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»Ich kann's nicht!« rief sie mit leidenschaftlich verschlungenen Händen: »ich ertrage nicht die Nähe dieses Weibes! O Vater, armer, unglücklicher Vater, so lohnt Dir Dein Liebling all die aufopfernde Liebe und Verehrung, so vergilt sie all die tausend Zärtlichkeiten, mit welchen Du ihr Leben so innig gestaltet hast, und läßt Dich allein in Elend und Krankheit, um mit leichtsinnigen Glücksrittern von einem Vergnügen in das andere zu taumeln! Und dennoch, ich vermag es ja nicht, nach so langer Trennung herzlos davon zu eilen, wenn Deine Sehnsucht und Verlassenheit Dich heim treibt, wer macht Dir altem Mann noch eine Freude, wenn ich selbst Deine Nähe fliehe? Um seinetwillen will ich denn erdulden, will die Zähne zusammenbeißen und wenigstens ein paar Stunden lang bei ihm sein, die Frau Gemahlin wird unser Wiedersehen nicht lange stören, es giebt ja zwei Inseparables zu liebkosen! Ja, ja denn, ich bleibe hier und erwarte den Vater, im Hotel wird es noch Platz für Aennchen und mich geben, und der eine Tag wird hoffentlich auch vorüber gehen, wie Alles im Leben, was bisher mein Herz schneller schlagen ließ, und dann geht es zurück, heim in mein liebes, altes Schloß. O, Herr mein Gott, wie werde ich so glücklich sein!«
Lenz trat ein.
»Ich wünsche Mademoiselle Marion zu sprechen«, sagte Ruth, sich hastig umwendend: »rufen Sie dieselbe her.«
Mit tiefer Verneigung zog sich der alte Diener zurück, Erlkönigin aber setzte sich vor ihren Schreibtisch und begann in fliegender Hast die einzelnen Nippes und Rahmen einzupacken.
» Mon dieu, was ist denn passiert?« rief die kleine Französin, atemlos die Portieren teilend. »Sie räumen wohl gar ein? Ciel –. wir sollen doch nicht –«
»Abreisen? o ja, und zwar schon binnen vierundzwanzig Stunden werden meine Möbel auf dem Wege nach Altingen sein, wir selber bleiben noch bis zum Dienstag hier, dann folgen wir ihnen so eilig wie möglich. Lassen Sie sofort Alles besorgen, beste Marion, hier diese Oelbilder kommen wieder in die große Spiegelkiste und Lenz soll den Schreiner zum Einschrauben bestellen, sonst ist weiter nichts besonderes zu bestimmen.«
Fieberhafte Glut stieg in die hagern Wangen der alten Dame, fast nervös spielten ihre Finger mit den weißen Spitzenbarben, welche über die eingesunkene Brust herniederhingen.
»Abreisen? Welch ein böser Geist beseelt Sie denn plötzlich, Ruth, jetzt, wo es anfängt so schön hier zu werden, und wo man sich endlich in der Residenz eingelebt hat, jetzt wollen Sie mit einem Mal auf und davon, ohne Ueberlegung, welchen Tausch Sie eingehen?«
»Es wird mir absolut keine Zeit zum Ueberlegen gelassen, liebe Mademoiselle«, lächelte die Herrin von Altingen mit schnellem Seitenblick: »in acht Tagen sind meine Eltern wieder hier, und daß ich ohne Not keine Stunde lang mit meiner Stiefmutter dieselbe Luft atme, wissen Sie!«
»In acht Tagen die Herrschaften zurück?« Marion taumelte förmlich in die nächste Causeuse. »Herr des Himmels, jetzt schon?«
»Wie ich sage, meine Beste!«
»Was ist denn passiert? Ist der Herr Baron kränker, oder gefällt es der gnädigen Frau nicht mehr in Italien?« Mit zwei Schritten stand die Französin schon wieder neben Ruth und starrte ihr atemlos in das Gesicht. »Da muß ja etwas ganz Außergewöhnliches vorgefallen sein, o erzählen Sie, Ruth, schnell, erzählen Sie!«
Erlkönigin blickte kühl empor: »Dazu ist durchaus keine Zeit jetzt, Mademoiselle«, entgegnete sie kurz, »besorgen Sie Ihre Angelegenheiten und benachrichtigen Sie Aennchen vor allen Dingen, auf Wiedersehen.«
Die Französin sah sehr echauffiert aus, es schien, als wollten sich die blassen Lippen öffnen und eine ganze Flut bitterer Anklagen über die junge Dame schütten, dann besann sie sich plötzlich eines Andern, wandte sich eilig um und rauschte sichtlich indigniert aus dem Zimmer.
»Lenz! besorgen Sie die Koffer vom Boden!« klang ihre scharfe Stimme durch den Korridor.
»Du liebes Kind, komm geh' mit mir!«
» Con moto – dolce – bitte noch einmal, Fräulein Anna!« Heßbach blickte zu ihr auf und wandte das Blatt wieder zurück.
»Du meiner Seele schönster Traum«, begann das junge Mädchen von Neuem: »Du meiner schönsten –«
»Fräulein Anna?«
»Ja?«
»Warum betonen Sie denn das ›Du‹ so?«
»Ich? ach – das habe ich wirklich gar nicht bemerkt –«
»So! hm – es war mir so.«
»Du meiner schönsten Träume Seele,
Du Herz, dem ich mein Heil befehle –«
»Fräulein Anna!«
»Ja?«
»Ich glaube, Sie sangen eben falsch.«
»Mir war's, als ob Sie falsch begleitet hätten, Herr Heßbach. Sehen Sie, da liegen Ihre Finger noch auf dem G-Accord.«
»Hm. Sagen Sie mal, Fräulein Anna, ich glaube, wir sind heute alle Beide sehr zerstreut.«
Försters Töchterlein wurde rot. »Ach nein, nur nicht bei der Sache«, und sie schluckte unvermerkt die Thränen hinunter.
»Was genau dasselbe sagen will.«
Kleine Pause. »Herr Heßbach!«
Der junge Mann blickte eifrig empor, »ja?«
»Wir wollen doch weiter singen!«
»Singen wir!«
»Du meiner Seele schönster Traum!«
»Hören Sie einmal, beste Fräulein Anna, ist es mir nur so, oder höre und sehe ich heute nicht richtig, aber es kommt mir immer vor, als sängen Sie: ›Du meiner Seele‹ und als sähen Sie mich dann dabei an!« Heßbach sprang ungestüm auf und schlug die Noten zu. »Anna, wir sind heute alle Beide nicht bei der Sache, und wissen Sie auch warum? weil die Hiobsbotin, Mademoiselle Marion, hereingestürmt kommt und wie ein Blitz aus heiterem Himmel erklärt, daß Sie abreisen müßten!«
»Ach ja«, seufzte Aennchen, und diesmal zitterte es auch feucht an den Wimpern.
»Ja, das geht ja aber gar nicht! Der Gedanke ist ja ganz unmöglich!« rief der Kapellmeister immer erregter, »bedenken Sie doch, was soll aus Ihrer Stimme werden, wenn ich sie nicht mehr ausbilden kann, Sie singen den ›schönsten Traum‹ noch ganz abscheulich, immer betonen Sie das ›Du‹ und dann begleite ich falsch! Nicht wahr, das sehen Sie doch selber ein, daß das so nicht gehen kann« –
»Nun, dann wollen wir schnell noch einmal singen, und ich betone ›Traum‹, denn die Hauptsache im Leben ist ja meistens, daß man träumt«, und Aennchen fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen und konnte gar nicht weiter reden vor Rührung.
Auch Heßbach blickte wehmütig vor sich nieder, »nun dann wollen wir's einmal mit dem Traum versuchen«, sagte er ganz kleinlaut, setzte sich wieder vor das Instrument und schlug die Noten auf.
»Na also!«
»Du meiner Seele schönster Traum –«
schluchzte Aennchen voll Todesverachtung.
»Fräulein Anna!«
»Herr Heßbach?«
»Nein, es geht auch so nicht! Sie können nicht spielen und ich kann nicht singen, das heißt, ich wollte sagen, Sie können nicht singen und ich nicht spielen, sehen Sie, ich bin schon ganz verrückt –«
»Nun dann könnte ich vielleicht Seele betonen?«
»Seele?« Heßbach stand auf und faßte jäh entschlossen beide Hände seiner Schülerin. »Jeder Mensch hat eine Seele, doch wer liebt, hat ihrer zwei, sehen Sie, Anna, mir ist es plötzlich so seelenvoll zu Mute, daß es gar nicht anders sein kann, ich bin verliebt, und wenn ein Kapellmeister einen falschen Akkord greift, wenn eine junge Dame neben ihm steht, dann kommt es daher, daß er sich auf die beiderseitige Harmonie viel zu fest verlassen hat! Anna, ich habe nie falsch gespielt und Sie noch nie falsch gesungen während unseres Unterrichts, jetzt mit einem Mal sind wir Stümper geworden, weil man uns sagt, daß wir getrennt werden sollen. Das ist Unmöglichkeit! Sie sind die goldenen Saiten meiner Seele geworden, reißt man sie los von mir, ist Klang und Leben mit zerrissen, ich kann nicht mehr schaffen und wirken ohne Dich, meine geliebte, kleine Anna, denn Du eben bist meiner Seele schönster Traum.«
Mit großen, todesängstlichen Augen blickte das Waldkind zu ihm empor, die Thränen versiegten, wie ein Schwindel brauste es durch ihr Köpfchen, und als der schöne Mann sie an seine Brust zog und Kuß um Kuß auf die frischen Lippen drückte, da breitete sie jauchzend die Arme aus, schlang sie um seinen Nacken und flüsterte ihm in das Ohr: »O wie lieb hab ich Dich!«
Mademoiselle Marion wunderte sich, daß gar kein Laut mehr aus dem Musikzimmer herüberschalle, »unterrichtet gewiß theoretisch«, dachte sie, und weil sie gar zu viel zu thun hatte, beruhigte sie sich bei diesem Gedanken.
Und der Kapellmeister fuhr auch gewissenhaft erläuternd nebenan fort: »Siehst Du, mein Herzenskind, ich hoffe binnen Jahresfrist sicher eine selbständige Stellung als Kapellmeister am Kurorchester zu R. zu erhalten, dann reise ich flugs hin, richte unser Nestchen ein, und hole mir so schnell als möglich mein Weibchen hinein, bist Du es zufrieden, Schatz?«
»Großmütterchen behauptet, ein rechter Brautstand müsse mindestens zwei Jahre dauern!« entgegnete die Kleine etwas ängstlich, »sie sagt, dies sei die schönste Zeit im Leben.«
»Auch wenn man getrennt ist?«
»O Du kommst sehr, sehr oft, und schreibst alle Tage!«
»Und niemals unter zehn Seiten, natürlich; nun, ich werde einmal mit Großmütterchen über den Punkt sprechen!« und Heßbach hob ihr rosiges Kinn und küßte sie abermals, »näh nur fleißig Aussteuer, meine kleine Braut –«
»Jetzt kommt Marion, schnell singen –«
Heßbach schlug übermütig die volltönenden Akkorde an. »Nun noch einmal, Fräulein Anna«, sagte er sehr laut und ernsthaft, »also dolce, dolce und zeitweise con moto.«
Du meiner Seele schönster Traum
Du meiner schönsten Träume Seele,
Du Herz, dem ich mein Heil befehle,
Du Heil, wie ich es ahnte kaum –
»Bravo, Fräulein Anna! jetzt singen Sie vortrefflich!«
*
Ruth hatte von den hohen Herrschaften Abschied genommen.
Prinzessin Josephine schied schwer von ihr: »Mein guter Engel verläßt mich ja mit Ihnen«, hatte sie feuchten Auges gelächelt, und leiser hinzugefügt, »lassen Sie mir wenigstens einen Sonnenstrahl zurück und geben Sie öfters Nachricht von Altingen, mein Herzenskind, wenn ich den nächsten Sommer noch erlebe, halte ich Wort und besuche Sie in dem lieben Ritterschloß, dort weht noch Stephanies Geist.«
Leopold hatte im Vorzimmer seiner Tante am Fenster gelehnt, aus Zufall wohl. Er sah bleich und ernst aus, um Jahre älter. »Leben Sie wohl, Erlkönigin, und wenn Sie je im Leben eines treuen Freundes bedürfen, so wissen Sie, wo er zu finden ist. Gott segne Sie, kommen Sie bald zu uns zurück.« Und er neigte sich auf ihre Hand nieder und preßte sie hastig an die Lippen. Da trat Fräulein von Nievendloh ein: »Na ja also, wenn Tante Josephine zu Ihnen kommt, müssen Sie mich als Reisemarschall mit in den Kauf nehmen!« fuhr er mit erzwungener Heiterkeit fort, » au revoir denn in Altingen!«
Und er grüßte mit schneller Handbewegung und ging.
Als Fräulein von Altingen abreiste, duftete ein köstlicher Rosenstrauß in ihrer Hand, von wem er kam, wußte niemand, als aber querfeldein ein einsamer Reiter mit dem Zug um die Wette jagte, da hob Erlkönigin die lieblichen Blumenkelche, neigte sich aus dem Fenster und hob sie ihm grüßend entgegen.
»War das nicht Prinz Leopold?« fragte Mademoiselle Marion, eifrig ihre Lorgnette suchend, »ich müßte mich doch sehr geirrt haben!«
»Ja, er war es«, nickte Ruth abgewandt, »er reitet gewiß zu den Felddienstübungen hinaus«, und sie lehnte sich in die Wagenecke zurück und schloß die Augen, es schien Aennchen, als mache der Blumenduft die Herrin von Altingen müde.
Endlich rauschte es wieder grün über dem Haupt, und frische, harzdurchzogene Waldesluft strich um die Stirn, frei und hoch wölbte sich der Himmel, kein Laut ringsum als jubelnde Vogelstimmen, fern im Thalgrund hütete der alte Petermann seine weidende Schafherde, unverändert, seinen blauen Strumpf in der Hand und den großmächtigen Schlapphut im Nacken.
»Petermann!« jauchzte Ruth in ihrer Glückseligkeit auf, hob den hellen Sonnenschirm und schwenkte ihn im offenen Wagen.
Der Alte schaute auf und hielt die Hand über die Augen. Das war die Altinger Equipage, welche dort die Chaussee von Kirchbach herrollte, er kennt die beiden Rappen ganz genau, und hinterdrein kommt ein großer Leiterwagen mit Gepäck. – »O Du mein Herrgott, kommt die Erlkönigin endlich zurück?«
»Junge!« ruft er seinem halbwüchsigen Buben zu, welcher sich dicht neben ihm in den braunen Haide- und Wachholderbüschen sonnt, »he, ruf einmal ein Vivat hinüber, die Altinger kommen zurück!« und der schwarzäugige Hansjörg springt empor, legt die Hände um den Mund und jauchzt aus voller Kehle. »Juchhe!« hallt es fernhin.
Da taucht ein Thurm auf, ein Stückchen Mauer, noch die nächste Wegbiegung, und das liebe Waldschloß liegt vor ihnen. Aennchen steht im Wagen und ist glutrot vor Wonne und Entzücken, Ruth preßt die Hände gegen die Brust und verschlingt das teure Bild mit den Augen. Die Zugbrücke rasselt – der Oberförster, Großmütterchen, Hans, Alle stehen sie im Hof und erwarten ihre heißersehnten Wandervögel.
»Daheim! Daheim!« klingt es wie ein jubelnder Aufschrei von Erlkönigins Lippen, mit ausgebreiteten Armen stürmt sie der Heimat entgegen, und wie ein schwerer Bann löst es sich von ihrer Seele, jetzt ist sie wieder Kind, jetzt ist sie wieder glücklich, hier ist ihr Reich, hier gehört sie hin!
Wie ein Nebelbild versank die Residenz, und es war Ruth, als sei Alles, Alles nur ein Traum gewesen!
»Erreicht den Hof mit Müh und Not.«
Eisiger Wind pfiff durch die glitzernden Aeste, jagte mit wildem Lied über die einsame Heide und zauste den dunklen Mantel des Wanderers, welcher gesenkten Hauptes darüber hinschritt. Die Erde war hart gefroren, schimmernde Schneedecke breitete sich flockig über ihr Haupt, und hing gleich bräutlichem Schleier über Gebüsch und Tannenwald, durch dessen winterliche Pracht der Mann mit dem ernsten Antlitz jetzt schritt.
Das Dunkel senkte sich tiefer, aber er schien die Gegend zu kennen, sicheren Blickes übersah er den Kleengrund, blieb für Augenblicke stehen und legte zögernd die Hand über die Augen.
Es war so still und feierlich rings umher, wie ein steinern Angesicht, auf dessen Wangen heimliche Thränen blinken, schaute das Thal zu ihm herauf.
Die grauen Wolken zogen vorbei, höher und dunkler spannte sich der Himmel aus, schon blitzte hie und da ein einzelner Stern. Norbert zog den Mantel fester um die Schultern und kämpfte sich weiter vorwärts gegen den Wind. Bald lichtete sich der Wald, der Fußpfad bog ab, und in seiner frischen Schneedecke gewahrte Norbert den Abdruck eines Pferdehufes, daneben in weiteren Zwischenräumen die Spuren eines begleitenden Hundes. Unwillkürlich flammte es heiß über seine Stirn, aber das Lächeln erstarb auf der Lippe, und er schüttelte mit fast bitterem Ausdruck den Kopf. »Der Onkel ist heimgeritten und Nimrod begleitete ihn« flüsterte er vor sich hin. »Sie! wo ist sie wohl jetzt! Fern in der Residenz, vielleicht bei der glänzenden Toilette für den Hofball, umgeben von Brillanten und Atlaswogen, beneidet von den Freundinnen, umschwärmt von den Kavalieren, bevorzugt von den Fürstlichkeiten, und zufrieden mit sich und ihrem Loos! Ihr Weihnachtsbaum wird strahlender brennen, wie hier im stillen Wald, ihre Festgenossen heiterer sein, wie der Gast im Försterhaus!« Und gedankenvoll schritt er weiter.
Da blitzte ein helles Licht durch die Dunkelheit, traulicher Lampenschein winkte durch das Gezweig zu ihm herüber, und hastiger schritt der Wanderer zu und grüßte den freundlichen Glanz! Wieder stand er vor dem alten Haus, unter der kahlen Linde, wo Großmütterchen ihre Märchen erzählte, und leise trat er an das helle Fenster und schaute hinein.
Da saß in der Mitte am runden Tisch die greise Frau mit dem lächelnden Antlitz unter dem Silberscheitel, sie nickt der rosigen Anna zu und schickt einen Korb Aepfel erklärend über den Tisch, der junge Mann an der Seite ihrer Enkeltochter greift hinein und wählt die prächtigste Frucht heraus, er legt den Arm um Aennchens Nacken und reicht sie ihr hin. Das war also der glückliche Bräutigam der Försterstochter, der geniale Kapellmeister aus der Residenz, welcher die Stimme des jungen Mädchens ausbildete, und dafür ihr ganzes, überglückliches Herzchen zum Lohne behielt. Und weiter! Nebenan sitzt der große blonde Schlingel Hans, welcher zum zweiten Mal schon Weihnachten aus der Nachbarstadt nach Hause kommt, er wühlt geschäftig in einem Berg Nüsse, schiebt Gold- und Silberschaum herbei und bohrt Stecknadeln mit Schlingen in die harte Schale; doch neben ihm – wer ist das? Eine Dame, tief über den Tisch geneigt, das Lampenlicht glänzt auf dem blonden Scheitel, und eine schmale, weiße Hand greift eifrig nach Hansens Nüssen – sie wendet ihm den Rücken zu, jetzt lacht sie und blickt auf; sie hält dem Kapellmeister eine vergoldete Nuß hin, er bewundert sie, das breite Armband gleitet auf die Hand und sie dreht das Köpfchen und giebt dem Hans einen Klapps auf die Finger, welche heimlich einen stibitzten Apfel zu Munde führen.
»Ruth!« ringt es sich von den Lippen des Lauschers; er preßt die erhitzte Stirn gegen die Scheibe und atmet kaum. Welch liebliches Bild vor seinen Augen! Wie anders als er es sich gedacht hatte. Sie, welche er im Glanz und Luxus glaubte, umrauscht von den Vergnügungen der großen Welt, beschäftigt mit flüchtig vorbeiwirbelnden Karnevalbildern, und entfremdet von dem stillen Waldschloß, in dessen frühlingsgrünem Park einst ein leidenschaftlicher Jüngling um ihre Liebe gefleht, sie, welche er sich fern im Kreise von Menschen dachte, welche aus der Urne des Schicksals die höchsten Lose gezogen, sie saß schlicht und bescheiden an dem bürgerlichen Tisch im Försterhaus, anspruchslos und heiter wie ein Kinderherz, welches nie nach Besserem verlangt hat! Die weiße Hand schaffte emsig zwischen Aepfeln und Nüssen, der Goldschaum heftete sich an die Nagelspitzen und verwandelte das junge Mädchen zu der Fee im Märchen, deren kleiner Finger mit verräterischem Glanz den hohen Gast im Bettlergewande verriet.
Norbert kann die Blicke nicht losreißen, er will wieder von dannen fliehen und die stolzen Augen meiden, welche ihn mit ihrem unbarmherzigen Blicke verfolgten bis in den tiefsten Traum hinein! und dennoch bleibt er wie gebannt am niedern Fenster stehen und staunt das Wunder an: »Erlkönigin daheim!«
Die alten Bilder werden wach in seinem Herzen, er steht vor dem weißen Postament im Schloßpark und beugt in tiefster Innigkeit das Knie, und wendet sich stolz ab und sagt –
Norbert preßt die Lippen zusammen und richtet sich hoch empor.
»Der Mann ohne Zukunft braucht Dich nicht zu meiden, Herrin von Altingen!« murmelte er fast bitter, »ich habe dich nicht gesucht, Du kreuzest meinen Weg.«
Und mit schnellem Entschluß steht er an der Thür und tritt ein, sein Schritt hallt durch den Hausflur, entschlossen faßt er die Klinke und steht auf der Stubenschwelle.
»Norbert!« ruft es ihm jubelnd entgegen, Aennchen, Hans und Großmütterchen schließt er wie im Traum in seine Arme, der junge Bräutigam reicht ihm beide Hände dar, nur Eine steht mit starrem Schweigen und stützt sich schwer auf die Stuhllehne – Ruth.
Er blickt sie an, der Mantel fällt von der Schulter, auf der Brust glänzt das Kreuz, langsam tritt er ihr entgegen.
»Haben Sie keinen Gruß für mich, Fräulein von Altingen!«
Da flutet helle Glut über die erbleichten Wangen, hastig reicht sie ihm die Hand: »Grüß Gott, Herr Kapitän, wie freue ich mich, Sie wohlbehalten wieder hier zu sehen!«
Baronesse Ruth sagt keine leere Phrase, das sieht er, ihr Auge leuchtet wahr und voll zu ihm empor.
»Ich hatte nicht geglaubt, Sie hier im Walde zu finden!« fährt er fort, »ich vermutete Sie inmitten der Saison in der Residenz!«
»Ich wohne wieder ganz in Altingen, seit mein Vater tot ist«, entgegnete sie gesenkten Hauptes.
»Zwei Jahre schon? und davon schrieb mir Aennchen nie ein Wort!«
»Norbert! Du bist ja Kapitän, Du hast einen Orden!« jauchzt Hans dazwischen, und mit dem Interesse des Sextaners geht er an die nähere Besichtigung: »Das ist das Kreuz, welches Du für das gerettete Schiff bekommen hast? nicht wahr? O wir haben es in der Zeitung gelesen, was Du für ein berühmter Mann geworden bist!«
Unwillkürlich streift Sangoulèmes Blick das Antlitz Ruths, sie schaut zu Boden und flammende Glut jagt über die Stirn.
»Uns wieder so zu überraschen!« schüttelt die Oberförsterin mit umflortem Blick das Haupt. »Warum gönnst Du uns nie die Vorfreude, Du seltsamer Mensch?«
Er führt ihre Hand zärtlich an die Lippen. »Ich kam in Wilhelmshaven an, nahm meinen Urlaub und eilte zu Euch, zum Schreiben habe ich keine Ruhe mehr, wenn ich schneller da sein kann, als der Brief!«
»Und hier ist mein herzlieber Schatz, Norbert!« ruft Aennchen mit strahlendem Auge, »schau! hast Du ihn Dir so vorgestellt? Kapellmeister! komponiert und dichtet und spielt Geige, Klavier, Cello –«
»Skat und Sechsundsechzig!« unterbricht der Gerühmte lachend, »ja, Du bist eine beneidenswerte Braut!«
»Komm einmal, Norbert, sieh Dir einmal meine Steinsammlung an!« schiebt sich Hans energisch in den Vordergrund, »schon zweiundachtzig Stück, alle Sorten!«
»Nein, erst muß er zu Abend essen!« wehrt das praktische Großmütterchen, »begleite mich hinüber, mein Herzensjunge, mein wackerer Kapitän!« und abermals fühlt sich der junge Seemann von allen Seiten auf's stürmischste umarmt.
Welch ein Durcheinander! welch ein Jubel! Endlich sitzen alle wieder um den runden Tisch, auch Onkel Oberförster mit weißgefrorenem Bart ist heimgekommen, und reiht sich als humoristisch biederes Glied zu der traulichen Kette. Da klingt Pferdegetrappel vor dem Fenster.
»Der alte Lenz ist mit der Laterne aus Altingen da!« meldet Hans eintretend, »Suwaroff wird eben herausgeführt!«
Ruth erhebt sich mit heiterem Abschiedswort.
»Darf ich mir erlauben, Sie zu begleiten, Fräulein von Altingen?«
Norberts hohe Gestalt steht vor ihr, die ernsten Augen blicken sie forschend an.
»O Sie sind sehr gütig!« stammelt Ruth fast erschrocken, »Lenz ist ja bei mir, es passiert mir gewiß nichts, und Sie sind müde!« fährt sie lebhafter fort. »Sie haben heute schon den weiten Weg von Kirchdorf hier heraus gemacht –«
»Wenn das Ihre einzige Sorge ist«, er greift lächelnd nach dem Degen, »so halte ich meine Bitte für gewährt, die Nacht ist herrlich, der Mond ist heraufgekommen und auch die Kälte hat nachgelassen, es ist ja eine so seltene Freude für mich, durch deutschen Wald zu gehen.«
Das Lebewohl schallt hin und her, Suwaroff scharrt den Boden und Norbert reicht zögernd die Hand hin, um Fräulein von Altingen beim Aufsteigen behilflich zu sein; aber sie wendet sich um. »Lenz!« ruft sie, »führen Sie das Pferd hinterher, ich gehe zu Fuß!« und mit freundlichem Lächeln wendet sie sich zu Sangoulème. »Besten Dank, Herr Kapitän, ich ziehe vor, mit Ihnen auf ebener Erde zu plaudern! Adieu, Hans!« und wie der Blitz beugt sie sich nieder und rafft den Schnee auf. »Zum Andenken!« und der weiße Ball fliegt neckisch auf sein Ziel.
»Morgen mit Zinsen zurück!« droht der kleine Mann, und versucht sich umsonst aus Aennchens Händen zu befreien, um den weißen Gruß sofort zurückzusenden. »Die Anne hält mich fest, sonst bombardierte ich sofort los!«
»Morgen schicke ich meinen Sekundanten«, ruft Erlkönigin, sich umwendend. »Gute Nacht, kleiner Nußknacker!« und fort war sie, hinter den beschneiten Fichtenzweigen verschwand ihre schlanke Gestalt neben Sangoulème.
»Hans scheint nicht höher zu schwören, als bei Ihnen, Fräulein von Altingen«, lächelte der schöne Mann neben ihr, »Sie scheinen sich gut zu verstehen!«
»Das will ich meinen!« rief sie lustig, »wir waren stets gute Kameraden, und wenn wir uns unvermutet einen Streich spielen können, so gehört das zu den Hauptvergnügungen in dieser Einsamkeit; ich habe stets gerne geneckt, und bei Hänschen fand ich ein fruchtbares Feld, er huldigt der Devise: ›wie Du mir, so ich Dir!‹«
»Sie nannten Ihren Aufenthalt hier Einsamkeit, wenn ich recht verstand, und doch scheinen Sie ihn freiwillig gewählt zu haben. Lebt Ihre Frau Mutter nicht bei Ihnen in Altingen?«
Die junge Dame blieb stehen, ein Mondstrahl huschte über ihr Gesicht, zwei finstere Augen blitzten zu ihm auf.
»Meine Mutter hat sich wieder verheiratet, ich höre sehr selten von ihr und gebe noch seltener Nachricht von Altingen: wir waren uns nie sympathisch, und ich glaube wohl, daß sie Gott dankt, die lästigen Bande zwischen uns zerrissen zu sehen!«
»Und so leben Sie ganz allein hier?« fragte er mit unsicherer Stimme, »warum blieben Sie nicht in der Residenz?«
Ruth neigte ihr Köpfchen tief auf die Brust. »Sie wissen ja, drei Winter habe ich dort getanzt und die Geselligkeit mit ihren lauten Freuden in vollen Zügen genossen, aber es widerte mich zuletzt an«, sie hob fast trotzig den Kopf, »es war Vieles so anders, als wie ich es mir gedacht hatte. Ich hasse die Menschen mit den grinsenden Zügen und der Bosheit auf der Zunge, ich durchschaue ihre Intriguen und finde ihr kriechendes Wesen verächtlich! Ich paßte nicht in dieses Leben, wo Maske und Verstellung zum guten Ton gehören, ich war zu aufrichtig, ich sprach aus, was ich dachte, und wohl hätte verschweigen sollen, ich sah, was hundert Andere übersehen mußten, und tadelte, was man vielleicht gelobt verlangte!«
»Die Herrin von Altingen war zu stolz, um sich der launischen Welt zu fügen!« setzte er mit scharfer Betonung hinzu.
Sie blickte schnell empor, aber sie antwortete nicht. Der Weg teilte sich, hier führte die breite Straße durch den Wald nach Altingen, dort führte der Fußpfad in den Kleengrund hinab.
»Wollen wir hier durch das Thal gehen?« fragte Ruth momentan zögernd, »wir sind schneller beim Schloß, wenn auch der Weg beschwerlicher ist! Aber der beschneite Kleengrund sieht so prächtig im Mondlicht aus, und ich möchte Ihnen doch mein Reich in voller Pracht zeigen«, fügte sie scherzend hinzu.
»Ich folge Ihnen!« entgegnete er, »es ist wohl auch ein Abenteuer, der Erlkönigin zu begegnen, wenn keine Irrlichter tanzen?«
Sie lachte. »Meinen Sie unsere erste Begegnung?« fragte sie heiter zu ihm auf.
»Ich dachte jener Nacht, wo ich einen kleinen Nixengeist auf meinen Armen durch den Bach trug! wie viel liegt zwischen einst und heute.«
Sie schwieg. Eisiger Wind sauste ihnen aus dem dunklen Grund entgegen und schüttelte den Schnee von den Aesten auf sie herab; noch säumte das Mondlicht nur den Waldesrand mit silbernem Reifschleier, drunten die Erlen standen wie hohe Gestalten, deren weiße Arme den Nahenden schaurig entgegen winkten. Erlkönigin schritt leicht über den knisternden Schnee, der Abhang war glatt und eisig, der Wind zauste ihr wehendes Kleid. Da liegt loses Gestein, über welches der Schnee gefroren ist. Ruth schwankt und greift ängstlich nach den überhängenden Tannenästen, da stützt sie ein starker Arm, die hohe Gestalt des Seemanns tritt dich neben sie und faßt ihre kleine Hand, widerstandslos läßt sie sich von ihm führen.
»Bleiben Sie länger hier?« fragt sie fast schüchtern, »als Kapitän haben Sie wohl nicht mehr so viele Freiheit wie ehemals? Sie sind ja jetzt ein berühmter Mann geworden, Ihr Heldenmut ist mit langen Artikeln in der Zeitung gerühmt, und jubelnd brachte mir Aennchen Ihren Brief, in welchem die Freudenpost von dem Ehrenkreuz stand, welches man dem Erretter von der Fregatte ›Nelson‹ auf die Brust geheftet, auch Prinz Leopold schrieb mir davon, und bat um meine Glückwünsche für den Freund.«
Der Mann ohne Zukunft lächelte leis vor sich hin, sein edles Profil hob sich scharf gegen den hellen Schneehügel zur Seite ab. »Ich werde nur die Festtage über hier bleiben«, entgegnete er hastig, »ich wollte meinen Urlaub zu einer längeren Reise durch meine Heimatland benutzen und mich später mit Prinz Leopold in Paris treffen.«
Wieder herrschte Stille, nur die Erlenzweige klangen im Wind. Sie schritten über den Bach.
»Denken Sie an damals?« er neigte sich tief zu ihr hernieder. Das Eis knisterte unter ihren Füßen und sein Mantel wehte beschirmend um ihre schlanke Gestalt.
»Ich habe stets daran gedacht, wenn ich hier auf meiner Weide gelesen oder geträumt habe!« flüsterte Erlkönigin, »es verirrt sich selten eine Menschenseele hierher!«
Und nun ging es wieder bergan durch die hohen Eichen. Die Eiszacken flimmerten in dem bleichen Licht, und bald grüßten die Lichter von Altingen durch den leichten Nebel.
Endlich standen sie vor der Zugbrücke, hinter ihnen von der Landstraße her blitzte die Laterne des alten Lenz, klang der Hufschlag Suwaroffs.
»Oberförsters sind morgen alle meine Gäste«, sagte Ruth, »darf ich auch bei Ihnen um das Vergnügen bitten?« Ihre Stimme klingt unsicher und ihre Hand zittert leicht auf seinem Arm.
Er hat sich halb zur Seite gewandt, sie zieht leise ihre Hand zurück und greift nach dem Schellenknopf, mit stummer Bitte blickt sie empor.
»Würde es Sie beleidigen, wenn ich nicht käme?« fragte er gepreßt, seine Stirn ist finster und sein Blick meidet den ihren.
»Es würde mir zeigen, daß Sie unversöhnlich sind!« entgegnete sie mit gesenktem Haupt, »und dennoch sagten Sie bei unserem Abschied in der Residenz, es solle alles vergessen und vergeben sein! schon darum dürfen Sie mich nicht von neuem kränken!«
Er reicht ihr die Hand entgegen, fast heftig umschließt er die bebenden Finger der jungen Baronesse. »Nein, das will ich nicht!« erwidert er mit gedämpfter aber leidenschaftlich erregter Stimme. »Sie sagen mir ja, daß ich kommen soll, aus freien Stücken hätte ich Altingen nicht wieder betreten, ich gelobte es Ihnen einst! Nun geben Sie mir mein Wort freiwillig zurück, und ich danke Ihnen für die Erlaubnis, weiter Ihr Freund sein zu dürfen. Gute Nacht, Fräulein Ruth, ich werde die Meinen begleiten!«
Er gab ihre Hand frei, griff salutierend an die Mütze und wandte sich mit schnellen Schritten zurück. Wie ein dunkler Schatten verschwand seine stolze Gestalt in dem Düster der Schloßmauer.
Ruth aber verschlang die Hände und lehnte regungslos an der gewölbten Pforte, mit starrem Blick sah sie ihm nach, und der Nordwind kam und küßte die Thräne von ihrer Wange; – wie arm war doch die Herrin von Altingen.
Da blitzt die Laterne neben ihr, hell wiehernd schüttelt der Goldfuchs die Mähne, und der alte Lenz reißt erschrocken an der Schelle, das gnädige Fräulein hatte warten müssen.
»Ein kalter Abend!« sagte er wie entschuldigend, »man kann nicht scharf zugehen bei dem Eis!«
Ruth nickt ihm nur schweigend zu und zieht den Mantel fester um die Schulter. Sie hört wie die Kette der Zugbrücke rasselt und die schweren Riegel zurückweichen, dann schreitet sie schnell voran, stürmt über den Hof und eilt die Treppe hinan in ihr Zimmer. Dort liegt ein Pantherfell über dem Sessel, sie sinkt daneben nieder und drückt ihr Gesicht auf die glänzenden Haare; es war wohl nicht das erste Mal, daß Erlkönigin zu dem Andenken des fernen Freundes flüchtete.