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14 Tage nach dem 1. Akt.
Der Garten hinter dem Krögerschen Hause, dieses Haus im Hintergrunde. Ganz vorn rechts das Hendrichs'sche Haus, an das sich ein Staket (mit Pforte) schließt, welches den Hendrichs'schen Garten von dem Krögerschen trennt. Vorn links eine große Lindenlaube mit Tisch und Bank. Vor dem Tisch ein Stuhl. Rechts unter einem blühenden Apfelbaum ein Tisch mit 4 Stühlen. Es ist Morgen; Vater Kröger und Mutter Kröger sitzen in der Laube beim Kaffee. Anna kommt hinter der Laube hervor, sie trägt Herrenkleider auf dem Arm.
Anna: So, die sind ausgeklopft und ausgebürstet. Soll ich sie nu den jungen Herrn 'raufbringen?
Mutter Kröger: Ja, Anna.
Anna: Na, der freut sich auch man 'n bischen, daß er raus kann aus'm Bett! Und das hat er auch bloß seinen Bruder zu verdanken, den Herrn Dokter.
Mutter Kröger: Ja.
Anna: Och überhaupt, der Herr Dokter?! Das is 'n zu netten Menschen, für den schwärm ich.
Mutter Kröger (lächelnd): Nu kiek mal an! Sie haben doch Ihren Grenadier, Anna.
Anna: Jaa – aber so'n gebildten Herrn, das ist doch ganz was anders.
Mutter Kröger: So. 114
Anna: Ja. Ach Gott: ich hab in die Schule ja auch'n ganze Masse gelernt, Ortegraphie un Geographie un all so'n Kram; ich hab das man bloß allns wieder vergessen.
Mutter Kröger: Ja. Na, nu bringen Sie man das Zeug hinauf; Sie müssen dann auch zum Grünhöker.
Anna: Ja. (Geht ab, läßt aber noch vor der Laube Hansens Rock fallen.)
Mutter Kröger: Anna, Sie verlieren ja den Rock.
Anna: Ich? Nein! – Ach so, den Rock. (Rafft ihn auf und geht ins Haus.)
Vater Kröger. Mutter Kröger.
Mutter Kröger: Du – das wollt ich dir noch sagen – nu sei du man mal 'n bischen energisch gegen den Bengel, den Hans, daß er uns solche Streiche nicht wieder macht. Das heißt: ich mein' natürlich nicht heute; aber wenn er ganz wieder besser ist.
Vater Kröger: Gott, wieso? Sonst bist du doch immer energisch gewesen – nu soll ich das mit einemmal sein?
Mutter Kröger: Ja ja: wenn der Vater mal was sagt, das wirkt viel mehr, als wenn die Mutter was sagt.
Vater Kröger: Ach nee, da bist du ganz im Irrtum: vor dir haben sie viel mehr Respekt als vor mir.
Mutter Kröger: Na, das magst du noch sagen?
Vater Kröger (achselzuckend): Dja –.
Mutter Kröger: Du hast dem Jungen ja auch nie was gethan. Wenn er Prügel verdient hatte, sagtest du: »Hau du ihn man, ich mag das nicht.« 115
Vater Kröger: Ja, warum hast du ihn denn nicht gehauen?
Mutter Kröger: Ja, ich mag auch nicht immer darauf herumhauen.
Vater Kröger: Na ja.
Mutter Kröger: Ich hab ihn aber wenigstens nicht verzogen.
Vater Kröger: Das hab ich auch nicht.
Mutter Kröger (immer ruhig und freundlich): Du – – du hast ihn nicht verzogen? Na, da hört doch alles auf!
Vater Kröger: Nein – nicht mehr wie du.
Mutter Kröger (lächelnd): Na, da hört aber alles auf!
Clara. Die Vorigen.
Clara (ist aus ihrem Garten durch die Pforte hereingekommen, hat in der Laube sprechen hören und steht jetzt vor der Laube): Bei Krögers wird Kaffee getrunken, und Krögers sind dafür bekannt, daß sie guten Kaffee trinken.
Mutter Kröger (froh bewegt): Ja, mein Deern, bist du wieder da? Komm her, trink mit! (Ist aufgestanden und läßt Clara herein, so daß diese zwischen beiden zu sitzen kommt.)
Clara (ergreift mit der Rechten Vater Krögers Linke und mit der Linken Mutter Krögers Rechte und schüttelt sie): Moign!!
Mutter Kröger (schenkt ihr ein).
Clara: Hm, wie das duftet! Man hört immer, das Kaffeetrinken sei eine verbreitete Sitte; das ist aber nicht wahr: die Zahl der Kaffeetrinker ist beängstigend klein.
Mutter Kröger: Hast du noch nichts gehabt heut Morgen? 116
Clara: Komm' ja direkt von der Bahn! Und Papa schläft natürlich noch.
Mutter Kröger: Soo, du kommst eben erst!
Clara: Ja! Ich hab mich gestern abend so lange in der Heide herumgetrieben, daß mir der letzte Zug entwischt ist, da bin ich halt mit 'm ersten gefahren. Die Heide war aber auch gestern abend – ach man kann's ja doch nicht sagen!
Mutter Kröger: Hast denn viel gefunden?
Clara: Viel nicht, aber etwas ganz besonders Seltenes und Feines. – Eigentlich wollt' ich nur schnell mal hören, was Hans macht. Es geht ihm also gut.
Vater Kröger: Er soll heute mittag wieder aufstehen.
Clara: Famos!
Mutter Kröger (eifrig): Ja du, nu sag du mal: mein Mann sagt, er hat den Jungen nicht verzogen!
Vater Kröger (sieht sie fragend an).
Clara (ihm schelmisch und andauernd zunickend): Jajajaja! Das hat er schon!
Mutter Kröger: Er meint, ich hätt' ihn ebenso sehr verzogen.
Clara (gemütlich-trocken): Jaa, das hast du wohl auch.
Vater Kröger (bekundet auf jegliche Weise sein Vergnügen): Hähähähä – da hast du's.
Mutter Kröger (überrascht): Ich? Ich hab ihn –?
Clara (mit demselben Nicken): Jajajaja! – Du hast mich ja auch verzogen. Darum hab ich dir ja auch immer auf der Nase herumgespielt, auf dieser lieben guten, alten langen Nase! (Hat Mutter Krögers Gesicht in beide Hände genommen und küßt sie auf die Nase.) 117
Mutter Kröger (lachend): Du bist doch 'ne gräßliche Deern! Na wart man: hab du man erst 'n Mann, der will dich wohl bändigen!
Clara: Oder ich ihn!
Mutter Kröger: Na, das kommt darauf an, wer's ist. (Pause. Vater Kröger hat die Zeitung genommen.)
Mutter Kröger (unvermittelt): Hermann geht es auch gut.
Clara (ohne aufzublicken): Ja?
Mutter Kröger (glücklich): Ja – wir haben oft von dir gesprochen diese Tage – ich begreif gar nicht, wo er bleibt! (Zieht an einem neben ihr hängenden Glockenstrang.)
Anna. Die Vorigen.
Anna (von drinnen schreiend): Jaaa! (Erscheint gleich darauf und kommt nach vorn.) Frau Kröger?
Mutter Kröger: Fragen Sie mal den Herrn Doktor, ob er noch nicht kommt; und wenn er kommt, bringen Sie frischen Kaffee.
Anna: Ja. (Nimmt die Kanne vom Tisch und geht.)
Mutter Kröger (ihr nachrufend): Und 'ne Tasse, Anna!
Anna: Jaaa! (Ab.)
Die Vorigen ohne Anna.
Mutter Kröger: Ja, er ist ganz wieder der Alte – beinah ganz. Seitdem er von dem Goßler los ist –
Clara (schnell): Wieso »los ist«?
Mutter Kröger: Na, daß die beiden weg sind, weißt du doch. 118
Clara: Ja natürlich. Daß sie nach dem Unglück mit Hans nicht noch länger blieben, ist ja selbstverständlich.
Mutter Kröger: Na, der kleine Struwelpeter fand es gar nicht so selbstverständlich, den hab ich erst ziemlich deutlich rausschmeißen müssen. Der andre, der Goßler, das muß ich nu sagen, der benahm sich soweit ganz anständig; der ist 'n andern Morgen in aller Herrgottsfrühe abgereist. Hat der Anna 20 Mark Trinkgeld gegeben – für 2 Tage: denk mal! – und dann ist er stolz wie 'n Spanier abmarschiert.
Clara: Hat Hermann denn mit ihm gebrochen?
Mutter Kröger (geheimnisvoll): Was da vorgefallen ist, weiß ich nicht. Aus den Mannsleuten kriegt man ja nichts raus. Aber vorgefallen ist da was! Hermann denkt gar nicht daran, ihm nachzureisen. Zwischen den beiden ist es aus.
Clara (nachdenklich): Scheußlich!
Mutter Kröger (verblüfft): Was ist scheußlich?
Clara (in ein herzliches Gelächter ausbrechend): Dein Junge ist uns ja in der unverschämtesten Weise über den Kopf gewachsen: Wir wollten ihn so schön befreien aus der Umwindung der Schlangen – und nach zwei Tagen wacht er bloß 'n bißchen auf und drückt ihnen die Hälse zu. (Jubelnd:) Was hab ich dir gesagt, Mutter Krögersch!
Mutter Kröger: Ja, ja, das hast du gesagt.
Clara: Wenn er uns gebraucht hätte, um sich herauszureißen, dann –
Mutter Kröger: Na? Was dann?
Clara: – Das sag ich dir später mal!
Mutter Kröger: Na. – Ich versteh eigentlich noch 119 immer nicht, daß er sich von dem Goßler so hat in 'n Strick kriegen lassen. Verstehst du das?
Clara: O ja. – O ja! Man muß nur seine großen offenen Augen ansehen! So offen ist auch sein Herz. Das ist, als wenn seine Augen immer sagten: »Alles herein, alles herein!« Und wenn er dann alles verarbeitet hat, wirft er wieder hinaus, was nichts taugt.
Mutter Kröger: Clara, ich glaube, du kennst den Jungen bald besser als ich.
Clara: Na, ich hab' ihn aber auch studiert! Er war ja schon als kleiner Purks so: alles mußte er kennen lernen.
Mutter Kröger: Ja: kennen lernen! Aber er hat den Goßler ja förmlich geliebt!
Clara (lächelnd): Ach nein, Muttel!
Mutter Kröger: Ich sage dir: er hat ihn lieb gehabt! Das weiß ich nu besser, mein' Deern! Denn studier' man noch'n bißchen weiter!
Die Vorigen. Hermann. Anna.
Hermann (noch im Hause): Ja ja, ich komme schon!
Clara (springt auf): Er kommt!
Mutter Kröger: Ja. Bist du bange?
Clara (setzt sich wieder): Bange? (Streckt die Arme aus:) Ich möchte die ganze Laube auf 'n Nacken nehmen und damit herumtanzen!
Anna (kommt mit Kanne und Tasse aus dem Hause): Frau Kröger! Frau Kröger! Der Herr Doktor is all hier!
Mutter Kröger: Ja, ist gut, Anna. Regen Sie sich man nicht auf! 120
Anna (stellt das Gebrachte auf den Tisch und tritt beiseite).
Hermann (ist herangekommen und gewahrt jetzt Clara. Stutzt): Sieh da: Clara! Guten Morgen.
Clara (sieht voll zu ihm auf, überraschend ruhig, aber nicht unfreundlich, indem sie ihm die Hand reicht): Morg'n!
Mutter Kröger (ist aufgestanden): Komm, mein Jung, setz dich man auf meinen Platz; ich muß jetzt doch an die Arbeit. Kommen Sie, Anna. – Vater, du mußt dich wohl auch umziehen, du wolltest ja noch 'n Besuch machen.
Anna (ab).
Vater Kröger: Jaa, das hat ja noch lange Zeit.
Mutter Kröger: Ja: du wolltest dich aber auch noch rasieren lassen!
Vater Kröger: Kann ich auch noch. Reichlich!
Mutter Kröger: – Und dann wolltest du noch das Bauer von dem Kanarienvogel machen.
Vater Kröger: Jaa: kann ich alles noch!
Mutter Kröger (den beiden jungen Leuten nicht mehr sichtbar, schüttelt unwillig den Kopf über Vater Krögers Unverständnis und geht).
Hermann: Und du fährst also mit einem Mal davon und überläßt uns unserm Schicksal?
Clara: Ich mußte doch! Ich mußte doch nach Bremen! Und dann hab ich allerdings 'nen Abstecher in die Heide gemacht. Dein Vater hat mir ja geschrieben, wie's ging. Schließlich steht mir doch auch mein Vergnügen näher als euer Schicksal.
Hermann (blickt überrascht von seiner Tasse auf und sieht sie fest an).
Clara (hat die Hände auf die Bank gestützt und erwidert mit drolliger Keckheit seinen Blick. Pause). 121
Vater Kröger: Hähähähä – das ist ausgezeichnet – aus–ge–zeichnet! Habt ihr schon die Geschichte von der Spielhölle gelesen, die sie entdeckt haben . . .?
Hermann: Ja, Vater, du hast sie uns gestern abend schon vorgelesen.
Vater Kröger (zu Clara): Aber du kennst sie noch nicht.
Clara: Nein.
Vater Kröger: Ach, das ist ja zu prachtvoll! Da haben sich also zwei Detektivs, die haben sich als elegante, vornehme Herr'n verkleidet und denn sind sie – da ist also im Hôtel Prinz Leopold 'ne Spielhölle gewesen; aber sie haben immer nicht entdecken können, wo sie denn eigentlich gespielt haben. Und da haben also die beiden Detektivs – mußt bloß mal hör'n, wie raffiniert sie das angefangen haben – die haben also –
Mutter Kröger (ruft aus einem Fenster): Vater!
Vater Kröger: Ja?
Mutter Kröger: Komm mal schnell 'rein, du mußt mir mal was helfen!
Hermann (ist aufgesprungen): Soll ich auch kommen, Mutter?
Mutter Kröger (energisch): Nein nein, du kannst das nicht, das kann bloß Vater!
Vater Kröger: Ja ja, ich komm' schon. (Zu Clara:) Ich komm gleich wieder! (Eilt ins Haus.)
Hermann (nach einer Pause): Clara.
Clara: Hm? 122
Hermann (sinnend): Clara – das bedeutet: »die Klare, Helle, Leuchtende, Glänzende« – aber du bist nicht mehr die Klare.
Clara: Ach!
Hermann: Nein. Sieh – ich möchte mal ernsthaft mit dir reden.
Clara: Ich bin auch gerade sehr ernsthaft aufgelegt.
Hermann: Was du da eben gesagt hast von »deinem Vergnügen« und »unserm Schicksal« –das hat mir nicht gefallen.
Clara: Die moderne Frau hat höhere Ziele als dem Manne zu gefallen.
Hermann: Red doch nicht so geschwollen. Das ist ja gar nicht deine Sprache, Clara. Und überhaupt: ich hab ja gar nichts vom Manne gesagt.
Clara: Denken die Männer denn etwas anderes als: Mann und Frau und Frau und Mann?
Hermann: Das kommt auf die Frau an.
Clara: Kurz und gut: ich will nur sagen: es wird endlich Zeit, daß auch die Frau sich erhebt zum rücksichtslosen Egoismus. Ich sage ganz wie dein Bruder Hans: Ich will mich ausleben! Ich will mich frei entwickeln! Je m'amuserai de tous mes nerfs und – – u. s. w.!
Hermann: Wenn du wüßtest, wie dicke genug mein Bruder Hans von der »goldenen Freiheit« hat! Er kennt nur noch eine Entwickelung: die aus 'm Bett.
Clara: Das Buch deines Freundes hat mich davon überzeugt, daß eine tiefe Feindschaft besteht zwischen Mann und Weib –
Hermann: Erlaube – von meiner Seite besteht durchaus keine Feindschaft – im Gegenteil – 123
Clara: Und ich will, daß endlich auch das Weib sich dieser Feindschaft bewußt werde. Es wird sich eine Frauenliga bilden, und die soll wirken nach dem Grundsatz: alles durch die Frau – alles für die Frau – alles ohne den Mann – alles gegen den Mann!
Hermann: Na das kann ja nett werden! – Nun hör mal, Clara. (Faßt sie beim Handgelenk.)
Clara: Was soll denn meine Hand –?
Hermann (im Eifer): Stillhalten! (Sie läßt ihm die Hand:) Alles was du da geredet hast, das ist so ein Stück von den Ideen, die ich selbst noch vor kurzem vertreten habe. Das weiß ich ja. Ich kam auf die Universität mit allerlei Kenntnissen, aber – natürlich – ohne eine Weltanschauung. Solch ein junger Mann verfällt dem ersten starken Wort, das er hört. Wer ihm mit den verwegensten Gedanken entgegentritt, der hat ihn. Ich verfiel den Ideen, die du kennst. Sie waren brennend interessant wie alle Reaktion. Sie setzten gegen das schleichende Unrecht das brutale Unrecht, gegen den Stumpfsinn den Wahnsinn. Und ich segne diese Ideen; denn sie haben es mir unmöglich gemacht, ein Spießbürger zu werden. Ein Spießbürger versteht nicht. Ich habe verstehen gelernt. (Pause. Er ist aufgestanden und ein paar Schritte auf- und abgegangen. Wie er ihr den Rücken zuwendet, blickt sie mit zärtlicher Liebe auf ihn und wirft ihm eine Kußhand nach. Wie er sich wendet, nimmt sie schnell wieder ihre vorige Haltung ein. Fortfahrend:) Und in den letzten Wochen hab ich noch etwas hinzugelernt. Unter wilden Kämpfen – von denen ihr keine Ahnung hattet – hab ich hinzugelernt, daß man mit all diesen geistreichen Ideen nicht leben und nicht schaffen kann. 124
Clara (mit verhaltener Erregung): Willst du denn leben und schaffen?
Hermann (leidenschaftlich auflachend): Hahahaa! Und ob ich das will – und ob ich das will! (Hat ihre Hand wieder ergriffen und schüttelt sie.)
Clara: Au!!
Hermann: Schrei doch nicht so!
Clara: Schrei du man nicht so!
Hermann (im Eifer): Hab ich dir wehgethan? Das schadt nichts! Sieh mal, Clara! ich weiß nicht, wie tief dir diese Ideen sitzen – ob du sie nur nachplapperst – was ich dir eigentlich nicht zutraue –
Clara: Na, das möcht ich mir ausgebeten haben!
Hermann: – ob du mit ihnen spielst – was ich dir schon eher zutraue – oder ob du mich foppen willst – was dir Racker immer ein besonderes Vergnügen war. Aber diese Gedanken entstellen dich. Als ich sie von dir hörte, kamen sie mir zum erstenmal häßlich vor. Sie waren mir auf deinem reinen Gesicht wie Flecken, die ich (mit stürmischer Bewegung gegen sie) schnell, schnell wegwischen müßte –
Clara (mit komischem Erschrecken vor seiner Bewegung): Na?
Hermann (treuherzig): Clara! Warum willst du dich ohne Mann behelfen, du hast es doch gar nicht nötig!
Clara (mit komischer Entrüstung): Diese Arroganz –!
Hermann: Sieh mal – ich kenne dich doch – du bist doch gerade eines von den stolzen Weibern, die – ohne sich zu entwürdigen, ohne sich zu erniedrigen – die sich doch opfern können bis zum letzten Blutstropfen für einen geliebten Menschen – 125
Clara (mit glückselig-lustigem Spott): Das glaub ich! Solch ein Opferlamm gefällt euch Männern! (Lauernd:) Solch eine hinschmelzende Seele würdest du sogar zur Frau haben wollen!
Hermann: Gewiß!
Clara (beide Hände hinstreckend, die Augen schließend mit hervorbrechender Leidenschaft): Da hast du mich, halt mich fest, halt mich fest!
Hermann (aufschreiend): Clara! (Sich besinnend, leise:) Clara! (Sie an sich pressend:) So fest? So fest?
Clara (blickt in stummer Seligkeit zu ihm auf und nickt. Er küßt sie).
Hermann: Mein willst du sein, mein?
Clara: Dein, ja dein! (Sie stemmt die Hand gegen seine Brust und sieht ihn an.) Du – – weißt du, daß mir das ein ganz neues Wort ist: »Dein«? Und daß es mir unbeschreiblich süß klingt?
Hermann: Ja?
Clara (zurückdenkend): Bis jetzt mußt' ich immer mein sein. Immer zusammengerafft dastehen, stark sein, mich selbst beschützen und meinen Vater, (wischt sich die Augen) meinen lieben alten Papa! – Hermann! seit meinem elften Jahr muß ich nun schon selbständig sein! Weißt du, was das heißt? Weißt du, daß ich oft ein wahnsinniges Verlangen hatte, mich beschützen zu lassen? Schwach zu sein? Die Augen zu schließen und mich vom Schicksal tragen zu lassen – irgendwohin – immer weiter – immer weiter?
Hermann: Ich glaub's.
Clara: Weißt du, daß ich vor dir knieen möchte und stammeln »Mein hoher Herr und Gebieter«? 126
Hermann (küßt sie feurig auf die Stirn): Liebchen!
Clara (plötzlich mit ihrer alten Schelmerei): Du müßtest es nur nicht für bare Münze nehmen!
Hermann (glücklich lächelnd): Hanswurst!
Clara: Wenn du wirklich mein Herr sein wolltest (mit dem Finger drohend, lustig) Junge –. (Mit plötzlicher Leidenschaft.) Doch doch doch!! Du sollst mein Herr sein und ich will dir – alles zu liebe thun! Weißt du: (Mit leiser Stimme, ausmalend) ich will zu deinen Füßen ruhen, den Kopf auf deinen Schoß legen und glücklich sein.
Hermann: Und ich will zu deinen Füßen ruhen, den Kopf auf deinen Schoß legen und glücklich sein. –
Clara: Ach!! Ich habe Kopfweh von all dem Glück! (Sie hat den Kopf an seine Brust gelehnt.) Das Haar drückt mich, mach es mir los. – Kannst du das?
Hermann: Ich denke doch! Für jede Nadel einen Kuß!
Clara (leise): Ja.
Hermann (nachdem er ein paar Nadeln herausgezogen und auf den Tisch gelegt hat): Mädel, was für ein Haarwald!
Clara: Magst du's leiden?
Hermann: Und wie! – Du weißt doch: Wir Tyrannen mögen keine gescheiten Weiber. Und je länger die Haare, desto kürzer der Verstand.
Clara (richtet sich schnell auf und schlägt ihm auf die Hand): So, nun thu ich's selbst. Unverschämter! (Hat die Nadeln gelöst, das Haar fällt in einer schweren Flechte herab. Ist aufgestanden, um den Tisch nach vorn gekommen und thut im scherzenden Zorn, als wolle sie davonlaufen.)
Hermann (tritt ihr entgegen): Halt, meine Küsse! 127
Clara: Wieviel!
Hermann: Drei.
Clara: Zwei!
Hermann: Drei!
Clara: Zwei!
Hermann (erfaßt sie und preßt seine Lippen in einem langen Kusse auf die ihren).
Clara: Mmmm (sich befreiend) nicht so lange!
Hermann: Gut, also kurze. (Küßt sie zweimal ganz flüchtig.)
Clara: Nein, so kurze auch nicht.
Hermann: Hast du noch was zu reden? (Fängt sie wieder und bedeckt ihr Gesicht mit Küssen.) So!
Clara: Du – wir sind wie die Kinder.
Hermann (halb für sich): »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.«
Clara: Du, seit wann hast du mich lieb?
Hermann: Seit wann hast du mich lieb?
Clara: Eigentlich – seit du auf die Universität gingst. Gern gehabt hab ich dich immer; aber damals als du fortgingst, als der Zug wegfuhr – da stand mein Herz mit einem Male still – und dann hab ich ein langes, langes Heimweh nach dir gehabt.
Hermann: Ich liebe dich viel länger. – Seit meinem zehnten Jahr.
Clara: Hermann!
Hermann: Ja. Weißt du, wie wir mal auf dem großen Lagerplatz spielten? In der Holstentwiete? Wir rangen miteinander und du wolltest mich zurückstoßen, ich hatte dich aber bei den Handgelenken gepackt und zwang deine Arme in die Höhe (er hat ihre Hände gefaßt und macht 128 dieselbe Bewegung) und da standen wir so Auge in Auge – – und seit dem Augenblick hab ich dich lieb.
Clara (komisch entrüstet): Und dann läßt der Mensch mich so lange warten!
Hermann (lächelnd): Ja. Jetzt weiß ich ja erst, daß das Liebe war, damals. Und weißt du, warum ich dich liebte?
Clara: Nun?
Hermann: Du hattest so einen ganz leichten Gang. Deine Füße schwebten immer über allem dahin, als ginge die Erde sie gar nichts an. Und damals bildete ich mir ein: so schlanke, zarte Kinder, die einen so leichten Gang haben und die so ein vornehmes Gaumen-R sprechen – du sprachst damals das Gaumen-R –
Clara: Ach, das glaub ich nicht –!
Hermann: Doch! Du hast damals immer »chrote Chrüben« gegessen! Ja. Solche Kinder, bildete ich mir ein, kommen 'mal in den Himmel. Aber solche dicken, tappsigen, immer schmutzigen Kerle wie ich, mit dem ganz gewöhnlichen Zungen-R – die kommen in die Hölle. – Siehst du: so lieb hab ich dich gehabt.
Clara: Und dann sagt der Mensch kein Wort!
Hermann: Nein. Als du gar eine berühmte Dame geworden warst, da sagte ich mir: Die hat schon ganz andere Männer gesehen und doch keinen genommen. Und dann dachte ich mir: wenn du ihr einen Antrag machst und sie lacht dich aus – weiter brauchte ich nicht zu denken, dann hatte ich den schönsten Fieberfrost und buchstäbliches Zähneklappern.
Clara: Nicht möglich! So eitel bist du?
Hermann: War ich. Durch die Schuld der Backfische. 129 Die haben mich mal ausgelacht, als ich ein unbeholfener Jüngling war. Einmal wollte ich sprechen. Als ich glaubte, daß du dich für Goßler interessiertest.
Clara (rasch): Also hast du es doch für möglich gehalten, daß dieses Untier – Hahaha –!
Hermann (sie unterbrechend): Nicht – nicht –! Das mußt du nicht sagen!
Clara: Was muß ich nicht sagen?
Hermann: Du mußt nicht so über Goßler sprechen!
Clara: Nicht? – Über diesen Ekel? Der dich so schnöde behandelt hat –?
Hermann: Da haben wir's! Ihr Weiber! Ihr könnt für euren Geliebten in den Tod gehen, ja ihr könnt sogar dem Gegner eures Mannes vergeben – aber dem Gegner eures Mannes gerecht werden: das könnt ihr nicht.
Clara: So! Fängst du jetzt schon an mit erhabenen Sentenzen »über die Weiber«? Mein Junge, wenn du schimpfst, mach ich die Verlobung rückgängig, noch weiß kein Mensch was davon!
Hermann: Noch weiß kein Mensch was? Dös wer'n mer glei ha'm! – Mutter!
Clara: Hermann, bist du toll? (Sie rafft schnell die Haarnadeln vom Tisch und beginnt ihr Haar aufzustecken.)
Hermann: Mu–tter! Wo steckt sie denn? (Wie ein Junge schreiend:) Mama! (Geht ins Haus.)
Clara allein.
Clara (steckt ihr Haar vollends wieder auf, sinkt mit einem träumerischen Lächeln auf die Bank, stützt die Ellbogen auf den Tisch und legt das Kinn auf die gefaltenen Hände. Dann drückt sie mit einer jähen Bewegung die Hände gegen die Augen und verharrt so). 130
Mutter Kröger und Hermann (aus dem Hause). Clara.
Mutter Kröger: Was hast du denn, Junge?
Hermann: Komm mal her.
Mutter Kröger: Was ist los? Habt ihr euch –
Hermann: Komm nur her. (Sie sind nach vorn gekommen. Er zeigt auf Clara.) Sag du ihr mal, daß sie mich nehmen soll. Sie will nicht meine Frau werden.
Mutter Kröger: Clara, du willst nicht –
Hermann: Sie hat sich mit mir verlobt und jetzt will sie's rückgängig machen.
Mutter Kröger (da Clara lacht, mit noch unterdrückter Freude): Clara – ist wahr?
Hermann: Ja Mutter, ist wahr, ist wahr! (Hat seine Mutter erfaßt und tanzt mit ihr herum.)
Mutter Kröger (außer Atem): Junge, du bist wohl ganz verrückt!
Hermann: Ganz? Nein! das werd' ich erst, wenn ich verheiratet bin.
Mutter Kröger (Clara umarmend und küssend): Meine Deern! Meine Clara! Das ist noch mal ein glücklicher Tag! Ach, das muß der Alte ja wissen, das muß ja der Alte wissen! (Schnell ins Haus.)
Clara. Hermann.
Hermann: Wie sie sich freut!
Clara: Ja, wie sie sich freut! – Freust du dich denn auch 'n bißchen?
Hermann: Ja. Tritt näher, Weib: ich verzeihe dir! 131
Clara (an seine Brust eilend, thut, als wenn sie weinen müsse): Ach Gott, ich bin so gerührt! Deine Gnade erdrückt mich, du Eulenspiegel!
Hermann (lacht, indem er sie in seinen Armen hin- und herwiegt).
Clara: Du, daß du so lustig sein könntest, hätt' ich nie gedacht!
Hermann: Ho, da kennst du mich schlecht.
Clara: Aber mir traust du, glaub ich, keinen rechten Ernst zu, weil ich immer so lustig war.
Hermann: O doch. Ich bin überzeugt, du kannst sogar melancholisch sein.
Clara (hat seinen Kopf zwischen beide Hände genommen, innig): Hermann! Woher weißt du das?
Hermann: Das merkt man doch am Lachen. Siehst du: einige Augen lachen so, und einige Augen lachen anders. Deine lachen eben anders.
Clara: Nein, jetzt mußt du ernsthaft sprechen!
Hermann: Das thu ich doch. Die meisten Augen lachen eben nur außen. Wenn deine Augen leuchten, kommt das Licht ganz weit von innen her – ganz ganz hinten sieht man dann einen Stern – und wer solch ein inneres Licht hat, der hat immer traurige Tage genug.
Clara (weich): – Mein Hermann!
Die Vorigen. Mutter Kröger, Vater Kröger, dann Anna.
Mutter Kröger: So, da hab ich ihn.
Vater Kröger: Na, das ist ja ein freudiges Ereignis! Herzlichen Glückwunsch, mein Kind – na, heute krieg ich aber einen auf 'n Mund! 132
Clara: Gewiß! (Küßt ihn.)
Vater Kröger: Herzlichen Glückwunsch, mein Junge! (Küßt Hermann. Ernsthaft:) Ja – mit dem Assistentenposten ist es nu aber nix mehr!
Hermann (lustig): Na –! Dann sind wir eben glücklich ohne Assistentenposten! (Legt die Arme um seine beiden Eltern:) Seht mal: assistieren heißt beistehen – vielleicht kann ich aber alleinstehen – was meint ihr?
Anna: Frau Kröger!
Mutter Kröger: Na, Anna?
Anna: Der feine Herr ist wieder da. Er möchte den Herrn Dokter sprechen.
Hermann: Welcher feine Herr?
Anna: Ach Gott, wie heißt er man noch? Den Herr Dokter sein Freund!
Hermann: Herr Goßler?
Anna: Ja!! –
Mutter Kröger: Na, das nenn' ich aber – was will denn der gräßliche Mensch!
Hermann: Nicht, nicht, Mutter – (zu Anna:) Ich lasse bitten! (wieder zu seiner Mutter:) Bitte, sei nicht unfreundlich gegen ihn – ihr alle: seid nicht unfreundlich –! (In glücklicher Aufwallung:) Komm Clara, wir wollen ihn holen! – Da ist er schon!
Mutter Kröger und Vater Kröger (rechts), Hermann (Hand in Hand mit) Clara (in der Mitte), Erich (kommt langsam und ruhig aus dem Hause).
Hermann (ihm entgegeneilend, beide Hände hinstreckend): Guten Tag, Goßler! Sei willkommen! 133
Erich (eine Hand erfassend, blickt Hermann einen Augenblick fest an, dann kurz, fast rauh): Ich danke dir. (Er verbeugt sich gegen die alten Krögers.) Ihr seid verlobt?
Hermann: Ja –
Erich: Das sieht man. Ich gratuliere. (Giebt Clara, die links, und Hermann, der rechts steht, zum Glückwunsch die Hand. Dann zu Frau Kröger:) Gnädige Frau, mein Besuch ist Ihnen natürlich unangenehm –
Mutter Kröger: O, Herr Goßler –
Erich: Ich habe mir auch vorgenommen, sehr schamlos zu sein –
Mutter Kröger (starrt ihn sprachlos an): Aber –
Erich: Aber natürlich durchaus anständig!
Vater Kröger: Wollen Sie nicht Platz nehmen.
Erich: Danke. (Er setzt sich an der linken Seite des Tisches. Vater Kröger und Mutter Kröger nehmen ebenfalls am Tische Platz. Hermann steht rechts. Pause.) Ich habe den Frieden Ihres bürgerlichen Hauses gestört. Das widerspricht eigentlich so ganz meinen Grundsätzen. Darum war ich ein großer Tölpel. Gewähren Sie mir die Wohlthat, Ihnen das zu sagen.
Mutter Kröger (lächelnd): Ja, wenn es weiter nichts ist –
Clara (die bisher an die Laube gelehnt stand): Herr Goßler, ich muß mich leider empfehlen –
Erich (lebhaft): Nein nein! Sie wollt' ich ja vor allen Dingen sprechen!
Clara: Mich?
Erich: Ja. Bitte, nehmen Sie einen Stuhl. (Er will ihr seinen Stuhl geben.)
Clara: Danke, ich habe hier. (Sie nimmt den Stuhl aus der Laube und setzt sich darauf.) 134
Erich (steht mit seinem Stuhl in der Mitte, setzt sich wieder): Ich wollte Ihnen eine Liebeserklärung machen.
Clara: Mir?
Erich: Ja. Aber meine Liebe gilt nicht Ihnen.
Clara (scherzhaft ironisch): Aach!
Erich: Nein. Darüber müssen Sie sich zu trösten suchen. Ich liebe Sie nicht.
Clara: Schade!
Erich: Wenn ich trotzdem einmal in Ihrer Nähe wärmer wurde, als Ihnen lieb war, so geschah es, weil Sie mir eine andere Clara vorschwindelten –
Clara (lacht).
Hermann (neugierig): Was ist denn das für eine Geschichte?
Clara: Das brauchst du nicht zu wissen – das erfährst du später mal.
Erich: Ja, das erfährst du später mal.
Clara: Ihre Liebe, Ihre Liebe!
Erich (von Hermann, wie während des größten Teils der Scene, weggewandt, zu Clara, immer mit äußerlicher Kühle): – – – Ich liebe – den Dummkopf da. (über die Schulter nach Hermann zeigend.)
Clara (sanft): Ja? Nun, er –
Erich (hart): Ich liebe ihn mehr als Sie!
Clara: Das wäre!
Erich: Ja. Sie lieben ihn, weil er ein genialer und starker und stattlicher Kerl ist –
Hermann (verlegen): Aber Goßler –!
Erich (kalt): Schweig! – – Ich liebe ihn, weil ich ihn hasse.
Clara: Sie hassen ihn – –? (Schweigen.) 135
Erich: Sehen Sie, mein Fräulein: ich war zu der Überzeugung gelangt, daß die Menschheit ein großer Verein von Schurken sei, in dem es jeder ganz gern zum Präsidenten und Oberschurken brächte. In dieser Überzeugung war ich glücklich – bis auf weiteres wenigstens – wie man so glücklich ist. Diese Überzeugung hege ich noch.
Clara: Nicht möglich –
Erich: Wie Sie hören. Es giebt aber vereinzelte Menschen – Abnormitäten – die keine eigentlichen Schurken sind – die bis zu einem hohen Grade ehrlich sind und die einen immer wieder an die Menschheit glauben machen wollen. Solche Menschen, die einem den schwer errungenen Glauben an die Gemeinheit der Menschen nehmen wollen, haßt man natürlich. Man haßt sie, weil man sie lieben muß. Denn – wissen Sie, wie das Ding heißt, wonach man sich sehnt – nach dem man gräbt und scharrt wie nach dem versandeten Quell in der Wüste –?
Clara (bewegt): Nun?
Erich: Zuverlässigkeit. Schließlich möchte man doch im Schatten eines treuen Menschen sterben. Sehen Sie: das macht uns so lächerlich.
Hermann: Lieber Goßler –!
Erich (leise und erregt): Bitte – du thust mir einen Gefallen, wenn du mich durchaus nicht unterbrichst. Ich werde sonst – wieder – unausstehlich. (Pause. Er schlägt einen leichteren Ton an.) Dieser sogenannte Kröger da war so ungefähr in allem mein Gegenteil. Besonders aber – ich wollte mich eigentlich um diese Demütigung herumdrücken – aber meine Buße würde dann nichts wert sein 136 – also: (mit schwerster Überwindung) er war – produktiv – er konnte etwas schaffen – und ich – ich – (leise) kann nichts; ich kann immer nur erkennen, daß alles Geschaffene thöricht ist. – (Wieder lebhaft, drollig:) Sehen Sie: er ist ja eigentlich ein ganz dummer Kerl!
Clara und Hermann (lachen).
Erich (zu den Eltern): Sie müssen es mir nicht übelnehmen, daß ich Ihren Sohn »dumm« schelte –
Mutter Kröger: Ach, das macht nichts! Ich weiß ja, daß er's nicht ist.
Erich (gutmütig): Nicht wahr? Sie wissen das!
Mutter Kröger: Sie meinen es auch gar nicht so.
Erich (stutzt, dann lächelnd): Nein, so mein' ich es nicht. (Zu Clara:) Wo waren wir stehen geblieben? Bei seiner Dummheit, richtig. Aber ihn hat sich die Natur zum Gefäß erwählt – die in uns abgestorben ist – und gebiert immer rüstig darauf los in seiner Seele. Und die Natur ist leider verflucht genial. Wir beiden bildeten gewissermaßen die Welt als Wille und Vorstellung in der Westentasche (auf Hermann zeigend): der Wille (sich selbst vorstellend): die Vorstellung.
Clara: Sehr erfreut.
Erich: Und wo zwei solche Menschen Freunde werden – da giebt es einen Kampf – zuerst einen versteckten, schleichenden – dann einen offenen, brutalen, in dem es heißt: ich oder du. Ich wollte ihn demütigen, unterwerfen, vernichten – und wenn es mir gelungen wäre – dann wäre ich ganz einsam gewesen. Darum hoffte, ersehnte ich im stillen, daß er sich eines Tages aufrecken und mich 137 zerschmettern möchte; ich verfluchte im stillen seine Bescheidenheit; denn es war wie eine religiöse Sehnsucht in mir, daß der Heiland der fröhlichen That kommen möchte, der Held der That, die keine Thorheit ist! (Er ist in tiefe Erregung geraten und befreit sich aus dieser wieder, indem er einen heiteren Ton anschlägt.) Er hat mich nicht zermalmt; er hat nur gesiegt. Er hat mich angeblasen wie ein gesunder Sturm und mir das Handgelenk gepreßt, daß ich drei Tage Striemen hatte. Seit diesem Krach liebe ich ihn erst eigentlich. Ich hielt's nicht mehr aus und bin heute von Berlin hergefahren.
Hermann: Goßler!
Erich (mit komischer Härte): Schweig! Dich geht die Sache nichts an. – (Zu Clara:) Ich habe eine Bitte an Sie.
Clara: Und.
Erich: – Hm. – Sorgen wir erst für Reinlichkeit. (Mit niedergeschlagenem Blick:) Haben Sie ihm das von der Kritik gesagt!
Clara: Nein.
Erich (aufblickend): Sie haben ihm nichts gesagt?
Clara (verwundert): Nein –!
Erich (steht auf, geht zu ihr, nimmt ihre Hand und drückt einen langen Kuß darauf. Wendet sich dann zu Hermann. Mit niedergeschlagenem Blick): Die anonyme Kritik im »Uranus« war von mir. Ich war toll vor Neid. Jeder erreicht ja mal sein tiefstes Niveau. (Auf Hermann zugehend:) Kannst du das vergessen?
Hermann (treuherzig): Ich hab es längst verschmerzt.
Erich: Gut – ich glaub's. – Ein Glücklicher hat's leicht, zu vergessen. (Zu Clara:) Nun meine Bitte. Wollen Sie ihn mir jedes Jahr auf zwei ganze Tage abtreten? 138 Er in seinem künftigen Siegerglück wird mich – wohl nicht vergessen, aber auch nicht vermissen. Wollen Sie ihn dann erinnern und ihm sagen: »Du mußt den widrigen Kerl, den Goßler, mal wieder besuchen«? Wollen Sie das?
Clara (innig): Gewiß will ich das!
Erich (tiefschmerzlich, aber mit Beherrschung): Nicht wahr: das bißchen lassen Sie mir?
Hermann (überquellend): Goßler, warum wollen wir uns überhaupt trennen; du ziehst ganz hierher und besuchst uns, so oft du magst!
Erich (ihn mit gutmütigem Spott belächelnd): Hm hm. (Zu Clara:) Er ist noch immer sehr dumm: Sie werden sehr glücklich mit ihm sein.
Clara (lacht laut auf).
Erich: Lieber Hermann wenn ich bei dir bleibe: dann ist's morgen dieselbe Geschichte. Soweit solltest du mich nun kennen. Du hier und ich in Berlin: so werden wir uns, glaub ich, sehr lieb haben. (Zu Clara:) In dieser Form soll es sogar glückliche Ehen geben.
Clara: Sie sind ein Bösewicht.
Erich: Also zwei Tage von jedem Jahr!
Clara: Ja, auch eine Woche, wenn Sie wollen!
Erich: Nein nein: zwei Tage! – Am ersten werden unsere Herzen flammen und jeder wird zu erspähen suchen, was er dem andern Liebes thun kann. Am zweiten Tage – da doch die Herzen nicht immer brennen können – werden wir in ein Gespräch kommen, z. B. – über Berlioz – oder über Salmiakgeist, ganz einerlei; jedenfalls werden wir ins Streiten kommen, wir werden heftig aneinandergeraten und wieder einmal erkennen, daß wir zwei 139 Königskinder nicht zu einander können, weil das Wasser viel zu tief ist. Dann werde ich ihn zum Bahnhof bringen, ihm eine Rose oder ein paar Apfelsinen kaufen und ihn ins Coupé schieben. Und den Rest des Jahres werde ich dann von der Sehnsucht leben. Adieu. (Reicht Clara die Hand.)
Hermann: Aber wenigstens heute solltest du doch bleiben!
Erich (entschieden, fast hart): Nein, ich fahre noch heute zurück. – Ich werde heut abend in unserer Ecke sitzen – du weißt ja – und an Euch denken. Leb wohl.
Hermann: Aber dann will ich – –«
Die Vorigen. Hans (wird von Anna durch die Thür und die zwei Stufen in den Garten geleitet, geht dann allein, mit etwas unsicheren Schritten. Er trägt den rechten Arm in der Binde).
Anna (ruft): Hier ist der junge Herr!
Hans: Danke danke! Ich kann schon ganz allein!
(gleichzeitig:)
Mutter Kröger: Da ist der Junge!
Vater Kröger: Da ist er ja!
Hermann: Hurrah, da ist Hans!
Clara: Sieh da, Hans!
Hans (bemerkt Goßler): Guten Tag, Herr Goßler.
Erich: Guten Tag. Wie geht's Ihnen denn?
Hans: Ooh, ganz fein!
Erich (verschwindet gleich darauf unbemerkt, während die andern um Hans beschäftigt sind).
Mutter Kröger (nimmt Hans beim Arm und führt ihn zu einem Stuhl): So, nu setz dich man hin, das Gehen fällt dir doch wohl noch schwer, was, mein Jung'? 140
Hans: Ach nee, das kommt nur vom Liegen. Haha: ich war recht so lustig aufgestanden, da tanzte mit einem Mal die ganze Stube um mich 'rum und ich fiel wieder aufs Bett.
Mutter Kröger: Das glaub ich.
Hans: Ja, die Bux' mußt ich mir im Sitzen anziehen.
Vater Kröger: Hat er sich auch warm angezogen?
Hans: Ach, is ja so warm heute!
Hermann: Fühlst du dich denn munter und frisch? (Faßt nach seinem Puls.)
Hans: Und ob!
Hermann: Wir wollen heut nachmittag 'n bißchen mit ihm spazieren fahren, was, Clara?
Clara: Mit Wonne!
Hermann: Clara ist nämlich jetzt meine Braut.
Hans: Na, das hab ich mir lange gedacht!
Hermann: Du Döskopp, wieso denn?
Hans: Hähä! Das soll man nu nicht merken! Du kriegtest ja immer 'n Tatterich, wenn von Clara die Rede war. Ich hab mir ja 'n Jux gemacht und immer von ihr gesprochen. Mir hat er den Puls gefühlt und er hatte das Fieber.
Die Andern (lachen).
Hans: Und Clara machte immer solche Nebelaugen, wenn von dir gesprochen wurde.
Clara: Du Schlingel! – Kann er schon Prügel vertragen?
Hermann: Reichlich!
Clara: Na – ich mag's nur nicht thun!
Hermann: Wo ist denn Goßler? 141
Die Andern (sich umblickend): – Goßler –?
Hermann: Weg! (Guckt durchs Fenster ins Haus.) Drinnen ist er auch nicht!
Vater Kröger: Wunderlicher Mensch!
Clara (ist etwas nach hinten gegangen und hat nach ihrem Hause geblickt, freudig): Hermann!
Hermann: Ja?
Clara: Papa ist aufgestanden! Komm, wir wollens ihm sagen. Weißt du, daß ich mich darauf fast noch mehr freue als über unser ganzes Glück? Verstehst du das?
Hermann (zieht ihre beiden Hände an seine Lippen): Das versteh ich sehr gut. Das Glück sieht im Spiegel noch schöner aus als in der Wirklichkeit. (Hat den Arm um seinen Vater gelegt und schüttelt ihn.) Besonders wenn der Spiegel so ein altes gutes Elternauge ist.
Clara: Also komm! (Sie springt voraus.)
Die Vorigen. Anna.
Anna (kommt mit einem großen Bouquet der schönsten Rosen): Herr Doktor – Fräulein, Fräulein!
Hermann und Clara: Na?
Anna: Hier is was gekommen!
Hermann: Rosen – (nimmt eine Karte heraus) von Goßler! Für dich!
Clara: Wunderschön! (Sie liest die Karte und lacht auf.)
Hermann: Was steht denn drauf? 142
Clara: »Ach sie haben
Einen guten Mann begraben,
Und mir war er mehr!«
Der Bösewicht! (Streckt Hermann gerührt die Hand hin.) Wir wollen ihm treu sein, nicht wahr?
Hermann: Treu wie uns selbst! (Beide stehen einen Augenblick nachdenklich.)
Clara: Jetzt komm!
Hermann und Clara (winkend): Auf Wiedersehen!!
Mutter Kröger, Vater Kröger und Hans (zurückwinkend): Auf Wiedersehen!
Der Vorhang fällt.