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Die Beschaffung der rohen und Brennmaterialien für eine so kolossale Industrie wie die englische nimmt ebenfalls eine bedeutende Zahl von Arbeitern in Anspruch. Von den der Industrie notwendigen Stoffen liefert aber England selbst – außer der Wolle, die auf Rechnung der Ackerbaubezirke kommt – nur die Mineralien, die Metalle und die Steinkohlen. Während in Cornwall ergiebige Kupfer-, Zinn-, Zink- und Bleibergwerke sind, liefern Staffordshire, Nord-Wales und andere Bezirke große Mengen von Eisen und fast ganz Nord- und Westengland, Mittelschottland und einige Distrikte von Irland einen Überfluß an Steinkohlen In den Bergwerken selbst arbeiten fast nur Männer und Knaben von zwölf Jahren aufwärts. Die materielle Stellung dieser Arbeiter scheint nach dem Ch. E. Rept. ziemlich erträglich zu sein, und die Engländer prunken oft genug mit ihren kräftigen und kühnen cornischen Bergknappen, die den Erzadern selbst bis unter den Grund des Meeres nachspüren. Aber der Ch. E. Rept. urteilt doch anders in Beziehung auf die Kräftigkeit dieser Leute. Er weist in dem intelligenten Bericht des Dr. Barham nach, daß die Einatmung einer wenig sauerstoffhaltigen, mit Staub und dem Rauch des beim Sprengen gebrauchten Pulvers vermischten Atmosphäre, wie sie sich auf dem Grund der Bergwerke findet, die Lunge ernstlich affiziert, die Tätigkeit des Herzens gestört und die Verdauungsorgane erschlafft; daß die anstrengende Arbeit, und besonders das Auf- und Absteigen auf Leitern, das bei einigen Bergwerken selbst jungen kräftigen Männern über eine Stunde Zeit wegnimmt und täglich vor und nach der Arbeit geschieht, sehr zur Entwicklung dieser Übel beiträgt, und daß infolge davon die Männer, welche früh in die Bergwerke gehen, lange nicht die körperliche Ausbildung erhalten, welche man bei den auf der Oberfläche arbeitenden Weibern findet; daß viele jung an der galoppierenden und die meisten in den besten Jahren an der langsamen Schwindsucht sterben; daß sie früh altern und zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr arbeitsunfähig werden, und daß sehr viele durch den raschen Übergang aus der warmen Luft des Schachts, nachdem sie unter heftigem Schweiß die Leitern mühsam heraufgeklettert sind in die kalte Luft der Oberfläche, sich akute Entzündungen der ohnehin krankhaften Respirationsorgane zuziehen, welche sehr häufig tödlich wirken. Die Arbeit auf der Oberfläche, das Zerschlagen und Sortieren der Erze, wird von Mädchen und Kindern betrieben und als sehr gesund geschildert, da es in freier Luft getan wird.
Im Norden von England, an der Grenze der Grafschaften Northumberland und Durham, sind die bedeutenden Bleibergwerke von Alston Moor. Die Berichte aus dieser Gegend – ebenfalls im Ch. E. Rept., Bericht des Kommissärs Mitchell – stimmen fast ganz mit denen aus Cornwall überein. Auch hier wird über Mangel an Sauerstoff, Überfluß an Staub, Pulverrauch, Kohlensäure und schwefligen Gasen in der Atmosphäre der Stollen geklagt. Infolgedessen sind die Bergleute, wie in Cornwall, klein von Statur und leiden vom 30. Jahre an aufwärts fast alle an Brustbeschwerden, die endlich, besonders wenn die Arbeit, wie fast immer, fortgesetzt wird, in vollständige Schwindsucht übergehen und so das durchschnittliche Lebensalter dieser Leute wesentlich verkürzen. Wenn die Bergknappen dieser Gegend etwas länger leben als die cornischen, so kommt dies daher, daß sie erst mit dem 19. Jahre anfangen, den Schacht zu befahren, während in Cornwall, wie wir sahen, diese Arbeit schon mit dem 12. Jahre begonnen wird. Indes stirbt auch hier die Majorität nach ärztlichen Aussagen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Aus 79 Bergleuten, deren Tod im öffentlichen Register des Distrikts eingeschrieben war und die durchschnittlich 45 Jahre alt geworden waren, waren 37 an der Schwindsucht und 6 an Asthma gestorben. In den umliegenden Ortschaften Allendale, Stanhope und Middleton war die Lebensdauer resp. 49, 48 und 47 Jahre durchschnittlich, und die Todesfälle infolge von Brustbeschwerden machten resp. 48, 54 und 56 Prozent der ganzen Zahl aus. Es ist zu bedenken, daß sämtliche Angaben sich nur auf solche Bergleute beziehen, die ihre Arbeit nicht vor dem 19. Jahre antraten, Vergleichen wir hiermit die sogenannten schwedischen Tabellen – ausführliche Mortalitätstabellen [Sterblichkeitstabellen] über alle Einwohner von Schweden – die in England für den bis jetzt richtigsten Maßstab der durchschnittlichen Lebensdauer der britischen Arbeiterklasse gelten. Nach ihnen erreichen männliche Individuen, die das 19. Lebensjahr zurückgelegt haben, ein Alter von durchschnittlich 57 1/2 Jahren, und sonach wird das Leben der nordenglischen Bergleute um durchschnittlich 10 Jahre durch ihre Arbeit verkürzt. Die schwedischen Tabellen gelten aber für den Maßstab der Lebensdauer der Arbeiter und bieten somit eine Darstellung der Lebenschancen in den ohnehin schon ungünstigen Verhältnissen des Proletariats, geben also schon eine geringere als die normale Lebensdauer an. – In dieser Gegend finden wir auch die Logierhäuser und Schlafstellen wieder, die wir schon in den großen Städten kennenlernten, und mindestens in derselben schmutzigen, ekelhaften und gedrängten Gestalt wie dort. Mitchell war in einem solchen Zimmer, das 18 Fuß lang und 15 Fuß breit und zur Aufnahme von 42 Männern und 14 Knaben, zusammen also 56 Personen in 14 Betten – von denen die Hälfte wie in einem Schiff über den andern angebracht – eingerichtet war. Keine Öffnung war da, um die schlechte Luft hinauszulassen; obwohl in drei Nächten niemand dort geschlafen hatte, so war der Geruch und die Atmosphäre doch so, daß Mitchell sie keinen Augenblick ertragen konnte. Wie mag sie erst in einer heißen Sommernacht unter 56 Schlafgästen sein! Und das ist nicht das Zwischendeck eines amerikanischen Sklavenschiffs, es ist die Wohnung "freigeborner Briten".
Gehen wir jetzt zu den wichtigsten Zweigen des englischen Bergbaues, den Eisenbergwerken und Kohlengruben über, die der Ch. E. Rept. zusammen abhandelt, und zwar mit der ganzen Ausführlichkeit, die die Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert. Fast der ganze erste Teil dieses Berichts beschäftigt sich mit der Lage der in diesen Bergwerken beschäftigten Arbeiter. Nach der detaillierten Schilderung indes, die ich von der Lage der industriellen Arbeiter gegeben habe, wird es mir hier möglich sein, mich so kurz fassen, wie die Rücksicht auf die dem Umfang dieser Schrift zu setzenden Schranken es erfordert.
In den Kohlen- und Eisenbergwerken, die ungefähr auf gleiche Weise ausgebeutet werden, arbeiten Kinder von 4, 5, 7 Jahren; die meisten sind indes über 8 Jahre alt. Sie werden gebraucht, um das losgebrochene Material von der Bruchstelle nach dem Pferdeweg oder dem Hauptschacht zu transportieren und um die Zugtüren, welche die verschiedenen Abteilungen des Bergwerks trennen, bei der Passage von Arbeitern und Material zu öffnen und wieder zu schließen. Zur Beaufsichtigung dieser Türen werden meist die kleinsten Kinder gebraucht, die auf diese Weise 12 Stunden täglich im Dunkeln einsam in einem engen, meist feuchten Gange sitzen müssen, ohne selbst auch nur so viel Arbeit zu haben, als nötig wäre, sie vor der verdummenden, vertierenden Langeweile des Nichtstuns zu schützen. Der Transport der Kohlen und des Eisensteins dagegen ist eine sehr harte Arbeit, da dies Material in ziemlich großen Kufen ohne Räder über den holprigen Boden der Stollen fortgeschleift werden muß, oft über feuchten Lehm oder durch Wasser, oft steile Abhänge hinauf, und durch Gänge, die zuweilen so eng sind, daß die Arbeiter auf Händen und Füßen kriechen müssen. Zu dieser anstrengenden Arbeit werden daher ältere Kinder und heranwachsende Mädchen genommen. Je nach den Umständen kommt entweder ein Arbeiter auf die Kufe oder zwei jüngere, von denen einer zieht und der andere schiebt. Das Loshauen, das von erwachsenen Männern oder starken jungen Burschen von 16 Jahren und drüber geschieht, ist ebenfalls eine sehr ermüdende Arbeit. – Die gewöhnliche Arbeitszeit ist 11 bis 12 Stunden, oft länger, in Schottland bis zu 14 Stunden, und sehr häufig wird doppelte Zeit gearbeitet, so daß sämtliche Arbeiter 24, ja nicht selten 36 Stunden hintereinander unter der Erde und in Tätigkeit sind. Feste Stunden für Mahlzeiten sind meist unbekannt, so daß die Leute essen, wenn sie Hunger und Zeit haben.
Die äußere Lage der Grubenarbeiter wird im allgemeinen als ziemlich gut und ihr Lohn als hoch im Vergleich zu dem der sie umgebenden Ackerbautaglöhner (die freilich verhungern) geschildert, mit Ausnahme einiger Teile von Schottland und dem irischen Kohlenbezirk, wo großes Elend herrscht. Wir werden Gelegenheit haben, später auf diese, ohnehin relative, im Hinblick auf die ärmste Klasse von ganz England gemachte Angabe zurückzukommen. Einstweilen wollen wir die Übel, die aus dem jetzigen Betrieb der Grubenarbeit folgen, betrachten, und die Leser mögen dann entscheiden, ob irgendein Geldlohn imstande ist, den Arbeiter für solche Leiden zu entschädigen.
Die Kinder und jungen Leute, welche mit dem Schleppen der Kohlen und des Eisensteins beschäftigt sind, klagen allgemein über große Müdigkeit. Selbst in den am rücksichtslosesten betriebenen industriellen Etablissements finden wir eine so allgemeine und so sehr aufs äußerste getriebene Abspannung nicht. Der ganze Bericht liefert dazu auf jeder Seite eine Reihe von Beispielen. Es kommt jeden Augenblick vor, daß die Kinder, sowie sie nach Hause kommen, sich auf den steinernen Fußboden vor dem Herde werfen und sogleich einschlafen, daß sie keinen Bissen Nahrung mehr zu sich nehmen können und im Schlaf von den Eltern gewaschen und zu Bette gebracht werden müssen, ja daß sie unterwegs sich vor Müdigkeit hinwerfen und tief in der Nacht von ihren Eltern dort aufgesucht und schlafend gefunden werden. Allgemein scheint es zu sein, daß diese Kinder den größten Teil des Sonntags im Bette zubringen, um sich einigermaßen von der Anstrengung der Woche zu erholen; Kirche und Schule werden nur von wenigen besucht, und bei diesen klagen die Lehrer über große Schläfrigkeit und Abstumpfung bei aller Lernbegierde. Bei den älteren Mädchen und Frauen findet dasselbe statt. Sie werden auf die brutalste Weise überarbeitet. – Diese Müdigkeit, die fast immer bis zu einem höchst schmerzhaften Grade gesteigert wird, verfehlt ihre Wirkungen auf die Konstitution nicht. Die nächste Folge einer solchen übermäßigen Anstrengung ist, daß alle Lebenskraft zur einseitigen Ausbildung der Muskeln verbraucht wird, so daß besonders die Muskeln der Arme und Beine, des Rückens, der Schultern und der Brust, die bei dem Schleppen und Schieben hauptsächlich in Tätigkeit gesetzt werden, eine außerordentlich üppige Entwicklung erhalten, während der ganze übrige Körper Mangel an Nahrung leidet und verkrüppelt. Vor allen Dingen bleibt der Wuchs klein und zurückgehalten; fast alle Grubenarbeiter sind kurz von Körperbau, mit Ausnahme derer von Warwickshire und Leicestershire, die unter besonders günstigen Verhältnissen arbeiten. Dann wird die Pubertät sowohl bei Knaben wie Mädchen zurückgehalten, bei ersteren oft bis zum 18. Jahre; dem Kommissär Symons kam sogar ein neunzehnjähriger Knabe vor, der, mit Ausnahme der Zähne, in keinem Teile weiterentwickelt war als ein Knabe von 11 bis 12 Jahren. Diese Verlängerung der Kindheitsepoche ist im Grunde auch weiter nichts als ein Beweis gehemmter Entwicklung und verfehlt nicht, im späteren Alter ihre Früchte zu tragen. Verkrümmung der Beine, eingebogene Knie und auswärts gebogene Füße, Verkrümmung des Rückgrats und andere Mißbildungen stellen sich unter diesen Umständen und bei so geschwächten Konstitutionen infolge der fast immer gezwungenen Körperstellung bei der Arbeit um so leichter ein und sind so häufig, daß sowohl in Yorkshire und Lancashire wie in Northumberland und Durham von vielen, selbst Ärzten behauptet wird, man könne einen Grubenarbeiter unter hundert andern Leuten schon an seiner Körperbildung kennen. Besonders die Weiber scheinen sehr von der Arbeit zu leiden und sind selten, wenn überhaupt jemals, so gerade wie andere Weiber. Daß Mißbildungen des Beckens und infolgedessen schwere, ja tödliche Geburten ebenfalls aus der Arbeit der Weiber in den Gruben entstehen, wird auch hier bezeugt. Außer diesen lokalen Verkrüppelungen haben die Grubenarbeiter aber noch an einer Reihe von speziellen Krankheiten zu leiden, die ziemlich mit denen der übrigen Bergleute zusammenfallen und leicht aus der Art der Arbeit zu erklären sind. Der Unterleib leidet vor allem; der Appetit verliert sich, Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen treten in den meisten Fällen ein, dazu heftiger Durst, der nur mit dem schmutzigen, oft lauen Wasser des Bergwerks gelöscht werden kann; die Verdauungstätigkeit wird gehemmt und dadurch die übrigen Krankheiten gefördert. Krankheiten des Herzens, besonders Hypertrophie, Entzündung des Herzens und des Pericardium, Kontraktion der Aurikulo-ventrikular-Kommunikationen und des Eingangs der Aorta, werden ebenfalls von mehreren Seiten als häufige Übel der Grubenarbeiter angegeben und leicht durch Überarbeitung erklärt. Desgleichen die fast allgemeinen Bruchschäden, die ebenfalls die direkte Folge von übermäßiger Muskelanstrengung sind. Teils aus derselben Ursache, teils aus der – hier so leicht zu vermeidenden – schlechten, mit Kohlensäure und Kohlenwasserstoffgas gemischten, staubgefüllten Atmosphäre der Gruben entstehen eine Menge schmerzhafter und gefährlicher Lungenkrankheiten, besonders Asthma, das in einigen Distrikten mit dem 40., in andern schon mit dem 30. Lebensjahre bei den meisten Grubenarbeitern zum Vorschein kommt und sie in kurzer Zeit arbeitsunfähig macht. Bei denjenigen, die in nassen Stollen zu arbeiten haben, tritt die Beklemmung auf der Brust natürlich schon viel früher ein; in einigen Gegenden Schottlands zwischen dem 20. und 30. Jahre, während welcher Zeit die angegriffenen Lungen außerdem für Entzündungen und fieberhafte Affektionen sehr empfänglich sind. Eine eigentümliche Krankheit dieser Art Arbeiter ist das Schwarzspeien (black spittle), das aus einer Durchdringung der ganzen Lunge mit feiner Kohle entsteht und sich in allgemeiner Schwäche, Kopfschmerzen, Brustbeklemmung und schwarzer, dickschleimiger Expektoration äußert. In einigen Gegenden erscheint dies Übel in milder Form, in andern dagegen erscheint es ganz unheilbar, besonders in Schottland; hier zeigt sich außer einer Steigerung der erwähnten Symptome ein sehr kurzer, pfeifender Atem, schneller Puls (über 100 in einer Minute), abgebrochener Husten; die Abmagerung und Schwäche nimmt zu und macht den Patienten bald arbeitsunfähig. In allen Fällen führt dies Übel hier den Tod nach sich. Dr. MacKellar in Pencaithland, East Lothian, sagt aus, daß in allen den Gruben, welche gut ventiliert seien, diese Krankheit gar nicht vorkomme, während oft genug Arbeiter, die aus gut ventilierten in schlecht ventilierte Gruben übergingen, von ihr ergriffen würden. Die Gewinnsucht der Grubenbesitzer, die die Anlegung von Ventilationsschachten unterläßt, ist also schuld daran, daß diese Krankheit überhaupt existiert. Rheumatismus ist ebenfalls, mit Ausnahme von Warwickshire und Leicestershire, ein allgemeines Übel der Grubenarbeiter, das besonders aus den häufigen nassen Arbeitslokalen entsteht. – Das Resultat aller dieser Krankheiten ist, daß in allen Distrikten ohne Ausnahme die Grubenarbeiter früh altern und nach dem 40. Jahre bald – es ist verschieden nach den verschiedenen Distrikten – arbeitsunfähig werden; Daß ein Grubenarbeiter nach dem 45. oder gar 50. Lebensjahre seine Beschäftigung noch verfolgen kann, kommt äußerst selten vor. Mit 40 Jahren, wird allgemein angegeben, fängt ein solcher Arbeiter an, in sein Greisenalter zu treten. Dies gilt von denen, die die Kohlen loshauen; die Auflader, die fortwährend schwere Blöcke Kohlen in die Kufen zu heben haben, altern schon mit dem 28. oder 30. Jahre, so daß es ein Sprüchwort in den Kohlendistrikten gibt: Die Auflader werden alte Männer, ehe sie junge sind. Daß dies frühe Altern der Grubenarbeiter auch einen frühen Tod herbeiführt, versteht sich von selbst, und so ist denn auch ein Sechziger eine große Seltenheit unter ihnen; ja selbst in Süd-Staffordshire, wo die Gruben verhältnismäßig gesund sind, erreichen nur wenige das 51. Jahr. – Bei diesem frühen Altern der Arbeiter finden wir denn auch ganz natürlich, wie bei den Fabriken, häufige Arbeitslosigkeit der Eltern, die von ihren oft noch sehr jungen Kindern ernährt werden. – Fassen wir nun die Resultate der Arbeit in Kohlengruben nochmals kurz zusammen, so finden wir, um mit Dr. Southwood Smith, einem der Kommissäre, zu reden – daß einerseits durch Verlängerung der Kindheitsperiode, andererseits durch frühes Altern diejenige Lebensepoche, in der der Mensch im vollen Besitze seiner Kräfte ist, das Mannesalter, um ein bedeutendes verkürzt und die Lebensdauer überhaupt durch einen frühen Tod verringert wird. Auch das ins Debet der Bourgeoisie!
Alles das ist nur der Durchschnitt der englischen Gruben. Es gibt ihrer aber viele, in denen es noch weit schlimmer aussieht, nämlich diejenigen, in welchen dünne Kohlenflöze ausgebeutet werden. Die Kohlen würden zu teuer kommen, wollte man außer dem Kohlenlager auch noch einen Teil der anstoßenden Sand- und Lehmschichten wegräumen; daher lassen die Besitzer nur jene ausgraben, und dadurch werden die Gänge, die sonst vier, fünf und mehr Fuß hoch sind, so niedrig, daß an aufrechtes Stehen nicht zu denken ist. Der Arbeiter liegt auf der Seite und bricht mit seiner Hacke die Kohlen los, indem er den Ellenbogen als Angelpunkt aufstützt – daraus entsteht Entzündung des Gelenks und in den Fällen, wo er knien muß, dasselbe Übel am Kniegelenk. Die Weiber und Kinder, die die Kohlen zu schleppen haben, kriechen auf Händen und Füßen, mit einem Geschirr und einer Kette, die in vielen Fällen zwischen den Beinen durchgeht, an die Kufe gespannt, durch die niedrigen Stollen, während ein anderer von hinten mit Kopf und Händen nachschiebt. Das Drücken mit dem Kopf erzeugt lokale Irritation, schmerzhafte Anschwellungen und Geschwüre. In vielen Fällen sind die Stollen auch naß, so daß diese Arbeiter durch schmutziges oder salziges, ebenfalls Irritation der Haut erzeugendes Wasser von mehreren Zollen tief zu kriechen haben. Man kann sich leicht vorstellen, wie sehr die den Grubenarbeitern ohnehin eigentümlichen Krankheiten durch eine so scheußliche Sklavenarbeit begünstigt werden.
Das sind noch nicht alle Übel, die auf das Haupt des Grubenarbeiters fallen. Im ganzen britischen Reich gibt es keine Arbeit, bei der man auf so vielerlei Weise ums Leben kommen kann, wie gerade diese. Die Kohlengrube ist der Schauplatz einer Menge der schreckenerregendsten Unfälle, und gerade diese kommen direkt auf Rechnung des Bourgeoisie-Eigennutzes. Das Kohlenwasserstoffgas, das sich so häufig in ihnen entwickelt, bildet durch seine Vermischung mit atmosphärischer Luft eine explosible [ 1892) explosive] Luftart, die sich durch die Berührung mit einer Flamme entzündet und jeden tötet, der sich in ihrem Bereich befindet. Solche Explosionen fallen fast alle Tage hier oder dort vor; am 28. September 1844 war eine in Haswell Colliery (Durham), welche 96 Menschen tötete. Das kohlensaure Gas, das sich ebenfalls in Menge entwickelt, lagert an den tiefern Stellen der Gruben oft über Mannshöhe und erstickt jeden, der hineingerät. Die Türen, die die einzelnen Teile der Gruben trennen, sollen die Fortpflanzung der Explosionen und die Bewegung der Gase hindern, aber da man sie kleinen Kindern zur Bewachung übergibt, die oft einschlafen oder sie vernachlässigen, so ist diese Vorsichtsmaßregel illusorisch. Durch eine gute Ventilation der Gruben vermittelst Luftschachten wäre die nachteilige Wirkung beider Gase gänzlich zu vermeiden, aber dazu gibt der Bourgeois sein Geld nicht her und befiehlt lieber den Arbeitern, nur von der Davyschen Lampe Gebrauch zu machen, die ihm wegen ihres düstern Scheins oft ganz nutzlos ist und die er deshalb lieber mit der einfachen Kerze vertauscht. Kommt dann eine Explosion, so war es Nachlässigkeit der Arbeiter, wo doch der Bourgeois durch gute Ventilation jede Explosion hätte fast unmöglich machen können. Ferner fällt alle Augenblicke ein Stollen ganz oder teilweise ein und begräbt die Arbeiter oder zerquetscht sie; es ist das Interesse des Bourgeois, daß die Flöze soviel irgend möglich ausgegraben werden, und daher auch diese Art Unglücksfälle. Dann sind die Seile, an denen die Arbeiter in den Schacht fahren, oft schlecht und reißen, so daß die Unglücklichen herunterfallen und zerschmettert werden. Alle diese Unglücksfälle – ich habe keinen Raum für einzelne Beispiele – raffen jährlich, nach dem "Mining Journal", etwa 1400 Menschenleben dahin. Der "Manchester Guardian" berichtet allein aus Lancashire mindestens zwei bis drei in jeder Woche. Fast in allen Bezirken sind die Totenschau-Juries in allen Fällen von den Grubenbesitzern abhängig, und wo dies nicht der Fall ist, da sorgt der Schlendrian der Gewohnheit dafür, daß das Verdikt auf "Tod durch Zufall" lautet. Ohnehin kümmert sich die Jury wenig um den Zustand der Grube, weil sie nichts davon versteht. Aber der Ch. E. Rept. nimmt keinen Anstand, die Besitzer der Gruben geradezu für die große Mehrzahl dieser Fälle verantwortlich zu machen.
In Beziehung auf die Bildung und Sittlichkeit der bergbauenden Bevölkerung, so soll diese nach dem Ch. E. Rept. in Cornwall ziemlich und in Alston Moor sogar vortrefflich sein; dagegen steht sie in den Kohlendistrikten allgemein sehr niedrig. Die Leute leben auf dem Lande, in vernachlässigten Gegenden, und wenn sie ihre saure Arbeit tun, so kümmert sich außer der Polizei kein Mensch um sie. Daher kommt es und von dem zarten Alter, in welchem die Kinder an die Arbeit gestellt werden, daß ihre geistige Bildung durchaus vernachlässigt ist. Die Wochenschulen stehen ihnen nicht offen, die Abend- und Sonntagsschulen sind illusorisch, die Lehrer taugen nichts. Daher können nur wenige lesen und noch weniger schreiben. Das einzige, wofür ihre Augen noch offengeblieben, war nach der Aussage der Kommissäre, daß ihr Lohn viel zu gering für ihre saure und gefährliche Arbeit sei. – In die Kirche gehen sie nie oder selten; alle Geistlichen klagen über eine Irreligiosität ohnegleichen. In der Tat finden wir unter ihnen eine Unwissenheit über religiöse und weltliche Dinge, gegen welche die oben in Beispielen dargelegte vieler Industriearbeiter noch gering ist. Die religiösen Kategorien sind ihnen nur aus den Fluchworten bekannt. Ihre Moralität wird schon durch die Arbeit zerstört. Daß die Überarbeitung aller Grubenarbeiter den Trunk notwendig erzeugen muß, liegt auf der Hand. Was das Geschlechtsverhältnis betrifft, so arbeiten in den Gruben wegen der dort herrschenden Wärme Männer, Weiber und Kinder in vielen Fällen ganz und in den meisten beinahe nackt, und was die Folgen davon in der finstern, einsamen Grube sind, mag sich jeder selbst denken. Die Zahl der unehelichen Kinder, die hier unverhältnismäßig groß ist, spricht für das, was unter der halbwilden Bevölkerung dort unten vorgeht, beweist aber auch, daß der illegitime Verkehr der Geschlechter hier noch nicht, wie in den Städten, bis zur Prostitution gesunken ist. Die Arbeit der Weiber hat dieselben Folgen wie in den Fabriken, sie löst die Familie auf und macht die Mütter durchaus unfähig zur Verrichtung ihrer häuslichen Beschäftigungen.
Als der Ch. E. Rept. dem Parlament vorgelegt wurde, beeilte sich Lord Ashley, eine Bill vorzuschlagen, worin die Arbeit der Weiber in Bergwerken ganz verboten und die der Kinder sehr beschränkt wurde. Die Bill ging durch, ist aber in den meisten Gegenden ein toter Buchstabe geblieben, da nicht auch Bergwerksinspektoren ernannt wurden, um nach ihrer Ausführung zu sehen. Die Umgehung ist in den ländlichen Distrikten, wo die Bergwerke liegen, ohnehin schon sehr erleichtert, und da darf es uns nicht wundern, wenn voriges Jahr dem Minister des Innern die offizielle Anzeige von seiten der Verbindung der Grubenarbeiter gemacht wurde, daß in den Gruben des Herzogs von Hamilton in Schottland über 60 Frauenzimmer arbeiten, oder wenn der "Manchester Guardian" einmal berichtete, daß, wenn ich nicht irre, bei Wigan ein Mädchen durch eine Explosion in der Grube umgekommen sei und kein Mensch sich weiter darum kümmerte, daß auf diese Weise eine Ungesetzlichkeit an den Tag kam. In einzelnen Fällen mag es abgestellt worden sein, aber im allgemeinen besteht das alte Verhältnis unverändert fort.
Das sind aber noch nicht alle Beschwerden, die auf die Grubenleute fallen. Die Bourgeoisie, nicht zufrieden damit, die Gesundheit dieser Leute zu ruinieren, ihr Leben stündlich in Gefahr zu bringen, ihnen alle Gelegenheit zur Bildung zu nehmen, beutet sie auch sonst noch auf die unverschämteste Weise aus. Das Trucksystem ist hier nicht Ausnahme, sondern Regel und wird auf die unverhohlenste, direkteste Weise betrieben. Das Cottagesystem ist ebenfalls allgemein und hier meist Notwendigkeit, wird aber auch hier zur besseren Ausbeutung der Arbeiter angewandt. Dazu noch allerlei sonstige Betrügereien. Während die Kohlen nach dem Gewicht verkauft werden, wird dem Arbeiter meist der Lohn nach dem Maß berechnet, und wenn er seine Kufe nicht ganz voll hatte, so bekommt er gar keinen Lohn, wahrend er keinen Heller für Übermaß bezahlt erhält. Ist in der Kufe mehr als ein gewisses Quantum Grieß, was doch weniger vom Arbeiter als von der Beschaffenheit der Kohlenflöze abhängt, so ist nicht nur der ganze Lohn, sondern auch noch eine Strafe verwirkt. Das Strafgeldersystem ist in den Gruben überhaupt so vollkommen ausgebildet, daß zuweilen ein armer Teufel, der die ganze Woche gearbeitet hat und kommt, seinen Lohn zu holen, vom Aufseher – denn der straft ganz nach Belieben und ohne den Arbeiter herbeizuholen – erfährt, daß er nicht nur keinen Lohn zu erwarten, sondern noch soundsoviel an Strafen nachzuzahlen hat! Der Aufseher hat überhaupt absolute Macht über den Lohn, er notiert die gelieferte Arbeit und kann dem Arbeiter, der ihm glauben muß, bezahlen, was er will. In einigen Gruben, wo nach dem Gewicht bezahlt wird, werden falsche Dezimalwaagen gebraucht, deren Gewichte nicht durch die öffentliche Autorität geeicht zu werden brauchen: in einer war sogar eine Regel, daß jeder Arbeiter, der wegen Unrichtigkeit der Waage klagen wollte, dies dem Aufseher drei Wochen vorher anzeigen mußte! In vielen Gegenden, besonders in Nordengland, ist es Sitte, daß die Arbeiter auf ein Jahr engagiert werden; sie verpflichten sich, während der Zeit für keinen andern zu arbeiten, aber der Besitzer verpflichtet sich durchaus nicht, ihnen Arbeit zu geben, so daß sie oft monatelang arbeitslos sind und, wenn sie woanders Arbeit suchen, wegen Dienstvernachlässigung sechs Wochen auf die Tretmühle geschickt werden. In andern Verträgen wird den Leuten Arbeit bis zu 26 Shilling jede 14 Tage gesichert, aber nicht gegeben; in andern Distrikten leihen die Besitzer den Arbeitern kleine, nachher abzuverdienende Summen und fesseln sie dadurch an sich. Im Norden ist es allgemeine Sitte, stets den Lohn einer Woche zurückzuhalten, um dadurch die Leute zu fesseln. Und um die Sklaverei dieser geknechteten Arbeiter zu vollenden, sind fast alle Friedensrichter der Kohlendistrikte selbst Grubenbesitzer oder Verwandte und Freunde von solchen und haben in diesen unzivilisierten, armen Gegenden, wo es wenig Zeitungen – und auch diese im Dienst der herrschenden Klasse – und wenig politische Agitation gibt, eine fast unumschränkte Macht. Man kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, wie diese armen Grubenarbeiter von den in eigner Sache urteilenden Friedensrichtern ausgesogen und tyrannisiert worden sind.
Eine lange Zeit ging das so voran. Die Arbeiter wußten nicht besser, als daß sie dazu da seien, bis aufs Blut geschunden zu werden. Allmählich aber fand sich auch unter ihnen, namentlich in den Fabrikdistrikten, wo die Berührung mit den intelligenteren Fabrikarbeitern ihren Einfluß nicht verfehlte, ein oppositioneller Geist gegen die schamlose Unterdrückung der "Kohlenkönige". Sie fingen an, Assoziationen zu bilden und von Zeit zu Zeit die Arbeit einzustellen. In den zivilisierteren Teilen schlossen sie sich sogar mit Leib und Seele den Chartisten an. Der große Kohlendistrikt des Nordens von England, der allem industriellen Verkehr abgeschlossen war, blieb indes immer noch zurück, bis endlich, nach vielen Versuchen und Anstrengungen, teils der Chartisten, teils der intelligenteren Grubenleute selbst, im Jahre 1843 ein allgemeiner Geist des Widerstands auch hier erwachte. Eine solche Bewegung ergriff die Arbeiter von Northumberland und Durham, daß sie sich in die Spitze einer allgemeinen Verbindung der Grubenleute des ganzen Reichs stellten und einen Chartisten, den Advokaten W P. Roberts aus Bristol, der sich schon bei den früheren Chartistenprozessen ausgezeichnet hatte, zu ihrem "Generalprokurator" ernannten. Die "Union" verbreitete sich bald über die große Mehrzahl der Distrikte; überall wurden Agenten ernannt, die Versammlungen hielten und Mitglieder anwarben; bei der ersten Konferenz von Deputierten in Manchester im Januar 1844 waren über 60 000, bei der zweiten in Glasgow, ein halbes Jahr später, schon über 100 000 Mitglieder. Alle Angelegenheiten der Grubenleute wurden hier beraten und über die größeren Arbeitseinstellungen Beschlüsse gefaßt. Mehrere Journale, besonders die Monatsschrift "The Miner's Advocate" zu Newcastle-upon-Tyne, wurden gegründet und die Rechte der Grubenleute darin vertreten.
Am 31. März 1844 liefen die Dienstverträge aller Grubenleute in Northumberland und Durham ab. Sie ließen sich von Roberts einen neuen Vertrag aufsetzen, worin sie verlangten: 1. Bezahlung nach dem Gewicht statt nach dem Maß; 2. Ermittlung des Gewichts durch gewöhnliche, von den öffentlichen Inspektoren revidierte Waagschalen und Gewichte; 3. halbjährliche Dienstzeit; 4. Abschaffung des Strafensystems und Bezahlung der wirklich gelieferten Arbeit; 5. Verpflichtung der Besitzer, den in ihrem ausschließlichen Dienst befindlichen Arbeitern wenigstens vier Tage in der Woche Arbeit oder den Lohn für vier Tage zu garantieren. Der Vertrag wurde den Kohlenkönigen übersandt und eine Deputation ernannt, um mit ihnen zu unterhandeln; diese aber antworteten, die "Union" existiere nicht für sie, sie hätten nur mit den einzelnen Arbeitern zu tun und würden die Verbindung nie anerkennen. Auch legten sie einen andern Vertrag vor, der von allen den obigen Punkten nichts wissen wollte und natürlich von den Arbeitern verweigert wurde. Somit war der Krieg erklärt. Am 31. März 1844 legten 40 000 Grubenleute ihre Hacken nieder, und sämtliche Gruben in den beiden Grafschaften standen leer. Die Fonds der Assoziation waren so bedeutend, daß auf mehrere Monate jeder Familie eine Unterstützung von 2 1/2 sh. wöchentlich zugesichert werden konnte. Während so die Arbeiter die Geduld ihrer Brotherrn auf die Probe stellten, organisierte Roberts mit einer Unermüdlichkeit ohnegleichen den Turnout und die Agitation, ließ Versammlungen halten, durchreiste England in die Kreuz und Quer, sammelte Unterstützungen für die Feiernden, predigte Ruhe und Gesetzlichkeit und führte zugleich einen Feldzug gegen die despotischen Friedensrichter und Truckmeister aus, wie er noch nie in England vorgekommen war. Schon im Anfange des Jahres hatte er diesen begonnen. Wo irgendein Grubenarbeiter von den Friedensgerichten verurteilt war, verschaffte er sich beim Hofe der Queen's Bench ein Habeas Corpus, brachte seinen Klienten vor den Hof nach London und erhielt ihn immer freigesprochen. So sprach Richter Williams von der Queen's Bench am 13. Januar drei von den Friedensrichtern zu Bilston (Süd-Staffordshire) verurteilte Grubenleute los; das Verbrechen dieser Leute war, daß sie sich weigerten, an einer Stelle zu arbeiten, welcher Einsturz drohte und wirklich, ehe sie zurückkamen, eingestürzt war! Bei einer früheren Gelegenheit hatte Richter Patteson sechs Arbeiter losgesprochen, so daß der Name Roberts allmählich anfing, den grubenbesitzenden Friedensrichtern fürchterlich zu werden. In Preston saßen ebenfalls vier seiner Klienten; er machte sich in der ersten Woche des Februar auf, um die Sache an Ort und Stelle zu untersuchen, fand aber, als er ankam, die Verurteilten vor Ablauf der Strafzeit schon entlassen. In Manchester saßen sieben; Roberts erhielt Habeas Corpus und vom Richter Wightman vollständige Freisprechung. In Prescot saßen neun Grubenarbeiter, die wegen angeblicher Ruhestörung in St. Helens (Süd-Lancashire) schuldig erklärt und auf ihr Urteil warteten; als Roberts hinkam, wurden sie sogleich freigelassen. Alles das geschah in der ersten Hälfte des Februar. Im April befreite Roberts auf dieselbe Weise einen Grubenarbeiter aus dem Gefängnis zu Derby, vier aus dem zu Wakefield (Yorkshire) und vier aus dem zu Leicester. So ging es eine Zeitlang fort, bis die "Dogberries", wie diese Friedensrichter nach dem bekannten Charakter in Shakespeares "Viel Lärmen um nicht" genannt werden, etwas Respekt bekamen. Ebenso ging es mit dem Trucksystem. Einen nach dem andern von diesen ehrlosen Grubenbesitzern schleppte Roberts vor Gericht und erzwang von den widerwilligen Friedensrichtern Urteile gegen sie; solch eine Furcht verbreitete sich unter ihnen vor diesem windschnellen Generalprokurator, der überall zu gleicher Zeit zu sein schien, daß z.B. in Belper bei Derby eine Truckfirma bei seiner Ankunft folgendes Plakat anschlagen ließ:
"Bekanntmachung. Pentrich-Kohlenzeche."
"Die Herren Haslam halten es für nötig (um jedem Irrtum zuvorzukommen), anzuzeigen, daß alle in ihrer Zeche beschäftigten Leute ihren Lohn ganz in Geld ausbezahlt erhalten werden und ihn ausgeben können, wo und wie es ihnen beliebt. Wenn sie im Laden der Herren Haslam ihre Waren kaufen, so werden sie dieselben, wie bisher, zu Engrospreisen erhalten, jedoch wird nicht erwartet, daß sie sie dort kaufen, und es wird ihnen dieselbe Arbeit und derselbe Lohn gegeben werden, sie mögen in diesem oder irgendeinem andern Laden kaufen."
Diese Triumphe erregten den lautesten Jubel unter der ganzen englischen Arbeiterklasse und führten der "Union" eine Menge neuer Mitglieder zu. Inzwischen ging das Feiern im Norden voran. Keine Hand wurde gerührt, und Newcastle, der Hauptexporthafen für Kohlen, war so entblößt davon, daß man von der schottischen Küste Kohlen dorthin bringen mußte, obwohl im Englischen to carry coals to Newcastle [Kohlen nach Newcastle tragen] so viel heißt, wie bei den Griechen Eulen nach Athen tragen, d.h. etwas ganz Überflüssiges tun. Anfangs, solange die Fonds der "Union" vorhielten, ging alles gut, aber gegen den Sommer wurde den Arbeitern der Kampf sehr erschwert. Die höchste Not herrschte unter ihnen; sie hatten kein Geld, denn die Beiträge der Arbeiter aller Industriezweige in ganz England machten doch auf die große Anzahl der Feiernden wenig aus; sie mußten bei den Krämern mit Schaden borgen; die ganze Presse, mit Ausnahme weniger proletarischen Journale, war gegen sie; die Bourgeoisie, selbst die wenigen unter ihr, die Gerechtigkeitssinn genug habt hätten, sie zu unterstützen, erfuhren aus den feilen liberalen und konservativen Blättern nur Lügen über die Sache; eine Deputation von zwölf Grubenleuten, die nach London ging, brachte bei dem dortigen Proletariat eine Summe auf, die aber auch bei der Menge der Unterstützungsbedürftigen wenig half; trotz alledem blieben die Grubenleute fest und, was noch mehr sagen will, bei allen Feindseligkeiten und Herausforderungen der Grubenbesitzer und ihrer getreuen Diener ruhig und friedlich. Kein Akt der Rache wurde geübt, kein einzelner Abtrünniger mißhandelt, kein einziger Diebstahl verübt. So hatte das Feiern schon an vier Monate gedauert, und noch immer hatten die Besitzer keine Aussicht, die Oberhand zu bekommen. Ein Weg stand ihnen noch offen. Sie erinnerten sich des Cottagesystems; es fiel ihnen ein, daß die Häuser der Widerspenstigen ihr Eigentum seien. Im Juli wurde den Arbeitern die Miete gekündigt, und in einer Woche alle vierzigtausend vor die Türe gesetzt. Diese Maßregel wurde mit einer empörenden Barbarei durchgeführt. Kranke und Schwache, Greise und Säuglinge, selbst gebärende Frauen wurden schonungslos aus den Betten gerissen und in den Chausseegraben geworfen. Ein Agent machte sich sogar den Genuß, ein hochschwangeres Weib mit eigner Hand bei den Haaren aus dem Bette und auf die Straße zu schleifen. Militär und Polizei stand in Masse dabei, bereit, auf das erste Zeichen von Widerstand und auf den ersten Wink der Friedensrichter, die die ganze brutale Prozedur leiteten, einzuhauen. Auch das überstanden die Arbeiter, ohne sich zu rühren. Man hatte gehofft, sie würden Gewalt brauchen, man reizte sie mit aller Macht zur Widersetzlichkeit, um nur einen Vorwand zu haben, dem Feiern durch Militär ein Ende zu machen; die obdachlosen Grubenleute, eingedenk der Ermahnungen ihres Prokurators, blieben unbeweglich, setzten schweigend ihre Möbel auf die Moorflächen oder abgeernteten Felder und hielten aus. Einige, die keinen andern Platz wußten, kampierten in den Chausseegräben, andere auf andrer Leute Grundstücken, wo sie dann verklagt und, weil sie "Schaden zum Betrage eines Halfpenny" getan hätten, in ein Pfund Kosten verurteilt wurden, die sie natürlich nicht bezahlen konnten und auf der Tretmühle abbüßten. So haben sie acht und mehr Wochen in dem nassen Spätsommer des vorigen Jahres (1844) unter freiem Himmel mit ihren Familien gewohnt, ohne anderes Obdach für sich und ihre Kleinen als die kattunenen Vorhänge ihrer Betten, ohne andere Hülfsmittel als die geringen Unterstützungen der "Union" und den abnehmenden Kredit der Krämer. Darauf ließ Lord Londonderry, der in Durham bedeutende Gruben besitzt, den Krämern "seiner Stadt" Seaham mit seinem allerhöchsten Zorn drohen, wenn sie fortführen, "seinen" widerspenstigen Arbeitern Kredit zu geben. Dieser "edle" Lord war überhaupt der Harlekin des ganzen Turnouts durch die lächerlichen und schwülstigen, schlecht stilisierten "Ukase" an die Arbeiter, die er von Zeit zu Zeit, aber immer ohne andere Wirkung als die Heiterkeit der Nation, erließ (2). Als alles nicht mehr fruchten wollte, ließen die Besitzer mit großen Unkosten aus Irland und den entfernteren Teilen von Wales, wo es noch keine Arbeiterbewegungen gibt, Leute kommen, um in ihren Gruben zu arbeiten, und als so die Konkurrenz der Arbeiter unter sich wiederhergestellt war, brach die Macht der Feiernden zusammen. Die Besitzer zwangen sie, sich von der "Union" loszusagen, Roberts zu verlassen und die von ihnen diktierten Bedingungen anzunehmen. So endigte anfangs September der große fünfmonatliche Kampf der Grubenleute gegen die Besitzer – ein Kampf, der von der Seite der Unterdrückten mit einer Ausdauer, einem Mut, einer Intelligenz und Besonnenheit geführt wurde, die uns die höchste Bewunderung abnötigen. Welch einen Grad von wahrhaft menschlicher Bildung, von Begeisterung und Charakterstärke setzt ein solcher Kampf bei einer Masse von vierzigtausend Männern voraus, die, wie wir sahen, im Ch. E. Rept. noch 1840 als durchaus roh und sittenlos geschildert werden! Wie hart muß aber auch der Druck gewesen sein, der diese vierzigtausend dahin brachte, sich wie ein Mann zu erheben und wie eine nicht nur disziplinierte, sondern auch begeisterte Armee, die nur einen Willen hat, den Kampf mit der größten Kaltblütigkeit und Ruhe bis zu dem Punkte fortzusetzen, wo fernerer Widerstand Unsinn wäre! Und welch einen Kampf – nicht gegen sichtbare, tödliche Feinde, sondern gegen Hunger und Not, Elend und Obdachlosigkeit, gegen die eignen, durch die Brutalität des Reichtums bis zum Wahnsinn herausgeforderten Leidenschaften – hätten sie sich gewaltsam empört, so wären sie, die Waffenlosen, zusammengeschossen worden, und ein paar Tage hätten den Sieg der Besitzer entschieden. Diese Gesetzlichkeit war nicht die Furcht vor dem Konstablerstocke, sie war reine Überlegung, sie war der beste Beweis von der Intelligenz und Selbstbeherrschung der Arbeiter.
So unterlagen auch diesmal die Arbeiter, trotz ihrer beispiellosen Ausdauer, der Macht der Kapitalisten. Aber es war nicht fruchtlos. Vor allen Dingen hat dieser neunzehn Wochen lange Turnout die Grubenleute Nordenglands für immer dem geistigen Tod entrissen, in dem sie bisher lagen; sie haben aufgehört zu schlafen, sind wach für ihre Interessen und haben sich der Bewegung der Zivilisation, besonders aber der Arbeiterbewegung angeschlossen. Der Turnout, der erst die ganze Barbarei der Besitzer gegen sie zum Vorschein brachte, hat die Arbeiteropposition hier für immer etabliert und mindestens drei Viertel der ganzen Zahl zu Chartisten gemacht – und die Akquisition von dreißigtausend so energischen, so bewährten Leuten ist den Chartisten wahrlich viel wert. Dann aber hat die Ausdauer und Gesetzlichkeit des ganzen Turnouts, vereinigt mit der tätigen Agitation, die ihn begleitete, doch die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Grubenarbeiter gelenkt. Bei Gelegenheit der Debatte über den Ausfuhrzoll auf Kohlen brachte Thomas Duncombe, das einzige entschieden chartistische Unterhausmitglied, die Lage der Grubenarbeiter im Parlament zur Sprache, ließ ihre Petition am Tisch des Hauses verlesen und zwang durch einen Vortrag auch die Journale der Bourgeoisie, wenigstens in den Parlamentsverhandlungen einmal eine richtige Darstellung der Sache aufzunehmen. Gleich nach dem Turnout fiel die Explosion zu Haswell vor; Roberts reiste nach London, erlangte eine Audienz bei Peel, drang als Repräsentant der Grubenarbeiter auf gründliche Untersuchung des Falls und setzte es durch, daß die ersten geologischen und chemischen Notabilitäten Englands, die Professoren Lyell und Faraday, beauftragt wurden, sich an Ort und Stelle zu verfügen. Da bald darauf noch mehrere Explosionen folgten und die Akten von Roberts wiederum dem Premierminister vorgelegt wurden, so versprach dieser, in der nächsten Parlamentssession (der jetzigen von 1845) wo möglich die nötigen Maßregeln zum Schutz der Arbeiter vorzuschlagen. Alles das wäre nicht erfolgt, hätten sich die Leute nicht durch den Turnout als freiheitsliebende, achtunggebietende Männer bewährt und hätten sie Roberts nicht engagiert.
Kaum war es bekannt, daß die Grubenleute des Nordens gezwungen seien, die "Union" aufzugeben und Roberts zu entlassen, so traten die Grubenleute von Lancashire in einer Union von etwa zehntausend Arbeitern zusammen und garantierten ihrem Generalprokurator sein Gehalt von 1 200 Pfund jährlich. Sie brachten im Herbst vorigen Jahres monatlich über 700 Pfund zusammen, von denen etwas über 200 Pfund für Gehalte, Gerichtskosten etc. und der Rest meistens als Unterstützung feiernder Arbeiter, die teils brotlos waren, teils die Arbeit wegen Zwistigkeiten mit den Besitzern niedergelegt hatten, verwendet wurde. So sehen die Arbeiter immer mehr ein, daß sie vereinigt auch eine respektable Macht sind und im höchsten Notfall allerdings der Macht der Bourgeoisie trotzen können. Und diese Einsicht, der Gewinn aller Arbeiterbewegungen ist den sämtlichen Grubenleuten Englands durch die "Union" und den Turnout von 1844 zuteil geworden. In sehr kurzer Zeit wird der Unterschied der Intelligenz und Energie, der jetzt noch zugunsten der Industriearbeiter besteht, verschwunden sein, und die Bergleute des Reichs werden sich ihnen in jeder Beziehung an die Seite stellen können. So wird ein Stück Terrain nach dem andern unter den Füßen der Bourgeoisie unterwühlt, und wie lange wird es dauern, so stürzt ihr ganzes Staats- und Gesellschaftsgebäude samt der Basis, auf der es steht, zusammen.
Aber sie läßt sich nicht warnen. Die Auflehnung der Grubenarbeiter erbitterte sie nur noch mehr; statt in ihr einen Fortschritt der Bewegung unter den Arbeitern im allgemeinen zu sehen, statt sich dadurch zur Besinnung bringen zu lassen, fand die besitzende Klasse in ihr nur Veranlassung zum Zorn gegen eine Klasse von Menschen, die närrisch genug war, mit der bisherigen Behandlungsweise sich nicht mehr einverstanden zu erklären. Sie sah in den gerechten Forderungen der Besitzlosen nur unverschämte Unzufriedenheit, wahnsinnige Auflehnung gegen "göttliche und menschliche Ordnung" und im günstigsten Falle einen mit aller Macht wieder zu unterdrückenden Erfolg "übelgesinnter Demagogen, die von der Agitation leben und zu faul sind zum Arbeiten". Sie suchte – natürlich erfolglos – den Arbeitern Leute wie Roberts und die Agenten der Assoziation, die ganz natürlich von dieser unterhalten wurden, als pfiffige Betrüger darzustellen, die ihnen, den armen Arbeitern, den letzten Heller aus der Tasche lockten. – Wenn eine solche Verrücktheit bei der besitzenden Klasse existiert, wenn sie durch ihren augenblicklichen Vorteil so geblendet wird, daß sie selbst für die deutlichsten Zeichen der Zeit keine Augen mehr hat, so muß man wahrlich alle Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der sozialen Frage für England aufgeben. Die einzig mögliche Auskunft bleibt eine gewaltsame Revolution, die ganz gewiß nicht ausbleiben wird.
Anmerkungen F. E.:
(1) Nach dem Zensus von 1841 beträgt die Anzahl der im Bergbau beschäftigten Arbeiter in Großbritannien (außer Irland):
Männer |
Weiber |
||||
über 20 Jahr |
unter 20 Jahr |
über 20 Jahr |
unter 20 Jahr |
Zusammen |
|
Kohlengruben |
83 408 |
32 475 |
1 185 |
1 165 |
118 233 |
Kupferbergwerke |
9 866 |
3 428 |
913 |
1 200 |
15 407 |
Bleibergwerke |
9 427 |
1 932 |
40 |
20 |
11 407 |
Eisenbergwerke |
7 773 |
2 679 |
424 |
73 |
10 949 |
Zinnbergwerke |
4 602 |
1349 |
68 |
82 |
6 101 |
Diverse, und bei denen das Mineral nicht angegeben |
24 162 |
6 591 |
472 |
491 |
31 716 |
Zusammen: |
139 238 |
48 454 |
3 102 |
3 031 |
193 825 |
Da die Kohlen- und Eisenwerke meist von denselben Leuten bearbeitet werden, so ist ein Teil der als Kohlenarbeiter angegebenen Leute und ferner noch ein sehr bedeutender Teil der in der letzten Rubrik angegebenen Arbeiter den Eisenwerken zuzuschreiben.
(2) (1892) Nichts Neues unter der Sonne, wenigstens nicht in Deutschland. Unsre "König Stumm" sind eben auch nur Abklatsche längst vergangner, heute in ihrer Heimat unmöglicher englischer Urbilder.