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Den Feind zu überlisten, dazu gehört nicht viel!
Ich habe mir ersonnen ein listiges Possenspiel!
Ich schaff' mir anderen Namen, schaff mir ein falsch Gesicht,
Und kreuzt er meinen Weg alsdann, – er kennt mich nicht.
Aus dem Fastnachtsspiel von Meister Lenz.
Als Pia noch immer in Gedanken versunken an der Ballustrade lehnte, hörte sie plötzlich schnelle, sehr kräftig stampfende Schritte hinter sich und wandte jählings das Haupt.
Ein junges Mädchen, schwankend zwischen Fräulein und Backfischchen, kam in grotesken Sprüngen, welche jedweder Grazie entbehrten, über die Steinterrasse heran galoppiert.
Kurzgeschnittenes, dunkles Haar sträubte sich mehr, als daß es sich lockte, um die mächtige, viereckige Stirn, unter welcher eine nicht allzukleine Nase kühn in die Welt hinaus strebte. Große, sehr lebhafte Augen schauten frech wie bei einem kleinen Spatz der reizenden Cousine entgegen, und aus dem Mund, welcher in fröhlichem Lachen ungeheuere Dimensionen annahm, blinkten zwei Reihen schneeweißer, kerngesunder Zähne. Fränzchen, Gräfin Niedeck! –
Nein, schön konnte man Komteßchen nicht nennen, es würde ein direkter Mißbrauch des Wortes gewesen sein!
Ihre ganze Figur war eckig, ungraziös, stets in sichtlichem Kampf mit den einzelnen Gliedern begriffen, dabei sehr stämmig und robust, ohne merkliche Spur von Taille und ohne jedwede Anzeichen weiblicher Anmut und Sanftheit.
Der rüpelhafteste Bengel würde in Gräfin Fränzchen sein täuschendes Ebenbild gefunden haben, – und doch lag auf den derben, häßlichen Gesichtszügen, welche unverkennbare Ähnlichkeit mit Graf Willibald zeigten, ein kindlich strahlender, frohsinniger und herzensguter Ausdruck, daß man dem kleinen Fräulein gern die größten Unmanierlichkeiten verzieh, wenn man in die schalkhaften Äuglein blickte.
Alle Kleidungsstücke, so elegant und chic sie auch die ersten Konfektionshäuser lieferten, hingen wie geborgt um Komteßchen herum, oder spannten in so ungebührlicher Weise, daß sie binnen kurzer Zeit aus allen Nähten platzten.
Die Gräfin Mutter, welche noch immer das Töchterchen allein und eigenhändig jeden Morgen ankleidete, lachte dazu.
»Ja, was soll ich mit dem Wildfang beginnen, liebe Pia! ziehe ich ihr Kleider an, welche nach unseren Begriffen gut sitzen, so stöhnt sie, die Engigkeit sei nicht zu ertragen, und bei den ersten Turnübungen krachen alle Nähte; also lasse ich die Kleider so weit wie Säcke anfertigen, damit die kleine Hexe Platz hat, sich auszutoben!«
Ja, das Austoben besorgte Fräulein Fränzchen gründlichst. Die langen »Schlumperkleider« genierten sie sichtlich und oft überraschte sie Pia, wenn sich die Kleine damit amüsierte, in wilden Sätzen und Sprüngen die Röcke zu schwingen, wie Kinder, welche sich aus dem Kleiderschrank der Mutter kostümiert haben. Das Lernen schien die junge Dame auch nicht sehr zu entzücken. »Mit Gouvernanten drangen wir schon gar nicht mehr bei ihr durch« – entschuldigte Tante Johanna mit beinah verlegenem Lächeln, als Pia überrascht den Hauslehrer anblickte –! »Da haben wir uns einen energischen, tüchtigen Pädagogen zu Hülfe geholt! und nun geht es etwas besser mit dem Studieren, wenngleich der Herr Kandidat recht ungern daran denkt, Ferien geben zu müssen.« Dennoch war Fräulein von Nördlingen überrascht, wie viel das arme Fränzchen lernte.
Ja, sie überraschte die Kleine sogar einmal bei lateinischen Vokabeln.
»Aber, Cousinchen, wozu braucht ein junges Mädchen denn Latein zu lernen?!«
Fränzchen johlte auf und warf in einer Anwandlung hoher Lustbarkeit die Beine in die Luft, daß die Füße momentan auf dem Tisch ruhten.
»Ja, weißt Du, mein Vater will's nun mal so! Ich glaube, er will sich der Frauenbewegung anschließen und mal ein Fräulein Doktor aus mir machen! Na, da findet er keine Gegenliebe bei mir, denn ich hasse diese verdammten Schmöker! Geh mal ein bischen zur Seite, Pia, daß ich die Fensterspiegel sehen kann!« –
»Wozu das?« –
Fränzchen grunzte vor Vergnügen: »Ich laure hier auf Kielmann, der den Frühstückstisch auf der Terrasse deckt, – wenn er das nächstemal kommt, bringt er die Platte mit Fleischklößen – welche ich nicht mehr ausstehen – nicht mehr riechen kann!«
»Nun und?« –
»Wenn er unter dem Fenster ist, schmeiße ich den Blumenpott runter – – wetten, daß Kielmann vor Schreck samt seinen Klopsen auf der Erde sitzt?« –
– – – – – Und dieses Fränzchen war fünfzehn, ja sogar bald sechzehn Jahre alt!! –
Auch jetzt blickte Pia der so stürmisch nahenden Base mit berechtigtem Mißtrauen entgegen. Fränzchen warf die langen Arme fuchtelnd durch die Luft, um sie einen Augenblick später in wildem Anprall um Fräulein von Nördlingens schlanke Gestalt zu schlingen.
Gleichzeitig küßte Fränzchen mit derbem Schmatzen die zarten Wangen ab. –
»Aber, Kind! Du reißest mich ja um!« wehrte sich Pia atemlos: »Und wie oft habe ich Dir schon gesagt, daß ich die greulichen Küsse nicht leiden mag – –«
»Na, dann soll dies der letzte für heute sein!« lachte Fränzchen und leckte mit der Zunge behaglich über die Lippen, wie eine, der es recht gut geschmeckt hat. – »Warum stehst Du hier so alleine?«
»Ich warte auf Deine Eltern und Dich! – Die Wagen stehen längst bereit.«
»Weiß ich! – Famos, daß es wieder los geht! und Gott sei Dank ohne die Schulbücher! Siehst Du, darum möchte ich vor Vergnügen gleich Purzelbock schießen, wenn es man bloß passend wäre!« –
Und Fränzchen schwang sich stattdessen auf die Balustrade und baumelte mit den Füßen.
Wie alles an ihr, war auch die Stimme ein Erbteil des Vaters, ebenso rauh und tief klingend, ebenso unmelodisch wie die seine.
»Wo hast Du Deinen Hut, Du Wildfang? willst Du vielleicht barhäuptig abreisen?«
»Am liebsten thäte ich's! – Das komische Ding auf dem Kopfe geniert mich ja nur! – Himmel, wenn ich solch eine Staatskarnette mit Bindebändern aufsetzen sollte, wie Mama! Oder solch einen Wandteller mit Federbüschen, wie Du! – Gräßlich, ich glaube die Feuerglocken stürmten, wenn ich so antreten würde! Aber komisch, – Dir steht das Ungeheuer brillant! reizend! – wie ein Ritterfräulein siehst Du aus, einfach zum Verlieben! Komm, gieb mir noch einen Schmatz!« –
Pia lachte und flüchtete zurück.
»Ich glaube, Du bist über den Frühstückswein geraten, Fränzchen! Jedem Primaner würden Deine verliebten Augen Ehre machen! – bitte, verschone mich mit Deinen Zärtlichkeiten! Du weißt, daß ich sie absolut nicht leiden mag!«
Komteßchen war garnicht beleidigt. Sie verschränkte die großen grobknochigen Hände auf dem Rücken: »Magst Du mich nur darum nicht küssen, weil ich ein Mädchen bin?« – fragte sie mit viel Interesse! »Findest Du meine Zärtlichkeit nur darum langweilig? Und würdest Du sie lieber mögen, wenn ich anstatt einer garstigen Cousine ein flotter Vetter wäre?«
Pia errötete und zog die dunklen, fein geschwungenen Brauen ärgerlich zusammen: »Wie kannst Du nur so albern reden! Solche Gedanken passen sich noch gar nicht für ein so junges Mädchen!«
Fränzchen jauchzte hell auf vor Vergnügen: »Na stopp! man sachte mit den jungen Pferden!« amüsierte sie sich in ihrer ungenierten Weise. »Ich habe schon eine ganze Menge Schmöker intus, in welchen etwas von Liebe vorkam! Sogar den Faust kenne ich – und finde ihn sogar noch nicht einmal so furchtbar toll, wie ich mir dachte! Könntest Du Dich in so einen salbaderischen Doktor verlieben?«
»Nein!«
»Siehst Du, ich auch nicht!« Fränzchen rückte näher und legte den Arm sehr innig um die schlanke Cousine. »Sag 'mal ehrlich, Goldchen, wie muß 'mal der Mann sein, in den Du Dich vergucken könntest?«
Pia strich lächelnd mit der Hand über das starre Haar der Fragerin, welches unter den graziösen Fingern sofort wieder rebellisch empor schnellte. »Das weiß ich selber noch nicht, Mamsell Neugier!«
»Was soll er denn 'mal sein?« forschte Komteßchen und die Stimme knaxte ihr über, weil sie so recht weich und zärtlich flüstern wollte.
Pia lachte noch mehr und führte einen leichten Fingerschlag gegen die indiskreten Lippen.
»Papst zum mindesten.«
»Na, Prost! – Also hoch hinaus. Dachte es mir doch. Bist auch ganz berechtigt, was besonderes zu verlangen. Würdest Du aber nicht doch schon mit einem Majoratsherrn fürlieb nehmen?«
Fräulein von Nördlingen wich jählings zurück: »Wie kommst Du darauf?« fragte sie gedehnt, voll neu erwachenden Mißtrauens.
Fränzchen verschränkte die Arme vor dem Magen und lachte in ihrer lustigen Weise verschmitzt auf, dann rieb sie sich die Hände: »Ich thu's 'mal nicht unter dem!«
»So? Nun, ich wünsche Glück dazu!«
Pias rosiges Antlitz sah plötzlich sehr kühl und stolz aus, ihr Blick ruhte durchdringend auf dem häßlichen Gesicht der kleinen Gräfin. Also scheint sich Tante Johanna doch den Grafen Wulff-Dietrich zum Schwiegersohn ausgesucht zu haben. Je nun, es giebt ja auch heutzutage noch Montecchis und Capuletis, deren Kinder sich zum Schlusse heiraten.
Fränzchen hielt den Blick voll kecker Unverfrorenheit aus. Sie musterte sogar die Cousine wieder mit dem verliebtesten Gesichtsausdruck.
»Weißt Du, Pia, wenn ich als Männlein auf die Welt gekommen wäre, heiratete ich einzig und allein Dich!«
»Sehr schmeichelhaft.«
Da blickten die grauen Augen plötzlich jäh verändert, voll beinah flehender Angst.
»Würdest Du mich dann nehmen?«
Pia glaubte aus diesen Worten viel mehr zu hören, als vielleicht darin lag, die zitternde Angst eines Mädchenherzens, welches gern hören möchte, daß es trotz seiner Häßlichkeit gefällt. Voll Mitleid, weicher und herzlicher wie sonst, legte Pia den Arm um den Hals des Backfischchens.
»Das versteht sich!« scherzte sie. »Solch ein Prachtexemplar wie Du hat keinen Korb zu befürchten, und ein flotter kleiner Schnurrbart würde Dir gewiß allerliebst stehen!«
Sie wollte lachen, aber ihre Stimme erstickte unter den ungestümen Küssen, welche plötzlich auf ihren Lippen brannten. Komteßchen schien wie von Sinnen über die Eloge, welche ihr gesagt war. Sie bekam einen ihrer übermutstollen Anfälle. Wie eine kleine Wildkatze sprang sie von der Mauer und umhalste die angebetete Cousine, als solle sie unter diesen stürmischen Liebkosungen ersticken!
»Aber, Franziska, bist Du nicht recht gescheit?« wehrte sich Fräulein von Nördlingen atemlos, doch schon fühlte sie sich frei und die derben Knopfstiefeln des Backfischchens trabten mit denselben Hechtsätzen davon, als wie sie vorhin gekommen waren. Die kleine Gräfin sauste den Eltern entgegen, welche soeben auf der Freitreppe erschienen, um die Equipage zu besteigen. Pia ordnete schnell ihre derangierte Toilette und schritt mit glühenden Wangen nach dem Portal zurück.
Fränzchen hatte dem alten Kuhnert einen heiteren Klaps auf die hülfreich dargebotene Hand gegeben und war ohne Unterstützung so kraftvoll in den Wagen gesprungen, daß die Achsen krachten, und während die Eltern wohlgefällig lächelnd folgten, stülpte sich der sechzehnjährige Unband ein schlichtes Jägerhütchen auf die wilden Haare, um es im nächsten Moment mit tiefer Reverenz vor Pia zu ziehen.
»Mama, weißt Du, was die schöne Base vorhin gesagt hat? Wenn ich ein Majoratsherr mit einem flotten Schnurrbart wäre, würde sie mich heiraten!«
Zum ersten Male sah Tante Johanna ärgerlich aus, mit verweisendem Blick hob sie den Kopf und der Graf sagte in beinahe strengem Ton: »Unsinn! Vergiß nicht, daß Du mir versprochen hast, alle dummen Gedanken unterwegs zu lassen!«
Die Kleine kreuzte voll übertriebener Devotion die Arme und schnitt eine Grimasse, Graf und Gräfin aber neigten sich aus dem offenen Wagen und verabschiedeten sich sehr herzlich von dem Hauslehrer und der Dienerschaft, welche die Equipage umringte.
Auch Pia nickte und grüßte, Fränzchen erhob segnend die Hände und ermahnte den gestrengen Pädagogen salbungsvoll: »Bleib hübsch ordentlich und fromm, – bis nach Haus ich wiederkomm!« Der Kutscher ruckte an den Zügeln und die ungeduldigen Pferde griffen aus, in den knospenden Wald hinein zu stürmen.
Eine kleine Weile flog die Unterhaltung in kurzen Worten her und hin, dann räusperte sich Onkel Willibald plötzlich und wechselte einen schnellen Blick des Einvernehmens mit seiner Gemahlin. »Liebe Pia,« sagte er zögernd, »wir haben jetzt unsere gemeinsame Reise begonnen, und wäre es wohl angebracht, Dich mit etlichen kleinen Absonderlichkeiten bekannt zu machen, welche wir uns während der langen Wanderjahre angewöhnt haben!«
Die Baroneß neigte sich höflich näher. »Gewiß, lieber Onkel,« sagte sie, »ich möchte mich in allen Dingen genau nach Euren Gewohnheiten richten und bitte herzlichst, mich mit der veränderten Lebensweise und Tagesordnung bekannt zu machen!«
Der Graf nickte ihr mit beinahe dankbarem Lächeln zu: »Wir sind in manchen Dingen absonderliche Leute, und zu den Hauptbedingungen unserer Reisen gehört in erster Linie, niemals den Namen »Niedeck« in ein Fremdenbuch zu schreiben –«
»Oh! Du überraschst mich! –«
Willibald lächelte: »Wir reisten während der siebzehn Jahre unserer Ehe stets unter falschen Namen, oder besser gesagt – incognito.«
Pia lachte lustig auf: »Oh, das ist ja ein herrlicher Scherz! thatet Ihr das lediglich des Spaßes halber?« –
Der Graf schüttelte treuherzig den Kopf. »Nein; es mag Dir vielleicht noch absonderlicher erscheinen, wenn wir es im bittersten Ernste thaten.« –
»Erkläre mir, bester Onkel!« –
»Du weißt, was mein leiblicher Vetter Rüdiger für einen teuflischen Plan hegte, um das Majorat und Vermögen an sich zu bringen,« fuhr Niedeck mit haßerfüllten Blicken fort, »und wirst es begreifen, daß man gegen solch einen Menschen, welcher in gewissenlosester Weise seine Anverwandten lebendig begraben wollte, mißtrauisch wird. – Meine Heirat erregte naturgemäß den höchsten Zorn dieses meines Feindes – und die Geburt meines Kindes konnte ihm auch nicht gleichgültig sein, denn wenn ja Fränzchen auch leider nur eine Tochter war, so geht doch ein sehr großer Teil des Barvermögens auf sie über. Ein Verlust, welcher für Rüdiger sehr empfindlich ist, da er wohl auf die volle Erbschaft rechnen mußte, um seine und jetzt auch seines Sohnes Hartwigs Schulden zu bezahlen. Ein Mann aber, welchem das Leben des Vaters nichts wert war, dem ist dasjenige des Kindes ebensowenig heilig – und solch einem Teufel in Menschengestalt traue ich alles zu – alles. Nenne es nun Feigheit, Mißtrauen – übertriebene Vorsicht – oder wie Du sonst willst; aber verarge es uns nicht, wenn wir bemüht waren, unser teuerstes Kleinod vor den Nachstellungen des Feindes zu schützen. Möglicherweise thue ich mit diesem Verdacht Rüdiger unrecht und gehe zu weit in meiner schlechten Meinung über ihn, aber wir wollten lieber zu vorsichtig wie zu leichtsinnig sein, und da unsere Ängstlichkeit mit dem Kind so wie so sehr groß war, und es auch jetzt noch ist, so hätten wir keine ruhige Minute gehabt, wenn wir uns durch Nennung des Namens den Nachstellungen Rüdigers preisgegeben hätten. Daß er sich mehr wie einmal alle denkbare Mühe gegeben hat, unsere Spur aufzufinden, weiß ich genau, in Kairo hat er sogar die Geheimpolizei in Bewegung gesetzt, was mich veranlaßte, sofort abzureisen. Du siehst mich ganz starr vor Staunen an, liebe Pia; – ja, wenn ich einen Roman schreiben wollte, brauchte ich nur den Stoff aus meinem Tagebuch zu holen! – Nun, – Du weißt jetzt, warum und weshalb wir Versteckens spielen. Ehemals war es eine Notwendigkeit, jetzt ist es mehr eine Angewohnheit, welcher wir kaum noch untreu werden können. Wir sind stets als Deutsch-Amerikaner gereist. Mr. und Mrs. Luxor hießen wir stets und wollen uns auch diesmal so nennen. Wenn es Dir recht ist, liebe Nichte, figurierst Du als unsere älteste Tochter!«
»Hurrah, Bravo! ich hab ein Schwesterchen bekommen! dann verlange ich aber auch, daß Taufe ist!!«
Tante Johanna lachte mit strahlenden Augen, wie jedweder Scherz ihres Abgotts sie beseligte!
»Nun, Pia, dann rüste Dich für diese Feier! Viel Gevattern werden wir Dir aber nicht laden können!«
»Einen anderen Vornamen bekommt sie auch!«
»Gut, Fränzchen, suche mir nur einen aus, wenn Dir der meine nicht schön genug ist!«
»Pia ist der herrlichste Name, welcher überhaupt existiert!« – rief das Backfischchen begeistert und schlang die Arme abermals enthusiastisch um die Nachbarin: »Der neue Name soll ja bloß ein Jux sein, weißt Du! ein Witz, damit eben alles anders wird: Alles neu macht der Mai!«
»Nun, dann besinne Dich mal auf einen recht reizenden Namen!« – Fränzchen schlug behende das Bein über, stützte den Ellenbogen auf das Knie und stemmte die kurzen, etwas abgeknabberten Fingernägel gegen die Zähne; das war ihre Lieblingspose, wenn sie nachdachte oder sehr eifrig zuhörte.
Die dunklen Augen flackerten dabei im lebhaften Interesse, dieweil die Blicke wie suchend von einem Antlitz der gegenübersitzenden Eltern zum anderen glitten.
»Streng Dich nicht zu furchtbar an, Kleinchen, Du thust Dir einen Schaden bei dieser schweren Geistesarbeit!« – neckte Fräulein von Nördlingen.
Fürs erste antwortete ihr eine zärtliche Grimasse, dann schlug sich Komteßchen plötzlich klatschend auf das Knie und schrie so laut: »Heureka!« daß Kutscher und Diener erschrocken auf dem Bock zusammenstießen.
»Ich habe einen Namen, einen, den ich auch höchst poetisch finde und über alles liebe!« fuhr Fränzchen mit einem Anflug von Schwärmerei fort, welche bei ihrem sonst so drastischen Wesen doppelt spaßhaft wirkte. »Pia, – sieh mich einmal an, – wie würde Dir zum Beispiel ›Lilian‹ zu Gesichte stehen?« –
»Gut; sehr gut! schöne Leute kleidet alles schön!« nickte die junge Dame sehr ernst.
»Mama, Papa! – findet ihr's auch?« –
»Natürlich! großartig! Lilian Luxor! – es klingt so interessant, wie in einem Roman!« –
»Was werden die Kellner sagen!« – schwelgte Fränzchen im Vorgeschmack aller Triumphe, welche der von »ihr« ausgedachte Name feiern wird. –
»O, ich werde ihnen imponieren!« – versicherte Pia, – immer noch tiefernst.
»Mama! – Papa! – vergeßt nur nicht, bei jeder nur irgend möglichen Gelegenheit sie ›Lilian‹ zu nennen und zu rufen!« fuhr die junge Gräfin mit glühenden Wangen fort und stieß die Eltern zur Bekräftigung mit dem Fuß an.
»Au, Fränzchen, sei doch nicht so unmanierlich,« schalt der Papa, mehr aus Höflichkeit gegen die maltraitierte Mutter, wie aus Rücksicht gegen seine eigene große Zehe.
»Nun – und wie heißt Du in unserer kleinen Reisekomödie, Fräulein Base?«
»Ich?« – Fränzchen warf geringschätzend den Mund auf, daß er noch größer aussah. »Ich? Ach weißt Du, Lilian – bei mir lohnt sich das Umtaufen nicht; wenn man einen Hering auch wässert, er bleibt doch ein Hering! – und wenn man mir auch den poetischsten Namen geben würde, ich würde ihm doch keine Ehre machen! – also laßt mich man ruhig das olle tolle Fränzchen bleiben, – damit die Leute nicht stutzig werden!«
»Dann müssen wir doch mindestens Francis sagen, sonst paßt Du ja gar nicht in unsere ausländische Gesellschaft!«
»Francis! – na, das ginge allenfalls, – aber wie gesagt, Fränzchen ist mir schon lieber! ich fühle mich dann nicht so geniert und brauche kein anderes Gesicht zu machen!« –
»Glaubst Du vielleicht, ich mache ein besonderes Gesicht für Lilian« – lachte Pia hell auf.
Fränzchen hakte sich zärtlich bei ihr ein.
»Du? nein, das hast Du auch nicht nötig!« klang es wieder sehr schwärmerisch von ihren Lippen, und die dunklen Spatzenaugen bekamen abermals den verliebtesten Ausdruck. »Wenn man so schön ist, wie Du, Pia, – ich wollte sagen, Lilian, dann hat man nicht nötig, sich das Gesicht zu verrenken! Ich finde Dich nämlich bildschön, wirklich schauderhaft schön! – bist Du eigentlich immer so gewesen, oder ist es erst später gekommen? Weißt Du, wie bei mir, wo die Leute immer sagten: ›Sie ist jetzt freilich mordsgarstig, aber das verwächst sich doch wohl noch!‹« –
Abermals ein allgemeines Gelächter.
Frau Johanna schien nicht im mindesten wegen der Häßlichkeit der Tochter bekümmert und ihr Gatte saß so schmunzelnd und wohlgefällig seiner Einzigsten gegenüber, als habe er in ihr zum mindesten die Venus von Milo zu bewundern.
Pia zog den wildlockigen Kopf der Cousine mit liebevollem Blick an sich. »Ja, es hat sich schon verwachsen, Fränzchen!« nickte sie, »und ich bin überzeugt, die Menschen werden die herzensgute fröhliche, natürliche Francis viel lieber gewinnen, wie die steife, langweilige Lilian mit dem poetischen Namen!«
»Gieb mir einen Schmatz!« –
»Aber, Fränzchen! Du weißt, daß Pia das Küssen nicht leiden mag!« – verwies die Gräfin streng und der Graf lachte. »Danke Gott, liebe Nichte, daß dem Wildfang kein Schnurrbart gewachsen ist, Du hättest einen unausstehlichen Verehrer an ihm!«
»Ist eigentlich schon ein Programm für unsere Reise entworfen?«
»Nein, wir reisen immer ohne Überlegung in den Tag hinein! wo es schön ist, bleiben wir, und wo es uns nicht gefällt, da fahren wir stolz vorüber!« –
»Wollen wir die ganze Rheinreise zu Schiff machen?« –
»Ach nein! aussteigen! klettern! ich will auf jede Burg steigen!«
»Na ja! schrei doch nicht so, wir sind ja gottlob nicht taub! Wenn es für Mama nicht zu viel wird, können wir ja verschiedene Wagenfahrten machen!«
»Von Kastel bis Bingen fahren wir wohl durch?«
»Nein, Papa, das geht viel zu schnell! In Rüdesheim wollen wir doch übernachten, da müssen wir zuvor schon mal aussteigen und uns die Ufer näher besehen, sonst ist ja der Tag ganz verloren, denn für den Niederwald ist's schon zu spät, zu der Tour müssen wir von frühmorgens bis abends Zeit haben.«
»Nun, kommt Zeit, kommt Rat; vorläufig wollen wir erst mal in den Zug steigen und uns freuen, wenn wir Mainz erreicht haben!
»In Mainz bleiben wir zuerst?«
»Da wir Frankfurt kennen, ja!«
»Hast Du schon wegen des Nachtquartiers an ein Hotel telegraphiert, Willibald?« –
»Alles besorgt, Hänschen!« –
»Hänschen ist aber nicht amerikanisch, Vater! so darfst Du die Mutter vor dem Kellner nicht nennen!«
»Sind denn die Dienstboten instruiert, liebe Tante, daß sie nicht etwa unser Incognito verraten?«
Die Gräfin lachte: »Unbesorgt! meine treue Kammerfrau reist schon seit fünfzehn Jahren mit Mrs. Luxor, und der brave, alte Friedrich ist auch an unsere Absonderlichkeit gewöhnt. Dich müssen wir allerdings erst als ›Lilian‹ vorstellen!«
»Wenn das alte Trampeltier den Namen nur merken wird?!« grollte Fränzchen, deren Meinung von Friedrichs Intelligenz nicht besonders hoch zu sein schien.
»Er wird schon.«
»Essen wir table d'hôte oder à la carte?« informierte sich Komteßchen weiter.
»Hast Du schon Hunger?!! –«
»Ich habe immer Hunger, und außerdem liebe ich es, darüber nachzudenken, was ich eventuell alles essen könnte!«
»Dazu haben wir im Zug die beste Zeit. Ich spiele Kellner und überreiche Dir die Karte.« –
»Famos; – mit Hühnerfricassé fange ich immer an, – das ist auch Gewohnheitssache bei mir! überhaupt lege ich auf Essen und Natur das hauptsächlichste Gewicht; auf sogenannte Reiseabenteuer oder Bekanntschaften brenne ich nicht.«
Fränzchen bog den Kopf zurück und blickte der schönen Cousine mit seltsam forschendem, beinah eifersüchtigem Blick in die Augen.
»Thust Du es etwa?« –
Pia lachte. »Ehrlich gestanden, sind mir die Menschen und Mitreisenden bedeutend interessanter wie die Speisekarte!«
»Wirst Du Dir etwa die Cour machen lassen?!«
Fränzchen richtete sich jählings auf.
»Natürlich! ich hoffe stark, mich auch in einen recht semmelblonden Engländer zu verlieben!« lachte Pia scherzend.
Die kleine Gräfin faßte derb ihre Hand: »Pia! Du sollst auf einen anderen warten!!« stieß sie hastig, mit blitzenden Augen hervor. Die Gräfin machte eine erschrockene Bewegung und ihr Gatte nahm das heftige Töchterlein bei beiden Schultern und drückte es in das Wagenpolster zurück. »Und Du sollst keinen Unsinn reden!« befahl er streng.
Fränzchen lachte verlegen und behauptete: »Man müßte Pia doch ein wenig necken!« und dann seufzte sie tief auf und sagte unvermittelt: »Wenn wir doch erst vier Jahre weiter wären!!« –
Die Gräfin aber unterbrach sie lebhaft: »Da ist bereits die Bahnstation! Bitte, rüstet Euch zum Aussteigen!« –