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Die Glockenblume.

Schweigend weiter ritt das Fräulein,
Gudula, viel zu bescheiden,
Um durch allzukeckes Fragen
Eine Lösung auszufinden,
Schritt gesenkten Haupts zur Seite,
Ueberdenkend das Erlebte.
Wäre ja kein Weib gewesen,
Hätte sie nicht regen Geistes
Den Zusammenhang geahnet
Und in tausend kühnen Bildern
Die Vermuthung ausgesponnen.
Ja, sie lächelte, die Kleine,
Und sie dachte tief im Herzen:
»Wunderlich sind oft die Wege,
Dornenvoll und viel verschlungen,
D'rauf die süße Minne wandelt,
Und mir deucht' es, diesen Beiden
Hat sie schweren Gang beschieden,
Müssen Beide erst sich müde
Laufen, hin und her im Zweifel,
In der Dunkelheit und Wildniß,
Bis die starren, trotz'gen Ecken
Ihrer Herzen abgeschliffen,
Bis der spröde stolz gebrochen,
Und die Augen sehend werden,
All' ihr Glück erst zu begreifen!«
Und sie nickte zuversichtlich
Mit dem schlanken, klugen Köpfchen,
Lächelt schalkhaft, tief in Sinnen,
Und sie hebt in stummer Frage
Ihren Blick zum klaren Himmel,
Wo ein einzeln weißes Wölklein
Durch den blauen Aether schwebet,
Wo in schnellem Zickzackfluge
Schwalbenschwingen silbern blitzen,
Und sie denkt an jenes Kräutlein
Wohlverleih und seinen Zauber,
Der doch ganz gewiß nicht trüget.
Nein, sie bangt nicht um das Schicksal
Dieser beiden Menschenkinder,
Denn auf Regen folgt die Sonne:

»Es muß ein Sturmwind sausen
Daher in stiller Nacht,
Eh' unter weißen Flocken
Der junge Keim erwacht.
Er muß mit wildem Klingen
Aufthau'n den Eisesbann,
Eh' Blumenknospen springen,
Eh's Frühling werden kann!
Er muß die Ketten brechen,
Darin die Erde lag,
Eh' an die Brust des Lenzes
Sie jauchzend sinken mag!
Es muß ein Sturmwind wehen
Hin durch die Menschenbrust,
Eh' ganz sie kann verstehen
Der Liebe Leid und Lust!«

*

Auf dem moos'gen Stamm im Walde
Welch' ein frohbewegtes Leben,
Welch' ein Fragen, welch' ein Forschen,
Welch' ein selig Antwortgeben!
Eifrig in die kleinen Hände
Sammelt Gudula die Pracht
Jener Dombaupergamente,
Die Gerhardus' Geist erdacht,
Und wie durch die Finger gleiten
Immer neue Wunderstreifen,
Kann des Waldkinds Sinn die Fülle
Solcher Schönheit kaum begreifen,
Oft auch bietet sich den Blicken
Nur ein Plan mit graden Strichen,
Kreuz und quer ist er durchzogen
Von viel Schnörkeln, wunderlichen,
Und da giebt es viel zu fragen,
Viel zu staunen und zu merken.
Wunderdinge muß sie hören
Von gewalt'gen Meisterwerken;
Und das Blatt empor dann hebend
Und gewandt zum Sonnenlichte,
Spricht der Mönch mit heißem Auge
Und glückstrahlendem Gesichte:
»Kannst Du, liebes Dirnlein, schauen,
Welche Form dem Plan gegeben?
Wie ein Kreuz gestaltet, soll sich
Meine Kirche einst erheben,
Und so ist es schon mein Träumen
Seit den frühsten Jugendjahren,
Als mein Vater in Geschäften
Weit mit mir ins Land gefahren.
Sind bis Welschland gar gekommen
Auf den mühevollen Reisen,
Rasteten auch einst zwei Tage
In der Stadt, Amiens geheißen.
Alle sonst'ge Schönheit missend,
Wandert' ich unzähl'ge Male
Zu der hohen, wundervollen
Steingebauten Kathedrale,
Stand versunken ganz in Schauen,
Solche Hoheit zu erfassen.
Niemals hat das Angedenken
Jenes Bau's mich mehr verlassen,
War ein Kind noch, sechzehn Jahre
Mochte ich wohl damals zählen,
Dennoch wußte Geist und Auge
Sich beim Anblick zu vermählen,
Und ich dachte oft im Herzen:
Die zum Lob des Christenthumes
Tempel Ihr und Münster bauet,
Ach, gedenket doch des Ruhmes
Und des Zeichens unsres Glaubens!
Auf dem Kreuz ruht jeglich Leben,
Darum laßt auch aus dem Kreuze
Euer Heiligthum sich heben!
Und so hab' ich diesem Plane
Manch' Erinnern einverwebet,
Wie das Bild mir jenes Münsters
Zu Amiens vor Augen schwebet,
Aber meine Grundgedanken
Hab' ich treulich beibehalten,
Aus dem Kreuz will ich dem Kreuze
Seinen schönsten Sieg gestalten!«
Gudula hat ihn verstanden,
Jede Antwort thut's bekunden,
Eifrig lauscht sie, – es entfliehen
Pfeilgeschwind die MorgenStunden.
»Und wie steht es mit dem Chore?
Wolltest ja die Zeichnung bringen.«
Traurig senkt der Mönch das Antlitz:
»Dieser Chor will nicht gelingen,
Habe ihn bis jetzt gehalten
Ganz nach dem Amiens'er Stile,
Doch gefällt's mir nicht. Statt näher,
Komm' ich weiter stets vom Ziele.
Möchte ihn so gerne wölben
Aller steifen Kunst zum Hohne;
In dem Schöpfungsbuche selber
Forsch' ich nach des Werkes Krone,
So wie Gott am Dom des Himmels
Formte Sterne, Mond und Sonnen,
Also möcht' ich meine Weisheit
Schöpfen aus des Urquells Bronnen!«
Und mit abgewandtem Haupte
Reicht er seufzend ihr die Streifen
Der Entwürfe. – Sorgsam forschend
Ihre Blicke drüber schweifen,
Lang und schweigend, – wie auch kann sie
Lob ihm oder Tadel sprechen?
Dann neigt sie sich hin zum Moose,
Eine Blume draus zu brechen,
Eine blaue Glockenblume,
Schlank und zierlich, zart geneiget,
Hebt empor sie, schaut sie sinnend,
Prüfend an und sinnt und schweiget.
»Was beginnst Du?« fragt Gerhardus,
Blickt auf Hand und Blume nieder,
»Suchest Du zu meinem Troste
Süße, blüthenduftge Lieder?«
»Nein«, spricht lächelnd sie entgegen,
»Bei dem Anblick dieses schlanken
Wunderholden Blumenkelches
Kamen plötzlich mir Gedanken,
Kindlich unverständ'ge Träume,
Wie oft Mädchen denken, dichten;
Aber, willst Du sie vergeben,
Will ich gern sie Dir berichten.«
»Rede, Dirnlein!« ruft er eifrig,
Und bestrahlt vom Sonnenlichte,
Blickt er nieder zu dem holden
Engelsfrommen Angesichte.
»Sieh« – sagt Gudula mit leisen,
Seelenvollen Flüsterlauten,
»Hab' geglaubt, die Hände Gottes
Formten stets die schönsten Bauten,
Wenn auch nicht aus Stein gefüget,
Hohe, stolze Kathedrale,
So doch manchen kleinen Tempel
Tief im Wald, im Feld, im Thale!
Hat daselbst die edlen Muster
Ganz verborgen uns gewiesen,
Läßt die wundervollste Rundung
Achtlos Dir zu Füßen sprießen;
Kann wohl Menschenkunst je formen
Solch' ein Bildwerk, lichtdurchflossen?
Ach, in welcher Werkstatt wurde
Solch' ein Glöcklein je gegossen!
Blind, verständnißlos durchstürmet
Wohl die Menge Flur und Auen,
Doch Euch Künstlern gab die Gottheit
Augen, seine Kunst zu schauen;
Gab Euch die lebend'ge Seele,
Seine Werke zu begreifen,
Gab das Vorbild, Euer Streben
Groß und prachtvoll dran zu reifen.
Sieh, Gerhardus, diese Blume:
Weitgeschweifte Kirchenbogen,
Gleich den marmorkant'gen Stützen
Von den Adern scharf durchzogen!
Kannst Du bessre Wölbung schauen?
Dehne sie zu stolzen Hallen,
Laß Dein Netz von Ornamenten
Nach Geschmack darüber fallen!
Aendre, feile, such' die Formen
Deinem Chore anzupassen,
Nach der kleinen Glockenblume
Thürme Deine Riesenmassen!
Sieh, Du lächelst! – Meine Weisheit
Kommt so jämmerlich zu Falle?
Ach, wie hoffnungslos versinket
Glockenblum' und Münsterhalle!«
Und sie lachet hell und schelmisch,
Reicht ihm schnell die Hand entgegen,
Dankerfüllet muß die seine
Gerhard auf ihr Köpfchen legen.
»Gudula!« – ruft er entzücket,
»Möge Gott es mir bescheren,
Oft und selig noch zu lauschen
Deinen holden Baukunstlehren!
Seine Wunderschriften schenkte
Gott den stillen Wiesengründen,
Und er sandte einen Engel,
Mir den Inhalt zu verkünden;
Nicht so werthlos, als Du glaubest,
Waren, Dirnchen, Deine Sätze,
Jene Glockenblume birgt mir
Neue, wundervolle Schätze!
Schenk' sie mir, in stiller Klause
Sie zum Vorbild zu erküren
Einem Meisterwerk, denn in ihr
Werd' ich Deine Nähe spüren,
Und was mir trotz heißen Strebens
Wollt' bis jetzt noch nicht gelingen,
Deingedenken und Begeist'rung
Muß es zur Vollendung bringen!«
Gudula blickt in sein Auge,
In das blaue, räthseltiefe,
Und ihr ist es, als ob heimlich
Eine Stimme in ihr riefe:
»Falte, falte Deine Hände,
Denn Du stehst vor einem frommen
Manne, über dessen Seele
Reich der Geist des Herrn gekommen!«
Und im Laube geht ein Flüstern
Wie von süßen Engelszungen,
Welche über Gerhards Haupte
Ein Haleluja gesungen.
Beide schweigen, beide schauen
Träumend nach dem Himmelsbogen,
Ueber dessen Horizonte
Heiße Purpurgluthen wogen,
Beide fühlen tief im Herzen,
Daß das vollste Glück hinieden
Ihre Stirne segnend küsset
In geheiligt reinem Frieden.
Bald ist Gerhard drauf geschieden,
Hat die Hand ihr still gedrücket,
Hat das schwarze Priesterkleid sich
Mit dem Blumenstrauß geschmücket,
Mit den blauen Glockenblumen,
Die ihm Gudula gegeben,
Die, wie leis in Fieberschauern,
Zwischen seinen Fingern beben.
Lange steht und schaut das Waldkind,
Bis er fern im Holz verschwunden,
Und sie hat für ihr Empfinden
Schnell im Lied das Wort gefunden:

»Oft schon hab' ich mich gefraget,
Welch' ein Zauber hält mich fest,
Der mich stets und aller Orten
Seine Stimme hören läßt?
Hat mich niemals doch im Leben
Stille Andacht so entzückt,
Wie mich jetzo seiner Rede
Ernster Zauberklang beglückt!
Ach, mir deucht wie Glockenläuten,
Chorgesang die Rede sein,
Meine Hände muß ich falten,
Und ins Herz zieht Frieden ein!«


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