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XX.

Als die ehemalige Chansonnette nach huldvoll innigem Händedruck davon gewatschelt war, atmete Klaus auf.

Nein, die Favorita bewohnen wollte er nicht. Für zehn Minuten läßt man sich einmal den Scherz gefallen, der ungeheuerlichen Schönen die Cour zu machen, aber auf die Dauer eine solche Farce in Scene zu setzen, widerstrebte seinem ehrlichen Sinn. Der Zweck war ja erreicht, er durfte jederzeit den Garten der Villa betreten und seine Staffelei aufstellen, und das Glück wird ihm auch ferner günstig sein.

Charitas befindet sich nur in frühester Morgenstunde im Garten – gut; so wird auch er in frühester Morgenstunde dort malen.

Signora Julia träumt währenddessen noch von schönen, vergangenen Tagen – um so besser, kein Mißton wird die reine Symphonie dieser Arbeitszeit stören, und der Genius wird seine leuchtenden Schwingen in die Morgenröte tauchen.

Langsam schreitet Klaus nach seiner Staffelei zurück. Wie gut war es gewesen, daß er die harmlose kleine Landschaft begonnen hat. Sie wird die Muschel sein, welche seine Perle verbirgt.

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Und während er mechanisch weiter arbeitet, sind seine Gedanken weit ab.

»Charitas Reckwitz!« Wie paßt dieser schöne Name zu dem schönen Antlitz. »Charitas!« Er ist ihm nie zuvor unter all den vielen Mädchen und Frauen, welche seinen Weg kreuzten, begegnet, und doch steht er in dem Kalender und ist so sinnreich und anziehend.

»Charitas!«

Wieder und wieder spricht er den holden Klang in Gedanken aus.

Und welch ein schweres, trauriges Los ist der armen Waise zu teil geworden!

Klaus fühlte, wie sein Herz in Mitleid und innigster Teilnahme erbebt, und doch flutet dabei etwas Warmes, unendlich Wohlthuendes durch dasselbe hin. Nun kennt er den Grund und die Ursache ihrer Thränen, nun weiß er, daß Charitas nicht um verlorene Liebe weint.

Sie sehnt sich nach Erlösung, nach Befreiung aus dem trostlosen Elend ihres Daseins!

Sie streckte voll stummer Verzweiflung die Arme nach dem Schiffe aus und seufzte aus gepeinigtem Herzen: »Nimm mich mit! Entführe mich in seligere Gefilde! Erbarme dich und nimm mich auf!«

Gleichgültig – ahnungslos all des Leids, welches hier eine Menschenbrust durchtobt – führt der Kapitän sein Fahrzeug über die blaue Flut.

Charitas liebt nicht – sie fühlt sich nur unglücklich in ihrer Umgebung.

Warum läßt die Überzeugung seine Pulse schneller schlagen?

Warum erfüllt ihn plötzlich eine solch heitere Zuversicht?

Er kennt Charitas kaum, kann er schon jetzt mehr für sie empfinden als Interesse?

Klaus weiß es selber nicht und legt sich auch keine Rechenschaft darüber ab.

Er, der stets lebensfrohe, so glücklich beanlagte Mann, diese echte Künstlernatur voll Sonnenschein und Wärme, empfänglich für die Schönheit und begeistert für das Edle und göttlich Erhabene, und doch voll tiefen Verständnisses für alle Menschenschwäche und Fehler, er hat bisher die Blüten seiner Kunst im wolkenlosen Himmelsglanz gepflegt, und Frohsinn und Heiterkeit waren das Element, in welchem er sich wohl fühlte.

Lachende Lippen, strahlende Augen übten einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus, und je frischer, jugendlich kecker und sonniger das Weib ihm entgegentrat, desto unmittelbarer und mächtiger der Zauber, welchen es um seine Seele spann.

»Gleich und gleich gesellt sich gern!« hatten ihn seine Kollegen oft geneckt, wenn sie ihn im Vollgenuß solch sprudelnden Lebens in den Banden eines lachenden Gesichtchens sahen, und er selber hätte wohl darauf geschworen, daß nur eine solche Frau zu ihm passen und ihn wahrlich beglücken könne.

Und nun taucht ein marmorkühles, schmerzverklärtes Antlitz vor ihm auf, der Inbegriff alles sehnenden Leides, aller Melancholie, und er bannt die leuchtenden Thränen auf die Leinwand, und fühlt plötzlich, daß sie wie zehrend Feuer in sein Herz fallen!

Wie ist das möglich? Was hat ihn plötzlich so ganz verwandelt?

Ist es Mitleid oder Liebe, was er für Charitas empfindet?

Er weiß es selber nicht. Die feine Linie, welche diese beiden Gefühle trennt, ist so weich und kaum erkenntlich, daß man nicht weiß, wo das eine aufhört und das andere beginnt.

Beide verschwimmen in einer einzigen großen, poesievollen Schwärmerei.

Und auch diese Empfindung ist neu für Klaus und beherrscht ihn darum desto mächtiger durch den Reiz solcher Neuheit.

Und je höher die Sonne steigt, desto öfter und verlangender trifft sein Blick die stillen, verschleierten Fenster der Favorita.

Er nimmt das begonnene Bild Charitas' aus dem Malkasten und betrachtet es mit leuchtenden Blicken.

Ein ungestümes Verlangen treibt ihn, daran zu malen, aber er bezwingt es, aus Furcht, etwas an dem wunderbar ergreifenden Ausdruck dieses Gesichts zu verderben.

Seufzend packt er seinen Apparat zusammen, tritt noch einen Augenblick an die Mauer, wo ein Eidechslein ihn erschreckt mit goldenen Augen anlugt und blitzschnell in der moosigen Steinspalte verschwindet.

Im Hafen wird es stiller, das Straßenleben verstummt, die Mittagszeit naht und macht sich schon hier im Schatten der Bäume recht empfindlich.

Langsam schlendert Klaus den weißstaubigen Weg nach dem Hotel hinab.

– – – – – – – –

Ninetta hat den blonden Maler an diesem Abend nicht zu Gesicht bekommen. Er hat am Domplatz gezeichnet, dann in einer Osteria nahe dem Strande sein Nachtmahl genommen und bei seiner Heimkehr Peppo aufs strengste befohlen, ihn zu bestimmter Zeit am kommenden Morgen zu wecken.

Mehr hatte Ninetta nicht erfahren.

Aber es kümmert sie wenig.

Der schwarzäugige Giuseppe sitzt auf der kleinen Bank, welche heimlich unter den buschigen Laurostinoszweigen steht, hält die kichernde Schelmin auf dem Schoß und schmückt sie mit all den blinkenden und bunten Geschenken, welche er dem Liebchen mitgebracht.

In solchem Augenblick fragt sie nach keinem andern.

Und Klaus Sterley freut sich, daß sich die weißen Schlangenarme nicht nach ihm ausstrecken, und benutzt solch gute Zeit.

Er ist müde und legt sich zeitig zur Ruh.

Am andern Morgen donnert Peppo rechtzeitig gegen die Thür, und Klaus erhebt sich voll so freudigen Eifers wie ein Kind am Geburtstagsmorgen.

Ein feiner, violetter Nebel liegt noch über der See und den fernen Bergkonturen, und über den Himmel ziehen sich rosenrote und safrangelbe Lichtstreifen.

An den Gräsern und Blättern blinkt es, und in den Spinnennetzen funkeln die hellen Perlen, wonnevoll frisch und balsamisch streicht ein Lufthauch durch die Palmblätter, und die weißen Häusermauern und Kirchdächer der Stadt erglänzen in mildgedämpftem Sonnenlicht.

Leise knarrt die Pforte, langsam steigt Klaus den Weg zu dem Mauerplatz empor.

Noch ist es still und einsam hier, und das ist ihm lieb.

Er wählt einen noch etwas versteckteren Platz hinter dem Gebüsch, wo er selber nicht gesehen wird, und wo er doch die nächste Umgebung bequem überblicken kann.

Und kaum, daß er seine Utensilien ausgepackt und die Staffelei aufgestellt hat, zuckt er jählings zusammen und alles Blut schießt ihm nach dem Herzen.

Von dem Hause her naht Charitas.

Ihr weißes Kleid leuchtet durch die Büsche, ihr Schritt verklingt auf dem weichen Sand.

Wie in trunkenem Aufatmen neigt sie das Haupt in den Nacken zurück – ihr Blick haftet am Himmel, die Hände sind leicht verschlungen. So sah wohl Homer seine Göttinnen auf Erden schreiten.

Langsam, zögernd fast, die schöne, kraftvoll stolze Gestalt in wonniger Weichheit und Träumerei gelöst.

Man sieht es ihrem Blick an, wenn er über die Blütenpracht streift, daß er alles sieht und – nichts.

Sie empfindet es, wie schön – wie frei – wie friedlich es ist.

Sterleys Herz klopft zum zerspringen; sie wendet sich dem gewohnten Platz auf der Mauer zu. Wird sie ihn bemerken?

Nein, sie wähnt sich um solch frühe Stunde allein, ganz allein!

Und da sie hinausblickt auf das Meer – da kommt er wieder, der Ausdruck herzbethörender Sehnsucht und Trauer, diese verkörperte Klage um ein nie gekanntes Glück... und Klaus greift mit bebenden Händen zum Pinsel und zaubert ihn auf die Leinwand.

Rastlos, voll fiebernden Eifers malt er – und sein schönes, ahnungsloses Modell sitzt so still und traumverloren, als bannten es unsichtbare Gewalten auf diesen Platz.

Unter der Hand des Künstlers gestaltet sich das Werk, aber es ist und bleibt noch skizzenhaft; denn die Entfernung und Unbequemlichkeit des Sehens erschwert die Wiedergabe sehr.

Im ersten Augenblick hat Klaus den Plan gefaßt, seine Anwesenheit völlig zu verheimlichen und jeden Morgen ungestört an seinem Werk zu arbeiten, er sieht aber ein, daß die stets wechselnde Beleuchtung stört, und daß er unmöglich auf den seltenen Zufall rechnen kann, Charitas jeden Morgen diese Stellung einnehmen zu sehen.

Er könnte das Bild jetzt voll freier Phantasie vollenden, eine Ähnlichkeit, streng und absolut, ist ja nicht notwendig.

Solche halb gekünstelten Bilder machen aber leicht den Eindruck des Unwahren, Puppenhaften, während ein Porträt, bis in alle Details nach dem Leben ausgearbeitet, von ganz anderem Wert ist und viel impulsiver wirkt.

Ach, daß er Charitas bewegen könnte, ihm ein paarmal tatsächlich zu dem Bild zu sitzen.

Der Ausdruck ihres Gesichtes würde vielleicht nicht so seelenvoll und unbeeinflußt sein, aber dessen benötigt er nicht, es gilt jetzt hauptsächlich die Ausführung der Einzelheiten. Wie aber wäre daran zu denken? –

Bei dieser Sprödigkeit und Unnahbarkeit, welche ihre Persönlichkeit vor dem fremden Mann wie mit einem Eiseshauch umgibt. Klaus seufzt leise auf. Nein, er will nicht allzuviel verlangen, er will für das seltene Glück, welches ihm bereits zuteil geworden, von Herzen dankbar sein!

Die junge Dame auf der Mauer regt sich und sieht nach der Uhr, ihrer Unruhe ist es anzumerken, daß die Minuten ihres Bleibens gezählt sind.

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Hastig packt Klaus seine Sachen zusammen, so flink und lautlos, daß er auch jetzt nicht bemerkt wird, und eilt dann auf leisen Sohlen hinter dem Boskett hin, um plötzlich, ganz wie von ungefähr, mit hallendem Schritt des Weges entlang zu kommen.

Überrascht wendet Charitas den Kopf, erhebt sich sofort und will mit flüchtigem Gruß vor ihm her in den Seitenpfad schreiten.

Aber der junge Maler schwenkt so fröhlich den Hut und ruft ihr so heiter seinen »Guten Morgen, wie geht es, mein gnädiges Fräulein?« entgegen, daß es unhöflich wäre, weiter zu schreiten.

»Ich freue mich, Sie wieder hier zu sehen!« sagt sie freundlich, aber sehr reserviert: »Sie machen also wirklich Gebrauch von unserer Aussicht hier? Hoffentlich mit bestem Erfolg!« Und wieder will sie weiter schreiten.

Schon aber steht er vor ihr und bietet ihr mit dem treuherzigsten Gesicht von der Welt die Hand entgegen.

»Welch eine Herzensfreude, deutsche Heimatsklänge zu hören!« sagt er voll Wärme, und seine blauen Augen strahlen sie an: »O, Sie glauben nicht, mein gnädiges Fräulein, was das für einen einsamen Wandersmann in der Fremde besagen will! – Sie besitzen gewiß Ihre Angehörigen hier, welche Sie das Ausland gar nicht empfinden lassen, aber ich muß mit meinem Schatten plaudern, wenn ich deutsche Worte hören will!«

Sie nickte ihm voll Teilnahme zu. »O dieses Leid der Vereinsamung kann ich Ihnen nachfühlen! Man kann wohl nirgends so traurig gestimmt sein wie in diesem lachenden, jubilierenden Land der Sonne, dessen Götter nicht die unseren sind!«

»Sinnbildlich gemeint – gewiß. Sie können mir nachfühlen, mein Fräulein, aber gewiß nicht zwischen Ihren Angehörigen dasselbe Heimweh empfinden wie ich großes Kind, welches so viel im Leben schon ertragen lernte, nur nicht das Verlassensein!«

Ein seltsames Beben geht um ihre Lippen.

»Das Heimweh! Und ob ich es kenne, Herr Sterley. Ich bin eine Waise, – und die, welche mit mir hier sind, stehen mir nicht nahe.« –

Leise, sehr leise sagte sie es, wie heimliches Schluchzen klingt's durch ihre Stimme.

Er tritt einen Schritt näher zu ihr heran, er blickt ihr in das Auge und wiederholt mit zuckenden Lippen: »Eine Waise wie ich! Auch ich stehe allein auf der Welt, auch ich habe von dem Liebsten, was ich besaß, scheiden müssen.«

Wie ein jähes Erschrecken geht's über ihr Antlitz, inniges Mitgefühl spiegelt sich in ihrem Blick.

»Haben Sie Ihre Eltern noch gekannt?«

»Den Vater kannte ich, Gott sei gelobt dafür, an die Mutter habe ich nur eine unklare Erinnerung – aber ganz und gar entbehre ich die Erinnerung an sie doch nicht. Ich kann mich noch entsinnen, wie ich ihr vor dem Kaminfeuer auf dem Schoße saß, wie sie mir liebe Märchen erzählte und mit der weichen, kleinen Hand über meine Locken strich! – O diese zärtliche Liebkosung fühle ich noch oft im Traum, und dieses selige Empfinden ist zum Segen für mein ganzes Leben geworden!« –

Thränen glänzten in Charitas' Augen, sie blickte den Sprecher nicht mehr an wie einen Fremden.

»Wie glücklich sind Sie! Ich besitze nichts, – nicht einmal eine Erinnerung an meine Lieben.«

»So früh verloren Sie die Eltern?

»Mein Vater verunglückte bei einer Schnitzeljagd am Hubertustag – er war Artillerieoffizier – drei Wochen bevor ich geboren ward, und Mütterchen überlebte das Herzeleid nicht lange, – ich bin fremd und verlassen gewesen, so lange ich denken kann!«

Da neigte er sich, faßte ihre Hand und drückte sie stumm an die Lippen, und Charitas verstand ihn recht.

Ein wehes Lächeln dankte ihm. »Sie haben es aber verstanden, Ihr Leben glücklich zu gestalten?« fuhr sie ruhiger fort.

»Ich kämpfe um das Glück, Fräulein Reckwitz! In den Schoß fällt es wohl keinem, und die Schicksale, welche hinter mir liegen, sind schwer. Aber ich habe den Glauben an mich selbst noch nicht verloren, und denke mit Shakespeare: »Das Glück 'nes braven Kerls kommt wohl einmal ins Stocken!« Man muß dann nur Geduld und Gottvertrauen haben, um das gestrandete Schifflein wieder flott zu machen!

»Sie sind Maler von Beruf?«

»Ich möchte ein Menzel, Makart oder am liebsten ein Raffael werden!« scherzte er mit einem Anflug seiner alten Heiterkeit.

»Es wird nicht am Erfolg fehlen! Könnte man ihn mit guten Wünschen herbei zaubern, er sollte Ihnen sicher sein.«

Die hellen Klänge einer Uhr schallen durch die offene Balkonthüre der Favorita, und Charitas schrickt empor.

»Ich muß gehen!« sagte sie schnell. »Mein Dienst beginnt. Und Sie werden ungeduldig sein, den Grund zum künftigen Ruhm zu legen! Glück auf zur Arbeit – möchte Ihr Gemälde ein Meisterwerk werden!«

Sie legte noch einmal ihre Hand in seine dargereichte Rechte.

Klaus zieht respektvoll den Hut. »Auf Wiedersehn!« Er vermeidet es, ihr nachzusehen, wie er alles unterlassen möchte, was ihr unangenehm auffallen könnte.

Mechanisch packt er seine Malutensilien zusammen und schreitet nach dem Meer hinab.

Dort setzt er sich auf einen Kahn, welcher im Sande liegt und starrt in das Gekräusel der kommenden und gehenden Wellen, bis die Sonnenglut ihn zwingt, heimzukehren.

Er hat nur noch einen Gedanken: »Armes, armes Mädchen!« und nur noch ein Interesse: »Wie könnte sie glücklich werden?«

Zu Hause sitzt er vor dem Bild und sieht regungslos in das traurige, sehnsuchtsvolle Angesicht.

»Armes, armes Kind!«

Und dann überkommt ihn wieder die selige Begeisterung, die stolze Freude an seinem Werk. Es muß gelingen! Und Signora Julia wird recht haben: Dies Bild wird ein Meisterwerk, welches ihn zum Maestro macht.

Am andern Morgen hastet er wieder dem lieben Ziel entgegen.

Diesmal schimmert ihm das weiße Kleid schon von der Mauer entgegen, er hat sich verspätet.

Sie macht keinen Versuch zu gehen, als er kommt, sie blickt ihm freundlich entgegen und heißt ihn willkommen.

Ein breiter Strohhut überschattet ihr Gesicht, das ist fatal.

»Wissen Sie auch, daß Donna Julia gestern böse auf Sie war, weil Sie ihrer Meinung nach nicht zum Malen gekommen waren?« lächelt sie. »Bis zur Mittagsstunde hat sie dort auf der Bank gesessen und auf Sie gehofft, heute darf sie keine Enttäuschung wieder erleben!«

Der Schalk blitzt aus seinen Augen. »Es malt sich so schlecht um so vorgerückte Zeit – und muß die Signora etwas früher aufstehen, wenn sie porträtiert sein will! Übrigens – Sie haben eine liebenswürdige Wirtin, Fräulein Reckwitz, und wenn sie anfängt zu erzählen, gleicht sie der Königin von Navarra – es gibt kein Ende.«

»Wenn ihre Märchen so fesselnd sind wie jene der schönen Königin, kann man es sich ja gern gefallen lassen! Ich für meine Person dürfte es ihr nicht nachthun wollen, darum ist es gut, daß wir in unserer Unterhaltung gleich mit dem Ende beginnen! Sie malen und ich lese!«

»Kann ich Ihnen zuvor noch behilflich sein, die Staffelei aufzustellen?«

»Tausend Dank, mein gnädiges Fräulein, ich will heldenhaft auf solche Verwöhnung verzichten, sonst würde ich sie ein ander mal desto schmerzlicher vermissen. Also ich soll fleißig sein. Gut, ich gehorche, Sie sollen Freude an mir erleben. Lesen Sie ein sehr interessantes Buch?«

»Ungeheuer interessant, – es enthält lauter italienische Vokabeln!«

»Hut ab; also sind wir beide fleißig«, und währenddessen packte er den Malkasten aus und begann in ihrer nächsten Nähe seine Vorbereitungen zu treffen, ganz harmlos und ruhig dabei weiter plaudernd, als müßte das so sein.

Charitas schaute erstaunt auf: »Hier wollen Sie heute malen? Ihr Platz ist doch hinter jenem Boskett dort?«

Mit prüfendem Blick schaute er auf die Landschaft hinaus, nur Sinn und Interesse für diese habend. »Ja, ich glaube, dieser Platz hier ist noch günstiger«, meint er nachdenklich, »man schaut freier um sich! Ich werde mal von hier aus versuchen.«

Sie erhebt sich von der Mauer. »Dann störe ich aber! Sie müssen doch den vollen Rundblick haben!«

Er wehrt hastig ab. »Um keinen Preis gestatte ich, daß Sie gehen, – jene Seite male ich ja gar nicht! Wenn ich Sie etwa vertreiben sollte, retiriere ich sofort wieder hinter meinen Laurostinos!« Sie nimmt ruhig wieder Platz.

»Schön; Sie sehen, ich kann auch gehorchen!«

Er stellt sich vor sein Bild, welches seine Brust und das halbe Gesicht verdeckt, nur die Augen schauen darüber hinweg, – und beginnt die Palette vorzubereiten.

»O ja, – gehorchen! Uns beiden hat es das Leben wohl beigebracht!« nickt er ernster und anscheinend ganz in seine Vorbereitungen vertieft. »Sie glauben gar nicht, mein gnädiges Fräulein, wie sympathisch mich unsere Schicksalsverwandtschaft berührt. Mir ist's, als hätte ich eine Schwester gefunden, welche das gleiche Los mit mir getragen. ›Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!‹ – und ich glaube, Sie kennen die Sehnsucht auch!«

Ihr Blick schweift wieder mit demselben feuchten Glanz wie die Tage zuvor über die See.

»Es gibt so viel Verschiedenes, was ein Menschenherz ersehnt! Ich denke oft, wenn solche Sehnsucht ungestillt bleibt und uns unglücklich macht, so ist es unser eigenes Verschulden. Wir sind wohl zu unbescheiden in unseren Wünschen gewesen.«

»Daß es Leute gibt, welche unersättlich wünschen und verlangen, glaube ich wohl, es gibt gewiß auch solche, welche phantastisch genug sind, direkt Unmögliches und Unerfüllbares zu ersehnen. Wir beide rechnen aber gewiß nicht zu dieser Species, wir würden wohl schon mit den Brosämlein zufrieden sein, welche von des Glückes reicher Tafel fallen.«

Charitas' Lippen beben, sie zwingt sich ersichtlich, einen harmlosen Plauderton beizubehalten. »Gewiß, ich für meine Person wollte schon für einen Tropfen Lethe und ein stilles, friedliches Winkelchen dankbar sein, – und wäre es selbst im ernsten, tiefsten Thal gelegen. Für Sie kann ich allerdings nicht garantieren« – sie lächelt – »denn man sagt, daß wahre Künstlernaturen unberechenbar sind!«

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»Schön, – ich wünsche mir momentan zweierlei Dinge! Ich will es ehrlich bekennen! Nr. 1: daß mein Bild, welches ich auf der nächsten Kunstausstellung produzieren möchte, einen Bombenerfolg hat.« –

»Bombenerfolg –? Nun, allzuviel Entsagung drückt dieses Wort gerade nicht aus!«

»Unter dem thue ich's nicht. Bombenerfolg! Mögen Sie es noch so anmaßend und unverschämt finden, dieser Wunsch ist meiner Ansicht nach sehr bescheiden gegen den, welcher ihm folgt!«

»Nun bin ich auf alles gefaßt. – Also was verlangen Sie zum zweiten?«

Seine Augen blitzten beinahe übermütig zu ihr hinüber: »Daß Sie die große Gnade haben und Ihren Hut ein Weilchen abnehmen möchten!«

Zuerst starrt sie ihn betroffen an, dann muß sie laut auflachen, sie muß es.

»Meinen Hut?«

»Ja, er ist ein unausstehliches Ding!«

»Erlauben Sie – ich bin sehr stolz auf ihn.«

»Sie mögen wohl auch dazu berechtigt sein, ich hingegen erblicke nur meinen geschworenen Feind in ihm!«

»Was hat er verbrochen?«

»Er stört mir das ganze schöne, landschaftliche Bild. Wie eine radikale Sonnenfinsternis schwimmt er auf dem leuchtend blauen Hintergrund – und Ihnen wirft er Schatten über das Gesicht, welche ebenfalls meinen Schönheitssinn verletzen! Alles Natur ringsum, – wahre, heilige, wunderbar schöne Natur – und als Klex mitten darin dieser erbärmliche Florentiner. In die Wolfsschlucht mit ihm! – Das ist doch wirklich nur das Bruchstück eines bescheidenen, demütigen Sehnens, nicht wahr?«

»Ich bin wenigstens sehr glücklich, einmal einem Menschen zur Erfüllung solcher Schicksalsbitte verhelfen zu können. Da liegt er auf dem Rasen. Könnte ich Ihnen mit ebenso leichter Mühe auch den ›Bombenerfolg‹ zuwenden – gewiß, Sie sollten glücklich sein.«

Einen Augenblick hat Klaus das Empfinden: »Jetzt ist der Moment gekommen! Wage es! Sprich! Gestehe ihr alles, – bitte sie mit der ganzen Innigkeit deines Herzens um die kleine Mühe, welche dir den Bombenerfolg sichert! Flehe sie an, dir Modell zu sitzen!« – Aber er preßt die Lippen zusammen wie in jäher Angst, daß ihnen dieses Wort entschlüpfen könne.

Verdirbt er möglicherweise nicht alles damit?

Ihr spröder Stolz möchte leicht eine Beleidigung in solchem Ansinnen erblicken, denn in dem großen Publikum genießt das Modell des Malers keinen guten Ruf.

Man glaubt das Schlechteste von Mädchen, welche ihre Schönheit in den Dienst der Kunst stellen, man hält es schon für sehr frivol, sein Antlitz einem Werk zu leihen, welches die Kritik eines schaulustigen Publikums auszuhalten hat.

Klaus kennt prüde Leute, welche es schon als Ungehörigkeit und groben Verstoß gegen das Anstandsgefühl erachten, wenn Damen ihre Porträts von dem betreffenden Maler in Ausstellungen »preisgeben«!

Wer weiß, ob Tante Schaddinghaus nicht auch zu diesen Strickstrumpfphilisterinnen gehört und der Nichte ihre ungeheuerlichen Ansichten über Moral eingeimpft hat.

Ist es nicht schon wie ein Wunder, daß ihm eine Annäherung an Charitas derart geglückt ist?

Hat ihn nicht ein freundlicher Zufall begünstigt, daß er ihr schon jetzt in nächster Nähe gegenüber sitzen und sie beinahe ebenso gut malen kann, als ob sie ihm mit vollem Bewußtsein Modell säße?

Und wer weiß, ob nicht der Ausdruck ihres Gesichts ein befangener, gekünstelter werden würde, wenn sie ahnte, daß er ihren Schmerz ausbeuten will, daß ihre Thränen seinen Lorbeer begießen sollen!

Jetzt tritt der wunderbare Zug tiefer Wehmut noch ebenso natürlich und unmittelbar hervor wie am ersten Tage, als er sie verzweifelnd in dem großen Schmerz erblickte, welcher nun einer schwermütigen Resignation gewichen zu sein scheint, auch jetzt verschleiert sich noch ihr Blick hinter Thränen, wenn er ein Thema berührt, welches die Wunden ihres Herzens aufs neue bluten läßt!

Nein, er will diesen unersetzlichen Verkehr nicht stören, er will wahrlich mit dem großen Glück zufrieden sein, welches ihm so unerwartet in den Schoß gefallen ist.

Seine Hand führt eifrig den Pinsel, er plaudert in dem frischen Ton weiter, welcher sie anzuregen scheint.

Sie empfinden es beide als eine Geist und Seele erfrischende Freude, einander im harmlosen Verkehr freundschaftlich näher zu treten.

Endlich steht Charitas auf. Ihre bleichen Wangen schimmern wieder in zartem Rot, sie reicht ihm herzlich die Hand entgegen. »Wie dankbar bin ich Ihnen für all Ihre Teilnahme und alle guten Worte; die letzte Zeit brachte so großes Leid über mich, ich war so ganz verlassen! Nun helfen Sie mir über die schweren Stunden hinaus. Ich bin keine gute Gesellschafterin jetzt, Sie müssen Nachsicht haben mit meinen verweinten Augen, welche aber so gern einmal Ihr Werk bewundern möchten! Darf ich Ihr Werk nicht einmal sehen?«

Dunkle Glut flammt in seinen Wangen, hastig abwehrend streckt er den Arm vor. »Ich bitte, ich beschwöre Sie – noch nicht! Lassen Sie mich erst weiter sein! Etwas Unfertiges zu zeigen ist für mich ein Greuel – für meine Muse ein Beginnen, welches sie in die Flucht schlägt! Noch ein paar Tage Geduld – bitte, bitte!«

Er zieht ihre Hand mit flehendem Blick an die Lippen, und Charitas blickt beinahe verlegen in sein verstörtes Gesicht. »Gewiß werde ich mich gedulden! Ah, ich ahnte nicht, daß ich gegen den Maler- und Künstler-Komment fehlte!«


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