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»Glauben Sie denn wohl, Fräulein von Altingen, daß es das erste Mal ist, daß man mir die Hand geküßt hat!« fragte er, bedenklich mit dem Kopf nickend, »nun werden Sie mich guten Kerl auch noch arrogant machen!«
»Das ist ja gar nicht möglich, Hoheit«, scherzte Ruth, »und sehr nützlich, wenn man bei Zeiten an Devotionen gewöhnt wird.«
»Ja, ja!« seufzte der Prinz plötzlich mit einem Schatten tiefen Ernstes auf der Stirn, dann richtete er sich lebhaft auf. »Wo steckt denn eigentlich Sangoulème? sprach er nicht eben hier im Nebenzimmer?«
»Ganz recht, Hoheit, er hilft Fräulein von Nievendloh Thee aufgießen!« Ruth wandte das Köpfchen halb zur Seite, ihre Stimme klang wie bittere Ironie.
»Der Nievendloh?« Leopolds Stirn runzelte sich. »Das hätte ich ihm am wenigsten gewünscht.« Und er trommelte ein ungestümes Tempo auf der Tischplatte. »Sangoulème hat noch wenig mit Damen aus der Gesellschaft verkehrt, er wird sich Sand in die Augen streuen lassen und Messing für Gold halten; ah, bah! er ist ja kein Kind mehr.« Und langsam mit der Hand über die Stirn streichend, ruhte sein Blick unverwandt auf dem rosigen Gesichtchen der Erlkönigin.
»Welch schöne Rose tragen Sie im Haar, Fräulein von Altingen, Sie werden sie aber gleich verlieren!«
»Nicht wahr, sie ist herrlich?« und Ruth hob die Hand, um die Blüte fester zu stecken, »ich bin auch sehr stolz darauf!«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann erhob er sich schnell und stieß den Sessel zurück.
»Fräulein Ruth«, bat er stockend, »schenken Sie mir diese Rose!«
Erschrocken blickte sie auf, tiefes Erbleichen flog über das liebliche Gesicht.
»Hoheit – ich habe sie soeben selbst erst zum Geschenk erhalten!«
»Von wem?« fragte er fast ungestüm.
Ruth zögerte momentan. »Ihre Durchlauchtigste Tante hat sie mir in das Haar gesteckt und – nein, ganz gewiß, Hoheit, ich kann die Blume nicht fortgeben!«
»Tante Josephine?« Seine finsteren Züge hellten sich auf und lächelten wieder. »Die will ich schon wieder versöhnen und veranlassen, Ihnen Ersatz für dieses Präsent zu schaffen, diese Rose aber muß mein sein. Es ist die erste Bitte, welche ich Ihnen ausspreche, Fräulein von Altingen«, fuhr er leiser fort, »können Sie mir dieselbe wirklich abschlagen?«
»Hoheit!« rief Ruth leidenschaftlich, »Alles, was ich zu verschenken habe, mögen Sie fordern, aber nur diese eine nicht, nicht die Rose!«
Sie trat hastig einen Schritt zurück und schüttelte das blonde Köpfchen; von der jähen Bewegung glitt die schwere Blüte aus den Haarwellen und fiel, sich leicht entblätternd, auf den Teppich nieder.
»Sehen Sie, die Rose will gar nicht länger bei Ihnen bleiben!« rief Leopold, sich eifrig niederbückend und sie fest in den Händen haltend, »nur ein kleiner Zweig ist Ihnen treu geblieben, der, welcher die schärfsten Dornen trägt! Lassen Sie mir nur getrost meine Hälfte, wir haben redlich geteilt, hier, die zarte Blume gehört mir zu und Ihnen bleibt deren ritterlicher Beschützer!«
»Der Dorn«, fragte Ruth tonlos. Ihre erhobene Hand war bei den Worten des Prinzen herabgesunken und preßte sich fast unbewußt auf das kleine, zuckende Herz, in welches das Leben zum ersten Mal den Stachel tiefsten Wehes senkte. Nebenan scherzte Sangoulème mit lachendem Munde, und hatte mit dem erloschenen Irrlicht den Traum seiner Liebe zu Grabe gelegt. Was willst Du noch Rosen im Haar tragen, Erlkönigin, welche seine Hand nicht für Dich gepflückt hat?
»Und nun machen Sie wieder ein freundliches Gesicht, Fräulein von Altingen!« rief Leopold übermütig und befestigte die duftende Blume in seinem Knopfloch, »glauben Sie mir, Tante Josephine würde Ihnen vielleicht über Alles zürnen, nur nicht darüber, daß Sie ihrem Pflegesohn eine Freude bereitet haben!«
»Dieses Bewußtsein dient mir zum Trost, Hoheit«, entgegnete Ruth mit gesenkten Augen, »und ich wünsche von Herzen, daß die Freude nicht ebenso schnell welkt wie ihr Symbol!« Sie lächelte, aber dies Lächeln that ihr weh.
Da teilten sich die Thürvorhänge und Alice steckte ihr Lockenköpfchen in das Zimmer.
»Ah, Hoheit! Tausendmal willkommen in der Heimat!« und sie legte die kleine Hand graziös auf das Herz und verneigte sich voll schelmischer Devotion bis zur Erde, »ich bin vielleicht die Letzte, welche ihren Glückwunsch zu Füßen legt, aber ich schmücke ihn mit der Devise: Last not least!«
»Meinen allerverbindlichsten Dank, gnädiges Fräulein von Nievendloh«, persiflierte sie der Prinz in heiterster Laune, »auch welke Guirlanden erfüllen ihre Pflicht, ein Gruß zu sein! – Bon soir, Sangoulème, der Thee ist doch nicht zu süß geworden?«
»Trockene Blumen sind um so leichter zu entbehren, wenn man Auswahl in frischen hat!« kokettierte Alice, mit bedeutsamem Blick auf die Rose an Leopolds Brust, »und keine Knospe entzückt mehr als solche, welche man dem Frühling kühn aus den Händen stiehlt!«
»Das würde im November etwas schwer halten, mein gnädiges Fräulein«, zuckte der junge Fürst mit leichter Ironie die Achseln, »und außerdem hoffe ich nicht, daß Sie mir eine solch bedenkliche Fingerfertigkeit zutrauen. Man kann ja auch Rosen geschenkt bekommen, Fräulein Alice, wissen Sie das nicht aus Erfahrung?«
Starr wie ein Bild aus Stein stand Norbert, sein Auge suchte Ruth, groß und fest haftete sein Blick auf ihrem geneigten Antlitz, unheimlich fast in dieser Unbeweglichkeit.
»Geschenkt?« wiederholte die Hofdame mit leisem Auflachen, »nun, dann gratuliere ich noch einmal, Hoheit!« Und mit fast vertraulichem Tone sich zu ihm hinüberbeugend, fuhr sie leiser fort: »aber solche zarte Gaben gehören doch der Sicherheit halber ins Portefeuille; wie leicht kann solch kostbares Blättchen verloren gehen, oder indiskrete Zungen nach dem Fenster fragen, hinter welchem es aufgeblüht ist!«
»So? – Halten Sie das vielleicht so, meine Gnädige?« fragte Leopold mit leisem Zucken der geneigten Mundwinkel, »besten Dank für den freundlichen Wink, ich bin leider Gottes noch sehr unerfahren in solch galanten Finessen, werde mich aber bemühen, Ihr aufmerksamer Schüler zu werden! Und nun wollen wir Tante Josephine am Theetisch erwarten, meine Herrschaften, ich bitte, uns zu folgen!« Er wandte sich nach Ruth um, doch zu weit von ihr entfernt, um ihr, ohne gegen Alice beleidigend zu sein, den Arm bieten zu können, offerierte er denselben Fräulein von Nievendloh und schritt mit ihr durch die geöffnete Thür in das Nebenzimmer.
Einen Augenblick standen sich Ruth und Norbert gegenüber. Unverwandt hing das Auge des jungen Seemanns an ihren Zügen, es war ein unaussprechlicher Blick, welcher hinab in ihre Seele zu tauchen schien.
Langsam hob er den Arm und schlug die Portiere vor ihr zurück, mit keiner Wimper zuckte sein Angesicht, keinen Schritt trat er ihr entgegen, um ihr den Arm zu bieten. Hoch, stumm und stolz verharrte er auf seinem Platz, und wie Ruth an ihm vorüberschritt, und die Schwelle zwischen ihnen lag, da war's als wüchse auch zwischen zwei jungen Herzen eine Scheidewand empor, trennend für Zeit und Ewigkeit. –
Das Wohnzimmer des Prinzen Leopold bildete das Eck der beiden linken Seitenflügel des Schloßquadrates. Es schloß sich nach der südlichen Richtung an das Schlafgemach und die jetzt ebenfalls von ihm benutzten Appartements seines ehemaligen Gouverneurs, an der andern Seite jedoch an die lange Flucht der meist unbenutzten Säle an, welche auch die Bibliothek, das Antikenkabinet und einen Teil der nicht unbedeutenden Gemäldegalerie enthielten.
Die Fenster gewährten einen freien Ausblick auf einen Teil des Schloßparkes, dessen hochwipfelige Kastanienallee dicht zur Seite an dem uralten, breitflügeligen Gitterthor mündete, welches, nie geöffnet und restauriert, das grünliche Moos versunkener Jahrhunderte in seinen gähnenden Löwenköpfen wuchern ließ; der andere Teil der Fensterfront richtete sich nach dem stets geräuschvollen Marktplatz, dessen Mitte auf ehernem Sockel das Standbild des herzoglichen Ahnherrn und Landesvaters trug. Gegenüber erhob sich die mattglänzende Kuppel des Domes, an welchen sich rechts die lange Säulenfaçade des Museums schloß, links aber Opernhaus und Konservatorium mit weitläufigem Bauwerk den Abschluß bildeten.
Das Zimmer des Prinzen war auf dringenden Wunsch Seiner Hoheit völlig unverändert geblieben, und trug bis in die unscheinbarsten Details den Stempel einer kompletten Garçonwohnung.
Viel helles Tageslicht strömte durch die hohen Scheiben, mehr umrahmt als verhangen durch derbe langfransige Juttevorhänge von solider Lederfarbe, mit welchen auch das eher bequeme als schöne Sofa und die beiden breitlehnigen Armsessel korrespondierten. Das weitere Ameublement bestand aus hellfarbenem, geschnitzten Eichenholz in den Formen der Renaissance, welche sowohl auf Stühlen wie Schrankaufsätzen das Wappen des herzoglichen Hauses präsentierte.
Ein hochgefüllter Bücherschrank, ausgestopfte Vögel und mächtige Hirschgeweihe, Gypsfiguren und alle Arten von Waffen erzählten von den Passionen ihres jungen Besitzers. Ueber dem Sofa hing das gebräunte Oelgemälde seiner Mutter, und in verschiedenen kleineren Rahmen hingen und standen die sonstigen Bilder und Photographieen der herzoglichen Familienmitglieder, vor Allen aber das der Prinzessin Josephine, in genialer Unordnung umher.
Der schwere Schraubentisch stand inmitten der Stube auf glattem Parkett, nur vor dem einen Lehnstuhl breitete sich das dickhaarige Fell eines gewaltigen sibirischen Wolfes aus.
Prinz Leopold saß rittlings auf der massiven Tischecke und schnitzte mit seinem Taschenmesser an ein paar dünnen Holzstäbchen. ›Du hast Diamanten und Perlen‹, pfiff er dabei leise aber hastig vor sich hin, und seine Hände schafften so eifrig, daß die Spähne flogen.
Sangoulème war eben eingetreten. Er lehnte mit gekreuzten Armen neben dem Fürsten und blickte gedankenlos den weißen Splittern nach, welche über das Knie des hohen Arbeiters zum Parkett herniederrieselten.
»Was das werden soll, alter Freund?« unterbrach Leopold seine Melodie mit amüsiertem Lächeln, »das ist bald erklärt! Tante Josephine hat in ihrer Stube einen Käfig mit Kanarienvögeln stehen, welchen ein paar gottvergessene Lakaienfinger mit blank polierten Rohrstäben geschmückt haben, eine verfluchte Schinderei für das arme Viehzeug, und ein wahres Wunder, daß sie diesem Jammerthal nicht schon längst Valet gesagt haben!« Der Prinz stemmte die kleine Holzstange gegen die breite Brust und that ein paar tiefe Einschnitte in das äußere Ende. »Ich bin nun heute Morgen unten in den Garten gegangen und habe das halbe Bosquet nach ein paar Hollunderstauden umgewühlt, der Gärtner wird denken, ich hätte Sauhatze in seinen teuren Anlagen gehalten, oder Vogelnestern nachgespürt – seligen Angedenkens. Hier habe ich nun endlich ein paar Knüppel« – wieder flogen die Spähne eifrig zur Erde – »und nachher gehe ich hinüber und beglücke die gequälten Mätze mit der ganzen Humanität und Liebenswürdigkeit eines dereinstigen Herrschers und Landesvaters!« Und der Prinz neigte den Kopf und blies energisch die weißen Fasern von Knie und Aermel, dann griff er voll Seelenruhe nach einem anderen Aestchen und begann es von den kleineren Zweigen zu befreien.
Norbert kannte seinen hohen Freund, er lächelte.
»Noch vor dem Ball beabsichtigen Hoheit einen Besuch im rechten Schloßflügel zu machen?« fragte er mit schnellem Blick auf seine Uhr, »es wird zeitig dunkel und die befiederten Bewohner der Epheulaube nehmen am Ende keine Visiten mehr an. Es ist halb vier vorbei, dazu bedeckter Himmel und Schnee.«
Leopold schaute jäh auf. »Donnerwetter ja, heute ist ja Ball! Das hätte ich doch um ein Haar vergessen, das heißt nein, doch nicht, ich habe ja bereits gestern Abend vorausengagiert! Hahahaha! Sangoulème, wenn das mein Bruder wüßte, daß sein Seebär heute Abend beabsichtigt, das Tanzbein zu schwingen, ja, daß er sogar den ersten Tanz bereits in Numero sicher hat!« Und er sprang auf, legte den Arm um Norberts Nacken und sah ihm lachend in das Gesicht. »Guten Geschmack müßt Ihr mir Alle zugestehen, alter Junge, Ihr holt Euch die blonden und schwarzen Menschentöchterlein von der Seite der chaperonierenden Mutter weg und steuert gottergeben durch die prosaischste Galoppade, ich aber werfe keck meine Netze in den stillen See versunkener Märchenpracht und führe die Erlkönigin zum Tanz!«
Eine Wolke lag auf Norberts Stirn, er wandte das Haupt zur Seite und wich Leopolds strahlendem Blick aus. »›Erlkönigin‹ ist ein unheimlicher Klang«, sagte er finster, »es knüpft sich auf ewige Zeiten das Märchen eines sterbenden Knaben daran.«
Der Prinz lachte leise auf. »Das Märchen, Sangoulème, ganz recht! Ein nichtiges Phantasiegebild, welches gesunde Nerven nicht schrecken kann, und um das Köpfchen des reizenden Irrgeistes den magischen Zauber der Gefahr webt! Sie waren stets ein träumerischer Bursch, Norbert, welcher vor das heiterste Sonnenlicht die unausbleiblichen Wolken ziehen sah, anstatt den blauen Himmel sorgenlos zu genießen, so lange er Ihnen zulächelte!« Leopold legte beide Hände auf die Schultern des schönen Mannes und blickte ihm forschend in die Augen. »Still und ernst waren Sie, so lange ich mit Ihnen zusammen gewesen bin, Sangoulème, vom ersten Augenblick an bis zu dem letzten; das gerade war es, was mich so unerklärlich zu Ihnen hinzog und das erste Gefühl innigster Freundschaft in meinem Herzen keimen ließ. Seit gestern aber sind Sie verändert, zerstreut, einsilbig, langweilig, die Falte auf Ihrer Stirn sieht aus wie Wettergrollen. Was ist los, alter Junge? Farbe heraus! Sind Sie hungrig oder verliebt? Nur eins von Beiden ist möglich!«
Norbert lächelte und faßte die Hand des Sprechers mit herzlichem Druck.
»Mein Herz habe ich droben bei den blauen Wellen gelassen, und meine Sehnsucht fliegt mir voraus zu unserem wackeren ›Nelson‹, dessen schaukelnder Boden meine Heimat geworden ist, welche alles Grillenfangen am besten einzuwiegen versteht; – ich habe –«
»Thörichte Gedanken!« unterbrach Leopold übermütig, »das ist ja alles, was ich wissen will! In Ihren Augen ist nichts eine Grille als die Liebe – ergo – Sie sind verliebt! Ach papperlapapp, jetzt keine unnützen Worte gemacht, mein guter Junge, die glaubt Ihnen ja doch der Kuckuck! Darum waren der Monsieur auch gestern Abend beim Thee so überaus schweigsam und » vis-à-vis« versunken! Es war wohl recht aufregend, mit Fräulein Alice das Spiritusflämmchen zu bewachen, he? Ja, ja, eine hübsche Person, diese Nievendloh, was hat sie denn für Augen? Schwarz oder braun?«
»Entschieden auffallend schöne!« zuckte Norbert mit seltsamem Lächeln die Achseln, »wenn Hoheit sich für die Details interessieren, werde ich mich bemühen, heute Abend eingehende Studien zu machen!«
Der Prinz war plötzlich sehr ernst geworden, er wandte sich kurz um und nahm seinen Platz auf der Tischecke wieder ein.
»Das werden wir bleiben lassen, Sangoulème«, entgegnete er fast herb, mit energischem Messerschnitt eine Hollunderstange teilend. »Man soll nicht mit Feuer spielen. Ich werde Ihnen einmal etwas ganz aufrichtig und ehrlich sagen, mögen Sie es mir übel nehmen oder nicht. Wenn es hier am Hofe ein Wesen giebt, welches ich mit der ganzen Inbrunst meiner Seele verabscheue, so ist es die Nievendloh. Falsch, intrigant, boshaft wie ein Satan ist das Frauenzimmer, und wenn sie betet, dann lautet es ungefähr so: ›Lieber Gott, beschere mir umgehend einen Mann und laß alle anderen jungen Mädchen alte Jungfern werden. Amen.‹ Nein, Norbert, weiß Gott, lieber möchte ich Sie auf unserem Nelson in das weiße Laken schlagen und Sie den kühlen Wellen gönnen, ehe ich es duldete, daß sich dieser Racker auch nur um Haaresbreite in Ihrem Herzen einnistet!«
Leopold hielt einen Augenblick inne und sah in das amüsierte Gesicht des jungen Seemannes empor, dann lachte er plötzlich hell auf. »Wissen Sie, Norbert, da fällt mir eine Geschichte von meinem Großonkel ein, welche ich sofort im Stande wäre, an der Dame Alice aufleben zu lassen. Soll ich Sie Ihnen einmal erzählen?«
»Hoheit haben nie ein andächtigeres Publikum gehabt!« Und Sangoulème schritt zum Sofa, warf sich in seine weichen Polster, und stützte den Kopf in die Hand.
»Mein Großonkel, Herzog A., war ein überaus heiterer und humorvoller Mann«, begann Leopold, eifrig an der weißen Holzstange schabend, »welcher durch ein paar mißglückte Intrigen einen tiefen Haß auf deren Anstifterin, die Hofdame, Gräfin H., bekommen hatte. Da war es dann eine ganz ähnliche Affaire, wie momentan zwischen Ihnen und Fräulein Alice. Die Gräfin stellte einem jungen Offizier nach, welchem mein Großonkel in warmer Freundschaft zugethan war, und es darum für seine Pflicht hielt, die allgemein vorausgesetzte Verlobung der beiden jungen Leute zu verhindern. Es war ein Ball im Schloß, gerade so wie heute Abend. Die Gräfin beabsichtigte, die Sache bei dieser Gelegenheit zu Ende zu bringen, da ihr unglückliches Opfer wenige Tage darauf eine längere Reise anzutreten beabsichtigte, ganz so wie Sie, cher baron. Da galt es also, die Gräfin fernzuhalten. Mein Großonkel war ebenso geistreich wie unerbittlich, und der Ansicht, daß der Zweck die Mittel heiligt, sein Plan war überaus originell und zweckmäßig. Zu jener Zeit bediente man sich noch der Tragsessel, und auch die Gräfin ließ sich mit Hilfe eines solchen Möbels zum Palais befördern. In großer, raffiniert kostbarer Toilette besteigt sie die Sänfte, und die beiden Träger setzen sich in Bewegung. Plötzlich kracht es, der Boden des Gefährts bricht durch, und mit einem Schrei des Schreckens steht die Gräfin mit ihren weißen Atlasschuhen auf der damals noch ungepflasterten, durch das Thauwetter fürchterlich zugerichteten Straße. Wie auf ein Signal setzen sich die Träger in Trab, und mit verzweiflungsvollem Geschrei muß die Gräfin durch Dick und Dünn mitlaufen, ohne Gnade, ohne Aufenthalt, bis zu dem Schloßportal. Hinter ihr her schleifte die kostbare Brokatschleppe, bis über die Knöchel versank sie in dem schwarzen Kot, und dabei keine Möglichkeit, diesem dahinstürmenden Gefängnis zu entrinnen. Mein Großonkel hatte gewonnen, der durchgesägte Boden der Sänfte hat viel Unglück verhütet, wie es sich durch eine spätere Ehe der schönen Frau bewies, aber bei Gott, so grausam dieser unfreiwillige Dauerlauf der einstigen Hofdame gewesen sein mag, der Nievendloh sägte ich auch mit eigenen Händen die Droschke entzwei!«
Leopold stand auf und schüttelte die Holzspähne von sich ab, er lachte noch immer vor sich hin, und Norbert stimmte ihm heiter bei.
»Und nun, Sangoulème, die Moral der Geschichte werden Sie begriffen haben. Hand darauf, daß Sie keinen dummen Streich machen wollen heute Abend, wenn das Frauenzimmer auch noch so berückend aussieht, denn das kann sie noch immer!«
Leopold reichte ihm die Hand entgegen, mit schnellem, lächelndem Aufblick schlug Norbert ein.
»Unbesorgt, Hoheit«, sagte er, und es klang plötzlich wie leise Bitterkeit durch seine sonore Stimme, »Fräulein von Nievendloh wird mir ebenso ungefährlich sein, wie alle anderen Schönheiten, welche heute Abend und je im Leben meinen Weg kreuzen! Menschenherzen gleichen den jungen Frühlingsblüten, tausende entfalten sich im Glanz der heiteren Sonne, tausende bricht der herbe Frost noch in der Knospe. Mein Leben kennt keinen Sonnenschein, Wetter und Sturm war das Wiegenlied meiner Jugend.«
Der Prinz blickte ernst zu Boden, eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn. »Der Sturm soll austoben, und was er mitbringt, soll der Lenz des Glücks sein. Ihr Leben kann ich wohl freundlich gestalten, Sangoulème, über Ihr Herz jedoch bestimmt keine irdische Macht, es sei denn die eines edlen Weibes. Und nun will ich noch einen Augenblick zu Tante Josephine hinübergehen. Begleiten Sie mich, oder haben Sie über Ihre Zeit bestimmt, dem Anscheine nach wollen Sie ausgehen?«
»Ich beabsichtige noch einen Gang in den Park zu thun«, bestätigte Norbert, nach der Mütze greifend, »das Schneegestöber ist verlockend, wenngleich es bei der warmen Luft die Wege grundlos gemacht haben wird. Voyons, ich werde dem Pfadfinder in das Handwerk pfuschen!«
»Manch bunte Blume blüht an dem Strand.«
Soeben waren die hohen Herrschaften in den Saal getreten. Hunderte von blendenden Flammen erleuchteten die festlichen Räume, in welchen bereits seit einer halben Stunde das farbenprächtigste, eleganteste Leben flutete, hin- und herwogend in stets wechselnden Bildern, zusammengewürfelt aus der Crème der Gesellschaft.
Stimmen schwirrten zu betäubendem Chaos in einander, zeitweise übertönt von der, hinter üppigen Pflanzenpyramiden versteckten Kapelle, deren wiegende Musikklänge die kleinen Füßchen drunten zu beflügeln schienen; dazwischen schob und drängte sich die schaulustige Menge der älteren Gäste, blitzende Uniformen und sterngeschmückte Fracks, Atlas und Diamanten, ein buntes, lebensprühendes Mosaik!
Ruth von Altingen war am Arm des Prinzen Leopold zur Polonaise geschritten, ein schönes Paar, auf welchem die meisten Augen weilten; mit strahlendem Blick und hocherhobenem Haupte tanzte der junge Fürst, und wie die weiße Taube, schlank und silberschimmernd, schmiegte sich Erlkönigin in seinen Arm.
Gräfin Lersneck hob die Lorgnette und lächelte der reizenden Schutzbefohlenen wohlgefällig zu, ihr fettes Gesicht glänzte vor Zufriedenheit, und die gigantischen Türkisen schaukelten sich auf dem tief dekolletierten Halse.
Sangoulème hatte sich abseits auf einen der gelben Damastdivans niedergesetzt und blickte interessiert auf das üppige Bild hernieder. ›Menschen, welche aus der Urne des Schicksals die höchsten Loose gezogen haben‹, klang es vor seinen Ohren, und der stille Schloßpark von Altingen stieg vor ihm auf, mit all seiner Wonne, seinem Herzeleid und seiner Sehnsucht, und dann dachte er an den Prinzen, welcher die Liebe gesucht hatte, und unwillkürlich schweifte sein Blick hinüber zu Ruths lieblichem Köpfchen, sie begegnete aber niemals solch einem Blick, sie war zu sehr in Anspruch genommen, die jungen Herren belagerten ihre Tanzkarte.
Da legte sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter.
»Sie tanzen nicht, Sangoulème?« fragte Prinz Leopold in heiterster Laune, sich schnell neben ihn niederlassend, »sind Sie blasiert oder faul, oder fürchten Sie einem jungen Strategen ins Gehege zu kommen? Los dafür! heute Abend wird nicht gefeiert!«
»Meine Tanzkarte weist bereits drei Namen auf, Hoheit, schon der nächste Walzer wird meine Tanzlust beweisen.«
»Alle Wetter! und wer ist die Auserwählte?«
»Comtesse Sternow.«
Leopold lachte leise auf. »Und dann kommt wohl Fräulein von Sanden an die Reihe? Sie sind ein gewissenhafter Mensch, lieber Freund, Sie tanzen nach dem Alter ab, mit Todesverachtung, wie?«
»Es ist mir gleichgiltig, bei welchen Damen ich meiner Pflicht genüge«, lächelte Norbert.
»Nun, und Alice?«
»Fräulein von Nievendloh hat mir den zweiten Tanz geschenkt.« »Natürlich, bien à-propos, der Herzenstanz!« Der Prinz wandte den Kopf und folgte der reizenden Gestalt der Hofdame mit den Augen, dann fuhr er hastig fort: »Haben Sie Fräulein von Altingen schon engagiert? Ich hoffe, Sie sind bei der nächsten Quadrille mein Vis-à-vis. Ich tanze mit der Herzogin, es läßt sich sehr gut arrangieren, daß wir stets ein Quarré für uns bilden. Dort steht die Erlkönigin, wie eine Schneeflocke taucht sie aus all dem plumpen Farbengewühl moderner Geschmacklosigkeit, ein einfaches, reizendes Rätsel inmitten einer falschen, reizlosen Maskerade ohne Hintergrund. – Also Sie werden die Quadrille mit ihr tanzen –?«
»Nein, Hoheit«, entgegnete Norbert voll kühler Bestimmtheit, »ich habe Fräulein von Altingen noch nicht engagiert, und glaube, daß sie jetzt sicherlich keinen einzigen Tanz mehr frei hat.«
»Heiliger Bonifacius, jetzt hört denn doch die Weltgeschichte auf!« – alterierte sich der junge Fürst, die Hände zusammenschlagend; »tanzt mit der Sanden und Sternow, und wartet, bis die Erlkönigin die Tanzkarte besetzt hat – Unser Geschmack ist zwar immer grundverschieden gewesen, aber heute bezweifle ich, ob Sie überhaupt welchen haben, alter Freund! – Sofort begleiten Sie mich zu ihr hin, und versuchen es wenigstens mit einer Anfrage«, – – und der Prinz sprang aufgeregt empor und schob seinen Arm in den des jungen Marineoffiziers.
»Hoheit« – sagte Norbert, ihn ernst zurückhaltend: »ich hole mir nicht gern einen Korb!«
»Diesmal haben Sie ihn verdient, von Gottes und Rechtswegen verdient!« – lachte Leopold zerstreut, »folgen Sie mir!« –
Ruth stand in lebhafter Unterhaltung mit einem jungen Referendar, als beide Herren zu ihr hintraten. In weichen, silbergewirkten Falten floß der zarte Duft ihres Kleides um die zierliche Figur, verlaufend in langer Schleppe, welche gleich glitzerndem Wasserstreif über das dunkle Parquet rieselte. Ein schmaler Goldreif lag in dem leicht gewellten Haar, gipfelnd im köstlichen Brillantstern, dessen leuchtende Strahlengarben schon die Stirn der Mutter gekrönt hatten, und welchen Ruth heute zum ersten Male angelegt hatte, um die schlichte Eleganz ihrer Toilette auch nicht durch den geringsten Farbenton zu stören. –
Fast erschrocken blickte die junge Baronesse empor, als der Prinz in liebenswürdigem Scherz um einen Tanz für den saumseligen Sünder Sangoulème bat. Dunkle Glut stieg in ihre Wangen und fast zögernd wies sie auf die Tanzkarte hernieder. »Ich bedaure unendlich, Hoheit, meine sämtlichen Tänze sind vergeben.« –
Norbert verneigte sich stumm und trat zur Seite, er wollte ein paar höfliche Worte sagen, aber die Kehle schien ihm wie zugeschnürt und vor seinen Augen flirrte eine welke Rose, welche er heute auf dem Schreibtisch des Prinzen gesehen hatte. So überließ er es abermals dem fürstlichen Freund, statt seiner die junge Dame mit Vorwürfen zu überhäufen.
»Nehmen Sie mir's nicht übel, mein gnädiges Fräulein, meinem besten Freunde hätten Sie auf alle Fälle einen Tanz reservieren müssen!« schloß Leopold, und Ruth blickte mit seltsamem Blick zu ihm empor.
»Das würde riskiert gewesen sein, Hoheit«, entgegnete sie laut, »und leicht möglich, daß dieser Tanz gar nicht gefordert wäre!« –
Herr von Meisenheim lavierte sich auf den Fußspitzen durch all die Schleppen, und begrüßte in möglichst umständlicher Weise den jungen Seemann, ihn bald so völlig in Beschlag nehmend, daß Norbert das weitere Gespräch der kleinen Gruppe entging.
Fräulein von Nievendloh hatte heute ihren beaujour. Sie lehnte sich auf den Stuhl zurück, hob den leicht entfalteten Fächer neckisch bis unter die Augen und sah Herrn de Sangoulème mit dunkelsprühendem Blick an. Mattgrüne Seidenwogen schmiegten sich eng um die vollendet schöne Figur, überladen fast mit Spitzen und Atlasschleifen, und gehoben von zartweißen Rosenkelchen, welche sich auch taublitzend durch die schwarzen Locken schlangen. Es lag ein Zug schmachtender Sentimentalität in dem ganzen Anzug, harmonierend mit den schmalen Lippen, welche sich oft leicht geöffnet, und gleichsam Luft heischend auf die blendenden Zähnchen legten.
»Glauben Sie mir, cher baron«, fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort, sich etwas näher zu Norbert neigend, um die leichte Tanzmelodie zu übertönen, »es herrscht hier eine wahrhaft beängstigende Beschränktheit, was die Vorurteile anbetrifft. Wie ich Ihnen schon sagte, es braucht jemand Fremdes drei Tage hier zu sein, so weiß bereits die halbe Residenz seine Verhältnisse bis in die penibelsten Details, und wenn die Chronique scandaleuse ein Häkchen findet, es mag so klein sein wie es will, so rümpft die gesamte Aristokratie die Nase, und zieht einen dicken Strich durch den Namen ihres unglückseligen Opfers!« –
»Entsetzlich!« – lächelte Norbert zerstreut. »Hoffentlich giebt es derer nicht viele!« –
»Es ist nie Mangel daran, – auch jetzt nicht!« – Alice sprach mit scharfer Betonung und zog die schöne Stirn in Falten. Es ärgerte sie, daß ihr Tänzer so perpetuierlich nach der Richtung hinschaute, in welcher Fräulein von Altingen in eifrigem Gespräch mit Lieutenant von Otthardt saß. –
»Auch jetzt nicht?« – zum ersten Male traf Sangoulème's Blick voll das Auge der Hofdame, »wen hat man denn momentan unter der Hechel, mein gnädiges Fräulein, wenn es nicht indiskret ist zu fragen!« –
Alice richtete sich empor. – »Sie!« klang es kurz von ihren Lippen.
»Mich?« Norbert lachte gezwungen auf. »Zu viel Ehre, daß sich die Herrschaften mit meiner unbedeutenden Person beschäftigen. Und was für Ungeheuerlichkeiten knüpft man denn an den Namen Sangoulème?«
Fräulein von Nievendloh entfaltete zögernd den glitzernden Ballfächer. »O Sie würden mir zürnen, wenn ich das sagen wollte«, sagte sie, langsam die Elfenbeinstäbe auf- und niederbewegend, »es ist ein undankbares Geschäft, jemandem die Gesinnungen seines Nächsten kund zu thun, nicht wahr, Sie würden dann Ihren ganzen Groll auf mich übertragen, oh und das ertrüge ich nicht!« Ein vielsagender Blick flammte hinter dem Fächer zu ihm auf.
»Unbesorgt, meine Gnädige, im Gegenteil, von solch schönen Lippen klingt selbst das Furchtbarste mild und freundlicher, ich habe gute Nerven und bin auf Alles vorbereitet!« Er lächelte, aber wiederum schweifte sein Blick hinüber zu der weißen Mädchengestalt, welche im vollen Glanz des Kronleuchters leichtfüßig vorüberschwebte.
»Nun also: erstens versucht man es, Ihrer Familiengeschichte zum Vorwurf zu machen, daß Ihre Frau Mutter Gouvernante war«, begann Alice mit gesenktem Haupt, dann aber jäh emporschauend, um fast hastig fortzufahren, »eine geradezu ridikule Ansicht, eine Beschränktheit des Geistes, welche mich empörte. O, ich habe Fräulein von Altingen auch ziemlich unverhohlen meine Ansicht darüber gesagt, ich habe mich namenlos gefreut, eine Gelegenheit zu finden, Ihnen mit Anwendung all der mir zu Gebote stehenden Redekraft die Stange zu halten. Ob Ihre Frau Mutter eine Gouvernante oder eine Herzogin war, finde ich ganz einerlei. Ihr Herr Vater hat sie geliebt und sie durch diese Liebe zu sich emporgehoben in die Sphäre der heiligsten, lautersten Romantik und Poesie, glücklich das Weib, welches das Herz eines Sangoulème so ganz und gar eingenommen hat!«
Norbert sah nicht den Ausdruck schmachtendster Hingebung in dem Gesicht der Hofdame, mit glanzlosem Auge, wie geistesabwesend, starrte er empor in die zitternden Gasflammen der Kronleuchter, sie flirrten wild vor seinen Blicken, mengten sich wie hohnlachende kleine Irrlichterfratzen und verschwammen in einem fahlen Nebelmeer, welches ihm die pochende Glut seiner Schläfe vor die Augen trieb.
»Fräulein von Altingen verdankt die Residenz diese interessante Kenntnis?« fragte er so leise und zwischen den Zähnen, daß Alice die Worte kaum durch die wirren Musikklänge verstehen konnte.
»Natürlich, die Erlkönigin trägt die Natur aller Despoten in sich, sie versucht in den Staub zu ziehen, was neben ihr emporwachsen will.« Eine häßliche Falte spielte um die Mundwinkel der jungen Dame, ebenso häßlich wie der schnelle Seitenblick, welcher hinüber zu der Genannten flog. »Nur Herr von Otthardt scheint eine Ausnahme zu machen und Gnade vor ihren Augen gefunden zu haben. Sehen Sie doch die Vertraulichkeit in der Unterhaltung, es fehlt weiter nichts, als daß der schöne Ulan seine Bewunderung in feurigen Küssen auf ihre Hand schreibt! Warum auch nicht! soviel ich weiß, schwärmt ja Fräulein Ruth für Seefahrten, da könnte sie ja mit dem unwiderstehlichen Cavalier ihre Hochzeitsreise nach Amerika machen!« Und Alice warf sich aufgeregt zurück und lachte sarkastisch auf, ein Lachen, welches dem jungen Marineoffizier wie ein Dolch durch die Seele schnitt.
»Die arme Ruth!« fuhr sie plötzlich wie umgewandelt fort und zupfte spielend an den weißen Rosen ihres Kleides, »sie wird niemals glücklich sein und niemals beglücken, sie ist kalt wie Eis, eine Seele hat sie nicht! All die heiße selbstlose Hingabe und Innigkeit eines Weibes, die glühende Leidenschaft, welche die Liebe so stark und adelig macht, daß ihr Namen und Stammbaum des erwählten Mannes nichtige Dinge sind, die wird Ruth niemals kennen, sie würde den Gedanken an die Gouvernante niemals überwinden, und ihr Glück lieber daran scheitern lassen, ehe sie den Stolz zum Sklaven ihres Herzens machte! Was ist Ihnen, Herr de Sangoulème, Sie sehen so entsetzlich böse aus! Oh sehen Sie, Sie zürnen mir doch, ich habe Sie gekränkt durch meine Aufrichtigkeit, und ich wollte Ihnen ja doch nur sagen, wie ganz ich auf Ihrer Seite stehe!« Fräulein von Nievendloh neigte sich vor und blickte mit fieberisch glänzenden Augen zu Norbert auf. Die ganze flammende Leidenschaft ihres Charakters lag in ihren Zügen, auf dem schönen, unheimlichen Gesicht.