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Nach dem Essen begaben wir uns noch vor das Haus. Am Strande waren zahlreiche Männer versammelt, die dem Bericht eines Mannes lauschten, der augenscheinlich eben erst mit einem Kanoe angekommen war. Er mußte eine unangenehme Kunde bringen, denn hin und wieder entfuhr den Lippen der Zuhörer ein unmutiger Ruf und Zorn und Entrüstung zeigte sich in den Bewegungen der Männer. – Bei unserem Erscheinen verstummte das Gespräch. Ich wollte aber nicht störend in die Unterhaltung eingreifen und beeilte mich daher, den Leuten zuzurufen, daß sie sich durch mich nicht stören lassen sollten, da ich kein Wort von ihrer Sprache verstünde. Mein Steuermann mußte das auf meine Aufforderung hin bestätigen. An dem anerkennenden Gemurmel, das darauf durch die Menge lief, erkannte ich, daß man mich in der Tat für einen Störenfried gehalten hatte.
Ich ging zu meinem Boote hinunter, um beim Scheine des Vollmondes den entstandenen Schaden zu besichtigen. Wie ich noch mit der Prüfung der Spanten beschäftigt war, fielen auf See hintereinander drei Revolverschüsse. Sie kamen aus der Gegend, in der ich den Dampfer wußte. Mein erster Impuls war, den Beamten ein Zeichen zu geben daß ihr Hilferuf – als solchen faßte ich die regelmäßigen Schüsse auf – gehört worden sei. Im Begriff, den Revolver zu ziehen, fiel mir aber ein, daß es kein für mich vertrauenerweckendes Zeichen sein konnte, wenn man mich im Besitze der streng verbotenen Waffen sah. Ich ließ daher durch keine Bewegung erkennen, daß ich den Schüssen irgendwelche Bedeutung beilegte, und beugte mich weiter über den Rand meines Fahrzeuges. Dabei bemerkte ich, daß die Detonationen auf die Männer am Strande die Wirkung eines Steines im Ameisenhaufen hervorgebracht hatten. Sie liefen hastig auseinander und verschwanden zum großen Teile in den Häusern, während andere in die am Strande liegenden Boote eilten und sie ungestüm ins Wasser schoben. In wenigen Minuten hatten sie die Klippen meinen Blicken entzogen. – Auch dieser Bewegung legte ich anscheinend keine Bedeutung bei, obwohl ich nicht ohne Besorgnis an das Schicksal der Beamten dachte, falls diese einen Überfall der Inselbewohner auszuhalten haben sollten.
Mitten in meinen Betrachtungen störte mich der Steuerer: »Es ist besser, Herr, Sie gehen jetzt ins Haus und legen sich schlafen,« sagte er in dringlichem Tone. »Was die hiesigen Bewohner unter sich auszumachen haben, geht fremde Männer nichts an. Es ist sogar nicht einmal gut, wenn wir überhaupt etwas von den Händeln sehen und hören. Fragt man uns später, dann sagen wir keine Lüge, wenn wir angeben, wir wüßten von nichts, weil wir das Haus nicht verlassen hätten.«
Ohne den Mann nach der Bedeutung seiner Warnung zu fragen, erhob ich mich und sprang auf den Sand. Dabei taumelte ich rückwärts und fiel in das zuletzt angekommene Kanoe. Der Steuerer reichte mir die Hand, um mich zu stützen. Auch ich griff unwillkürlich nach einem Halt, wobei ich mich in die auf dem Boden des Kanoes liegenden Matte krallte. Als ich mit einem Satze wieder auf den Beinen stand und über mein Mißgeschick lachend eine Bemerkung machte, sah ich, daß meine Hand naß von Blut war. Zurückblickend glitzerten mir einige durch die verschobene Decke leuchtende Gewehrläufe entgegen ...
Auch mein Steuermann hatte die verbotenen Waffen entdeckt. Mit einem Sprunge stand er neben mir und raunte mir ins Ohr:
»Reiben Sie die Hände fest mit Sand, dann geht das ›Fischblut‹ leicht weg,« und als ich, seinem Rate folgend, die Hand wieder aufhob und in die heranleckenden Wellen tauchte, beugte er sich zu mir nieder und besah sich aufmerksam Finger, wie Handfläche. – Wir verloren kein Wort über die Entdeckung. Ein Blick genügte zur Verständigung.
In der Hütte erwartete uns ein weiches Lager. Über einen Haufen duftenden Grases hatte man einige schöngeflochtene Flachsmatten gebreitet, die ein Bett in unserm Sinne vollkommen ersetzten. Ich warf mich mit dem wohligen Gefühle des müden Schläfers auf die Liegestatt und war bald fest eingeschlafen. Einmal in der Nacht weckte mich der Eintritt von Männern, die sich in der andern Ecke zu schaffen machten. Die Störung war indessen nicht derart, daß sie meinen Schlaf hätte verscheuchen können. Am anderen Morgen sah ich am Strande den Dampfer. Er schaukelte friedlich vor seinem Anker. Nichts deutete darauf hin, daß ein lebendes Wesen an seinem Deck war. Auch mein Kahn lag bereits, mit Mast und Segel versehen, zur Abreise fertig in tiefem Wasser. Der Steuermann trat auf mich zu und sagte:
»Die Männer sind schon zeitig zum Fischen hinaus, gefahren. Wir können sofort segeln.« »Ich muß aber den Frauen wenigstens ein Geschenk für die Gastfreundschaft geben. Rufe mir das Mädchen her.«
»Das würde sie höchstens kränken. Drücken Sie ihr die Hand. Das ist die größte Belohnung für unsere Rasse.«
In der Tat strahlte das Antlitz des jungen Mädchens, als ich ihr einen inhaltreichen Händedruck bot. Zum ersten Male wurde mir hier die echt maorische Begrüßung zuteil: Das Kind drängte sich an mich heran und rieb ihre Nase an der meinigen!
Mit der frischen Brise hatten wir bald die Insel hinter uns. Es zeigte sich, daß unser Kahn bei vorsichtiger Navigierung auch ohne den zweiten Ausleger ganz gut auf dem Wasser lag. Jedenfalls schwamm er jetzt besser und ließ sich leichter steuern. Das zeigte sich besonders, als wir uns später durch eine große Anzahl dicht beieinander fischender Fahrzeuge hindurchwinden mußten. Mit dem zweiten Ausleger hätte das sicher zu unliebsamen Zusammenstößen geführt.
Unsere Mittagmahlzeit bestand aus kaltem Ziegenbraten, von dem uns unsere sorgende Wirtin ein großes Stück unter die Matte gelegt hatte. Mit dem Verzehren der guten Speise beschäftigt, rief mich mein Steuerer an:
»Dort kommt wieder ein Zollkutter. Sagen Sie ihm nichts von der Barkasse.«
»Wenn er uns aber fragt?«
»Nun, dann haben wir einen kleinen Dampfer bei der Hobson-Insel gesehen. – Uebrigens wird es gut sein, jetzt gleich den Kurs auf die Küste zu nehmen, denn das Zollboot wird uns doch wohl befehlen, ihm an das Städtchen dort drüben zu folgen.«
»Das möchte ich bezweifeln,« gab ich zur Antwort.« Immerhin bin ich einverstanden, daß wir dichter an das Land herangehen, denn hier beginnt stärkerer Seegang und die alte Kiste scheint Seewasser an Bord nehmen zu wollen.«
In der Tat begann mein Trog, was er bisher mit zwei Auslegern nie getan hatte, zu stampfen. Das Vorderteil stieg auf die kleinsten entgegenkommenden Wellen und tauchte dann so tief ins Meer, daß jedesmal etwas Wasser ins Boot spritzte. Dadurch waren wir gezwungen, von Zeit zu Zeit das Gepäck umzustauen und das eingedrungene Wasser auszuschöpfen.
Das Boot kreuzte immer noch, ohne den Kurs zu ändern. Durch das Fernglas konnte ich erkennen, daß man sich drüben mit uns beschäftigte. Plötzlich sah ich, wie ein Mann sich am Flaggenfall zu schaffen machte und gleich darauf flatterte die Landesflagge im Winde. – Das hatte ich am allerwenigsten erwartet. Ich riß in fieberhafter Eile die Kiste auf, holte unsere lieben schwarzweißroten Farben hervor und ließ sie ebenfalls am Maste emporsteigen. Und nun geschah das fast Unglaubliche. Das Zollboot dippte die Flagge. Das heißt, es grüßte mein Boot auf seemännische Art. Natürlich unterließ ich es nicht, auf gleiche Weise zu danken. Auf die verwundert-fragenden Blicke meiner Leute antwortete ich stolz:
»Da könnt ihr sehen, welche Achtung mein Vaterland den Engländern einflößt. Sie grüßen mich zuerst in ihren Gewässern.«
In Wirklichkeit war es wohl das Telegramm des ängstlich-besorgten Oberst, das mir als Beschwichtigungsmittel die Ehrenbezeugung eintrug.
Der nordöstlich laufende Gebirgsrücken trat nun bis dicht an die Küste heran. Er verwandelte die Nähe des Landes in ein sehr ungemütliches Fahrwasser, das von Klippen wimmelte und uns mehr als einmal in recht unsanfte Berührung mit den Steinen brachte. Zum Glück erwies sich mein vielgelästerter Kahn als ein unverwüstliches Fahrzeug, das einen ordentlichen Stoß vertragen konnte. Immerhin gebot uns die Klugheit, schon vor Sonnenuntergang zu landen, da die schrägfallenden Strahlen den Wasserspiegel in eine polierte, blendende Scheibe verwandelten, auf der wir kein Hindernis mehr zu erkennen vermochten.
In einer sich gabelförmig nach dem Meer zu öffnenden Landzunge fanden wir einen sicheren Landungsplatz und auf dem schneeweißen Sande am Ufer eine Lagerstätte, wie man sie sich besser nicht wünschen konnte. Selbst die See bot uns reiche Nahrung in ein paar starkbesetzten Austernbänken, die meine Leute fleißig abernteten, solange noch das Tageslicht ein Tauchen ermöglichte. Der Steuerer hatte das Glück, in zwei Muscheln je eine Perle zu finden, deren wahren Wert ich ihm allerdings erst nennen mußte. Sonst pflegen die Maorifischer, wenn sie Perlen in den Schalen finden, diese an englische Händler in Wellington für verschwindend geringen Wert zu vertauschen.
Kurz vor Sonnenuntergang ließ sich ein Zug wilder Gänse in unserer Nähe an einem Teiche nieder. Das ließ in mir das Jagdfieber erwachen, und schon packte ich meine Büchse aus, um mich an die fetten Vögel heranzupirschen, als mich der ältere meiner eingeborenen Diener, der den seltenen Namen Pu Nambu führte, darauf aufmerksam machte, daß der Knall der Büchse die Vögel verjagen und uns im besten Falle nur zwei Braten liefern werde. Er und Toaho, sein junger Kamerad, wüßten besser mit der Jagd auf dieses Wild Bescheid. Ich solle ihnen die Erlaubnis geben, sich vom Lager zu entfernen. Sie brächten kurz nach Einbruch der Nacht bestimmt eine größere Anzahl ans Feuer. Tiahu solle nur für genügenden Holzvorrat sorgen, damit man die Beute sofort braten und morgen mitnehmen könne. – Ich willigte ohne langes Besinnen ein und nachdem sich die beiden entfernt hatten, durchstreifte ich mit dem Steuerer die nähere Umgebung, um Holz herbeizuschaffen. Die Nächte waren sehr kühl und das Feuer durfte vor dem nächsten Morgen nicht erlöschen. – Die Ausbeute in der Nähe des Lagerplatzes war nicht sehr bedeutend. Immerhin befanden sich unter dem eingebrachten Holze einige angeschwemmte Schiffstrümmer, die solange brennen konnten, bis Tiahu größere Mengen aus dem nahen Walde herbeigeschafft hatte. Bevor ich den Steuerer entließ, schärfte ich ihm noch ein, sich nicht zu weit zu entfernen, damit er in dem zerklüfteten, felsigen Gelände nicht zu Schaden käme. Er sollte stets in Sicht meines Feuers bleiben, damit wir uns im Bedarfsfalle durch Signale verständigen könnten. Ich weiß nicht, warum ich ihm diese überflüssige Mahnung besonders einschärfte, glaube aber, daß es eine Ahnung des Kommenden mir eingab.
Noch bevor die Dämmerung der Nacht gewichen war, prasselte ein helles Feuer empor, an dem ich vor allen Dingen einen recht starken Kaffee kochte. Das meinen Maori unbekannte Getränk pflegte ich für mich allein zuzubereiten, und ich glaubte, mir die Zeit nicht besser vertreiben zu können, als wenn ich mir den frischen Abend durch dieses duftende Labsal verschönte. Ich hatte mich recht behaglich in den weichen Sand gebettet und blickte in die sich langsam verfärbenden kleinen Wölkchen am Westhimmel, wobei ich den warmen Blechbecher mit den Händen umklammerte und in kurzen Zügen das köstliche Getränk schlürfte.
Ueber den steinigen Rücken am Meere kam Pu Nambu mit seiner Beute. Vier fette Gänse warf er in den Sand, rief mir ein paar unverständliche Worte zu und lief in großen Sprüngen davon. Auf meine erstaunten Fragen machte er eine Geste mit den Händen und eilte, ohne sich umzusetzen, weiter. – Ich betrachtete lange die schönen Vögel, denen der Hals umgedreht worden war, und machte mich daran, sie zu rupfen. Die Federn, die ich zu meinem lebhaften Bedauern nicht mitnehmen konnte, um sie der ersten weißen Frau zum Geschenk zu machen, warf ich in übermütiger Laune in die Luft und verfolgte ihren Flug mit der Abendbrise. Dabei begegnete mein Auge auf dem Rücken des hinter mir liegenden Grates einer Erscheinung, die mich lebhaft aufspringen ließ. Ich glaubte, einen großen Mann gesehen zu haben, der eine Wurfkeule trug. Als ich aber aufrecht stand und den Punkt genauer ins Auge faßte, war das Phänomen verschwunden. – Ich dachte an eine Täuschung, ging aber nichtsdestoweniger bis an jene Stelle und leuchtete mit dem brennenden Aste, der mir als Fackel diente, die Umgebung ab. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen. Ich sagte mir auch, daß gerade hier, an der unzugänglichsten Stelle, sich kaum ein Mensch aufhalten würde, der nicht vom Meere her kam. Ein Boot aber war, soweit das Auge reichte, an diesem Abend nicht gelandet.
Während ich langsam zum Feuer zurückschlenderte, ließ ich meine Augen suchend über die jetzt in tiefes Halbdunkel getauchten Felsen wandern. Von meinen Leuten hörte ich nichts. Weder der Steuermann, noch die Diener gaben ein Lebenszeichen, obwohl ich es schon für an der Zeit hielt, daß sie zurückkehrten. – Meine frohe Stimmung war dahin. Ich wurde nervös und wie das in solchen Zuständen vorkommt, begann ich mir Gedanken über das lange Ausbleiben der drei Männer zu machen. Mißmutig nahm ich die dritte Gans zur Hand und fing an, sie ihres Federkleides zu berauben, vorher hatte ich das Feuer reichlich gespeist und eine hohe, weithin sichtbare Flamme mußte meine Leute vor einem Verirren sichern. Ich saß nun mit dem Gesichte jenem Grate zugekehrt, auf dem ich die Erscheinung gesehen zu haben glaubte. Vereinzelte niedere Bäume narrten mich anfangs, da ihre Umrisse in dem lodernden Flammenscheine Leben bekamen. Gar bald aber erkannte ich die Täuschung und setzte meine Arbeit fort.
Die dritte Gans war gerupft. Ich stand auf, um die vierte in Angriff zu nehmen. Da kollerte von dem Grate in meinem Rücken ein Stein, der mit dumpfem Schall in den Sand fiel.
»Endlich kommt einer der Herren – na, wartet!« sagte ich vor mich hin und überdachte die Strafpredigt, die ich den armen Sündern halten wollte. Aber wiederum war ich das Opfer einer Täuschung geworden. – Nun aber nahm ich diese Erscheinungen nicht mehr leicht. Mir fielen die Erzählungen von der Unsicherheit auf den Straßen wieder ein. Ich hatte zwar keine Ahnung, ob hier in erreichbarer Nähe überhaupt Straßen vorüberführten, aber immerhin! Ich ging zum Boot hinunter und entnahm meiner Kiste beide Revolver. Dabei fiel mir die Büchse ins Auge, die ich vorher nicht wieder eingepackt hatte und nahm auch diese mit. Wie ich nun so mit Waffen behangen war, mußte ich laut lachen über meine rege Einbildungskraft und ich empfand ein Gefühl der Scham, daß ich mich von meinen überreizten Nerven ins Bockshorn jagen ließ. Viele, viele Nächte hatte ich schon allein im Walde und auf Steppen geschlafen, ohne je unliebsam belästigt worden zu sein – und nun? Ich ließ die Büchse fallen und setzte mich wieder ans Feuer, um den Vogel fertig zu rupfen. Diesmal drehte ich dem Meere den Rücken, um die Stellen vor mir zu haben, an denen meine Leute auftauchen mußten.
So verging wohl eine halbe Stunde. Die Gänse waren gerupft und wenn ich das geeignete Holz zu Spießen gehabt hätte, so würde ich mit dem Braten begonnen haben. Diese Überlegung lenkte meine Gedanken wieder zu den drei Farbigen. Sicher waren sie desertiert und ich würde sie wohl kaum wiedersehen.
»Ob sie mich wohl bestohlen haben?« Ich warf einen neuen Ast auf das Feuer und ging zum Boot hinunter, das ich vom Feuer aus nicht sehen konnte, weil ein größerer Felsblock, an dem es vertäut war, in der Blickrichtung lag. – Ein unerklärliches Gefühl ließ mich auf halbem Wege zum Feuer zurückkehren. Ich riß einen hellbrennenden Ast heraus und benutzte ihn als Fackel, indem ich den vor mir liegenden Strand damit ableuchtete. Dicht vor dem Felsblock blieb ich stehen und schaute zurück. Als ich mich wieder umwandte, prallte ich zurück, denn vor mir stand ein langer Kerl mit schwarzem, wildem Vollbart. Sekundenlang ruhten unsere Blicke prüfend aufeinander, dann fragte ich, einen Schritt zurückweichend:
»Was sucht Ihr hier?«
»Euch!« zischte er durch die Lippen.
»Sehr erfreut!« erwiderte ich höhnisch, denn jetzt, wo ich wußte, woran ich war, hatte ich mein kaltes Blut wiedergefunden. »Und was wollt Ihr denn von mir?«
»Zuerst Essen.« »Bedauere, es ist noch nicht fertig. Und was sonst noch?«
»Das werde ich Euch nachher sagen. Laßt uns zum Feuer gehen und gebt mir, was Ihr zu essen habt. Ich bin hungrig und mich friert. Es wird schon recht kalt.«
»Das Essen ist noch nicht fertig, wie ich bereits sagte. Aber am Feuer möchte ich Euch selbst gern sehen. Hier kann ich nicht erkennen, welche Art von Ehrenmann mich besucht.«
»Hütet Euere Zunge, Mann! Ich bin nicht aufgelegt, höhnische Worte einzustecken. Ihr versteht mich doch?«
»Oho, pfeift Ihr solche Töne?« rief ich. »Dann tut Ihr wirklich gut, mich ein andermal zu besuchen, denn auch ich bin heute nicht gut aufgelegt und dann kann ich recht borstig werden.«
Wir standen uns in drohender Haltung gegenüber und maßen uns mit feindseligen Blicken. Der Fremde schien einer jener Burschen zu sein, den lange Zuchthausstrafen nicht nur nicht gebessert, sondern erst recht auf die Bahn des Verbrechens getrieben haben. In seinen Zügen lag rohe Grausamkeit. Er schien nur noch nicht über die Kraft seines Gegners im klaren zu sein. Eine einzige Blöße, die ich mir gab, mußte zum Kampfe auf Leben und Tod führen.
Da bemerkte er die am Boden liegende Büchse. Ein rauher Schrei entrang sich seinen Lippen, als er sich darauf stürzte und sie triumphierend betrachtete.
Ich zog den Revolver. Ruhig sagte ich:
»Legt die Büchse wieder hin, Mann. Sie ist nicht geladen und außerdem – seht her! – habe ich hier fünf Bohnen, die meine Worte unterstreichen!«
Ein lasterhafter Fluch entfuhr seinen Lippen, als er den Revolver in meiner Hand sah. Zögernd ließ er das Gewehr wieder in den Sand fallen, dann erwiderte er mit häßlichem Grinsen:
»Habt eine liebenswürdige Art, Gäste zu empfangen, das muß Euch der Neid lassen.«
»Ich habe Euch nicht gebeten. Ihr müßt mich nehmen, wie ich bin.«
»Da habt Ihr ja ein paar prachtvolle Vögel«, rief er plötzlich. »Darf ich mir ein Stück davon braten?«
»Bedient Euch. Der Bissen ist Euch gegönnt!«
»Und zu trinken habt Ihr nichts?«
»Wenn in dem Topfe noch Kaffee ist, gehört er Euch.«
Der Fremde warf sich zu Boden und hob den Topf, um zu trinken. In demselben Augenblick griff er nach meinen Beinen und versuchte, mich zu Fall zu bringen. Er fand mich aber auf derartige tückische Ueberfälle vorbereitet. Immerhin strauchelte ich und der Revolver entglitt meiner Hand. Im Nu hatte ich den Kerl an der Kehle und preßte ihm den Hals zu, bis ich ihn für kampfunfähig hielt. Einen Faustschlag auf den Kopf brachte den Räuber vollends um die Besinnung.
In diesem Augenblick kamen auch meine Leute zurück. Tiahu, der den anderen voran war, rief schon von weitem:
»Ah, habt Ihr den Banditen erschlagen? Das ist recht! Wir verfolgen den Kerl schon über eine Stunde. Dort im Walde liegt eine Leiche, die auf sein Konto kommt.«
»Tot ist er nicht – nur betäubt. Aber jetzt sage mir ...«
»Nicht tot?« rief Pu Nambu, mich unterbrechend. »Dann aber macht schnell!« Er hob die Keule zum Schlage.
»Halt! Das ist nicht unser Amt,« wehrte ich. »Der Räuber gehört dem Richter. Was der mit ihm macht, ist seine Sache.«
Die drei Maori sahen mich an, als ob sie falsch verstanden hätten.
»Was hat denn noch der Richter zu sagen, wenn man einen Mörder auf der Tat ertappt? Und wer soll den Banditen zur Stadt bringen? Nein, Herr, sie kennen die Landesgebräuche nicht. Ich habe ihn bei dem Toten gesehen und mir gehört der Mann.«
»Meinetwegen, Tiahu. Schaffe mir aber den Menschen aus den Augen und dann geht an euere Arbeit. Es ist spät geworden und mich hungert.«
Der Befehl war ihm lieber, als meine vorher gegebene Anweisung. Er rief den Maori ein paar Worte in ihrer Sprache zu, worauf er sich zu dem noch Bewußtlosen niederbeugte und ihm den Gürtel löste. Ein blutbeflecktes Messer fiel in den Sand. Frische Blutspuren klebten an den Unterkleidern des Mannes. Jeder Zweifel an der von dem Steuerer gegen ihn erhobenen Beschuldigung fiel damit fort. Toa war inzwischen zum Boot gelaufen und brachte von dort eine starke Leine mit, die so um den Körper des Gefangenen geschlungen wurde, daß dieser weder Arme noch Beine rühren konnte. Tiahu lud den zu einem Bündel Verschnürten sodann auf die Schulter und verschwand damit in der Dunkelheit. Zehn Minuten später kehrte er zurück.
»Wohin hast du den Banditen gebracht? Du wirst ihn doch nicht ermordet haben?«
»Er liegt dicht neben seinem Opfer, bis er seine Strafe erleidet.«
Ich schwieg. Ändern konnte ich doch nichts an seinem Schicksal.
Die beiden Diener gingen jetzt mit unruhiger Hast an ihre Geschäfte. Toa hatte noch vier Gänse mitgebracht, die wir gemeinschaftlich rupften, während der Steuermann die Stäbe spitzte, an denen die Vögel gebraten werden sollten. Die Arbeit ging recht einsilbig vonstatten. Über uns allen lag der Eindruck des Erlebten und ganz besonders des Kommenden. Denn daß einer meiner Leute den erschlagenen Landsmann rächen würden, unterlag für mich keinem Zweifel. Nur durfte es nicht in meiner Gegenwart geschehen.
Nach Beendigung des Bratprozesses nahm sich jeder soviel Fleisch, als er glaubte, essen zu können. Der Rest wurde in Blätter geschlagen und im Boote untergebracht. Auf Bitten des Steuermannes gab ich den Leuten auch noch je einen Grog, den ich auch für mich zubereitete. Dann bestimmte ich die Reihenfolge der Wache und wickelte mich in meine Decke, die Füße dem Feuer zugekehrt. – Kurz nachher riß mich ein markerschütternder Schrei aus dem ersten Halbschlummer. Der Ton klang so entsetzlich, daß ich aufsprang und die Büchse ergriff. Ich glaubte nichts anderes, als daß meine Leute den Gefangenen marterten. Aber alle drei saßen am Feuer und waren wohl ebenso überrascht von dem Schreckensschrei, wie ich selbst.
»Er ist erwacht und sieht sein Opfer,« sagte Tiahu kalt. »Das kann ein Mörder nicht ertragen. Er soll aber alle Qualen des Gewissens leiden, bis ...«
Er vollendete nicht und ich wollte nichts wissen. Von neuem wickelte ich mich in meine Decke und versuchte, lange vergeblich, den so nötigen Schlaf zu finden. Endlich gelang es dem rhythmischen Rauschen des Wellenschlages, meine Nerven zu beruhigen. Ich schlief ein.
Ein kalter Wind pfiff über eine graue See, als ich erwachte. Toa hatte eben den Kaffee für mich bereitet und brachte mir den heißen Trank mit einer Miene, als habe er Essig getrunken. Er erwartete sichtlich eine Frage. Als die ausblieb, holte er das Brot und ein paar frisch gebrochene Austern und reichte mir beides mit der Bemerkung, daß seine beiden Kameraden noch nicht zurückgekehrt seien. Ob er inzwischen das Boot klar machen solle?
Auch auf diese Mitteilung, die dem Bedürfnis entsprungen war, mir eine unangenehme Neuigkeit zu melden, blieb ich die Antwort schuldig. Ich ging zum Boote hinunter, packte aus dem Effektensack einige Wäschestücke und schickte ihn damit zum Teich.
»Wenn du die gewaschen hast und deine Kameraden sind dann noch nicht zurückgekehrt, dann segle ich allein weiter. Wir werden ohnehin heute abend an Ort und Stelle sein.«
Befiehlt der Herr, daß ich das meinen Kameraden sage?«
»Nimm die Wäsche und tue, was ich dir auftrug. Du wirst ohnehin wissen, was du zu tun hast.«
Mit den Worten wandte ich mich ab und ging zum strande, mein gewöhnliches Bad zu nehmen. Nachher vertrieb ich mir die Zeit mit dem Studium der auf den Sand geworfenen Seetiere, deren prächtige Formen mich lange Zeit beschäftigten, von dem, was in der vergangenen Nacht in jenem finsteren Walde geschehen sein mochte, wollte ich nichts wissen.
Meine Diener waren bald zur Stelle. Wortlos schoben sie den Kahn in die unruhige Flut, verstauten das Gepäck und sprangen hinein. Ich selbst wartete noch ein paar Minuten, da ich aus der Eile, mit der die Leute zur Abfahrt drängten, den Schluß zog, daß sie verfolgt würden. Es geschah aber nichts dergleichen.
Die aufgepeitschte See machte uns in dem klippenreichen Wasser sehr viel zu schaffen. So unterblieb von selbst jedes nicht zur Sache gehörige Gespräch. Zum Segeln war der Wind zu unstet. Hier unter dem Gebirge blies er aus allen Richtungen und bei der beschränkten Steuerfähigkeit des unbeholfenen Fahrzeuges mußten wir bald darauf verzichten, Segel zu führen. Aber auch das Rudern bot viel Schwierigkeiten. Ueberall stieß das Ruder auf felsige Riffe und manches liebe Mal glaubten wir von einer Brandungswelle umgeworfen zu werden. Der Kahn krachte dann in allen Fugen, aber merkwürdigerweise blieb er dicht, obwohl er auch sonst genug Wasser übernahm. – Da wir zu wenig Fortgang machten, legte ich mir die Frage vor, ob wir es nicht doch auf freiem Meere versuchen sollten. Gar oft hatte ich Wilde in ihren Einbäumen im stürmischen Wetter auf See gesehen und mich gewundert, daß die Luvbäume das schwankende Fahrzeug vor dem Kentern schützten. Allerdings wären jene Wilden auch nicht in Verlegenheit gekommen, wenn das Kanoe umgeschlagen wäre. Sie hatten nichts darin, was nicht augenblicklich hätte ersetzt werden können, und sie konnten schwimmen wie die Fische. – Beides lag bei mir anders. – Ich holte das Gutachten des Steuermannes ein.
»Wenn wir glücklich in die Strömung geraten, die hier an der Küste vorüber auf das Kap zu setzt, und wenn wir an der Mündung des Wanganui wieder herauskommen, dann möchte ich ja sagen. Ich kenne aber Fahrzeuge, wie dieses, zu wenig. Oft schon glaubte ich, es würde sinken oder kentern, aber es richtete sich immer wieder auf. – Haben Sie wertvolle Habe zu verlieren?«
Diese gewundene Auskunft ließ mich wieder zaudern. Wir arbeiteten weiter mit dem Ruder. Gegen Mittag sahen wir immer noch unseren letzten Lagerplatz, und dessen Anblick schien den Leuten ebenso unangenehm zu sein, wie mir. Ich raffte mich nun zu dem Wagnis auf und ließ Segel setzen, um die bezeichnete Strömung zu erreichen. – Kaum ging die Leinwand hoch, da machte der Kahn einen Satz, wie ein Roß, das zum erstenmal den Reiter spürt. Rauschend schnitt der unförmige Bug durch die Wellen. Zwei Minuten später stand das Wasser handhoch im Schiff. Der Steuerer schüttelte den Kopf. Ich aber wollte mein Glück versuchen und nickte ihm aufmunternd zu. – Und es glückte. Wir konnten uns aus den unsteten Bergwinden befreien und in die Strömung segeln, die uns nun mitnahm, wie etwa ein Mühlenbach einen Waschzuber mitnimmt. Wir jagten wirklich vorwärts. Alles kam nun auf richtiges Steuern an. Schlug der Trog quer, dann waren wir verloren.
Vor uns tauchten Fischerboote auf. Sie kamen aus irgendeinem kleinen Hafen und suchten durch die Strömung aufs hohe Meer zu gelangen. Da ihre Boote den Anforderungen entsprachen, so bot ihnen das keine besondere Schwierigkeiten. Wir sahen jedoch nicht ohne Besorgnis, daß auch sie nicht ohne weiteres sich der Umklammerung des Stromes entziehen konnten. Was sollte aus uns werden, wenn zu Mittag der Wind nicht umsprang.
Die Fischer wurden auf unser seltsames Fahrzeug aufmerksam. Im Vorbeifahren rief man uns Wünsche für eine gute Reise, aber auch Warnungen zu. Dann bot einer seine Hilfe an. Er war wohl ein besserer Seemann, als die andern und erkannte die Gefahr, in der wir schwebten. Ehe wir uns aber schlüssig werden konnten, waren wir bereits vorübergerast.
»Nehmen sie das Segel weg, Herr,« riet der Steuerer.
»Lieber nicht, Tiahu. Je mehr Fahrt wir machen, desto besser steuert sich unser Kahn. – Hast du Angst?«
»Ich sehe bereits zwei Haifische, Herr!«
»Die fressen uns erst, wenn wir im Wasser liegen.«
»Wird nicht mehr lange dauern, Herr. Der Strom geht auf die Klippen zu. Wir müssen versuchen, in ruhiges Wasser zu kommen.«
»Versuche es, aber gib gut acht, daß wir nicht querschlagen.«
»Dann muß das Segel weg, Herr!«
Ich ließ das Stagsegel fallen. Bevor es aber geborgen werden konnte, riß der Wind es dem Maori aus der Hand, und während sich die beiden bemühten, die Leinwand zu bergen, vergaßen sie die Vorsicht. Der Kahn wurde aus der Fahrt und auf eine Seite gedrängt. Die Flut faßte ihn halb seitwärts und drängte ihn soweit auf den Wasserspiegel, daß er ohne die Ausleger gekentert wäre. Immerhin nahmen wir sehr viel Wasser über und die Gefahr des Sinkens war groß. Wir schöpften mit unsern Hüten in fieberhafter Hast das Boot aus, aber immer, wenn wir glaubten, gewonnenes Spiel zu haben, kam eine neue Welle über. – Endlich sahen wir das Zwecklose unserer Arbeit ein. Wir griffen zu den Rudern. Nach ungeheuren Anstrengungen brachten wir den schweren Trog endlich in die richtige Lage und zugleich auch in ruhiges Wasser.
»An Land!« Der Ruf entfuhr fast gleichzeitig unsern Lippen.
Während ich mich daran machte, das eingedrungene Wasser auszuschöpfen, ruderten die Maori aus Leibeskräften dem fernen Ufer zu. Wir fühlten instinktiv die Gefahr, die uns aber erst zur Gewißheit wurde, als ich die Wahrnehmung machte, daß unser Boot ein Leck bekommen hatte. Das Wasser nahm trotz meiner angestrengten Arbeit nicht ab. Da ich es jedoch auf dem gleichen Stande zu halten vermochte und der Strand nicht mehr fern war, versuchten wir gar nicht erst, das Leck zu finden und zu reparieren, da wir Gefahr liefen, durch Zeitverlust das Fahrzeug einzubüßen. Fünf Meter vom Ufer sackte der Kahn denn auch plötzlich weg. Zum Glück in seichtem Wasser. Immerhin ging uns die Flut bis an den Hals und ein paar Haie schienen nicht übel Lust zu haben, sich die Beute auch aus dem flachen Wasser zu holen.
Wir froren jämmerlich in unsern nassen Kleidern. Zu allem Unglück überzog sich nun auch noch der Himmel mit dicken Regenwolken und kaum hatten wir den Strand erreicht, da brach ein Gewitter aus, das einem wahren Wolkenbruch das Geleite gab. Dazu brüllte das Meer einen unheimlichen Gesang, der uns für unser Boot und meine Habe das Schlimmste fürchten ließ. Ratlos standen die Kulis an der Strandungsstelle. Sie erwarteten, daß die steigende Flut den Kahn höher auf den Sand heben würde, wodurch wir ohne Lebensgefahr wieder in den Besitz unserer Ladung gelangt wären. Da das nicht geschah, mußte ich handeln.
»Vorwärts, Tiahu, binde dir ein Tau um den Leib und nimm ein zweites mit, das du an dem Bug befestigst. Wir halten dich.«
»Herr, die See geht zu hoch. Sie wird mich erschlagen.«
»Unsinn, du läßt dich von der rückflutenden Welle dahin tragen. Am Boote findest du Halt, wir sorgen für deine Sicherheit.«
Nach längerem Debattieren warf sich der Steuermann mit der nächsten Welle ins Meer. Sie hob ihn auf ihren Rücken und trug ihn über das Boot hinaus und zwar mit solcher Gewalt, daß wir drei uns fest in den Boden stemmen mußten, um ihn zu halten. Einmal im Wasser, machte der Steuermann auch ganze Arbeit. Obwohl ihn die wütenden Wogen dutzendmal ins Meer zurückwarfen, gelang es ihm doch endlich, das Tau in den Bugring des Kahnes zu befestigen. Die nächste Welle warf ihn, halb ertrunken, wieder zu uns auf den Strand.
Ich ließ dem braven Menschen Zeit, neue Kräfte zu sammeln und gab dann den Befehl, das Boot auf das Ufer zu ziehen. Das ging nun nicht so leicht, wie wir uns das vorgestellt hatten. Das Wasser übte einen zu großen Druck auf die breite Fläche des Kahnes aus. Jedesmal, wenn wir eine über die Stelle hinwegbrandende Woge nutzbar machen wollten, um mit deren Hilfe das Boot weiter zu uns heranzuziehen, fühlten wir, wie ein Druck von oben unsern Anstrengungen entgegenarbeitete. – Endlich brauste das Wetter vorüber und der Sturm nahm an Stärke ab. Der Druck der Wogen wurde schwächer. Wir schöpften neuen Mut und sahen denn auch nach zweistündiger harter Arbeit unsere Mühe belohnt. Langsam folgte das Boot unserem Ziehen, bis wir es schließlich auf dem Trockenen hatten. Mein erster Griff war nach den Kisten, sie waren noch da. Die eisernen Klammern hatten gehalten. Dagegen suchte ich vergeblich nach meinem Wäschesack. Ihn hatte die See behalten. Ebenso büßten wir Ruder, Mast, Segel und die losen Gegenstände ein – die fetten Gänse nicht zu vergessen.
Der Strand war an dieser Stelle flach und das daran grenzende Land zeigte sich als eine öde, sumpfige Steppe, auf der weder Baum noch Strauch wuchs. Da ich meine gesamte Wäsche eingebüßt hatte, war ich gezwungen, mich bis auf die Haut zu entkleiden, und es der Sonne, die eben noch einmal einen Blick auf das dünende Meer warf, zu überlassen, ob sie mir das Gewand trocknen wollte. Leider war dazu der Tag schon zu weit vorgeschritten. Ich mußte also dem Beispiel meiner Leute folgen und einstweilen im Adamskostüm auf die Suche nach Brennmaterial gehen. – Ich wählte mir dazu den Strand, der durch hohe Ufer gegen den Blick etwa Vorübergehender geschützt war, obgleich weit und breit keine Spur menschlicher Wohnstätten zu sehen war. – So sehr stehen wir Europäer im Banne der Kultur.
Meine Ausbeute am Strande überstieg meine Erwartungen. Ich fand nicht nur drei unserer vier Ruder, sondern auch den Mast. Dieser war allerdings gebrochen. Außerdem hatte die See noch alte Schiffstrümmer aus dem Ufersande gewühlt und mehrere morsche Hölzer angeschwemmt. Ich mühte mich besonders mit einem Balkenstück ab, das Ornamentik zeigte und mich einen seltenen Fund ahnen ließ. Aber nicht das allein war der Grund, sondern mich fror jämmerlich und ich hoffte, durch die schwere Arbeit meinem Körper Wärme zuzuführen.
Die Maori fanden nur Reisig und harte torfartige Erde, die, wie sie sagten, gut brennen sollte. Die Angabe bewahrheitete sich auch. Mit meiner Ausbeute vereinigt, brachten wir bald ein qualmendes Feuer zustande, das wenigstens soviel Wärme ausstrahlte, daß es unsere Decken und Kleider trocknete. Zu dem Zweck hatten wir die Ruder und den Mast im Viereck um das Feuer aufgestellt, die Decken und Kleider auf Taue gehängt und so eine »spanische Wand« geschaffen, die einen dreifachen Zweck erfüllte. Sie bot uns Schutz vor dem Winde, trocknete unsere Sachen, und trug den Geboten der Schicklichkeit Genüge, falls es einen Europäer gelüsten sollte, seinen Abendspaziergang bis zu uns auszudehnen.
Empfindlicher als unter der Kälte, litten wir unter dem Mangel an Nahrung. Meine Konserven waren mit dem Sack verloren gegangen und in den Kisten befanden sich von genießbaren Sachen nur Getränke. Diese allerdings gab ich in Rücksicht auf die überstandenen Strapazen gern heraus. Allerdings in unverdünntem Zustande, da uns auch Frischwasser fehlte. Den Maori war das gar nicht so unangenehm. – Alle diese farbigen Völker lieben die scharfen Schnäpse.
Es wurde Mitternacht, bis wir uns in die Decken hüllen konnten. Da auch unser Holzvorrat zu Ende ging, mußte ich den behauenen Stamm opfern, den ich für ein gründliches Studium aufgespart hatte. Obwohl er ungezählte Jahre im Meeressande geruht haben mußte, war das Holz noch kerngesund und eisenhart. Es brannte auch nicht, sondern glomm, unter nur geringer Wärmeabgabe, die ganze Nacht hindurch.
Die aufgehende Sonne beleuchtete eine Gruppe recht verdrießlicher Menschen. Wir waren hungrig, durstig und nach einer schlecht verbrachten Nacht durchfroren. Kein Tropfen Wasser weit und breit zum wärmenden Frühtrunk, und zu alledem noch ein erlöschendes Feuer ... Woher sollten wir da Lust und Tatkraft zum Flottmachen unseres ertrunkenen Kahnes nehmen? Es mußte zunächst Nahrung herbeigeschafft werden. Ich rief Pu Nambu.
»Hier hast du Geld. Suche eine menschliche Behausung zu entdecken und bringe vor allen Dingen Eßbares mit. Toa geht auf die Suche nach Wasser. – Wer zuerst wieder zurück ist, bekommt einen Schnaps extra.«
Ein Leuchten verklärte die Züge der Maori. Das Versprechen war wohl das geeigneteste Mittel, die Leute zur Eile anzutreiben. Sie waren auch in der nächsten Sekunde schon unterwegs.
Mit dem Steuermann machte ich mich nun an die Untersuchung unseres Kahnes. Zunächst mußte er leergeschöpft werden und ich muß gestehen, daß wir uns nur mit Widerstreben in das schmutzige Wasser wagten. Die mühevolle Arbeit erwärmte uns jedoch, und wenn der knurrende Magen nicht gewesen wäre, so hätten wir den Humor wiedergefunden. Tiahu machte öfter Anspielungen auf innere Erwärmung, aber ich fürchtete den nachteiligen Einfluß des Alkohols auf den leeren Magen und winkte zum großen Verdruß des Steuerers immer ab. Um ihn bei Laune zu halten, vertröstete ich ihn auf die Rückkehr der beiden Maori.
Das Leck im Boot war durch das Aufstoßen auf die scharfen Klippen entstanden. Zum Glück hatten die Bodenplatten nur das eine Loch davongetragen, aber auch dieser geringe Schaden verursachte uns viel Kopfzerbrechen, da uns jedes Werkzeug fehlte, ihn auszubessern.
Das Nächstliegende wäre gewesen, den Kahn einfach hier liegen zu lassen und den Weg bis zur Wanganui-Mündung zu Fuß zu machen. Nach meiner Berechnung waren wir höchstens vierzig Kilometer davon entfernt und das hätten wir leicht in einem Tage bewältigt. Meine beiden Diener wären auch zu einem Fußmarsch verpflichtet gewesen, aber ich glaubte es dem Steuermann schuldig zu sein, daß er seine geheimen Wünsche in Erfüllung gehen sah. Ich hatte während der Reise den Eindruck gewonnen, daß er mir das Boot später in Verrechnung mit seinem Lohne abkaufen wollte. Für ihn bildete dessen Besitz ein Kapital, mit dem er sich als Frachtführer im Hafen von Wellington selbständig machen konnte. Für mich wurde es wertlos, wenn ich im Wanganui nicht mehr weiter flußaufwärts fahren konnte. Diese Rücksicht auf den auf seine Art recht braven Mann ließ mich auch die Arbeit der Wiederinstandsetzung des Bootes nicht verdrießen.
Während wir so in unserer Ratlosigkeit vor dem Kahne standen, bemerkte ich deutlich, wie dem Steuermann der Schicksalsschlag zu Herzen ging. Noch war allerdings zwischen uns kein Wort über den Besitzwechsel gesprochen worden, um den armen Kerl aber wieder aufzurichten, schnitt ich nun endlich die Frage an und sagte:
»Wenn du wüßtest, Tiahu, wie weh es mir tut, den Kahn gerade hier liegen lassen zu müssen! Ich würde ihn gern ausbessern, wenn sich jemand fände, der die nötigen Werkzeuge herbeischaffte.«
»Bis zum Flusse könnten wir ihn in seichtem Wasser schleppen, Herr. Dort finden sich dann Handwerker, die Ihnen die Arbeit machen.«
»Kannst denn du nicht auch das kleine Leck ausbessern? Ich meine, daß man sein Eigentum nicht gern in fremde Hände gibt und für eine Arbeit bezahlt, die man selbst machen kann.«
»Wenn es mein Kahn wäre, wüßte ich, was zu tun wäre!«
»Und was würdest du tun?«
»Das Notsignal der Fischer setzen. Es käme dann bald eine Barke, die mir das nötige Material gäbe. Pech, Werg und Werkzeuge sind auf jedem Fischerfahrzeuge.«
»Warum tust du das denn nicht?«
»Für eine fremde Barke darf ich es nicht verlangen. Es ist wegen der Arbeiter am Lande ...«
»Nun denn, da ich die Absicht habe, dir das Boot später zu überlassen, so rufe deine Kameraden. Es ist doch wohl einerlei, ob du heute oder in einer Woche den Kahn dein eigen nennst?«
»Wie, Herr, höre ich recht?« rief Tiahu erfreut und ein Zittern ging durch seinen Körper. »Sie wollen mir das Boot verkaufen? Wenn Sie am Wanganui sind, darf ich es mein eigen nennen?«
»Genau das will ich sagen. Aber verstehen wir uns recht, solange ich es noch brauchen muß, gehört das Boot mir. Nachher ist es dein Eigentum. Ich schenke es dir!«
Wer beschreibt die Freude des Mannes, als ihm so plötzlich ein Vermögen vom Himmel fiel. Er tat einen Freudensprung, umarmte mich und hätte mich sicher in seinem Glücksgefühl mit der Bruderschaft bedacht, wenn ihn nicht die Rückkehr der beiden Diener zur Vernunft gebracht hätte. Die beiden Maori brachten Lebensmittel für mindestens drei Tage und kündigten mir gleichzeitig den Besuch eines Weißen an, der mit ihnen gekommen wäre, wenn er nicht noch in seinem Hofe zu tun gehabt hätte.
Ich musterte die mitgebrachten Leckerbissen, worunter ein Truthahn mein besonderes Interesse erregte.
»Wo hast du denn das alles aufgetrieben? Dazu kann doch das Geld nicht ausgereicht haben?«
Pu Nambu lächelte verschmitzt, griff in die Tasche und brachte die zwanzig Schillinge zum Vorschein, die ich ihm mitgab.
»Du hast doch nicht etwa gestohlen?« fuhr ich ihn empört an.
»Aber, Herr, wie können Sie das denken? Der weiße Mann wollte kein Geld. Er kommt selbst.«
»Nun dann wollen wir die Rechnung später begleichen. Nun macht rasch Feuer. Toa hole Holz und Reisig. Rasch, Junge. Ich falle um vor Hunger.«
Diesmal dauerte es keine Viertelstunde bis die glühende Asche das Kaffeewasser zum Kochen brachte. Ich war noch beim Genusse des würzigen Trankes und warf verlangende Blicke nach dem Indian, der sich langsam bräunte, als plötzlich ein mit zwei Eseln bespannter Wagen auf der Uferbank erschien. Ein dicker Mann mit ausgeprägt deutschem Gesicht sprang zu uns hinunter und trat mit ausgestreckten Händen auf mich zu.
»Grüß Gott, Landsmann!« sagte er. »Ich segne den Zufall, der sie in meine Nachbarschaft bringt, wenn es auch für sie ein Unfall ist. Seit fünf Jahren sind sie der erste Deutsche, der sich in diese Gegend verirrt. Nun aber steigen sie auf. Sie dürfen hier nicht am Strande kampieren. Seien sie mein Gast, je länger, je lieber!«
Ich mußte den Mann ausreden lassen, so schnell kamen die Worte über seine Lippen. Da ich aber in einem Zustande war, in dem ich mich vor keinem Menschen sehen lassen konnte, mußte ich ablehnen. Ich tat das mit den Worten: »Herzlichen Dank, verehrter Landsmann, für die reiche Hilfe, die sie mir durch Abgabe der Lebensmittel angedeihen lassen, wir sind halb verhungert ...«
»Bravo, das freut mich!« rief er.
»Und ich habe meine sämtlichen Kleider verloren ...«
»Um so besser! Wie mich das freut ...«
»Aber erlauben sie. Das ist durchaus nicht angenehm!«
»Freut mich aber!« rief er frohlockend. »Um so eher gehen sie auf meine Bitten ein, mit mir auf meine Farm zu kommen. Dort finden sie alles, was Ihnen fehlt. – Verehrter Herr, sagen sie nur nicht nein! Sie dürfen mir meine Bitte nicht abschlagen!«
Die dringende Einladung ergötzte mich. Er bemerkte das Lächeln und nahm mich nun bei der Hand, wie man ein Kind führt.
»Nicht wahr, Sie stimmen zu? Sie bleiben ein paar Wochen bei mir. Ich bin mit meiner Frau und dem Gesinde allein in der Gegend. Der nächste Nachbar wohnt zehn Meilen entfernt und das ist ein Kerl – na – ich will nichts weiter sagen – ein Franzos ...«
»Das genügt zur Charakteristik!« warf ich ein.
»Begreifen sie jetzt, daß ich Feuer und Flamme war, als ich von Ihrem Maori hörte, daß ein weißer Mann um Lebensmittel bäte?«
»Woher mußten Sie denn, daß ich ein Deutscher bin?«
»Aus den Antworten des Braunfells. Ein weißer Mann, der Käfer und Schmetterlinge sammelt, ist in neunundneunzig von hundert Fällen ein Deutscher. Ferner erfuhr ich die Geschichte mit dem Zollboot, das die Flagge zeigte. Als ich dann von schwarzweißrot hörte, ließ es mir keine Ruhe. Da bin ich! Kommen Sie!«
»In diesem Zustande ist es unmöglich. Besonders wenn Damen in Ihrem Hause sind.«
»Ich führe sie zuerst auf Ihr Zimmer und gebe Ihnen einen Anzug. Schlagen Sie ein!«
»Aber meine Leute ...«
»Wohnen bei mir!«
Ich sah ein, daß ich die Einladung annehmen mußte. Als ich zusagte, glitt wirkliche Freude über das Antlitz des Mannes. – Nun ward auch die Frage der Instandsetzung meines Kahnes geregelt. Auf der Farm fand ich alles, was mein Steuermann zu seiner Arbeit bedurfte und nachdem ich mich vergewissert hatte, daß mich während meiner Abwesenheit keine Verluste treffen konnten, bestieg ich den Wagen und fuhr mit meinem Gastfreunde durch Steppe und grünende Felder auf dessen Farm.
Herr Wadler war vor sechs Jahren mit seiner jungen Frau aus Deutschland nach Neuseeland ausgewandert. Er stammte aus der Gegend von Passau und hatte sich in den Kopf gesetzt, den Neuseeländern bayrisches Bier zu brauen. Nachdem er nach den ersten Versuchen in Wellington eingesehen hatte, daß der Industriezweig nie zu einer Existenz führen konnte, nahm er kurz entschlossen das ihm noch verbliebene Geld und kaufte sich in einer Gegend an, vor der man ihn am meisten gewarnt hatte. Durch eisernen Fleiß war es ihm gelungen, aus einer öden Steppe fruchtbares Land zu machen und heute erfreute er sich eines Besitzes, der selbst in diesem Lande zu einem der reichsten gezählt werden konnte.
»Wenn ich auf die Leute gehört hätte, wäre ich heute bankrott. Man muß sich immer auf das eigene Urteil verlassen, dann fährt man immer am besten,« schloß er seine Erzählung.
Drei schöne Tage verbrachte ich auf der Farm des gastfreundlichen Landsmannes. Dann setzte ich meine Reife fort, aber nicht, wie geplant, zu Wasser, sondern ich folgte dem Rate des landeskundigen Herrn Wadler und faßte den Entschluß, das Gebirge schon jetzt zu überschreiten und auf dessen Ostseite weiterzureisen. Zwar warnte er mich vor dem Gesindel, das oben auf dem Passe mit den Eisenbahnarbeiten beschäftigt war, und das aus dem Auswurf der menschlichen Gesellschaft bestehen sollte, aber dem konnte ich ja aus dem Wege gehen.
Mein Steuermann war bestürzt, als ich ihm meine veränderten Reisedispositionen mitteilte. Er hatte nicht erwartet, sich so rasch von mir trennen zu müssen. Das schmälerte ihm auch die Freude, als ich ihm das Boot schon jetzt schenkte und ihm außerdem noch den bedungenen Lohn für die ganze Reise gab. Sogar ein Segel konnte ich ihm noch stiften, das aus einer defekten Wagendecke des Herrn Wadler angefertigt wurde. Seiner Abfahrt in die Heimat sah ich noch zu. – Möge ihm der Kahn Glück gebracht haben.
Aus den Beständen meines Gastfreundes erwarb ich vier kleine, aber ausdauernde Gebirgspferde nebst Geschirr. Die Maori reiten nicht gern und auch meine Diener waren nur zum Besteigen der Pferde zu bewegen, als ich ihnen mit Entlassung drohte. Sie legen allerdings zu Fuß große Strecken zurück, allein auf meiner langen Reise brauchte ich stets frische und ausgeruhte Leute, besonders in einer Gegend, die sich in bezug auf Sicherheit keines guten Rufes erfreut. – Ich will hier gleich erwähnen, daß wir auf dem gefürchteten Gebirgspasse unbehelligt blieben. Ob das auf die zahlreichen, dort umherstreifenden Gendarmen zurückzuführen war, mag dahingestellt bleiben.
Herr Wadler gab uns noch zwei Stunden weit das Geleite und verabschiedete sich dann äußerst herzlich, nicht ohne mir warme Grüße an seine Heimat aufzutragen. Der Zufall führte mich zwei Jahre später nach Passau und dort entledigte ich mich persönlich des Auftrages.
Zur Ueberquerung des Gebirgszuges brauchten wir drei Tage, während derer wir fast immer mit Menschen aller Rassen zusammentrafen. Die Gegend ist besiedelt und es herrscht ein reger Verkehr mit dem als Knotenpunkt zweier Eisenbahnlinien ausersehenen freundlichen Gebirgsstädtchen.
Mit dem Eintritt in die Ebene entfernten wir uns von den begangenen Wegen und zogen in den Vorbergen des süd-nördlichen Gebirgsstockes nach Norden in das Gebiet der noch in ihren überlieferten Sitten lebenden Maoris. Diesen galt in erster Linie mein Besuch.
An dieser Stelle sind wohl einige Angaben über die Ureinwohner von Neuseeland, die Maori (sprich Mauri) angebracht.
Als die große Doppelinsel gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Cook und Tasman besucht wurde, lebte daselbst ein Volksstamm, den die Entdecker als rohe, aber auf hoher Kulturstufe stehende Menschen bezeichneten. Sie wohnten in geräumigen Holzhütten, deren Fachwände aus Lehm und Flachsgeflecht hergestellt waren. Die Giebelbalken der Häuser trugen kunstvoll geschnitzte Ornamente, deren Muster an Arbeiten der Samoaner erinnern. Man glaubt daher, und aus andern Gründen, daß die Maori einstmals von Polynesien her eingewandert sind und die Ureinwohner von Neuseeland nach und nach ausrotteten. Daß sie ein Mischvolk waren, ging schon aus der Verschiedenart der Hautfarbe hervor. Tasman fand Menschen mit ganz brauner Haut und straffem, schwarzen Haar, und solche von rotbrauner Hautfarbe, die kurzes, gekräuseltes Haar hatten. Auch hebt er den Unterschied in der Gesichtsbildung hervor. Im großen und ganzen kann man die Maori als schöne, gutgewachsene Menschen bezeichnen. Besonders unter dem weiblichen Geschlecht findet man auch heute noch Mädchen, die selbst nach unseren europäischen Begriffen als Schönheiten angesprochen werden können.
Die Bewohner der Doppelinsel waren tatauiert (von dem samoanischen Worte tatau = künstlerisch hergeleitet. Tätowiert ist falsch). Die in die Haut eingeätzten Verzierungen fielen den genannten Entdeckern besonders wegen ihrer eigenartigen schönen Zeichnungen auf. Spätere Forscher stellten fest, daß das Tataunieren einer Kulturhandlung gleichkam, bei der ganz bestimmte Gebräuche beobachtet werden mußten. Das zu der Operation verwendete Werkzeug bestand aus Muscheln oder Knochen mit sehr scharfer Schneide. Damit wurden Schnitte in die Haut geritzt und diese zu kleinen Wülsten zusammengedrängt, was äußerst schmerzhaft gewesen sein muß. Das Gesicht besonders wurde mit schönen Zierraten bedeckt und es galt als ein Vorrecht der Häuptlinge, sich Kinn und Lippen in bunten Farben zu tataunieren. – Während der Operation und bis die Narben vollständig geheilt waren, hatte der Patient gewisse Vorschriften streng zu beobachten. – Die Tataunierung hat sich unter den Maori bis in die neueste Zeit erhalten. Ich fand auf meiner Reise noch viele ältere Männer mit schönen Zeichnungen. Auch junge Mädchen, die ihre an sich schon anmutigen Züge durch künstlerische Tataunierung des Kinns verschönt hatten, sah ich einige Male in den einsam gelegenen Gebirgsdörfern. Diese letzteren waren in der gleichen Art gegen unbefugtes Eindringen geschützt, wie es auch bei der Entdeckung der Inseln gehandhabt wurde. Gräben und hohe Holzzäune umgaben jedes einzelne Haus und selbst die Felder, auf denen in der Hauptsache Melonen, Taro und Bataten (süße Kartoffeln) gezogen wurden, umzog man mit Gräben. – Fischfang und Jagd bildeten damals die Hauptbeschäftigung der Maori. Da es an jagdbaren Säugetieren mangelte, mußten wilde Hunde, Ratten und Vögel neben den Fischen und Seetieren die Hauptnahrung liefern. Als es nun mit der Zunahme der Bevölkerung und mit dem Rückgang der Jagd zu einem Mangel an Fleischnahrung kam, verfielen die Maori, vielleicht durch den Hunger getrieben, auf den Kannibalismus. Sie begannen zuerst in ganz vereinzelten Fällen die im Kriege gefallenen Feinde zu verzehren und aus diesen Einzelfällen bildete sich dann der fürchterliche Brauch heraus, die Feinde oder auch die eigenen Sklaven aufzuessen. In der ersten Zeit nach der Entdeckung der Inseln fielen auch Europäer dem Kannibalismus zum Opfer. Mir wurden noch einzelne alte Leute gezeigt, die in ihrer Jugend Menschenfleisch gegessen hatten. Sie machten daraus auch gar keinen Hehl. – Mit dem Vordringen des Christentums verschwand dann die gräßliche Sitte. Leider hat es die vordringende Kultur auch hier, wie überall, wo der Engländer und Franzose als Kolonisator aufgetreten ist, dahin gebracht, daß das Volk der Maori langsam vom Erdboden verschwindet. Zu der Zeit, als ich auf der Insel reiste (1888), soll es nur noch zwölftausend Urbewohner gegeben haben. Die meisten dieser letzteren wußten, daß sie zum Untergange bestimmt waren und machten die größten Anstrengungen, durch Abschießen vom Europäer, ihre Rasse zu erhalten. Es dürfte ihnen kaum gelingen, denn der Engländer hat kein Interesse daran, – eher das Gegenteil. So wie er vor fünfzig Jahren den letzten Tasmanier begrub, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, den Volksstamm zu erhalten, so werden auch unsere Kinder das Aussterben der einst so mächtigen und kulturell auf hoher Stufe stehenden Maori erleben.
Vom Christentum haben sich die im Innern der Inseln lebenden Maori wenig mehr als die äußeren Formen angeeignet. Mit dem Herzen hängen sie noch an ihren heidnischen Gebräuchen. Sie verehren zwar auch einen einzigen Gott, haben indessen keine Tempel oder Götzenbilder. Nur das Tiki-Tiki, das als eine Art Amulett um den Hals getragen wird, könnte man als ein Götzenbild ansehen. Es stellt eine groteske Figur dar, die aus Jadeit oder Nephrit roh herausgearbeitet ist und meist von dem Familienoberhaupt getragen wird. Dieses Stück gilt als heilig. Es erbt sich von Generation zu Generation fort und nie würde es einem auf seinen Ruf haltenden Maori einfallen, sich dieses Tiki-Tiki zu entäußern. – Ich selbst bot einem anscheinend in größter Armut lebenden Manne einige Goldstücke dafür, erntete aber eine entrüstete Absage, die von Drohgebärden unterstützt wurde. –