Ottomar Enking
Familie P. C. Behm
Ottomar Enking

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Klungel-dungel klungel-dungel sagte die Trauerglocke auf Sankt Anschar, da wurde P. C. Behm begraben mit allen Ehren. Im Laden, wo sonst die Theke stand, hatten sie ihn aufgebahrte und über die Riege mit den Wollsachen war schwarzer Schirting gehängt. Das Ladenfenster war verdunkelt, und die Lichter, die am Sarge standen, schimmerten rötlich; ihre Strahlen blieben gleichsam bei ihnen und erhellten den engen Raum nicht. Nur hie und da blinkte eine weiße Blume oder eine kleine Atlasschleife matt zwischen den Kränzen hervor. deren Grün ganz dunkel erschien. Es war feierlich, ganz fern von aller lauten Welt. – Frau Behm und Anna saßen zu Füßen des Sarges, Bernhard lehnte hinter ihnen am Schaufensterrand, und ein paar Frauen und Bekannte standen an der Seite. Pastor Borchert, der seinen Platz am Kopfende hatte, redete herzlich und voll Anerkennung für den Toten. Die Frauen wischten sich die Augen. Als der gute Pastor sein Amen gesprochen hatte, kamen die vier Träger, beteten kurz am Sarge und hoben ihn auf, um ihn hinauszutragen. Draußen schurrte es. Das war das schwarze Brett, das aus dem Leichenwagen gezogen wurde, damit der Sarg bequemer hineingeschoben werden konnte. Jetzt war der schwerste Augenblick gekommen für die beiden Frauen und auch für Bernhard. Jetzt erst, schien es ihnen, trat der Tod ein und entriß ihnen den Vater unerbittlich. Frau Behm schluchzte auf. Das that Anna weh, und sie legte 265 innig den Arm um die Mutter. Pastor Borchert war zu ihnen getreten und sprach leise Worte, er stellte sich dabei so, daß sein Talar den Frauen den Sarg verdeckte, der zur Thür hinaus schwankte. Die draußen standen, entblößten das Haupt, als man P. C. Behm zum Wagen trug. Es war schade, daß er das nicht selber sehen konnte, der alte Herr, – es hätte ihm viel Freude gemacht. Dann ordnete sich der Zug. Bernhard ging mit roten Augenlidern neben dem Pastor. Er hatte Flor um Achselklappen und Degengriff, und die Vornehmheit dieser Trauer bereitete ihm ein Gefühl der Befriedigung in all seinem aufrichtigen Leid. Er konnte es nicht lassen, dann und wann auf seine Schultern zu schauen und den Griff zu befühlen, und er sagte höflich: »Jawohl, Herr Pastor,« wenn der Geistliche die Tugenden des selig in dem Herrn Entschlafenen rühmte. – Hinter den beiden gingen die vier Koggenstedtia-Brüder. Die waren traurig um ihren Kameraden und auch um ihr Geld, das wohl so gut wie verloren war. – »Na,« sagte Jaspersen und klimperte trotz der ernsten Gelegenheit mit den Moneten in der Tasche, »na, dat helpt nu nix. Missen können wir die paar Thalers ja Gott sei Dank. Ich hab mein Lebtag schon viel Geld an Spitzbowen und Räubers verloren, da is es orntlich 'ne Wohlthat, wenn man mal was an 'n ehrlichen Kerl los wird. Daför, dat he storben is, kann he nix. Hee hett wat verdeenen wullt, und dorbi hett he sick öwernahmen. Mehr kann man von 'n Menschen nicht verlangen. 266 Es war 'n braven Mann unser alter P. C., das soll wol wahr sein.« – Er blicke wohlwollend auf den Sarg, als klopfte er dem Freunde noch zum Abschied auf die Schulter, und sagte: »Hast dir nichts vorzuwerfen, P. C.« – Die anderen Koggenstedtianer waren nicht so gelassen wie der Bäckermeister. Es ging ihnen sehr »an das Mager«, daß sie ihr Geld wahrscheinlich nicht wieder bekämen. Aber was half es? – Hinter den Brüdern schritten ein paar alte Bekannte mit großen Zylindern und einige von Bernhards Kollegen. Den Beschluß machten zwei Wagen, deren Kutscher gelangweilt die Peitsche baumeln ließen. So ging es bis zum Lübecker Thor. Dort nahm der Pastor mit Bernhard in dem einen Wagen Platz, und das Gefolge verteilte sich und ging rechts und links auf dem Fußsteige weiter. Der Leichenwagen setzte gemessen seinen Weg fort. – Hannes mit 'n scharpen Blick fragte: »Hm, was wird aber jetzt aus unserm Kaiserbrief?« – Maack antwortete. »Den hat ihm Anna unter den Kopf gelegt, weil er doch so daran gehangen hat.« – »Hm,« bemerkte Hannes. – Der Wagen bog in den Friedhof ein. Der Pastor und Bernhard nahmen ihre Stelle wieder hinter dem Sarge, die Freunde ordneten sich von neuem, und nun bewegte sich der Zug über die Kiessteige zwischen den Gräbern und hohen Lebensbäumen hindurch, dem frischen Sandhaufen zu, der am Ende des Weges neben dem Grabe aufgeworfen war, in das sie P. C. Behms sterbliches Teil versenken wollten.

267 Als sie aber um die letzte Ecke bogen, wurde allen eine Überraschung zu teil, denn an dem dichten Gebüsch stand der Posaunenchor des Jünglingsvereins und hub an zu blasen: »Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir.« Die Posaunen, von denen sonst jede ihren eigenen Glauben hatte, beugten gleichsam die langen Hälse vor der Majestät des Todes, der alles eins werden läßt, und ertönten in feierlichen Harmonieen; über die Stätte der Toten hinüber zogen die langhallenden Klänge und verloren sich in den blühenden Gärten, die um die Stadt herum lagen. Der Turm von Sankt Anschar sah über die grünen Bäume hinweg bis zu P. C. Behms Grab, und in die Melodie: »Wenn ich den Tod soll leiden . . .« mischte die Totenglocke ihr gleichmäßiges Klungel-dungel klungel-dungel. Niemand von den anderen wußte, wie der Alte zu so schöner Grabmusik gekommen war, aber der Bäckermeister flüsterte seinem Nachbar Ahmsetter zu: »Dat weern wi em schullig. Kost ja nich veel. Das können wir gerade noch aus der Vereinskasse bezahlen.« – Ahmsetter nickte; auch er war in dieser Stunde weich und nicht zum Widersprechen geneigt.

Dann kam das letzte. Der Sarg wurde hinabgelassen. Pastor Borchert verlas das heilige Wort, segnete den Toten und betete mit allen herzlich das Vaterunser. Jeder warf drei Hände voll Sand auf den Sarg und drückte Bernhard, der nicht weinen wollte und dem doch immer die hellen Thränen über 268 die Wangen liefen, teilnehmend die Hand. Der Posaunenchor blies: »Wie sie so sanft ruh'n.« – Dann löste sich die kleine Trauerversammlung auf, und ein jeglicher ging heimwärts. Bernhard fuhr wieder mit dem Geistlichen zurück.

Jaspersen klimperte mit den Moneten und meinte: »So 'n Begräbnis is doch eigentlich was Schönes. Das hätte unser P. C. bloß erleben sollen. Dat harr em gefoll'n. Wat de Kirls blasen künnt!«

Die Totengräber thaten ihr Werk und schütteten einen Hügel auf, auf dem sie die Kränze ordneten, und nun war es still und einsam auf dem Friedhof. Nur die Sonne schien hell und der Wind strich leise durch die ernsten Zypressen, und die Vögel sangen in den Zweigen der Trauereschen, und die Blumen blühten auf den Gräbern. Da unten aber, bei den vielen, vielen anderen, das treue Haupt auf den Brief an den Kaiser gebettet, schlief der alte gute P. C. seinen traumlosen Schlaf, den ersten, zu dem ihm seine kleine Mamma nicht die wollenen Strümpfe hatte anzuwärmen brauchen.

* * *

Anna überwand die Trauer rasch. Das Leben pochte an ihr Herz und rief: »Sei jung, du sollst genießen und glücklich sein.« – Anna breitete die Arme von einander und jauchzte: »Ja! Jung! Glücklich! Glücklich!« – Und die Arbeit 269 kam und sagte lächelnd: »Ich mache dich froh und bringe dir Hab und Gut.« – Anna lachte sie an und bat: »Ach ja, nur recht viel, nur recht viel!« – Sie hatte jetzt mehr zu thun, als sie selbst bewältigen konnte, und deshalb nahm sie sich erst ein und dann noch ein junges Mädchen zu Hilfe, und es ging lustig her in der Schneiderstube da oben. Am Hause aber prangte ein großes Schild, und darauf stand mit Goldbuchstaben: »Anna Behm, Modistin.« Anna Behm nannte sie sich wieder, denn das Gericht hatte sie von ihrem Manne wegen böswilliger Verlassung getrennt und ihr auch das Recht gegeben, ihren Mädchennamen weiter zu führen. Von Schelius wußte man nichts. Die Sage ging indessen, daß er in Amerika eine Sekte und einen großen Ramschbazar gegründet habe. – Auch Frau Behm fand sich mit dem Tode ihres Mannes schneller ab, als sie selber wußte. Es war so schön, jeden Nachmittag nach dem Grabe hinauszugehen und da ein bißchen nett zu weinen und herumzupusseln an den hübschen Blumen, und man konnte prachtvoll traurig sein, wenn man einen kleinen Kaffeeklatsch gab und von dem Seligen redete. – Bernhard war Oberpostassistent geworden, sogar früher, als er erwarten durfte. »Man sieht doch,« sagte er, »daß die da oben aufpassen. Die wissen ganz genau, wer was kann und wer nicht. Ich muß sagen: Ober – das ist ein anderes Gefühl, als bloß Assistent. Die Leute haben gleich mehr Respekt.«

270 Alle waren gut zufrieden in der Familie P. C. Behm, nur der gelbe Kater nicht. Der wurde immer wilder und unruhiger, lief auf die Straße und fing Streit mit den Hunden an. Eines Tages lag er denn auch, aus einer schweren Halswunde blutend, auf der Steintreppe. Er starb, und sein Nachfolger war ein weißes kokettes Tierchen, das sich den ganzen Tag über leckte und putzte und jedem schmeichelte. Frau Bolette meinte, solche feine Mies hätten sie noch nie gehabt.

Alles stand wieder wohl in dem kleinen Hause. Die Schulden verringerten sich, denn Anna wollte sie nicht stecken lassen und brachte ihr Erspartes redlich zu Jaspersen. Von Monat zu Monat wurde sie fröhlicher und in ihrer Freude strebte sie danach, recht gut zu sein und daher kam es, daß sie auch wieder, Pastor Borchert zu Gefallen, zur Kirche ging und an das glaubte, was er sagte. Sie glaubte jetzt ohne zu grübeln, sie nahm alles hin, wie etwas Schönes, das man nicht prüfen, nicht zerpflücken muß, das man nur genießen soll als einen wundervollen Mystizismus. Die bösen Erfahrungen ihres Lebens hatten sie nicht gebrochen. Sie lehnte sich gegen die schlimmen Erinnerungen auf und preßte die Lippen zusammen, wenn sie daran dachte, daß sie um ihre wirkliche Jugend schmählich betrogen war. Sie wollte jung sein, jung um jeden Preis. Weil aber in ihrem Herzen schon eine kleine Müdigkeit saß, weil sie doch, wenn sie andere, jüngere Frauen sah und mit sich 271 selber verglich, die Augen nicht davor verschließen konnte, daß jene frischer, elastischer waren, kam sie dazu, in ihre Kleidung, in ihr ganzes Gebahren etwas Absichtliches hineinzulegen. Das waren nur Kleinigkeiten, indessen sie wurde doch dadurch verändert, sie war die einfache Anna Behm von früher nicht mehr, die allen Putz verschmähte. Da hatte der Brusteinsatz ihres Kleides jetzt eine grelle, winkende Farbe, da saß eine Schleife an ihrer Taille, die zu spielen schien: »Faß' mich, faß' mich,« – da war der Saum ihres Rockes mit einer steifen Rüsche geschmückt, die beim Gehen hüpfte. Ihre Schuhe, Stiefel waren hell, und sie liebte es, das Kleid zu raffen, daß man die Füße in dem feinen, vielknöpfigen Lederwerk sah. Ihr Hut trug viele Blumen, die sie selbst geschickt darauf befestigte, und ihr Haar war kunstreich ineinander geschlungen. Ja, sie legte sogar das Armband an, das sie von einem Paten zur Konfirmation bekommen und noch nie getragen hatte. Es war ein Kettchen mit einer Kugel daran, und das klirrte leise, wenn sie auf der Straße ging. Während sie sonst immer ernst vor sich hin oder geradeaus zu sehen pflegte, formte sie nun ein Lächeln um ihren Mund und blickte dabei mit halbgesenkten Lidern seitwärts zur Erde. Das gab ihr etwas Sinnendes, Wartendes, aber man erkannte dadurch auch, daß sie kein Mädchen mehr war. Ihre Brauen wurden stärker und wuchsen mit leicht angedeuteter Brücke zusammen, ihre Gestalt war voll, und im Gange wiegte sie sich. So war 272 aus Anna Behm, die früher kaum etwas von sich wußte, ein berechnendes Weib geworden, dessen Gruß zu sagen schien: »O ja, zieh' den Hut nur tief herab. Ich sehe hübsch aus, ich bin noch begehrenswert. Ich weiß, daß ich gefalle.« – Bernhard bewunderte seine Schwester: »Das ist nun einerlei, so wie du geht hier keine Dame. Geschmack haben wir Behms doch.« – Und Frau Behm sah mit inniger Mutterfreude zu ihrer Tochter hin: »Ach Gott, wenn unser Pappa dich in dem neuen Kleid gesehen hätte! Nun ist doch noch alles wieder gut geworden.« – Sie lebten friedlich und freundlich zusammen, und Bernhard war es besonders lieb, daß er nun der unumschränkte Herr des ganzen Hauses war. Wenn er abends auf seinem Sofa lag und erzählte: »Kolossaler Betrieb heute wieder! Garnicht mehr durchzufinden! Was wir heute allein wieder für Postkarten verkauft haben . . .!« dann kauerte die weiße weiche Mies neben ihm, lugte ihn schmeichlerisch an und zupfte ihn mit dem Pfötchen, daß er sie kraueln sollte. Aber kleine Piepmäuse fing sie nicht. Dazu war sie sich zu schön und zu schade.

* * *


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