Otto Ernst
Jugend von heute
Otto Ernst

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1. Akt.

1. Scene.

(Rechts und links vom Zuschauer aus.)

Großes Zimmer zu ebener Erde bei Krögers. Durch die Flügelthür in der Mitte des Hintergrundes sowie durch die Fenster zu beiden Seiten dieser Thür sieht man den kleinen Garten und das an den Garten stoßende Haus, in dem Clara Hendrichs wohnt. Das Zimmer geht nach Westen; bei Beginn des Aktes liegt der Garten in hellem Sonnenschein, am Schlusse des Aktes beleuchtet dieser einen Teil des Zimmers. Eine Thür hinten rechts führt zur Küche, eine hinten links zum Flur und damit zu den Zimmern des oberen Stockwerks, eine vorn links zu den übrigen Räumlichkeiten des Erdgeschosses. Das Haus ist als eine ziemlich geräumige, zweistöckige Wohnstätte für eine größere Familie gedacht und etwa sechzig Jahre alt. Der ganze etwas altbürgerlich möblierte, ziemlich niedrige Raum macht den Eindruck größter Behaglichkeit. Ungefähr in der Mitte der Bühne, etwas näher dem Hintergrunde, ein langer, höchst appetitlich gedeckter Tisch mit Blumen und Rheinweinflaschen, vier Gedecken an der hinteren Längsseite und je einem an den beiden Schmalseiten. Im Vordergrunde links ein großer runder Tisch mit Sofa und Stühlen. – Es ist ein schöner Maitag.

Mutter Kröger (behäbige Frau, die letzte Hand an die Arbeit des Tischdeckens legend und von Zeit zu Zeit die Tafel wohlgefällig überblickend. Sie entdeckt einen Mangel, schüttelt den Kopf und rührt die Tischklingel).

Anna (dralles und nicht unhübsches Dienstmädchen, von rechts): Frau Kröger?

Mutter Kröger (gutmütig): Anna! Fünf Jahre dienen Sie nun schon bei uns, und noch vergessen Sie jeden zweiten Tag, die Plattmenage auf'n Tisch zu stellen! 2

Anna (gemütlich): Djä, das gewöhn' ich mir ja wohl auch nich mehr an. Das kommt aber bloß von die alten dummen Fegetariers, wo ich bei gedient hab. Die aßen kein Salz un kein Pfeffer un kein ganix.

Mutter Kröger: Na, nu machen Sie man schnell.

Anna (geschäftig): Ja, ja! (An der Thür stehen bleibend.) Frau Kröger, wenn der junge Herr Dokter da is, denn kann ich ihn ja auch gleich mal fragen wegen mein Stechen in die Seite. Diese Nach hab ich es wieder so furchbar gehabt.

Mutter Kröger: Ja, das thun Sie man.

Anna (geht ab, kommt aber sogleich wieder herein): Frau Kröger, was soll ich man noch bringen?

Mutter Kröger (immer gutmütig): Die Plattmenage, Anna!

Anna: Ach ja!! Ich bin so kurz von Gedanken – ich glaub, das hängt auch mit mein Seitenstechen zusammen. (Ab.)

 

2. Scene.

Mutter Kröger (holt von dem Fensterbrett hinten rechts eine schöne Azalie, um sie auf den Tisch zu setzen. Während sie sich diesem nähert, wird die Doppelthür zum Garten weit aufgerissen und Clara Hendrichs, die man schon durch den Garten kommen sah, erscheint, die beiden Flügel der Thür noch festhaltend, den Oberkörper vorbeugend. Sie trägt ein Hauskleid von künstlerischem Geschmack, ist ziemlich groß und von schlankem, edlem Wuchs; ihre Züge sind vornehm-energisch, aber durchaus weiblich und heiter).

Clara (noch in der Thür): Hurra Mutter Kröger! Heut kommt der Junge? 3

Mutter Kröger (zitternd): Deern, was bin ich erschrocken! Im Augenblick hätt' ich die Blume fallen lassen.

Clara (besorgt herzueilend): Um Gottes willen – die schöne Azalie! (Die Pflanze näher betrachtend, begeistert.) Du – die ist ja wundervoll geworden!

Mutter Kröger (stolz): Ja, das glaub ich! (Setzt die Pflanze auf den Eßtisch.) Mir hat aber auch noch nie 'ne Blume so viel Mühe gemacht wie die. Erst wollte das Ding gar nicht fortkommen, und da mit einemmal, bald nachdem unsre kleine Henny gestorben war, da fing sie an zu gedeihen. Das war ja wohl beinah, als wenn das Ding mich trösten wollte.

Clara (die Blume liebkosend, halb für sich): Köstlich! (In ihren anfänglichen Ton übergehend, Frau Kröger bei den Händen fassend und mit sich nach vorn und auf das Sofa ziehend): Na also: erst woll'n wir uns mal vernünftig guten Tag sagen: Guten Tag, Mutter Krögersch!

Mutter Kröger: Tag, mein' Deern! Wie geht's dir denn? Hast 'ne gute Reise gehabt?

Clara: Eine sehr gute. Aber das ist jetzt Nebensache. Laß erst mal hören – er kommt also, dein Staats-Junge! Wann kommt er denn!

Mutter Kröger: 12 Uhr 45.

Clara: Wer holt ihn denn ab?

Mutter Kröger (verlegen): Ab holt ihn eigentlich keiner.

Clara: Keiner?

Mutter Kröger: Nein. – Es sind ja nur 'n paar Minuten vom Bahnhof. Und dann –

Clara: Na? 4

Mutter Kröger: Dann hat er auch geschrieben, daß er's nicht gern möchte. Warum? das versteh ich eigentlich selbst nicht. Hier ist der Brief (holt ihn aus ihrer Kleidertasche hervor): Da steht nichts drin, was du nicht wissen darfst. Du kannst ihn gern lesen. (Giebt Clara den Brief.)

Clara (nachdem sie hineingesehen): Er bringt noch jemand mit?

Mutter Kröger: Ja, einen guten Freund. Wie heißt er noch?

Clara (lesend): Erich Goßler?

Mutter Kröger: Richtig: Goßler! (Mit herzlichem Ton): Ja, dem hat er ja so viel zu verdanken! Schreibt er das nicht? Lies doch mal vor!

Clara (lesend): »Ich weiß, Ihr habt nichts dagegen, wenn ich meinen genialen Freund Erich Goßler mitbringe und ein paar Wochen bei euch einlogiere. Ich lernte ihn vor einem halben Jahr hier kennen; er ist ein ganz hervorragender Kopf und der erste Mensch, mit dem ich mich hier ernstlich unterhalten und aussprechen konnte. Was verdanke ich ihm nicht alles: er hat meinem verspießbürgerten Denken eine ganz andere Richtung gegeben! Leider ist er hochgradig nervös und bedarf dringend der Erholung; Ihr gebt ihm wohl das schöne Zimmer im oberen Stock, das nach dem Garten hin; ich kann ja in dem kleinen nebenan schlafen.«

Mutter Kröger: Das ist alles schon besorgt. Wer meinem Jungen was Gutes thut, der soll sich bei mir nicht zu beklagen haben.

Clara (hat wieder in den Brief gesehen): Und seine Doktor-Dissertation hat er Euch gewidmet? 5

Mutter Kröger (geschäftig aufspringend, wichtig): Ja! (Eilt durch die Thür vorn links in die »beste Stube« und kommt sogleich wieder mit einer Broschüre, über die sie behutsam mit der Hand streicht und die sie dann, nachdem sie auch über die Tischdecke gestrichen hat, aufgeschlagen mit großem Bedacht vor Clara hinlegt): »Meinen lieben Eltern in Dankbarkeit gewidmet.« – Und denk mal, wie der Bengel gleich berühmt geworden ist!

Clara: Berühmt?

Mutter Kröger: Ja, Kind, hast du denn das nicht gelesen? Das stand doch sogar in der Zeitung.

Clara: Liebes Mutterchen, ich hatte in Paris so viel zu sehen und zu malen, daß ich wenig zum Zeitungslesen gekommen bin.

Mutter Kröger: Na, er hat also doch zu allererst herausgekriegt, woher das Scharlach eigentlich kommt. Das hat bis jetzt kein Mensch gewußt, und er hat das zuerst entdeckt.

Clara (lustig): Nun sieh doch mal an, was ans unserm kleinen dummen »Männe« geworden ist!

Mutter Kröger: »Dumm«? Wieso?

Clara: Ach, das war ja so köstlich an ihm, das weißt du wohl gar nicht so: er ließ sich ja alles vorschwatzen wenn man nur 'n recht ernstes Gesicht dazu machte. Ich weiß noch, wie wir ihm mal erzählten: Da oben im Baum, im Nest, da sitzt ein Vogel mit goldnen Flügeln, der fliegt alle Viertelstunde einmal aus und versteckt sich dann wieder in sein Nest. Er hat ja wohl wirklich 'ne Viertelstunde lang hinaufgestarrt! Ich war natürlich immer mit dabei, ihn zu necken, das kannst dir wohl denken. – Aber wenn ihn nachher alle auslachten, dann that er mir 6 wieder leid, und wenn die Prügelei losging, focht ich natürlich auf seiner Seite!

Mutter Kröger: Ja, ach ja, er war ja so gutmütig; er ließ alles mit sich aufstellen. Er glaubte noch mit 12 Jahren an den Weihnachtsmann. Da ist dagegen unser Hans, das ist 'n ganz andres Kind.

Clara: Und dabei hatten wir ja den unbändigsten Respekt vor ihm. Er wußte immer alles und hatte alles gelesen. Weißt du noch, wie er uns immer den ganzen »Fiesko« aus 'm Kopf deklamieren wollte?

Mutter Kröger: Ja ja ja, das soll ich nicht wissen! Sein Lehrer sagte mal zu mir: »Frau Kröger,« sagte er, »der Erste in der Klasse wird Ihr Junge nie, dazu ist er zu unaufmerksam; aber der Klügste bleibt er deshalb doch.«

Clara (lächelnd und Mutter Kröger bei den Schultern fassend): Na, damit kannst ja auch zufrieden sein, du stolze Mutter Kröger!

Mutter Kröger (schnell): Bin ich auch, Kind, bin ich auch! (Traulich.) Freust du dich denn auch 'n bißchen?

Clara (Mutter Kröger zärtlich schüttelnd, gerührt): Mutter – du alte gute Mutter Krögersch! Bist du mir nicht Mutter gewesen und ist dein Junge also nicht mein Bruder?

Mutter Kröger (bescheiden abwehrend): Na, das laß man, das laß man!

Clara: Ne, das laß man nicht! – Und wie fein sie sich gemacht hat, die Mutter Krögersch!

Mutter Kröger: Ach du, das ist nur mein altes Seidenkleid. Da hab' ich mir 'n neuen Einsatz hineinmachen lassen und die Ärmel enger machen lassen. Sieht es nun nicht noch ganz anständig aus? 7

Clara: Anständig? In dem Kleid verdrehst du allen jungen Männern die Köpfe!

Mutter Kröger (ihr einen Schlag gebend): Paß auf, du Unband!

Clara (heiter): Na, was schreibt er denn noch. (Nachdem sie gelesen.) Also bloß deshalb sollt ihr ihn nicht abholen, weil »die Empfangszeremonien, weil das Küssen und die Thränen auf dem Bahnhof und überhaupt alle Sentimentalität ihm zuwider« ist? – Komischer Kerl! Mit seinen Eltern kann er doch –

 

3 Scene.

Vater Kröger. Die Vorigen.

Vater Kröger (kommt hastig, mit kurzen Schritten vom Flur herein und legt Hut und Rock ab. Korpulenter, kurzhalsiger, etwas asthmatischer Herr von etwas süßlichem Wesen, besonders, wenn er fein und liebenswürdig sein will. Die mit Vorliebe gebrauchten lateinischen Citate betont er gewöhnlich falsch): Soo! Das hätten wir besorgt! – Sieh da, sieh da! Clara! Guten Tag, Mädchen! (Küßt sie auf die Stirn. Preziös, mit Verbeugung.) Gnädiges Fräulein sind schon wieder hübscher geworden. Ja, wirklich noch hübscher. (Küßt sie auf beide Wangen.) Wie ist's denn in Paris gegangen, gut?

Clara: Brillant.

Vater Kröger: Na. Viele Aufträge mitgebracht?

Clara: Massenhaft.

Vater Kröger: Na, das ist ja prachtvoll. Dann kannst du deinen alten Papa ja noch 'n bißchen mehr verhätscheln, als du's so schon thust.

Clara (übermütig vergnügt die Hände reibend): Fein! Will ich auch, thu ich auch! 'ne feine Brille kauf ich ihm, so 8 eine mit den neuen Gläsern, damit darf er wieder 'n bißchen lesen, hat der Arzt gesagt, und dann kauf ich ihm alle Bücher, die er haben will. Junge, was 'n Leben!

Vater Kröger: Hähähähä – hähähähä! Jaja. Wer so 'ne Tochter hat, der kann wohl lachen!

Clara: Na? Und wer solch einen Sohn hat?

Vater Kröger: Ja richtig (setzt sich) ich wollte ja also –

Mutter Kröger (die schon Zeichen von Ungeduld gegeben hat): Jaja, was hat der Stadtrat gesagt –?

Vater Kröger: Man immer sachte! (Mit Vorsicht.) Féstina lente (Mit selbstgefälligem Lächeln gegen Clara wiederholend:) Féstina lente – Also der Herr Stadtrat empfing mich in seinem Arbeitszimmer, ja. Er war gerade beim Frühstück, ja. Ich machte natürlich meine Verbeugung und er gab mir die Hand und sagte: »Guten Tag, lieber Herr Kröger, womit kann ich Ihnen dienen?« ja: »womit kann ich Ihnen dienen?« – er sprach überhaupt wie 'n ganz gewöhnlicher, einfacher Mann mit mir, ja. Er kennt mich wahrscheinlich schon. Na, nun sagt ich ihm also, daß wir gehört hätten, daß am Allgemeinen Krankenhaus 'n neuer Assistenzarzt angestellt werden sollte, und daß wir da gern unsern Hermann heran haben möchten. Ich sagte das natürlich nicht so einfach und geradezu, sondern ich kleidete das so 'n bißchen diplomatisch ein, versteht ihr? Bei solchen Leuten muß man immer diplomatisch sein. Fortíter in re, suavíter in modo – hähähä! Na, er meinte also: »Ihr Herr Sohn hat ja schon Beweise von seiner großen Tüchtigkeit gegeben« – ja, das wußte er – »aber er muß sich beeilen; die Stelle soll übermorgen besetzt werden; Ihr Herr Sohn müßte sich also noch heute oder 9 spätestens morgen bei mir und den übrigen Mitgliedern des Kuratoriums vorstellen und seine Approbation vorlegen. Ja, (wohlgefällig) seine Approbation vorlegen, und dann wird wohl nichts im Wege sein

Mutter Kröger: Ach, das wäre ja sehr schön!

Vater Kröger: Ja, er sprach wie 'n ganz gewöhnlicher, einfacher Mann mit mir. Er war grade beim Frühstück! »Ich frühstücke immer im Arbeitszimmer,« sagte er. Gab mir die Hand und sagte: »Guten Tag, lieber Herr Kröger, womit kann ich Ihnen dienen? Ja. Er kannte mich jedenfalls schon. (Zu Clara.) Du mußt nämlich wissen, ich hab' schon vordem mit dem Medizinalrat Bröcker gesprochen. Der meinte, in der Stellung hätte unser Junge viel Gelegenheit, sich zu vervollkommnen, und dann wär' das immer eine gute Empfehlung für die spätere Praxis.

Clara: Nun, dann können Sie ja Ihren Hermann gleich in ein Amt hineinsetzen –

Mutter Kröger und Vater Kröger: Ja!

Clara: Das glaub ich! So leicht wird's nicht allen. Übrigens muß er gleich kommen, und darum will ich verschwinden.

Mutter Kröger: Aber warum denn? Du bleibst natürlich –

Clara (ängstlich): Nein nein nein, Muttchen – in die erste Begegnung von Verwandten gehört ein Fremder nicht hinein.

Mutter Kröger: Nu hör doch einer die alberne Deern! 'n »Fremder«! Du bleibst, sag ich – 10

Clara: Nein nein, Mutter Krögersch, is nich, wird nichts draus! Ich muß auch für Väterchen sorgen, damit er was zu essen kriegt. Ich komm nachher mal herüber.

Vater Kröger: Aber ihr könnt doch beide hier essen (zu Mutter Kröger): Du hast ja jedenfalls Essen genug –?

Mutter Kröger: Reichlich, reichlich! Ich habe überhaupt schon für dich mit gedeckt.

Clara: Nein Muttchen, du weißt ja, Väterchen weicht nicht gern von seiner Gewohnheit ab. Und dann hat er sich Maccaroni gewünscht, und die muß ich ihm machen. (Mit pathetisch-graziöser Schelmerei zu Vater Kröger.) Fiant Maccaroni et pereat mundus!

Vater Kröger (entzückt lächelnd): Sehr gut, sehr gut.

(Sie verschwindet lachend im Garten.)

 

4. Scene.

Vater Kröger, Mutter Kröger, dann Hans.

Vater Kröger (als Clara sich entfernt hat, eifrig zu Mutter Kröger): Was sagte sie zuletzt? Fiant - Fiant -

Mutter Kröger: Na, das soll ich wissen? (Sie hat einen Blick auf den Eßtisch geworfen und klingelt.)

Vater Kröger (für sich): Muß doch mal nachschlagen.

Anna: Frau Kröger –?

Mutter Kröger (gemächlich): Na, Anna, wo ist nun die Plattmenage?

Anna (heftig erschrocken): Ach –!!! (Schnell ab. Gleichzeitig kommt vom Flur Hans herein, wirft die Sekundanermütze auf einen Stuhl und fährt sich langsam durchs Haar. Katzenjämmerliches Aussehen. Er hat die etwas jungenhaft selbstbewußten Manieren seines Alters. Hübscher Bengel. – Vater Kröger ist ans linke Fenster des Hintergrundes getreten und sieht erwartungsvoll hinaus.) 11

Mutter Kröger (mit mildem Vorwurf): Naa? Sieht man dich auch mal? Wo bist du denn so lange gewesen?

Hans (beleidigt-verwundert): Ich?! Spazieren!

Anna (bringt die Plattmenage): So! (Ab.)

Mutter Kröger: Aha! den Kater spazieren geführt. (Liebevoll.) Das will ich dir mal sagen, mein Junge: mit deinen Klassenkneipen hab ich nicht viel im Sinn. Wie siehst du nun wieder blaß aus! Dazu bist du noch viel zu jung –

Hans (heftig, aber nicht frech): Achott –! Was du schon wieder hast –! Ich muß mich doch ausleben!

Mutter Kröger: Ja ja, mein Junge, dazu hast du aber doch noch 'ne Masse Zeit! Sieh mal, dein Bruder –

Hans: Natürlich: mein Bruder, mein Bruder! das 's doch 'ne ganz andere Individualität als ich!

Mutter Kröger: Ja ja, das kann ja sein; ich mein auch nur, du sollst nicht so viel trinken –

Hans: Ich trink ja gar nicht viel. Und überhaupt – die großen Männer haben auch alle gekneipt. Sieh mal Goethe –

Mutter Kröger: Jaa, mein Junge, wenn du erst mal 'n Goethe bist, dann kannst du mein'twegen kneipen, soviel du willst.

Vater Kröger (hastig): Sie kommen! (Er tritt schnell vor den Spiegel links, sieht an sich herunter, räuspert sich und geht in steifer Haltung hinaus. Mutter Kröger nimmt schnell ihre Schürze ab und folgt ihm.)

Hans (bleibt zurück und mustert angelegentlich die Tafel, indem er die Kompott- und Salatschüsseln näher beäugt, die Weinflaschen in die Hand nimmt und mit selbstgläubiger Kennermiene betrachtet. Man hört Tritte, Scharren und Begrüßungsworte vom Flur her). 12

Vater Kröger (hinter der Scene, devot): Bitte den Koffer! Das Mädchen soll ihn sogleich hinauftragen! Bitte bitte! Bitte gütigst einzutreten! Bitte sehr!

 

5. Scene.

Vater Kröger, Mutter Kröger, Hans, Hermann, Erich, Egon.

(Es treten nacheinander auf Erich Goßler (elegant, etwas gigerlhaft gekleidet, schlank, gelblich-blasse Gesichtsfarbe, dunkle Augen, tief dunkelblonder Schnurr- und Spitzbart, sorgfältig frisiertes Haar, gelbe Handschuhe, schmale, weiße Hände mit sehr langen Nägeln, an der rechten Hand ein Ring mit großem Rubin, höchst »patentes«, blasiert-aristokratisches Auftreten. Seine Höflichkeit ist von jener Art, die einen Abstand ausdrücklich zu betonen und aufrecht zu erhalten strebt). Egon Wolf (kleiner, hagerer Mensch mit verbissenem Gesicht, posiert-finsterem Napoleonsblick und ungeheurem, struppigem Haarwald; unrasiert, Schnurrbart, nachlässige Wäsche, Stehkragen mit Bindeschlips, der sich aber gelöst hat und in zwei langen Enden herunterhängt, neuer, aber schlecht sitzender Anzug von dickem, gestreiftem Stoff, alter, schäbiger Winterhavelock, desgleichen Castorhut. Er pflegt alle, mit denen er spricht, Erich ausgenommen, mit halbgeschlossenen Lidern zu messen, als wären sie eigentlich zu unbedeutend, als daß er mit ihnen reden könne). Hermann Kröger (im ganzen gesundes Aussehen, wohlgenährt, aber etwas müde und schwer in seinem Auftreten, dunkelblondes Haar und Schnurrbart, einfach und anständig gekleidet, schwarzer Anzug, hellgrauer Havelock ohne Ärmel, kleiner, weicher Hut, braune Handschuhe. Unter dem beständigen Eindruck des Gegensatzes zwischen seinen Begleitern und seinen Angehörigen zeigt er während des ganzen Aktes ein etwas befangenes Benehmen. In Momenten großer Erregung stottert er in ganz geringem Maße, infolge sich überstürzender Vorstellungsfülle).

Hermann: Sieh, da ist ja auch Hans. Tag, mein Junge. (Giebt ihm die Hand, vorstellend.) Mein Bruder Hans – Herr Goßler – Herr Wolf.

Erich: Sehr erfreut.

Egon (stößt einen kurzen, unartikulierten Laut aus, indem er Hans kaum mit einem Blick streift, wirft dann seinen Havelock über die Sofalehne, legt seinen Hut darauf und fährt sich durchs Haar).

Hermann (noch bei Hans stehend): Aber du siehst ja blaß aus, Junge. Fehlt dir was?

Hans: Nö! 13

Hermann (zu seinen Eltern): Es kommt mir vor, als wenn er seit Weihnachten wieder gewachsen wäre.

Mutter Kröger: Ist er auch –

Hermann: Ja, Muttchen, ich habe dir noch einen Gast mitgebracht – (Wolf heranziehend.) Du hast ja doch noch Raum –

Mutter Kröger: Gewiß mein Junge, gewiß!

Hermann: Herr Wolf ist ein Freund meines Goßler, also auch mein Freund; er will uns ein paar Tage schenken, hoffentlich nicht allzu wenige.

Mutter Kröger (freundlich die Hand hinstreckend): Herzlich willkommen, Herr Wolf! Es freut mich, daß Sie uns auch beehren.

Egon (nickt sehr schnell, kaum merklich mit dem Kopf, giebt lässig die Hand, mit verbissenem Grinsen): Jetzt muß ich ja wohl so was Ähnliches sagen, nich?

Hermann (verlegen lächelnd, schnell): Nein, das haben Sie nicht nötig, lieber Herr Wolf; thun Sie sich nicht den geringsten Zwang an!

Mutter Kröger: Ja, nun wollen sich die Herren gewiß 'n bißchen von der Reise erfrischen, (zu Hans:) Junge, mach dich nützlich und führ' die Herren hinauf! Oben ist alles in Ordnung. (Klingelt dem Dienstmädchen.)

Hans (nimmt Wolfs Überzieher und Hut): Darf ich bitten? (Geht mit Wolf hinaus.)

Anna (tritt auf).

Hermann: Und da ist ja auch die Anna! Tag, Anna. Na, Ihnen geht's gut, das sieht man.

Anna: Ach nee, das 's man allens äußerlich! Ich hab' immer so'n Seitenstechen, un denn is mein Gedächnis so furchtbar schwach! 14

Hermann. Jaja, der Schatz ist Soldat, das thut's! Wo steht der denn eigentlich?

Anna: Grenadierregiment Graf Kleist von Nollendorf (Erstes Westpreußisches) Numero Sechs, 3. Kompanie in Posen.

Hermann: Na, so furchtbar schlecht find' ich Ihr Gedächtnis garnicht.

Mutter Kröger: Na, nu hör'n Sie Anna – (giebt ihr leise einen Auftrag, das Mädchen nach links ab).

Hermann (holt Erich heran der sich bis dahin in lässiger Haltung mit dem sich oft und devot verbeugenden Herrn Kröger unterhalten hat): Ja, Muttchen, und das ist also mein Goßler, den mußt du mir behandeln wie ein rohes Ei –

Erich (empfindlich): Oh bitte – ich möchte nicht die geringste Mühe verursachen!

Mutter Kröger: Na, das lassen Sie man meine Sorge sein, Herr Doktor. Mein Hermann hat mir geschrieben, wie viel Sie für ihn gethan haben –

Erich (wehmütig): Gnädige Frau, dann hat Ihr Herr Sohn etwas recht Thörichtes geschrieben: ich thue nichts für andere.

Mutter Kröger: Na, das sagen Sie man so, Herr Doktor –

Erich (nervös und entschieden, aber nicht unhöflich): Nein, das meine ich! – Und dann – (milde) bitte, gnädige Frau, nennen Sie mich nicht »Doktor« – ich halte das nicht aus –

Mutter Kröger (verwirrt): Jawohl – Herr – Herr Goßler – wie Sie wollen –

Erich (mit förmlicher Verbeugung): Auf Wiedersehen!

Vater Kröger (der an der Thür gewartet hat): Darf ich bitten? (Geht mit Erich hinaus.) 15

 

6. Scene.

Mutter Kröger und Hermann. Später Anna.

Mutter Kröger (die dem Abgehenden etwas verwundert nachgesehen hat): Na, Junge, krieg ich denn nun endlich meinen Kuß? Das ist ja, als wenn du gar nicht mein Kind wärst!

Hermann: Tag, Mutter. (Küßt sie.)

Mutter Kröger: Was ist das mit dir? So ganz gefällst du mir nicht. Sonst stelltest du immer die ganze Bude auf 'n Kopf, wenn du nach Hause kamst –

Hermann: Na – wenn Fremde dabei sind –

Mutter Kröger: Nein, das ist es nicht.

Hermann: Gott, es mag ja sein: ich bin etwas überarbeitet – 'n bißchen nervös.

Mutter Kröger: Na, mein Junge, hier wirst du dich schon wieder erholen. Du mußt nun freilich bei Hans in der Kammer oben schlafen; auf zwei Gäste hatt' ich ja nicht gerechnet –

Hermann: Genügt vollkommen für mich, Muttchen, vollkommen! (Kleine Pause.)

Mutter Kröger: Du – dein Freund, der Herr Goßler, ist wohl sehr nervös, wie?

Hermann: Ja, nervös und – na, er leidet eben am Leben, wie wir alle.

Mutter Kröger (verwundert): Woran leidet er?

Hermann. Am Leben! Na, Muttchen, das verstehst du wohl nicht.

Mutter Kröger (stutzig): Nee – – das versteh ich nicht.

Hermann: Na, er bleibt eben nicht an der Oberfläche 16 des Lebens haften, und wer das nicht thut, der findet es bekanntlich gräßlich, roh, widerwärtig –

Mutter Kröger: Und das meinst du auch?

Hermann: Ja. Aber laß das. Es hat keinen Sinn, daß wir darüber reden. – (Im veränderten Tone.) Essen wir bald? Ich hab einen Bärenhunger.

Mutter Kröger (vergnügt): Na siehst du, wenn du man noch Appetit hast – es ist alles fertig. Sowie die Herren herunterkommen – Da kommen Sie schon – (Will nach der Küche abgehen.)

Hermann: Ja – was ich dir noch sagen wollte – den kleinen Wolf, den pfleg nur besonders gut; der arme Teufel hat mitunter wochenlang kein Mittagessen –

Mutter Kröger: Gott, der arme Mensch. Wie kommt er denn bloß durch?

Hermann: In letzter Zeit hat sich Goßler über ihn erbarmt.

Mutter Kröger: So. Na, bei mir verhungert keiner, das weißt du ja.

Anna (von links).

Mutter Kröger: Na Anna, ist alles in Ordnung?

Anna: Ja. (Herausplatzend.) Das sind aber komische Menschen!

Mutter Kröger: Pst! – Kommen Sie, Anna!

(Anna ab in die Küche.)

Mutter Kröger (kehrt nochmals um): Richtig, Vater hat noch 'ne angenehme Nachricht für dich.

Hermann: Eine angenehme Nachricht?

Mutter Kröger (vergnügt): Ja, ich darf nichts verraten, das nimmt er mir übel. (Schnell ab.) 17

 

7. Scene.

Erich und Vater Kröger, Egon und Hans treten paarweise auf. Hermann.

Erich (zu Vater Kröger, indem sie nach vorn kommen): Ja, – sehen Sie – verehrter Herr – ich kümmere mich nicht um Politik und lese keine Zeitungen – Sie müssen sich deutlicher erklären – ich verstehe Sie nicht!

Vater Kröger: Na, ich meine also: Wenn die Wahlen für die Regierung günstig ausfallen, dann kriegen wir doch 'n Umsturzgesetz und 'n klerikales Schulgesetz.

Erich: Ja? Und dann?

Vater Kröger: Na, dann bekommen doch die Geistlichen die Herrschaft über die Schule.

Erich: Ja? Und?

Vater Kröger: Na, das ist doch im Interesse der Volksbildung –

Erich (sanft): Pardon! Ich verstehe Sie nicht. Was hat denn die Schule mit der Volksbildung zu thun?

Vater Kröger (verblüfft): Na, wenn die Kinder nichts lernen?

Erich (immer verbindlich): Aber vom Lernen wird man doch nicht gebildet!

Hans: Sehr richtig!

Vater Kröger (verwirrt): Vom Lernen – nein! Aber (immer verwirrter) – wenn die Wahlen günstig für die Regierung ausfallen – dann – das ist doch im Interesse der Aufklärung – und der Freiheit –

Erich: Ja – Pardon – ich bitte wirklich 18 tausendmal um Verzeihung – aber ich kann Ihnen nicht folgen; ich weiß nicht, was das ist: »Aufklärung« und »Freiheit«.

Hermann (aushelfend): Nun, mein Vater ist überzeugter Liberaler und hat eben die liberalen Anschauungen von Aufklärung und Freiheit.

Erich: Ja, aber überlassen wir doch diese inferioren Begriffe den Parteiköpfen! (Kurz auflachend.) Es ist so furchtbar komisch, sich darüber zu ereifern. Überlassen wir das doch der Unterklasse, Herr Kröger! Das ist ein Pläsier für die Halbgebildeten.

Vater Kröger (geschmeichelt): Ja ja – allerdings –

Erich: Wer ist denn aufgeklärt? Wer will denn aufgeklärt sein? Jeder möchte doch gern sein bißchen Dummheit behalten.

Vater Kröger (lachend): Ja ja ja!

Erich: Ob Caprivi regiert – ich weiß nicht mal: ist er noch an der Regierung, oder –

Vater Kröger: Nein, nein.

Erich: Na ist ja auch ganz gleichgültig. Meinetwegen kann der Dalai-Lama bei uns regieren. Ich bin frei. Was kümmern mich die andern? Ich kann sie doch nicht frei machen?

Vater Kröger: Nein – das wohl nicht – aber wenigstens muß doch die Wissenschaft –

Erich (komisch nervös): Ach Gott, nu kommen Sie auch noch mit der Wissenschaft! Wo giebt's denn so was? Ich weiß von keiner Wissenschaft. Das sind doch auch nur Einbildungen von 'n paar hochmütigen Schulmeistern – die selbst gern Tyrannen wären.

Hans: Sehr gut! 19

Hermann (freundlich): Du mußt nicht immer mitreden, Hans.

Hans (beleidigt): Wieso?

Erich (ohne merklichen Hohn). Warum soll er nicht mitreden? (Begreifend:) Ach so – der junge Mann wird wohl »erzogen«?

Hans: Ja! – Dummer Kram! – Immer wird an einem herumgeschulmeistert. In der Schule auch!

Egon (der die Reden Vater Krögers mit einem überlegen ironischen Grinsen begleitet hat): Sie besuchen noch das Gymnasium?

Hans: Ja.

Egon: Na, das 's wohl noch immer derselbe Quatsch wie früher, he?

Hans: Natürlich. Pauken nach der Schwierigkeit. Aber wenn einer sich frei entwickeln möchte, nach seiner Individualität – das giebt's nicht. Das Neuste ist, daß der Alte uns das Klassenkneipen verboten hat.

Egon: Warum bleiben Sie denn da?

Hans: Man muß doch sein Examen machen!

Egon: Wieso denn? Ich hab auch kein Examen gemacht!

 

8. Scene.

Die Vorigen. Mutter Kröger, Anna stellt die Suppenterrine auf den Tisch.

Mutter Kröger. Sooo – jetzt kann's losgehen. Herr Goßler, wollen Sie bitte neben meinem Mann Platz nehmen? Und Herr Wolf bitte hier bei mir? Hermann setzt sich neben Herrn Goßler und Hans da ans Ende. (Man nimmt Platz in folgender Ordnung): 20

(Mutter Kröger füllt die Suppe auf; Anna reicht ihr die leeren Teller und nimmt ihr die gefüllten ab. Egon beginnt sofort, sehr schnell die Suppe zu schlürfen.)

Erich: Ach gnädige Frau, ich habe noch eine Bitte – – fall ich Ihnen auch nicht lästig –?

Mutter Kröger: Bitte bitte, Herr Goßler!

Erich (leidend): Es riecht da oben in meinem Zimmer nach Kölnischem Wasser – das ist mir furchtbar (schnell) – verzeihen Sie! – Ich – könnte so nicht darin bleiben –

Mutter Kröger: Anna soll nachher gleich hinaufgehen und lüften –

Erich: Ach ja, das wäre sehr gütig von Ihnen, tausend Dank. Ich werde dann selbst das Zimmer parfümieren –

Mutter Kröger: Schöön! Ganz wie Sie wollen, Herr Goßler. [Machen Sie sich's nur so gemütlich wie möglich.

Erich (leis ironisch): Die »Gemütlichkeit« kommt bei mir weniger in Frage.

Mutter Kröger (verblüfft): Nein? Haben Sie's denn lieber ungemütlich?

Erich: Unter Umständen – allerdings.

Mutter Kröger: Was meinst du dazu, Hermann? Du hast es lieber gemütlich, was?

Hermann: Ja – Muttchen – Wir modernen 21 Menschen betrachten die »Gemütlichkeit« etwas argwöhnisch; sie wird so leicht spießbürgerlich – stickig – muffig –

Mutter Kröger (nachdenklich): Ja – das mag ja wohl sein – (verändert):] Aber nu woll'n wir die Suppe nicht kalt werden lassen.

Vater Kröger (schnell): Ja! ja! Gesegnete Mahlzeit, meine Herrschaften.

Hermann, Hans und Mutter Kröger: Mahlzeit!

Egon (ist bereits mit seiner Suppe fertig und lehnt sich zurück).

Mutter Kröger: Sehn Sie, Herr Wolf? Sie sind vernünftig gewesen! Nehmen Sie noch'n bißchen?

Egon: Öh. (Giebt seinen Teller hin.)

(Kurze Pause, während welcher Vater Kröger für die Rechts-, Hermann für die Linkssitzenden Rheinwein in die Gläser gießen.)

Hermann (während er eingießt): Was giebt's denn jetzt hier an Kunst, die man einem anständigen Menschen zeigen kann?

Vater Kröger (wichtig): Kunst!? – Jaaa?! Na laß 'mal sehn, also: im Stadttheater geben sie heute, glaub' ich, »Wallenstein«.

Erich (aufmerksam): »Wallenstein«??

Vater Kröger: Ja.

Erich: – Haben Sie gehört, Wolf?

Egon (kurzes, höhnisches Auflachen): Hi.

Erich. Ja, wie ist denn das – – Geh'n denn da auch Leute hin?

Vater Kröger: O gewiß.

Erich (sanft): Das versteh' ich nicht. Kann man denn das noch sehen? 22

Vater Kröger: Ach ja, das können Sie noch oft sehen!

Erich: Danke, so mein' ich es nicht. Hält denn das noch 'n Mensch aus?

Vater Kröger: Na – es ist doch der »Wallenstein« von Schiller!

Erich: Ja, eben deswegen.

Vater Kröger: Na, Schiller ist doch –

Erich (überlegen-vergnügt): Fragen Sie 'mal Herrn Wolf, was er von Schiller denkt. Er schreibt gerade 'n Buch über Schiller.

Vater Kröger (sich zu Egon wendend, ehrfurchtsvoll): Ja?

Egon (mit einem Stück Semmel im Munde): Blechkopp!

Vater Kröger (verdutzt): Wie? – Wer ist –

Egon: Schiller! – 'n Blechkopp!

Hermann (auflachend): Na, hören Sie – lieber Herr Wolf! Giebt es dagegen keine Berufung?

Egon: Nee – für mich 'n Idiot!

Hermann: Na, erlauben Sie – für mich ist Schiller gewiß nicht das Höchste in der Dichtung – aber er bleibt doch zum mindesten eine geistige Kraft, von der man mit Respekt spricht.

Erich (hart): Ja, für deine Verhältnisse mag er ja eine Respektsperson sein.

Hermann (errötend, verlegen): Wieso?

Erich (heftig): Achch –! Man sieht eben immer wieder, daß du noch im dicksten Spießbürgertum steckst –

Hermann (wie oben): Ja, aber wieso –

Erich: Ach, da kann doch 'n moderner Mensch überhaupt nicht streiten! Da fehlt doch jeder gemeinsame Boden! Ich verzichte. (Pause.) 23

Hans: Haben Sie auch sonst schon Bücher geschrieben, Herr Wolf?

Egon (kauend, höhnisch): Was sollt' ich denn sonst gethan haben?

Hans: Die möcht' ich zu gern 'mal lesen!

Egon: Ich werde Ihnen nachher meine sämtlichen Schriften herunterholen.

Hans: Ich werde sie verschlingen!

Mutter Kröger (rührt die Tischklingel): Hans, mein Junge, verschling lieber deine Suppe – und dann gieb mir 'mal die Teller her!

Hans (tief empört, murmelt etwas vor sich hin, bringt aber die leeren Suppenteller vom linken Tischende, die Mutter Kröger dann mit den anderen zu einem Stapel zusammenstellt).

Anna (kommt, trägt die Teller fort und erscheint gleich darauf mit einer langen Schüssel, auf welcher Fleischschnitten und Gemüse liegen. Mutter Kröger revidiert die Schüssel, nickt befriedigt und Anna servier hierauf. Das Gespräch geht während dessen weiter. Im Verlaufe des Essens erscheint Anna ab und zu mit einer neuen Schüssel).

Erich (nach einer kleinen Pause): Nein, ich möchte – es giebt hier doch jedenfalls Matrosenkneipen, wie?

Hans (lebhaft): Natürlich – und wie!

Erich: Na ja, in so eine richtige Matrosenkneipe möchte ich mal –

Vater Kröger: In – eine – Matrosenkneipe?

Erich: Ja.

Vater Kröger: Ja – das ist aber – mitunter nicht ganz ungefährlich – da ist erst vor drei, vier Tagen wieder 'n Mord passiert.

Erich: Na ja, solche Menschen will ich ja 24 gerade sehen – Willensmenschen – brutale Instinktmenschen –

Vater Kröger: Ach so, Sie wollen Studien machen –

Erich (verächtlich lächelnd): Nein, »Studien« will ich nicht machen! Ich will mich freuen – genießen will ich – so ein Mörder ist doch eine Wohlthat!

Hans (begeistert): Ja! So wie in la bête humaine von Zola! (Wichtig thuend zu Erich): Könnten Sie einen ermorden?

Mutter Kröger: Hans!! Junge!! Was redest du da für dummes Zeug! Sie müssen dem Bengel das nicht übelnehmen, Herr Goßler, er hält das alles für Ernst.

Erich (lächelnd): Ja – gnädige Frau – das ist allerdings mein Ernst.

Vater Kröger (schüchtern): Hm – dann versteh ich Sie leider nicht ganz –

Hermann (einspringend): Na Vater, Herr Goßler meint das eben so: Wir Kulturmenschen sind doch durch tausenderlei Gesetze – und Rücksichten – und Meinungen – und Heucheleien so kraft- und willenlos geworden, daß es – wirklich 'ne Wohlthat ist, mal einen Menschen zu sehen, aus dem so die ungebändigte Tiernatur hervorbricht. (Scherzend.) Aber du brauchst dich deshalb nicht zu graul'n: Herr Goßler bringt keinen um.

Erich (lässig): Du mußt es freilich wissen! – Trinken wir! Prost!

Mutter Kröger (reicht Egon zum zweitenmale die Schüssel): Hier hab ich noch so ein recht schönes Stückchen.

Egon (kauend): Nachher! (Sich schnell eines Besseren besinnend.) Na! (Nimmt es.) 25

 

9. Scene.

Clara. Die Vorigen.

Clara (ist unterdessen hinter der Glasthür erschienen. Mutter Kröger bemerkt sie, erhebt sich halb von ihrem Stuhl, wird aber durch energisches Winken Claras veranlaßt, sich wieder zu setzen. Sie tritt geräuschlos ein. Jetzt bemerkt Hans sie; sie bedeutet ihm ebenfalls, sich nichts merken zu lassen und tritt hinter Hermanns Stuhl).

Hermann: Wie geht's denn eigentlich Clara Hendrichs?

Clara (in tiefem Ton): Famos!

Hermann (im Aufspringen sich umdrehend): Alle Wett – da bist du ja – (sie mit Bewunderung betrachtend) Tausend! Bist du aber chic geworden –

Clara (entrüstet thuend): Na, bin ich das nicht immer gewesen –?

Hermann (sie stumm betrachtend): Nein! (dann sich besinnend): Das heißt – ich meine: so nicht wie jetzt –. Darf ich vorstellen: meine Freunde Herr Goßler und Herr Wolf aus Berlin – Fräulein Hendrichs.

Erich (ist sofort beim Gewahrwerden Claras aufgestanden und macht jetzt eine korrekte Verbeugung).

Egon (erhebt sich erst bei der Vorstellung, macht eine schiefe Verbeugung nach der Seite und setzt sich wieder).

Clara: O, ich bitte um Verzeihung – lassen Sie sich nicht stören. –

Hermann (holt einen Stuhl): Hier – da hast du einen Stuhl, nun ißt du 'n bißchen mit –

Clara (setzt sich an die rechte Seite Hermanns).

Erich (setzt sich jetzt auch wieder).

Clara: Nein, danke, ich habe gegessen. 26

Hermann: Aber 'n Glas Wein trinkst du mit mir.

Clara: Das läßt sich hören.

Hermann: Weißt du auch, daß wir uns in zwei, drei Jahren nicht gesehen haben?

Clara: Weiß schon. Zweiund'nhalb Jahr sind's genau.

Hermann: Nun, du bist also jetzt eine riesig berühmte Künstlerin. Hab' da neulich eine Kritik gelesen, alle Wetter! (Mit scherzendem Pathos): »Ihre Blumen sind Individuen!« und »Sie malt die ganze Sonne mit hinein!« u. s. w. u. s. w.

Clara: Na ja, das braucht ja nicht alles wahr zu sein. Aber du (ebenso pathetisch): Dr. Hermann Kröger, der Scharlachtöter!

Hermann: Wieso! Da sieht man wieder den Laien! Ich hab' den betreffenden Herrn Bazill entdeckt – oder bilde mir's ein – aber das geniert doch den Bazillus nicht. Oder weißt du 'n Mittel?

Clara: Nein, aber ich denke mir, es muß dir nun keine Ruhe lassen, bis du auch das Mittel findest.

Hermann: Ach du lieber Himmel. Ich hab 'ne Zeitlang weitergearbeitet: ja; aber es interessiert mich absolut nicht mehr; 'n Menschenleben hat in meinen Augen wirklich so wenig Wert –

Clara: Na, das sind ja nette Aussichten für deine Patienten!

Hermann: Patienten? Ich denke gar nicht an Patienten!

Mutter Kröger, Clara: Du denkst nicht an Patienten?

Vater Kröger (beugt sich vor und starrt Hermann an). 27

Hermann: Nein. Ich werde vorläufig keine Praxis gründen – wahrscheinlich überhaupt nicht.

Clara: Was willst du denn betreiben?

Hermann: »Betreiben«, »betreiben«! Muß denn der Mensch immer was »betreiben«?

Clara: Na, er muß doch einen Beruf haben!

Erich (spöttisch): Muß er, gnädiges Fräulein –pardon!

Clara: Ja, muß er nicht?

Erich: Der gute Lessing hat in seinem Leben einen guten Gedanken gehabt, der heißt: »Kein Mensch muß müssen«.

Clara: Ja, was willst du denn alle Tage thun?

Hermann: Leben will ich. Genießen – vegetieren – vielleicht auch mal arbeiten – je nachdem. Frei sein will ich vor allen Dingen. Mir selbst gehören. Mein Eigener sein. Das kann man doch nicht, wenn man einen »Beruf« hat!

Mutter Kröger (triumphierend): Na, mein Junge, wenn du erst weißt, was dein Vater für dich hat –

Vater Kröger (wichtig, aufstehend, gleichsam in Rednerpositur): Ja, mein lieber Hermann, du weißt ja also natürlich noch nicht, daß ich beim Stadtrat gewesen bin. Ich bin also beim Herrn Stadtrat Teichmann gewesen und habe das also erreicht, daß du ziemlich bestimmt Assistenzarzt am Allgemeinen Krankenhause wirst. Du sollst dich also heute oder morgen den Herren vom Curatorium vorstellen, und dann –

Hermann: Beamter? Beamter soll ich werden? (Aufstehend.) Nein danke – das nun schon garnicht! Um Gottes willen! 28

Vater Kröger: Ja aber –

Mutter Kröger (aufstehend): Gesegnete Mahlzeit, meine Herrschaften.

Die Übrigen (erheben sich gleichfalls und kommen nach vorn).

Vater Kröger: Ja, sieh mal, Hermann, du mußt doch – eine Stellung –

Hermann (macht eine Geberde, als ob er sich gequält fühle).

Vater Kröger (dessen nicht gewahr werdend): Geld verdienen ist doch schließlich die Hauptsache –

Mutter Kröger: Na, laß' ihn man jetzt – er überlegt sich das noch.

Hermann: Nein Mutter –

Mutter Kröger: Na, wir können ja noch immer darüber sprechen. Heute sollst du dich vor allen Dingen gemütlich fühlen, mein Junge. 'n bißchen schönen Kaffee jetzt, nich?

Hermann: Ja, Kaffee – und eine ordentliche Zigarre –

Mutter Kröger (geht mit der hinzukommenden)

Anna (daran, den Tisch abzuräumen. Nachdem sie ihn abgeräumt haben, lassen sie die Klappen zu beiden Seiten herunter und Mutter Kröger legt die gewöhnlichen Decken wieder darauf. Dann beide ab in die Küche).

Vater Kröger (während dessen eilig eine Kiste mit Zigarren holend): Ja ja – hier. (Die Kiste Erich präsentierend). Gefällig?

Erich: Ich danke verbindlichst; ich darf nur meine Sorte von Zigaretten rauchen.

Vater Kröger (präsentiert Egon die Kiste): Bitte?

Egon: Ich vertrage auch nur die Zigarette von meinem Freund. (Nimmt eine Zigarette aus Erich's Etui.) 29

 

10. Scene.

Erich und Clara nehmen links vorn am Tische Platz. Hermann, der eine Zigarre genommen hat, steht hinter dem Sofa. Hans und Egon, im Gespräch begriffen, stehen rechts, weiter nach hinten. Hans ist dabei sehr lebhaft und zündet seine Zigarette mit gewaltsam-routinierten Geberden an. Vater Kröger, ebenfalls rauchend, gesellt sich zu ihnen. Auf eine Einladung Vater Krögers gehen dann die drei bald in den Garten.

Erich: Wenn gnädiges Fräulein überhaupt das Rauchen gestatten –!

Clara (lustig): Bitte – ich wollte Sie gerade um Erlaubnis fragen. (Holt ein Etui hervor.)

Erich: Sie wollten mich fragen? Das wäre ja die verkehrte Welt.

Clara (mit lustiger Ironie): Giebt es denn eine »richtige« Welt? Wie spießbürgerlich!

Erich (verblüfft): Gnädiges Fräulein – (Hermann giebt ihr Feuer.)

Clara: Und dann darf ich Ihre individuelle Freiheit doch nicht durch Rauch vergewaltigen!

Erich: Meine Freiheit? Ich könnte ja nur hinausgehen, wenn ich den Rauch nicht vertragen könnte.

Clara: Ja, ist denn das Freiheit, wenn man hinausgehen muß?

Erich (ironisch): Gnädiges Fräulein beseitigen die individualistische Weltanschauung in einem Satze. Das ist weiblich.

Clara: Und statt auf meinen Gedanken einzugehen, werden Sie grob. (Immer heiter und freundlich:) Ist das männlich?

Erich: Ja sehen Sie, wenn man den Frauen opponiert, so nennen sie das immer Grobheit. 30

Clara: O bitte! Zermalmen Sie mich – (graziös:) Das kann Ihnen ja nicht schwer fallen – aber einem Menschen aus dem Wege gehen – das ist doch grob, nicht wahr?

Erich: Gnädiges Fräulein, ich pflege nicht zu »diskutieren«, am wenigsten mit einer Dame.

Clara: Warum am wenigsten mit einer Dame?

Erich: Weil man dann doch nur mit einem Manne streitet.

Clara: Sie meinen: mit dem Manne, dessen Meinung sie nachspricht.

Erich (sich verbeugend): Ich darf nicht grob sein.

Clara: Bitte, das ist keine Grobheit, das ist Wahrheit.

Erich: So, Sie geben also die Überlegenheit der Männer zu?

Clara: Muß ich gleich alle Männer überlegen finden?

Erich: Alle.

Clara: Das hätt' ich nicht gedacht. Aber die Masse der Männer spricht doch auch wieder den paar großen Männern nach, nicht?

Erich: Gewiß; aber trotzdem hat der niedrigste Mann mehr eigene Intelligenz als die niedrigste Frau. Die Frau kann ja nicht mal Intelligenz vererben.

Clara: Schopenhauer sagt das Gegenteil.

Erich (nervös): Ja, das ist ja möglich; aber was kümmert mich das, gnädiges Fräulein, ich bin doch nicht Schopenhauer.

Clara: Gewiß nicht.

Hermann: Du kannst ja mal Fräulein Hendrichs dein Buch geben. 31

Clara: Sie haben ein Buch über die Frauen geschrieben? Das muß ich lesen!

Erich: Nicht nur über die Frauen, bitte! Ich pflege meine Aufgaben etwas weiter zu fassen – wenn ich mir Aufgaben stelle. Es steht natürlich zu Ihrer Verfügung.

Clara: Aber die Männer sind uns doch nicht auf allen Gebieten überlegen!

Erich: Auf welchen nicht?

Clara: In der Selbstlosigkeit zum Beispiel.

Erich (höhnisch auflachend): Nein, Gott sei Dank nicht. Sehen Sie denn nicht, daß sich eben in dem Egoismus des Mannes seine Überlegenheit, seine Adelsnatur zeigt?

Clara (scheinbar kleinlaut, schafig): Nein –

Erich: Der Mann ist eben der geborene Herrenmensch, die Frau mit ihren unentwickelten Instinkten ist der geborene Sklavenmensch und die festeste Stütze aller Sklavenmoralen.

Clara: Und deine Meinung ist das auch, Hermann?

Hermann: Allerdings. Der wirklich freie und starke Mensch kann nur ein rücksichtsloser Egoist sein.

Clara: [Ja – aber – denken Sie mal; was sollte nun ein Kind mit einer egoistischen Mutter anfangen – oder ein Kranker mit einer egoistischen Pflegerin.

Erich (nervös): Gnädiges Fräulein – meinetwegen braucht es keine Mütter zu geben, und auch keine Krankenpflegerinnen. Ich will lieber krank sein als gesund.

Clara: Wenn's keine Bauchschmerzen sind, sagt Gabriel Gram.

Erich: Ja. Sie haben das gelesen?

Clara: O ja.] (Wieder triumphierend:) Aber jetzt weiß ich was, worin die Frauen den Männern überlegen sind. 32

Erich: Und?

Clara: In der Weiblichkeit.

Hermann: Na, erlaube, Clara, jetzt verfällst du in »Geistreichigkeit«.

Clara: O bitte, es ist mir Ernst. Mann und Weib bilden doch erst zusammen den Menschen, und weibliche Anmut, weibliche Schönheit kann doch der Mann nicht ersetzen.

Erich (scharf): Bitte, verehrtes Fräulein, erlauben Sie, daß ich widerspreche: der Mann ist der Mensch – ohne das Weib. [Die weibliche Anmut und Schönheit zielt nur auf den Mann und ist nur darauf angelegt, den Mann erst heran- und dann hinabzuziehen. Die Anmut und Schönheit des Mannes steht höher; sie ist uninteressiert, selbstlos.

Clara: Ja, wie die Männer überhaupt. Ich denke aber: Die Männer wären egoistisch.

Erich: Mein Gott, ihr Egoismus ist eben ein höherer, es ist der artbildende Egoismus, der Entwickelungsegoismus, nicht ein Egoismus, der nur auf kleine, persönliche, nächstliegende Vorteile geht.] Gegen die »weibliche Schönheit« könnte ich ja auch Ihren »Schopenhauer« anführen –

Clara: Das werden Sie natürlich nicht thun –

Erich (stutzt): Warum nicht?

Clara: Nun, ich denke mir: was ein andrer gedacht hat, das können Sie nicht mehr denken; was ein andrer will, das können Sie nicht mehr wollen – Sie vertragen doch absolut keine Abhängigkeit –

Erich: Das ist richtig, mein Fräulein, ich fange an, Ihren Scharfblick zu bewundern –

Clara: O dazu gehört doch kein Scharfblick – das steht doch jetzt in all den modernen Büchern – 33

Erich (gereizt): Gnädiges Fräulein, ich muß Sie bitten, mich durchaus unabhängig von Ihrer Lektüre zu beurteilen. Ich lese überhaupt nicht – ich brauche weder Menschen noch Bücher, um der zu sein, der ich bin.

Clara: Ach, sind Sie wirklich so einer? (In die Hände klatschend.) O, das ist herrlich! Mit solch einem Mann wollt' ich so gern einmal reden! Was Sie bis jetzt gesagt haben, das hab ich alles schon mal gelesen; nun sagen Sie mal so etwas recht Eigenes!

Erich (aufspringend, höhnisch): Mein Fräulein, wenn Sie so viel gelesen haben – (sich besinnend und wieder niedersitzend): Pardon, ich wollte nicht unhöflich sein –

Clara (liebenswürdig): O, ich nehm's nicht so genau!

Erich: Sie erwarten vielleicht von mir, daß ich Ihnen ein Kopffeuerwerk gebe, wie sagt man noch: »voll Geist und Witz« – wie Schmock & Co.?! Ich bedaure unendlich, mein Fräulein, ich habe weder »Geist« noch »Witz«.

Clara (gemütlich): Ach, das weiß ich wohl! Nein: ich wollte nur mal so etwas recht Zusammenhängendes, Einheitliches – nun, ich werde ja Ihr Buch lesen. Wann darf ich es holen lassen?

Erich: Ich werde es Ihnen schicken.

 

11. Scene.

Mutter Kröger. Die Vorigen.

Mutter Kröger (durch die Thür von der Küche hereinrufend): Clara, hättest du wohl Lust, den Kaffee zu servieren?

Clara: Aber natürlich! (Erich freundlich die Hand hinstreckend, die dieser mit Reserve ergreift.) Verzeihen Sie, Herr Goßler, 34 wenn ich Sie belästigt habe. Aber ich bin ganz stolz, daß Sie mit mir eine Ausnahme gemacht haben.

Erich: Ausnahme?

Clara: Ja – daß Sie doch mit mir diskutiert haben. Herzlichen Dank. Auf Wiedersehen! (Huscht nach rechts ab in die Küche.)

 

12. Scene.

Hermann (ihr wohlgefällig nachblickend, dann mit Stolz): Na? Was sagst du zu der?

Erich: Das ist eine Gans.

Hermann: Eine –? Na hör mal, du bist wohl verrückt!

Erich: Ach bitte, laß doch diese Hausknechtsausdrücke!

Hermann: Ja kannst du denn leugnen, daß sie ein gescheites Mädel ist?

Erich: Ja, was du so »gescheit« nennen magst –

Hermann: Na, sie hat dich doch bös in die Enge getrieben!

Erich (herumfahrend): Ach Gott –! (Hermann mit grenzenlosem Erstaunen betrachtend) hör mal – ich glaube, du bist nicht ganz gesund – (Verächtlich:) Na ja, da sieht man wieder!

 

13. Scene.

Clara mit Tablett und Kaffeetassen u. s. w. Mutter Kröger hinter ihr. Die Vorigen.

Mutter Kröger: Wollen Sie sich nicht auch mal unsern Garten ansehn, Herr Goßler?

Erich: Nachher, gnädige Frau, wenn Sie gestatten. 35

Clara (zu Erich): Darf ich bitten?

Erich (nimmt): Besten Dank.

Clara: Nichts dazu?

Erich: Nein, danke.

Clara (zu Hermann): Und du? Soll ich ihn dir wieder zurechtmachen wie sonst?

Hermann: Ja weißt du denn noch?

Clara (das Tablett auf den Tisch in die Mitte stellend): Natürlich! (Scherzend:) Viel Rahm und keinen Zucker!

Hermann: Brrr – um Gottes willen! (Stürzt hinzu.)

Clara: Ach sei doch still, Schaf! Ich mach ja nur Spaß. Keinen Rahm und viel Zucker! Stark und süß.

Hermann (nimmt die Tasse und sieht ihr in die Augen. Nachdenklich): Stark und süß, ja.

Clara (beginnt leise zu lachen und lacht dann immer stärker).

Hermann: Was hast du denn? (Da Clara weiterlacht.) Ja warum lachst du denn?

Clara: Ach entschuldige – aber ich muß so furchtbar lachen darüber, daß du jetzt ein »rücksichtsloser Egoist« bist. (Mit dem Tablett ab in den Garten, noch immer lachend; Mutter Kröger folgt ihr.)

 

14. Scene.

Hermann. Erich.

Hermann (sieht ihr verdutzt nach).

Erich: Na, siehst du jetzt, daß sie eine Gans ist?

Hermann (zerstreut): Nein –

Erich: Na, dann wird's dir wohl verborgen bleiben.

Hermann (wie oben): Ja.

Erich: Na kurz und gut – entschuldige – ich 36 muß dir das gleich sagen – lange halt ich es hier nicht ans.

Hermann (überrascht): Wie?

Erich: Diese Gemütlichkeit – diese gräßliche Bravheit – Herrgott – die Leute sind hier alle so brav – man verkommt hier ja in lauter Bravheit.

Hermann: Aber lieber Freund, du konntest doch am Ende wissen –

Erich: Na, ich sage ja nichts. – Aber du mußt doch zugeben, daß man mit solchen Leuten wie deine Eltern –

Hermann (schnell): Laß das, Goßler! Laß die alten Leute! Du kannst doch nicht verlangen –

Erich: Mein Gott, ich verlange ja gar nichts. Ich muß nur leben können. Das kann ich hier nicht. Du bist das ja vielleicht gewohnt. Du wirst diese »gescheite« Dame heiraten und eine »deutsche Familie« gründen, ein »trautes Heim«, oder wie man sonst den Kaninchenstall nennt, und »dereinst«»im Kreise deiner Kinder und Enkel« wirst du dich überredet haben, daß die Langeweile doch eigentlich die wahre Liebe sei.

Hermann: Erlaube, du wirst unzart.

Erich (heftig): Unzart? Ich?

Hermann: Ja. Übrigens: selbst wenn ich heiraten wollte: das Mädchen denkt garnicht daran, mich zu nehmen. Die kann hundert bessere kriegen. Du siehst ja, daß sie sich über mich lustig macht.

Erich: Ja, über deine »reine Thorheit«. Das suchen ja gerade die Weiber! Ich sage dir, dieses Weib wird dir ja die Nerven einzeln aus dem Leibe zerren, sie wird dir ja – – (verstummt). 37

Hermann: Ich versteh gar nicht, warum du dich ereiferst –

Erich (sehr heftig): Weil ich ihr dich nicht gönne! (Sich besinnend.) Wenn du auch nur 'n Zeitmensch bist.

Hermann: Ich kenn dich nicht wieder. – Bist du eifersüchtig auf das Mädchen?

Erich (sehr stark und sehr gezwungen lachend): Hahahahaha – (mit verächtlichem Mitleid:) Hör mal, du bist doch – du bist doch wirklich – (Kalt:) Thu' deinen »Heimatsgefühlen« bitte keinen Zwang an – mir kann's ja recht sein – (wieder erregt:) ich stelle dir bloß die Wahl: sie oder ich. Zum »dritten Mann« hab ich kein Talent. Und den Skat würdest du dann ja doch nicht entbehren wollen. (Ab in den Garten.)

 

15. Scene..

Mutter Kröger. Hermann.

Mutter Kröger (die schon einmal hinter der Glasthür sichtbar wurde, tritt jetzt herein, indem sie sich im Zimmer umsieht): Na, mein Jung? Ich seh eben, daß du allein bist – nu kann man doch auch mal 'n Wort mit dir sprechen. Dein' alte Mutter hat ja noch gar nichts von dir gehabt. (Ihn an der Hand mit nach dem Sofa ziehend.) Nu erzähl mal, womit kann ich dir denn heut zum Abendbrot 'n Freude machen, hm? Was möchst denn wohl haben?

Hermann (lächelnd): Hm, Mutter, ich bin ja eben erst vom Essen aufgestanden –

Mutter Kröger. Na, ich muß dich ja doch jetzt 'n bißchen pflegen – du mußt ja doch jetzt 'n bißchen verhätschelt werden, was? (Ihm die Hände streichelnd und ihn 38 zärtlich ansehend:) Was meinst du denn wohl? 'n bißchen Schinken und Rührei, hm?

Hermann (ungeduldig): Liebe Mutter, das ist mir wirklich ganz einerlei –

Mutter Kröger: Na, werd man nich ungeduldig, ich mein's ja gut. – (Pause.) Sag mal, willst du auch lieber hier unten in meinem Bett schlafen, ich kann ja mit in Annas Zimmer schlafen –

Hermann: Nein, nein, ja nicht; die paar Tage – ich werde doch wohl bald wieder nach Berlin gehen.

Mutter Kröger (schnell aufstehend): Du willst – (greift nach dem Herzen und sinkt wieder aufs Sofa) Du willst wieder fort von uns?

Hermann: Ja.

Mutter Kröger (nach dem Garten zeigend, wohin Erich abgegangen): Mit dem da?

Hermann (verwundert): Ja!

Mutter Kröger (sanft): Ist der dir mehr wert als wir?

Hermann (gequält): Gott – Mutter – 'n Freund –!

Mutter Kröger: Hermann, ist er auch wirklich dein Freund? Ich finde, er ist mitunter gar nicht nett gegen dich.

Hermann (lächelnd): Ja – Muttchen – das verstehst du wohl nicht so. Er meint es gut mit mir; er will mich vor Eitelkeit bewahren. Zwischen uns hat's schon manchmal auf Hieb und Stich gegangen, das nehmen wir nicht so genau. Und besonders bei ihm –! Ich sagte dir ja schon: ihm ist das Leben eine Last, wie allen, die dem Leben und all seinen Lügen auf den Grund geschaut haben. Deshalb erscheint er den meisten Menschen 39 abstoßend, na, und ich, ich ärgere ihn wohl manchmal noch mit allerlei Dummheiten.

Mutter Kröger (naiv): Ist er denn so klug?

Hermann (begeistert): Ja, Mutter! (Warm:) Sieh, Muttchen, das war der Einzige unter meinen Studiengenossen, mit dem ich mich unterhalten konnte, der Einzige, der mir imponierte, der – der mir was sein konnte, was bieten konnte. Dieser unglaublich scharfe Verstand! Ich sage dir, er hat so – so ganze dicke Wände von Vorurteilen in mir niedergerissen, so daß ich mit einem Mal Ausblicke bekam – Ausblicke, die ich – die ich nie geahnt hatte. Mit einem einzigen Wort hat er mitunter so ganze Haufen von Schutt in mir fortgeräumt –

Mutter Kröger (zerstreut, beipflichtend): Ja – ja –

Hermann: Ja sieh mal: all die andern nahm er nicht ernst, die verspottete er, wo er konnte; aber mit mir unterhielt er sich immer wieder – er holte mich immer wieder 'ran, sieh mal, und daraus sah ich, daß er doch was von mir hielt. Er konnte nicht los von mir und ich nicht von ihm. (Lächelnd:) Die andern nannten uns immer Faust und Mephistopheles, wenn wir so mitunter bis 5 Uhr morgens im Nachtcafé zusammensaßen –

Mutter Kröger (entsetzt): Bis 5 Uhr morgens?

Hermann: Jaa! Mitunter noch länger!

Mutter Kröger: So. – (Zaghaft.) Denn willst du – wohl wirklich die Stelle nicht annehmen – am Krankenhaus?

Hermann: Die Stelle? (Sich besinnend.) Ach so–nein.

Mutter Kröger: Hermann – eigentlich wollt' ich dich bitten – du solltst man doch mal hingehen – wegen der Stelle – 40

Hermann: Aber Mutter, das hat doch keinen Sinn – ich bin doch fest entschlossen, mich in keiner Weise zu binden.

Mutter Kröger: Hermann, wir sind doch alle gebunden.

Hermann: Das ist ja eben das Unglück!

Mutter Kröger: Ja, was soll man denn? Wovon willst du denn leben? 'n bißchen können wir dir ja geben, aber –

Hermann: Nein, das ist gar nicht nötig. Ich brauche sehr wenig, und das werd' ich schon kriegen.

Mutter Kröger: Ja, was willst du denn immer den ganzen Tag thun? Du mußt doch was arbeiten!

Hermann (ernsthaft): Warum muß man das? Das ist ja das Unglück, daß die Menschen durchaus Arbeitssklaven sein wollen, auch wenn sie's gar nicht nötig haben. Deshalb kommen sie ja nie zu sich selbst, deshalb verstumpfen und verdumpfen sie ja so, das macht sie ja so plebejisch – so gewöhnlich mein' ich – so unvornehm –

Mutter Kröger (lehrhaft): Hermann, Hermann: »Müßiggang ist aller Laster Anfang!«

Hermann: Ach Mutter – du mußt mir nun wirklich nicht mit solchen –

Mutter Kröger: Ja ja ja, so was will die Jugend immer nicht hören –

Hermann (ungeduldig das Weitere abschneidend): Na! – Ich muß mich wohl mal um unsere Gäste kümmern.

Mutter Kröger (traurig): Ja – lös Vater nur mal ab, daß er sich 'n bißchen hinlegen kann, er kann das nicht entbehren. (Als Hermann schon an der Thür ist.) Hermann! 41

Hermann. Ja?

Mutter Kröger: Und – bei uns bleiben – das kannst du denn auch wohl nicht?

Hermann (nach kurzem Zögern entschieden): – Nein, Mutter. (Kurzes Schweigen. Beklommen:) Bist du traurig, Mutter?

Mutter Kröger (schnell, aber gepreßt): Nein, nein, nein – geh nur, mein Junge, geh nur.

Hermann (steht einen Augenblick unschlüssig, geht dann langsam und unsicher ab in den Garten).

Mutter Kröger (im Sofa sitzend, starrt unverwandt geradeaus und streicht fortwährend langsam mit der Hand über die Tischdecke).

 

16. Scene.

Clara. Mutter Kröger.

Clara (durch die geöffnete Glasthür hereinsehend): Mutter Krögersch, bist du hier? Ja. (Tritt ein.) Ich wollt' dir Adieu sagen, ich muß wieder hinüber.

Mutter Kröger (sucht hastig in ihrer Tasche nach ihrem Schnupftuch, findet es endlich und fährt sich damit schnell über die Augen, indem sie Clara den Rücken zuwendet).

Clara: Na? Was ist das? Was fehlt dir?

Mutter Kröger: Gar nichts fehlt mir, gar nichts.

Clara: Doch, Muttchen, dir fehlt doch was!

Mutter Kröger: Ach was sollt' mir wohl –

Clara: Soll ich mal raten? – Dein Junge fehlt dir.

Mutter Kröger: Ach nein – (bricht aber in stilles Weinen aus).

Clara: Und die beiden Übermenschen haben ihn dir weggeangelt.

Mutter Kröger (lebhaft): Ja, sag mal, was sind das eigentlich für merkwürdige Menschen? 42

Clara: Das? Das sind zwei Ekel.

Mutter Kröger: Ja aber –

Clara: Ja, sie selbst nennen sich anders. Sie nennen sich »moderne Menschen«. Das ist aber 'n Irrtum. (Lachend.) Dieser Herr Wolf philosophiert da draußen mit deinem Hans, daß die Spatzen vom Baum fallen und der alte Kastanienbaum die Zweige überm Kopf zusammenschlägt.

Mutter Kröger: Ja, hast du jemals solche Leute gesehen?

Clara: Natürlich. In Paris hat man so was immer aus der ersten Hand.

Mutter Kröger: Ja, das sind ganz merkwürdige Menschen. Der eine, der kann alles »nicht vertragen«. Ich denk', ich will es recht gut machen und spritz in seinem Zimmer 'n bischen mit Odekolonje, da sagt er, das könnt' er nicht aushalten, und thut als wenn's Gift wär.

Clara: Ja, so sind sie. Feinfühlig bis zur Roheit. Wenn 'n Mensch von einer Maschine in hundert Stücke zerrissen wird, stellen sie sich dabei hin und bewundern die Farbeneffekte. Das nennen sie »verfeinerte Kultur«. Aber da will ich dir was sagen: gieß ihm doch die ganze Stube voll Eau de Cologne! Dann reißt er aus!

Mutter Kröger: Nein, solange sie meine Gäste sind, sollen sie es so angenehm haben –

Clara: Na, ich mach doch natürlich Spaß, Mutter Krögersch. Du brauchst aber nicht die geringste Bange zu haben, Muttchen; diese »Freunde« gewöhnt dein Junge sich von selbst ab, dazu ist er viel zu gesund. Er hat sich wieder mal was weismachen lassen; er steht wieder und gafft nach dem Nest und wartet auf den Vogel mit den 43 goldenen Flügeln. Du sollst mal sehen, wenn wir die beiden Übermenschen erst wieder los sind –

Mutter Kröger: Aber er will ja mit ihnen! Das ist es ja gerade!

Clara (schnell): Er will wieder fort von hier?

Mutter Kröger: Ja! Der hat ihn ja vollständig im Strick!

Clara (ernst): Sieh sieh! – Also so wenig macht er sich aus uns! – Na warte! (Zu Mutter Kröger aufs Sofa rückend, eifrig.) Hör mal, Muttchen, das ist allerdings bedenklich. Das muß verhindert werden.

Mutter Kröger: Ja, aber wie? Wenn du vielleicht mal ordentlich mit ihm sprächst –

Clara: Ich? Du siehst ja, daß er sich aus mir auch nichts macht. Nein, reden hilft da überhaupt nichts. Er ist jetzt so fest davon überzeugt, daß er auch 'n »moderner Mensch« sein muß, wie – na – wie eben ein Bekehrter von seinem neuen Glauben.

Mutter Kröger: Ja, was denn?

Clara: – Es giebt nur einen Weg.

Mutter Kröger: Na?

Clara: Wir müssen ihn ausrasen lassen.

Mutter Kröger: Ach –!

Clara: Ja. Ihn womöglich bestärken. So lange, bis ihm die »Modernität« zu dumm wird. (Übermütig.) Kannst du nicht auch 'n bißchen Übermensch sein?

Mutter Kröger (ängstlich): Nee nee, mein Kind, so was –

Clara: Na, es wird auch wohl so gehen. Aber du darfst nichts verraten! 44

Mutter Kröger: Na, da kennst du mich doch!

Clara: Ich weiß schon, wie ich's mache. Der eine Übermensch – wie heißt er noch – die frisierte Bestie – mit den langen Krallen!

Mutter Kröger: Herr Goßler?

Clara: Goßler, richtig – der will mir 'n Buch leihen, das soll ich lesen. (Singend.) Ich will's versuchen, ich will's versuchen –

Mutter Kröger (freudig): Deern, wenn du mir den Jungen wiederschaffst –

Clara: Dann krieg ich ihn, was?

Mutter Kröger: Deern, ich gönn ihn ja keinem lieber als dir!

Clara: Ja, aber wenn er mich nun nicht will?

Mutter Kröger: Dann wär er ein großer Dummbart.

Clara: Ja, das sag ich auch; aber was hilft das? – (Plötzlich:) Mutter, ich hab ihn ja so lieb!

Mutter Kröger: Ja, hast du, mein Deern, hast du?

Clara: Schon, wie er noch 'n Junge war. Weißt du noch? Wenn wir abends am Tisch spielten, bei der Lampe? Er wußte sonst immer nicht, wo er die Hände lassen sollte; aber wenn diese Hände etwas anfaßten, dann war's auch schon gemacht, und fein gemacht! (Lachend:) Und dann versteckt' er die Hände wieder hinterm Rücken. – Besonders hatt' ich immer seine Augen lieb.

Mutter Kröger: Ja, er hat auch so'n paar gute Augen.

Clara: Gut? Weißt du, was darin lag?

Mutter Kröger: Na?

Clara: Später – in Paris – da ist es mir mal eingefallen: ein ganzes junges Deutschland lag in seinen Augen. 45

Mutter Kröger: Na.

Clara: Ja. (Plötzlich:) Mutter, dein Junge wird noch mal was Großes leisten! Weißt du, wie er mir jetzt vorkommt?

Mutter Kröger: Na?

Clara (die inzwischen aufgestanden war, kniet zu Mutter Kröger hin, scherzend, im Märchenton): Wie ein Prinz, der durch einen bösen Zauberer verwandelt worden ist in ein kleines Bähschaf. Und nur »treue Liebe, die sich auch durch die Tiergestalt nicht abschrecken läßt, kann ihn erlösen«. Und siehst du, Muttchen, ich hab ihn lieb, auch als Schaf!

Mutter Kröger: Du süße Deern, du hast mir das Herz wieder leicht gemacht.

Clara (glückselig): Hab ich? Das freut mich, dasdas freut mich! (Küßt ihr wiederholt inbrünstig die Hand.)

 

Der Vorhang fällt.

 


 


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