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XXVII.

Klaus erzählte mit fliegenden Worten die Geschehnisse auf Catania – wie er suchend durch Italien geirrt sei, die einsam trauernde Palme zu finden, wie er schließlich auch nach Sizilien kam und jählings in das Antlitz seiner Dolorosa sah.

Er schilderte Charitas, wie sie, von dem Briefkasten zurückkehrend, an ihm vorbeigeeilt sei; weinend, vergehend in Schmerz und Gram, wie er noch nie ein Antlitz geschaut.

»Welch ein Tag war es?« fragte Josef mit wildschlagendem Herzen, und sein Stiefbruder wußte sich genau des Datums zu erinnern. Es war jener unglückliche Tag, an welchem Charitas ihm geantwortet hatte, und jener Brief war an ihn gerichtet.

Klaus aber fuhr arglos fort voll ehrlicher Selbstanklage zu erzählen, wie seine Passion ihn fortgerissen habe, heimlich das schöne Mädchenantlitz zu malen, wie er sich Charitas näherte, wie alles kam. Auch von seinen Herzenskämpfen erzählte er voll rückhaltloser Offenheit, wie er sein tiefes Mitgefühl anfänglich für Liebe gehalten, sich bald aber klar geworden sei, daß er niemals das für Charitas empfinden könne, was ihm der Inbegriff alles bräutlichen Glückes dünke! Und dann sprach er immer aufgeregter, erzählte von der entsetzlichen Scene im Garten, welche er einzig und allein durch sein heimliches Porträtieren verschuldet, wie ihm Zorn, Schuldbewußtsein und leidenschaftliche Erregung jene unglückselige Werbung vor den Stiefeltern abgerungen habe. Was er in der Übereilung gesprochen, sei für ihn zur Verpflichtung geworden! Er schilderte darauf seine Unterredung mit Charitas, während welcher er seinen Antrag wiederholte und sehr fest und entschieden von ihr zurückgewiesen worden sei; dennoch habe er sich dadurch nicht entlastet gefühlt, denn um seinetwillen habe sie das Haus der Pflegeeltern, welches für sie zur Hölle geworden, verlassen müssen. Und dieser Vorwurf quäle ihn auch jetzt noch. Gott im Himmel sei sein Zeuge, daß er die ehrliche Absicht gehabt habe, Charitas zu heiraten, daß er es sich nicht allzu schwer vorgestellt habe, solch ein schönes, engelhaft gutes Wesen mit der Zeit dennoch lieb zu gewinnen, wenngleich alles in ihrem Wesen ihn fremd berühre und seiner ureigentlichen Natur zuwider sei! Da sei er hierher gekommen, er sei als Freier Charitas' über die Schwelle getreten, und plötzlich hätten zwei weiche, warme Mädchenarme seinen Nacken umschlungen, und ein Gesichtchen habe an seiner Brust geruht!

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Klaus schlug beide Hände vor das Antlitz; wie ein Schluchzen und Jauchzen zugleich ging es durch seine Stimme. Josef aber hob atemlos lauschend das Haupt; seine Hände, welche sich während der Schilderung der Gartenscene zitternd gekrampft hatten, lösten sich und lagen wie zum Gebet gefaltet ineinander.

»Rothtraut?«

Klaus nickte. »Rothtraut! Dieser eine, kurze Augenblick hatte mein Schicksal besiegelt. Sie rief mich beim Namen, ihre übergroße Bestürzung und ihr Schreck wurden zu Verrätern ihres Herzens. Sie liebt mich! Gestern ahnte ich es, heute weiß ich es. Und ich weiß auch, daß ich sie liebe, namenlos, himmelstürmend, vergehend, in jauchzender Wonne, so wie ich mir die Liebe gedacht, welche mich zu eines Weibes Sklaven macht! Gestern gab ich mich rückhaltlos dem holden Zauber hin, heute nacht kamen schon die Skrupel, Rothtrauts sonniges Lächeln scheuchte sie wieder – bis – ja, bis es mich plötzlich wie Verzweiflung packte! Kann ich mit dieser Liebe im Herzen um Charitas werben? Kann ich, darf ich sie und mich betrügen, unser ganzes Lebensglück opfern, nur damit ein heimatloses Mädchen vor Not und Entbehrung geschützt ist? Welch eine Schuld ist da größer, die, drei Menschen durch eine große Lüge unglücklich zu machen, oder die, seiner Verpflichtung nicht in dem Sinne nachzukommen, wie es einem Ehrenmann recht dünkt? – Ich weiß es nicht, Josef, ich finde mich nicht mehr zurecht in diesem Wirrnis; denke du für mich, frag du dein gesundes Herz und deinen rechtlichen Sinn, was ich thun muß, und wahrlich, ich will mich deinem Richterspruch fügen!«

Der Sprecher war auf einen Stuhl vor dem Tisch niedergesunken und drückte das Antlitz auf die gekreuzten Arme. Josef aber stand auf, umschlang ihn und hielt ihn mit starken Armen an seinem Herzen.

»Ich danke dir für deine Offenheit, Bruder!« sagte er mit einer Stimme, welche wunderlich fremd klang. »Gott segne dich dafür! Alles wird gut werden, das verspreche ich dir; fürerst aber laß mich rechte Wege finden und mit meinen Gedanken allein sein!«

Er umfaßte seine Hände mit festem Druck, dann schritt er elastischen Schrittes an ihm vorüber zur Thür.

Frühlingsluft quoll ihm lind und kosend entgegen, die Zeit der Stürme war vorüber. Querfeldein durch die Wiesen schritt er, den nächsten Weg nach Lichtenhagen.

Über ihm glänzten am blauen Himmel die ersten fernen Sternlein, noch matt im Wiederschein der gesunkenen Sonne verschwimmend, und in seinem Herzen hallte es von heiligen Psaltern ewiger Lenzeslust, von all jenen Auferstehungsklängen der Liebe und des Glückes, welche unter Eis und Schnee begraben lagen und welchen die Winterstürme weichen mußten.

Durch den Park schreitet er dem Gutshaus entgegen, und wie er an das kleine Eichenwäldchen kommt, bleibt er plötzlich stehen und preßt aufzuckend die Hand gegen das Herz.

Welch ein Klang!

Wie ein Traum umfängt es seine Sinne. Er sitzt wieder einsam und sehnsuchtskrank im Abendsonnengold auf den Felsen der Printanière-Alp, und plötzlich zieht es weich und weh durch die Waldeinsamkeit.

»Verlassen bin i!«

Damals starrte er müde und traurig ins Leere bei diesem Klang, heute aber leuchten seine Augen in unbeschreiblichem Entzücken, er breitet die Arme aus nach der verborgenen Sängerin und flüstert ihren Namen. –

»Verlassen bin i
wie der Stoan auf der Straßen ...«

»Nein, Charitas, du bist es nicht mehr!«

Mit hastigen Schritten eilt er den Klängen nach, ein wenig bergan, wo die ehrwürdigen, alten Eichenstämme ihre laublosen Zweige gegen den klaren Himmel abzeichnen.

Schon von weitem sieht er die schlanke Gestalt langsam an dem Saum des Wäldchens hinschreiten, hier und da stehen bleibend, den Blick über die weite einsame Ebene schweifen lassend. Sie ist allein und glaubt sich allein in stiller Dämmerstunde.

Ihre Hand trägt den dunklen Kleidersaum, das Haupt ist unbedeckt, sie ist wohl unbemerkt aus dem Gutshaus entwichen, den wehmütigen Zauber dieser Abendzeit allein zu genießen.

Trauert sie um Klaus Sterley, dessen aufflammende Liebe für Rothtraut sie bemerken mußte?

Nein, nein, tausendmal nein!

Die Nebelschleier sind vor Josefs Augen zerrissen, er sieht es nun klar und sonnenhell, wie alles so gekommen, warum ihr frommes Gemüt jene schuldlose Lüge ersonnen, welche den Priester an den Altar fesseln sollte.

Welch eine Verkettung der Geschicke! Welch ein wundersames Verlieren und Wiederfinden!

Das sind Gottes Wege. Wer auf ihnen wandelt, findet sein Ziel, und wenn sich Welten trennend dazwischendrängen!

Josef bleibt hochaufatmend stehen, um mit leuchtenden Blicken das Bild der Geliebten zu umschließen.

Keine bange, fragende Erwartung quält sein Herz, es schlägt so ruhig in großem, unendlichem Glück, wie bei einem Schiffer, welcher sich durch Sturm und Wetter gekämpft hat und nun auf spiegelnd glatter Flut seinen Kahn in den Hafen führt.

Die Geliebte ist ihm nah, er weiß, wem der sehnsuchtsvolle Blick in die Ferne gilt, – sie gehört ihm!

Und er schreitet weiter.

Das weiche Moos dämpft seinen Schritt, es ist lautlos still geworden, auch der Gesang ist verstummt.

Sie kann sein Nahen noch nicht hören, aber sie hat es geahnt, gefühlt, sie wendet jählings das Haupt, bleibt regungslos stehen und sieht ihn an.

Kein Erschrecken und verlegenes Erglühen, ein seliges Lächeln nur, ein tiefes, tiefes Aufatmen, und ein Blick, welcher ihm wie verklärt entgegenstrahlt – du mußtest ja kommen!

Mit wenigen Schritten steht er vor ihr und streckt ihr stumm, voll überwallender Empfindung die Hände entgegen. Nur seine Augen sprechen jene gewaltige, weltenbezwingende Sprache der Liebe, welche nur der Liebe verständlich ist.

Sie legt die bebenden Hände in die seinen, sie schaut zu ihm auf.

»Charitas!«

Die bleiche Mondsichel schwebt über ihnen zwischen den feinen, schleierartigen Wölkchen, welche von der Stirn der Nacht wehen, herber, harzduftiger Geruch steigt aus der moosigen Walderde empor, der süße, geheimnisvolle Odem des Lenzes, welcher seinem Blütenbanner voran zieht.

Ein Vöglein flattert an ihnen vorüber zum Nest, und Charitas legt das Köpfchen an Josefs Brust – nun hat auch sie eine Heimat gefunden.

Er aber küßt voll stürmischer Innigkeit ihre Lippen, Worte klingen an ihr Ohr, selige, berauschende Worte des Glücks – und die Luft ist still ... kein Zweiglein regt sich im Winde ...

Winterstürme wichen dem Wonnemond.

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Ein Bote stand in Krembs vor der Stubenthür und meldete Herrn Sterley, daß der Herr Baron ihn alsogleich in Lichtenhagen erwarte, der Wagen stehe drunten vor der Thür.

Klaus schrak mit verträumten Augen empor. Was bedeutete das?

Wäre es möglich, daß Josef in dieser Eile eine Unterredung mit Charitas gehabt hätte, welche die fatale Situation klärt?

Je nun, sein Stiefbruder ist ein Mann, welcher stets schnurgeraden Wegs auf das Ziel lossteuert, und etwas Schlechtes hat er ihm wohl kaum zu sagen, sonst ließe er ihn nicht nach Lichtenhagen herauskommen.

Voll fliegender Eile glättete er das zerwühlte Haar, raffte Hut und Handschuhe vom Tisch und stürmte hinaus. Die Jucker griffen aus und der leichte Wagen sauste die menschenleere Chaussee hinab. –

In dem Salon der Geheimrätin und in der Flurhalle brannten bereits die Lampen, aber es war still im Haus, nur aus den Souterrainfenstern hallten lebhafte Stimmen, und er glaubte sogar deutlich Rothtrauts helles Lachen zu hören.

Er stieg die Treppe empor und trat in die Halle, gleicherzeit öffnete sich die Salonthür, und ... mit einem leisen Laut höchster Betroffenheit und Bestürzung wich Klaus zurück, als habe er ein paar Gespenster geschaut. Er stand wie versteinert und starrte das Unfaßliche an. –

Josef und Charitas – Arm in Arm.

Lachend traten sie ihm entgegen und in Torisdorffs Auge blitzte ein Schalk, welchen Klaus nie zuvor darin gekannt.

»Ah, da bist du ja, lieber Bruder!« rief er ihm schon an der Thür zu. »Wir haben sehnsüchtig auf dich gewartet: denn meine herzliebe Braut möchte dir gern persönlich sagen, daß du ein grenzenlos eitler Mensch bist, welcher sich einbildet, das Lebensglück eines Mädchens sei einzig und allein mit deiner, sonst ungeheuer begehrenswerten Hand verknüpft! Klaus, alter Junge, habe ich nun meine Sache gut gemacht?« Und im Übermaß seines Glückes schlang der Sprecher die Arme um den jungen Mann und zog ihn stürmisch an seine Brust.

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Klaus konnte sich noch immer nicht von seiner Überraschung erholen, wie betäubt schüttelte er den Kopf: »Charitas deine Braut? So schnell? Ihr kennt euch ja gar nicht! Ist das etwa nur ein Scherz? Nein, bei Gott, ihr seid beide nicht die Menschen darnach, um solchen Scherz zu treiben!« Und plötzlich überkam ihn eine beinahe fieberhafte Aufregung, der Bann der Fassungslosigkeit war gebrochen; er faßte nach Charitas' Hand, dann ergriff er Josefs Rechte und sein Blick flog strahlend zwischen beide hin und her. »Allmächtiger Gott, es ist wahr! Es ist wahrhaftig wahr!« jauchzte er auf. »So wie ihr beide sieht nur ein Brautpaar aus!« Und damit zog er sie beide an die Brust. »Wie sich solch ein Wunder ereignet hat, das ahne und begreife ich allerdings nicht, ist mir in diesem Augenblick auch ganz einerlei, ich habe ja die herrliche, unbeschreiblich liebe Thatsache vor Augen! Josef! Herzbruder! Daß du nun auch das Glück gefunden hast! Charitas, daß Sie den besten, herrlichsten von allen nun für stets und immerdar der Welt zurückgegeben haben – ach, Kinder, ich weiß bei Gott nicht, was ich in meiner Aufregung alles rede, ich will euch ja nur sagen, wie ich mich freue, freue, freue!«

Ja, das sah und hörte man! Wie ein Rausch des Entzückens hatte es ihn erfaßt, und als das junge Mädchen ihm neckend drohte: Diese Freude sei recht wenig galant von ihm, sie habe bestimmt erwartet, daß er an gebrochenem Herzen sterben würde! da lachten sie alle drei voll glückseligen Übermuts, und Klaus erwiderte ebenso scherzend, sein Herz sei bereits in Catania durch ihren Korb in Atome zertrümmert und funktioniere seit der Zeit so gut wie gar nicht mehr; da er aber den gerechtfertigten Wunsch habe, auf ihrer Hochzeit sein Herz recht lebhaft schlagen zu fühlen, so werde er sein möglichstes thun, um sich ein anderes zum Ersatz zu suchen!

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Ja, es war Frühling geworden!

Die Bäume standen in schimmernder Blütenpracht, die Nachtigallen schlugen im duftenden Flieder und die Schwalben bauten ihr Nest.

Klaus Sterley hatte sich zu längerem Aufenthalt in Lichtenhagen angesagt, sich droben in dem großen Saal sein Atelier eingerichtet und voll jubelnden Eifers sein Bild von Charitas vollendet.

Er selber wollte erst sehen und prüfen, inwieweit er berechtigt sei, um die Geliebte zu werben.

Obwohl Josef ihm versicherte, daß er in nicht allzulanger Zeit Frau von Damasus, als der ersten Gläubigerin des verewigten Stiefvaters, das verlorene Kapital zurückerstatten könne, wollte der junge Mann doch voll edlen Stolzes erst auf eigenen Füßen stehen und eine Garantie für seine Zukunft bieten, ehe er das entscheidende Wort sprach.

Welch eine selige Wartezeit war das!

Beide waren noch jung, beide hatten sich so überraschend schnell gefunden, daß ein näheres Kennenlernen wohl ganz am Platze war. Rothtraut half eifrig bei Charitas' Ausstattung, und wenn auch die reizend natürliche Frische und kindliche Anmut ihres Wesens dieselbe blieb, so war dennoch eine holde Veränderung in demselben wahrzunehmen. Ein sinniger, minniger, lächelnder Ernst, ein wunderliebes Träumen und Denken kam über sie; die Rosenknospe streifte allmählich die grünen Blättlein ab und erschloß sich in blendendem Sonnenglanz zu vollem, düfteschwerem Kelch, dessen Tautropfen heimliche Thränen unendlichen Glückes sind.

Josef hatte sich durch den getreuen Freund Hagborn mit den Pflegeeltern der Braut in Verbindung gesetzt, und der Rechtsanwalt, welcher Herrn Schaddinghaus und seine Ansichten genugsam kennen gelernt hatte, fand schnell das Richtige, um die Angelegenheit zu beiderseitiger Zufriedenheit zu ordnen.

Zu ihrem eigenen, großen Staunen erfuhr das junge Mädchen, daß sie ein recht bedeutendes elterliches Vermögen besaß, dessen Zinsen die Pflegeeltern in gewissenloser Weise seit Anbeginn genossen hatten. Ihre Habgier hatte den Gedanken nicht ertragen, dieses Geld einst durch eine Heirat der Nichte entbehren zu müssen, und darum hatten sie alles aufgeboten, Charitas von jedem Verkehr fern zu halten, um sie dauernd an sich zu fesseln.

Hagborn teilte Josef mit, daß er genug belastendes Material in den Händen habe, um gegen diesen gewissenlosen Vormund gerichtlich vorgehen zu können, Torisdorff aber handelte ganz in dem Sinne seiner Braut, wenn er von derartigen Auseinandersetzungen durchaus absah. Charitas wünschte, daß die Hälfte ihrer Revenuen den Pflegeeltern für die Zeit ihres Lebens zugesichert werden solle, um dadurch alles, was sie jemals Gutes in deren Hause genossen, zu vergelten. Über das »Gute« schüttelten Klaus und Hagborn allerdings sehr ungläubig die Köpfe, aber letzterer handelte nach dieser Bestimmung der jungen Braut und erzielte den gewünschten Erfolg. Die Pflegeeltern willigten in die baldige Heirat ihrer Nichte ein, ja es traf sogar ein Brief von Frau Selma ein, welcher voll überschwenglicher Phrasenhaftigkeit Glück zur Verlobung wünschte und in einem endlosen Klagelied über ihre schwer geschädigte Gesundheit endete.

Als Charitas diese Zeilen aus der Hand legte, atmete sie so tief und erlöst auf, als versinke jetzt erst ihre unglückselige, stürmische Kindheit in dem Meere ewigen Vergessens, als erhebe sich jetzt erst die volle, leuchtende Frühlingssonne über ihrem Haupt, mit heißem Strahl all die Thränen zu trocknen, welche so lange das Antlitz der Dulderin betaut.

Rothtraut hat den Myrtenkranz für die geliebte Freundin gewunden und dabei leise und schelmisch vor sich hingesungen: »Wir winden dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide!« So vertieft in Gesang und Arbeit war sie, daß sie es gar nicht hörte, wie die Thür sich hinter ihr öffnete, wie jemand auf den Fußspitzen hinter sie trat.

Dann faßten zwei schlanke Männerhände plötzlich den schönen, grünen Jungfernkranz, hoben ihn und drückten ihn auf das blonde Lockenköpfchen, und wie Rothtraut erschreckt emporspringen will, da umschließen sie zwei Arme, und heiße Lippen küssen ihr die Augen zu. –

Sie sah wirklich nicht, wer es war, aber zur höchsten Überraschung von Mama Geheimrat, welche noch in der Thür stand, rief sie mit halberstickter, jubelnder Stimme: »Klaus!«

Als die erste Aufregung sich gelegt hatte, drückte Frau von Damasus das Köpfchen ihrer Einzigsten an ihre Brust und fragte voll wehmütigen Vorwurfs: »Aber Traute, dachtest du denn keinen Augenblick, ich könnte es sein?«

Da blitzten die blauen Augen schalkhaft zu ihr auf, die Kleine schüttelte beteuernd das Köpfchen und legte die Hände auf die Brust: »Wirklich und wahrlich nicht, Muttchen! Du hast doch keinen Schnurrbart!«

Ja, das mußte selbst die eifersüchtigste Mutter zugeben! –

Klaus brachte die frohe Botschaft mit, daß sein Doppelbild »Er träumt von einer Palme« von der Jury einstimmig für die Kunstausstellung angenommen sei, und daß die Bilder schon jetzt auf alle Privatbeschauer einen ungewöhnlichen Eindruck machten. Prinz Ludwig habe kürzlich auf Empfehlung eines befreundeten Professors hin sein Atelier besucht und sei derart ergriffen von dem Gemälde gewesen, daß er den Ankauf desselben für sein neuerbautes Strandschloß in Aussicht gestellt habe. Auch ein Großindustrieller habe ihm die Ausführung einer sizilianischen Skizze »Ninetta«, welche durch die Orangenzweige lugt, aufgetragen. Arbeit habe er also schon mehr als ihm lieb sei; denn er brenne darauf, sein wonniges Bräutchen als »Urgroßmutter Marianne« zu malen.

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Jetzt lacht das schelmische »Urgroßmütterchen« zum Entzücken eines Jeden, welcher es sieht, aus goldenem Rahmen, als liebste und teuerste Erinnerung das Privatzimmer Sterleys schmückend, welcher nicht nur der glücklichste Gatte, sondern auch ein viel genannter und vielgerühmter Meister geworden ist.

In Lichtenhagen stehen die Bergwerke in Betrieb, die bedeutendsten und ertragreichsten der ganzen Provinz.

Josef konnte sein Wort einlösen und mit Zins und Zinseszins die Schulden abzahlen, welche sein beklagenswerter Stiefvater nicht mehr löschen konnte.

Noblesse oblige!

Was James Franklin einst an ihm und seiner Mutter gethan, ist eine Aussaat gewesen, welche reiche Früchte getragen.

Josef von Torisdorff hat seinen wahren Beruf gefunden – Arbeit, welche von früh bis spät mit Freuden schafft, werkthätige Liebe, welche die Ernte teilt.

Hocherhobenen Hauptes, mit leuchtendem Blick und froher Zuversicht im Herzen führt er den Spaten auf eigener Scholle, so wie es einst der Blitz in prophetischem Bilde ihm gezeigt. Die schlanke, weiße Frauengestalt aber, welche dieses Bild zukünftigen Glückes verkörperte, steht ihm voll blühender Kraft und Frische zur Seite, helfend, fördernd, lächelnd, in tiefem Seelenfrieden – eine echte, eine wahre Charitas!

Ja, es ist Frühling geworden für zwei Menschenherzen!

Winterstürme wichen dem Wonnemond ...

Spamersche Buchdruckerei in Leipzig.



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