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Über den Stoppelfeldern von Wolfsheim stand dünner Herbstnebel. Krähen flogen in Schwärmen. Ihr düsteres, aufdringliches Schreien war das letzte, was von dem großen Vogelkonzert geblieben war.
Vor dem Lehrerhaus standen am Zaun große Sonnenblumen, die vollen Häupter geneigt. Auf einer letzten kümmerlichen Rose saß ein frierender Falter. Ringsum machte sich die lärmende Pracht von blauen, gelben und roten Astern und Georginen breit. Über sie und die Blätter, die der Wind herüberwehte, hatte der Herbst seine letzten Farben ausgeschüttet.
Hanne stand am Herd und kochte. Sie sang leise vor sich hin:
»Ich hab' die Nacht geträumet
Wohl einen schweren Traum.
Es wuchs in meinem Garten
Ein Rosmarienbaum ...«
Zwischenhinein hörte sie nach der Schulstube hinüber, und dann kam in ihr Gesicht ein ernster, versorgter Blick.
Die Schulkinder lärmten jetzt immer so laut, seit sie wußten, daß ihr Lehrer ihnen nicht recht mehr Widerstand leisten konnte. Wenn er schrie, klang es immer wie ein Krächzen, und nach jedem dritten Wort mußte er husten.
Hanne rasselte lauter mit ihren Töpfen, um nichts von drüben zu hören, und sang weiter:
»Die Blüten tät' ich sammeln
In einem goldnen Krug.
Der fiel mir aus den Händen,
Daß er in Stücken schlug ...«
Die Tür zum Gang öffnete sich, und ein schwerer Schritt stapfte herein.
Hanne nahm den Topf vom Feuer und trat aus der Küche.
Gutsbesitzer Trautmann stand dort, auf den Stock gestützt. Sein Grogatem wehte sie an.
»Wünschen Sie etwas, Herr Trautmann?« Sie nötigte ihn zum Eintritt in die Wohnstube. Es kam selten vor, daß er sie besuchte.
Er trat ein, nahm aber den angebotenen Stuhl nicht an, sondern blieb stehen, mit mißtrauischem und verächtlichem Blick die langen Bücherreihen betrachtend.
»Kostet schweres Geld, so was,« sagte er endlich und deutete mit dem Stock auf die Bücher.
Hanne war eingeschüchtert, sie wußte selbst nicht, warum. »Leider,« sagte sie nur.
Der Gutsbesitzer blickte sich noch immer im Zimmer um, als suche er etwas Bestimmtes.
»Wünschen Sie etwas?« fragte Hanne endlich, der dies Schweigen unheimlich wurde.
Er stapfte, ohne zu antworten, auf das Regal zu, auf dem Peters Photographie stand. »Sein Bild haben Sie also? Da werden Sie also auch Briefe von ihm haben?«
»Nein,« sagte Hanne ängstlich. »Peter schreibt nur Karten. Die letzte war von seinem bestandenen Examen. Aber das werden Sie ja selber wissen.«
»Oho. Peter sagt man? Einfach schlankweg Peter? Steht man so?«
Hanne fühlte, wie sie rot wurde, und sie ärgerte sich darüber, »Wir kennen uns doch schon so lange,« sagte sie dann trotzig. »Da ist doch nichts dabei.«
›Wenn nur Richard käme,‹ dachte sie. Im gleichen Augenblick hörte sie die Schulkinder drüben hinausstürmen wie Indianer auf dem Kriegspfad. Der Lehrer hatte sogar auf das Schlußlied verzichtet. Ob er den Gutsbesitzer gesehen hatte? Ob er fühlte, daß sie ihn brauchte?
»So? Da ist also nichts dabei?« wiederholte Gustav Trautmann in einem mürrischen Ton, der plötzlich in einen zornigen umschlug, »Es ist auch wohl nichts dabei, daß er sein Geld auf die Straße wirft, wie?«
Sie trat einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Keiner weiß,« höhnte der andere. »Aber ich weiß es. Wenn man auch auf dem Lande ist, man erfährt doch, was man erfahren will.«
Richard Hasse trat ein und begrüßte den Gast, der nur kurz nickte und plötzlich schrie: »Ich habe hier den Kopf voll Sorgen, und dieser Bengel schmeißt das Geld zum Fenster hinaus. Ist das erlaubt? Steht das auch in Ihren Büchern?«
»Von wem sprechen Sie?«
Gustav Trautmann würdigte ihn keiner Antwort.
»Es wird ja wohl noch Gesetze geben, die es verbieten, sein Geld für allerlei dumme Faxen wegzuwerfen, solange Erben da sind. Es gibt ja wohl auch etwas, das man Kuratel nennt.«
Hanne klammerte sich an ihren Bruder. »Er spricht von Peter,« sagte sie, und ihre Augen standen voller Tränen.
»Allerdings spricht man von dem lieben Peter. Wieviel hat er Ihnen denn gegeben?« fragte Gustav Trautmann. Über seine Stirn zog eine dicke Falte, als er sich dem Lehrer zuwandte.
»Ich glaube, Ihr Neffe ist volljährig und kann tun und lassen, was er will.«
»Den Deubel kann er das. Wieviel hat er Ihnen gegeben?« wiederholte der Gutsbesitzer, und sein Stock schlug dröhnend auf den Tisch. »Meinen Sie, ich wüßte nichts von den Bücherkisten, die für Sie angekommen sind? Halten Sie mich für so dumm, daß ich glaube, Sie könnten das von Ihrem Gehalt kaufen?«
Richard Hasse blickte zu den roten Rücken der Giordano Bruno-Bände herüber und den dunklen, schmalen Bänden des Spinoza. Er stellte sich wie in Abwehr vor sie hin, »Herr Trautmann, Sie sind in meinem Haus, vergessen Sie das nicht. Oder –« Ein Hustenanfall erstickte die weiteren Worte.
Er führte das Taschentuch zum Mund. Als er es fortnahm, sah Hanne Blutspuren darin. Mit einem leichten Aufschrei lief sie zu ihm.
Gustav Trautmann blickte sich einen Augenblick unentschlossen um. Dann stapfte er hinaus, die Tür hinter sich zuwerfend.
»Was für ein böser Mann,« sagte Hanne leise.
»Was für ein armer Mann,« sagte der Lehrer und blickte dem reichen Gutsbesitzer nach, dessen dunkle, schwere Gestalt langsam vom Oktobernebel verschluckt wurde.
*
Frau Kriebe klopfte an ihres Mieters Tür. Es dauerte lange, bis er Herein! rief.
Sie war es jetzt gewohnt und nahm es ihm nicht übel, seit sie wußte, daß er wirklich so reich war, wie sie geahnt. Solche Herren hatten eben ihre Launen.
Er sah jetzt immer so düster aus, daß man sich vor ihm fürchten konnte, und sprach am Tage nicht drei Worte und war für niemand zu sprechen. Gestern hatte er sogar das schöne Fräulein mit den kostbaren Ohrringen abgewiesen, das so elegant gekleidet war, als koste Seide gar nichts, und vornehm bis dorthinaus. Er hatte die Karte zurückgeschickt und sagen lassen, daß er krank sei.
Betty Saßmann – sie hatte den Namen noch geschwind auf der Karte gelesen – war sehr ernst weggegangen.
Sie schlüpfte ins Zimmer.
Er saß im Sessel am Fenster, wo er jetzt ganze Tage lang hockte, ohne sich zu rühren.
»Was gibt's?« fragte er mürrisch.
»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen.«
»Ich bin für niemand zu sprechen. Er soll seine Karte dalassen.«
»Er sagt, er hätte keine Karte, und Sie wüßten das auch.«
Peter sprang sofort auf. »Lassen Sie den Herrn herein.«
Frau Kriebe gehorchte und winkte Katzian herein. Aber sie krauste deutlich ihr Näschen. Sie begriff ihren Mieter nicht, der diesen unfrisierten Menschen so herzlich begrüßte, als sei er Gott weiß wer. Sie horchte nicht einmal an der Türe. Dieser Besucher war ihr nicht interessant genug.
»Es ist sonderbar, daß Sie zu mir kommen,« sagte Peter.
Katzian lächelte. »Sie luden mich ja ein. Und das ist mir seit etlichen Jahren nicht mehr passiert.«
»Sie leben einsam?«
»Das ist nur scheinbar. Ich habe Millionen Brüder. Pardon, wieviel Bewohner hat die Erde?«
»Nun, etwa anderthalb Milliarden.«
»Also anderthalb Milliarden Brüder.«
»Das ist ein bißchen viel,« entgegnete Peter lächelnd. »Finden Sie das nicht auch?«
Katzian senkte den Kopf. »Es fehlen auch einige an der Zahl.«
Peter war glücklich über den Gast, der ihn seinem dunklen Grübeln entriß. Er holte Liköre herbei und bot Zigaretten.
»Sie sind wohlhabend?« fragte Katzian.
»Nein.«
»Nun, ich dächte doch, wenn man so was hat –«
»Ich bin reich. Ich bin unverschämt reich. Aber ich kann nichts dafür.«
»Und Sie wohnen hier?« Er sah sich um.
»Eine Laune von mir. Ich könnte in einem nach meinem Modell gebauten Schloß wohnen, und Villen bei Kairo und am Bosporus haben.«
»Was stimmt.«
Katzian zögerte eine Weile: »Ich hörte neulich Ihren Namen. Nicht im Caféhaus, sondern bei einer anderen Gelegenheit. Fräulein Betty Saßmann erwähnte ihn.«
Peter war ehrlich erstaunt. »Dort verkehren Sie?«
Katzian verneinte. »Ich lernte die Dame zufällig kennen. Wo, ist egal. Sie ist ein prächtiges Mädchen.
»Sie ist die glückliche Tochter eines reichen Vaters,« warf Peter fast erbittert ein.
»Nein. Sie ist mehr.« Katzian sah ihn groß an. »Es ist sonderbar, daß Sie das nicht gespürt haben.«
Peter trank hastig einen Likör. »Was soll ich denn gespürt haben?«
»Eine Ähnlichkeit im Schicksal Bettys« – er sagte einfach Betty – »und dem Ihrigen.«
»Da wäre ich neugierig,« höhnte Peter.
Katzian strich sich die Haare aus der Stirn. »Auf Ihnen beiden lastet das Geld. Sie beide tragen allzu schwer an dieser Bürde, die andere Ihnen, ohne Sie zu fragen, aufgepackt haben. Sie möchten sich freimachen, möchten das Gold verstreuen, aber es nützt nichts. Ihrer beider Reichtum läßt sich nicht so leicht verstreuen. Er vermehrt sich wie die Hydra.«
Peter hatte den Kopf in beide Hände gestützt und blickte Katzian aufmerksam an. Woher kannte ihn dieser Mensch?
»Ihr Geld hetzt Sie beide,« fuhr Katzian fort. »Sie sind beide alleinige Erben, soviel ich weiß. Sie laufen vor ihm davon, aber es nutzt nichts. Soll ich lieber nicht davon reden?«
»Reden Sie weiter!« bat Peter.
»Wie heißt es doch bei dem alten Horaz? Es ist schon lange her, daß ich ihn las, Post equitem sedet atra cura. Ist es nicht so? Hinter dem flüchtigen Reiter sitzt die dunkle Sorge im gleichen Sattel.«
»Latein können Sie auch?«
»Ich habe einmal sogar das Abiturium gemacht und wollte studieren. Kunstwissenschaft und solchen Unsinn.«
»Und was sind Sie jetzt?«
»Lassen wir das.« Katzian zündete sich eine Zigarette an und rauchte langsam und genießerisch.
Peter sah ihn fest an. »Sie tragen doch in Wirklichkeit gar nicht diesen lächerlichen Namen, wie?«
Katzian erschrak. »Wie kommen Sie darauf?«
»Mein Gott, lenken Sie doch nicht ab!«
Katzian sprang auf. »Mir scheint vielmehr, daß Sie ablenken. Das Thema, das ich angeschnitten habe, ist Ihnen doch wohl unbequem. Ich habe mich also in Ihnen geirrt und Betty auch. Schade. Sehen Sie mich nicht so ironisch an. Es glückt Ihnen nicht, und mich trifft es auch gar nicht.«
»Nehmen Sie doch Platz!« drängte Peter, immer gespannter diesen merkwürdigen Menschen betrachtend.
Aber Katzian stand noch immer erregt da. Seine Augen flammten. »Ich habe mich nicht hier hereingedrängt. Ich komme nicht auf eigenen Wunsch hierher – bilden Sie sich das nicht ein, – ich kam, weil Betty Saßmann mich darum bat.«
»Das ist merkwürdig,«
»Sie wissen es wohl nicht einmal, daß sie gestern bei Ihnen war?«
Peter nickte. »Doch, das weiß ich. Nun, da Sie's ja selber sagen und offenbar von ihr erfahren haben, kann ich es ja selbst zugestehen. Ich habe sie aber nicht gesprochen.«
Katzian stapfte mit dem Fuß auf. »Nein. Das ist es ja gerade. Ein solches Mädchen schicken Sie von Ihrer Türe fort. Sie ließen sich verleugnen. Sie gaben sich für krank aus.«
Peter senkte den Kopf und sagte leise: »Ich war auch krank ...«
Der andere setzte sich wieder. In seinem Gesicht stand ein tiefes Mitleid. Seine Rechte streckte sich Peter entgegen, blieb aber in der Luft hängen und sank endlich nieder.
»Ich war auch krank ... an Leib und Seele,« sagte Peter wieder. »Ich schwöre es Ihnen. Ich bin es wohl auch noch ...«
»Ja, sie sind es auch noch. Ich weiß es, und auch Betty Saßmann weiß es. Und sie ist in Sorge um Sie.«
Peter blickte auf. Er sah so grenzenlos müde aus. »Wie kann ein Mensch um mich in Sorge sein? Wie kann es dies Fräulein Saßmann? Wir kennen uns doch fast gar nicht?«
Katzian antwortete vorsichtig: »Sie kennt Sie gut. Sie war ja auch bei dem Konzert.«
Peter stand auf und wanderte im Zimmer auf und ab. »Das ist alles vorbei. Und ich möchte nicht mehr daran erinnert sein.«
»Sie fliehen schon wieder, Peter Trautmann.«
Peter wanderte weiter auf und ab, ohne zu antworten.
»Sie fliehen, und die Flucht glückt Ihnen nicht.«
Plötzlich blieb Peter vor ihm stehen. Er rang die Hände.
»Wie ist es möglich, sagen Sie mir ehrlich, wie ist es nur möglich: Überall will ich Gutes tun, und überall schaffe ich Schlimmes.«
»Weil Sie alles mit Geld tun,« antwortete der andere hart. »Mit diesem verfluchten Geld!«
»Wie soll ich es denn tun?«
»Mit dem Einsatz Ihrer Person. Mit allem, was Sie sind. Nur wer sich verschwendet, gibt. Sie aber wollen sich mit Ihrem Geld loskaufen. Das glückt Ihnen nicht. Keinem gelingt es. All dies betäubt Sie nicht mehr als diese Liköre. Sie tun wohl, aber am Ende bekommt man nur Kopfschmerzen davon.«
»Sie haben recht. Ich habe manchmal das Gefühl, als müßte ich ein Verbrechen wieder gutmachen.« Er blickte düster in den Winterabend hinaus.
»Einzelnen helfen ist nichts, Peter Trautmann. Der einzelne ist nicht reif. Der Gesamtheit muß man helfen. Man muß Bewegung in die Hirne bringen. Bewegung im Sumpf der ererbten und stumpfsinnig übernommenen Traditionen schaffen, wenn es auch Blasen wirft. Das Geld entthronen! Das ist es, worauf es ankommt.«
Gefesselt blickte Peter in die Schwärmeraugen des andern. Er nahm jedes Wort in sich auf, »Das ist oft versucht worden, aber immer mißglückt,« sagte er endlich.
Katzian schüttelte ungeduldig den Kopf. »Alle bisherigen Ideen waren einmal Fanale. Aber das Geld hat die Fanale erstickt. Sie stinken und qualmen wie ein ausgehendes Feuerwerk. Aus dem, das gekommen war, das Schwert zu bringen, haben die Menschen einen milden Prediger gemacht, so ist es mit allem gegangen.«
»Das Schwert bringen? Sollte das eine Hilfe sein?« fragte Peter ungläubig.
Katzian nickte. »Die Menschheit braucht Chirurgen, die die schwärende Wunde ausbrennen.« Er schlug mit beiden Händen auf den Tisch und sprach lange in glühenden Worten, an denen sich Peter langsam entzündete.
Katzian war so ganz anders als alle ringsum. Er war ein Mensch unter lauter Personen und Persönchen. Er schien ihm aus einer anderen Welt.
Wie er da sprach, war er ganz Energie, Flamme, Sturm. Der ganze Mensch war durchtränkt von seiner Idee. Er brannte in dieser Idee, wie der Docht des Lichtes brennt.
Alles umzustürzen, diesen ganzen Lügenbau zertrümmern – war das nicht am Ende der einzige Ausweg? Mußte man nicht mit der Fackel dies ganze grenzenlos verfitzte und verstrickte Gewebe verbrennen – ob auch alles Ungeziefer, das darinnen seit Unzeiten saß, schrie und jammerte?
Das Geld entthronen! Das war noch etwas. Das bohrte sich in sein Hirn. Darum verlohnte es sich noch zu leben. Den Fluch von der Menschheit nehmen ... Ihre Ketten abnehmen, die sie sich selber geschmiedet und mit denen sie ihre Schultern wundgerieben.
Jedes Wort Katzians blieb lange in ihm haften. Und als er fertig war, legte ihm Peter die Hand auf die Schulter. »Wer sind Sie eigentlich?«
Katzian wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er zwang sein schweres Atmen nieder und sagte mit einem schwachen Lächeln: »Vielleicht der Versucher?«
»Nein. Sie sind einer, der den Weg gefunden hat und nicht zusehen kann, daß andere noch in der Irre laufen.«
»Und Sie suchen noch immer?«
»Ich hatte das Suchen schon aufgegeben, bis Sie hereintraten und mich weckten. Ja, Sie weckten mich.«
»Soll ich Sie auch führen?«
Peter schwieg eine Weile. Dann fragte er zurück: »Glauben sie an Ihr Ziel? Glauben Sie an die Menschen?«
»Ich glaube an die Menschheit, und ich glaube, daß Sie mit mir das Ziel erreichen.«
Peter ließ ihn. Er ging ans Fenster und blickte lange hinaus.
Leichtes Schneegestöber füllte den ganzen Raum zwischen den Häusermauern bis zum Himmel. Jede Flocke war weiß und rein, solange sie in der Luft wirbelte. Aber jede, die auf den Boden glitt, und dort haften wollte, wandelte sich zu Schmutz ...
*
Als Katzian ging, fragte er: »Was kann ich also Betty Saßmann bestellen?«
»Wann sehen Sie sie?«
Katzian lächelte. »Gleich. Sie wartet ja.«
»Sie wartet?«
»Drüben in der kleinen Konditorei, ja. Mein Himmel, sie konnte doch nicht die ganze Zeit auf der Straße stehen?«
»Betty Saßmann wartet die ganze Zeit?« Peter wußte selbst nicht, warum ihn dieser Gedanke so fröhlich machte. »Aber dann gehen wir doch hinüber und holen sie.«
Katzian fragte, wie spät es sei. Er besaß keine Uhr. Fast beschämt klappte Peter seine goldene Taschenuhr auf, deren schöne Gravierung ihn einst so entzückt hatte.
»Nein. Dann ist es zu spät für mich. Ich muß noch in eine Versammlung. Ich habe auch keine Zeit zu verlieren, denn ich muß bald von Berlin fort.«
»Sie verreisen?« fragte Peter fast erschreckt.
»Ich muß. Die Sache will es und diesmal auch meine Person. Ich werde verfolgt. Man hat mir vor zwei Jahren einmal eine Falle gestellt. Man gab mir Geld, viel Geld zur Propagierung der Idee. Und als ich alles hingegeben hatte, nichts für mich, keinen Pfennig, ich brauch's Ihnen nicht erst zu sagen – da zog man das Netz zu und wollte eine Unterschlagung feststellen.«
»Wie häßlich!«
»O ja, das Leben ist bisweilen häßlich, Peter Trautmann. Ich hatte nie eine Quittung verlangt. Es waren ja alles Gesinnungsfreunde, und die Propaganda kostete viel. Plakate, Broschüren, Versammlungen, Unterstützungen – Sie verstehen. Seitdem lebe ich ohne Namen und ohne Adresse. Natürlich heiße ich nicht Katzian, aber nennen Sie mich nur weiter so, bis ich einen neuen Namen habe.« Er öffnete plötzlich die Türe und blickte hinaus. »Nein, es ist niemand da. Entschuldigen Sie, aber etwas nervös ist man doch.«
Schweigend gingen sie die Treppe hinunter. »Warum erzählen Sie mir Ihr Geheimnis?« fragte Peter unten. »Ich könnte Sie doch verraten?«
»Vielleicht habe ich Sie auch belogen die ganze Zeit über?« erwiderte Katzian lachend. »Vielleicht wollte ich mich nur interessant machen?«
»Nein, das wollten Sie nicht,« sagte Peter ärgerlich. »Aber Sie sollten sich gelegentlich doch Ihre Haare schneiden lassen. Sie fallen grade dadurch auf.« Er mußte dies sagen, um sich irgendwie von dem Druck dieser Persönlichkeit zu befreien.
»Das hat mir auch schon Betty gesagt. Grüßen Sie sie. Und gehen Sie schonend mit ihr um.«
»Warum?«
»Sie ist an einer Lebenswende,« sagte Katzian ernst.
»Ich denke, Betty Saßmann tanzt durch das Leben?«
»Das war einmal. Jetzt arbeitet sie, so gut sie kann. Man muß Milde mit ihr üben. Sie sucht ja auch.«
Irgendwie fühlte sich Peter dadurch beunruhigt und fast gekränkt, »Wie kommt sie dazu?«
»Auch sie sucht ihr Leben auszufüllen, und es war ja wahrhaftig leer genug, vielleicht ist auch die Liebe im Spiel.«
»Unsinn, was hat die Liebe damit zu tun?«
Katzian klatschte vor Vergnügen in die Hände. »Jetzt sind Sie auf dem richtigen Wege, was hat die Liebe damit zu tun?«
Kopfschüttelnd hörte Peter sein Lachen. Das klang noch herüber, als er schon den Fahrdamm überquert hatte.
Die Konditorei war klein und angefüllt von fadem Kuchengeruch und Tellergeklapper.
Ganz hinten in der Ecke saß Betty Saßmann. Sie blickte ihn fast ängstlich an, wie schuldbewußt, und ihre Mienen klärten sich auf, als er lächelnd auf sie zutrat.
»Herr Katzian war bei mir. Warum kamen Sie nicht mit?«
Sie errötete. »Ich glaubte, Sie seien krank.«
»Das ist vorbei. Aber nun erzählen Sie mir, was Sie treiben.«
Betty Saßmann legte ein Buch in einem gelben Umschlag auf den Tisch. Der Titel hieß: »Überblick über die Armenpflege- und Wohltätigkeitsveranstaltungen privater und städtischer Unternehmungen«.
Peter zog die Nase kraus. »Schlechtes Deutsch. Es riecht nach Aktenstaub und bebrillten Damen und nach Gesinnungsschnüffelei.«
»Aber lesen Sie doch erst.«
»Nein. Ich will nicht. Suchen Sie selbst etwas für mich aus.«
Sie blätterte lange. Sie las ein Dutzend Titel und Vereinsnamen vor.
»Ich stehe den ganzen Tag, verteilend und helfend. Ist das nichts? Soll man denn die Hände in den Schoß legen? Ich mußte etwas tun. Ich konnte nicht länger zusehen. Es muß doch etwas geschehen, nicht wahr? Reichtum verpflichtet doch auch, wie einst der Adel.«
›Sie spricht mit dem Bekehrungseifer des Neulings‹ dachte Peter, ›sie ahnt gar nicht, daß auch sie nur ihr Gewissen beschwichtigen will mit allem ihrem dilettantischen Wollen und Können.‹
»Nein, im Ernst,« unterbrach er sie, von einem dunklen Trieb, sie zu quälen, erfaßt. »Tanzen steht Ihnen viel besser. Wieviel mehr gaben Sie damals, als Sie den baskischen Tanz tanzten.«
»Wem gab ich etwas? Etwa Ihnen?«
Er antwortete nicht darauf. »Mit dem, was Sie jetzt tun, nützen Sie niemand. Nicht sich. Nicht den anderen.«
»Sie sind häßlich zu mir,« sagte sie böse.
»Und Sie sind wunderschön.« Peter nahm ihre Hand vorsichtig in die seine. »Im Ernst, ich glaube, daß Katzian Sie liebt.«
Sie entzog ihm rasch ihre Hand. »Wie kommen Sie auf solch eine tolle Idee?«
»Er spricht immer ganz weich, wenn er Ihren Namen nennt.«
»Katzian liebt keinen Menschen,« antwortete sie kopfschüttelnd. »Er liebt die Menschheit.«
»Hoffentlich ist es keine unglückliche Liebe,« versuchte er zu scherzen.
Da sagte Betty Saßmann etwas, das ihn tief bewegte: »Liebe ist nie unglücklich, ob sie nun erwidert wird oder nicht. Sie ist an sich Glück.«
Von da an sprachen sie nur gleichgültige Dinge, über gemeinsame Bekannte und zuletzt über Kunst. Beide vermieden ängstlich, auf das frühere Thema zurückzukommen. Sie unterhielten sich, wie sie sich im Salon Weiß unter hundert Menschen unterhalten hätten.
»Kennen Sie einen Bildhauer Hans Ruthardt?« fragte sie plötzlich.
»Ja.«
»Er hat in der Kunstausstellung einen schreitenden Jüngling ausgestellt. Ein Meisterwerk in seiner leichten Bewegung und in dem seelischen Ausdruck des Kopfes.«
»Interessant,« sagte er ungeduldig. »Aber wie kommen Sie darauf?«
»Es schien mir so, als hätte er einen Ausdruck von Ihnen in das Gesicht hineingelegt. Sie können bisweilen gerade so aussehen. Auch Ihre Hände haben Ähnlichkeit mit seinen vorwärtstastenden Händen, die in den Raum greifen.«
»Das ist möglich. Er hat meine Hände einmal modelliert. Ich wußte aber nicht, daß er sie benutzen wollte.«
Sie stand auf. »Ich muß nun fort. Es ist ohnehin spät geworden. Aber es war ja so gemütlich. Begleiten Sie mich bitte nicht.«
»Wie Sie wünschen.«
Sie knöpfte langsam ihre Handschuhe zu und sagte beim Abschied: »Wenn wir uns wiedersehen, dann wollen wir –«
»Nun, was wollen wir dann?«
»Von lauter fröhlichen Dingen reden,« vollendete sie. Aber er hatte das sichere Gefühl, daß sie etwas ganz anderes hatte sagen wollen.
Peter blieb noch eine Weile sitzen, ließ sich einige Zeitungen geben und suchte nach Besprechungen der Kunstausstellung.
Er las: »Man wird sich den Namen Ruthardt von jetzt ab merken müssen. Ein neuer Mann gibt uns den neuen Typus unsrer Jugend, den suchenden, vorwärtstastenden Jüngling. Edler Glaube an das Vorwärtsschreiten liegt in jeder Bewegung der Figur, deren plastische Formulierung ein Stück Weltanschauung bedeutet. Hier spricht die moderne Zeit ihren Gegensatz zum Hellenentum aus.«
Ein anderer schrieb: »Ruthardts schreitender Jüngling steht im Mittelpunkt des Interesses. Seit langer Zeit eine umfassende Lösung eines schwierigen plastischen Problems. Der Künstler ahmt nicht nach. Er ist voll Formensinn bis in die Fingerspitzen und vernachlässigt ihn nicht zugunsten gewisser Theorien. Man wird auf Ruthardts Entwicklung gespannt sein dürfen.«
Ein Blatt gab sogar eine Abbildung, die allerdings recht ungenügend war.
Froh bewegt legte Peter die Blätter zurück.
Er dachte: ›Hans Ruthardt steht nun da, wo er hingehört. Und das ist mein Werk. Und alles, was er fortan schafft, baut sich auf dieser Grundlage auf. Und wenn ich nur dies eine erreicht habe, dann ist mein Leben nicht in den Sand geschrieben. Es bleibt in dieser Kunst. Aller Aufwand war nicht umsonst.‹
Ja, hier war das Ewige. Die Kunst blieb.
Betty Saßmann schrieb eifrig in ein großes Kontobuch. Ihre Finger waren bekleckst. Die Handschuhe und Ohrringe lagen neben ihr in der kleinen Handtasche. Erst, wenn sie fortging, nahm sie beide wieder vor.
Hinter ihr stritten sich die Damen vom Komitee, ob man diesmal auch Flanell zum Einkaufspreis hergeben wolle, und ob man Schirting nicht besser für die wärmere Jahreszeit aufbewahren solle.
Betty Saßmann tat gewissenhaft ihre Pflicht, aber ihr ein bißchen unglückliches Gesicht verriet nicht allzuviel Genugtuung.
Es klärte sich in jäher Freude auf, als Peter Trautmann in das Büro trat. Er kam von der Kunstausstellung, wo er den schreitenden Jüngling in einer großen Schar von Bewunderern mit verstohlenem Glücksgefühl betrachtet hatte.
»Wie haben Sie mich ausfindig gemacht?«
Er gab ihr die Hand. »Es war nicht leicht. Aber Ihr gelber Baedecker durch das Land der Wohltaten gab mir allerlei Adressen an. Ich habe so lange herumtelephoniert, bis ich erfuhr, wo Sie arbeiten.«
»Und nun wollen Sie helfen?«
»Zunächst will ich Ihnen Ihr Buch zurückgeben und mich entschuldigen. Ich bin neulich nicht sehr nett zu Ihnen gewesen.«
»Stimmt. Aber ich bin nicht böse.«
Peter setzte ernst hinzu: »Katzian ist schuld. Er hat mich ganz aufgewühlt mit seinen Reden. Und es nicht immer das beste, was dann an die Oberfläche kommt. Nun ist er fort, und ich warte nervös auf eine Nachricht von ihm.« Er zeigte ihr eine Karte. Darauf stand nur: »Ich muß fort. Adresse bekommen Sie, damit Sie helfen können, wenn Sie wollen. K.«
Neugierig betrachtete sie die Schriftzüge. »Es ist eigentlich eine Kinderschrift. Auf alle Fälle die eines schwachen Menschen. Wer würde aus dieser Schrift auf diesen Fanatiker schließen? Und sehen Sie nur diesen optimistischen Strich nach oben!«
»Das ist ein ganzer seelischer Steckbrief,« sagte er lächelnd. »Nun will ich aber etwas stiften. Aus Dankbarkeit darüber, daß ich heute gesund geworden bin.«
Eifrig nahm sie den Scheck aus seiner Hand. »Danken tu ich nicht. Sie werden ein schön gedrucktes Schreiben kriegen.«
»Soll ich es einrahmen?«
»Es gibt Leute, die es tun und in ihr Entree hängen, damit es jeder sieht. Aber dies Buch nehmen Sie nur wieder mit. Es sind noch andere Adressen drin, wo Sie Gutes tun können.«
Sie begleitete ihn bis zur Türe.
Hier in diesem häßlichen Raum mit den abgeblätterten Tapeten und den nüchternen Büromöbeln gefiel sie ihm nicht. Sie war so fremd hier drin in ihrer eigenen Gepflegtheit, die man ihr auch in der Büroschürze ansah. Es gab einen falschen Zusammenklang, eine Stilwidrigkeit. Jede Bewegung von ihr verriet doch immer die Tochter des reichen Saßmann, die nach den Bürostunden in ihre Gemächer zurückkehrte, wo hundert schöne Dinge standen und an den Wänden hingen, und wo die von der Gesamtheit garantierte Sicherheit wohligen Gebens war. Und es war auch wohl ein Ausdruck ihrer seelischen Disharmonie, wenn sie jetzt beim Abschied sagte: »Ihre Gaben werden sehr willkommen sein. Denn bis zu Katzians Entthronung des Geldes ist es ja doch noch ein Weilchen hin.«
Er verabschiedete sich zerstreut und ging in das kleine Restaurant am Halleschen Tore, wo er bisweilen verkehrte.
Er begann Adressen aus dem gelben Buch auszusuchen. Aber es gab so viel ähnlich klingende, daß er keine bevorzugen mochte. Schließlich wollten sie ja alle das gleiche: Auf einen Tag helfen – dem Moloch Geld, dem großen Vitzliputzli, ein Schlachtopfer für kurze Zeit entreißen.
Das beste war wohl, die gleiche Summe an jedes dieser Institute senden zu lassen. Gleich nachher würde er der Bank den Auftrag geben. Mochte sie selber zusammenrechnen, wieviel es ausmachte.
Das Büfettfräulein, sonst unnahbar für die Gäste, kam selber an seinen Tisch gelaufen. »Was darf ich Ihnen bringen, Herr Trautmann?«
Er bestellte eine Kleinigkeit und fragte, wie er zu der Ehre käme?
»O, wir wissen, was wir solchen Gästen wie Sie schuldig sind.«
Ärgerlich runzelte er die Stirn. Solange sie ihn für einen harmlosen, armen Literaten hielt, war sie kühl und hochnäsig gewesen. Jetzt, wo sie von seinem Geld erfahren haben mochte, entwürdigte sie sich in Ton und Haltung, warum war sie so demütig, seit sie vielleicht wußte, daß er ein Konto auf der Bank hatte? Sie hatte nicht einmal etwas davon.
Als sie das Bestellte brachte, sagte er kühl: »Es ist übrigens nicht wahr, daß ich reich bin, glauben Sie das nicht.«
»Gewiß,« sagte das Fräulein. Aber er merkte, daß sie das nicht glaubte. Und das Demütige und Devote ihrer Haltung betonte sich noch stärker. Von da an mied er auch dies Lokal.
Sein Auftrag an die Bank schien große Aufregung zu verursachen. Mehrere Male kamen Boten der Bank mit der Nachfrage, ob er die Schecks anerkenne.
Einmal erschien sogar Kommerzienrat Weiß selber.
»Was ist mit Ihnen?« sagte er ärgerlich. »Sie vergraben sich wie ein Einsiedler und versetzen meine ganze Bank in Unruhe.«
Peter lachte. »Dafür sind Sie ja da.«
»Ja. Aber doch nicht für diese Dinge, wer wird denn mit dem Geld so herumwerfen?«
»Was soll ich denn sonst damit tun?«
»Befruchten Sie Handel und Industrie damit. Ich gebe Ihnen gerne Ratschläge.«
»Befruchten? Ich fürchte, die Früchte sind nur immer wieder Geld und immer wieder neues Geld. Wissen Sie, was ich am liebsten mit meinem Reichtum täte? Das Ganze in den Ozean werfen, grade in der Mitte zwischen Europa und Südamerika. Etwa da, wo sich der zehnte nördliche Breitengrad mit dem dreißigsten Längengrad schneidet, wäre eine schöne, tiefe Stelle.«
Der Bankier schlug die Hände vor Entsetzen zusammen. »Reisen Sie,« sagte er endlich.
»Wohin?«
»Zunächst einmal nach Ägypten. Ich gebe Ihnen die Adresse meines Sohnes.«
»Sie haben einen Sohn?« fragte Peter erstaunt, Er hatte stets Weiß für kinderlos gehalten und nicht einmal gewußt, daß er verheiratet gewesen war.
»Von ihm stammt der kleine Wüstenwaran, den Sie in meinem Käfig bewundert haben. Mein Sohn ist lungenkrank. Hoffnungslos. Aber die trockene Hitze Ägyptens verlängert sein Leben.«
Ergriffen hörte Peter das Bekenntnis von der Ohnmacht des Geldes. Aber wofür arbeitete denn dieser Mann eigentlich? Er arbeitete länger als alle seine Angestellten.
»Verzeihen Sie. Das wußte ich nicht.«
»Ich spreche auch nicht gern davon. Aber nun tun Sie mir den Gefallen zu reisen. Sollen Ihre Aufträge wirklich alle ausgeführt werden?«
»Ja –« Peter wußte: Es war nicht das Richtige, er handelte gegen sein eigenes Gefühl und gegen seine eigenen logischen Gründe. Aber er konnte nicht anders. Er mußte etwas tun, bis Katzian ihn rief. Er wartete Tag für Tag auf diesen Ruf. Achselzuckend entfernte sich der Bankier.
Bald bereute Peter seine unüberlegte Großzügigkeit. Er bekam nicht nur gedruckte Dankschreiben, er bekam auch die Besuche der Vertreter jener Institute. Es war bei ihm ein ewiges Kommen und Gehen.
Ein Fliegenschwarm von Besuchern verfolgte und belästigte ihn, sogar in den öffentlichen Restaurants.
Bei einem Mittag setzte sich ein etwas salopp gekleideter Herr ungeniert an seinen Tisch, rückte an seinem schiefsitzenden Kneifer und fragte: »Peter Trautmann, nicht wahr? O, man kennt Sie, mein Herr. Gestatten Sie mir, meine Hochachtung auszudrücken, Sie sind Südamerikaner, wenn ich nicht irre? Ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich weiß Bescheid. Ich habe selber einen Onkel in Argentinien.«
»Ich bin in Peru geboren.«
»In Peru. Das ist ja noch interessanter. Einst zogen die europäischen Eroberer dorthin, jetzt erobern die Peruleute uns, zum mindesten unsre Herzen. Haben Sie nicht vielleicht eine gute Photographie von sich und vielleicht auch von Ihrem Geburtshaus? Womöglich mit Palmen und einem Lama? Auch ein Indianer wäre nicht übel.«
»Bedaure. Ich besitze keine Photographie von mir.«
»Wie schade!«
Peter begriff lange nicht, warum das schade sei. Erst, als er vierzehn Tage später in einem illustrierten Blatt sein Porträt sah, begriff er, daß jener Aufdringliche ein Reporter gewesen und daß der kleine schwarze Kasten, den jener später von seinem Platz aus handhabte, eine Kamera gewesen war.
»Der Freund der Armen!« stand über dem Artikel, und Peter entdeckte dieselbe Phrase über Peru darin.
Er ging sofort zum nächsten Friseur, ließ sich seinen Bart abnehmen und eilte zur Redaktion des Blattes. »Sehen Sie mich an. Sehe ich etwa so aus, wie auf jener Photographie? Sie sind düpiert worden und Ihre Leser auch. Ich verlange einen Widerruf.«
Der Redakteur versprach alles und hielt nichts.
Einmal lauerte ihm eine dürre kleine Dame auf, deren Gesicht eine große, schwarzumrandete Brille beherrschte. Sie sah aus wie eine eifrige Eule.
Peter erfuhr, daß er ein unverzeihliches Verbrechen begangen habe, als er ihr Institut übersehen habe. Aus dem stundenlangen Gesprudel ihrer Worte ging nicht klar hervor, was für eine Bewandtnis es mit diesem Institut hatte.
Er tat in ein Kuvert einen Zweimarkschein, schloß es und gab es ihr mit einer liebenswürdigen Verbeugung, die sie entzückte. Es dauerte aber noch eine gute Viertelstunde, ehe er sie los wurde.
Leider konnte er ihr Gesicht beim Öffnen des Kuverts nicht erkennen, so fest er auch das Gesicht an die Scheiben drückte.
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