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Kapitel 5.


Ich habe Verrat tief hassen gelernt und weiß kein Gift,
das mehr mich erfüllt mit Abscheu!

Aeschylus.

 

Graf Willibald zog einen Stuhl heran und umschloß seine Lehne krampfhaft mit den Händen, als suche er einen Halt, um nicht bei dem Ungeheuerlichen, was er hören sollte, umzusinken. Kuhnert aber erhob sich mit zitternden Knieen und strich das Haar aus der feuchtperlenden Stirn.

»Ach, Herr Graf!« jammerte er: »es ist ja nicht zu glauben, daß ein Christenmensch so schlecht, so sündhaft handeln kann – und nun gar das eigene Fleisch und Blut! der leibliche Vetter des Herrn Grafen!« –

Der Majoratsherr lachte abermals heiser auf, der alte Mann aber fuhr schweratmend fort: »Da ist er hierher gekommen, hat sich zehn Tage lang mit der Frau Gemahlin in der Stadt Hamburg einquartiert und nun mit allem Vorbedacht und aller List eine wahre Meuterei unter den Leuten angestiftet! – O, Du mein Heiland, wie sieht es bei den schlichten, braven Angerwiesern aus! Als ob der Teufel los wäre – und als ob unser guter Herr Graf die ganze Gegend ins Unglück brächte! – Verrückt wäre der Herr Graf! sagen sie, er gehöre in das Narrenhaus, und der Herr Kammerjunker Rüdiger, der sei der wahre Majoratsherr, der gehöre hierher nach Niedeck! Natürlich hat er selber ihnen das eingeblasen – ach wenn man hört, wie es die Herrschaften getrieben haben! – An den Wirtstisch haben sie sich gesetzt und sich schier auf »Du und Du« mit allem Krämervolk gestellt, – und die Frau Gräfin hat sogar Visiten bei den Spießbürgern gemacht.« –

»Frau Melanie in Angerwies Visiten gemacht?« unterbrach Willibald und schlug die Hände über dem Kopf zusammen: »diese arrogante – hochmütige Person, welche ihresgleichen wie Schmutz an den Füßen erachtet, seit es ihr glückte, einen Grafen zu freien?« –

»Die sind die schlimmsten, Herr Graf!« – nickte Kuhnert mit einer verächtlichen Handbewegung: »die schämen sich vor sich selbst, daß sie in einer bürgerlichen Wiege gelegen, namentlich wenn die Wiege in dem Hause eines solchen Glücksritters und ›Gründers‹ gestanden, wie der alte Bourlier einer ist! – Na – das ist ja seine eigene Sache! – Aber die Visiten der Frau Gräfin sind noch nicht das schlimmste, was sagen der Herr Graf wohl dazu, daß die beiden Herrschaften auf dem Kriegerball erschienen sind, – einerseits wie die Fürsten auftretend und dann doch wieder die demokratische Verbrüderung mit jedem Gevatter Schuster und Schneider – Sogar getanzt hat die Gräfin – –.« Willibald hatte den Kopf vorgestreckt, als höre er nicht recht, jetzt sank er mit schallendem Gelächter auf den Stuhl und preßte die Hände gegen die Schläfen: »Diese Posse ist ja Entree wert,« rief er mit schneidender Stimme: »bei Gott, die adelstolzen Leute haben sich das Majoratsrecht teuer erkauft und im Schweiße ihres Angesichts darum geworben! – Die Gräfin Melanie tanzt mit den Angerwieser Ackerbürgern!! Nun sollen dafür die armen Schlucker wohl auch gehörig nach ihrer Pfeife tanzen!« –

»Thuen sie schon, Herr Graf! thuen sie schon, wie die dressierten Pudel! Der Herr Kammerjunker hat sie in zehn Tagen gut abgerichtet, – so zu sagen ›auf den Mann dressiert!‹ nun fallen sie wie die Bluthunde den eigenen Herrn an! dafür hat der Herr Graf aber auch das Geld mit vollen Händen ausgestreut ...«

»So – woher hat er denn plötzlich so viel Geld? vor vier Wochen wollte er doch noch eine Anleihe machen und schrieb, das Messer säße ihm an der Kehle! Der reiche Schwiegerpapa bankrott – die unerschöpfliche Goldquelle plötzlich versiegt – hm ... sie sprudelt doch wohl wieder!«

Der Kastellan schüttelte den Kopf, das Silberhaar leuchtete durch die Dunkelheit des Stübchens.

»Dann würde er wohl nicht ein solch gewagtes Spiel spielen und Niedeck auf dem Wege des Verbrechens an sich reißen wollen!« –

»Er spielt kein gewagtes Spiel! Dazu ist mein lieber Vetter viel zu schlau! O ich durchschaue seinen Plan! Die Bürger von Angerwies säen und er erntet. – Wenn es wirklich möglich sein sollte, was Du sagst, Kuhnert – ich kann es ja nicht glauben, es wäre ja zu perfide ... so unsagbar teufelisch –«

»Es ist so, Herr Graf! bei Gott es ist so! und darum müssen der gnädige Herr morgen in aller Früh fort von hier, damit Sie der Meute aus den Zähnen kommen! Ich hab's ja auch nicht glauben wollen, aber der Apotheker hat es unserem Johann klar ins Gesicht gesagt: ›Der Antrag auf Entmündigung des Herrn Grafen sei schon bei dem Amtsgericht gestellt worden! Ganz Angerwies zeugt gegen den Herrn Grafen! und uns hier, die Dienerschaft von Niedeck, wollen sie auch bestechen, daß wir uns auf ihre Seite stellen! Gott im Himmel möge es strafen! doppelten Lohn würden wir vom Graf Rüdiger bekommen, – und darum sollten wir es doch mit der neuen Herrschaft halten, denn der jetzige Majoratsherr sei schon jetzt so gut wie ein toter Mann!‹ – Der Sprecher schlug die Hände vor das greise Gesicht und schluchzte leise auf. »Es steht schlimm, sehr schlimm, lieber gnädiger Herr, – der Doktor unten aus der Stadt ist zum Sachverständigen vorgeschlagen – und wir wissen es ja, daß der Quacksalber Ihnen nicht grün gesonnen ist!« –

Willibald schritt wieder mit heftigen Schritten in dem kleinen Raum auf und nieder! Sein Atem ging keuchend, seine Hände bebten.

»Und Du glaubst, daß dies Gerücht wirklich Wahrheit ist, Kuhnert?« –

»Ich beschwöre es, Herr Graf.« –

»Was sollte mir aber eine Abreise nützen? das, was sie an mir verrückt nennen, ist bekannt und wird von meinen Widersachern bestätigt werden!«

»Gewiß, Herr Graf, – das, was man ›verrückt‹ nennt! Aber da es nicht verrückt ist, muß es vor allen Dingen gerechtfertigt werden! Hier aber in der Gegend ist kein Verlaß auf die Menschen, – ich bin mißtrauisch geworden und traue dem Herrn Kammerjunker gar weitgehende Vorbereitungen zu! Also fort von hier, Herr Graf! in die Residenz, wo Sie den Schutz des Herzogs anrufen und den besten Rechtsanwalt nehmen können! wenn dann die Herren Sachverständigen hier antreten, ist das Nest ausgeflogen! Ich packe den Koffer und morgen früh fahren wir. – Darf ich mir den Schlüssel zur Schränkekammer holen? Er hängt noch in dem alten Salon.«

»Was willst Du dort?« –

»Reisecivil holen.« –

»Ich habe ja meinen Pelz hier!« –

Kuhnert schüttelte energisch den Kopf: »Der Teufelspelz muß jetzt ausgespielt haben, Herr Graf! Der hat auch zu dem Geschwätz beigetragen.« –

»Aber Encke verlangt doch, daß ich ihn tragen –«

»Mit Respekt zu sagen, Herr Graf – der Schäfer meint es wohl ganz gut und will Ew. Gnaden vor Gicht bewahren, aber er vergißt, daß ein vornehmer Herr nicht wie seinesgleichen herumlaufen kann! Auch die Armbewegungen beim Gehen müssen der Herr Graf jetzt einstellen, – das sieht auch ganz vertrackt aus, und wer nicht weiß, daß es Vorschrift ist, denkt sich alles mögliche dabei. – In der Residenz müssen der Herr Graf all diese Dinge beiseite lassen und wie jeder andere Mensch auftreten, sonst erhält man dort auch eine falsche Meinung! – Darf ich unterthänigst fragen, ob alles zur Reise vorbereitet werden darf? Der Herr Graf können sich auf mich verlassen.«

Willibald suchte in der Dunkelheit die Hand des alten Mannes und drückte sie voll zitternder Bewegung. »Thue es, Kuhnert, ordne alles an, ich füge mich Dir in allen Stücken. Du und Johann sollt mich begleiten!« –

»Befehl, Herr Graf!« nickte der Kastellan und wieder klang leises Schluchzen durch seine Stimme: »Der liebe Gott wird uns helfen! Den wollen wir vor allen Dingen mitnehmen, dann kann alles Teufelswerk nicht aufkommen. Befehlen der gnädige Herr Licht?« –

»Nein, Kuhnert. Der Mond geht auf, ich sitze gern noch ein Weilchen in seinem Glanz am Fenster.« –

»Befehl, Herr Graf!« –

»Stört mich nicht, laßt mich ein Weilchen allein.«

»Sehr wohl, Euer Gnaden.« –

Die leisen, müden, schlurrenden Schritte verklangen hinter der Thüre, und Graf Willibald sank auf den Stuhl nieder, legte die Arme auf das Fensterbrett und drückte das Antlitz darauf nieder.

Ein Schüttern und Beben ging durch seine Gestalt, wie wenn die Verzweiflung einen Menschen mit rauhen Händen packt und schüttelt. Ins Irrenhaus!

Dieser Anschlag krönte alles Elend, welches ihn, den Einsamen, Unglücklichen je heimsuchte! –

Eine Pistolenkugel – ein Giftpulver würde all dem trostlosen Leben ein wohlthuendes Ende bereitet und den Majoratsherrn von Niedeck von seinem Dasein erlöst haben, welches jeder Freude und jeden Glückes bar war. Aber ein Irrenhaus! Mit gesundem Verstand zeitlebens eingekerkert sein, verurteilt zu dem schwersten, unerträglichsten Los, welches je eine Menschenseele gemordet, – gefangen, ausgeschlossen – des eigenen Willens, der goldenen Freiheit beraubt, fürchterlich gestraft wie der schwerste Verbrecher –! Dieser Gedanke trieb dem verlassenen Mann den Angstschweiß des Entsetzens auf die Stirn. War es auszudenken, zu glauben?

Warum nicht?! –

Stehen die Zeitungen nicht voll der grausigsten Dinge, wie das fin de siècle die Irrenanstalten mißbrauchen läßt?

Ein Prozeß um den andern erzählt von den ungeheuerlichsten Dingen, welche sich hinter den Mauern der Nervenheilanstalt abspielen sollen, – berichtet von mehr wie einer Familientragödie, welche sich im Narrenhaus abspielt, – warum sollte Vetter Rüdiger, welcher sich nie scheute, das Leben des unglücklichen, verwaisten Knaben und Jünglings zu vergiften – davor zurückschrecken, den unbequemen Erbherrn aus diese bequeme Weise aus dem Wege zu räumen? –

Er selber wäscht ja seine Hände in Unschuld! Er folgt nur dem Drängen anderer, befehligt nur die Meute, welche das Wild in den Abgrund jagt! –

Ein dumpfer Schrei der Qual – der leidenschaftlichsten Erbitterung bricht über Willibalds Lippen. Er hebt das blasse Antlitz und starrt wie in verzweifelter Anklage zum Himmel. Mild und friedlich flutet silbernes Licht über sein Haupt.

Durch die nächtlich dunklen Wolken blickt der Mond wie ein Angesicht, welches voll tröstender, unendlich treuer Liebe auf ihn herab blickt, weich, wie zärtliche Mutterhände streicht der Windhauch durch das Fenster und kühlt seine Stirn.

Nein, er ist noch nicht vergessen da oben! –

Es giebt einen gerechten, wahrhaftigen Gott, welcher die Seinen nicht verkommen läßt, welcher auch den Verlassensten und Verlorensten ein Glück beschieden hat, – nur die Wege, darauf man es erreicht, sind verschieden und führen gar wundersam durch Nacht zum Licht. –

Thränen treten in die Augen Willibalds. Tiefaufseufzend lehnt er sich zurück in den Sessel und starrt voll wehmütigen Sinnens hinaus in die stille Mondnacht.

Morgen soll er scheiden von hier, – wer weiß, ob er wiederkehrt. –

Abermals führt ihn das Schicksal in die Residenz, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, die verhaßte Stadt nie mehr zu betreten.

Er denkt zurück an die Jahre, welche er dort verlebt. –

Entsetzliche Jahre! Jahre voll bittersten Herzeleids, voll Heimweh und geheimer Qual.

Er entsinnt sich noch jeder Stunde, welche Rüdiger ihm vergellt. Er wird nie den Augenblick vergessen, wo der schöne, schlanke Knabe zuerst vor ihm stand und in ein herzloses Gelächter ausbrach: »Was, dieser Nußknacker ist Vetter Willibald? Na, das sage ich dir, du kleiner Wispelmann, mit dir zeige ich mich nicht auf der Straße, sonst bellen uns die Hunde an!«

Da erfuhr das verwaiste Kind zum ersten Male voll roher Deutlichkeit, daß es häßlich sei. –

Häßlich! – O du furchtbarste aller Heimsuchungen! Häßlich sein an der Seite eines hübschen, allgemein verhätschelten und bewunderten Knaben! Häßlich sein! in einem Hause, wo man die Häßlichkeit wie ein Verbrechen erachtete, wo man das Häßliche gemein und plebejisch nannte, es verspottete und verachtete! –

Welch eine Kette unausgesetzter Kränkungen war sein Leben! wie blutete sein feinfühliges und empfindsames Herz unter solcher Grausamkeit!

Er lernte schwer, während Rüdiger spielend auffaßte und behielt.

Willibalds kränklicher Körper konnte nicht Schritt halten mit den geistigen Anforderungen, welche man stellte, und wenn man ihn in der Pflege während verschiedener Krankheiten auch nicht direkt vernachlässigte, so gab man sich doch auch nicht sonderliche Mühe, den Majoratsherrn, dessen Existenz den eigenen Sohn zum Bettler machte, am Leben zu erhalten.

Aber das schwache Leben rang sich dennoch durch all die schweren körperlichen und geistigen Krisen hindurch, gleichsam zum Hohn für den schönen, kraftstrotzenden Vetter, welcher neben dem kümmerlichen, häßlichen Erbherrn von Niedeck dennoch zusammenschrumpfte, wie der Schatten vor der Sonne!

Ja, das Majorat! das beneidete ihm Rüdiger schon als Kind! Er war klug und egoistisch genug, um schon als Knabe den Wert des Geldes und den guten Klang eines Titels zu ermessen und zu begehren. Er haßte den Glücklichen, welchem das Schicksal Reichtum und Stellung schon in die Wiege gelegt, und damals reifte wohl schon der Plan in ihm, auf irgend eine Weise den Unbequemen zu entfernen.

Mit der rohen Kraft der Faust durfte er es nicht mehr wagen, seit er einmal bei einem Streit um ein Spiel den schwachen Willibald beinahe zu Tode gewürgt. Der Erzieher sprang noch rechtzeitig zu Hilfe, und wich seit jener Zeit nicht mehr von der Seite des Knaben. Seine Sympathien hatten stets dem armen, gequälten Erben gegolten, während sich Rüdiger durch sein herrisches, heimtückisches Wesen im ganzen Hause unliebsam machte.

Auch Rüdigers Vater trat zum ersten Male mit der vollen Strenge und Energie gegen den Sohn auf, als er von dem Vorkommnis Meldung erhielt. Man trennte die feindlichen Vettern und schickte Willibald auf eine Ritterakademie. Dort hätte er wohl ein erträgliches Leben führen können, wenn ihn nicht die vielen Kränkungen, welche er im Hause des Oheims erduldet, schon scheu und verbittert gemacht hätten.

Dazu kam, daß Rüdigers bester Freund aus der Residenz sein Zimmergenosse ward und die Quälereien fortsetzte, welche jener begonnen; er verdarb ihm von vornherein die Stellung bei den anderen Schülern, und Willibald zog sich immer menschenfeindlicher von jedem freundschaftlichen Verkehr zurück. Nach seiner Konfirmation weilte er kurze Zeit zum Besuch bei dem Onkel, – verlebte unerträgliche Wochen, in denen er abermals zur Zielscheibe allen Spottes wurde. Je mehr die Knaben heranwuchsen, desto greller trat der Unterschied zwischen ihnen zu Tage, und je älter Willibald ward, desto bitterer empfand er es, häßlich, linkisch und geistig unbedeutend zu sein. Sein scheues, gedrücktes, menschenfeindliches Wesen stach seltsam ab, gegen die sichere, elegante Gewandtheit des weltmännischen Rüdigers, welcher vielleicht viel weniger gelernt hatte wie der Vetter, aber voll schlagfertiger Unverfrorenheit mit den spärlichen Kenntnissen brillierte, daß dieselben, unterstützt von seinem einnehmenden Äußeren, alle Welt bewunderte. Je mehr aber Rüdiger sich voll schadenfroher Spottsucht bemühte, den Erbherrn von Niedeck in den Schatten zu stellen und in den Augen der Leute lächerlich zu machen, desto freiwilliger zog sich Willibald von allem Verkehr zurück.

Auf Befehl des Onkels besuchte er die Tanzstunde. Zum ersten Male im Leben schlug sein Herz höher auf bei dem Anblick eines engelhaft schönen, reizenden Mädchens, dessen Goldhaar ihn wie mit süßem, magischem Zauberlicht blendete. Sie war auch freundlich und gütig zu ihm, sie legte sogar ihre Hand lächelnd in die seine, um mit ihm zu tanzen.

Wie ein Rausch der Wonne, des leidenschaftlichsten Entzückens überkam es Willibald.

Er, der so bettelarm an jedem Glücksempfinden war, schien wie betäubt von so viel Unerwartetem, doppelt tief, doppelt gewaltig und glühend zog die erste, junge Liebe in sein Herz.

Zur fünften Tanzstunde erschien Rüdiger, welcher bis dahin krank gelegen.

Sein Eintritt in den Tanzsaal machte allem Glück ein Ende. Mit schnellem Umblick war er orientiert. Er empfand es als ein besonderes Gaudium, dem »Wispelmann« die Flamme abspenstig zu machen. Und es gelang ihm. Welch ein Mädchen wäre unempfindlich, wenn seine Eitelkeit gereizt wird! Welch ein Backfischchen macht sich durch einen Verehrer lächerlich, über welchen alle Andern glossieren?

Mit der schonungslosen Grausamkeit der Kindernatur schwebte das blonde Elfchen in Rüdigers Armen dahin, – direkt in das feindliche Lager hinein.

Auf dem Heimweg aber erzählte der Sieger voll harmloser Fröhlichkeit: »Die Thea ist ein zu famoser Balg! brillante Witze macht sie, – allen Leuten giebt sie Spitznamen! Weißt Du, wie sie Dich nennt, Willibald? – »Das goldene Kalb«, brillant, – was? bei Deinem vielen Geld!!«

Der Erbe von Niedeck krampfte schweigend die Hand über dem Herzen, welches in wildem, namenlosem Weh verblutete.

Was er in jener Nacht erlitten, beschreibt keines Menschen Mund, – als aber die Sonne sein bleiches, finsteres, schmerzzerrissenes Antlitz traf, da las sie einen starren Entschluß darin, – Willibald von Niedeck wird sich nie im Leben wieder zum Spott eines Mädchenmundes machen! Diese Nacht hatte den Weiberhasser geboren. Und nicht allein sie haßte er, – nein, auch für Rüdiger wuchs der Funken des Hasses zur Flamme an. – Alles, was er ihm zuvor angethan, war ein Nichts gegen den Mord an seiner jungen Liebe, der einzigen Rose, welche sein dornenreiches Leben getragen.

Die Studienzeit trennte die Vettern abermals und Willibald fand Gründe, das Haus des Vormundes zu meiden.

Erst seine Mündigsprechung zwang ihn zu einem Besuch in demselben.

Wie umgewandelt erschien ihm Rüdiger plötzlich. Innig, freundschaftlich, gewaltsam intim.

Der Pessimist von Niedeck war aber nicht leicht zu täuschen. Der Haß lebte zu frisch und gewaltsam in ihm, um durch ein paar gleißnerische Worte in Freundschaft verwandelt zu werden. Er durchschaute den Vetter nur zu bald.

Eine neue Intrigue sollte dem Majoratsherrn das Majorat entziehen.

Gab es nicht eine Erbschaftsklausel, welche sechzehn Ahnen von der künftigen Schloßfrau von Niedeck verlangt?

Dieses sollte ausgenutzt werden.

Thea besaß keine sechzehn Ahnen, – heiratete sie Willibald, ward Rüdiger Erbe.

Und diesen Plan verfolgte er ebenso schlau wie hartnäckig. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. So oft er auch eine Begegnung zwischen beiden herbeiführte, und so bezaubernd wie Thea dem auch ohne Majorat schwer reichen – Grafen zulächelte, es prallte wirkungslos an dem starren, geistlosen Blick ab, mit welchem der Erbherr die reizende Jugendliebe musterte. Als Rüdiger endlich deutlich ward und von der tiefen Neigung der armen Thea sprach, welche sehnsuchtsvoll auf die Erklärung harre, – da flammte es in den soviel bespöttelten »Glotzaugen« des »Wispelmännchens« wunderbar geistreich und ironisch auf, und er sprach: »Ei die kleine Thea ist doch eine gute Christin, und will trotzdem Götzendienerin werden und um das ›goldene Kalb‹ tanzen?!«

Rüdiger biß sich auf die Lippen. Zum ersten Male im Leben hatte er sich selber die Grube gegraben. Er änderte seine Maxime. Wollte Willibald nicht nach seinen Wünschen heiraten, nun so durfte er sich überhaupt nicht vermählen.

Bei seiner schwachen Gesundheit ward er wohl nicht allzu alt und Rüdiger mußte ihn alsdann beerben, denn er war der einzige Niedeck, falls der Majoratsherr ohne Erben starb. Er überwachte die beiden einzigen jungen Damen der Residenz, welche sechzehn Ahnen aufweisen konnten, mit Argusaugen, bereit, eine Verlobung auf jeden Fall zu verhindern. Die jüngere und hübschere hätte er selber wohl gefreit, wäre Vermögen vorhanden gewesen, – so begnügte er sich, sie so schnell wie möglich mit einem anderen guten Freund, welcher ihm den Liebesdienst erweisen konnte, zu verloben.

Bei der anderen konspirierte er in anderer Weise gegen den Vetter, bis ihm der Zufall zu Hilfe kam und die junge Dame von selber das Feld räumte, sie stürzte bei einer Wagenfahrt so unglücklich, daß sie die Hüfte brach und nun elend und verkrüppelt im Rollstuhl saß.

Rüdiger triumphierte!

Nun war eine vorschriftsmäßige Partie für Willibald ausgeschlossen und er sein unbestrittener Erbe, – er oder sein ältester Sohn.

Diese Zuversicht machte ihn übermütig. Er lebte auf die künftige Erbschaft hin in Saus und Braus und machte Schulden, soviel es ihm beliebte.

Aber der größte Kredit kann schließlich lahm gelegt werden. Jahre vergingen, und der Majoratsherr lebte rüstig und immer gesünder werdend, auf seinem Schloß.

Die Gläubiger drängten.

Rüdiger borgte den kleinen Vetter an und erhielt thatsächlich Hülfe, da Willibald ein viel zu vornehm und ideal denkender Mann war, um den Namen Niedeck einem Skandal preis zu geben. Er kam nicht dem verhaßten Vetter, sondern lediglich dem bedrohten Klang seines guten Namens zu Hülfe.

Allerdings erklärte er, daß in Zukunft keinerlei Aushülfe mehr von ihm zu erwarten sei. Rüdiger glaubte nicht daran, sondern hoffte grade durch diesen so ängstlich gehüteten Namen einen dauernden Zwang auf den Majoratsherrn ausüben zu können.

Er irrte sich.

Willibald zeigte sich bei abermaligen Ansprüchen unerbittlich und Rüdiger ballte voll ohnmächtiger Wut die Hände gegen den blödsinnigen Kerl auf den Millionensäcken!

Seine Gläubiger drängten mehr denn je, es galt Stellung und Existenz für ihn!

Da half ihm sein unverwüstliches Glück abermals.

Er heiratete als Referendar eine der reichsten Erbinnen des Landes, die Tochter eines Großindustriellen, welcher durch gewagte Spekulationen ein außerordentliches Vermögen erworben hatte. Rüdigers Leichtsinn war aber noch größer wie die fabelhafte Zulage, welche ihm sein Schwiegerpapa gab. Das junge Paar lebte in fürstlichem Luxus, welcher geradezu in Verschwendung ausartete, als der erste Sohn – der Erbe des Majorats, geboren ward.

Nun war ja jeder Zweifel gehoben, wer einst Besitzer von Niedeck sein würde!

Ein zweiter Sohn folgte und sicherte die Erbfolge, – Graf Rüdiger und Frau Melanie aber hielten ihre Goldquellen nun für so unerschöpflich, daß sie jeden, selbst den kostspieligsten Passionen die Zügel schießen ließen.

Etliche Jahre lang strahlte dieses wolkenlose Glück, – dann kam der deutsch-französische Krieg und nach ihm die selig-unselige Gründerzeit!

Auch Rüdigers Schwiegervater ließ sich auf das »Gründen« ein. Er spekulierte gewagter wie je, und das Glücksrad sprang herum und rollte dem Abhang zu.

Erst wurden die fürstlichen Zulagen eingeschränkt, dann schrumpften sie bis auf das äußerste zusammen.

Rüdiger tobte und Gräfin Melanie bekam Nervenkrämpfe, aber beides konnte dem Ruin des Spekulanten keinen Einhalt thun.

Noch einmal wandte sich der Kammerjunker an den Vetter.

Er erhielt den Brief zerrissen zurück.

Und da mochte wohl Haß und Verzweiflung einen Plan in ihm gereift haben, dessen ungeheuerliche Ausführung soeben von Kuhnert berichtet worden war.

Noch war der Bankrott des Kommerzienrates kein offizieller, noch galt Rüdiger in der Residenz für den Besitzer von Millionen, – Willibald allein wußte durch den brieflichen Bericht des Vetters, wie die Dinge lagen.

Der Kammerjunker aber schien die kostbaren Tage, da die Welt ihn noch für reich hielt, benutzen zu wollen, um sich auf Kosten des Majoratsherrn vor dem Untergange zu retten.

Ihn, den Besitzer eines fabelhaften Vermögens, hielt kein Mensch für fähig, aus persönlicher Geldgier nach dem Majorat des Vetters zu trachten.

Er handelte einzig auf Drängen und Bitten der Bürger von Angerwies, welche das Treiben des Geisteskranken nicht länger mehr mit ansehen konnten.

Nun war Rüdiger als Vater des Erben gradezu verpflichtet, für das bedrohte Besitztum einzutreten.

Dieser Plan war so fein und raffiniert ersonnen, daß er seinem Meister Ehre machte. Graf Willibald hob das vergrämte Antlitz und sein Blick schweifte hinauf zu dem mondhellen Nachthimmel. Er preßte die Hände krampfhaft zusammen. Ja, der Plan ist schlau und klug erdacht, droben aber wacht einer über die Schicksale der Menschen, der kann auch den meisterlichsten Anschlag zu nichte machen und die Hände über ein gehetztes Wild breiten. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken –!


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