Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
A. D. 1741-44.
Noch war der Lenz nicht völlig Sieger worden im Kampf mit dem abziehenden Winter. Noch standen im Nymphenburger Park die Baumalleen kahl; auf dem Wald- und Wiesenboden aber zwischen dem dürren Gras des Vorjahres hoben die ersten Frühlingsblumen in großen Büscheln ihre Knospen; in den geschnittenen Hecken ließ die Amsel ihren Lockruf hören und in den beiden kleinen Seen und den gradlinigen Kanälen wagten die sorgsam gehegten Schwäne zum erstenmal wieder sich auf blauer Woge zu schaukeln. Auch die steinernen Götterbilder im vorderen Parterre Der Garten ist nach französischem Geschmack gleich jenem zu Versailles angelegt. und an der großen Cascade nahmen sich minder frostig aus, denn wenige Tage vorher, wo rinnendes Schneewasser von ihren weißen, kunstvoll gemeißelten Gliedern niedergerieselt war; ja ein vorwitziger Triton von der vergoldeten Gruppe der blumenspendenden Flora Diese Gruppe verlieh Churfürst Max Emanuel dem Garten im Jahre 1719. Sie war in Blei gegossen, reichlich vergoldet, wog etwa 250 Centner und kostete gegen 60,000 fl. Jetzt ist sie gänzlich zerstört; in der Schleißheimer Galerie aber hängt eine Abbildung davon in Oel gemalt von Baisch. schien einem Delphin schier verständnißvoll zuzuwinken: »Sei getrost, Freund und Leidensbruder, denn nimmer allzufern ist die Zeit, da Phöbus Apollo auch zu uns seinen Sonnenwagen lenkt; schon mein' ich das Schnauben seiner Rosse zu hören und das Gestampf ihrer Hufe.« –
Nahe beim kleineren See steht die Pagodenburg, ein Pavillon im römischen Styl erbaut, im Innern aber ganz nach indischem Geschmack verziert. Dort waren an jenem Tage die Thüren und Fenster weit geöffnet, doch nicht etwa um veraltetem Winterstaub freien Ausgang zu schaffen, sondern vielmehr um sich zur Feier des Lenzeinzuges zu schmücken; denn Churfürst Carl Albrecht von Bayern, der Besitzer des herrlichen Lustschlosses, wollte heute, zum ersten Mal in diesem Jahr, seinen Abendimbiß hier verzehren. Die Bedienung bei solchen in der Pagodenburg häufig abgehaltenen Festlichkeiten geschah des engen Raumes wegen durch die geöffneten Fenster.
Schon war die Tafel gedeckt, schon war sie bestellt mit kalten Speisen und Getränken, – noch fehlte inmitten derselben der Strauß köstlicher Blumen, die das Treibhaus zu liefern hatte. Doch kam schon des Gärtners Töchterlein gehuscht, eine Fülle seltener Pflanzen und Blüthen in den schlanken Händen. Noch halb Kind, half sie schon dem Vater in der Obsorge für die fremden Gewächse, auch verstand sie es besser als er, die passenden Farben und Formen zusammen zu stellen; darum fiel ihr auch heute das Geschäft zu, die Blumenvase zu füllen. –
»Sei ein klug' Kind und weise Dein Geschick!« hatte der Vater zu Magdalena gesagt, »der Strauß soll uns Ehre machen.« Nun stand sie ganz vertieft in die Anordnung des kleinen Kunstwerkes.
Schier hatte sie die Arbeit vollendet, – eine letzte Tazette wollte sie noch d'rin festigen – da zog ein fremdartig süßer Duft zum Fenster herein und Magdalena, die den Geruch aller wilden und aller im weitem Umkreis künstlich gepflegten Blumen kannte, stand schier verzückt ob dem neuen, wundersam köstlichen Ruch. Doch fand sie kaum Zeit darüber nachzudenken, da trat ein Mann in die offene Thüre, die gegen den See zuführte, und – war es der balsamische Duft, der ihn ihr schöner erscheinen ließ? oder schien ihr der Duft wonniger, weil er schön war? – sie wußte sich keine Rechenschaft darüber zu geben. Doch erinnerte sie sich nachher noch genau, daß sie zusammengeschrocken war unter dem Blick seiner großen, dunklen Augen, wiewohl diese mildfreundlich auf ihr ruhten, und daß ihr schier feierlich ward, ihn anzuschauen; vielleicht machte seine damals ungewohnte spanische schwarze Tracht die Wirkung, vielleicht war's sein tiefschwarzes Haar und abstechend davon seine schier bläulich-weiße Hautfarbe.
»Wie schön!« rief er mit ausländischem Accent, »wer hätte solch' südliche Herrlichkeit im kühlen Norden erwartet!«
Magdalena stand wie gebannt, auch seine Stimme war weich und voll und wohlthuend, wie seine ganze Erscheinung. Lächelnd sah er auf das halbwüchsige Mägdlein, das, ihn anstarrend, keine Erwiederung fand.
»Schenk' mir die Blume, kleine Gartenfee!« rief er scherzend und deutete auf die Tazette in ihrer Hand. Gehorsam bot ihm Magdalena den weißen Blüthenstern. –
Er aber legte seine Hand auf ihre Schulter und sprach freundlich weiter: »In meiner Heimath wächst wild, was hier künstlich im Gewächshaus sein Leben fristet – dennoch hat mich niemals eine Blume so erfreut als diese, weil sie die erste ist, die mir aus fremdem Grund entgegenblüht.« Und dann seine Stimme dämpfend fuhr er fort: »Darum will ich Dir eine Gegengabe schenken. Sorgsam hab' ich auf langer, oft beschwerlicher Reise der erlauchten Frau Churfürstin etliche Cactusstöcke mitgebracht. Heut hat die erste Blüthe sich d'ran geöffnet, da wollt ich sie der hohen Frau auf den Teller legen – nun aber schenk' ich sie Dir, zum Andenken an Einen, der bald wieder in die Fremde ziehen wird.«
Magdalena hatte demüthig dem fröhlichen Ton seiner Stimme gelauscht; ihr schien der hohe Mann, der sich so freundlich zu ihr niederbeugte, wie eine Märchengestalt, wie die Verkörperung alles Schönen. Bei seinen letzten Worten zuckte sie zusammen – ihr ward so leid, ihn für alle Zukunft missen zu sollen.
Mechanisch griff sie nach der Blüthe, die er ihr bot, und senkte das Haupt. Rosig und vielblättrig war ihr Kelch und ihm entströmte auch der balsamische Duft, der sie zuerst so berückt. Wie sie wieder empor blickte, perlte eine Thräne d'rauf nieder.
»Habt Dank, Herr!« entgegnete sie leise und sie wandte sich, zu gehen. »Leb' wohl!« grüßte er mit der Hand winkend dawider.
Dann entschritt sie dem Pavillon.
Eine seltsame Fluth von Gedanken ging durch ihr junges Haupt. Bis heute hatte sie noch nicht gedacht an Dinge, die außer dem Heimwesen ihres Vaters und den ihr übertragenen Blumenhäusern lagen. Beschäftigung und Erholung zugleich hatte sie dort gefunden; weiter hatte der Sinn ihr nicht gestanden. Jetzt war ein neues, unerwartetes Ereigniß in ihr Leben getreten; ihr war mit einemmal die Erkenntniß geworden, daß in des Lebens Schoos Höheres, Köstlicheres verborgen liege, als sie bislang geahnt.
Darum schritt sie auch jetzt nicht heimwärts – weiter, weiter hinein in die knospende Wildniß zog es sie. Wie im Traum ging sie dahin, – nur der duftende Blüthenkelch in ihrer Hand war ihr Gewähr, daß das Erlebte wirkliche, herzbeseligende Wahrheit gewesen.
So war sie an des Gartens Ende gekommen. Bei der großen Cascade rauschte das Wasser so lockend, durch die höchsten Baumkronen strich der Abendwind, daß sie sich schaukelnd wiegten – da hielt Magdalena den Schritt an und kauerte auf dem moosigen Grund nieder, mit großen Augen und neuem Sinn hinein starrend in die dämmrig webende Lenzwelt. Sie sah nicht wie mählig die Nacht ihre dunklen Schwingen entfaltete, sie hörte nicht der Eule heiseren Schrei. Erst wie ein Fuchs in ihrer Nähe vorbei streifte mit unheimlich scheuem Schleichwesen, da fuhr ihr der Schreck an's Herz, daß sie zum ersten Mal zu nächtlicher Weile allein war unter freiem Himmel und mit beflügeltem Fuß eilte sie einem Seitenbau des Schlosses zu, darin die Gärtnerwohnung war.
Wie sie, aus dem Park tretend, das vordere Parterre des Gartens erreichte, war es spät geworden. Auch die Herrschaften mochten ihre Abendgesellschaft beendet haben, denn schon schimmerten zwischen den noch unbelaubten Stämmen einzelne Lichter. Mit vorgetragenen Fackeln ließ der Churfürst sich und seine Gäste durch reich betreßte Diener in's Schloß geleiten.
Magdalena hatte oft solch glänzendes Schauspiel gesehen, ohne sonderliches Wohlgefallen d'ran zu finden, achtlos war sie sonst wohl d'ran vorüber gegangen; heute verbarg sie sich hinter weißer Steinurne und spähte erwartungsvoll nach den Kommenden. Und da schritten sie einher die buntschimmernden Paare in den hohen Stöckelschuhen mit den schneeig gepuderten Perrücken, voran die Lakaien in die blau und weiße Hausfarbe gekleidet, dann Churfürst Karl Albrecht im blauen Sammtrock mit Silberstickerei und Churfürstin Amalie im weißen Atlasgewand und dann folgten die Prinzen und Prinzessinnen, die Cavaliere und Hofdamen. In lichter Farbenpracht erstrahlten sie alle im röthlichen Flackerschein und ihr scherzendes Lachen und galantes Geflüster klang weit durch die nächtliche Stille. Einer nur ging ernst und gemessen in ihrer Mitte. Magdalena kannte die hohe Gestalt im dunklen Kleid und ihr Herz schlug hoch.
Wie alles vorüber war, schlich auch sie dem Schlosse zu. An der großen Freitreppe begann sich indeß die Gesellschaft aufzulösen, die Gäste, die im gesonderten Flügel nachtlagerten, trennten sich von den höchsten Herrschaften.
Wie der Herr im spanischen Wamms sich vor dem churfürstlichen Paare neigte, winkte ihm Karl Albrecht gnädig mit der Hand: »Gute Nacht, Graf Manuel!« Der Nachtwind trug das Wort an Magdalenens Ohr. »Manuel!« wiederholte sie leise. Auch der Name klang süß und fremd, wie seine ganze Erscheinung, wie der Duft der Blume, die er ihr geschenkt.
Wenige Tage später war der italienische Gast, der nur wenig Tage im Schloß geweilt, wieder abgereist, ohne daß Magdalena ihn noch einmal gesehen, oder auch nur Näheres von ihm erfahren hätte. – – – – – –
Seitdem waren Jahre vergangen. Karl Albrecht war des deutschen Reiches Kaiser geworden. Magdalena pflegte noch die Pflanzen im Treibhaus des Hofgartens zu Nymphenburg; aus dem halbwüchsigen Kind aber war ein vollerblüht Mädchen worden, das mit scheuen Rehaugen in die Welt blickte und nur Sinn hatte für die Blumen und silberweißen Schwäne des Parkes, das sich fern hielt von Tanz und Spiel und in Arbeit und Einsamkeit einzig Befriedigung fand und das zuweilen an eine längstvergangene selige Stunde gedachte, die wie ein Maistrahl in sein jung Gemüth gefallen war und seitdem im verborgensten Winkel seines Herzens haftete, wie ein Geheimniß.
Oftmals stand Magdalena bei den Cactusstöcken, die Churfürstin Amalie einst von Jenem zum Geschenk erhalten, der die erste Blüthe davon Magdalenen geschenkt hatte; so sorgfältig aber das Mädchen sie auch wartete, kein neuer Blumenkelch hatte sich all' die Jahre her entfaltet. Erst seit wenigen Wochen begann eine kleine Knospe sich von der dunkelgrün stacheligen Kugel eines Stockes abzuheben. Nun stand Magdalena jeden Morgen davor und harrte auf ihre Entfaltung und jeden Abend sah sie mit seltsam sehnsüchtigem Blick danach. Und eines Mittags da war der langersehnte Augenblick gekommen und wonnig süßen Duft ausathmend, hatte der rosige Kelch seine Blätter geöffnet.
Da kniete Magdalena bei der Pflanze nieder und Thränen perlten über ihre Wangen; – war's beglückende Erinnerung oder wehmuthsvolle Sehnsucht? kaum mochte sie's selber wissen.
Dieweil lustwandelten draußen im Park glänzende Frauen und lachende Cavaliere.
Karl Albrecht liebte die Geselligkeit, gern ruhte er von den Regierungssorgen in fröhlich jugendlichem Kreise aus und waren auch die Jahre längst dahin, wo er noch Alles in rosigem Schimmer erschaute und gedankenlos in die Zukunft sah, dennoch freute er sich an der unberührten Blüthe der Andern, wie das welke Laub an jung nachkeimender Blätterpracht.
Heute hatte die Gesellschaft sich nach der Tafel aufgelöst. Etliche Herren und Damen ergötzten sich beim Maillespiel Schon Max Emanuel hatte neben der Pagodenburg eine sogenannte Maille-Bahn aufführen lassen., andere hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen, wieder andere wanderten durch die laubigen Gänge des Parkes.
Eine Gruppe von drei Herrn stand am großen Springbrunnen und schaute nach dem Stürzen des Wassers und wie Frau Sonne sich in den ewig bewegten Wellen des Bassins lustig bespiegelte. Es konnte nichts Verschiedeneres geben, als diese drei Männer. Der Erste, in mittleren Jahren, von fast zu zierlicher Gestalt, mit hoher reichlich gepuderter Perrücke, die hellrosa Toilette im Geschmack Louis XIV. war des Kaisers Kammerherr Baron Seckendorff Vermuthlich ein Verwandter des zu jener Zeit hochberühmten Marschalls Seckendorff.; der zweite mochte die Zwanzig noch nicht viel überschritten haben, trug das schwarze natürliche Haar kurz geschoren und die knappe schwarze Kleidung nach spanischem Schnitt, dabei war er groß und schlank, von dunklem Teint, die großen schwarzen Augen strahlend in feuriger Gluth. Von weitem sah man ihm den Italiener an. Graf Rivara war auch erst seit wenig Tagen in des Kaisers Dienste getreten. Der Dritte, das genaue Gegentheil der beiden anderen, hatte trotz vorgerückten Jahren und gänzlich verkümmert und verkrüppelter Gestalt ein knappes Wams von den grellfarbigsten Stoffen an und verunstaltete seinen ohnehin unverhältnißmäßig großen Kopf durch eine unförmig hohe Perrücke. Wer des Mannes schreckliche Erscheinung betrachtete, mußte ihn bedauern, doch hatte ihm die Natur für solch stiefmütterliche Behandlung eine Entschädigung in die Wiege gelegt, schwerwiegend und nicht zu unterschätzen: das war sein Witz, der zuweilen beißend genug selbst den Churfürsten und Kaiser nicht verschonte, obwohl er dessen Brod aß, denn er war Palma, Karl Albrecht's Hofnarr.
Vertraulich klopfte er eben dem Grafen Rivara auf die Hand. »Eigentlich ist Euch zu gratuliren zu Euerm neuen Amt«, sprach er in boshaftem Ton; »denn mühelos ist die Stellung eines Cavaliers an unserm Hof: Maillespielen, Schwanenfüttern, wenn's hoch kommt im Schachspiel matt werden; 's ist nicht zum Kopfzerbrechen!«
Graf Rivara lachte: »Herber Witz – scharfe Grütz!« aber Palma fuhr unbeirrt fort: »Dennoch möcht ich Euch noch eine Warnung zukommen lassen!« Dabei setzte sich der wunderliche Zwerg auf die Tropfsteine der Bassinsumrandung, kreuzte die mageren Beinchen, nahm die Stellung eines Fiedlers an und sang halb sprechend mit scharfer Betonung:
»Es war einmal ein junger Fant,
Der saß im Königsschloß –
Fa lira lant, fa lira lant,
Der trug gar köstliches Gewand
Und ritt ein prächtig Roß.
Der junge Herr war wild gemuth
Zu Hieb und Stich und Schlag –
Fa lira lut, fa lira lut,
Oft floß von seinem Degen Blut,
Bei wildem Raufgelag.
Auch mit dem Becher stand er d'rum
Auf gar vertrautem Fuß –
Fa lira lum, fa lira lum,
Der zog ihn oftmals krumm und um,
Daß er Sand küssen muß.
Der König war ein milder Herr
Und war dem Junker hold, –
Fa lira ler, fa lira ler,
Trotz Rausch und Stich und Anderem mehr
Hat nimmermehr gegrollt.
Doch einstmals trieb's der Junker bunt:
Er griff die schönste Maid –
Fa lira lunt, fa lira lunt,
Und küßt sie auf den rothen Mund
Und schuf ihr schweres Leid.
Zum König kam die schlimme Mär:
›Und hast Du dies gewagt –
Fa lira ler, fa lira ler,
So rettest Du der Dirn die Ehr'
Und nimmst zum Weib die Magd!‹
Rivara hatte sinnend dem Liede gelauscht, jetzt zuckte es spöttisch um seinen Mund: »Glaubt Ihr, ich sei aus Italien gekommen, deutsche Moralpredigten zu hören?« Baron Seckendorff legte den Finger an den Mund: » Pardonnez s'il vous plaît! Warum hebet Ihr Eure Stimme wie Josua, da er die Mauern von Jericho stürmte? Morbleu, 's ist gefährlich, so in seine geheimsten pensée's schauen zu lassen.«
Da konnte sich Rivara des Lachens nimmer enthalten: »Ich hab' mein Lebtag gewußt, was thun, was lassen; aber ein Kopfhänger werd' ich nimmer und sollte der Mond d'rüber seinen Schein einbüßen.«
» Mon Dieu, mon Dieu,« jammerte der zierliche Baron, » quelle idée frivole, comme c'est terrible!« und er rang die feinen Hände.
Aber Rivara beachtete es nicht. » Excusez messieurs, daß ich Euch verlasse. Son altesse der Kaiser m'a permis de visiter seine Blumenhäuser. Ce sera surtout une plante extraordinaire qui m'interesse bien fortement, weil mein Bruder sie Ihrer Hoheit der Frau Kaiserin vor Jahren als cadeau aus unserer Heimath gebracht hat.« Damit verbeugte er sich förmlich, doch ohne gegen die Artigkeit zu verstoßen und entfernte sich nach den Gewächshäusern zu.
Seckendorff sah ihm verblüfft nach, Palma aber lachte aus vollem Hals: »Ist eine schöne Eigenschaft, zu gehen, wenn einem etwas ungelegen kommt«, und er klatschte in die kurzen plumpen Hände.
Graf Rivara schritt indeß nach der nördlichen Seite des Gartens. Ein Mißmuth lagerte über seinen Zügen und wie in Auflehnung und Trotz zuckten seine schmalen Lippen. »Warum soll ich mich beugen solch' widerwärtigem Joch?« flüsterte er vor sich hin, »warum soll der Frauen holdselige Lieblichkeit für mich gestorben sein? Ha ha, der Kaiser wird's nicht also genau nehmen, wie der Baron sagt. Seckendorff wollte mich nur in's Bockshorn jagen.«
Schier zornig schritt er weiter und klinkte mit raschem Griff die Thür des ersten Treibhauses auf; aber wie bezaubert blieb er regungslos auf der Schwelle stehen. Denn ein Bild bot sich ihm, hold und duftig, wie er noch nichts erschaut hatte im Leben. Vor dem völlig erblühten Cactus kniete Magdalena in jugendlicher Schönheit, eine Thräne auf den sanft gerötheten Wangen. Sie bemerkte ihn nicht – lange stand er so in Anschauen versunken, ohne klaren Gedanken; endlich quoll etwas in ihm auf, auch an sich zu nehmen, was ihm so begehrenswerth erschien. Mit leisen Schritten, als dürfe er den Ort nicht entweihen, näherte er sich Magdalena und die Hand auf ihre Schulter legend, beugte er sich zu ihr nieder und sprach mit seiner weichsten Stimme: »Süßes, liebes Kind!« Sie fuhr erschrocken empor bei seinen Worten. Das war dasselbe knappe, dunkle Kleid, dieselbe hohe Gestalt, die sie jahrelang in frommer Erinnerung getragen, auch die Stimme gleich jener, die ihr damals in's Ohr geklungen und derselbe balsamische Duft umzog sie. Sie sah nicht mehr empor nach dem Gesicht des Fremden, sie wähnte nicht, daß es so ganz anders geartet war als jenes – ein wonniger Nebel verschleierte ihren Blick. Wie Rivara die Arme auseinanderbreitete, um sie an die Brust zu ziehen, legte sie vertrauensselig ihr Haupt an seine Schulter, als könnte sie dort Ruhe finden für alle Zeit.
Und Graf Rivara? Er hielt in hellem Jubel umschlossen, was er glühend gefordert und preßte heiße Küsse auf Magdalenens reine Stirn und ihr braunes welliges Haar. »Willst Du mein sein?« flüsterte er.
Sie hörte ihn nicht. Aber ein anderer, der hinter ihm in die geöffnete Thüre getreten war und mit ungnädigen Blicken die Gruppe überflog, hatte ihn vernommen. Es war Kaiser Karl Albrecht. Kurz entschlossen trat er vor. Seine Stimme klang kalt und hart: »Ihr wollt des Gärtner's Kind zur Ehe nehmen? Ich will Euch meine Genehmigung nicht versagen, nur will ich hoffen, daß Ihr die Hochzeit nicht verschieben wollet. Ein Logement im linken Schloßflügel soll Euch gerüstet werden Graf Fernando Rivara; dorthin möget Ihr Euer junges Weib führen. Mais j'éspère de ne revoir de tels scènes!»setzte er leiser hinzu.
Streng wandte sich der Fürst. Tief neigte sich der lebenslustige Graf; die wenigen Worte hatten ihn in's innerste Herz getroffen. Er, der Sohn eines stolzen, unnahbaren Geschlechtes der Lombardei, – sie die geringe Tochter des Gärtners. Der Gedanke war himmelschreiend, dennoch gab es gegen das Gebot des Fürsten keinen Widerspruch.
Rauh faßte er Magdalenens Hand, denn verschwunden war jede Regung für die eben noch heiß Begehrte und bitter lachend, fuhr er das, wie aus einem Traum aufschreckende Mägdlein an: »Führe mich zu Deinem Vater, daß ich anhalten kann um die Ehre, sein Schwiegersohn zu werden!« – – – – – – – –
* * *
Wieder war ein Jahr vergangen, wieder hatte der Lenz die neuen Baumblätter entfaltet. Im linken Schloßflügel Nymphenburg's lag ein traulich eingerichtetes Gemach, das durch eine große Glasthüre und eine kleine steinerne Freitreppe mit dem Schloßpark in Verbindung stand. Weit waren die Thürflügel zurückgeschlagen, die Sonne fluthete durch das Baumlaub über den dicken Teppich und die blauen Seidenpolster und Stühle mit vergoldeten Füßen.
Nahe am Ausgang stand eine Wiege, ein rosiges Knäblein lag d'rin. Daneben saß die junge Mutter – Magdalena.
Leise summte sie ihrem Kind ein Schlummerlied:
»Schlafe, schlafe mein süßes Kind,
Durch die Bäume säuselt der Wind!
Schaukeln die Blüthen am Fliederstrauch,
Schaukle ich in den Armen Dich auch;
Wiegen die Blüthen und Dolden sich lind:
Schlafe, schlafe mein herziges Kind.«
Der Ton klang müde und das einst so frische Gesicht schaute verhärmt und bleich vor sich nieder. Sie war nicht krank, aber sie glich einer Blume, der das richtige Erdreich mangelt.
Wie der Knabe seine munteren Augen zu festem Schlummer geschlossen hatte, erhob sie sich leise und trat an das breite Fenstergesims. Dort stand in großem Blumenscherben ein Cactus, der eben wieder seinen Kelch öffnete. Die Kaiserin hatte ihn Magdalena an ihrem Hochzeitstag verehrt.
»Was wird mir die jetzige Blüthe bringen?« sprach die bleiche Frau mit verschleierter Stimme: »erst war's das höchste Glück, dann das schwerste Leid; was nun?«
Und wie eine Antwort auf ihre Frage öffnete sich die Thüre und Graf Fernando trat ein. Mit raschem Schritt durchmaß er das Gemach, ohne nur einen Blick auf das Kind zu werfen und barsch fuhr er sie an: »Wir werden einen Gast bekommen; mein Bruder hat sich durch einen reitenden Boten, den er von der letzten Poststation voraussandte, bei mir anmelden lassen; schon in kürzester Frist wird er hier eintreffen. Ich erwarte, daß Du die Herrin meines Haushaltes mit Anstand repräsentirst, Dich aber im Allgemeinen möglichst unsichtbar machst. Comprenez-vous?«
Sie sah ihn an, wie der Vogel, der in den geöffneten Schlangenrachen blickt und neigte nur wortlos das Haupt zum Zeichen des Verständnisses.
Der Graf aber entfernte sich lärmend wie er gekommen, so daß das Kind drüber erwachte und weinend auffuhr. Magdalena sänftigte es wieder mit ihrem Lied, und dann saß sie eine lange Weile und starrte mit trostlosen Zügen vor sich hin. Plötzlich horchte sie hoch auf und eine jähe Röthe flammte über ihr blasses Gesicht.
Eine Stimme klang an ihr Ohr, die sie in allen Träumen vernommen; ein zweitesmal täuschte sie keine Aehnlichkeit mehr; und da trat er auf die Schwelle, der Langersehnte, Unerreichte, wie der verkörperte Traum ihrer Jugend.
Wie gelähmt lehnte sie am Pfosten der Wiege, gewaltsam nur vermochte sie sich aufzuraffen, um ihrem Schwäher entgegenzutreten.
Mittlerweile war Graf Fernando mit seinem Gaste eingetreten. »Dies ist meine Behausung,« sprach er geringschätzig über Frau und Kind wegsehend; »und ich hoffe, daß Du sie so lang als möglich auch als die Deine betrachtest!« und sich dann leichthin an Magdalena wendend, fuhr er fort: » Voilà mon frère Manuel!«
Sie zuckte nicht mit der Wimper, die Lippen nur preßte sie fest übereinander, sonst hätte sie aufschreien müssen vor Schreck und Leid. Wie Manuel ihr die Hand bot, legte sie die ihre betäubt hinein, so daß auch diesem, ob ihrem bänglich seltsamen Wesen, das Wort versagte und die Anrede in der Kehle stecken blieb. Darum neigte er sich sanft über den schlummernden Knaben: »Und das ist wohl Dein Kind?«
Fernando lachte gezwungen: »Ja wohl, so verträumt der künftige Graf Rivara seine Zeit, wenn er just nicht schreit. Nun aber komm' mit mir, laß' uns eine Flasche Burgunder zu fröhlichem Willkomm leeren!«
»Erst laß' mich den Staub der Landstraße von den Kleidern schütteln;« entgegnete Manuel artig, »denn unhöflich ist, in Anwesenheit einer Frau solch verwildert Aussehen zu bewahren.«
»Pah!« rief Fernando wegwerfend, » c'est bien inutile; Magdalena bleibt ohnehin am liebsten beim Kinde. Wir werden allein trinken.«
Magdalena stand noch unbeweglich; vielleicht hatte sie ihres Gatten bittere Worte gar nicht vernommen. Manuel aber fand sich von des Bruders schonungsloser Weise widerwärtig abgestoßen. Ihn faßte ein namenlos Mitleid mit dem jungen Weib, das so hilflos vor ihm stand, wie die Taube in den Fängen des Geiers. Sanft zog er ihre Hand an seine Lippen: » Au revoir!« sagte er mit milder Stimme, als könne er ihr damit Genugthuung geben für die schmähliche Verletzung ihrer Rechte.
Dann folgte er dem voranschreitenden Bruder.
Magdalena blieb hochaufathmend zurück. Lange saß sie neben der Wiege, das Haupt in die Hände vergraben, schier sinnlos. Als der Knabe sich regte, fuhr sie sich langsam über die Stirne, als wolle sie die schlimmen Gedanken bannen und dann auf die weitgeöffnete Cactusblüthe schauend, flüsterte sie leise: »Das also war Deine Meinung, da Du zum drittenmal Duft und Farbenpracht entwickeltest? O mein Gott, mein Gott, wie werd' ich's tragen!« – – – – – – – – – – – – –
* * *
Langsam gingen seitdem die Tage hin; selten nur kam Manuel in Magdalenens Gemach; schier immer zog ihn Fernando zu den Festlichkeiten des Hofes. Ohne daß irgend Worte drob gewechselt wurden, empfand Manuel, daß das Joch der Ehe seinen Bruder hart bedrücke, wiewohl Magdalena immer gleichmäßig sanft und mild erschien; auch des jungen Weibes verblichene Wangen sah er und er wußte warum; er begriff, daß Fernando's stolze Gemüthsart sich tief gekränkt fühlte durch die Ungleichheit des Standes und er grollte dem Kaiser, daß er solch unglückselig Verhältniß heraufbeschworen. Mit Magdalena empfand er herzliches Mitleid; ihn dauerte ihre Jugend, die sie so freudlos vertrauern mußte – wiewohl er sich nicht Zeit nahm, sie näher kennen zu lernen.
Auch von dem Leben am Hofe fand er sich nicht angezogen; daheim auf seinen Gütern, wo Feige und Mandel gedieh und die bläulich schimmernde Traube zwischen dunklen Blättern hervorglänzte, war er der Herr, der, ungehindert durch conventionelle Schranken, einzig seinen ehrlich stolzen Gedanken leben konnte, hier sollte er, der freie Sohn der Lombardei, sich fügen unter's Joch schablonenhafter Höflichkeit. Zuweilen sehnte er sich – er wußte nicht nach was.
Einstmals lustwandelte er mit Baron Seckendorff im Park, da lachte Seckendorff über Magdalena, »die bescheidene Gräfin«, wie er sie nannte, die immer und überall unsichtbar bleiben müsse.
Betroffen sah Manuel auf den leichtherzigen Sprecher: oft hatte er gedacht, daß Magdalena eine gar zu untergeordnete Rolle spiele – jetzt empfand er es mit widerwärtiger Bitterkeit. Aergerlich war ihm der Spott des Fremden über die Frau seines Bruders und mit gerunzelten Braunen wandte er sich zu Seckendorff: »Sie braucht keine fremde Gesellschaft, sie hat ihr Kind, das aufzuziehen, ist ihr mehr werth als alle Andern!«
Seckendorff lachte höhnisch: »Ich glaub's, weil die Andern niemals sie in ihren Kreis ziehen würden.«
»Sie ist eine Gräfin Rivara!« entgegnete Manuel stolz, »ist das nicht genügend?«
Aber Seckendorff lachte wieder und es klang diesmal häßlich verächtlich: » Elle est partout la fille du jardinier!«
»Die Gärtnerstochter!« – einen Augenblick klang auch Manuel der Vorwurf berechtigt, widerlich; – dann aber gedachte er an die bleiche Frau und mit ernster Stimme entgegnete er: »Magdalene ist eine tugendhafte Frau, was wiegt aller Glanz der Geburt gegen solchen Vorzug?«
Doch Seckendorff war nicht zur Nachgiebigkeit gelaunt. »Habt Ihr sie geprüft?« frug er spitz.
Da begann Manuels Blut zu kochen: »Die Rivara waren alle tugendhaft, depuis les croisades jusqu'à l'heure! Und sie hatten auch allzeit den Muth, für ihre Ehre einzustehen mit dem letzten Blutstropfen.«
Seckendorff erwiederte nichts mehr, aber das unverschämte Lachen wich nicht von seinem Gesicht.
Da streifte Manuel seinen Handschuh von der Rechten und ihn dem Baron vor die Füße werfend, sprach er kalt: »Wollt Ihr's nicht glauben, so mögt Ihr Euch selber davon überzeugen, wenn Ihr's wagt!«
Seckendorff hob das Kampfeszeichen auf und verbeugte sich gewandt: »Ich acceptire!« – – – – –
* * *
Am nächsten Tag, zu früher Stunde, über den Bäumen des Parkes schwebte noch der Morgennebel, standen die beiden Gegner sich am Ende des Gartens auf kleiner Lichtung gegenüber zum Kampf auf Leben und Tod.
Seckendorff hatte den kleinen Palma, Graf Manuel seinen Bruder als Sekundanten mitgebracht.
Ernst standen die Männer; nur Palma mochte die Laune nicht völlig lassen; er sang, mit seinem großen Kopf immer hin und her wackelnd:
»Zwei gingen in den Wald hinein,
Die Drossel rief: ›Gut Glück!‹
Die Schwerter sprüh'n im Sonnenschein,
Zwei gingen in den Wald hinein –
Und Einer kam zurück!«
Die Kämpfer traten an, beide waren als Fechter gleichgewandt, dennoch gelang es Seckendorff, mit aller Wucht einen flachen Hieb nach Graf Manuels Kopf zu führen. Der Schlag schmerzte, wenn er auch nicht blutig gewesen war, das trieb den Grafen aus seiner Reserve, er legte aus und im nächsten Moment fuhr Seckendorff in's Gesicht getroffen zurück, über Nase und Wange rann ihm das helle Blut.
Eine halbe Stunde später kehrte Manuel, auf den Arm seines Bruders gestützt, in des letzteren Wohnung zurück. Noch immer schmerzte ihn das Haupt und eine seltsame Müdigkeit hatte ihn ergriffen, er sehnte sich, ausruhen zu können.
Magdalena erschrack, wie er bleich und wankend zu ihr in's Gemach trat; aber sie verlor nicht die Fassung. Auf dem seidenen Ruhebett richtete sie ihm mit Polstern und Decken ein weiches Lager und sie bettete ihn drauf sanft und fürsorglich und kühlte seine brennende Stirn mit feuchtem Tuch. Und Manuel ließ sich alles gerne gefallen, ihm war, als habe er die ersehnte Ruhe gefunden. Mit geschlossenen Augen lag er stundenlang, ohne sich zu regen.
Magdalena erfuhr nicht den Grund des Zweikampfes, denn Manuel schwieg, als habe er darauf ein Gelübde gethan und Fernando blieb der Krankenstube fern.
Tage gingen so hinüber, längst war die letzte Spur jenes verhängnißvollen Hiebes von Manuels Stirn verschwunden, noch konnte er sich nicht aufraffen aus dem traumverwobenen Hindämmern. Besorgt sah Magdalena auf den theilnahmslos Liegenden und als er einstmals unversehens die Augen öffnete, sah er das noch bleicher gewordene Gesicht seiner Schwägerin ängstlich auf sich gerichtet. Es war ihm wie ein Vorwurf.
»Ich denke, mir ist wohl!« sagte er und richtete sich gewaltsam empor.
Da athmete Magdalena sichtlich erleichtert auf.
»Ich hab' Euch die Zeit her wohl viel Mühe gemacht?« frug er seltsam bewegt.
Sie lächelte abwehrend: »Ich hab' nur meine Pflicht gethan!« Ihre Stimme klang süß wie ein Märchenlied.
Seckendorff's Worte – la fille du jardinier – fielen ihm wie ein Stich in's Herz. Warum war sie nicht aus edler Familie, sie wäre die Zierde jeden Geschlechtes gewesen und wie hatte dieß blumenhafte Wesen zu einem Manne, herrisch und hart wie sein Bruder, Vertrauen fassen mögen?
Umsonst zermarterte er sich das Gehirn an der Frage, er konnte keine Antwort finden.
Da regte sich der Knabe erwachend und Magdalena flog zu der Wiege, hob den Kleinen auf ihre Arme und trug ihn zu des Oheim's Lagerstätte; der lächelte ihm entgegen und der freundliche Ausdruck seiner Züge erinnerte Magdalena an jene Zeit, da sie ihn zuerst gesehen.
»Ihr seid zu neiden um das Kleinod!« sprach Manuel gutherzig und zog das Kind zu sich, »es wird ein schöner, starker Knabe werden.«
Magdalena aber seufzte tief: »Wohl bin ich eine glückliche Mutter zu nennen – und doch hängt so viel Sorge d'ran; manches glänzt lockend und licht von fern, doch nicht aller Schein behält seinen Glanz in der Nähe, auch die Sterne funkeln und gleißen zu uns nieder und sind doch nur ausgebrannte Welten, öde und kahl.«
Er sah theilnehmend nach ihr: »Ihr seid nicht glücklich?«
Sie fuhr sich mit der Hand über's Gesicht: »Ich bin eine wilde Wiesenblume und kann nicht Wurzel fassen im heißen Treibhausboden.«
»Arme Frau!« murmelte er leise, das Kind liebkosend; sie aber erhob sich schnell und trat zum Fenster. Dort pflückte sie die sorgsam gehegte Cactusblüthe und legte sie dann gesenkten Hauptes in Manuels Hand. »Ich dank' Euch für Eure Theilnahme!«
Und Manuel schaute auf die Blume und dann auf Magdalena und eine Erinnerung tauchte in ihm auf, erst fern und nebelhaft, dann mählig nahm sie festere Gestalt an; er sah sich wieder auf seiner ersten deutschen Reise, im Gartenpavillon des Nymphenburger Schloßparkes und vor sich ein halbwüchsiges Mägdlein, das Magdalenen's Züge trug und eine ebensolche Blume hielt er in der Hand und schenkte sie ihr zum Andenken.
Er sah fragend nach ihr und sie verstand den Blick. Wehmüthig nickte sie: »Wie der Cactus zum erstenmal blühte, habt Ihr mir seine Blume geschenkt; wie er zum zweitenmal seinen Kelch entfaltete, schloß mich Euer Bruder gewaltsam in seinen Arm und nahm mich dann nach des Kaisers hartem Beschluß zur Gattin; nun er zum drittenmal seine Blüthe der Sonne entgegenhielt – seid Ihr wiedergekommen.« Sie hielt bewegt inne.
Doch Manuel streckte ihr beide Hände entgegen: »Arme, arme Magdalena!« Da riß sie das Kind an sich und floh damit hinaus in den Garten.
Wie damals vor Jahren eilte sie weiter und weiter der großen Cascade am Ende zu. Ihr war, als sei Alles anders geworden seit der letzten Stunde; die Bäume, die Wiesen, das Wasser und das eigene wildpochende Herz. Ein niegeahnter Muth kam über sie, eine feste Zuversicht, daß sich nun wenden müsse Leid und Betrübniß der letzten Jahre. Einst hatte sie den mächtigen Bäumen ihre junge Liebe jubelnd erzählt – jetzt schaute sie wieder empor in das braune Geäst und ihr war, als ob die alten Wipfel ihr alles Erlebte von der Stirn lesen könnten, Jugendseligkeit, Thorheit, unverstanden Sehnen, eingeschüchtert Dahinleben, gewaltsam Aufringen aus ungerechter Bedrückung und veränderte Weltanschauung. –
Am andern Tag war Manuel, ohne Abschied von seiner Schwäherin, nach seiner Heimath abgereist. Fernando aber zog bald darauf mit dem Kaiser gen Frankfurt.
Still, wie ausgestorben lag Nymphenburg nach dem Abzug der Herrschaften. Außer Magdalena war nur Palma zurückgeblieben; den hatte der Kaiser entbehrlich gefunden in seiner damals gar schlimmen finanziellen Lage. Karl Albrecht VII. sammelte bekanntlich Ehrengaben bei der Frankfurter Bürgerschaft; und auch Marschall Herzog von Noailles gab ihm Vorschüsse, um, wie er in seinen Memoiren erzählt, zu verhüten, daß ein deutscher Kaiser Hungers sterbe. –
Wie die Wagen davon fuhren, stand der Hofnarr auf der Freitreppe und höhnte ihnen nach: »Den Witz habt Ihr daheim gelassen, wie soll Euch ein weltbewegendes Werk gelingen?« Aber Niemand achtete auf ihn.
Jetzt saß er oft bei Magdalena; er brauchte Jemand, dem er seine witzigen Einfälle mittheilen konnte. Er sang ihrem Knaben lustige Schelmlieder und tröstete die bleiche Frau so gut er konnte, denn seit er sich, auf sie angewiesen, öfter zu ihr fand, hatte er warme Theilnahme für sie gefaßt.
»Wenn Scherz und Schwermuth sich verbinden, dann gewinnt das Gespräch das richtige Mittelmaß!« pflegte er zu sagen.
So verging der Frühling und Sommer. Wie die Schwalben südwärts zogen, kam der Kaiser wieder in seine Residenz, aber Graf Fernando Rivara war nicht in seinem Gefolg. Ein heftiges Fieber, das er sich in lustig durchzechter Mondnacht auf dem Main geholt, hielt ihn zurück. Und als die nächste Botschaft von Frankfurt zu Frau Magdalena gelangte, da vermeldete sie ihr den Tod des Gatten.
Und Magdalena? sie zog mit sanfter Ruhe die Trauerkleider an; sie hatte ihren Gemahl nie geliebt, sie hatte ihn auch nicht gehaßt; er war ihr gleichgültig gewesen im Leben, er blieb ihr's auch im Tod.
Still lebte sie fort wie bisher; und doch kam ein Tag, der Alles änderte.
Nach wochenlangen Regengüssen zog sich der Himmel jählings auf und durch die Dunstmassen der verziehenden Wolken brach ein goldener Sonnenstrahl sich jubelnd Bahn; der lockte auch Magdalena mit ihrem Kinde hinaus in den Park, wo er verklärend über die letzten verblühenden Rosen und Malven fiel. Es war schön dort; grüner Rasen, grüne, gelbe und schon in's herbströthlich spielende Baumgruppen, die schimmernde Seefläche, d'rauf die Schwanen ihr Gefieder bauschten, duftende Herbstblumen, dazwischen Schilf und über Allem der vergoldende Sonnenstrahl und Alles still und einsam, nur fern von Menzing her halb verwehte Glockentöne – es war ein wohlig Gefühl, was ihr Herz durchzog. Und da, vor ihr auf dem Weg – die Gestalt des Mannes, die ihr tief in's Herz geschrieben stand seit langen Jahren.
Mit leuchtenden Augen trat Manuel ihr entgegen. »Ich bin gekommen, Euch zu holen in unser Vaterhaus, bevor es Winter wird.«
Sie fand keine Erwiderung; er aber nahm ihr den Knaben ab und faßte vertraulich ihre Hand: »Dem Kleinen wird's lustsam sein im Stammschloß seiner Väter; Euch aber will ich mich nach Kräften mühen, die neue Heimath erträglich zu machen. Auch die Cactusstöcke in unserm Garten haben noch junge Blüthen und ich will sie Euch wieder schenken, wie damals in der Pagodenburg.«
Da fügte sie sich beseligt seinen Worten. Wie verklärt schritt sie neben ihm dahin. Als sie am Schlosse ankommend, die Zimmergesellen erschaute, die eben die alten Thüren auszubessern hatten, schaute sie schier verwundert auf die Menschen, die heute Werkeltag hielten; Festtag war für sie und aufjauchzen mußte sie ihren Dank zum Himmel, der sie also begnadet. – – – – –
* * *
Ein Jahr später, nach Karl Albrecht's Tod, zog Palma mit seinem neuen Herrn, einem hohen Kirchenfürsten, nach Rom. Auf der Heimreise rastete er einen Tag auf Graf Rivara's Besitzung.
Er fand Magdalena als die Herrin des Schlosses, von ihrem Gatten auf den Händen getragen, mit lachenden Augen und blühenden Wangen – und der kleine Possenreißer neckte wie immer:
»Einst trieb ich weltlich Scherz und Tand
Und Ihr war't bleich und trüb –
Nun trag' ich geistlich fromm Gewand,
Ihr aber herzt ein Lieb.« –