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Die Rouleaux waren herabgelassen, in den tiefen Fensternischen wölbten sich dichtverwachsene Epheulauben, und die kleinen Sänger in dem großen Goldbauer hatten die Köpfchen unter die Flügel gesteckt und saßen wie kleine Federkugeln eng zusammengeschmiegt auf den Stangen.

Büsten und Bilder schmückten die Wände, blühende Blumen dufteten an allen Ecken, überall wehte der Geist traulichen Friedens, zusammengewebt aus tausend kleinen Kostbarkeiten und vergilbten Andenken, welche mit sorglicher Hand auf Etageren, Simsen und Konsolen aufgebaut waren.

»Liebe Ruth«, sagte die Prinzessin sich emporrichtend und beide Hände des jungen Mädchens herzlich in die ihren schließend, »ich danke Ihnen für Alles, was Sie mir soeben über die Angelegenheit des Herrn von Otthardt gesagt haben. Sie ahnen vielleicht nicht, wie viel lebhaftes Interesse ich für den jungen Mann hege. Sie sind ein edles, treues Gemüt, Ruth, ich habe Sie lieb gehabt von dem Augenblick an, wo Ihre klare Kinderstimme mir zuerst von dem süßen Frieden der Heimat erzählte, wo mir Ihre lauteren unverdorbenen Ansichten in der tiefsten Seele wohl thaten und ich nicht satt werden konnte, in diese hellen Augen zu sehen, deren Blick noch einen ganzen Himmel glücklichster Unschuld barg. Aber nicht nur erfrischt hat mich Ihre Nähe, Ruth, wie eine herzige Blumenknospe, welche plötzlich ihren Kelch aus den Staubwolken des profanen Marktes erhebt, nein, sie gab mir seit langer Zeit die selige Gewißheit, daß in Ihnen der Geist Ihrer unvergeßlichen Mutter, meiner treuesten Freundin, wieder aufgelebt sei, daß ich in Ihnen meine Wünsche und Hoffnungen verwirklicht sehe, daß ich Ihnen vertrauen darf, wie einst meiner guten Stephanie!«

Erlkönigin bedeckte die Hände der Sprecherin mit zärtlichen Küssen. »O Hoheit!« flüsterte sie emporschauend, »welch größeres Glück könnte mir zu Teil werden, als den Platz in einem Herzen zu erringen, welches für meine liebe Mutter der Inbegriff des Lebens war!«

»Stephanie hat mein Glück neidlos geteilt, und im Leide treulich bei mir ausgehalten«, flüsterte die Kranke mit weitschweifendem Blick; »sie allein war Zeuge der kurzen Sonnenblicke, welche meinen Lebensmai so spärlich erhellten, sie allein stand mutig an meiner Seite, als das Wetter seine schwarzen Wolken über mir ballte, und nur sie ertrug mit mir die zahllosen Nächte der Qual und Schmerzen, in welchen Leben und Tod ihren furchtbaren Kampf um eine junge Seele kämpften. Das Alles ist vorbei, Stephanie ist tot, ich aber mußte weiter leben, um noch jenen Tag zu sehen, wo meine schwachen Hände den Sohn Otthardts vor dem Abgrund und der Schande retten, und darum lohnt es sich, gelitten und gelebt zu haben. Was weiß der junge Offizier von der alten Frau im Schlosse droben, welche Jahr aus Jahr ein krank und keinem Menschen sichtbar ist? Für ihn bin ich auch tot, denn er kommt nicht und fleht mich um Hilfe an. Oder ist er stolz? So stolz wie einst sein Vater, der lieber das Herz aus der Brust riß, ehe er aufhörte, der Günstling eines Monarchen zu sein? Auch ein solcher Stolz ist etwas wert, die Welt beugt sich vor ihm.«

Josephine hielt momentan inne und schrak empor, im Nebenzimmer befahl Fräulein von Nievendloh mit gereizter Stimme das Theewasser und fügte mit Betonung hinzu, daß es bereits sieben Uhr geschlagen habe.

»Alice wird ungeduldig«, flüsterte die Prinzessin mit fast ängstlichem Blick nach der Thür, »wir wollen uns kurz fassen, liebe Ruth – ah, was giebt es, Hoveland? Ich wünschte nicht gestört zu sein!«

Sie wandte sich nach dem eintretenden Lakaien, welcher zögernd auf der Schwelle stehen blieb und sein silberweißes Haupt tief zur Erde neigte.

»Halten zu Gnaden, Hoheit, Herr de Sangoulème kommt im Auftrage seiner Hoheit des Prinzen!«

»Führt ihn zu mir, Hoveland!« nickte die alte Dame in momentaner Unschlüssigkeit, »erst aber die Lampe etwas höher schrauben, so! Und nun geht! – Ich bitte ihn, nachher einen Augenblick zu Alice in das Nebenzimmer zu treten«, fuhr sie wie entschuldigend zu Ruth fort, »er wird gewiß meinen Neffen zum Thee anmelden!«

Ruth erhob sich hastig und griff nach ihren Handschuhen, sie suchte nach Worten, um die Prinzessin zu bitten, sie für heute zu entlassen, sie wollte plötzlichen Kopfschmerz vorschützen und lieber morgen wiederkommen; aber ehe sie nur einen Gedanken fassen konnte, schlug Hoveland die Portieren zurück und Norberts hohe Gestalt stand ihr gegenüber.

Prinzessin Josephine hatte Recht gehabt, Sangoulème war von Leopold vorausgeschickt, um den jungen Fürsten zum Thee im rechten Schloßflügel anzusagen.

»Und warum kommt mein Neffe nicht gleich mit Ihnen?« fragte die Kranke mit freundlichem Lächeln, »es ist sonst nicht seine Art, das Ceremoniell in dieser Beziehung zu berücksichtigen!«

»Hoheit wurden im letzten Augenblick durch den Landstallmeister aufgehalten«, entgegnete der Seeoffizier heiter, »und da Herr von Meisenheim Seine Excellenz begleitete, war eine so schnelle Erledigung der Angelegenheit kaum vorauszusehen, in Folge dessen meine Funktion als Herold!«

»Und dem Zeichen nach als sehr friedlicher!« scherzte die Prinzessin, auf eine köstliche Theerose deutend, welche Sangoulème in Händen hielt, »führen Sie die Rose im Wappen, Herr Baron, oder besitzen Sie die Zauberwurzel aus den Märchenbüchern, mit deren Hilfe man auch aus Eis und Schnee die herrlichsten Blüten lockt?«

»Leider gehöre ich nicht zu den Patenkindern gütiger Feen, Hoheit, sonst hätte ich vielleicht schon manches Eis tauen lassen! Aber dennoch war ich glücklich genug, eine Blume am Wege zu finden, welche vielleicht die Auszeichnung genießt, von Ew. Hoheit gütig aufgenommen zu werden!«

Er hatte sich erhoben und trat zu dem Sessel der Kranken, um die Rose mit bescheidener Bitte zu überreichen.

Die Prinzessin bot ihm dankend die Hand entgegen und atmete entzückt den süßen Duft. »Und Sie wollen die arme Blume verurteilen, bei mir alten Frau ihr kurzes Leben zu verkümmern, Herr de Sangoulème«, lächelte sie zu ihm auf, »das wäre grausam und durchaus nicht zu gestatten! Kommen Sie her, liebe Ruth, knieen Sie neben mir nieder, und seien Sie der schönen Gabe unseres Freundes eine passende Trägerin!«

Tiefe Glut flammte über Ruths Gesicht, sie schaute jäh erschrocken empor zu Sangoulème, und abermals begegnete ihr sein rätselhafter Blick, diesmal aber war es ihr, als leuchte helle Freude darin. Mit unsicherer Stimme wagte sie noch einige Einwendungen, Josephine aber hielt ihre Hand und zog sie sanft zu sich hernieder.

»Daß ich mit Rosen kränze Dein Haupt! kleiner Figaro!« sagte sie heiter, und befestigte die Blume in dem Goldhaar des jungen Mädchens.

»Auch auf diesen Platz kann die Rose stolz sein, Fräulein von Altingen!« sagte Norbert mit leichter Verneigung und unwillkürlich klang seine Stimme erregter als gewöhnlich, »ich danke für die Auszeichnung, welche ihr zu Teil wird.«

Es war zum ersten Mal, daß er sich direkt an Ruth wandte, er mußte ihr wohl eine Höflichkeit sagen, wenn sein Benehmen nicht auffallen sollte.

»Es heißt jetzt gute Miene zum bösen Spiel machen, Herr de Sangoulème!« scherzte die junge Dame, »ich schmücke mich mit fremden Federn, und trage Blüten, welche nicht für mich gepflückt sind, und Sie finden sich galant und ritterlich in das Unvermeidliche, wir sind also quitt. Heute Morgen habe ich übrigens mit Freude gehört, daß Sie Ihre Cousine Ännchen aufgesucht haben, Sie können hoffentlich nur Gutes von ihrem Befinden im Forsthause berichten und Großmütterchen versichern, daß ihre kleine Waldesblume sich auch bei der Freundin in der Residenz recht glücklich fühlt!«

»Anna sprach mit viel Entzücken und Dankbarkeit von ihrem hiesigen Aufenthalt«, entgegnete Norbert hastig, »und soviel ich nach zwei kurzen Liedern beurteilen kann, verdankt sie Ihrer Güte eine fast vollendete künstlerische Ausbildung der Stimme.«

»Die junge Dame, welche Fräulein von Altingen hier Gesellschaft leistet, ist Ihre Fräulein Cousine?« fragte die Prinzessin mit freundlichem Aufblick, »Ruth hat mir viel von ihrer herrlichen Stimme erzählt, und auch Fräulein von Nievendloh scheint viel Interesse für sie zu hegen. Sie kennen meine Hofdame noch nicht, Herr de Sangoulème? Eine überaus geistreiche, heitere Gesellschafterin!« Und dem jungen Offizier schnell die Hand entgegenreichend, fügte sie fast bittend hinzu: »Nicht wahr, Sie vergeben mir, bester Baron, wenn ich Sie ersuche, ein paar Augenblicke zu Fräulein von Nievendloh in das Nebenzimmer zu treten, ich habe noch eine Kleinigkeit mit Ruth zu besprechen, und möchte doch bei Ankunft meines Neffen mich ganz der lieben Jugend widmen können!«

»Ich bitte, Hoheit, über mich zu befehlen«, entgegnete Norbert, sich über die Hand der Kranken neigend, um sie ehrfurchtsvoll an die Lippen zu ziehen, dann trat er einen Schritt zurück und Josephine rührte die kleine Silberglocke, welche neben ihr auf dem runden Marmortischchen stand.

Im Nebenzimmer wurde möglichst hörbar ein Fenster zugeworfen, dann klang der harte Schritt hoher Hackenstiefelchen auf dem Parquet wider und im nächsten Moment teilten sich die Portièren, um die zierliche Gestalt des Fräuleins von Nievendloh in ihrem Rahmen sichtbar werden zu lassen.

»Ich habe den Thee soeben zum dritten Mal aufgegossen, Hoheit!« klang es halb mürrisch, halb impertinent von den schönen Lippen, und die Wolke des Unmuths legte sich noch tiefer und häßlicher auf die geschminkte Stirn, »es ist bereits ein halb acht Uhr und der Medizinalrat hat so dringend gebeten, daß die Mahlzeiten pünktlich innegehalten werden, ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn Hoheit sich wieder krank machen durch diese Verzögerung!« Sie warf den Kopf in den Nacken und wandte sich kurz um.

In die Wangen der Prinzessin stieg leise Röte.

»Alice!« rief sie fast zaghaft, »es thut mir leid, wenn Sie durch meine Unterredung mit Fräulein von Altingen heute Abend doppelte Mühe mit dem Thee hatten, aber trotzdem muß ich Sie bitten, ihn noch zum vierten Male aufzugießen, Herr de Sangoulème meldete mir soeben den Prinzen Leopold als Gast an!«

Mit leicht gezuckten Schultern hatte sich das Hoffräulein zurückgewandt, ein zorniger Aufblick traf Josephine bei diesem neuen Befehl, als aber die sanfte Stimme der Kranken den Namen Sangoulème nannte und Alice sich wie elektrisiert nach der angegebenen Richtung wandte, wo sie jetzt erst die hohe Gestalt des Marineoffiziers im Schatten der Gummibäume und Tamarinden bemerkte, da schien es, als streife eine unsichtbare Hand über das launische Gesicht, um jedes, selbst das kleinste Fältchen des Zornes darin zu glätten.

Wie umgewandelt war Fräulein Alice; der kleine Mund, schon halb geöffnet zu einer scharfen Entgegnung, wölbte sich im reizendsten Lächeln, und die dunklen Augen, eben noch funkelnd vor Aerger und Ungeduld, hoben sich mit einem Blick strahlender Heiterkeit zu dem Genannten; auch in die trotzstarren Glieder kam Leben und Bewegung, ein schelmisches, graziöses, prickelndes Leben!

Mit zwei Schritten stand sie in der Mitte des Zimmers, unmittelbar in dem rosigen Licht der Lampe, sich leicht und schnell gegen Sangoulème verneigend, welcher ihr mit zeremoniellem Gruß entgegentrat.

»Wenn wir solch hohen und herrlichen Besuch erwarten, Hoheit, braue ich herzlich gern auch noch zum fünften und sechsten Male Thee!« rief sie mit silberhellem Lachen und hob ihre weiße Hand, um die kleinen Lockenringel tiefer in die Stirn zu ziehen. »Das ist ja eine exquisite Ueberraschung, welche uns Prinz Leopold noch zum späten Abend bereitet, und vortrefflich, daß uns Ruths Besuch die gewöhnliche Tischstunde etwas verzögert hat! Dafür umarme ich Sie noch ganz extra, kleine Erlkönigin!« Und sie neigte sich leicht in der Taille und blinzelte Ruth neckisch zu. »Ist das nicht ein aparter Titel, Hoheit?« fuhr sie lebhaft fort, »Erlkönigin ist der Spitzname von Fräulein von Altingen, wie mir Mademoiselle Marion unlängst erzählte, weil die seltsame Schloßherrin die Passion hat, seit kleinauf zwischen Erlen und Weiden zu stecken!« Und Alice lachte noch lauter als zuvor.

»Zwischen Erlen und Weiden?« wiederholte Josephine mit schnellem Blick auf Ruth, welche in die Fensternische zurückgetreten war und sich zu dem Vogelbauer neigte, dessen befiederte Bewohner, durch Alicens laute Stimme erschreckt, schlaftrunken gegen die Goldstäbe flatterten.

»Ja, ja, Hoheit!« fuhr Alice ausgelassen fort, »bei Schloß Altingen liegt ein ganz unheimliches, kleines Gespensterthal, der Kleengrund genannt, das offizielle Reich der Erlkönigin, in welchem, dicht über dem Bach ein alter Weidenstamm als Thronsessel figuriert. Selbst in der Nacht soll Ruth zeitweise da zu finden sein, und wenn sie jetzt auch ein noch so unschuldiges Gesicht macht, ich bin überzeugt, daß sie auch auf einen unglücklichen Knaben wartet, welchem sie ›ein Leids anthun will‹, wie es ja einmal Sitte bei dieser unheimlichen Königsfamilie ist!«

In ihrem Eifer bemerkte Fräulein von Nievendloh nicht, welche Wirkung ihre Worte hervorriefen. Sangoulème starrte bleich zu Ruth hinüber, welche, sich noch tiefer über das Goldgitter des Vogelbauers neigend, lautlos in dem Schatten der Epheulaube verharrte.

»Schade, mein gnädiges Fräulein, daß dieser interessanten Mitteilung nicht Flügel gewachsen sind, um die Residenz als reizendste Neuigkeit zu durchflattern«, sagte er mit einem Versuch zu lächeln, »ich bin überzeugt, daß mancher Kavalier den verhängnisvollen Ritt nach dem Kleengrunde unternehmen würde, selbst in der Ueberzeugung, einem Schicksal entgegenzugehen, welches seine heitere Aventüre als Tragödie enden ließe!«

Ruth wandte das Haupt, ein seltsam starrer Zug umspielte den kleinen Mund. »Und noch schlimmer als eine Tragödie, Herr de Sangoulème«, entgegnete sie kurz, »mit den Helden moderner Dramen hat man in der Regel Mitleid, über einen Wagehals jedoch, welcher die Geister beschwören will und kecklich die Wege der Erlkönigin durchkreuzt, um eine Aventüre zu erleben, kann man höchstens die Achseln zucken, denn Vermessenheit erweckt keine Sympathie!«

Eine tiefe Falte grub sich in Norberts Stirn.

»Bis jetzt hat allerdings noch kein Irdischer ungestraft den Kampf mit Geistern aufgenommen, und wie wir uns leider soeben überzeugt haben, ist auch die ›Erlkönigin‹ nicht aus der Art geschlagen, was die Grausamkeit ihrer bleichen Nixenschwestern anbetrifft. Man sagt, wer den gespenstischen Schatten einmal in das Auge geschaut hat, zählt zeitlebens zu ihren Opfern, und es ist wohl möglich, daß die modernen Ritter der Börse und des Sports sich erst gewaltig besinnen würden, ehe sie eine nächtliche Promenade nach dem Kleengrund riskierten, sollte sich aber dennoch jemals ein beherzter Jüngling von ehrgeizigem Wahn bethören lassen, so werde ich nicht ermangeln, ihm die ganze Größe der Gefahr vor Augen zu stellen, es ist leichter den Stein der Weisen zu finden, als einen Funken Erbarmen in dem Herzen der Erlkönigin!«

Ruth biß sich leicht auf die Lippe und stützte die Hand schwer auf den kleinen Bronzetisch, die Prinzessin aber hob drohend die Hand gegen Norbert und lächelte.

»Sie sprechen, als gründe sich Ihre letzte Hypothese auf schmerzliche Erfahrung, Herr de Sangoulème, gehören Sie vielleicht zu den muthigen Seelen, welche die Wege schöner Wassergeister kreuzen!«

»Es wäre wenigstens so glaublich, wenn die Najaden aus ihrer kühlen Meeresflut auftauchten, um unter den jungen Seefahrern Unheil anzurichten!« hauchte Alice mit sprechendem Blick, und lehnte den dunklen Lockenkopf tief in die Blätter einer Agave zurück, die hinter ihr in chinesischem Kübel die Ecke zwischen Schrank und Portière füllte.

Norbert blickte vor sich auf die wirren Figuren des Teppichmusters nieder.

»Man sollte allerdings voraussetzen, Hoheit, daß ich in den verschiedenen Jahren zur See Gelegenheit gehabt hätte, die gefährliche Bekanntschaft solch schöner Zauberinnen zu machen; unglücklicherweise hat uns jedoch weder Sirenengesang in die Klippen gezogen, noch wurde durch ein grünlockiges Töchterlein Neptuns Sehnsucht in unserem Herzen erweckt. Ich sage unglücklicherweise, denn ich habe meine Armut an mysteriösen Erlebnissen nie aufrichtiger bedauert, als in diesem Augenblick!«

»Sie haben in der That niemals ein Abenteuer gehabt?« fragte Alice mit neckischem Seitenblick, »Herr de Sangoulème, sind Sie noch kein einziges Mal etwas Außergewöhnlichem begegnet?«

»Wenn Sie Irrlichter zu dieser Spezies rechnen, mein gnädiges Fräulein, dann allerdings!« lächelte Norbert mit schnellem Blick nach Ruth, welche jäh emporschauend aus der Epheuumrahmung trat und sich mit geneigtem Haupt auf die hochgeschnitzte Lehne ihres Sessels stützte. »Einem solchen kleinen Koboldsgeist bin ich dereinstmals begegnet in Sumpf und Wald und ließ mich durch sein wundersames Flämmchen auf einen Weg locken, dessen Ziel Fräulein von Altingen vielleicht auch vermessen nennen würde. Das ist aber schon lange her, und mit dem Irrlicht auf der nächtlichen Heide ist mein Glaube an süße Märchen wie Nebel und Welle verschwunden!«

Ruth neigte sich hastig nieder, um das Spitzentuch aufzunehmen, welches von den Knieen Josephinens geglitten war. Alice aber trat schnell einen Schritt näher und schlug mit frischem Lachen die weißen Händchen zusammen.

»Großer Gott, über Ihrem Irrlichtflämmchen fällt mir mein Spiritusflämmchen unter dem Theewasser ein – das mag gut drauflos kochen! Ich bitte tausendmal um Vergebung, wenn ich mich für einen Moment zurückziehe, die Pflichten der Hausfrau sind so unerbittlich, wie Arihman gegen seine sündigen Perser! à propos« und sie wandte den Kopf mit allerliebster Wichtigkeit über die Schulter zurück, während ihr Arm bereits die schwere Portiere zurückschlug, »um wie viel Uhr hat sich Hoheit, Prinz Leopold, eigentlich angesagt? soll ich noch ein Weilchen mit dem Aufgießen warten, oder kann Alles bereit gehalten werden?«

»Einen Augenblick, Alice«, rief die Prinzessin, die Hand hebend, »ich möchte Sie ersuchen, Herrn de Sangoulème heute Abend das Amt Ihres persönlichen Adjutanten zu übertragen und ihn sofort mit seiner neuen Würde vertraut zu machen, schwer ist der Dienst nicht, cher baron,« fuhr sie scherzend fort, sich an Norbert wendend, »Fräulein von Nievendloh tyrannisiert durch Liebenswürdigkeit!«

»Und ich werde mich bemühen, Wachs in ihren Händen zu sein«, lächelte der junge Offizier verbindlich, verneigte sich respektvoll und folgte der schönen Hofdame, welche ihm mit schmeichelhaftestem Willkommensgruß durch die weichen Sammetfalten des Thürvorhangs voranschlüpfte.

»Und nun, liebe Ruth, lassen Sie uns schnell zu Ende kommen«, fuhr Josephine hastig flüsternd fort, »in wenigen Augenblicken kann Leopold hier sein, und ich möchte doch gern heut Abend noch Alles zwischen uns klar legen!«

»Gewiß, Hoheit!« nickte Erlkönigin gedankenlos, sie hörte nebenan das übermütige Lachen Alices und biß die Zähne zusammen in dem Gedanken an die verführerischen Augen, welche heute den ganzen Zauber ihrer Blicke auf Sangoulème wirken ließen. Wird er ihnen widerstehen?«

»Sie sagen selbst, liebe Ruth, daß Otthardts Angelegenheit keine Verzögerung dulde, und so bin ich entschlossen, sofort zu helfen, mit allen Mitteln, welche mir momentan zu Gebote stehen.« Die Prinzessin hielt zögernd inne und preßte das feine Spitzentuch an die Lippen, dann neigte sie das greise Haupt tief auf die Brust. »Ich habe schon seit Jahren im Geheimen gespart, um für Leopold die Besitzung des Fürsten H. anzukaufen, von dessen Jagden mein Neffe so ganz besonders schwärmt, es war ein Lieblingsgedanke von mir, ihn mit dieser Acquisition an seinem Geburtstage zu überraschen; je nun, wenn es nicht sein kann, so heißt es eben den alten Kopf nach etwas Anderem zerbrechen, was weniger kostspielig ist, und ihm dennoch Freude bereitet, die gute, brave Seele ist ja selbst für das kleinste Liebeszeichen so aufrichtig dankbar!«

Ruth neigte stumm bejahend das Haupt, das Klirren der Theetassen drang aus dem Eßzimmer herüber und dazwischen klang Norberts heitere Stimme.

»Dieses Kapital habe ich nun flüssig gemacht, um die Schulden des Lieutenants von Otthardt zu decken«, sprach die Prinzessin aufgeregt weiter, »aber ich habe ein Bedenken dabei –«

Ruth blickte fragend auf. »In wiefern, Hoheit?«

Die alte Dame errötete leicht und schien zu zögern.

»Ich wünsche nicht, daß irgend eine Menschenseele von dieser Angelegenheit erfährt, auch Otthardt selber darf nicht ahnen, von welcher Seite ihm Hilfe gekommen ist, sein Dank würde mir im höchsten Grade peinlich sein. Ich kann Ihnen dies Alles nicht so definieren, liebe Altingen, es sind vergilbte Geschichten, welche doch immer wieder bei der leisesten Mahnung aufwachen und schmerzen.«

Josephine seufzte tief auf, Thränen traten in ihre Augen. Mit schneller Bewegung kniete Ruth an ihrer Seite und küßte stumm die bleiche Hand der hohen Dame.

»So soll auch Otthardt nicht kommen, um sich bei Hoheit zu bedanken?« flüsterte sie leise, »ich hatte es mir so schön gedacht, ihn hierher führen zu können.«

Die Hand der Prinzessin zitterte, sie löste dieselbe schnell aus Ruths Fingern und legte sie liebkosend auf den blonden Scheitel des jungen Mädchens.

»Nein, nein!« sagte sie hastig, »ich fühle mich nicht wohl genug, um fremde Menschen empfangen zu können, am wenigsten ihn, einen Otthardt. Ich will keinen Dank, denn was ich thue, ist ein Akt der Barmherzigkeit und Nächstenliebe, welcher geschändet würde, wenn er um das Lob der Menge feilschte. Wer weiß, ob es ihm überhaupt zu Teil würde, die Leute haben böse Zungen und wollen Alles gemein machen und in den Staub ziehen. Ich habe eine Bitte an Sie, kleine Erlkönigin, eine recht große Bitte, werde ich mich vergebens an Sie wenden?«

Ruth blickte verwirrt auf. »Wenn es in meiner Macht liegt, dieselbe zu erfüllen, Hoheit ...«

Josephine lächelte. »Ganz gewiß, und darum spreche ich sie aus! Sie sind klug und ernst, Ruth, Sie sind Ihrem Alter weit voraus, Sie sind mir ergeben. Früher würde ich mich in gleichem Fall an meine teuere Stephanie gewandt haben, jetzt appelliere ich an das Herz ihres Kindes. Wollen Sie es übernehmen, dem Lieutenant von Otthardt besagtes Kapital zu übermitteln, und, was die Hauptsache ist, die Summe als ein Geschenk von Ihnen gelten lassen?« Sie nahm beide Hände Ruths in die ihren und blickte flehend zu ihr auf. »Alle Welt weiß, daß Sie sehr vermögend sind, mein liebes Kind, auch Otthardt wird es wissen und Ihr Thun und Handeln nicht unmöglich finden, es giebt mehr Beispiele, daß junge Damen Opfer brachten, um einen ihnen nicht gleichgiltigen Cavalier dem Verderben zu entreißen!«

»Hoheit!« rief Ruth erschrocken, »um Gotteswillen, wenn Otthardt sich diese unfreiwillige Großmut falsch auslegte?«

Die alte Dame blickte tief in die Augen der Sprecherin.

»Würde es dann der Erlkönigin so sehr fatal sein?« lächelte sie mit mildem Scherz. »Wenn man so oft mit dem schönsten Offizier der Garnison Walzer tanzt, und so gar genau über seine leuchtenden Augen Bescheid weiß, dann kann solch kleines Mißverständnis doch nicht allzu böse machen! Nicht wahr, ich habe recht, liebe Ruth, und Sie werden mir alten Frau den Gefallen thun und die ganze Angelegenheit in ihre energischen Händchen nehmen?«

Wie betäubt kniete Ruth an der Seite der Prinzessin, eine furchtbare Angst preßte ihr plötzlich das Herz zusammen und eine Stimme rief in ihrem Innern: »Zurück, so lange es noch Zeit ist! Du liebst jenen Fremden nicht, Dein Herz gehört dem stolzen Manne, dessen starker Arm Dich einst durch die Wellen der Kleen trug, den Du gekränkt hast bis in die tiefste Seele.«

Da klang ein lautes, helles Lachen aus dem Nebenzimmer, Norberts Stimme war es, und wie Ruth jäh emporschreckend auflauschte, da hörte sie ihn auch sprechen. »Seien Sie ohne Sorge, mein gnädiges Fräulein, für Sie gehe ich auch durch Feuer und Wasser!« sagte er, und das Silber klirrte, und Alice antwortete in leisen, ängstlich schmachtenden Tönen.

Ruth sprang empor, ihre kleine Hand ballte sich und glühendes Rot stieg in die Schläfen.

»Ja, Hoheit«, sagte sie schnell, mit fast erstickter Stimme, »ich werde Alles auf mich nehmen, entstehe daraus, was immerhin will, ich werde auch die Folgen tragen.«

Josephine erhob sich, sie legte die Arme um Ruth, zog sanft ihr Köpfchen hernieder und drückte einen innigen Kuß auf die weiße Stirn des jungen Mädchens. »Ich danke Ihnen, mein geliebtes Kind!« sagte sie weich. Dann schritt sie zu der goldmarquetierten Kommode und öffnete das mittelste Schubfach. »Einen Augenblick, Herzchen, ich werde das Betreffende sofort zusammenpacken.«

Ruth trat langsam an das offene Kaminfeuer und starrte in die zuckende Flamme, mechanisch faßte sie den eisernen Rateau und schürte die Glut, ihr Arm stützte sich auf das Gußwerk des Bronzeaufsatzes und das geneigte Antlitz war übergossen von dem grellen Widerschein des roten Kienbrandes. So stand sie regungslos und wartete.

Unterdessen war Prinz Leopold in den Korridor getreten.

»Ei was zum Kuckuck, Hoveland! Ist Er alter Maulwurf denn auch noch am Leben? Na, das freut mich, weiß Gott, von Herzen«, und er schlug den treuen Diener freundlich klatschend auf den tiefgeneigten Rücken, »kann mir Tantens Nestchen auch gar nicht ohne Sein freundliches Schmunzelgesicht denken! Wie ist's denn gegangen seither, he?«

In Hövelands Augen standen Thränen der innigsten Freude.

»O Hoheit – so viel Gnade –« stotterte er, sein weißes Haupt wieder emporrichtend, »der liebe Gott hat es ja gut mit mir gemeint, daß ich diesen Tag noch erleben durfte!« und er legte die zitternden Hände zusammen und blickte den jungen Fürsten so recht von Herzen glücklich an.

»Er hat also manchmal an mich gedacht, Hoveland?« fuhr Leopold mit den Händen auf dem Rücken fort, »ja, ja, Alter, wir sind immer gute Freunde gewesen, das vergessen wir Beide nicht so leicht! Und mit der Gicht? he, wie steht's denn mit Seinen Untergestellen? – besser geworden?«

»Man muß zufrieden sein, Hoheit, wenn's ja auch manchmal recht wackelig mit den morschen Knochen scheint, so habe ich bis jetzt doch, gottlob, immer noch auf dem Posten sein können!«

»So – hm – recht so! na, und Seine Dompfaffen, die er so famos abgerichtet hat, leben sie noch, haben sie guten Appetit, pfeifen sie noch die ›stille Mitternacht?‹«

Hövelands Gesicht glänzte vor Freude. »Hoheit erinnern sich noch? ei ja, hab immer noch die Mucke im Kopf, daß ich mich mit dem Vogelvieh abquäle, zwei Hähnchen sind mir im letzten Winter verloren gegangen, 's war zu kalt am Fenster, und in dem Weihnachtstrubel hatte kein Mensch an die armen Tierchen gedacht. Aber die ›stille Mitternacht‹ pfeifen sie noch – o Du meine Güte, nein, daß sich Hoheit dessen noch erinnern!«

»Das will ich meinen, alter Schnurrbart!« lachte der Prinz, sich die Hände reibend, »damals, als Er mir seine zwei besten Prachtexemplare zum Präsent gemacht hatte, haben mich die kleinen Kanaillen mit ihrer stillen Mitternacht fast zur Verzweiflung gebracht; Himmel, wenn ich noch daran denke! Mit dem Tagesgrauen fing der Spektakel an und endete oft erst um die stille Mitternacht. Na, der Spaß dauerte nicht lange, dann geriet eines Tages meine Ulmer Dogge mit ihrer verfluchten Schnobbernase an das Bauer – – und – –«

Hoveland machte eine wehmütige Handbewegung und seufzte tief auf. »Diese gottverdammte Bestie!« fuhr es ihm voll tiefster Überzeugung über die Lippen.

»Ja, es war schade drum, gute Schläger waren es. Na, und nun sag' Er 'mal, Hoveland, was macht denn Sein Minchen?«

»Das Minchen?« wiederholte der Gefragte mit strahlenden Augen, »o, Hoheit erinnern sich auch noch an mein Minchen? Na, Gott sei Lob und Dank, das Minchen ist ja glücklich verheiratet, hat den Hofklempner in der Rathausgasse drunten, kam mitten in ein warmes Nest hinein, ohne Sorge und Kummer! 's ist uns ein großer Trost, meiner Alten und mir, war ja unser Alles, das Minchen, ein gutes Kind, sehr gut –«, und der greise Mann fuhr verstohlen mit der umgewandten Hand über die Augen.

»Ja, gut war sie!« nickte der Prinz, mit gespreizten Fingern durch seine lockigen Haare streifend, »und hübsch war sie auch, mit zwei Bäckchen wie lackierte Borsdorfer Äpfel, und Zöpfen, wie ich sie meinem Goldfuchs nicht stattlicher aus dem Schweife flechten konnte, aber weiß Er, alter Graukopf, was das Beste an Seinem Minchen war? Der riesige Speckkuchen, den sie jeden Freitag backte! Hoveland, an den Speckkuchen habe ich noch oft mit Wehmut gedacht, das ist das beste Denkmal, welches sich Sein Minchen in meinem Herzen erbaut hat. Alle Wetter, wenn mein guter Vater geahnt hätte, daß sich sein jüngster Sproß alle Freitag auf dem Küchentisch des Mamsell Minchen seine Hosen durchrutschte, bis endlich der duftende, köstlichste aller Kuchen sein gigantisches Viereck aus dem Ofen schob! Hoveland, ich sage Ihm, jene Stunden in Seiner Küche vergesse ich nicht, und wenn mich der liebe Herrgott zum König von Schlaraffenland machte! Weiß der Kuckuck, noch jetzt schwebt Sein Minchen speckkuchenduftend durch meine angenehmsten Träume!«

Und Leopold ließ seine Hand so energisch auf die Schulter des greisen Dieners niederfallen, daß die Wucht dieser fürstlichen Leutseligkeit die altersschwachen Kniee zittern ließ.

»Und nun, Hoveland, will ich zur Tante hinein, sonst stehen wir morgen früh noch immer hier und machen dem braven von Meisenheim den Rang als erstes Klatschmaul streitig!«

»Ich werde Hoheit sofort anmelden«, und Hoveland machte schnell kehrt und wackelte eilfertig voraus.

»Heda, Alter! Wo soll's denn hingehen?« und mit kurz resolviertem Griff hielt ihn der junge Prinz am Rockkragen; »anmelden? – Ihm rappelt's wohl. Ich weiß hier noch ebenso genau Bescheid wie in meiner Rocktasche, und kenne jedes Mauseloch in der ganzen Etage, wenn Ihr sie bis dahin nicht übertüncht habt, heißt das. Still gestanden, nicht vom Fleck gerührt! Sonst soll der Erzengel Michael Seine Dompfaffen alle auf einmal die stille Mitternacht pfeifen lassen! Gott befohlen, Alter!« und leise auf den Fußspitzen schreitend, traversierte der Prinz den langen Korridor, um lautlos in der Thür des Empfangssalons zu verschwinden. Hoveland aber faltete die welken Hände und nickte mit strahlendem Gesicht leise vor sich hin.

»Ein so hoher Herr, und so gut und so freundlich, denkt noch an meine Dompfaffen, und an das Minchen und den Speckkuchen, Gott erhalte ihn!«

Die weichen Teppiche dämpften Leopolds Schritt, er trat zu der Thür des nächstfolgenden Zimmers und schob leise die Portière zur Seite.

Wie angewurzelt stand er und starrte auf das Bild, welches sich seinem Auge darbot, kaum wagte er zu atmen, aus Angst, es voreilig zu zerstören. Noch stand Ruth an dem Kamin und schaute regungslos in die Flammen, helle Glut lohte über ihr Gesicht und zeichnete es scharf von dem dunkelverschwimmenden Hintergrund. Zum ersten Mal im Leben fesselte den Prinzen ein Mädchenkopf. Finster und herb war der Ausdruck in Ruths Zügen, tief die Falte, welche sich zwischen die dunklen Augenbogen legte, und die schmalen Lippen, trotzig zusammengepreßt, trugen den Stempel eiserner Entschlossenheit; gerade das gefiel ihm. Was waren all die lachenden Weiber des großen Karnevals gegen die seltsame Schroffheit dieses Kindergesichtes, was die glänzenden Augen raffinierter Schönheit gegen den Blick voll Stolz und Leidenschaft, welcher sich hier so unbeweglich in das zuckende Meer von Rauch und Funken senkte?

Leopold stand regungslos und schaute sie an.

Da hob Ruth das Haupt und blickte gedankenlos auf. »Prinz Leopold!« rang es sich fast unbewußt von ihren Lippen, aufschreckend trat sie ihm einen Schritt entgegen und der eiserne Rateau fiel klirrend aus ihrer Hand in die Kohlen nieder.

Die hohe Gestalt des Fürsten erschien auf der Schwelle, sein blonder Scheitel streifte fast das bräunliche Gebälk, und auf der Brust flimmerte der goldene Stern des herzoglichen Hausordens. »Albrecht der Bär!« zog es durch Ruths Sinn.

»Grüß Gott, meine Damen, habe ich überrascht? Sie sehen mich ja so entsetzt an, Fräulein von Altingen, als gliche ich dem Geiste Julius Cäsars!« und Leopold lachte heiter auf, er zwang sich zu dem übermütigen Ton, welchen man stets an ihm gewohnt war, »eine Hand können Sie mir aber trotzdem geben, oder nennt das die Etikette nicht comme il faut

Er reichte ihr die Rechte entgegen und umschloß fest die rosigen Finger der Baronesse, wie eine weiche kleine Flocke verschwand die Hand des jungen Mädchens in seiner gewaltigen Seemannsfaust.

»Die Etikette ist nur dazu da, Hoheit, daß man sie zeitweise ignoriert!« lächelte sie unbefangen, »und was die grause Geistererscheinung Shakespeares anbetrifft, so würde sie stets ein willkommener Gast sein, wenn sie der Herold solch liebenswürdigen Besuches wäre!«

Leopold legte beide Hände auf die Brust und verneigte sich chevaleresk: »Küß die Hand, meine Gnädige!« Dann wandte er sich hastig um und stand mit wenigen Schritten neben Josephine, welche sich bei seinem Eintritt einen Augenblick von der Kommodenschublade aufgerichtet hatte.

»Guten Abend, allerbestes Tantchen«, und er schlang den Arm um sie, hob zärtlich ihr Kinn mit dem Finger und küßte sie auf den Mund, »da bin ich, kannst Du Sangoulème und mich heute Abend brauchen, oder werden wir nach Hause geschickt?«

»Nein, mein Herzensjunge, Du bist mir stets willkommen, ebenso alle Deine Freunde, welche Du mir mitbringst«, und Josephine strich liebkosend über seine tiefgeneigte Wange, »aber erstaunt hat mich Deine Anmeldung, recht sehr erstaunt, ich glaubte Dich schon längst und ganz bestimmt im Theater!«

»Theater? Heute ist ja ein Ballet, Tante.«

»Nun ja, ›Flick und Flock‹, soviel ich weiß, eine der großartigsten Feerien unserer Bühne. Man wird Dich sicher in der Loge erwarten, Deine Ankunft ist allgemein bekannt!«

»Und damit die Leute ihre Neugierde befriedigen können, soll ich mich dahin setzen und zusehen, wie sich ein paar Frauenzimmer die Beine verrenken? Nein, Tante, das ist zu viel verlangt. – Was machst Du denn hier über der Kommode? Richtig, die dritte Schublade offen! Weißt Du noch, früher stand hier rechts in der Ecke die Schachtel mit den Macronen, aus welcher ich je nach Verdienst ausbezahlt bekam, und so oft ich an Dich dachte, fielen mir auch stets die Macronen ein, Ihr wäret immer zwei unzertrennbare Begriffe für mich!«

»Ungalanter Mensch Du!« schüttelte die Prinzessin mit mildem Lächeln das Haupt, dann wandte sie sich zu Ruth und zeigte ihr zwei versiegelte Couverts. »Hier liebe Ruth, ich lege das Betreffende einstweilen in diese Alabasterschale, denken Sie daran, wenn Sie nachher Abschied nehmen und erinnern Sie mich bitte. Jetzt fehlt mir nur noch eine Kleinigkeit, drüben in meinem Toilettenzimmer in der Schmuckschatulle muß es liegen, ich hole es aber sofort, damit kein Irrtum entsteht, – bitte, lieber Leo, zieh 'mal dort an der Klingelschnur!« Nach wenigen Minuten öffnete sich die Thür, und eine alte Frau im schwarzen Seidenkleid, mit weißem Spitzenhäubchen und unzähligen Falten und Fältchen in dem blassen Gesicht, erschien knixend auf der Schwelle.

»Ah, Frau Rössel! Weiß Gott, die Mutter Rösseln!« rief Leopold mit ausgebreiteten Armen, »na, nun fehlt ja gar nichts mehr hier in dem lieben, alten Bau, nun ist die Frau Rösseln auch noch da! He, wie gehts denn? Wohl und munter? Sie sehen ja aus wie ein Backfisch, lieblich und jung wie ein Röschen –«

»O Hoheit, gnädigster Prinz!« und die alte Frau neigte sich schnell auf die dargereichte Hand des jungen Mannes, um sie innig zu küssen. »Gott sei Lob und Dank, daß Hoheit wieder gesund und munter bei uns sind!«

Fast erschrocken zog Leopold die Hand zurück, und ehe er noch seinem Herzen in ein paar kernigen Worten Luft machen konnte, stand Josephine neben ihm und berührte leicht seinen Arm. »Jetzt keine Begrüßung, mein lieber Junge, dazu ist keine Zeit, nachher, nachher! Führen Sie mich hinüber in mein Ankleidezimmer, liebe Rössel, so – stützen Sie mich fest, jetzt ist's gut! Ich komme gleich zurück und dann trinken wir endlich unseren Thee, Kinder!«

Frau Rössel schob ihren Arm sanft unter denjenigen der alten Dame und leitete sie behutsam über die Schwelle.

Leopold warf sich in einen Sessel und rieb noch immer seine Hand, Ruth hatte ihm gegenüber Platz genommen.


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