ihr hin, ich ergriff ihre Hände! – »Aurelie ... Aurelie ... für dich Marter! ... Tod!« Ich fühlte mich sanft emporgehoben – Aurelie sank an meine Brust, ich schwelgte in glühenden Küssen. Aufgeschreckt durch ein nahes Geräusch, wand sie sich endlich los aus meinen Armen, ich durfte sie nicht zurückhalten. »Erfüllt ist all mein Sehnen und Hoffen«, sprach sie leise, und in dem Augenblick sah ich die Fürstin den Gang heraufkommen. Ich trat hinein in das Gebüsch und wurde nun gewahr, daß ich wunderlicherweise einen dürren, grauen Stamm für ein Kruzifix gehalten.
Ich fühlte keine Ermattung mehr, Aureliens Küsse durchglühten mich mit neuer Lebenskraft; es war mir, als sei jetzt hell und herrlich das Geheimnis meines Seins aufgegangen. Ach, es war das wunderbarste Geheimnis der Liebe, das sich nun erst in rein strahlender Glorie mir erschlossen. Ich stand auf dem höchsten Punkt des Lebens; abwärts mußte es sich wenden, damit ein Geschick erfüllt werde, das die höhere Macht beschlossen. Diese Zeit war es, die mich wie ein Traum aus dem Himmel umfing, als ich das aufzuzeichnen begann, was sich nach Aureliens Wiedersehen mit mir begab. Dich Fremden, Unbekannten, der du einst diese Blätter lesen wirst, bat ich, du solltest jene höchste Sonnenzeit deines eigenen Lebens zurückrufen, dann würdest du den trostlosen Jammer des in Reue und Buße ergrauten Mönchs verstehen und einstimmen in seine Klagen. Noch einmal bitte ich dich jetzt, laß jene Zeit im Innern dir aufgehen, und nicht darf ich dann dir's sagen, wie Aureliens Liebe mich und alles um mich her verklärte, wie reger und lebendiger mein Geist das Leben erschaute und ergriff, wie mich, den göttlich Begeisterten, die Freudigkeit des Himmels erfüllte. Kein finstrer Gedanke ging durch meine Seele, Aureliens Liebe hatte mich entsündigt, ja, auf wunderbare Weise keimte in mir die feste Überzeugung auf, daß nicht ich jener ruchlose Frevler auf dem Schlosse des Barons von F. war, der Euphemien – Hermogen erschlug, sondern daß der wahnsinnige Mönch, den ich im Försterhause traf, die Tat begangen. Alles, was ich dem Leibarzt gestand, schien mir nicht Lüge, sondern der wahre geheimnisvolle Hergang der Sache zu sein, der mir selbst unbegreiflich blieb. – Der Fürst hatte mich empfangen wie einen Freund, den man verloren glaubt und wiederfindet; dies gab natürlicherweise den Ton an, in den alle einstimmen mußten, nur die Fürstin, war sie auch milder als sonst. blieb ernst und zurückhaltend.
Aurelie gab sich mir mit kindlicher Unbefangenheit ganz hin, ihre Liebe war ihr keine Schuld, die sie der Welt verbergen mußte, und ebensowenig vermochte ich auch nur im mindesten das Gefühl zu verhehlen, in dem allein ich nur lebte. Jeder bemerkte mein Verhältnis mit Aurelien, niemand sprach darüber, weil man in des Fürsten Blick las, daß er unsre Liebe wo nicht begünstigen, doch stillschweigend dulden wolle. So kam es, daß ich zwanglos Aurelien öfter, manchmal auch wohl ohne Zeugen sah. – Ich schloß sie in meine Arme, sie erwiderte meine Küsse, aber es fühlend, wie sie erbebte in jungfräulicher Scheu, konnte ich nicht Raum geben der sündlichen Begierde; jeder frevelige Gedanke erstarb in dem Schauer, der durch mein Innres glitt. Sie schien keine Gefahr zu ahnen, wirklich gab es für sie keine, denn oft, wenn sie im einsamen Zimmer neben mir saß, wenn mächtiger als je ihr Himmelsreiz strahlte, wenn wilder die Liebesglut in mir aufflammen wollte, blickte sie mich an, so unbeschreiblich milde und keusch, daß es mir war, als vergönne es der Himmel dem büßenden Sünder, schon hier auf Erden der Heiligen zu nahen. Ja, nicht Aurelie, die heilige Rosalia selbst war es, und ich stürzte zu ihren Füßen und rief laut: »0 du, fromme, hohe Heilige, darf sich denn irdische Liebe zu dir im Herzen regen?« – Dann reichte sie mir die Hand und sprach mit süßer, milder Stimme: »Ach, keine hohe Heilige bin ich, aber wohl recht fromm und liebe dich gar sehr!«
Ich hatte Aurelien mehrere Tage nicht gesehen, sie war mit der Fürstin auf ein nahe gelegenes Lustschloß gegangen. Ich ertrug es nicht länger, ich rannte hin. – Am späten Abend angekommen. traf ich im Garten auf eine Kammerfrau, die mir Aureliens Zimmer nachwies. Leise, leise öffnete ich die Tür – ich trat hinein – eine schwüle Luft, ein wunderbarer Blumengeruch wallte mir sinnbetäubend entgegen. Erinnerungen stiegen in mir auf wie dunkle Träumen! Ist das nicht Aureliens Zimmer, auf dem Schlosse des Barons, wo ich ... Sowie ich dies dachte, war es, als erhöhe sich hinter mir eine finstre Gestalt, und »Hermogen!« rief es in meinem Innern! Entsetzt rannte ich vorwärts, nur angelehnt war die Türe des Kabinetts. Aurelie kniete, den Rücken mir zugekehrt, vor einem Taburett, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag. Voll scheuer Angst blickte ich unwillkürlich zurück – ich schaute nichts, da rief ich im höchsten Entzücken: »Aurelie, Aurelie!« – Sie wandte sich schnell um, aber noch ehe sie aufgestanden, lag ich neben ihr und hatte sie fest umschlungen. »Leonard! mein Gelieber!« – lispelte sie leise. Da kochte und gärte in meinem Innern rasende Begier, wildes, sündiges Verlangen. Sie hing kraftlos in meinen Armen; die genestelten Haare waren aufgegangen und fielen in üppigen Locken über meine Schultern, der jugendliche Busen quoll hervor – sie ächzte dumpf – ich kannte mich selbst nicht mehr! – Ich riß sie empor, sie schien erkräftigt, eine fremde Glut brannte in ihren Augen, feuriger erwiderte sie meine wütenden Küsse. Da rauschte es hinter uns wie starker, mächtiger Flügelschlag; ein schneidender Ton, wie das Angstgeschrei des zum Tode Getroffenen, gellte durch das Zimmer. – »Hermogen!« schrie Aurelie und sank ohnmächtig hin ausmeinen Armen. Von wildem Entsetzen erfaßt, rannte ich fort! Im Flur trat mir die Fürstin, von einem Spaziergang heimkehrend, entgegen. Sie blickte mich ernst und stolz an, indem sie sprach: »Es ist mir in der Tat sehr befremdlich, Sie hier zu sehen, Herr Leonard!« – Meine Verstörtheit im Augenblick bemeisternd, antwortete ich in beinahe bestimmterem Ton, als es ziemlich sein mochte, daß man oft gegen große Anregungen vergebens ankämpfe, und daß oft das unschicklich Scheinende für das Schicklichste gelten könne! – Als ich durch die finstre Nacht der Residenz zueilte, war es mir, als liefe jemand neben mir her, und als flüstere eine Stimme: »l ... Imm ... Immer bin ich bei di ... dir ... Brü ... Brüderlein Medardus!« –Blicke ich um mich her, so merkte ich wohl, daß das Phantom des Doppelgängers nur in meiner Fantasie spuke; aber nicht los konnte ich das entsetzliche Bild werden, ja es war mir endlich, als müsse ich mit ihm sprechen und ihm erzählen, daß ich wieder albern gewesen sei und mich habe schrecken lassen von dem tollen Hermogen; die heilige Rosalia sollte denn nun bald mein – ganz mein sein, denn dafür wäre ich Mönch und habe die Weihe erhalten. Da lachte und stöhnte mein Doppelgänger, wie er sonst getan und stotterte: »Aber schn ... schnell ... schnell!« – »Gedulde dich nur«, sprach ich wieder, »gedulde dich nur, mein Junge! Alles wird gut werden. Den Hermogen habe ich nur nicht gut getroffen, er hat solch ein verdammtes Kreuz am Halse wie wir beide, aber mein flinkes Messerchen ist noch scharf und spitzig.« – »Hi ... hi hi ... tri ... triff gut ... triff gut!« – So verflüsterte des Doppelgängers Stimme im Sausen des Morgenwindes, der von dem Feuerpurpur herstrich, welcher aufbrannte im Osten.
Eben war ich in meiner Wohnung angekommen, als ich zum Fürsten beschieden wurde. Der Fürst kam mir sehr freundlich entgegen. »In der Tat, Herr Leonard!« fing er an. »Sie haben sich meine Zuneigung im hohen Grade erworben: nicht verhehlen kann ich's Ihnen, daß mein Wohlwollen für Sie wahre Freundschaft geworden ist. Ich möchte Sie nicht verlieren, ich möchte Sie glücklich sehen. Überdem ist man Ihnen für das, was Sie gelitten haben, alle nur mögliche Entschädigung zu gewähren schuldig. Wissen Sie wohl, Herr Leonard, wer Ihren bösen Prozeß einzig und allein veranlaßte? Wer Sie anklagte?«
»Nein, gnädigster Herr!«
»Baronesse Aurelie! ... Sie erstaunen? Ja, ja, Baronesse Aurelie, mein Herr Leonard, die hat Sie (er lachte laut auf), die hat Sie für einen Kapuziner gehalten! – Nun bei Gott! Sind Sie ein Kapuziner, so sind Sie der liebenswürdigste, den je ein menschliches Auge sah! – Sagen Sie, Herr Leonard, sind Sie wirklich so ein Stück von Klostergeistlichen?« –
»Gnädigster Herr, ich weiß nicht, welch ein böses Verhängnis mich immer zu dem Mönch machen will, der ... «
»Nun, nun – ich bin kein Inquisitor – fatal wär's doch, wenn ein geistliches Gelübde Sie bände. – Zur Sache! – Möchten Sie nicht für das Unheil, das Baronesse Aurelie Ihnen zufügte, Rache nehmen?« –
»In welches Menschen Brust könnte ein Gedanke der Art gegen das holde Himmelsbild aufkommen?«
»Sie lieben Aurelien?«
Dies frug der Fürst, mir ernst und scharf ins Augen blickend. Ich schwieg, indem ich die Hand auf die Brust legte. Der Fürst fuhr weiter fort:
»Ich weiß es, Sie haben Aurelien geliebt seit dem Augenblick, als sie mit der Fürstin hier zum erstenmal in den Saal trat. – Sie werden wieder geliebt, und zwar mit einem Feuer, das ich der sanften Aurelie nicht zugetraut hätte. Sie lebt nur in Ihnen, die Fürstin hat mir alles gesagt. Glauben Sie wohl, daß nach Ihrer Verhaftung Aurelie sich einer ganz trostlosen, verzweifelten Stimmung überließ, die sie auf das Krankenbett warf und dem Tode nahe brachte? Aurelie hielt Sie damals für den Mörder ihres Bruders, um so unerklärlicher war uns ihr Schmerz. Schon damals wurden Sie geliebt. Nun, Herr Leonard, oder vielmehr Herr von Krczynski, Sie sind von Adel, ich fixiere Sie bei Hofe auf eine Art, die Ihnen angenehm sein soll. Sie heiraten Aurelien. – In einigen Tagen feiern wir die Verlobung, ich selbst werde die Stelle des Brautvaters vertreten.« – Stumm, von den widersprechendsten Gefühlen zerrissen, stand ich da. – »Adieu, Herr Leonard!« rief der Fürst und verschwand, mir freundlich zuwinkend, aus dem Zimmer.
Aurelie mein Weib! – Das Weib eines verbrecherischen Mönchs! Nein! So wollen es die dunklen Mächte nicht, mag auch über die Arme verhängt sein, was da will! – Dieser Gedanke erhob sich in mir, siegend über alles, was sich dagegen auflehnen mochte. Irgendein Entschluß, das fühlte ich, mußte auf der Stelle gefaßt werden, aber vergebens sann ich auf Mittel, mich schmerzlos von Aurelien zu trennen. Der Gedanke, sie nicht wieder zu sehen, war mir unerträglich, aber daß Sie mein Weib werden sollte, das erfüllte mich mit einem mir selbst unerklärlichen Abscheu. Deutlich ging in mir die Ahnung auf, daß, wenn der verbrecherische Mönch vor dem Altar des Herrn stehen werde, um mit heiligen Gelübden freveliges Spiel zu treiben, jenes fremden Malers Gestalt, aber nicht milde tröstend wie im Gefängnis, sondern Rache und Verderben furchtbar verkündend, wie bei Franceskos Trauung, erscheinen und mich stürzen werde in namenlose Schmach, in zeitliches, ewiges Elend. Aber dann vernahm ich tief im Innern eine dunkle Stimme: »Und doch muß Aurelie dein sein! Schwachsinniger Tor, wie gedenkst du zu ändern das, was über euch verhängt ist?« Und dann rief es wiederum: »Nieder – nieder wirf dich in den Staub! – Verblendeter, du frevelst! Nie kann sie dein werden; es ist die heilige Rosalia selbst, die du zu umfangen gedenkst in irdischer Liebe.« So im Zwiespalt grauser Mächte hin und her getrieben, vermochte ich nicht zu denken, nicht zu ahnen, was ich tun müsse, um dem Verderben zu entrinnen, das mir überall zu drohen schien. Vorüber war jene begeisterte Stimmung, in der mein ganzes Leben, mein verhängnisvoller Aufenthalt auf dem Schlosse des Barons von F. mir nur ein schwerer Traum schien. In düstrer Verzagtheit sah ich in mir nur den gemeinen Lüstling und Verbrecher. Alles, was ich dem Richter, dem Leibarzt gesagt, war nun nichts als alberne, schlecht erfundene Lüge, nicht eine innere Stimme hatte gesprochen, wie ich sonst mich selbst überreden wollte.
Tief in mich gekehrt, nichts außer mit bemerkend und vernehmend, schlich ich über die Straße. Der laute Zuruf des Kutschers, das Gerassel des Wagens weckte mich, schnell sprang ich zur Seite. Der Wagen der Fürstin rollte vorüber, der Leibarzt bückte sich aus dem Schlage und winkte mir freundlich zu; ich folgte ihm nach seiner Wohnung. Er sprang heraus und zog mich mit den Worten: »Eben komme ich von Aurelien, ich habe Ihnen manches zu sagen!« hinauf in sein Zimmer. »Ei, ei«, fing er an, »Sie Heftiger, Unbesonnener! Was haben Sie angefangen! Aurelien sind Sie erschienen plötzlich wie ein Gespenst, und das arme nervenschwache Wesen ist darüber erkrankt!« – Der Arzt bemerkte mein Erbleichen. »Nun, nun«, fuhr er fort, »arg ist es eben nicht, sie geht wieder im Garten umher und kehrt morgen mit der Fürstin nach der Residenz zurück. Von Ihnen, lieber Leonard, sprach Aurelie viel, sie empfindet herzliche Sehnsucht, Sie wieder zu sehen und sich zu entschuldigen. Sie glaubt, Ihnen albern und töricht erschienen zu sein.«
Ich wußte, dachte ich daran, was auf dem Lustschloß vorgegangen, Aureliens Äußerung nicht zu deuten.
Der Arzt schien von dem, was der Fürst mit mir im Sinn hatte. unterrichtet, er gab mir dies nicht undeutlich zu verstehen, und mittels seiner hellen Lebendigkeit, die alles um ihn her ergriff, gelang es ihm bald, mich aus der düstern Stimmung zu reißen, so daß unser Gespräch sich heiter wandte. Er beschrieb noch einmal, wie er Aurelien getroffen, die, dem Kinde gleich, das sich nicht vom schweren Traum erholen kann, mit halb geschlossenen, in Tränen lächelnden Augen auf dem Ruhebette, das Köpfchen in die Hand gestützt, gelegen und ihm ihre krankhaften Visionen geklagt habe. Er wiederholte ihre Worte, die durch leise Seufzer unterbrochene Stimme des schüchternen Mädchens nachahmend, und wußte, indem er manche ihrer Klagen neckisch genug stellte, das unmutige Bild durch einige kecke, ironische Lichtblicke so zu heben, daß es gar heiter und lebendig vor mir aufging. Dazu kam, daß er im Kontrast die gravitätische Fürstin hinstellte, welches mich nicht wenig ergötzte. »Haben Sie wohl gedacht«, fing er endlich an, »haben Sie wohl gedacht, als Sie in die Residenz einzogen, daß Ihnen so viel Wunderliches hier geschehen würde? Erst das tolle Mißverständnis, das Sie in die Hände des Kriminalgerichts brachte, und dann das wahrhaft beneidenswerte Glück, das Ihnen der fürstliche Freund bereitet!«
»Ich muß in der Tat gestehen, daß gleich anfangs der freundliche Empfang des Fürsten mir wohl tat; doch fühle ich, wie sehr ich jetzt in seiner, in aller Achtung bei Hofe gestiegen bin, das habe ich gewiß meinem erlittenen Unrecht zu verdanken.«
»Nicht sowohl dem als einem andern ganz kleinen Umstande, den Sie wohl erraten können.«
»Keineswegs.«
»Zwar nennt man Sie, weil Sie es so wollen, schlechtweg Herr Leonard wie vorher, jeder weiß aber jetzt, daß Sie von Adel sind, da die Nachrichten, die man aus Posen erhalten hat, Ihre Angaben bestätigen.«
»Wie kann das aber auf den Fürsten, auf die Achtung, die ich im Zirkel des Hofes genieße, von Einfluß sein? Als mich der Fürst kennenlernte und mich einlud, im Zirkel des Hofes zu erscheinen, wandte ich ein, daß ich nur von bürgerlicher Abkunft sei, da sagte mir der Fürst, daß die Wissenschaft mich adle und fähig mache, in seiner Umgebung zu erscheinen.«
»Er hält es wirklich so, kokettierend mit aufgeklärtem Sinn für Wissenschaft und Kunst. Sie werden im Zirkel des Hofes manchen bürgerlichen Gelehrten und Künstler bemerkt haben, aber die Feinfühlenden unter diesen, denen Leichtigkeit des innern Seins abgeht, die sich nicht in heitrer Ironie auf den hohen Standpunkt stellen können, der sie über das Ganze erhebt, sieht man nur selten, sie bleiben auch wohl ganz aus. Bei dem besten Willen, sich recht vorurteilsfrei zu zeigen, mischt sich in das Betragen des Adligen gegen den Bürger ein gewisses Etwas, das wie Herablassung, Duldung des eigentlich Unziemlichen aussieht; das leidet kein Mann, der im rechten Stolz wohl fühlt, wie in adliger Gesellschaft oft nur er es ist, der sich herablassen und dulden muß das geistig Gemeine und Abgeschmackte. Sie sind selbst von Adel, Herr Leonard, aber wie ich höre, ganz geistlich und wissenschaftlich erzogen. Daher mag es kommen, daß Sie der erste Adlige sind, an dem ich selbst im Zirkel des Hofes unter Adligen auch jetzt nichts Adliges, im schlimmen Sinn genommen, verspürt habe. Sie könnten glauben, ich spräche da als Bürgerlicher vorgefaßte Meinungen aus, oder mir sei persönlich etwas begegnet, das ein Vorurteil erweckt habe, dem ist aber nicht so. Ich gehöre nun einmal zu einer der Klassen, die ausnahmsweise nicht bloß toleriert, sondern wirklich gehegt und gepflegt werden. Ärzte und Beichtväter sind regierende Herren – Herrscher über Leib und Seele, mithin allemal von gutem Adel. Sollten denn auch nicht Indigestion und ewige Verdammnis den Courfähigsten ein wenig inkommodieren können? Von den Beichtvätern gilt das aber nur bei den katholischen. Die protestantischen Prediger, wenigstens auf dem Lande, sind nur Hausoffizianten, die, nachdem sie der gnädigen Herrschaft das Gewissen gerührt, am untersten Ende des Tisches sich in Demut an Braten und Wein erlaben. Mag es schwer sein, ein eingewurzeltes Vorurteil abzulegen, aber es fehlt auch meistenteils an gutem Willen, da mancher Adliger ahnen mag, daß nur als solcher er eine Stellung im Leben behaupten könne, zu der ihm sonst nichts in der Welt ein Recht gibt. Der Ahnen- und Adelstolz ist in unserer, alles immer mehr vergeistigenden Zeit eine höchst seltsame, beinahe lächerliche Erscheinung. – Vom Rittertum, von Krieg und Waffen ausgehend, bildet sich eine Kaste, die ausschließlich die anderen Stände schützt, und das subordinierte Verhältnis des Beschützten gegen den Schutzherrn erzeugt sich von selbst. Mag der Gelehrte seine Wissenschaft, der Künstler seine Kunst, der Handwerker, der Kaufmann sein Gewerbe rühmen, >siehe<, sagt der Richter, >da kommt ein ungebärdiger Feind, dem ihr, des Krieges Unerfahrne, nicht zu widerstehen vermöget, aber ich Waffengeübter stelle mich mit meinem Schlachtschwert vor euch hin, und was mein Spiel, was meine Freude ist, rettet euer Leben, euer Hab und Gut!< – Doch immer mehr schwindet die rohe Gewalt von der Erde, immer mehr treibt und schafft der Geist, und immer mehr enthüllt sich seine alles überwältigende Kraft. Bald wird man gewahr, daß eine starke Faust, ein Harnisch, ein mächtig geschwungenes Schwert, nicht hinreichen, das zu besiegen, was der Geist will; selbst Krieg und Waffenübung unterwerfen sich dem geistigen Prinzip der Zeit. Jeder wird immer mehr und mehr auf sich selbst gestellt, aus seinem innern geistigen Vermögen muß er das schöpfen, womit er, gibt der Staat ihm auch irgendeinen blendenden äußern Glanz, sich der Welt geltend machen muß. Auf das entgegengesetzte Prinzip stützt sich der aus dem Rittertum hervorgehende Ahnenstolz, der nur in dem Satz seinen Grund findet: >Meine Voreltern waren Helden, also bin ich dito ein Held.< Je höher das hinaufgeht, desto besser; denn kann man das leicht absehen, wo einem Großpapa der Heldensinn gekommen und ihm der Adel verliehen worden, so traut man dem, wie allem Wunderbaren, das zu nahe liegt, nicht recht. Alles bezieht sich wieder auf Heldenmut und körperliche Kraft. Starke, robuste Eltern haben wenigstens in der Regel eben dergleichen Kinder, und ebenso vererbt sich kriegerischer Sinn und Mut. Die Ritterkaste rein zu erhalten, war daher wohl Erfordernis jener alten Ritterzeit, und kein geringes Verdienst für ein altstämmiges Fräulein, einen Junker zu gebären, zu dem die arme bürgerliche Welt flehte: >Bitte, friß uns nicht, sondern schütze uns vor andern Junkern!< Mit dem geistigen Vermögen ist es nicht so. Sehr weise Väter erzielen oft dumme Söhnchen, und es möchte, eben weil die Zeit dem physischen Rittertum das psychische untergeschoben hat, rücksichts des Beweises angeerbten Adels ängstlicher sein, von Liebreiz abzustammen als von Amadis von Gallien oder sonst einem uralten Ritter der Tafelrunde. In der einmal bestimmten Richtung schreitet der Geist der Zeit vorwärts, und die Lage des ahnenstolzen Adels verschlimmert sich merklich; daher denn auch wohl jenes taktlose, aus Anerkennung des Verdienstes und widerlicher Herablassung gemischte Benehmen gegen der Welt und dem Staat hoch geltende Bürgerliche, das Erzeugnis eines dunklen, verzagten Gefühls sein mag, in dem sie ahnen, daß vor den Augen der Weisen der veraltete Tand längst verjährter Zeit abfällt und die lächerliche Blöße sich ihnen frei darstellt. Dank sei es dem Himmel, viele Adlige, Männer und Frauen, erkennen den Geist der Zeit und schwingen sich auf im herrlichen Fluge zu der Lebenshöhe, die ihnen Wissenschaft und Kunst darbieten; diese werden die wahren Geisterbanner jenes Unholds sein.«
Des Leibarztes Gespräch hatte mich in ein fremdes Gebiet geführt. Niemals war es mir eingefallen, über den Adel und über sein Verhältnis zum Bürger zu reflektieren. Wohl mochte der Leibarzt nicht ahnen, daß ich ehedem eben zu der zweiten Klasse gehört hatte, die nach seiner Behauptung der Stolz des Adels nicht trifft. – War ich denn nicht in den vornehmsten adeligen Häusern zu B. der hochgeachtete, hochverehrte Beichtiger? Weiter nachsinnend, erkannte ich, wie ich selbst aufs neue mein Schicksal verschlungen hatte, indem aus dem Namen Kwiecziczewo, den ich jener alten Dame bei Hofe nannte, mein Adel entsprang und so dem Fürsten der Gedanke einkam, mich mit Aurelien zu vermählen. –
Die Fürstin war zurückgekommen. Ich eilte zu Aurelien. Sie empfing mich mit holder, jungfräulicher Verschämtheit; ich schloß sie in meine Arme und glaubte in dem Augenblick daran, daß sie mein Weib werden könne. Aurelie war weicher, hingebender als sonst. Ihr Auge hing voll Tränen, und der Ton, in dem sie sprach, war wehmütige Bitte, so wie wenn im Gemüt des schmollenden Kindes sich der Zorn bricht, in dem es gesündigt. – Ich durfte an meinen Besuch im Lustschloß denken, lebhaft drang ich darauf, alles zu erfahren; ich beschwor Aurelien, mir zu vertrauen, was sie damals so erschrecken konnte. – Sie schwieg, sie schlug die Augen nieder, aber sowie mich selbst der Gedanke meines gräßliches Doppelgängers stärker erfaßte, schrie ich auf: »Aurelie, um aller Heiligen willen, welche schreckliche Gestalt erblicktest du hinter uns!« Sie sah mich voll Verwunderung an, immer starrer und starrer wurde ihr Blick, dann sprang sie plötzlich auf, als wolle sie fliehen, doch blieb sie und schluchzte, beide Hände vor die Augen gedrückt: »Nein, nein, nein, er – ist es ja nicht!« Ich erfaßte sie sanft, erschöpft ließ sie sich nieder. »Wer, wer ist es nicht?« – frug ich heftig, wohl alles ahnend, was in ihrem Innern sich entfalten mochte. – »Ach, mein Freund, mein Geliebter«, sprach sie leise und wehmütig; »würdest du mich nicht für eine schwachsinnige Schwärmerin halten, wenn ich alles ... alles ... dir sagen sollte, was mich immer wieder so verstört im vollen Glück der reinsten Liebe? – Ein grauenvoller Traum geht durch mein Leben, er stellte sich mit seinen entsetzlichen Bildern zwischen uns, als ich dich zum ersten Male sah; wie mit kalten Todesschwingen wehte er mich an, als du so plötzlich eintratst in mein Zimmer auf dem Lustschloß der Fürstin. Wisse, so wie du damals, kniete einst neben mir ein verruchter Mönch und wollte heiliges Gebet mißbrauchen zum gräßlichen Frevel. Er wurde, als er, wie ein wildes Tier listig auf seine Beute lauernd, mich umschlich, der Mörder meines Bruders! Ach und du! ... deine Züge! . . . deine Sprache ... jenes Bild! ... laß mich schweigen, o laß mich schweigen.« Aurelie bog sich zurück; in halb liegender Stellung lehnte sie, den Kopf auf die Hand gestützt, in die Ecke des Sofas, üppiger traten die schwellenden Umrisse des jugendlichen Körpers hervor. Ich stand vor ihr, das lüsterne Auge schwelgte in dem unendlichen Liebreiz, aber mit der Lust kämpfte der teuflische Hohn, der in mir rief: »Du Unglückselige, du dem Satan Erkaufte, bist du ihm denn entflohen, dem Mönch, der dich im Gebet zur Sünde verlockte? Nun bist du seine Braut ... seine Braut!« – In dem Augenblick war jene Liebe zu Aurelien, die ein Himmelsstrahl zu entzünden schien, als, dem Gefängnis, dem Tode entronnen, ich sie im Park wiedersah, aus meinem Innern verschwunden, und der Gedanke, daß ihr Verderben meines Lebens glänzendsten Lichtpunkt sein könne, erfüllte mich ganz und gar. – Man rief Aurelien zur Fürstin. Klar wurde es mir, daß Aureliens Leben gewisse mir noch unbekannte Beziehungen auf mich selbst haben müsse; und doch fand ich keinen Weg, dies zu erfahren, da Aurelie, alles Bittens unerachtet, jene einzelne hingeworfene Äußerung nicht näher deuten wollte. Der Zufall enthüllte mir das, was sie zu verschweigen gedachte. – Eines Tages befand ich mich im Zimmer des Hofbeamten, dem es oblag, alle Privatbriefe des Fürsten und der dem Hofe Angehörigen zur Post zu befördern. Er war eben abwesend, als Aureliens Mädchen mit einem starken Briefe hineintrat und ihn auf den Tisch zu den übrigen, die schon dort befindlich, legte. Ein flüchtiger Blick überzeugte mich, daß die Aufschrift an die Äbtissin, der Fürstin Schwester, von Aureliens Hand war. Die Ahnung, alles noch nicht Erforschte sei darin enthalten, durchflog mich mit Blitzesschnelle; noch ehe der Beamte zurückgekehrt, war ich fort mit dem Briefe Aureliens.
Du Mönch oder im weltlichen Treiben Befangener, der du aus meinem Leben Lehre und Warnung zu schöpfen trachtest, lies die Blätter, die ich hier einschaltete, lies die Geständnisse des frommen, reinen Mädchens, von den bittern Tränen des reuigen, hoffnungslosen Sünders benetzt. Möge das fromme Gemüt dir aufgehen wie leuchtender Trost in der Zeit der Sünde und des Frevels.
Meine teure gute Mutter! Mit welchen Worten soll ich Dir's denn verkünden, daß Dein Kind glücklich ist, daß endlich die grause Gestalt, die, wie ein schrecklich drohendes Gespenst, alle Blüten abstreifend, alle Hoffnungen zerstörend, in mein Leben trat, gebannt wurde durch der Liebe göttlichen Zauber. Aber nun fällt es mir recht schwer aufs Herz, daß, wenn du meines unglücklichen Bruders, meines Vaters, den der Gram tötete, gedachtest und mich aufrichtetest in meinem trostlosen Jammer – daß ich dann dir nicht wie in heiliger Beichte mein Innres ganz aufschloß. Doch ich vermag ja auch nun erst das düstre Geheimnis auszusprechen, das tief in meiner Brust verborgen lag. Es ist, als wenn eine böse unheimliche Macht mir mein höchstes Lebensglück recht trügerisch wie ein grausiges Schreckbild vorgaukelte. Ich sollte wie auf einem wogenden Meer hin und her schwanken und vielleicht rettungslos untergehen. Doch der Himmel half, wie durch ein Wunder, in dem Augenblick, als ich im Begriff stand, unnennbar elend zu werden. – Ich muß zurückgehen in meine frühe Kinderzeit, um alles, alles zu sagen, denn schon damals wurde der Keim in mein Inneres gelegt, der so lange Zeit hindurch verderblich fortwucherte. Erst drei oder vier Jahre war ich alt, als ich einst in der schönsten Frühlingszeit im Garten unseres Schlosses mit Hermogen spielte. Wir pflückten allerlei Blumen, und Hermogen, sonst eben nicht dazu aufgelegt, ließ es sich gefallen, mir Kränze zu flechten, in die ich mich putzte. »Nun wollen wir zur Mutter gehen«, sagte ich, als ich mich über und über mit Blumen behängt hatte; da sprang aber Hermogen hastig auf und rief mit wilder Stimme: »Laß uns nur hier bleiben, klein Ding! Die Mutter ist im blauen Kabinett und spricht mit dem Teufel!« – Ich wußte gar nicht, was er damit sagen wollte, aber dennoch erstarrte ich vor Schreck und fing endlich an, jämmerlich zu weinen. »Dumme Schwester, was heulst du«, rief Hermogen, »Mutter spricht alle Tage mit dem Teufel, er tut ihr nichts!« Ich fürchtete mich vor Hermogen, weil er so finster vor sich hinblickte, so rauh sprach, und schwieg stille. Die Mutter war damals schon sehr kränklich, sie wurde oft von fürchterlichen Krämpfen ergriffen, die in einen todähnlichen Zustand übergingen. Wir, ich und Hermogen, wurden dann fortgebracht. Ich hörte nicht auf zu klagen, aber Hermogen sprach dumpf in sich hinein: »Der Teufel hat's ihr angetan!« So wurde in meinem kindischen Gemüt der Gedanke erweckt, die Mutter habe Gemeinschaft mit einem bösen häßlichen Gespenst, denn anders dachte ich mir nicht den Teufel, da ich mit den Lehren der Kirche noch unbekannt war. Eines Tages hatte man mich allein gelassen, mir wurde ganz unheimlich zumute, und vor Schreck vermochte ich nicht zu fliehen, als ich wahrnahm, daß ich eben in dem blauen Kabinett mich befand, wo nach Hermogens Behauptung die Mutter mit dem Teufel sprechen sollte. Die Tür ging auf, die Mutter trat leichenblaß herein und vor eine leere Wand hin. Sie rief mit dumpfer, klagender Stimme: »Francesko, Francesko!« Da rauschte und regte es sich hinter der Wand, sie schob sich auseinander, und das lebensgroße Bild eines schönen, in einen violetten Mantel wunderbar gekleideten Mannes wurde sichtbar. Die Gestalt, das Gesicht dieses Mannes machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich, ich jauchzte auf vor Freude: die Mutter umblickend, wurde nun erst mich gewahr und rief heftig: »Was willst du hier, Aurelie? – Wer hat dich hieher gebracht?« – Die Mutter. sonst so sanft und gütig, war erzürnter, als ich sie je gesehen. Ich glaubte daran schuld zu sein. »Ach«, stammelte ich unter Tränen, »sie haben mich hier allein gelassen, ich wollte ja nicht hier bleiben.« Aber als ich wahrnahm, daß das Bild verschwunden, da rief ich: »Ach das schöne Bild! Wo ist das schöne Bild!« – Die Mutter hob mich in die Höhe, küßte und herzte mich und sprach: »Du bist mein gutes, liebes Kind, aber das Bild darf niemand sehen, auch ist es nun auf immer fort!« Niemandem vertraute ich, was mir widerfahren, nur zu Hermogen sprach ist einmal: »Höre, die Mutter spricht nicht mit dem Teufel, sondern mit einem schönen Mann, aber der ist nur ein Bild und springt aus der Wand, wenn Mutter ihn ruft.« Da sah Hermogen starr vor sich hin und murmelte: »Der Teufel kann aussehen, wie er will, sagt der Herr Pater, aber der Mutter tut er doch nichts.« – Mich überfiel ein Grauen, und ich bat Hermogen flehentlich, doch ja nicht wieder von dem Teufel zu sprechen. Wir gingen nach der Hauptstadt, das Bild verlor sich aus meinem Gedächtnis und wurde selbst dann nicht wieder lebendig, als wir nach dem Tode der guten Mutter auf das Land zurückgekehrt waren. Der Flügel des Schlosses, in welchem jenes blaue Kabinett gelegen, blieb unbewohnt; es waren die Zimmer meiner Mutter, die der Vater nicht betreten konnte, ohne die schmerzlichsten Erinnerungen in sich aufzuregen. Eine Reparatur des Gebäudes machte es endlich nötig, die Zimmer zu öffnen; ich trat in das blaue Kabinett, als die Arbeiter eben beschäftigt waren, den Fußboden aufzureißen. Sowie einer von ihnen eine Tafel in der Mitte des Zimmers emporhob, rauschte es hinter der Wand, sie schob sich auseinander, und das lebensgroße Bild des Unbekannten wurde sichtbar. Man entdeckte die Feder im Fußboden, welche, angedrückt, eine Maschine hinter der Wand in Bewegung setzte, die ein Feld des Tafelswerks, womit die Wand bekleidet, auseinanderschob. Nun gedachte ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinderjahre, meine Mutter stand wieder vor mir, ich vergoß heiße Tränen, aber nicht wegwenden konnte ich den Blick von dem fremden herrlichen Mann. der mich mit lebendig strahlenden Augen anschaute. Man hatte wahrscheinlich meinem Vater gleich gemeldet, was sich zugetragen, er trat herein, als ich noch vor dem Bilde stand. Nur einen Blick hatte er darauf geworfen, als er, von Entsetzen ergriffen, stehenblieb und dumpf in sich hineinmurmelte: »Francesko, Francesko!« Darauf wandte er sich rasch zu den Arbeitern und befahl mit starker Stimme: »Man breche sogleich das Bild aus der Wand, rolle es auf und übergebe es Reinhold.« Es war mir, als solle ich den schönen herrlichen Mann, der in seinem wunderbaren Gewande mir wie ein hoher Geisterfürst vorkam, niemals wiedersehen, und doch hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück, den Vater zu bitten, das Bild ja nicht vernichten zu lassen. In wenigen Tagen verschwand jedoch der Eindruck, den der Auftritt mit dem Bilde auf mich gemacht hatte, spurlos aus meinem Innern. – Ich war schon vierzehn Jahre alt geworden und noch ein wildes, unbesonnenes Ding, so daß ich sonderbar genug gegen den ernsten, feierlichen Hermogen abstach und der Vater oft sagte, daß, wenn Hermogen mehr ein stilles Mädchen schiene, ich ein recht ausgelassener Knabe sei. Das sollte sich bald ändern. Hermogen fing an, mit Leidenschaft und Kraft ritterliche Übungen zu treiben. Er lebte nur in Kampf und Schlacht, seine ganze Seele war davon erfüllt, und da es eben Krieg geben sollte, lag er dem Vater an, ihn nur gleich Dienste nehmen zu lassen. Mich überfiel dagegen eben zu der Zeit eine solch unerklärliche Stimmung, die ich nicht zu deuten wußte und die bald mein ganzes Wesen verstörte. Ein seltsames Übelbefinden schien aus der Seele zu kommen und alle Lebenspulse gewaltsam zu ergreifen. Ich war oft der Ohnmacht nahe, dann kamen allerlei wunderliche Bilder und Träume, und es war mir, als solle ich einen glänzenden Himmel voll Seligkeit und Wonne erschauen und könne nur wie ein schlaftrunkenes Kind die Augen nicht öffnen. Ohne zu wissen, warum, konnte ich oft bis zum Tode betrübt, oft ausgelassen fröhlich sein. Bei dem geringsten Anlaß stürzten mir die Tränen aus den Augen, eine unerklärliebe Sehnsucht stieg oft bis zu körperlichem Schmerz, so daß alle Glieder krampfhaft zuckten. Der Vater bemerkte meinen Zustand, schrieb ihn überreizten Nerven zu und suchte die Hilfe des Arztes, der allerlei Mittel verordnete, die ohne Wirkung blieben. ich weiß selbst nicht, wie es kam, urplötzlich erschien mir das vergessene Bild jenes unbekannten Mannes so lebhaft, daß es mir war, als stehe es vor mir, Blicke des Mitleids auf mich gerichtet. »Ach! – Soll ich denn sterben? – Was ist es, das mich so unaussprechlich quält?« So rief ich dem Traumbilde entgegen, da lächelte der Unbekannte und antwortete: »Du liebst mich, Aurelie; das ist deine Qual, aber kannst du die Gelübde des Gottgeweihten brechen?« – Zu meinem Erstaunen wurde ich nun gewahr, daß der Unbekannte das Ordenskleid der Kapuziner trug. – Ich raffte mich mit aller Gewalt auf, um nur aus dem träumerischen Zustande zu erwachen. Es gelang mir. Fest war ich überzeugt, daß jener Mönch nur ein loses trügerisches Spiel meiner Einbildung gewesen, und doch ahnte ich nur zu deutlich, daß das Geheimnis der Liebe sich mir erschlossen hatte. Ja – ich liebte den Unbekannten mit aller Stärke des erwachten Gefühls, mit aller Leidenschaft und Inbrunst, deren das jugendliche Herz fähig. In jenen Augenblicken träumerischen Hinbrütens, als ich den Unbekannten zu sehen glaubte, schien mein Übelbefinden den höchsten Punkt erreicht zu haben, ich wurde zusehends wohler, indem meine Nervenschwäche nachließ, und nur das stete starre Festhalten jenes Bildes, die fantastische Liebe zu einem Wesen, das nur in mir lebte, gab mir das Ansehen einer Träumerin. Ich war für alles verstummt, ich saß in der Gesellschaft, ohne mich zu regen, und indem ich, mit meinem Ideal beschäftigt, nicht darauf achtete, was man sprach, gab ich oft verkehrte Antworten, so daß man mich für ein einfältig Ding achten mochte. In meines Bruders Zimmer sah ich ein fremdes Buch auf dem Tische liegen; ich schlug es auf, es war ein aus dem Englischen übersetzter Roman: »Der Mönch!« – Mit eiskaltem Schauer durchbebte mich der Gedanke, daß der unbekannte Geliebte ein Mönch sei. Nie hatte ich geahnt, daß die Liebe zu einem Gottgeweihten sündig sein könne, nun kamen mir plötzlich die Worte des Traumbildes ein: »Kannst du die Gelübde des Gottgeweihten brechen?« – und nun erst verwundeten sie, mit schwerem Gewicht in mein Innres fallend, mich tief. Es war mir, als könne jenes Buch mir manchen Aufschluß geben. Ich nahm es mit mir, ich fing an zu lesen, die wunderbare Geschichte riß mich hin, aber als der erste Mord geschehen, als immer verruchter der gräßliche Mönch frevelte, als er endlich ins Bündnis trat mit dem Bösen, da ergriff mich namenloses Entsetzen, denn ich gedachte jener Worte Hermogens: »Die Mutter spricht mit dem Teufel!« Nun glaubte ich, so wie jener Mönch im Roman, sei der Unbekannte ein dem Bösen Verkaufter, der mich verlocken wolle. Und doch konnte ich nicht gebieten der Liebe zu dem Mönch, der in mir lebte. Nun erst wußte ich, daß es frevelhafte Liebe gebe, mein Abscheu dagegen kämpfte mit dem Gefühl, das meine Brust erfüllte, und dieser Kampf machte mich auf eigne Weise reizbar. Oft bemeisterte sich meiner in der Nähe eines Mannes ein unheimliches Gefühl, weil es mir plötzlich war, als sei es der Mönch, der nun mich erfassen und fortreißen werde ins Verderben. Reinhold kam von einer Reise zurück und erzählte viel von einem Kapuziner Medardus, der als Kanzelredner weit und breit berühmt sei und den er selbst in ... r mit Verwunderung gehört habe. Ich dachte an den Mönch im Roman, und es überfiel mich eine seltsame Ahnung, daß das geliebte und gefürchtete Traumbild jener Medardus sein könne. Der Gedanke war mir schrecklich, selbst wußte ich nicht, warum, und mein Zustand wurde in der Tat peinlicher und verstörter, als ich es zu ertragen vermochte. Ich schwamm in einem Meer von Ahnungen und Träumen. Aber vergebens suchte ich das Bild des Mönchs aus meinem Innern zu verbannen; ich unglückliches Kind konnte nicht widerstehen der sündigen Liebe zu dem Gottgeweihten. – Ein Geistlicher besuchte einst, wie er es wohl manchmal zu tun pflegte, den Vater. Er ließ sich weitläufig über die mannigfachen Versuchungen des Teufels aus, und mancher Funke fiel in meine Seele, indem der Geistliche den trostlosen Zustand des jungen Gemüts beschrieb, in das sich der Böse den Weg bahnen wolle und worin er nur schwaches Widerstreben fände. Mein Vater fügte manches hinzu, als ob er von mir rede. Nur unbegrenzte Zuversicht, sagte endlich der Geistliche, nur unwandelbares Vertrauen, nicht sowohl zu befreundeten Menschen als zur Religion und ihren Dienern, könne Rettung bringen. Dies merkwürdige Gespräch bestimmte mich, den Trost der Kirche zu suchen und meine Brust durch reuiges Geständnis in heiliger Beichte zu erleichtern. Am frühen Morgen des andern Tages wollte ich, da wir uns eben in der Residenz befanden, in die dicht neben unserm Hause gelegene Klosterkirche gehen. Es war eine qualvolle, entsetzliche Nacht, die ich zu überstehen hatte. Abscheuliche, frevelige Bilder, wie ich sie nie gesehen, nie gedacht, umgaukelten mich, aber dann mitten drunter stand der Mönch da, mir die Hand wie zur Rettung bietend, und rief: »Sprich es nur aus, daß du mich liebst, und frei bist du aller Not. «Da mußt ich unwillkürlich rufen: »Ja Medardus, ich liebe dich!« – und verschwunden waren die Geister der Hölle! Endlich stand ich auf, kleidete mich an und ging nach der Klosterkirche.
Das Morgenlicht brach eben in farbigen Strahlen durch die bunten Fenster, ein Laienbruder reinigte die Gänge. Unfern der Seitenpforte, wo ich hineingetreten, stand ein der heiligen Rosalia geweihter Altar, dort hielt ich ein kurzes Gebet und schritt dann auf den Beichtstuhl zu, in dem ich einen Mönch erblickte. Hilf, heiliger Himmel! – Es war Medardus! Kein Zweifel blieb übrig, eine höhere Macht sagte es mir. Da ergriff mich wahnsinnige Angst und Liebe,- aber ich fühlte, daß nur standhafter Mut mich retten könne. Ich beichtete ihm selbst meine sündliche Liebe zu dem Gottgeweihten, ja mehr als das! ... Ewiger Gott, in dem Augenblicke war es mir, als hätte ich schon oft in trostloser Verzweiflung den heiligen Banden, die den Geliebten fesselten, geflucht, und auch das beichtete ich. »Du selbst, du selbst, Medardus, bist es, den ich so unaussprechlich liebe.« Das waren die letzten Worte, die ich zu sprechen vermochte, aber nun floß lindernder Trost der Kirche, wie des Himmels Balsam, von den Lippen des Mönchs, der mich plötzlich nicht mehr Medardus schien. Bald darauf nahm mich ein alter ehrwürdiger Pilger in seine Arme und führte mich langsamen Schrittes durch die Gänge der Kirche zur Hauptpforte hinaus. Er sprach hochheilige, herrliche Worte, aber ich mußte entschlummern wie ein unter sanften, süßen Tönen eingewiegtes Kind. Ich verlor das Bewußtsein. Als ich erwachte, lag ich angekleidet auf dem Sofa meines Zimmers. »Gott und den Heiligen Lob und Dank, die Krisis ist vorüber, sie erholt sich!« rief eine Stimme. Es war der Arzt, der diese Worte zu meinem Vater sprach. Man sagte mir, daß man mich des Morgens in einem erstarrten, todähnlichen Zustand gefunden und einen Nervenschlag befürchtet habe. Du siehst, meine liebe, fromme Mutter, daß meine Beichte bei dem Mönch Medardus nur ein lebhafter Traum in einem überreizten Zustande war, aber die heilige Rosalia, zu der ich oft flehte und deren Bildnis ich ja auch im Traum anrief, hat mir wohl alles so erscheinen lassen, damit ich errettet werden möge aus den Schlingen, die mir der arglistige Böse gelegt. Verschwunden war aus meinem Innern die wahnsinnige Liebe zu dem Trugbild im Mönchsgewand. Ich erholte mich ganz und trat nun erst heiter und unbefangen in das Leben ein. Aber, gerechter Gott, noch einmal sollte mich jener verhaßte Mönch auf entsetzliche Weise bis zum Tode treffen. Für eben jenen Medardus, dem ich im Traum gebeichtet, erkannte ich augenblicklich den Mönch, der sich auf unserm Schlosse eingefunden. »Das ist der Teufel, mit dem die Mutter gesprochen, hüte dich, hüte dich! – er stellt dir nach!« so rief der unglückliche Hermogen immer in mich hinein . Ach, es hätte dieser Warnung nicht bedurft. Von dem ersten Moment an, als mich der Mönch mit vor frevliger Begier funkelnden Augen anblickte und dann in geheuchelter Verzückung die heilige Rosalia anrief, war er mir unheimlich und entsetzlich. Du weißt alles Fürchterliche, was sich darauf begab, meine gute liebe Mutter. Ach aber, muß ich es nicht Dir auch gestehen, daß der Mönch mir desto gefährlicher war, als sich tief in meinem Innersten ein Gefühl regte, dem gleich., als zuerst der Gedanke der Sünde in mir entstand und als ich ankämpfen mußte gegen die Verlockung des Bösen? Es gab Augenblicke, in denen ich Verblendete den heuchlerischen frommen Reden des Mönchs traute, ja in denen es mir war, als strahle aus seinem Innern der Funke des Himmels, der mich zur reinen überirdischen Liebe entzünden könne. Aber dann wußte er mit verruchter List, selbst in begeisterter Andacht, eine Glut anzufachen, die aus der Hölle kam. Wie den mich bewachenden Schutzengel sandten mir dann die Heiligen, zu denen ich inbrünstig flehte, den Bruder. –
Denke Dir, liebe Mutter, mein Entsetzen, als hier, bald nachdem ich zum erstenmal bei Hofe erschienen, ein Mann auf mich zutrat, den ich auf den ersten Blick für den Mönch Medardus zu erkennen glaubte, unerachtet er weltlich gekleidet ging. Ich wurde ohnmächtig, als ich ihn sah. In den Armen der Fürstin erwacht, rief ich laut: »Er ist es, er ist es, der Mörder meines Bruders.« – »Ja, er ist es«, sprach die Fürstin, »der verkappte Mönch Medardus, der dem Kloster entsprang; die auffallende Ähnlichkeit mit seinem Vater Francesko ... « Hilf, heiliger Himmel, indem ich diesen Namen schreibe, rinnen eiskalte Schauer mir durch alle Glieder. Jenes Bild meiner Mutter war Francesko ... das trügerische Mönchsgebilde. das mich quälte, hatte ganz seine Züge! – Medardus, ihn erkannte ich als jenes Gebilde in dem wunderbaren Traum der Beichte. Medardus ist Franceskos Sohn, Franz, den Du, meine gute Mutter, so fromm erziehen ließest und der in Sünde und Frevel geriet. Welche Verbindung hatte meine Mutter mit jenem Francesko, daß sie sein Bild heimlich aufbewahrte und bei seinem Anblick sich dem Andenken einer seligen Zeit zu überlassen schien? – Wie kam es, daß in diesem Bilde Hermogen den Teufel sah, und daß es den Grund legte zu meiner sonderbaren Verirrung? Ich versinke in Ahnungen und Zweifel. – Heiliger Gott, bin ich denn entronnen der bösen Macht, die mich umstrickt hielt? – Nein, ich kann nicht weiterschreiben, mir ist, als würd ich von dunkler Nacht befangen und kein Hoffnungsstern leuchte, mir freundlich den Weg zeigend, den ich wandeln soll!
Nein! Keine finsteren Zweifel sollen mir die hellen Sonnentage verdüstern, die mir aufgegangen sind. Der ehrwürdige Pater Cyrillus hat Dir, meine teure Mutter, wie ich weiß, schon ausführlich berichtet, welch eine schlimme Wendung der Prozeß Leonards nahm, den meine Übereilung den bösen Kriminalgerichten in die Hände gab. Daß der wirkliche Medardus eingefangen wurde, daß sein vielleicht verstellter Wahnsinn bald ganz nachließ, daß er seine Freveltaten eingestand, daß er seine gerechte Strafe erwartet und ... doch nicht weiter, denn nur zu sehr würde das schmachvolle Schicksal des Verbrechers, der als Knabe Dir so teuer war, Dein Herz verwunden. – Der merkwürdige Prozeß war das einzige Gespräch bei Hofe. Man hielt Leonard für einen verschmitzten, hartnäckigen Verbrecher, weil er alles leugnete. Gott im Himmel! – Dolchstiche waren mir manche Reden, denn auf wunderbare Weise sprach eine Stimme in mir: »Er ist unschuldig, und das wird klar werden, wie der Tag.« – Ich empfand das tiefste Mitleid mit ihm, gestehen mußte ich es mir selbst, daß mir sein Bild, rief ich es mir wieder zurück, Regungen erweckte, die ich nicht mißdeuten konnte. Ja! – Ich liebte ihn schon unaussprechlich, als er der Welt noch ein freveliger Verbrecher schien. Ein Wunder mußte ihn und mich retten, denn ich starb, sowie Leonard durch die Hand des Henkers fiel. Er ist schuldlos, er liebt mich, und bald ist er ganz mein. So geht eine dunkle Ahnung aus frühen Kindesjahren, die mir eine feindliche Macht arglistig zu vertrüben suchte, herrlich, herrlich auf in regem wonnigem Leben. 0 gib mir, gib dem Geliebten Deinen Segen, Du fromme Mutter! – Ach könnte Dein glückliches Kind nur ihre volle Himmelslust recht ausweinen an Deinem Herzen! – Leonard gleicht ganz jenem Francesko, nur scheint er größer, auch unterscheidet ihn ein gewisser charakterischer Zug, der seiner Nation eigen (Du weißt, daß er ein Pole ist), von Francesko und dem Mönch Medardus sehr merklich. Albern war es wohl Oberhaupt, den geistreichen, gewandten, herrlichen Leonard auch nur einen Augenblick für einen entlaufenen Mönch anzusehen. Aber so stark ist noch der fürchterliche Eindruck jener gräßlichen Szenen auf unserem Schloß, daß oft, tritt Leonard unvermutet zu mir herein und blickt mir mit seinem strahlenden Auge, das ach nur zu sehr jenem Medardus gleicht, mich unwillkürliches Grausen befällt und ich Gefahr laufe, durch mein kindisches Wesen den Geliebten zu verletzen. Mir ist, als würde erst des Priesters Segen die finsteren Gestalten bannen, die noch jetzt recht feindlich manchen Wolkenschatten in mein Leben werfen. Schließe mich und den Geliebten in Dein frommes Gebet, meine teure Mutter! Der Fürst wünscht, daß die Vermählung bald vor sich gehe; den Tag schreibe ich Dir, damit Du Deines Kindes gedenken mögest in ihres Lebens feierlicher, verhängnisvoller Stunde etc.
Immer und immer wieder las ich Aureliens Blätter. Es war, als wenn der Geist des Himmels, der daraus hervorleuchtete, in mein Inneres dringe und vor seinem reinen Strahl alle sündliche, frevelige Glut verlösche. Bei Aureliens Anblick überfiel mich heilige Scheu, ich wagte es nicht mehr, sie stürmisch zu liebkosen wie sonst. Aurelie bemerkte mein verändertes Betragen, ich gestand ihr reuig den Raub des Briefes an die Äbtissin; ich entschuldigte ihn mit einem unerklärlichen Drange. dem ich, wie der Gewalt einer unsichtbaren höheren Macht, nicht widerstehen konnte, ich behauptete, daß eben jene höhere, auf mich einwirkende Macht mir jene Vision am Beichtstuhle habe kundtun wollen, um mir zu zeigen, wie unsere innigste Verbindung ihr ewiger Ratschluß sei. »Ja, du frommes Himmelskind«, sprach ich. »auch mir ging einst ein wunderbarer Traum auf, in dem du mir deine Liebe gestandest, aber ich war ein unglücklicher, vorn Geschick zermalmter Mönch, dessen Brust tausend Qualen der Hölle zerrissen. – Dich – dich – liebte ich mit namenloser Inbrunst, doch Frevel, doppelter, verruchter Frevel war meine Ljebe, denn ich war ja ein Mönch und du die heilige Rosalia.« Erschrocken fuhr Aurelie auf. »Um Gott«, sprach sie, »um Gott, es geht ein tiefes unerforschliches Geheimnis durch unser Leben; ach, Leonard, laß uns nie an dem Schleier rühren, der es umhüllt, wer weiß, was Grauenvolles, Entsetzliches dahinter verborgen.
Laß uns fromm sein und fest aneinander halten in treuer Liebe, so widerstehen wir der dunklen Macht, deren Geister uns vielleicht feindlich bedrohen. Daß du meinen Brief lasest, das mußte so sein; ach! ich selbst hätte dir alles erschließen sollen, kein Geheimnis darf unter uns walten. Und doch ist es mir, als kämpftest du mit manchem, was früher recht verderblich eintrat in dein Leben und was du nicht vermochtest über die Lippen zu bringen vor unrechter Scheu! – Sei aufrichtig, Leonard! – Ach wie wird ein freimütiges Geständnis deine Brust erleichtern und heller unsere Liebe strahlen!« – Wohl fühlte ich bei diesen Worten Aureliens recht marternd, wie der Geist des Truges in mir wohne, und wie ich nur noch vor wenigen Augenblicken das fromme Kind recht frevelig getäuscht; und dies Gefühl regte sich stärker und stärker auf in wunderbarer Weise, ich mußte Aurelien alles – alles entdecken und doch ihre Liebe gewinnen. »Aurelie – du meine Heilige –, die mich rettet von ... « In dem Augenblick trat die Fürstin herein, ihr Anblick warf mich plötzlich zurück in die Hölle, voll Hohn und Gedanken des Verderbens. Sie mußte mich jetzt dulden, ich blieb und stellte mich als Aureliens Bräutigam kühn und keck ihr entgegen. Überhaupt war ich nur frei von allen bösen Gedanken, wenn ich mit Aurelien allein mich befand; dann ging mir aber auch die Seligkeit des Himmels auf. Jetzt erst wünschte ich lebhaft meine Vermählung mit Aurelien. – In einer Nacht stand lebhaft meine Mutter vor mir, ich wollte ihre Hand ergreifen und wurde gewahr. daß es nur Duft sei, der sich gestaltet. »Weshalb diese alberne Täuschung?« rief ich erzürnt; da flossen helle Tränen aus meiner Mutter Augen, die wurden aber zu silbernen, hellblinkenden Sternen, aus denen leuchtende Tropfen fielen und um mein Haupt kreisten, als wollten sie einen Heiligenschein bilden, doch immer zerriß eine schwarze fürchterliche Faust den Kreis. »Du, den ich rein von jeder Untat geboren«, sprach meine Mutter mit sanfter Stimme, »ist denn deine Kraft gebrochen, daß du nicht zu widerstehen vermagst den Verlockungen des Satans? – Jetzt kann ich erst dein Innres durchschauen, denn mir ist die Last des Irdischen entnommen! Erhebe dich, Franziskus! Ich will dich schmecken mit Bändern und Blumen, denn es ist der Tag des heiligen Bernardus gekommen, und du sollst wieder ein frommer Knabe sein!« – Da war es mir, als müsse ich wie sonst einen Hymnus anstimmen zum Lobe des Heiligen, aber entsetzlich tobte es dazwischen, mein Gesang wurde ein wildes Geheul, und schwarze Schleier rauschten herab zwischen mir und der Gestalt meiner Mutter. – Mehrere Tage nach dieser Vision begegnete mir der Kriminalrichter auf der Straße. Er trat freundlich auf mich zu. »Wissen Sie schon«, fing er an, »daß der Prozeß des Kapuziners Medardus wieder zweifelhaft worden? Das Urteil, das ihm höchstwahrscheinlich den Tod zuerkannt hätte, sollte schon abgefaßt werden, als er aufs neue Spuren des Wahnsinns zeigte. Das Kriminalgericht erhielt nämlich die Nachricht von dem Tode seiner Mutter; ich machte es ihm bekannt, da lachte er wild und rief mit einer Stimme, die selbst dem standhaftesten Gemüt Entsetzen erregen konnte: >Ha ha ha! – die Prinzessin von ... (er nannte die Gemahlin des ermordeten Bruders unseres Fürsten) ist längst gestorben!< – Es ist jetzt eine neue ärztliche Untersuchung verfügt, man glaubt jedoch, daß der Wahnsinn des Mönchs verstellt sei.« – Ich ließ mir Tag und Stunde des Todes meiner Mutter sagen! Sie war mir in demselben Moment, als sie starb, erschienen, und tief eindringend in Sinn und Gemüt, war nun auch die nur zu sehr vergessene Mutter die Mittlerin zwischen mir und der reinen Himmelsseele, die mein werden sollte. Milder und weicher geworden, schien ich nun erst Aureliens Liebe ganz zu verstehen, ich mochte sie wie eine mich beschirmende Heilige kaum verlassen, und mein düsteres Geheimnis wurde, indem sie nicht mehr deshalb in mich drang, nun ein mir selbst unerforschliches, von höheren Mächten verhängtes Ereignis. – Der von dem Fürsten bestimmte Tag der Vermählung war gekommen. Aurelie wollte in erster Frühe vor dem Altar der heiligen Rosalia in der nahe gelegenen Klosterkirche getraut sein. Wachend und nach langer Zeit zum erstenmal inbrünstig betend, brachte ich die Nacht zu. Ach, ich Verblendeter fühlte nicht, daß das Gebet, womit ich mich zur Sünde rüstete, höllischer Frevel sei! – Als ich zu Aurelien eintrat, kam sie mir, weiß gekleidet und mit duftenden Rosen geschmückt, in holder Engelsschönheit entgegen. Ihr Gewand sowie ihr Haarschmuck hatten etwas sonderbar Altertümliches, eine dunkle Erinnerung ging in mir auf, aber von tiefem Schauer fühlte ich mich durchbebt, als plötzlich lebhaft das Bild des Altars, an dem wir getraut werden sollten, mir vor Augen stand. Das Bild stellte das Martyrium der heiligen Rosalia vor, und gerade so wie Aurelie war sie gekleidet. – Schwer wurde es mir, den grausigen Eindruck, den dies auf mich machte, zu verbergen. Aurelie gab mir mit einem Blick, aus dem ein ganzer Himmel voll Liebe und Seligkeit strahlte, die Hand, ich zog sie an meine Brust, und mit dem Kuß des reinsten Entzückens durchdrang mich aufs neue das deutliche Gefühl, daß nur durch Aurelie meine Seele errettet werden könne. Ein fürstlicher Bedienter meldete, daß die Herrschaft bereit sei, uns zu empfangen. Aurelie zog schnell die Handschuhe an, ich nahm ihren Arm, da bemerkte das Kammermädchen, daß das Haar in Unordnung gekommen sei, sie sprang fort, um Nadeln zu holen. Wir warteten an der Tür, der Aufenthalt schien Aurelien unangenehm. In dem Augenblick entstand ein dumpfes Geräusch auf der Straße, hohle Stimmen riefen durcheinander, und das dröhnende Gerassel eines schweren, langsam rollenden Wagens ließ sich vernehmen. Ich eilte ans Fenster! – Da stand eben vor dem Palast der vom Henkersknecht geführte Leiterwagen, auf dem der Mönch rückwärts saß, vor ihm ein Kapuziner, laut und eifrig mit ihm betend. Er war entstellt von der Blässe der Todesangst und dem struppigen Bart – doch waren die Züge des gräßlichen Doppelgängers mir nur zu kenntlich. – Sowie der Wagen, augenblicklich gehemmt durch die andrängende Volksmasse, wieder fortrollte, warf er den stieren entsetzlichen Blick der funkelnden Augen zu mir herauf und lachte und heulte herauf: »Bräutigam, Bräutigam! ... komm ... komm auf Dach ... aufs Dach ... da wollen wir ringen miteinander, und wer den andern herabstößt, ist König und darf Blut trinken!« Ich schrie auf: »Entsetzlicher Mensch ... was willst du ... was willst du von mir?« – Aurelie umfaßte mich mit beiden Armen, sie riß mich mit Gewalt vom Fenster, rufend: »Um Gott und der heiligen Jungfrau willen ... Sie führen den Medardus ... den Mörder meines Bruders, zum Tode ... Leonard ... Leonard!« – Da wurden die Geister der Hölle in mir wach und bäumten sich auf mit der Gewalt, die ihnen verliehen über den frevelnden versuchten Sünder. – Ich erfaßte Aurelien mit grimmiger Wut, daß sie zusammenzuckte: »Ha ha ha ... Wahnsinniges, törichtes Weib ... ich ... ich, dein Buhle, dein Bräutigam, bin der Medardus ... bin deines Bruders Mörder ... du Braut des Mönchs, willst Verderben herabwinseln über deinen Bräutigam? Ho ho ho! ... ich bin König ... ich trinke dein Blut!« – Das Mordmesser riß ich heraus – ich stieß nach Aurelien, die ich zu Boden fallen lassen – ein Blutstrom sprang hervor über meine Hand. – Ich stürzte die Treppen hinab, durch das Volk hin zum Wagen, riß den Mönch herab und warf ihn zu Boden; da wurde ich fest gepackt, wütend stieß ich mit dem Messer um mich herum ich wurde frei – ich sprang fort – man drang auf mich ein, ich fühlte mich in der Seite durch einen Stich verwundet, aber das Messer in der rechten Hand, und mit der linken kräftige Faustschläge austeilend, arbeitete ich mich durch bis an die nahe Mauer des Parks, die ich mit einem fürchterlichen Satz übersprang. »Mord ... Mord ... Haltet ... haltet den Mörder!« riefen Stimmen hinter mir her, ich hörte es rasseln , man wollte das verschlossene Tor des Parks sprengen, unaufhaltsam rannte ich fort. Ich kam an den breiten Graben, der den Park von dem dicht dabei gelegenen Walde trennte, ein mächtiger Sprung – ich war hinüber, und immer fort und fort rannte ich durch den Wald, bis ich erschöpft unter einem Baume niedersank. Es war schon finstre Nacht geworden, als ich, wie aus tiefer Betäubung, erwachte. Nur der Gedanke, zu fliehen wie ein gehetztes Tier, stand fest in meiner Seele. Ich stand auf, aber kaum war ich einige Schritte fort, als, aus dem Gebüsch hervorrauschend, ein Mensch auf meinen Rücken sprang und mit den Armen umhalste. Vergebens versuchte ich, ihn abzuschütteln – ich warf mich nieder, ich drückte mich hinterrücks an die Bäume, alles umsonst. Der Mensch kicherte und lachte höhnisch; da brach der Mond helleuchtend durch die schwarzen Tannen, und das totenbleiche, gräßliche Gesicht des Mönchs – des vermeintlichen Medardus, des Doppelgängers, starrte mich an mit dem gräßlichen Blick, wie von dem Wagen herauf. – »Hi ... hi ... hi ... Brüderlein Brüderlein, immer, immer bin ich bei dir ... lasse dich nicht ... lasse ... dich nicht ... kann nicht lau ... laufen wie du ... mußt mich tra ... tragen ... komme vom G ... Galgen ... haben mich rä ... rädern wollen ... hi hi ... « So lachte und heulte das grause Gespenst, indem ich, von wildem Entsetzen gekräftigt, hoch emporsprang wie ein von der Riesenschlange eingeschnürter Tiger! – Ich raste gegen Baum- und Felsstücke, um ihn, wo nicht zu töten, doch wenigstens hart zu verwunden, daß er mich zu lassen genötigt sein sollte. Dann lachte er stärker, und mich nur traf jäher Schmerz; ich versuchte, seine unter meinem Kinn festgeknoteten Hände loszuwinden, aber die Gurgel einzudrücken drohte mir des Ungetüms Gewalt. Endlich, nach tollem Rasen, fiel er plötzlich herab, aber kaum war ich einige Schritte fortgerannt, als er von neuem auf meinem Rücken saß, kichernd und lachend und jene entsetzlichen Worte stammelnd! Aufs neue jene Anstrengungen wilder Wut – aufs neue befreit! – aufs neue umhalst von dem fürchterlichen Gespenst. – Es ist mir nicht möglich, deutlich anzugeben, wie lange ich, von dem Doppelgänger verfolgt, durch finstre Wälder floh, es ist mir so, als müsse das Monate hindurch, ohne daß ich Speise und Trank genoß, gedauert haben. Nur eines lichten Augenblicks erinnere ich mich lebhaft, nach welchem ich in gänzlich bewußtlosen Zustand verfiel. Eben war es mir geglückt, meinen Doppelgänger abzuwerfen, als ein heller Sonnenstrahl und mit ihm ein holdes anmutiges Tönen den Wald durchdrang. Ich unterschied eine Klosterglocke, die zur Frühmette läutete. »Du hast Aurelie ermordet!« Der Gedanke erfaßte mich mit des Todes eiskalten Armen, und ich sank bewußtlos nieder.