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A. D. 1395.
Liebwerther Leser! ich führe Dich zu Beginn dieser Erzählung in ein niedrig, eichengetäfelt, rauchgedunkelt Stüblein des Pfarrhofes zu Freising. Es war nicht schön sothanes Gelaß und war auch vom oft besprochenen Reichthum des damaligen Klerus wenig darin zu erfinden, desto mehr hatte es an gastlicher Behaglichkeit aufzuweisen. Dort saßen an einem kalten Novemberabend des Jahres 1395 vier Männer am schmalen Zechtisch bei hoher, enger Weinkanne und glänzend gescheuerten Zinnbechern. Das kleine Oellämplein gab kaum Licht genug, ihre Gesichter zu beleuchten; an der Wand verzog es vollends die Schatten ihrer Gestalten in's Fratzenhafte.
Die Herren achteten's nicht. Sie sprachen und rathschlagten eifrig und wie es schien einhellig, trotz verschiedener Lebensstellung und Meinung.
Der mit dem mächtigen Körper und dem noch immer vollen, doch ergrauten Haar, war der Hausherr Pfarrer Leonhart Köck, ein redlich guter Herr, der von Welt und Menschheit die beste Meinung hegte und mit dieser nicht gerne zurückhielt.
Der mit dem spitzig eingetrockneten Gesicht war der Domprobst Eglolf von Hornbach, der ließ seine Augen immer und überall umhergehen, also daß sie anzusehen waren wie die Lichter des Fuchses, der sich die beste Gelegenheit erspäht, zu Beute erfassendem Sprung. Der war keines Menschen Freund, schier mit allen auf dem Kriegsfuß.
Der Dritte war ein jung Menschenkind von anmuthender Gestalt, mit hellem Aug' und rothschimmernden Wangen, wiewohl ein schier trotziger Zug seine vollen Lippen umspielte; auch er hatte die priesterliche Tonsur aufgeschoren. Aber Anshelm von Waihing achtete schier ebensowenig auf diese Würde, als auf seine verwandtschaftliche Stellung zu Bischof Berchtold, dessen Neffe er war. Nach dem Willen seines Vaters war er von eben diesem Oheim zum geistlichen Beruf erzogen worden; und er hatte sich nicht dagegen gesträubt. Ohne Widerreden hatte er die Weihen empfangen; jetzt glaubte er genug gethan zu haben. Wenig dachte er mehr an Gebet und Fasten, öfter an Jagd, Fischfang und Vogelstellen; zuweilen auch an muthigen Kampf auf grüner Haide. Aber eine geheime Angst hielt ihn ab, seine Gedanken auszusprechen. Antheilslos an der Andern Lust oder Leid ging er zumeist einher – Einem nur war er vertraut: Innocenz, dem Kämmerer des Bischofs. Auch jetzt saß er dicht neben ihm und lauschte eifrig auf dessen Rede. Der aber war trotz sprossender Jugend nicht angethan, anderer Menschen Vertrauen an sich zu ziehen, denn scharf waren seine Züge und forschend der Blick seines dunklen Auges.
Eben fuhr er mit der schmalen Hand über die weiße Stirne: »Gut ist das Schutz- und Trutzbündniß mit den Münchnern für unsere Stadt, besser noch die Befestigung an den Thoren und am Domberg, Schon siebzig Jahre früher war Freising und vor allem der Domberg befestigt worden. denn wahrhaft sicher ist nur Jener, der unbezwingbar hinter festen Mauern sitzt.«
Beifällig nickte der Pfarrherr: »Zustimmen muß ich Euch, denn auch ich hab's oftmals also erfahren. Macht und Gewalt allein zwingt feindlichen Sinn in bannende Schranken und Herzog Ludwig von Ingoldstadt wird's wohl verbeißen müssen, daß Freising sich den Münchener Herzögen zugeschworen hat.« Er that einen gemächlichen Zug aus seinem Becher.
Herr Eglolf von Hornbach lächelte verschmitzt: »Dennoch sind wir nicht uneinnehmbar; in den unbezwinglichsten Thurm, hinter die stärkste Mauer schleicht der Verrath und er öffnet in stiller Nacht das bestverrammelte Thor.« Seine Augen blitzten listig.
Da fuhr Anshelm vom Sitz auf, daß er den Weinbecher umstieß: »Wen unter uns könntet Ihr fähig halten solch' ungeheueren Treubruches?«
Herr Innocenz aber drückte ihn mit Gewalt nieder: »Wie möget Ihr Euch ereifern, über ein Ding, das nicht ist und wohl auch, gäb's Gott! niemals werden wird?«
Herr Leonhart aber fügte lachend bei: »Thorheit ist es zu streiten ohne Grund, und Schaden erwächst jedem aus solchem Thun. Da habet Ihr Euren Wein ausgegossen und wisset nicht, ob mein Keller den Verlust wieder ersetzen kann.«
Auf Anshelm's Gesicht sprang der trotzige Zug noch stärker hervor denn zuerst, er wollte entgegnen, aber Innocenz kam ihm zuvor; mit entschiedener Geberde legte er die Hand auf Anshelm's Arm und mit fester Stimme sprach er: »Wer den Trank ausschüttet im Haus des Gastfreundes, mag ohne Labung von hinnen weichen – so hat's die alte Sitte gewollt, so soll's aufrecht bleiben auch in unseren Zeiten.« Damit erhob er sich: »Es ist spät, und ich denke, das Lager zu suchen, wäre uns allen das Klügste.«
Die Andern folgten seinem Beispiel, Herr Leonhart aber drohte dem Kämmerer mit dem Finger: »Warum wollet Ihr Euch und den Andern allzeit das Leben vergällen mit Euerer langweiligen Mäßigkeit? Bei gutem Trunk und fröhlicher Zwiesprache ist mir manche Weisheit aufgegangen, wie die Klatschrose im Kornfeld, es hat sie keiner gesäet oder gepfleget und doch leuchtet sie roth und lieblich aus den einförmig gelben Aehren hervor.«
Innocenz machte eine abwehrende Handbewegung: »Und doch wird in der Ernte die Aehre in die Scheuer gesammelt, die werthlose Blume aber unbeachtet zur Seite geworfen.« Seine Stimme klang hart: »Gute Nacht!«
Lange noch stand der Pfarrherr unter der Thüre, als die Gäste sein Haus verlassen hatten und sah in die Dunkelheit hinaus, und dann in die Stube rückkehrend schüttelte er die grauen Locken: »Schade um den hochgewachsenen Gesellen, daß er das Haupt nicht beugen will unter's sanfte Joch milderer Regung, ernst und hart ist das Menschenschicksal ohnehin und nicht unverdienstlich scheint mir's darum, auch dem Frohsinn zu seinem Recht zu verhelfen; denn lang ist das Leben und langweilig wird's leicht in ewiger Pflichterfüllung. Also hab' ich's erfunden, der ich doch ein Priester bin und Gesalbter des Herrn – warum will er's nicht glauben, der frei lebt in der Welt, ungebunden von drückendem Zwang?«
* * *
– – – Am nächsten Morgen stand Innocenz in des Bischofs Gemach, gewärtig der Befehle seines Herrn. Es war ein fürstlicher Raum mit den seidedurchwirkten Tapeten, dem vergoldeten Holzwerk und den Sammtpolstern. Bischof Berchtold von Waihing aber hatte kein fürstlich Auftreten. Allzu lässig hielt seine feine Hand die Zügel der Regierung und, zu bequem, aus eigener Kraft seine Würde zu wahren, hatte er seine Geschäfte dem Domprobst überlassen, der das Ruder in St. Corbinian's Schifflein allzeit mit diplomatischer Gewandtheit führte, wenn er auch zuweilen kleine Sandbänke mit all' zu weitem Bogen umschiffte. Herr Berchtold spielte mit der schweren güldenen Kette, daran ihm um den Hals das güldene Kreuz mit dem perlmutternen Heiland hing. Es war heut des hl. Patrons des Bisthums Ehrentag. Darum lag um Herrn Berchtold's Lippen ein schier verdrießlicher Zug. Er selber konnte sich heute der Mühe nicht entziehen, den feierlichen Gottesdienst im Dom selber zu celebriren.
Schon stand Innocenz lange mit dem seidenen, pelzverbrämten Mantel bereit, doch Herr Berchtold konnte sich noch nicht entschließen, sich aus seiner bequemen Lage im weichen Lehnstuhl zu erheben.
»Wir werden wieder wohlriechend Räucherwerk aus Venetia über die Alpen frachten lassen müssen!« sprach er, wie um seine Gedanken von den Widerwärtigkeiten der nächsten Stunden gleichsam abzulenken; »es möchte sich sonst der Vorrath vorschnell erschöpfen.«
Innocenz stand unbeweglich: »Herr Eglolf hat schon vergangenen Mond einen reitenden Boten dorthin gesandt, eine Ladung feiner Gewürze und Specereien von der blauen Adria zu uns zu befördern.«
Mit einem leisen Seufzer erhob sich der Bischof: »Er thut Alles, besorgt Alles, bestellt Alles, als ob er und nicht ich Bischof wäre, nicht einmal die Frage nach meinem Willen hält er mehr für nöthig. Und doch weiß ich eine Zeit, wo er die Hand flehend zu mir hob um freundliche Fürbitte. Damals freilich waren wir beide jung: er ein arm Ritterbüblein, ich der Sohn eines mächtigen Hauses – jetzt ist's anders: denn wenn auch ich den Titel führe, er führt das Amt. Doch meinethalb! er hat mit dem Gewinn auch die Sorge übernommen; ich aber kann ruhig schlafen, wie stark auch zuweilen der Sturm um unsere alten Mauern heult.«
Er machte eine Bewegung nach Innocenz. Da wußte dieser, daß er endlich sich zum Gehen rüsten wolle. Geräuschlos legte er den warmen Mantel um die Schultern des Kirchenfürsten, reichte ihm das goldgestickte Barett und schickte sich an seinem Herrn zu folgen, als die Thüre gewaltthätig aufgerissen ward und Anshelm mit jugendlichem Ungestüm über die Schwelle sprang.
Herr Berchtold schlug die Hände zusammen und blickte wie Hülfe suchend nach dem Deckengewölbe empor. Anshelm aber ließ ihn nicht zu Worte kommen: »Gott zum Gruß, lieber Oheim! ich hab' ein Ansuchen an Euch!«
Der Bischof winkte ihm ab: »Gemach mein Sohn! Wir sind im Begriff zur heiligen Handlung zu gehen und auch Du solltest dorthin Deine Schritte –«
Der Jüngling aber fiel ihm in die Rede: »Das nachher; zuvor sollet Ihr mir Dispens geben von Vesper und Nachmittagspredigt, auf daß ich nach der Mahlzeit mit meiner Schwester einen Ausritt unternehmen kann.«
Herr Berchtold lächelte vergnügt so leichten Kaufes loszukommen: »Das sei Dir gewährt!« und wollte sich wieder zum Gehen anschicken, doch Anshelm wich noch nicht von der Stelle. »Auch dem Innocenz sollet Ihr permiss ertheilen, mich zu begleiten, denn ungern mag ich den Tag genießen ohne den lieben Gesellen.«
»Nimmersatter!« murmelte der Bischof und wollte schon auch diesem Wunsche seines Neffen Erfüllung lächeln, als Innocenz' Stimme abweisend dazwischen klang: »Nicht begehr ich den Ausritt für mich, und unhold ist mir des Freundes Nachsuchen um meine Befreiung von den Pflichten meines Amtes.« Aber Herr Berchtold wehrte ihm mit der Hand. »Dienstbereit hab' ich Dich allzeit erprobt, so magst Du heut meinen Neffen geleiten, denn lieber weiß ich ihn in Deiner Hut, als frei der eigenen Laune überlassen; noch sitzt ihm die geistliche Gewandung gar lose und nicht sonderlich gedenkt er der aufgeschorenen Tonsur.« Von Anshelm, der in lebhaften Worten seiner Freude Ausdruck lieh, gefolgt, schritt er der Pforte zu.
Innocenz aber sah starr nach den voran Gehenden: »Alle nur denken an die Freude, keiner an die Arbeit – als ob das Leben nur ein sonniger Lenztag wäre, d'rin jede Wolke eine Störung ist – und doch bringt es zuweilen nur Sturm und Schnee und der Sonnenblick ist so kurz gemessen, daß das Herz ihn nimmer versteht, wenn er wirklich Einkehr hält.« Dann folgte er ihnen.
* * *
Wie die Nachmittagssonne ihre milden Herbststrahlen in's Isarthal schickte, beschien sie einen kleinen Trupp Reiter, der in fröhlicher Gemächlichkeit den Domberg herab, dem lautrauschenden Fluß entgegen trabte. In der Mitte eine Dame mit wallendem Schleier im rothsammtenen Reitkleid, zu ihrer Rechten ein Mann im Priestergewand, doch ebenfalls nach Frauenweise im Sattel sitzend: Anshelm; zur Linken Innocenz; berittene Diener folgten.
Jutta von Waihing konnte schön genannt werden, ob der Regelmäßigkeit ihres Gesichtes, aber der Trotz, der zu den männlichen Zügen ihres Bruders erträglich stand, benahm ihr allen Ausdruck von weiblicher Milde, also daß sie mehr Furcht, denn Bewunderung einflößte; dennoch hatte sie Stimme und Aug' wohl in der Gewalt und man mochte es leicht merken, daß sie sich Zwang anthat vor Innocenz, die ihr innewohnende Rauhheit zu bergen, der aber achtete wenig darauf. Das Landschaftsbild vor ihm fesselte so ganz seine Gedanken, daß ihm alles Andere entging.
»Wie schön die Welt ist, selbst jetzt im Herbstkleid!« sprach er aufmerksam hinausblickend. »Drunten das Silberband der Isar, droben der blaue Himmel, hier die Hügelkette mit den vom Kirchthurm überragten Hüttendächern und dort der blaugrüne Streif Waldes. Wer sollte meinen, daß darin so viel Mühseligkeit wohnt und so viel Thorheit?«
Jutta warf den Kopf empor: »Ich dächte auch der Genuß hätte Raum auf der Erde!« und sie trieb ihr Thier zu lebhafterer Gangart.
»Allzu streng ist Innocenz,« warf Anshelm dazwischen, »und allzu groß sind die Forderungen, die er an die Menschheit stellt.«
»Von Andern nur wag' ich zu verlangen, was ich selber zu thun allzeit bereit bin. Selbstbeherrschung aber scheint mir die erste und nützlichste Tugend, denn unmöglich wird ohne sie das Leben dem Nebenmenschen: und auch in der Religion liegt sie begründet, deren Gewand Du trägst,« entgegnete Innocenz gemessen.
»Und dennoch ist's süß, den Eingebungen seiner Laune zu gehorchen,« widersprach ihm Jutta.
»Es ist aber Thorheit!« sprach Innocenz dawider.
»So will ich eine Thörin sein und mich des Lebens freuen!« rief das Fräulein überlaut und führte einen Schlag mit der Reitgerte nach dem Hals ihres Thieres, daß es sich bäumte und sie abzuwerfen drohte, aber Innocenz griff mit eiserner Faust in den Zaum und riß es gewaltsam nieder.
»Da sehet Ihr, wie schädlich es ist, der Laune den Zügel schießen zu lassen,« sagte er unmuthig.
Sie aber lächelte, daß die weißen Zähne wie Perlen zwischen den rothen Lippen hervorblitzten. »Und was hätte es Euch geschadet, wenn ich den Hals gebrochen hätte bei meinem Wagstück?« frug sie herausfordernd und neigte sich so nahe zu ihm, daß ihr Schleier seine Wange streifte.
Er aber sah ihr kalt in's Gesicht. »Der Bischof hat mir Euch auf die Seele gebunden, darum bin ich schuldig Euch ganz und unbeschädigt wieder zurückzubringen.«
Ein Zug der Enttäuschung überflog ihr Gesicht: »Wer sollte aus solch unhöflicher Antwort schließen, daß Ihr am Hofhalt eines Bischofs erzogen seid?«
Innocenz sah sie erstaunt an: »Man hat mich von Jugend an gelehrt, die reine, rückhaltlose Wahrheit zu sagen, ich werd' mich nicht ändern um Euretwillen.« Er sprach's mit geringschätzigem Tone.
Das that ihr weher, als sie sich selber eingestehen wollte; denn ihrem seltsam unbändigen Wesen, dem sich bislang noch Alles gebeugt hatte, gefiel der Mann, der ihr zu widerstreben wagte und der in seinen Ansichten und Grundsätzen anderer Meinung so fest gegenüberstand, wie die Rieseneiche dem Nordsturm. Darum senkte sie ihr Haupt und ritt langsamer weiter; auch Innocenz schwieg und sah gerade vor sich hin; nur Anshelm ließ sich die Fröhlichkeit nicht vergehen; sorglos scherzte er über den zum Wald ziehenden Vogel oder einen die Isar hinabgleitenden Kahn.
So kamen sie endlich zu einem Jagdhaus nahe am Fluß, wo an Sonn- und Feiertagen allezeit Zuspruch aus der Stadt zu finden war. Dort machten sie Halt.
Das Edelfräulein war mit des Kämmerers Hilfe schnell vom Roß herabgesprungen. Anshelm riß ärgerlich am langen Gewand, das sich am Sattelzeug verhängt hatte. Wie sie in die geräumige Halle des Gebäudes traten, sahen sie manch' bekanntes Gesicht unter den zahlreichen Gästen, manches Willkommswort klang ihnen entgegen, mancher Händedruck ward gewechselt.
Einer nur, ein stattlicher Mann, der ein halb hundert Jahre schon zurückgelegt haben mochte, wandte ohne Gruß den Neuankommenden den Rücken und schritt in's Nebengelaß.
Innocenz war die Bewegung nicht entgangen; er hatte in dem Enteilenden Herrn Stephan Weinmaier, der Stadt Freising Statthalter und Bürgermeister, erkannt, auch wußte er, daß dieser dem Bischofshofe gram sei von Vaters Zeiten her; die wahre Ursache davon ahnte er freilich so wenig wie die Andern. Aber auch Luitgart, die Tochter des mürrischen Alten, hatte er entdeckt, und einen Augenblick ließ er wohlgefällig sein Auge auf ihrer schmucken Gestalt haften, denn sie stand im Kreis ihrer Muhmen und Basen, wie ein blühend Reis am dürren Stamm und ihr frisches Lachen klang in die summenden Stimmen der Andern wie eine Lenzmelodie durch den Wintersturm.
Aber Innocenz war nicht der Mann, sich solchen Sonnenblick lang zu gönnen, nachdem Jutta bei gefreundeten Frauen Platz genommen, trat er zu einer Gruppe von älteren Männern und war mit ihnen bald so in's Gespräch vertieft, daß er es kaum gewahr wurde, wie Anshelm sich der Tochter des Bürgermeisters näherte; auch Luitgart selber hatte deß nicht gleich Acht, erst wie der junge Priester seine Hand auf ihre Schulter legte, ward sie ihn gewahr.
»Kleine Luitgart, wie seid Ihr groß geworden, seit Ihr mit dem Anshelm über Gräben und Zäune spranget, und wie viel Wellen sind stromabwärts geflossen seit jener Zeit.«
Sie sah sanft zu ihm auf: »Ja wohl!« entgegnete sie gutmüthig, »es ist lange her, ich bin ein groß Mägdlein geworden und Ihr ein Gesalbter des Herrn. Wer hätte es damals gedacht?«
Er runzelte unwillig die Stirn: »Und scheint Euch wohl gar sehr gleichgültig geworden zu sein, indeß Ihr draußen in der Fremde gewesen seid.«
Sie blickte erstaunt auf. »O, mich freut herzlich, daß mein einstiger Spielgeselle solch fromme Würde erreicht hat,« entgegnete sie treuherzig.
Aber Anshelm hatte Anderes erwartet. »Freut Euch?« lachte er bitter, »so, ich dachte, es möchte Euch leid thun!«
Sie verstand ihn nicht. »Und warum sollt' ich mich nicht freuen, wenn der Himmelsherr Euch begnadet, den Trost der göttlichen Erbarmung spenden zu dürfen?«
Anshelm schüttelte wild den Kopf. »Kommet mit mir hinaus in's Freie, ich muß Euch allein sprechen!«
Luitgart aber konnte sich nicht in seine Weise finden. »Warum wollet Ihr mir nicht lieber hier sagen, was Euch bedrückt?«
Darob ward Anshelm noch trotziger.
»Ich bitt' Euch!« sagte er dringend und seine Hand faßte krampfhaft nach der ihren.
Da kam ihr ein Mitleid mit dem ehemaligen Gefährten und sie folgte ihm. Als Kinder hatten sie viel mit einander gespielt, nachher war sie in's Kloster zur Erziehung gegeben worden; heute sah sie Anshelm nach ihrer Rückkehr von dort das erste Mal.
Wie sie die Halle verlassen hatten, zog Anshelm Luitgart in den anstoßenden Baumgarten. Blattlos standen die Obstbäume und der Rasen war vergilbt, aber später Sonnstrahl wob noch einen Schein von sommerlicher Herrlichkeit über's Land und das braune Laub, das an den Brombeerranken der Hecken haftete, hielt die liebliche Täuschung aufrecht.
Da, wo sich der Garten gegen das Flußufer zusenkte, stand von etlich dicken Baumstämmen verdeckt eine Steinbank, dort setzte sich Luitgart nieder. »Was habet Ihr mir geheim zu vertrauen?« frug sie ruhig.
Anshelm sah ihr mit leidenschaftlicher Aufwallung in's Gesicht: »So kalt möget Ihr sein, dieweil mir das Herz schier brechen will?«
Luitgart erschrack. »Was habet Ihr?« frug sie ängstlich. Er aber warf sich neben ihr auf die Bank und stöhnte: »Wider meinen Willen haben sie mich in die geistlichen Schranken gepreßt, die Lebensfreude haben sie mir gestohlen und betrogen bin ich um Jugend und Liebe und Seligkeit, auch um Euch Luitgart – denn ich hab' Euch lieb gehabt, da Ihr noch das Kinderröckchen trugt. Wie ich Euch heut erschaute, wußt' ich, was ich an des Lebens Tafel entbehren soll. Ich aber will nicht still halten, indeß mir das Herz in Stücke bricht;« er rang die Hände in wildem Leid, »will sprengen das eherne Band, das sie künstlich um mich geschmiedet!« die Stimme versagte ihm.
Luitgart saß wie erstarrt, wie die Taube sich zusammenduckt, wenn der wilde Stößel seine Kreise um sie zieht, so schaute sie rathlos nach dem leidenschaftlichen Mann.
»Tragt es dem Himmelsherrn zu lieb, es ist Thorheit und Schlimmeres – sich aufzulehnen wider sein Gebot!«
»O Ihr habt gut reden;« unterbrach Anshelm ihre beruhigenden Worte. »Ihr habt keine Ahnung davon, wie sich's aufbäumt in der Seele, wider das aufgedrungene Joch. Und Ihr wisset auch nicht, wie's da drinnen brennt und loht in sehnendem Verlangen.« Er schlug sich auf die Brust.
Sie schüttelte wortlos das Haupt.
»O wahrlich Ihr seid zu neiden, denn herb ist die Liebe und unser Herzblut fordert sie.« Er brach ab und barg das Haupt in den Händen. Nach einer Weile fuhr er wieder empor. »Habet Ihr niemals meiner gedacht in Euerer Abwesenheit? «
»Gewiß hab' ich Euer nicht vergessen, und wenn ich zuweilen über den Büchern saß und an Euere Knabenstreiche gedachte, mußt' ich lachen, inmitten der Arbeit.«
»Nicht solches Gedenken mein' ich; – anders, glühender hab' ich Euerer gedacht, und gesehnt hab' ich mich nach Euch, wie die dürstende Pflanze nach dem befruchtenden Regen. Ist's Euch niemals so ergangen?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. Da sprang er auf und riß auch sie zu sich empor: »Und dennoch kann ich Dich nicht hingeben wie ein versagt Spielwerk. An meinem Herzen muß ich Dich halten, meine Lippen auf die Deinen drücken und sollt mir der Tod erstehen aus solchem Kuß.« Wie unsinnig preßte er sie in seine Arme.
Aber auch Luitgart's Muth wuchs im Angesicht der ernsten Gefahr, mit kräftigem Arm strebte sie sich von ihm loszureißen, ein zorniger Nothruf durchzitterte die Luft.
Noch rangen sie miteinand', da fühlte Anshelm sich von rückwärts erfaßt und mit übermächtiger Gewalt von Luitgart weggerissen; und Innocenz' harte Stimme klang ihm in's Ohr: »Seid Ihr unsinnig? Schlimme Wege geht Ihr für einen Geweihten, doppelt schlimm, weil Ihr im Begriffe stehet, ein unbescholten Weib zu kränken!« Dann zog er ihn weiter, in der Ferne verhallten seine Worte.
Einen Augenblick war Innocenz der verzweifelten Luitgart wie ein Engel erschienen, wie sie aber in seine kalten, harten Augen gesehen, war sie zurückgeschreckt auf die Bank gesunken. Noch bevor sie sich gefaßt, stand ihr Vater vor ihr und schluchzend warf sie sich an seine Brust. Er aber hob drohend die Faust wider die Enteilenden: »Fluch über die Bischöflichen, sie sollen denken an den alten Weinmaier, Fluch über die Niederträchtigen, die so viel Leid gebracht über mich seit aller Zeit!« –
Dieweil hatte Innocenz Mühe, den unbändigen Anshelm zu beruhigen. »Einen schlimmen Gesellen hab' ich mir erwählt!« rief der Letztere außer sich, »denn abhalten wollt Ihr mich von Allem, was mir das Leben schmückt, und Sünde nennt Ihr, was doch nur Ruf des Herzens ist. Beistand hab' ich von Euch erwartet, nicht Vernichtung meiner letzten Hoffnung.«
Innocenz sah ihm fest in die Augen: »Wie konntet Ihr solches von mir meinen, der Ihr mich kennen mußtet; wie werd' ich die Hand bieten, zu einem Schelmenstück, das Euch und jene Andere entehrt? Verwirrt müssen Eure Gedanken gewesen sein, daß Ihr solches erhoffen konntet, umnebelt all' Eure Sinne.«
Sie waren am Haus angekommen; Anshelm lehnte sich an die Mauer und weinte.
»Weinet nur,« fuhr Innocenz herb fort, »weinet ob Eurer Thorheit, ob Eurem Unrecht. Ein gutes Heilmittel ist die salzige Fluth gegen Sünde und Schuld, denn aus den geheimen Falten unseres Innern wäscht sie das Unlautere, wie die Wasserfluth die Schrunden und Risse des Felsens ausspült.«
Anshelm war tief erschüttert, nach dem Ausbruch seiner Leidenschaft sank er in sich zusammen, wie verlodert Strohfeuer. »Ich will heimreiten,« sprach er zuletzt, und Innocenz gab ihm Recht. »Allein läßt sich leichter verwinden, was den Sinn verstört! Ich will Euere Schwester holen.«
So schritt Anshelm nach den Pferden, Innocenz in's Haus. Aber Jutta, die nichts von dem unliebsamen Begegniß ahnte, wollte lange nicht auf ihre Festtagsfreude verzichten, und es gehörte Innocenz' ganze Entschiedenheit dazu, sie endlich doch zur Heimkehr zu vermögen. Doch blieb sie auf dem ganzen Weg trotzig und verdrossen und da auch Anshelm still und in sich gekehrt dahin ritt, so kam die kleine Gesellschaft, die mit so frohen Hoffnungen ausgezogen war, unfroh und schweigsam zurück; der Herbstsonne vergleichbar, die mit lichter Wärme den frühen Nachmittag durchglänzt hatte und nun in Nebelschleiern untergegangen war. – – –
Wie des Abends im Hause des Bürgermeisters Weinmaier die Abendsuppe eingenommen war, und Luitgart dem Vater den großen Weinbecher aufgesetzt hatte, brach dieser das Schweigen, das er seit dem schlimmen Auftritt im Forsthaus beobachtet hatte und begann, indem er seiner Tochter Hand ergriff: »Lange trag' ich ein Geheimniß auf dem Herzen und allein für mich hab' ich es behalten, von den Tagen meiner Kindheit an bis heute. Nun aber ist die Zeit gekommen, wo ich auch Dich in das dichtgeflochtene Netz blicken lassen muß, bevor ich es zuziehe über den Häuptern meiner Feinde, denn nicht gefahrlos ist der Weg, den ich betreten, um Haß und Rache miteinand' zu stillen, und möglich wäre es, wenn schon ich es nicht meine, daß ich unterliegen könnte. Dann aber sollst Du nicht glauben, daß ich ein Frevler oder Treubrüchiger gewesen, vielmehr daß ich mir das Recht eigenmächtig genommen, wo es unbilliger Weise mir versagt worden war. So höre also. Mein Großvater war Statthalter wie ich am hiesigen Orte. Aus altem Edelgeschlecht, mit reichen Schätzen überhäuft, mag er den Neid der andern Herren und Ritter, und nicht zuletzt des bischöflichen Hofes auf sich gezogen haben. Dabei soll er ein stolzer, herber Mann gewesen sein, der mit wenigen Freund, zumeist über seine Mitmenschen gleichgültig wegsah. Dennoch hatte er einst dem Bischof mit seinem Säckel aus schlimmer Verlegenheit geholfen, gegen gute Verschreibung. Jahre waren darüber vergangen. Mein Vater war herangewachsen, seit fünfzehn Monaten hatte er die erwählte Hausfrau heimgeführt, nun eben hatte ihm die liebe Mutter mich in die Wiege gelegt; da starb der Großvater, und mein Vater wollte sein aufgezeichnet Recht geltend machen.
Aber auch der ehemalige Bischof war Todes verblichen, ein anderer trug St. Corbinian's Inful, und dieser erklärte die einstige Verschreibung für null und nichtig, darüber mögen böse Worte hin und her gefallen sein, zuletzt kam es zu Thätlichkeiten. Wenige Tage nach meiner Geburt kamen des Bischofs Schergen und schleppten meinen Vater in's Gefängniß; wenige Wochen später ward er unter der Anklage, einen bischöflichen Reiter erschlagen zu haben, hingerichtet. Wie sich Alles genau zugetragen, hab' ich niemals erfahren können; so viel nur steht fest, daß meinem Vater das landübliche Recht verweigert worden und er ohne gerechten Richter elend ermordet ward. Die Mutter aber entfloh mit mir zu armen Bauern, um mich dort, fern von dem Ort ihres schlimmen Schmerzes, in der Einsamkeit erziehen zu können. Doch überlebte sie nicht lange den Vater. Darum bin ich unter Fremden aufgewachsen, unter Fremden hab ich mir die Gattin gekürt und unter fremdem Namen bin ich hieher gekommen. Als dauernden Mahnruf an die Schuld der Vergangenheit aber hinterließ mir die Mutter zwei armselige Stücklein Pergament, beschrieben mit herzbrechenden Worten der Noth: Das erste, das mein Vater durch einen verschwiegenen Priester als letzten Abschied aus dem Gefängniß gesandt; das zweite, das die Mutter beschrieben, nach seinem Tode.«
Herr Weinmaier hielt einen Augenblick inne, dann hob er die beiden alten Blätter aus einer Truhe und wies sie der Tochter. Die vergilbten Bögen enthielten nur Lieder, aber Luitgart schaute ehrerbietig auf die stummen Zeugen von so viel Herzeleid.
Die Lieder lauteten also:
»Fahr' wohl du Welt, du Berg und Thal,
Du Sonnenschimmer, du Mondenstrahl!
Und du, von der ich am schwersten geh' –
Mein Herzensliebste, ade, ade!
Wie schlug mein Herz in kühnem Muth –
Nun zahl' ich's mit dem eig'nen Blut.
Gefangen, der eig'nen Kraft zum Hohn,
Bin ich der traurigste Ritterssohn.
Und morgen eh' die Sonne steigt,
Eh' sie die Strahlen herniederneigt:
Da fällt mein Haupt, dem Feind zum Spott –
Die Seele aber fliegt auf zu Gott.
So fahr' denn wohl, du bunte Welt,
Du grüne Au, du Himmelszelt!
Und du, von der ich am schwersten geh' –
Mein Herzensliebste, ade, ade!«
* * *
»Sie haben den Gatten dem Tode vermählt,
Da hab' ich die Rache zum Buhlen erwählt;
Einst wird sie die Waffe schwingen,
Ein grausiges Liedel singen.
Mein Herr war der beste, der tapferste Mann,
Der jemals sich Ehre und Tugend gewann,
Der jemals den Helm getragen,
In schlimmen und guten Tagen.
Er war Euch zu ehrlich, zu fröhlich und gut,
D'rum mußt er vergießen sein unschuldig' Blut;
D'rum mußte im Tode verderben,
Mein Reinhold, mein lieber, sterben.
Doch Ihr Herren Geduld, Eure Rechnung trügt,
In der Wiege der Wittib ein Söhnlein liegt,
Noch kann der Bube nicht sprechen –
Einst wird er den Vater rächen! –«
Siehe Gustav Freytag, Bilder der deutschen Vergangenheit, 2. Bd. ed. 1867.
* * *
Entsetzt gab Luitgart die Blätter wieder zurück, Herr Stephan aber fuhr fort: »So ward ich schon der Rache geweiht, bevor ich noch das Vaterunser sprechen konnte. Lange hab' ich den Groll in meinem Herzen getragen, denn Jene, die einstmals mein Glück zerstörten, haben Anderen den Platz geräumt, und wenn ich auch dem Bischofshof allzeit gram gewesen, doch mocht' ich dem unschuldigen Träger des bischöflichen Stabes nichts anhaben. Seit dem heutigen Geschehniß hat mich auch sein Geschlecht beschimpft; nun ist die Frucht reif, deren Wachsthum ich lange gehütet. Seit geraumer Zeit schon stehe ich in Unterhandlung mit Herzog Ludwig von Bayern-Ingolstadt, der die Stadt gerne mit bewaffneter Hand in seine Gewalt zwingen möchte, denn ihm mißfällt der Bund des Bischofs mit Herzog Johann von München. Er aber kann niemals ohne Hilfe aus unserer Mitte zu seinem Ziel gelangen, denn wohlverwahrt starrt die Verschanzung des Domberges jeglichem Feind entgegen. Bis heute hatte ich gezaudert Ludwig meine Zusage zu geben – seit zwei Stunden hab' ich ihm Botschaft gesandt, daß ich bereit sei, ihm die Thore zu öffnen in stiller Nacht, wenn er sich verpflichtet, mein Haus zu schützen vor Plünderung, Brand und anderweitiger Unbill.«
Luitgart rang die Hände: »Da sei Gott vor, daß Ihr solches ausführet!« Wie Herr Stephan aber das Haupt schüttelte, sah sie muthig zu ihm auf: »Nehmet Euer Wort zurück, denn nimmer vermöcht' ich mit reinem Sinn an Euer geheiligt Haupt zu denken, wenn ich solche Schuld auf Eurem Gewissen lasten wüßte.«
Herr Stephan schlug die Augen zu Boden: »Ich bin's meinem Vater schuldig, ich kann nicht anders.«
»Und wenn Euer Plan mißlingt? wenn mir mit dem Andenken des Vaters auch sein Leben verloren gehen sollte?«
»Ich kann's nicht ändern!«
Da trat Luitgart entschlossen von ihm hinweg: »Und an welchem Tag soll das Schreckliche geschehen?«
Herr Stephan sah traurig auf sein Kind. »In der Christnacht, nach der Mette, werd' ich die Ingolstädter einlassen.«
Da schlug sie die Hände vor's Gesicht: »Wehe, weh', mein Vater ein Verräther, ich habe keinen Vater mehr!« – – – – – – – – – – – – –
An einem der nächsten Abende saß Innocenz, der Kämmerer, beim Pfarrer Leonhart am Schachbrett. Lange schon währte das Spiel, denn die beiden Gegner waren sich ebenbürtig an Kunstfertigkeit. Zuletzt trug Innocenz den Sieg davon.
»Mein Meister seid Ihr geworden,« lachte Herr Leonhart gutmüthig. »So geht's zumeist: wenn der junge Schößling aufstrebt nach dem Sonnenlicht, verdrängt er den alten Baum aus seiner gemächlichen Stellung.«
Innocenz aber wies auf das zur Seite geschobene Brett und entgegnete: »Nicht meine grüne Geschicklichkeit, Euer Zug mit dem Thurm vielmehr schuf mir Raum. Aus Euerem eigenen Lager kam der Verräther, der mir das Thor geöffnet und die Brücke geschlagen zu Eurem Herrn.«
Herr Leonhart wollte erwidern, da wurden sie unterbrochen. Die Thüre hatte sich schier geräuschlos geöffnet und eine Gestalt war über die Schwelle geglitten, schattenhaft in einen dunklen Schleier gehüllt. Die hielt scheu inne, wie sie Innocenz erblickte, denn sie hatte Herrn Leonhart allein zu finden vermeint. Dennoch ging sie nach kurzer Ueberlegung auf die beiden Männer entschlossen zu. Seltsam klangen ihre kurz hervorgestoßenen Worte aus der dichten Verhüllung ihres Gesichtes hervor: »Ein Geheimniß hab' ich zu künden: in der Nacht, da des lieben Heilands Mette gefeiert wird, werden Freising's Thore dem Feinde sich öffnen!«
Innocenz sprang wie vom Blitz gerührt empor und auch Herr Leonhart trat auf die Unglücksbotin zu: »Wer seid Ihr, daß Ihr solche Kunde wie eine Brandfackel schleudert in mein friedliches Haus?«
»Fraget nicht nach mir,« entgegnete die Gestalt zurückweichend, »gleichgültig mag Euch sein, welcher Stimme sich das Schicksal bedient, das Furchtbare zu offenbaren; denket vielmehr auf Hilfe.«
»Welch' unbekannter Feind aber ist's, der uns bedroht? und wie soll er un'sre guten Verschanzungen durchbrechen?« rief Innocenz blitzenden Aug's.
Da klang's ihm fest entgegen: »Ludwig von Ingolstadt will Freising nehmen und plündern; in ihren eigenen Mauern aber weilt der Verräther, der das Thor aufzuthun längst bereit ist.«
»Und wie ist sein Name?« frug Innocenz rauh.
Da entgegnete sie schier heftig: »Fordert nicht, daß ich Einen nenne, der mir theuer war seit den Tagen meiner Kindheit. Aber mißtrauet darum nicht meinem Wort, das die Wahrheit sprach, sondern rüstet Euch vielmehr zur Abwehr.«
Die letzten Worte klangen kaum noch vernehmbar, dann schwand die Gestalt wieder lautlos, wie sie gekommen, aus dem Gemach.
Verwundert sahen die beiden Männer einander an. Innocenz zuerst ergriff das Wort: »Ich denke, die geheimnißvolle Erscheinung hat die Wahrheit geredet, wir müssen auf Abwehr sinnen;« und auch Herr Leonhart nickte zustimmend mit dem Kopf: »Auch mir ist's also erschienen; doch seltsam bleibt die Begebenheit immerdar. Wer sie gewesen sein muß?«
»Ein muthig Weib war's jedenfalls und ehrlich war ihre Meinung!« meinte Innocenz. – – – –
Die nächsten Wochen gingen still und geräuschlos vorüber. Zuweilen heulte der Sturm um Freising's alte Thürme und Giebel, zuweilen auch wirbelten zahllose Schneeflocken in die Straßen; draußen im Gefild häuften sie sich zu Schneebergen und wenn zwischen ein an lichten Tagen die Sonne drauf fiel, glitzerten sie schöner und lichter als Diamanten.
So war Weihnachten herangenaht. Weihnachten, das lieblichste Fest des ganzen Jahres; dem alle Herzen entgegenschlagen, in sehnsüchtiger Erwartung oder seliger Erinnerung. Auch im Bischofshof war im großen Saal, der grüne Tannbaum mit den schimmernden Wachskerzlein aufgestellt; darunter lagen die Geschenke ausgebreitet, große und kleine, je nach Stellung und Ansehung des Gebers oder Empfängers; drüber schwebte ein elfenbeinener Engel an goldener Kette, als wolle er, ein Gloria singend, gen Himmel emporsteigen. Wie Alles geordnet war, nahte der Bischof mit seiner Gefolgschaft; erst Domchorknaben mit großen Wachslichtern, dann die jüngeren und älteren Kleriker, in ihrer Mitte Herr Berchtold; hernach die weltliche Ritterschaft des Bisthums, zuletzt die Knechte und Mägde des Hauses.
Ehrfurchtsvoll umstanden alle die duftende Tanne, Anshelm las nach des Bischofs Wunsch das Evangelium von des Heilands Geburt vor; dann drängten sich Alle um die Gaben.
Manch' gutes Buch, manch' seltenes Waffenstück lag dabei, Edelstein besetzt, Gold verziert. Nur an des Kämmerers Platz lag ein zierlich Angebind von weiblicher Hand. Eine prächtig rothseidene Feldbinde war's, mit Silber- und Goldfäden reich ausgestickt.
»War's eine Mahnung an die einzige Frau am Hof des Kirchenfürsten, war's ein Ausdruck anderweiten Gefühls?« frug Herr Eglolf.
Innocenz aber schob die Arbeit geringschätzig zur Seite und auch sein Dank klang kalt und frostig, denn das Geschäft, das ihn noch in der Nacht erwartete, füllte all' seine Gedanken.
Wie die Glocken in die Mette riefen, schritten Alle hinüber zum Dom. Innocenz nur hatte sich bei Herrn Berchtold, dem er die nahe Gefahr enthüllt, dispens erholt vom nächtlichen Gottesdienst. In den langen, dunklen Mantel gehüllt, schritt er, das Schwert in der Faust, nach dem Ingolstädter Thor, auf's Aeußerste gefaßt, bereit die Stadt zu retten, oder zu fallen für das Recht.
Etliche Stunden früher war vor den Stadtmauern Ingolstadts ein ansehnlicher Haufe Kriegsvolk zusammen gestoßen; Herzog Ludwig selber hatte seine Truppen gemustert und ihre Führer angefeuert. Jetzt zogen sie Freising entgegen; der Herzog aber war in die Stadt zurückgekehrt, denn erstlich wollt' er das Fest nicht versäumen, und dann wußte er auch seine Sache in Herrn Stephan Weinmaiers Hand so sicher, wie in der eigenen. Er verstand sich wohl auf menschliche Gemüthsart; wenn Einer aus Haß oder Rache zu verzweifelter That greift, so läßt er sich nimmer davon abbringen, weder durch Engel noch Teufel.
Wohl vorbereitet war der Plan. Hätte er zur Ausführung kommen können, wie er vorbedacht gewesen, es möchte keine Hilfe für die arme Stadt Freising gegeben haben – aber es geschah etwas, das, wie immer auch die Naturverständigen in klugen Worten aller Erscheinung Ursache anzugeben vermögen, doch wohl in das Gebiet des Wundersamen gehört, denn unbegreiflich dem gewöhnlichen Verstand, giebt solches Geschehniß eine Ahnung dessen, was unsichtbar unserm Auge, den Wolken und Sternen ihre Bahnen weist und zugleich der geringsten Blume Leben nicht vergißt.
Wie nämlich der Haufe der Ingolstädter sich kaum noch in Bewegung gesetzt hatte, züngelten an den Lanzenspitzen der Heerführer kleine Flammenspitzen. »St. Elmsfeuer!« murmelte Einer dem Andern erschrocken in's Ohr. Dennoch gingen sie weiter. Aber dunkel war die Nacht ringsum. Sternlos spannte der Himmel seine schwarze Wolkendecke, nur die kleinen Flämmchen tanzten und flackerten an den glänzenden Metallwaffen. Da ergriff Furcht und Schreck die ganze Schaar – sinnlos rannten sie in die nächtige Finsterniß hinein; weiter, nur weiter – sie wußten nicht wohin.
Als das nächste Frühroth die Zinnen Ingolstadts vergüldete, fanden sich die Waffengenossen an eben dem Ort wieder, wo sie am Abend vorher ausgezogen waren. Und wie der Hauptmann der Schaar das nächtliche Abenteuer dem Herzog berichtete, ward auch er erschüttert. Das Barett nahm er ab in tiefer Bewegung und sah gen Himmel. »Dein Wille geschehe Vater,« sprach er gerührt, »und nicht der unsere. Willst Du Deinen Bischof schützen, so mag auch ich nicht die Hand ausstrecken wider ihn. Zur Sühne aber meines schlimmen Willens werd' ich unserer lieben Frau auf dem Freisinger Domberg mein Bildniß überschicken, groß und schwer in Silber gegossen.« Das Bildniß stund lange dort, bis ein späterer Domherr die Statue des Herzogs in eine solche der hl. Jungfrau umschmelzen ließ. – – – – – – – – –
Zu Freising war indeß trotz der Vereitlung des Ueberfalls die Nacht nicht friedlich hingegangen. Stundenlang hatte Innocenz auf seinem Wachtposten geharrt; hinter die vorspringende Mauer des Thores gedrückt, hatte er auf jedes Geräusch in der Ferne gelauscht; aber keines wollte sich nähern. Der Wind zerrte an seinem Mantel, der Frost machte ihn schier erstarren – er achtete es nicht. Einmal klang Orgelton aus dem Dom bis zu ihm, da bekreuzigte er sich. Wie die Mette zu Ende war, gingen die Andächtigen auseinand, mit den vorgetragenen Laternen waren sie in der Ferne wie Leuchtkäfer anzuschauen. Wie sie mählig in ihren Häusern verschwanden, mußte Innocenz an die Worte der Verkündung gedenken: »Friede den Menschen, die eines guten Willens sind!« Dann wickelte er sich fester in seinen Mantel und spähte wieder unbewegt in die auf's Neue lichtlose Nacht hinaus.
Plötzlich regte sich etwas dicht neben ihm, dann pochte eine starke Faust an das Fenster des Thorwarts und eine laute Stimme rief gebieterisch: »Thu' das Thor auf, Luthart!«
In der Stube des Wärtels blieb Alles still, da setzte eine zweite Stimme bei: »Wenn Du Dich sputest, so sollst Du einen reichlichen Trinkgroschen erhalten.«
Die Aussicht mochte gewirkt haben. Einen Augenblick später trat der Mann aus seiner Thüre. Mit dem geschlossenen Lämplein leuchtete er nach dem späten Störer; wie er Herrn Weinmaier erkannte, neigte er sich ehrerbietig: »Wollet Nachsicht haben, gestrenger Herr Statthalter, ich lag im tiefsten Schlaf.«
Der winkte ihm ab: »Laßt nur!« sprach er nachlässig, zur Thüre schreitend.
Da sprang Innocenz hervor: »Nicht weiter!« Herr Weinmaier schaute erschrocken auf den Kämmerer, doch barg er vorsichtig seine Gedanken: »Was wollet Ihr hier zu solcher Stunde?«
»In des Bischof's Namen Euch gefangen nehmen!«
Da prallte Herr Weinmaier zurück, sein vertrauter Knecht, der ihn begleitete, wollte die Flucht ergreifen, aber Innocenz zog seine Waffe. »Nicht von der Stelle, oder ich hau' Euch nieder!«
Da brach der Knecht um Gnade wimmernd in die Kniee. Herr Weinmaier hatte sich indeß wieder gefaßt; noch war kein Wort von seinem Geheimniß über seine Lippen gekommen, noch war das Schlimmste nicht zu befürchten. »Was ficht Euch an, Herr Kämmerer, mir dem Statthalter des Platzes auf solche Weise den Thorweg zu versperren; ich hab' morgen Früh Geschäfte zu Ingolstadt, darum will ich mich noch in der Nacht auf den Weg machen!«
»Euer nächst' Geschäft habet Ihr mit Herrn Berchtold zu begleichen, den Weg dahin aber will ich Euch weisen, ob's Euch genehm sei oder nicht.«
Da kam der Muth der Verzweiflung über Herrn Weinmaier: »So möget Ihr mein Eisen spüren!« rief er und riß das Schwert aus der Scheide und auch Balthasar, sein Knecht, nestelte einen Dolch aus dem Gewand herfür. Doch kam es nimmer zum Gefecht; der laute Streit hatte Neugierige aus den Federn gescheucht, wie sie entblößte Schwerter sahen, sprangen sie herbei, schlimmes Unheil zu verhüten und wie Innocenz ihnen den geplanten Verrath enthüllte, da griffen sie entsetzt Herrn Weinmaier und seinen Knecht und schleppten sie in's Gefängniß. – – –
Fastnacht war gekommen, noch lag Herr Weinmaier verstrickt im Thurm. Lange hatte die Untersuchung gedauert, denn Bischof Berchtold hatte Klarheit verlangt in dem schlimmen Handel, wo er als Kläger auftreten mußte gegen Einen, der bislang als unbescholtener Mann gegolten hatte. Zuletzt war Herzog Ludwig von Ingolstadt selber als Zeuge aufgestanden wider ihn – da hatte sich Herrn Weinmaier's Schicksal zum Schlimmsten gewendet.
In geheimer Sitzung war das Urtheil über ihn gesprochen worden, es lautete für ihn: auf Enthauptung auf öffentlichem Marktplatz wegen Verraths seiner Vaterstadt und Mißbrauch seiner Amtsgewalt und auf Einziehung all' seiner liegenden und fahrenden Habe; für seinen Knecht: auf schmählichen Tod durch Viertelung, wegen Hehlerei und Beihülfe zu der Unthat seines Herrn.
Am ersten Freitag in der Fasten sollte das Urtheil vollzogen werden.
Darum erhielt Luitgart jetzt die Erlaubniß, den Vater besuchen zu dürfen, um von ihm Abschied zu nehmen. Es war eine schmerzliche Zusammenkunft. Verfallen und vernachlässigt durch die lange Gefangenschaft trat Herr Weinmaier seiner Tochter entgegen, sie aber starrte ihn aus ihren großen, thränenlosen Augen schmerzlich an. Verblichen waren ihre Wangen, verschüchtert ihr Wesen dem Vater gegenüber, denn wenn auch lebenslang gewöhnte Bande der Ehrfurcht und Mitleid mit seinem jetzigen Zustand sie zu ihm ziehen wollten: der Gedanke an seine Schuld stieß sie immer von Neuem zurück. So konnte keines die rechten Worte finden zum Herzen des Andern und unbefriedigt trennten sie sich.
Wie Luitgart wieder in's Freie getreten und die Thüre des Kerkers sich hinter ihr geschlossen hatte, wandte sie sich an den Schließer.
»Ist keine Rettung mehr möglich für meinen Vater?«
Der rauhe Mann empfand Rührung beim Ton ihrer müden Stimme. »Die Gnade steht einzig beim Bischof!« entgegnete er achselzuckend.
Da schritt Luitgart nach dem Dom. Auf dem Weg begegnete ihr Innocenz; wie sie seiner ansichtig ward, wandte sie den Blick zur Seite, um nicht wieder in seine kalten, herzlosen Augen schauen zu müssen. So ward sie nicht gewahr, daß Innocenz stehen blieb, ihr nach zu blicken: »Schade um das junge Blut,« murmelte er vor sich hin, »denn Ehrlichkeit wohnt auf ihrem Gesicht!«
Luitgart schritt indeß weiter, der Hauptkirche zu. Wie die Dunkelheit des Ortes sie umfing, löste sich das Leid ihrer gefolterten Seele in milden Thränen, aber sie gab nicht lang solch' weichen Gefühlen Raum.
»Ich muß handeln, denn knapp ist die Zeit!« sprach sie zu sich selber, dann erhob sie sich von den Knieen, wickelte ihren Schleier dichter vor's Gesicht und stieg die Stufen zur Sakristei empor. Dumpf war dort die Luft, mürrisch der Küster, der ihr brummend entgegen trat, weil seine Nachmittagsruhe gestört worden war. »Was begehrt Ihr?« murrte er.
»Ich will Herrn Anshelm, dem Kaplan, beichten!« entgegnete sie entschlossen.
Der Küster schüttelte unfreundlich den Kopf: »Müsset Euch wohl mit anderem Beichtvater begnügen, denn Herr Anshelm ist nicht hier, sondern vermuthlich in seiner Behausung.«
Luitgart aber ließ sich nicht einschüchtern: »So lasset ihn holen, denn ich muß ihm beichten.«
Verdutzt sah der Mann sie an: »Er wird aber nicht kommen, wenn ich auch wirklich nach ihm schicken wollte.«
»Er wird kommen, wenn Ihr ihm dies Zeichen sendet,« entgegnete sie bestimmt. Es war ein Stücklein Pergament, d'rauf ihr Name gezeichnet, das Ganze in schwarzen Flor gewickelt.
Der Küster nahm's, noch warf er einen zweifelhaften Blick auf Luitgart, dann wies er ihr einen bestimmten Beichtstuhl in der Kirche, dort sollte sie Anshelm erwarten.
Sie hatte nicht allzulang zu harren.
Wie er ihr Zeichen erhalten, hatte er nicht gezögert, ihrem Ruf Folge zu leisten, denn noch lebte die alte Liebe in seiner Seele. Jetzt in ihrem Unglück gemahnte ihn ihr Name doppelt an jene dunkle Stunde, wo er ihr einen Schimpf angethan, den er noch gut zu machen hatte.
Mit beflügeltem Schritt war er in den Beichtstuhl getreten; wie er sie jetzt so in unmittelbarer Nähe vor sich sah, nur durch das eiserne Gitter von ihr getrennt, da überkam ihn ein seltsam Gefühl der Beschämung. Darum barg er sein erröthend Angesicht unter dem weißen Tuch und frug schnell: »Was habet Ihr mir zu sagen?«
»Eine Flehende komm' ich zu Euch. Einst hab't Ihr mir Leid's erwiesen und ich meine, daß ich eine Sühne dafür zu fordern habe. Jetzt könntet Ihr mir sie leisten, wenn Ihr so redlich seid, wie Euer Angesicht sagt. Mein Vater ist verurtheilt; schon in wenig Tagen soll er das Leben lassen unter'm Schwert des Henkers. Ich will nicht Klage führen gegen den Spruch, denn gerecht ist er und verdient hat ihn mein Vater, ob schmählichem Treubruch. Aber auch dem schlimmsten Verbrecher steht noch ein Weg offen: die Gnade. In des Bischof's, Eures Oheim's, Hand liegt es, das köstliche Geschenk des Lebens zu geben. Darum flehe ich Euch an: Leget Fürbitte ein für den Gefangenen, denn nicht ganz unwürdig ist er solchen Vorzug's.« Und sie erzählte die Geschichte seines Lebens, wie Herr Weinmaier sie dereinst ihr erzählt hatte, dann schloß sie: »Nicht alle Schuld ist so groß als sie scheint, nicht jeder Abgrund so unergründlich als wir meinen. Auch der gnädige Bischof wird Erbarmen üben, wenn er Alles weiß!«
Anshelm trocknete sich den Schweiß von der Stirn: »Gerne möcht' ich Eurem Wunsche willfahren, doch fürchte ich wenig auszurichten bei meinem Ohm; denn sehr ergrimmt ist er über Euern Vater und auch mir mag solche Bitte bei ihm schaden.«
Da erhob sich Luitgart: »Einem Engherzigen hab' ich Großes zugemuthet und erst zu spät erkenn' ich den Irrthum.« Ohne auf seine Antwort zu harren, verließ sie die Kirche. Knirschend schleifte ihr Trauergewand über die Steinfließen.
Anshelm aber fühlte den Vorwurf wie einen Stachel haften in seinem Herzen und doch wagte er sich nicht zum Bischof; so ging er zu Innocenz, seinem Gesellen und vertraute ihm seinen Kummer: »Ihr sollt mir helfen, den traurigen Handel zu gutem Ende zu führen, denn Euer Wort ehren Alle, Eueren Rath halten sie hoch, doppelt in dieser Sache, wo Ihr als Sachwalt meines Oheims mit zu Gericht saßet über den Verbrecher.«
Innocenz ging schweigend etliche Male im Gemache auf und ab. Endlich blieb er ernst vor Anshelm stehen. »Meint Ihr, ich könne die Gerechtigkeit wegblasen, um der Bitte eines schlanken Mägdleins halber? Freilich ist ihr Geschick zu beklagen, denn Schmach klebt an ihrem Namen, und der Tochter des Geächteten wird kaum Raum genug bleiben, darauf sie guten Muthes ihr Haupt legen kann.«
Anshelm rang die Hände: »Was aber ist für sie zu thun?«
Da schritt Innocenz abermals auf und nieder; lange konnte er nicht schlüssig werden in seinen Gedanken. Endlich mochte ihm eine Erleuchtung geworden sein, denn heiterer als zuvor legte er seine Hand auf Anshelms Schulter. »Seid unbesorgt um das Wohl oder Weh der Armen, denn die Versicherung will ich Euch geben, daß ich ihrer nicht vergessen will.«
Da ging Anshelm ruhiger in seine Gemächer. Sein leichter Sinn gab sich mit dem Wort des Freundes zufrieden, wenn gleich Luitgart's letztes Wort als Dorn in seiner Seele zurückblieb. – – – – – –
Der Freitag war gekommen. In erster Morgenfrühe tönte das Armesünderglöcklein vom Thurme nieder und die es hörten bekreuzigten sich und hasteten ein Vaterunser für die gewaltsam von hinnen fahrende Seele des Bürgermeisters.
Der aber, dem es galt, der schritt gleichgültig, geführt vom Knecht des Scharfrichters, zu dem auf öffentlichem Marktplatz aufgeschlagenen Blutgerüst. Seit er im Thurm saß, hatte er mit dem Leben abgeschlossen, also war er auch jetzt bereit, es leidlos hinzuwerfen. Selber an die Tochter dachte er nimmer mit der alten Liebe; die fehlgeschlagene Hoffnung auf Erfüllung seiner lang gehegten Rache ließ ihm ein baldiges Ende einzig wünschenswerth erscheinen.
Vieltheurer Leser! ich will Dich nicht aufhalten mit der genauen Schilderung einer Einrichtung damaliger Zeit, will Dir vielmehr nur mittheilen, daß den beiden Verurtheilten ihr Recht wurde, nach dem Spruch der Richter und daß sie beide starben, ohne mit der Lippe zu zucken, getreu ihrer Meinung und wenn auch als Abgefallene vom Wege der Ehre, so doch in ungebrochener Festigkeit und wildem Trotz. – – – – – –
– – Wie Alles zu Ende war, sandte Herr Berchtold seinen Kämmerer in das Haus des Gerichteten, die Uebernahme der verfallenen Güter zu vollziehen. Mit festem Schritt trat Innocenz in die weitläufige Behausung, deren Einrichtung von der Wohlhabenheit des seitherigen Besitzers Kunde gab. Alles war still und einsam, die Dienstboten hatten sich längst verloren.
Im dunkelsten Winkel saß Luitgart, die Hände im Schoos gefaltet, das Haupt an die reichen Holzschnitzereien der Wand zurückgelehnt. Wie geistesabwesend starrte sie mit weit geöffneten Augen vor sich hin. Schier wollten ihr die Gedanken stille stehen vor unerträglichem Leid.
Bislang hatte sich noch Niemand um sie bekümmert. Wie sie sich jetzt Innocenz gegenüber sah, fuhr sie auf, wie aus einem Traume. Ohne Gruß, ohne Wort wollte sie an ihm vorbei; sie konnte heute die starren Augen nicht ertragen. Ihr war, als müßten ihr die Thränen, die noch über ihre Wangen flossen, gefrieren, vor seinem eisigen Blick.
Innocenz aber ergriff mit sanfter Bestimmtheit ihre Hand. »Armes Kind!« sprach er milde, »bleibet ruhig. Ich bin nicht gekommen, Euch zu verstören. Einen Trost vielmehr will ich Euch sagen: Wenn Alles uns verlassen hat, so wohnt ein Vater über den Wolken, zu dem sollen wir uns wenden, der wird uns hören!«
Luitgart war erschrocken stehen geblieben, wie er sie zurückgehalten, wie seine helle Stimme ihr so weich und wohlklingend in's Ohr traf, sah sie verwundert zu ihm auf. Konnte der volle, herzliche Ton zwischen jenen Lippen hervorquellen, die alle Zeit so feindselig aufeinander gepreßt waren?
Innocenz mochte in ihrem Gesicht das Erstaunen lesen, aber er deutete es auf andere Ursache; darum fuhr er fort: »Wohl bin ich von Herrn Berchtold entsandt, in seinem Namen das Eigen Eures Vaters in Besitz zu nehmen, dennoch wird er Euch wohl kaum weigern, auch fürder hier Euer Heim behalten zu dürfen.«
Indeß hatte sich Luitgart gefaßt. »Nein, nein!« rief sie abwehrend, ich will keine Gunst von dem Herrn, dem der Vater die Treue gebrochen; Euer voriges Wort aber will ich beherzigen, – der Vater, der im Himmel ist, wird mir gewiß Obdach geben zur rechten Zeit.«
Der Muth und die Zuversicht des Mägdleins gefielen Innocenz: »Ich denke, Euer Gebet hat Erhörung gefunden, bevor Ihr es noch in Worte gekleidet habet. Ich weiß ein Haus, wo Ihr sichere Aufnahme finden werdet und ich will Euch selber dahin geleiten.«
Luitgart sah ruhig zu ihm auf; seine ernste Sicherheit that ihr wohl, auch sein harter Blick schmerzte sie nimmer, seit sie wußte, daß gutherzige Gedanken hinter seiner Stirne wohnten. »Wer wird der Tochter des Gerichteten Unterkunft geben?« frug sie zögernd.
Er aber strich ihr die Haare aus der Stirn: »Herr Leonhart, der Pfarrherr, wird gerne bereit sein, das Weib bei sich aufzunehmen, das einst in redlicher Meinung, eine Wahrheit, die ihm selber verderblich werden mußte, geoffenbart hat, einzig darum, weil sie dem Rechte Zeugniß geben wollte.«
Da senkte Luitgart erröthend das Haupt. »Wenn Ihr bei Herrn Leonhart mein Fürsprecher sein möget, so will ich Euch zu ihm folgen.« Sie stand auf und schickte sich an, das Haus zu verlassen.
Innocenz hielt sie zurück, »Wollet Ihr nicht Eure Habe mit Euch nehmen? Schmuck, Kleider und Ziergeräth?«
Sie aber schüttelte nur den Kopf. »Ich hab' abgeschlossen mit der Vergangenheit und will keine Mahnung mehr haben an das, was mein war.«
Bewundernd ließ Innocenz seine Augen auf ihr ruhen, während er an ihrer Seite nach dem Pfarrhof schritt. So ehrlich und rein wie diese, hatte er noch keine Frau gefunden. In ihrer Nähe ward ihm wundersam wohl. Es war ein ihm ungekanntes Gefühl und er wollte es festhalten um jeden Preis; wie er schnell war in allen Entschlüssen, so mochte er auch jetzt nicht lange wägen, oder zaudern – noch bevor er an Herrn Leonhart's Behausung angekommen war, wußte er, daß er sie zur Hausfrau begehren wollte. Was lag an der unseligen Verwandtschaft? Was sollte ihn abhalten, seinem warm aufquellenden Gefühl zu trauen?
Wie er die Thürklinke des Pfarrhofes aufgedrückt hatte, blieb er einen Augenblick stehen und faßte Luitgart's Hand. »Ich hab' einmal im Wald eine starke Buche gesehen, in deren Spalten ein jung Birkenstämmlein sich festgesetzt hatte und frisch grünend seine lichten Blätterfahnen zwischen das dunklere Buchenlaub wehen ließ. Der Sturm mochte seinen Samen verweht und auf den seltsamen Grund geworfen haben, aber der junge Schoß fand sich wohl dabei und auch der Buche gereichte der fremde Schmuck zur Zier. So denk' ich, kann auch der Mensch sich eingewöhnen in neue Umgebung und wenn er erst einmal fest Wurzel geschlagen, mag er sich kaum mehr härmen nach dem Verlorenen. Leichtlich wird es auch Euch also ergehen, wenn die Buche Euch herzlich die Arme entgegen breitet.«
Luitgart erzitterte unterm Druck seiner Hand, sie sah die blassen Wangen des Mannes sich röthen und einen ungeahnten Glanz in seinen Augen aufleuchten und sie verstand, was unausgesprochen er ihr im Gleichniß geboten hatte. Einen Augenblick wohl meinte sie aufjubeln zu müssen vor unermeßlicher Seligkeit, dann wieder gedachte sie an die Schuld des Vaters und an den Makel, der davon auf sie übergegangen und sie sagte wehmüthig: »Wohl möget Ihr recht haben bei gesunder Pflanze, das Giftkraut aber, das müßte auch den Boden verderben, darauf es sich festsetzen würde.«
Da ging ein sorglos Lachen über sein Gesicht und er legte ihr die Hand auf die Schulter: »Ihr nun seid gar ein holdselig Gewächs und so möget Ihr getrost in die Zukunft sehen, ich aber will warten bis der freundliche Blätterschmuck sich meinem düstern Laub verbinden will.«
Dann führte er Luitgart zu Herrn Leonhart hinauf und bat diesen, sich ihrer für die nächste Zeit anzunehmen. Der sagte gern bereit zu und frug lächelnd: »Und dann?«
»Dann meine ich,« entgegnete Innocenz, »wird sie sich selber den Schutz werben, der ihr lieb ist.«
Da drohte ihm Herr Leonhart mit dem Finger: »Wo ist Eure alte Ansicht hingeschwunden, daß die rothe Kornblume nur ein unnütz' Kraut sei? ich denke, die Zeit ist nimmer allzufern, wo Ihr sie selber an Eure Brust heftet, als Unterpfand wider des Lebens Eintönigkeit.« Und Innocenz lachte dazu und die alte Strenge war von seinem Antlitz verflogen. – – –
Es ist mit den Menschen wie mit den Stämmen des Waldes; wenn der Blitz einen breitästigen Stamm gefällt hat, dann breiten die Andern sich lustig aus auf der leergewordenen Stelle.
Auch Herr Stephan Weinmaier und das schreckliche Ende seines Lebens waren bald vergessen, zumal auch Luitgart seit jener Zeit verschollen blieb. Seine Würde war einem Andern zugefallen, sein Besitzthum in die Hände des Bischofs übergegangen; wer sollte noch seiner gedenken?
Desto mehr heftete sich auf Innocenz die allgemeine Aufmerksamkeit, denn nicht blos, daß die alte, auf seinem Antlitz lagernde Strenge frischem Jugendmuth gewichen war, auch seine vielen Besuche beim Pfarrherrn erregten Aufsehen. Zumal Jutta von Waihing ließ nicht ab, der fröhlichen Verwandlung Ursache zu erspähen, denn die Furcht lebte seit manchem Tag in ihr, daß seine Augen sich doch wohl noch von einem holden Weibe blenden ließen und ihr Herz pochte wilder bei solchem Gedanken.
An einem lichten Morgen, es ging schon gegen den Lenz zu, schritt Jutta aus dem Dom nach Hause; sie hatte der Frühmesse angewohnt und wenn ihr Sinn auch nicht auf's Heilige gerichtet gewesen, so hatte sie doch nach des Oheim's Willen ihre Pflicht erfüllt. Das ließ sie das Haupt hochfahrend tragen und geringschätzig niederschauen auf all' Jene, denen des Tages Mühsal die Zeit versagte, dem Herrn in beschaulichem Gebet zu dienen.
Wie sie über den Markt schritt, das seidengewobene Gewand hoch aufgebauscht, daß es unberührt bleibe vom Staube des Weges, trat ein Mann in geistlichem Gewand an ihre Seite mit ehrfürchtigem Gruß. Flüchtig sah sie empor und flüchtig war das Lächeln ihres Mundes, mit dem sie ihn begrüßte. »Lange hab' ich Euch nimmer in der Nähe gesehen, theuerwerther Herr Eglolf!« sagte sie, ihr Köpflein leicht auf die Schulter legend und sie setzte die Füße noch zierlicher und sah schelmisch zu ihm auf.
Der alte Herr neigte das spitze Haupt vertraulich zu ihr: »Habet auch wohl keinen gar großen Kummer drob empfunden,« lachte er kichernd, »denn selten schaut das blühende Reis nach dem kahlen Ast.«
Jutta schüttelte nur verneinend das Haupt, dann frug sie schier hastig: »Wisset Ihr nicht, wie Herr Innocenz sich die Zeit vertreibt? Sonst sprach er oftmals ein bei meinem Bruder und er rühmte sich sein Freund zu sein – jetzt macht er sich selten und wenn er kommt, dann liegen fremde, unausgesprochene Gedanken auf seiner Stirn und er hastet, wieder Abschied zu nehmen.«
Da lachte Herr Eglolf von Hornberg seltsam ingrimmig: »Dacht' ich's doch, daß auch Ihr nach dem grünen Trieb schauet; aber diesmal müsset Ihr die Augen schließen, wenn Ihr sie Euch nicht blenden wollet an mißliebiger Erkenntniß.«
Jutta sah fragend zu ihm auf, da fuhr er mit behäbiger Breite fort: »So wisset denn, daß der Herr Kämmerer, der allzeit so streng und unnachsichtig auf uns Andere geschaut, der Thorheit nun selber in die Schlinge gefallen ist, und daß die fremden Gedanken seiner Stirn, die auch Ihr entdecktet, Einer gehören, von der Alle sich abwenden mit Scheu und Geringschätzung: Luitgart, der Tochter des gerichteten Weinmaier.«
Entsetzt fuhr Jutta zusammen: »Nehmet das Wort zurück, es ist nicht möglich! Auch ist sie ja schon seit dem Richttag verschwunden.«
Herr Eglolf zuckte die Achsel: »Verschwunden? – saget lieber versteckt! Herr Leonhart, der Pfarrherr, hat ihr ein abgelegen Stüblein eingeräumt, dort lebt sie wie die Zauberfee, die den Ritter in ihren Bann gezogen hat und Herr Innocenz sitzt an ihrer Seite und kos't mit ihr, als sei die Welt um ihn versunken, und als gäb' es keine Sitte, keine Ehre mehr zu wahren. Es wär' ein verdienstlich Werk, dem gestrengen Herrn Kämmerer die Augen zu öffnen: und auch bei Herrn Leonhart ließe sich ein vermahnend Wort anbringen, – der Pfarrklerus hebt ohnehin den Kamm zu hoch gegen die Würdenträger des Domkapitels!«
Jutta hörte ihn nimmer. Ihr klang nur das Wort von der Zauberfee in den Ohren und sie sah Innocenz in ihren Bann verstrickt, Innocenz, nach dem sie selber die Augen gerichtet. War es Eifersucht oder Neid? oder Beides zugleich? Auch ein Gefühl gekränkten Stolzes und verletzter Eitelkeit brannte ihr auf der Seele.
Wie sie vom Domprobst Abschied genommen, wußte sie nicht – auch nicht, wie sie nach Haus gekommen. In ihrem Gemach erst fand sie sich wieder, über Rachegedanken brütend.
Anshelm hatte indeß die letzte Begegnung mit Luitgart noch nicht verschmerzt, auch dem Freund mocht' er die bittere Empfindung nicht vertrauen, da er ihn heiterer einhergehen sah denn je. Daß Luitgart spurlos verschwunden, war ihm vollends widerwärtig, denn ihre Achtung wollte, mußte er wiedergewinnen, gern bereit hätte er um solchen Preis, manch' liebgewordenes Kleinod geopfert, ihm war, als müsse er sich selber verachten, seit sie ihn engherzig gescholten.
Wie er am Abend jenes Tages, da Jutta vom Domprobst die schlimme Botschaft empfangen hatte, im weitgeöffneten Bogenfenster lag, die milde Luft zu genießen, hörte er die Feuerglocke ziehen und wie er den Diener entsandte, den Brand zu erkunden, brachte dieser die Meldung, daß der Pfarrhof in Flammen stehe. Da mochte es ihn nimmer daheim leiden.
Mit beflügelten Schritten eilte er der Unglücksstätte zu. Schon von fern sah er einen Haufen sich drängenden Volkes, aus dem wohlbekannten Haus aber, das ihm so oft seine Pforten gastlich geöffnet hatte, drang der Rauch in weißgrauen Wolken. Am Dachfirst leckten bereits die Flammen. Von den Umstehenden erfuhr er, daß der Pfarrherr abwesend, der Ausbruch des Brandes darum erst so spät entdeckt worden sei, und daß nur geringe Fahrniß mehr zu retten möglich gewesen. Jetzt flogen zwar die Eimer von Hand zu Hand, aber der geringe Wasserstrahl blieb ohnmächtig gegen das grimme Element des Feuers.
Schon wollte auch Anshelm den Löschenden sich anschließen, da kam die Gasse herauf Pferdegetrappel; auf wild angefeuertem Thiere erschaute er die Schwester, mit aufgelöstem Haare und glühendem Blick, ein furchtbar Lachen umspielte ihren Mund. Schier wollte sie in sausendem Galopp in's Menschengewühl jagen.
Da sprang Anshelm hinzu und fiel dem Pferd in den Zügel: »Was ficht Dich an? willst Du zu dem einen Unheil noch ein weiteres fügen?«
Sie aber lachte herzlos und schneidig: »Die Hexe nur will ich brennen sehen, die Innocenz in ihrem Netz verstrickt, daß er all' Anderes d'rob vergessen hat.«
Da starrte Anshelm sie verständnißlos an: »Die Hexe?«
»Ja wohl, eine Unholdin ist Luitgart, die echte Tochter ihres verstorbenen Vaters; in ihren Zauber gebannt hat sie Innocenz und selbst Herrn Leonhart, der ihr Obdach gegeben, und darum will ich sie brennen sehen! Gib Raum, ich will mich nicht umsonst gefreut haben auf das seltene Schauspiel!«
Da fiel es Anshelm wie Schuppen von den Augen, wie Saulus, da der erleuchtende Himmelsstrahl ihn getroffen. Luitgart's Verschwinden, Innocenz' auffallende Fröhlichkeit, jetzt die grausame Freude seiner Schwester und ihre seltsam dunklen Worte. Es fuhr ihm durch die Seele wie die Geschichte von namenloser Seligkeit und furchtbar gewaltsamem Ende; und zwischen hinein fiel es wie Sonnschein, – jetzt stand ihm der Weg offen, sich Luitgart's Achtung zu erzwingen. Was lag ihm an seinem jungen Leben? Was an der Zukunft? – Auch die Schuld der Schwester wollte er sühnen mit seinem Blut.
Ehe er den Gedanken zu Ende gebracht, stand er schon in dem brennenden Haus. Um ihn prasselte und lohte die Flamme, durch Rauch und Qualm drang er muthig vorwärts, neben ihm stürzten brennende oder verkohlte Balken, ihn focht es nicht an; über eine halb verglimmte Treppe schwang er sich in's obere Geschoß. In der Hinterstube lehnte Luitgart mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen im Fensterlein. Der Schreck hatte sie gelähmt, da noch Zeit gewesen war, sich zu retten; jetzt harrte sie ergeben des Endes.
Wie Anshelm ihrer ansichtig ward, stieß er einen Freudenschrei aus, dann schwang er die halb Betäubte rüstig auf seinen Arm und sprang wieder hinab.
Wie er den Ausgang gewonnen? er wußte es selber nicht! Hinter ihm brach das Haus zusammen, eine fallende Mauer hatte ihn noch getroffen, dennoch vermochte er seine süße Bürde ungefährdet in's Freie zu schleppen.
Im gleichen Augenblick brachen sich zwei Männer gewaltsam durch die Menge Bahn: der Pfarrherr und Innocenz. Furchtbar entstellt war des Letzteren Antlitz, schier versteint die angsterfüllten Züge, große Schweißtropfen perlten d'rüber.
Mit dem Pfarrherrn war er in Weihenstephan gewesen, heimkehrend hatte er die Schreckenskunde vernommen. Jetzt kam er eben recht, Luitgart aus den Armen des zusammenbrechenden Anshelm's zu nehmen. Als er sie unverletzt fand, löste sich die Qual der letzten Viertelstunde und jubelnd zog er sie ungeachtet des vielen ihn umdrängenden Volkes an die Brust; Herr Leonhart aber wehrte den Löschenden: »Lasset den Plunder brennen, er birgt nichts mehr, was des Rettens werth wäre!«
Wie Luitgart sich mählig erholt hatte von Schreck und Wonne, neigte sie sich in weiblichem Mitgefühl zu Anshelm, der schwer verwundet zu Boden gesunken war. Als sie zu ihm niederkniete, ging ein heller Schimmer über sein verblichen Gesicht, schier war's der alte, trotzig fröhliche Zug, und leise flüsterte er: »Bin ich noch engherzig?« Dann schloß er die Augen zum Nimmerwiedererwachen. – – – – – – – – – – – –
Wie die letzte Spur des Brandes erloschen, war Jutta von Waihing nirgend mehr zu finden. Ihr Pferd hatten Werkleute herrenlos in den Bischofshof gebracht. Niemand wußte von ihrem Verbleib; Einer nur, der beim Löschen thätig gewesen, hatte das grausame Wort noch einmal von ihr vernommen: »Ich will die Hexe brennen sehen!« dann war sie auch ihm wieder aus den Augen verschwunden. Wie sich aber beim Abräumen des Schuttes verkohlte Menschenknochen fanden, so bezeichnete sie der Volksmund als die der Mordbrennerin.
Innocenz und Luitgart sind hernachmals ein glückliches Paar geworden, der Bischof selber, dem das traurige Ende seiner Bruderskinder bitter nahe ging, gab ihnen seinen Segen und sie gedachten alle Zeit in dankbarer Erinnerung an den treuen Gesellen, der sein Herzblut willig hingegeben, um sich die Achtung derer wieder zu gewinnen, die ihm im Leben lieb gewesen war.