Ferdinand Emmerich
Neuseeland
Ferdinand Emmerich

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Acht Tage später dampfte der »Washington« durch die unzähligen Eilande, die mit den Sammelnamen Paumotu-Inseln in die Weltkarten eingetragen sind. Hier belebte sich das bis dahin einsame Meer mit zahlreichen Einbäumen, die teils mit dem seitlichen Ausleger, als Schutz gegen das Umschlagen bei hohem Seegang versehen, teils aber als Kielboote gebaut waren. Die meisten oblagen dem Fischfang. Mit Speeren, Pfeil und Bogen gingen die braunen Söhne der Südsee den großen Fischen zu Leibe und fast jeder Pfeil traf sein Ziel. Unmittelbar nachdem der Pfeil von der Sehne geschnellt, sprang der Fischer in's Meer und warf seine zappelnde Beute in's Kanoe. Hierauf strich er sich das Wasser aus dem langen Haar und warf wohl einen spöttisch-geringschätzigen Blick auf den Hai, der eben heranschoß.

Zwischen den Inseln Pukaruha und Reao glitt der Dampfer in das nicht ungefährliche Fahrwasser. Auf der erstgenannten Insel fand ein Fest statt. Zahlreiche mit Blumen geschmückte Eingeborenenboote, deren jedes wohl an die zwanzig Menschen beförderte, strebten in langem Zuge dem Strande zu. Eine ohrenbetäubende Musik, die der Wind in kurzen Stößen an Bord trug, rief unsere sämtlichen Fahrgäste an die Reling. Unbegreiflicherweise schienen die Insulaner gar keine Notiz von dem nahenden Dampfer zu nehmen, so daß der Wachhabende auf der Brücke zur Dampfsirene greifen mußte. Der heulende Ton war aber noch nicht verklungen, als die ganze Flottille die bisherige Ordnung auflöste und wie ein Ameisenschwarm durcheinander fuhr, viele Ruderer warfen die Stangen in's Meer und suchten schwimmend den Strand zu erreichen. Andere Kanoes drehten von dem bisherigen Kurse ab, machten den Versuch, das nächstgelegene Eiland anzulaufen. Die uns zunächst treibenden Fahrzeuge, die wohl einsahen, daß eine Flucht nicht mehr möglich war, griffen ihre Waffen auf und schienen entschlossen, ihr Leben teuer zu verkaufen.

Die ungewohnte Aufregung bei unserem Erscheinen war uns allen unerklärlich. Ich kannte die Südsee von früher, hatte auch über diese Inselgruppe schon viel gehört, aber nichts, was diese offensichtliche Furcht vor dem Dampfer erklären konnte. Natürlich fragten auch die Passagiere nach den Gründen.

»Wahrscheinlich stehen die Franzosen, die sich die Herrschaft über diese Eilande anmaßen, in keinem guten Andenken bei den Eingeborenen,« erwiderte ich. »Man sieht hier selten große Schiffe und hält unsern ›Washington‹ vielleicht für ein französisches Kriegsschiff. Ich möchte den armen Menschen gern eine andere Meinung über uns beibringen. Wir störten sie mitten in einem großen Feste und brachten dadurch großes Leid über die Inseln.«

»Wenn es aber einem ihrer Götzen zu Ehren gehalten werden sollte, so war es ein gutes Werk, das wir begingen,« warf eine bigotte Dame mit scheinheiligem Augenaufschlage ein.

»Durchaus nicht,« gab ich zurück, »wenn die Leutchen das Bedürfnis fühlen, zu ihrem Gott zu beten und ihm für etwas zu danken, so sollen wir sie nicht stören. Im Gegenteil ...«

»Aber, mein Herr, das sind doch Götzendiener, Heiden, die man ausrotten sollte ...«

»Meist stecken unter der braunen Haut bravere Menschen, als unter mancher weißen. Ich habe Eingeborene kennen gelernt, an deren Lebenswandel sich mancher weiße Matrose ein Beispiel hätte nehmen können...«

»Aber das sind doch Menschenfresser, die hölzerne Götzenbilder anbeten,« jammerte die Dame, die ganz entrüstet war, daß ihr gegenüber jemand die Partei der Eingeborenen nahm, »wenn sie hörten, was unsere Missionare darüber zu erzählen wissen!«

Ueber dieses Kapitel weiß ich zufällig gründlich Bescheid und es war wohl mehr als Zufall, daß mich der Erste Offizier gerade jetzt abrufen ließ und mich zu sich bat.

»Wir steuern dicht an die drei Kanoes dort heran,« sagte er. »wenn Sie versuchen würden, mit den Eingeborenen zu reden...«

»Versuchen kann ich es ja, aber von deren Sprache habe ich keine Ahnung. Möglicherweise spricht einer französisch oder englisch. Jedenfalls aber kennen sie die Schnapsflaschen. Wenn sie das Verständigungsmittel anwenden wollen, dann sind wir sofort gut Freund.«

»Daran zweifle ich durchaus nicht,« gab er lachend zurück. »Ich für meinen Teil wäre einem guten White Horse auch zugänglich. Immerhin werde ich es dem »Alten« sagen. Die Damen peinigten ihn bis aufs Blut. Sie wollen unter allen Umständen die Braunfelle an Deck haben.«

»Halt!« Dagegen muß ich entschieden protestieren. Lassen sie um Gotteswillen die Eingeborenen nicht an Deck, wenigstens nicht in Anzahl, sie würden sie ohne brutale Gewalt nicht wieder los.«

»Ach, die Angst habe ich nicht! Wenn uns wirklich mehr besuchen wollten, als mir lieb ist, dann lasse ich die Treppe aufziehen. Sie können dann ruhig schimpfen.«

»Glauben sie denn, sie Unschuldsengel, daß die Braunfelle überhaupt die Treppe benutzen, um herauf zu kommen? Die sind oben, ehe sie die Treppe nur festgemacht haben ... Und schließlich möchte ich verhindern, daß man gegen die Menschen mit Gewalt vorgeht! ... Doch da sind die Kanoes. Sehen sie nur den bösartigen Blick, den uns der Mensch zuwirft. Ich werde ihn mit den beiden einzigen Phrasen, die ich von der Sprache der Cooksinsulaner einmal aufgefangen habe, begrüßen. – Haben sie die Flasche?«

»Versuchen sie es erst so. Es wäre schade um den guten Stoff!«

»Oh, Sie ...! Der Kapitän stiftet sie ja doch. Also her damit!«

Ich beugte mich so weit als möglich über die Reling, hob die Flasche und rief den Kanoeinsassen zu:

»Hare mai, otu! Joranna!«

Die Worte begleitete ich mit meinem gewinnendsten Lächeln. Beim Klang dieser Rede horchten die Männer auf. Einer erwiderte die Grußformel »Joranna«, während die übrigen erstaunt auf das sechs Meter über ihren Köpfen sich drängende fremde Volk blickten und ihren Augen wohl nicht trauten, als sie die kaum je gesehenen weiblichen Wesen sich in allen möglichen Verkleidungen (nach ihren Begriffen) auf die Reling schwingen sahen.

Der eine der Eingeborenen, eben jener, der mich begrüßte, rief mir nun einige Worte zu. Ich verstand sie nicht, schloß aber aus der Geste, daß er gern die Flasche haben wollte. Mein Nicken verstand er richtig. Auch meine nach einem Ton suchenden Blicke schien er zu verstehen. Kurz, er nahm mir die Mühe ab, ließ sein Kanoe an den langsam durchs Wasser gleitenden Dampfer laufen und war in wenigen Sekunden mitten unter den erschreckt auseinanderfahrenden Damen. Das gelinde Entsetzen ließ sich leicht erklären. Der Mann stand vor ihnen in dem Gewand, mit dem er zur Welt gekommen war, ohne einen anderen Faden, als die um den Nabel geschlungene Schnur. – Mit raschem Blick hatte er herausgefunden, daß ihm von unserer Seite kein feindseliger Angriff drohte. Das machte ihn sicher, und frei und offen trat er an mich heran und hielt mir eine kurze Rede, die er mit einer Gebärde schloß, die ich als Bitte auffaßte. Ich nahm die Flasche, zog den Kork heraus und setzte sie an die Lippen. Aufmerksam verfolgte der Braune jede Bewegung und da ihn mein Bart verhinderte, die Schluckbewegung zu beobachten, zögerte er eine Minute. Diese Pause benutzte geschickt der Erste Offizier. Er nahm mir die Flasche aus der Hand, zeigte dem wilden sein bartloses Kinn und tat dann einen langen Zug aus derselben.

»Siehst du, Braunfell, wie das hinunterläuft!« rief er dabei aus, während ich mich bemühte, den Inhalt für den Wilden zu retten. Die Situation war so komisch, daß sie schallendes Gelächter unter den Umstehenden auslöste, in das der Wilde herzhaft einstimmte.

Ob die Bootsinsassen die Lachsalve als eine Aufforderung gedeutet hatten oder ob sie die Neugier trieb, kurz, im nächsten Augenblick saßen etwa vierzig Männer auf der Schanzkleidung unseres Dampfers. Aus den erstaunten Mienen schloß ich, daß sie noch nie ein solches Schiff gesehen, noch weniger aber mit Wesen zusammengetroffen waren, die sich nach der Art der Damen einhüllten.

Das Erscheinen so vieler Eingeborener schien weder dem Kapitän, noch dem erstgekommenen Wilden angenehm zu sein. Ersterem hatte der Offizier meine Warnung hinterbracht, und obwohl er ebenfalls darüber in sein spöttisches Lachen ausgebrochen war, dachte er jetzt wahrscheinlich anders über den Besuch. Der Wilde aber fürchtete für sein »Feuerwasser«, das er mit den andern teilen mußte. Beide wandten sich jetzt an mich, und da der Kapitän so wenig wie der Wilde wußte, daß meine Sprachkenntnisse längst zu Ende waren, redeten beide auf mich ein. Soviel verstand ich, daß der Kapitän sich jeden weiteren Besuch verbat. Da ich eine Ansprache an das Braunfell von vornherein für aussichtslos hielt, ersuchte ich den Kapitän, die Dampfsirene in Tätigkeit zu setzen. Auf das Ablassen des Dampfes und das darauf folgende Geheul setzte ich große Hoffnungen.

Ich wurde nicht enttäuscht. Die Unterredung des sichtlich wütenden Kapitäns mit mir war natürlich der Aufmerksamkeit der noch immer scheu auf der Reling hockenden Eingeborenen nicht entgangen. Sie sahen, daß der Kapitän die Treppe zur Kommandobrücke hinauflief und dort an einer Leine riß. Schon beim Zischen des Wasserdampfes glitten einige der Aengstlicheren an dem Rumpf hinab. Der erste heulende Ton aber ließ auch die übrigen blitzschnell verschwinden. – während alles an die Reling stürzte, um dem Gebaren der Wilden zuzuschauen, lief ich zur Brücke.

»Stoppen sie die Maschine, um Gotteswillen, Käpt'n!« schrie ich und setzte eigenmächtig den Telegraph in Bewegung. »Die Kanoes treiben nach hinten ab und geraten in die Schraube...«

Wirklich wurde ein gräßliches Unglück nur um Haaresbreite verhütet. Die stillgelegte Schiffsschraube traf mit ihrer letzten Umdrehung noch den Ausleger eines Bootes und zersplitterte ihn. Die Eingeborenen aber ruderten, als ob es um ihr Leben ging, aus dem Bereiche des Ungetüms.

Mit größter Vorsicht setzte der ›Washington‹ seine Fahrt durch die Inseln fort. Kurz vor Einbruch der Nacht sichtete man den Vulkan auf Wahitahi, der sich mit zunehmender Dunkelheit mit einer dunkelrot glühenden Rauchkappe umzog. Hunderte von flackernden, auf dem Meere tanzenden Lichtern umgaben die Inseln der Haogruppe. Hier waren Eingeborene beim Trepangfange beschäftigt. Das Nahen unseres hellerleuchteten Kolosses rief auch bei diesen Wilden abergläubisches Entsetzen hervor. Die zahlreichen Boote stieben in wilder Flucht auseinander und retteten sich auf die vielen kleinen Inseln.

Mit Sonnenaufgang erblickten wir einen kleinen Dampfer, der aus einer Gruppe von Atollen auftauchte. Er lief eine Weile neben uns her und hißte dann die französische Zollflagge. Als der ›Washington‹ das Sternenbanner auswehen ließ, kam er in Rufweite. Er fragte nach dem Wohin und Woher und auf unsere Mitteilung, daß wir den Haupthafen der Gesellschafts-Inseln, Papeete, anzulaufen beabsichtigten, stellte er die weitere Frage, ob wir die neuesten Seekarten besäßen. Seit einem halben Jahre seien die Tiefenverhältnisse zwischen den Atollen der Marokan-Gruppe verändert und die Schiffahrt dort gefährlich. Nach diesem freundlichen Rat drehte er ab und verschwand dort, woher er gekommen war. Unser Kapitän fluchte.

»Konnte uns der verdammte Kerl nicht noch sagen, woher wir hier einen Lotsen nehmen, der das Fahrwasser kennt, wir können doch nicht wieder umkehren.«

»Wenn wir südlich um die Gruppe herumgehen, laufen wir keine Gefahr,« erwiderte der Erste. »Hier auf der Karte sind überall Tiefen von mehr als viertausend Yards angegeben und so hebt sich der Boden nicht, daß wir nicht ein paar Meter Wasser unter dem Kiel behalten sollten.«

»Eine mißliche Geschichte bleibt es dennoch. Hätte ich mich doch nicht verleiten lassen, die alte Route zu verlassen. Aber da kommt so ein Mensch und setzt den Passagieren weiß Gott was in den Kopf und ich muß auf so etwas eingehen! Oh, es ist zum ...«

Den Rest des Satzes verschluckte er, denn eben trat jene Dame auf das Oberdeck, die den Kapitän zu dem Abstecher veranlaßt hatte. Ich beschloß, mich zu rächen. »Sie haben wahrscheinlich gehört, Miß Gould, daß in diesem selben Augenblick von Ihnen die Rede war,« sagte ich nach der höflichen Begrüßung.

»Oh, das ist mir neu! Wer beschäftigte sich denn mit mir?«

»Die Herren auf der Kommandobrücke. Nachdem sie meiner liebevoll gedacht, sprachen sie auch von dem Passagier, der den Kapitän verleitete, zwischen diesen prachtvollen Inseln hindurchzusteuern. Das waren doch Sie, wenn ich mich recht erinnere.«

»Allerdings und ich bin froh, daß ich gestern die Wilden so ganz in der Nähe sehen konnte. Das ist doch eine große Seltenheit auf Vergnügungsdampfern. Der Kapitän wird sich doch auch darüber gefreut haben?«

»Nach dem, was ich soeben hörte, muß ich leider das Gegenteil glauben. Er bedauerte, daß er sich verleiten ließ, diesen Kurs zu steuern.«

»Was? Das hat der Kapitän gesagt? Ist das möglich? Haben Sie ihn nicht falsch verstanden?«

»Ich stand hier auf dieser Stelle und die beiden Herren unterhielten sich auf der Brücke über mir. Ein Mißverständnis ist ausgeschlossen. Mir kam es so vor, als sei ihnen nicht recht wohl in diesem fast unbekannten Fahrwasser...«

Meine Rede wurde durch den Kapitän unterbrochen. Er hatte jedes meiner Worte so gut gehört, wie ich vorher seine Auslassungen. Auf seinem Gesichte malte sich heller Zorn, als er auf die Dame zuschritt und ihr seinen Morgengruß bot. Sie unterbrach ihn jedoch, ohne seinen Gruß zu erwidern, mit den Worten: »Ich höre soeben, daß Sie es bedauern, uns diese Inseln gezeigt zu haben? Darf ich wissen, warum?«

Da ich keine Bewegung machte, ihm das Feld Zu räumen, konnte er die Tatsache nicht gut in Abrede stellen. Er berief sich auf die Angaben des französischen Dampfers und auf die mangelhaften Karten, über die er verfüge:

»Wenn wir wirklich auf einer Untiefe festgeraten sollten, so sind wir hilflos den Wilden ausgeliefert und die Verantwortung kann ich leider nicht auf mich nehmen,« schloß er.

Die Dame aber schien die Sache von einem andern Gesichtspunkte aus zu betrachten. Sie erwiderte kühl:

»Oh, ich wußte nicht, daß Sie sich vor den armen braunen Menschen fürchten. Nehmen Sie nur keine Rücksicht auf meine Wünsche, Sir. Ich werde auf einer nächsten Reise mit einem andern Schiff hierher zurückkehren. – werden Sie mich begleiten, Mr. Emmerich?«

Damit ließ sie den verblüfften Kapitän stehen und setzte an meiner Seite den Spaziergang auf Deck fort.

Wir steuerten einen Südwestkurs und sichteten mit der untergehenden Sonne die kleinen Nengonengo-Inseln, an deren Riffen wieder Trepangfischer tätig waren. Nun hatten schon gestern abend einige Passagiere den Wunsch geäußert, sich diese Arbeit der Eingeborenen genauer anzusehen. Heute wäre der Kapitän nicht abgeneigt gewesen, eine halbe Stunde in der Nähe der Fischer zu opfern, aber, als bei Tisch die Frage gestellt wurde, zeigte sich gar kein Interesse mehr dafür. – Der Kapitän fand es für gut, durch versteckte Anspielungen mich wieder als den Urheber der Obstruktion hinzustellen und da aller Augen auf mich gerichtet waren, schwieg ich auch nicht still.

»Ich weiß nicht, warum mich der Kapitän der Ehre würdigt, meine Person in Verbindung mit der Besichtigung der Holothurienfischerei zu bringen,« sagte ich, zur Allgemeinheit gewendet. »Ich kenne diese Art der Gewinnung des Trepang sehr genau und wenn ich auf die an mich gerichteten Fragen darüber erschöpfende Auskunft gab, so dürfte das eher zur Augenscheinnahme anregen. Ich verschwieg allerdings nicht, daß ich an den hier betriebenen Holothurienfängen zweifelte, da ich nie gehört, daß die Eingeborenen dieser Inseln die Seegurken als Nahrungsmittel verwenden. Aber eben darum wäre es mir persönlich sehr angenehm, wenn ich mir darüber Gewißheit verschaffen könnte.«

»Sie werden begreifen,« erwiderte der Kapitän rasch, daß ich wegen eines einzigen Passagiers nicht die Damen warten lassen kann...«

»Vollkommen, Herr Kapitän,« unterbrach ich. »Auch lege ich um so weniger Wert darauf, als ich dieses gastliche Schiff in Papeete verlasse und einige Wochen darauf verwenden will, die schönsten dieser Inseln zu besuchen und dort zu verweilen.«

Damit war zur stillen Genugtuung des Kapitäns die Angelegenheit erledigt, und er konnte seinen Willen durchsetzen, bis der helle Tag ihm wieder den Mut zurückgab, mit dreifach besetztem Ausguck das Schiff wieder Westnordwestkurs zu legen. Das brachte uns in die Nähe einer kleinen Insel Hereheretue, in dessen Riffen ein Segelschiff vor Anker lag. Zahlreiche Kanoes belebten das Binnenwasser, von denen einige bei unserer Annäherung aus dem Korallengürtel herauskamen und offensichtlich mit uns in Verkehr zu treten beabsichtigten. Die Kanoes waren voll herrlicher Früchte, die uns verlockend anlachten. Aber unsere Schiffsführung schien keine Lust zu haben, mit den Eingeborenen Tauschgeschäfte zu machen, obwohl dem Offizier auf der Brücke die verlangenden Ausrufe der Damen nicht entgehen konnten.

Da war es wieder Miß Gould, die das Wort ergriff und dem Ersten zur Brücke hinaufrief:

»Wollen sie nicht langsamer fahren lassen. Wir möchten nach der langen Reise einige frische Früchte von den Eingeborenen kaufen. Hier liegt keine Gefahr eines Ueberfalles vor, denn dort drüben ankert ja ein Segelschiff, das sicher weniger Besatzung hat, als unser Dampfer. Allerdings ist es ein englisches Schiff...«

Das Klirren des Maschinentelegraphen, der der Maschine das Langsamfahrsignal übermittelte, unterbrach die Rede der Dame, von der Brücke kam das Kommando, die Treppe herabzulassen und die Trillerpfeife des Bootsmannes beorderte einige Matrosen zur Wache und Regelung des Verkehrs an das Fallreep.

Wenige Minuten später schleppten schöngewachsene Eingeborene ganze Massen der herrlichsten Früchte auf Deck, die im Handumdrehen von den Passagieren gekauft waren. Mit der Bezahlung hatte es allerdings seine Schwierigkeiten. Geld kannten die Eingeborenen nicht. Sie erhielten als Bezahlung für die Kokosnüsse, die sie den Segelschiffen alljährlich einmal in Form von Kopra lieferten, nur Tauschartikel und zwar in der Hauptsache Mehl und Reis. Ich selbst führte all' die kleinen Dinge bei mir, die bei allen Eingeborenen, die fern vom Weltverkehr wohnen, sehr begehrt sind und ich machte daher den Anfang, meinen Anteil mit roten und grünen Glasperlen zu bezahlen. Der Jubel, den diese bei den braunen Schönen auslöste, veranlaßte auch unsere Damen, in ihren Koffern Umschau zu halten und nun kam eine Unmasse von Gegenständen zum Vorschein, die in kurzer Zeit unser Deck in einen großen Kramladen verwandelte. Bei dem Tauschgeschäft entwickelten sich rasch Freundschaften zwischen Weißen und Braunen und obwohl keiner den andern verstand, herrschte bald allgemeine Verbrüderung und Jubel und Fröhlichkeit.

Daß bei dieser Verbrüderung auch der Wunsch laut wurde, die Eingeborenen auf ihrer Insel zu besuchen, war nur natürlich. Einige sehr junge Damen traten zuerst zaghaft mit der Anregung hervor. Sie fand rasch Anklang und bald darauf war der Kapitän von Bittstellern jeden Alters und Geschlechts umringt. Da es diesmal nicht nur die Damen waren, die mit dem Wunsche, an Land zu gehen, hervortraten, so gab er nach kurzer Beratung mit seinen Offizieren nach. Ein großes Boot wurde zu Wasser gelassen und die Zahl der Andrängenden war so groß, daß es sie auf einmal nicht befördern konnte. Man sandte daher zuerst eine Anzahl Herren – auch ich war darunter – hinüber, damit den Damen der nötige Schutz zur Seite stünde! Du lieber Gott! Das harmlose Völkchen dachte gar nicht daran, den fremden Besuchern zu nahe zu treten!

Unsere kräftigen Matrosen ruderten uns in einer halben Stunde bis an die Insel, sie bestand eigentlich aus drei Teilen, die sich auf dem Rücken einer kreisrunden Korallenbank gebildet hatten. Innerhalb des Riffes war stilles Wasser, klar und durchsichtig, so daß es einen Blick bis tief hinunter auf die terrassenförmig aus dem Meere steigenden Wände gestattete, und uns die Wundertiere der Südsee in grünen und tiefblauen Schattierungen vor Augen führte. Das Binnenwasser war von zahlreichen Eingeborenenkanoes belebt, die vom Strande her vollgeladen zu dem Segler fuhren, um dort ihre Ware gegen Tauschartikel abzugeben. Jede einzelne Kanoemannschaft ließ sich sofort den Gegenwert für die angelieferte Ware aushändigen, was natürlich lange Zeit in Anspruch nahm und zu ewigen Streitigkeiten führte. Wie müssen die armen Insulaner schon betrogen worden sein, bis ein derartiges Mißtrauen bei ihnen Wurzel fassen konnte! Ein starker Strom trieb uns rasch durch die schmale Einfahrt in das ruhige Wasser des kreisrunden Kessels und nun entfuhr selbst mir, dem an tropische Pracht gewöhnten Reisenden, ein Ausruf der Bewunderung. Ein wahres Paradies lag da vor uns. Himmelhohe Palmen brachen sich Bahn durch einen blütenübersäeten Urwald gewaltiger Laubbäume, prächtige Orchideen und andere schönblühende Epiphyten streckten ihre süßduftenden Kelche der Sonne entgegen und aus dem Unterholz leuchteten goldene Früchte in üppiger Fülle. – Unter Kokospalmen versteckt, zog sich ein langgestrecktes Dorf auf niedern Pfählen errichteter Hütten längs der größeren der Inseln hin. Um den Anblick der paradiesischen Flora länger noch genießen zu können, schlug ich vor, zunächst eine der anscheinend unbewohnten Inseln anzusteuern und an deren Strande entlang zu dem Dorfe zu fahren. Bei unserer Annäherung an das Ufer erhoben sich Schwärme von Seevögeln aus den Randgebüschen. Zahlreiche Schildkröten von jener prächtigen Art, die uns das Schildpatt liefert ( Testudo imbricata), eilten dem schützenden Wasser entgegen, während ein paar schwarze Schweine neugierig herbeiliefen, um die fremden Ankömmlinge zu begrüßen.

Vor dem Dorfe rief unser Erscheinen die ganze Einwohnerschaft an den Strand. Mit unverhohlenem Erstaunen betrachtete man die niegesehenen Damen, doch zeigten die Frauen keinerlei Furcht, sondern kamen uns freimütig entgegen und waren sogar unsern weiblichen Begleitern beim Verlassen des Bootes behilflich. Zum Dank dafür, und um uns gut einzuführen, verteilte ich einige Hände voll Glasperlen, was auch hier große Freude hervorrief.

Kaum, daß wir den Strand betreten hatten, stieß das Boot wieder ab, um die nächste Ladung Neugieriger zu bringen. Hierdurch wurde anscheinend das Mißtrauen der Dorfbewohner geweckt, die wahrscheinlich glaubten, die fremden Ankömmlinge wollten sie aus ihrem Wohnsitze vertreiben, vergebens bemühten wir uns, den Leuten das Gegenteil zu beweisen, sie wichen scheu vor uns Männern zurück und suchten Schutz auf den niederen Plattformen ihrer Hütten. (Eine der Frauen nahm eine große Tritonmuschel und entlockte ihr weithin schallende Töne. Das war ein Signal für die Männer, die bei dem Schoner beschäftigt waren. Wir sahen, daß sich zwei Kanoes von dem Segler ablösten und eiligst zurückruderten. – Sie steuerten jedoch nicht auf das Dorf zu, sondern gingen einige hundert Meter unterhalb an Land. Eiligen Laufes verschwanden sie im Walde. Dort trafen sie die Frau, die ihnen von der mutmaßlichen Absicht der Weißen Mitteilung machte und sie zum Schutze ihres Eigentums aufforderte. – Die vier Männer zeigten wirklich Mut. Sie kamen, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, bis auf etwa fünfzig Meter an uns heran und der Aeltere von ihnen fragte uns in seinem Pidschin-Englisch, warum wir ihr Dorf überfielen.

Run war wenigstens die Möglichkeit einer Verständigung gegeben. Einer unserer Mitpassagiere sprach dieses verstümmelte Englisch fließend. Nachdem auf diese Weise den Dörflern unsere friedliche Absicht und der Wunsch, sie in ihren Lebensgewohnheiten kennen zu lernen, klargemacht war, kannte die Freude keine Grenzen. Wie an Bord, so war auch hier im Handumdrehen ein enger Freundschaftsbund zwischen den Rassen geschlossen. Als das Boot wieder anlegte und diesmal in der Mehrzahl Damen brachte, glaubte der Häuptling es seinen Gästen schuldig zu sein, daß er die Arbeiten am Schoner unterbrach. Die Muschel rief sämtliche Kanoes zurück und nun wimmelte bald der Strand von unbekleideten Insulanern und in luftige Stoffe gekleideten Amerikanern beiderlei Geschlechts. Ls waren weit über vierzig braune Männer und fast ebensoviele Frauen da, die den sechzig Dampfergästen ein echtes Eingeborenenfest gaben. Die Männer schleppten herbei, was nach ihren Begriffen würdig der hohen Besucher war. Große, schön gezeichnete Fische, taubenartige Vögel und sogar ein Ferkel zierte das schnell improvisierte Festmahl. Mit einer fabelhaften Geschwindigkeit entfachten die Eingeborenen ein gewaltiges Feuer am Strande, steckten die Fische auf die Spitzen ihrer Pfeile und ließen sie am hellen Feuer anbraten. Mit den so zubereiteten Meeresbewohnern traten sie an die Damen heran und boten ihnen die nach ihrer Meinung leckere Delikatesse. Da ich schon auf der Hinfahrt die Passagiere daraus aufmerksam gemacht hatte, daß die Eingeborenen eine tödliche Beleidigung in der Verweigerung einer Speise erblickten, so nahm jeder die gereichte Gabe mit einem verzweifelten Seitenblick auf den Nachbarn, denn keiner besaß ein Besteck und ohne dieses Kulturrequisit hatten wohl nur die wenigsten ein Mahl genossen. Ich machte daher den Anfang, indem ich meinen Fisch an seinen beiden Enden packte und herzhaft hineinbiß. Daß er nur halbgar war, bemerkte ich gar nicht.

Nun folgten einige Damen meinem Beispiel. Es war ergötzend zu sehen, wie linkisch sie sich dabei benahmen. Ich ermunterte sie jedoch zum Zubeißen, in dem ich meiner Tischdame von Bord zurief:

»Nehmen sie keine Rücksicht auf Ihr weißes Kleid, Miß Price. Ehe sie den ›Washington‹ wieder betreten, leuchtet es doch in allen Farben. Der Fisch ist ja noch harmlos gegenüber den Tauben. Und wenn dann der Schweinebraten serviert wird, schwimmen wir buchstäblich in Fett.«

»Hören sie auf,« rief die Dame entsetzt, »wir sollen doch das nicht alles essen, was hier herumliegt. Damit kann man ja unsere ganze Mannschaft ein paar Tage sättigen.«

»Das ist noch nicht alles, verehrte Dame. Sie hören doch, daß man eben ein junges Borstentier bei den Ohren zum Feuer zieht. Das bildet den Glanzpunkt. Während es bratet, gibt man uns zum Zeitvertreib die Vögel, die hier liegen. Wenn ich Ihnen raten darf, suchen Sie sich eine junge Taube aus, denn wenn Sie einen Kakadu erwischen, kauen sie morgen früh noch daran. Sehen Sie, hier ist ein kleines Täubchen.«

Ich suchte auch mir ein solches aus dem Haufen und zog mein Taschenmesser, um es auszuweiden. Auch meiner Dame bot ich meine Dienste an.

»Sie müssen doch die Tauben erst rupfen,« rief sie mit einer komischen Geste, als sie bemerkte, daß ich zur Oeffnung des Körpers schritt.

»Ach nein, Verehrteste, das ist bei den Wilden ein längst überwundener Standpunkt,« entgegnete ich belustigt. »Hier herrschen Gebräuche, von denen wir noch nicht viel wissen. Sehen Sie dort den gelben Haufen? Das ist Lehm. In diesen wickelt man den ausgenommenen Vogel – das heißt, die Wilden halten das Ausnehmen auch für überflüssig – und formt daraus einen hermetisch verschlossenen Klumpen. Diesen wirft man in die heiße Asche und Sie werden staunen, wie gut das Tier schmeckt.«

»Woher kennen Sie denn diese Zubereitungsart?« fragte Miß Price, höchst erstaunt über die Beschreibung.

»Hm, ich lernte sie vor mehr als zehn Jahren auf Neuguinea kennen. Beinahe wäre ich da allerdings auch leidender Teil bei einer solchen Mahlzeit geworden.«

»Gott, wie interessant!«

»Na, für mich war es das keineswegs, denn ich saß ziemlich dicht beim Bratspieß der Wilden. Gar so interessant fand ich den kritischen Augenblick gerade nicht. – Doch da kommt das Prachtstück, das Ferkel... Blicken sie zur Seite, Miß, denn eben befördert man das arme Vieh vom Leben zum Tode.«

»Gott, wie grausam!« schrie die Dame, als sie hörte, daß dem Tiere mit einer Keule der Schädel eingeschlagen wurde. Sie sah aber trotzdem zu der Gruppe hinüber. Plötzlich rief sie ängstlich:

»Für wen wird denn dort das Grab ausgeworfen? Sehen sie doch, man gräbt ein tiefes Loch. Es wird doch niemand getötet?«

»Außer dem Schwein nicht, und das hat es überstanden. Uebrigens ist das die Grube für diesen Toten bestimmt. Er wird darin gebraten.«

»Ach nein, Sie machen sich über meine Unwissenheit lustig!«

»Das würde ich niemals wagen! Es ist so wie ich sage, wenn sie genau aufmerken, werden Sie sehen, daß ich recht habe. – Uebrigens sind unsere Tauben fertig. Die wilden Damen verteilen bereits die Speisen. Sie werden erfreut sein, wenn sie bemerken, daß wir ihren Gebräuchen Rechnung tragen.«

Ich nahm die beiden Lehmklumpen, die große Risse zeigten und schlug sie mit einem Stein auseinander.

»Hier, meine Gnädigste! wie sie sehen, sitzen Haut und Federn in dem zu Stein gebrannten Lehm, während das Fleisch appetitlich gar gekocht ist. so reinlich werden die gefiederten Braten bei uns nicht zubereitet.«

»Wenn ich doch nur ein Messer hätte ...«

»Das ist hierzulande nicht üblich. Folgen sie meinem Beispiel. Brauchen Sie ihre zarten Finger...«

»Aber das Fett beschmutzt mich ja!«

»Ich hatte bereits die Ehre, sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Kleider in ziemlich buntem Farbenspiel an Bord zurückkehren. Achten sie nicht weiter darauf. Es geht uns allen nicht besser. – Nur Mut! Reißen sie zuerst den Flügel aus... Sehen Sie so!«

Zagend, als ob es sich um eine Operation handelte, zupfte Miß Price an dem Flügel. Aber so einfach ging das doch nicht. Erst als sie kräftig daran riß, gab der Knochen nach. Gleichzeitig ergoß sich aber auch ein Strahl flüssigen Fettes über ihre Bluse, der ihr einen Entsetzensschrei entlockte.

»Jetzt brauchen sie nicht mehr für Ihr Kleid zu bangen,« tröstete ich. »seien sie froh, daß es so weit ist. Das Essen wird Ihnen besser munden. – Uebrigens wird dort das Schwein zubereitet. Interessiert es sie auch, dessen Zubereitung kennenzulernen?«

Wir überkletterten ein paar neben uns im Sande liegenden braune Sprößlinge und gingen, in der Hand die Reste der Taube, zu der Grube, um die sich die Eingeborenen in dichter Reihe scharten, sie freuten sich im voraus auf den Festbraten. – In der Vertiefung lag, auf grüne Bananenblätter gebettet, das ausgenommene Schwein. Eben füllte eine Frau mit zangenartig geformten, gespaltenen Bambusstäben das Innere des Tieres mit großen Steinen, die in der Asche des Feuers zur Rotglut erhitzt worden waren. Dann legte sie eine Schicht kleinerer glühender Kiesel auf dessen Außenseite und bedeckte auch diese mit einer Schicht grüner Blätter. Das Ganze wurde mit einer dicken Erdschicht zugeworfen. Da die Eingeborenen sich wieder dem Feuer zuwandten, kehrten auch wir auf unsern Platz zurück. Miß Price hatte inzwischen Gelegenheit gefunden, ihre Taube zu »verlieren«. Sie gab eben ihrer Genugtuung darüber Ausdruck, als sich ihr ein hübscher brauner Bursche näherte, und ihr auf dem Pfeil eine braune Walze brachte.

»Um's Himmels willen, was ist denn das?« fragte sie entsetzt.

»Nehmen Sie es. Der junge Mann ist sonst beleidigt. Beißen Sie ein Stück ab davon, dann geht er wieder.«

»Kann man das denn essen? Ich bin ja so gesättigt!«

»Das ist der Übergang zum Schweinebraten,« sagte ich. »Die Gäste müssen beschäftigt werden. – Bitte, beißen Sie hinein... der Braune zieht schon die Stirn kraus.«

»Wenn ich nur wüßte, was das ist!«

»Ich sage es Ihnen dann... Nun, es schmeckt ganz gut, nicht wahr?«

»Ja, nicht schlecht, wie eine Auster.« – »Das sind Holothurien. Die Tiere, über die wir gestern abend an Bord sprachen. Getrocknet führen sie den Namen Trepang, sie leben von Algen, die sie auf den Koralleninseln abweiden. Alle Südsee-Insulaner lieben die Speise. Sie werden zugeben, daß sie nicht schlecht schmeckt.«

»Allerdings. Ich fange an zu begreifen, daß die Insulaner Feinschmecker sind. Die Gerichte, die man uns bot, gehören auch bei uns zur feineren Küche. Fische, Tauben, Seetiere, Schweinebraten...«

»Und was dann noch folgt: Ich sehe dort Eier, Hummern, Schildkröten...«

»Aber das wollen wir doch nicht alles noch essen? Nein, nein, ich bringe nichts mehr herunter.«

»Ich höre eben, wie einige der Damen dort drüben dasselbe sagen. Es wird aber nichts anderes übrig bleiben.«

»Dann lasse ich mich an Bord rudern!«

»Glauben sie, daß die Matrosen sich die gute Gelegenheit zu einem Schweinebraten entgehen lassen? Sie würden vergeblich nach ihnen rufen.«

»Dann rudern sie mich hinüber!«

»Dazu ist das Boot zu schwer. Draußen steht der Wind nach dem Lande zu und gegen Wind und Strömung kann ich allein nicht rudern.«

»Oh, es werden Ihnen einige unserer Herren helfen. Ich werde gleich fragen.«

Miß Price kehrte nach einer Weile ziemlich kleinlaut zurück.

»Die Herren zeigen keine Lust, jetzt schon an Bord zurückzukehren. Auch die Damen wollen noch bleiben.

Nach dem Essen würde ein Tanz aufgeführt und den will man sich nicht entgehen lassen.«

Die Aussicht auf den Tanz schien auch meiner Begleiterin den Appetit wiedergegeben zu haben. Sie wehrte sich nur noch schwach gegen den fettriefenden Schweinebraten, der ihr wieder von dem hübschen Burschen gebracht wurde, welcher die Holothurie kredenzte. Daß das Kleid bei der Mahlzeit sehr schlecht wegkam, spielte nun keine Rolle mehr. – Ebenso willfährig nahm Miß Price die Möweneier und den gerösteten Hummer aus der Hand desselben Eingeborenen entgegen.

Inzwischen waren vereinzelte Damen und Herren aufgestanden und hatten sich zwischen den Hütten umgesehen. Nach und nach folgten die übrigen, und um nicht mit meiner Dame allein am Feuer zu sitzen, erhob auch ich mich. In diesem Augenblick bot der galante junge Insulaner sein Kanoe zur Fahrt an die Riffe an. Ich lehnte ab, aber meine Begleiterin glaubte annehmen zu sollen.

»Oh, wir sind gleich wieder zurück!« rief sie. »Die kühle Brise wird mir gut tun. Erwarten Sie mich hier an dieser Stelle.«

»Dann streife ich durch die Wälder, verfehlen können wir uns nicht. Das Boot kehrt um sechs Uhr an den ›Washington‹ zurück. – viel Vergnügen, Miß Price.«

Dem Forscher bot die Insel nichts besonders Wertvolles. Zwischen den Palmen fanden sich viele Eisenholzbäume ( Cordia), die heute auf den Südsee-Inseln bereits selten werden. Ihr Holz ist, wie schon der Name sagt, sehr dauerhaft und darum sehr gesucht. Da sich kein Mensch Mühe gibt dem Raubbau Einhalt zu tun, ist die Zeit nicht mehr fern, wo der letzte Baum verschwunden sein wird. – Sehr zahlreich waren Spinnen und Ameisen, die wohl durch Schiffe hierher verpflanzt worden sind, denn jedes Handelsschiff in den Tropen hat seine Ameisenfauna und bringt alle Arten dieser Insekten aus einer Gegend in die andere. Am meisten wunderte ich mich über das Vorkommen des großen Atlas-Nachtfalters ( Attacus atlas), der auf den Sunda-Inseln und in Indien heimisch ist. – Ein Sirenenton vom Dampfer mahnte zur Rückkehr. Als ich an den Strand kam, fand ich noch eine prächtige junge Carett-Schildkröte, die ich später in Papeete einem Naturfreunde verehrte.

Dem Ruf folgten nur wenige Passagiere. Ich war der dritte, der sich einfand. Nach und nach erschienen noch einige ältere Damen und Herren. Da der Bootsmann erklärte, auf das Signal hin an Bord zurückkehren zu müssen, hob er den Anker und segelte heimwärts, nicht ohne den suchenden Blick oftmals rückwärts zu wenden. Dicht bei der Durchfahrt sahen wir Miß Price mit dem Eingeborenen auf dem Korallenriff herumklettern, wir steuerten dicht an sie heran und luden sie ein, in unser Boot zu springen, da in wenigen Minuten die Nacht hereinbrechen mußte. Sie wehrte lachend ab und gab zur Antwort, sie würde mit dem nächsten Boote kommen. Sie wolle vorher noch ein wenig schwimmen. Der Kapitän war äußerst ungehalten über die Saumseligkeit seiner Fahrgäste. Er ließ seinen Zorn an dem Bootsmann aus, der natürlich keine Schuld trug. Aus den an diesen armen Teufel gerichteten harten Worten entnahm man unschwer, wer mit der Apostrophierung gemeint war. – Zum Schluß seiner Rede ließ er die Sirene lange brüllen und sandte dann nochmals das Boot ab. Dem Bootsmann schärfte er ein, diesmal alle Fahrgäste, und zwar so schnell als möglich, zurückzubringen. Er bedachte aber nicht, daß das Boot nur höchstens vierzig Köpfe fassen konnte und noch mindestens fünfzig Passagiere auf der Insel weilten. Ich wollte ihn anfangs auf das Mißverhältnis aufmerksam machen, zog dann aber vor, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Mochten sie sehen, wie sie fertig wurden!

Die Sonne war inzwischen in den Ozean getaucht und die frische Nachtbrise wiegte den großen Dampfer langsam auf den schwach phophoreszierenden Wellen. Von der Insel drangen verschwommene Töne herüber, die darauf schließen ließen, daß das Tanzfest in vollem Gange war. Ob die Fahrgäste während der Lustbarkeiten die Insel verlassen würden, hielt ich für äußerst zweifelhaft. Ich sagte das dem zweiten Offizier, der sich zu mir an die Reling gelehnt hatte und knüpfte daran die Bemerkung, daß es die Insulaner übel aufnehmen könnten, wenn man so brüsk aufbräche.

»Unser ›Alter‹ nimmt das noch viel ungnädiger auf,« erwiderte er. »Ich glaube nicht, daß der Häuptling da drüben so zornig werden kann, wie der da droben« – er deutete auf das Navigationszimmer – »in diesem Augenblick ist. – Uebrigens hat er so unrecht nicht, wir sitzen hier in einem fast unbekannten Fahrwasser, von dem nur sehr alte Karten an Bord sind und laufen Gefahr, bei unruhigem Wetter auf irgendein Riff zu laufen. Es ist mindestens rücksichtslos von den Passagieren, daß sie mit Einbruch der Nacht nicht zurückkamen. So interessant kann doch der Humbug nicht sein, daß man darüber seine Pflichten vergißt!«

»Nun, Humbug ist so ein echter Tanz der unzivilisierten Eingeborenen keineswegs. Es liegt für den Forscher ein tiefer Sinn darin. Die meisten der Gäste sehen sich die Belustigung aber nur an, um eine Unterbrechung in das eintönige Bordleben zu bringen. Andere wieder finden einen Nervenreiz in dem Verkehr mit den in ihrer paradiesischen Unverdorbenheit lebenden Naturmenschen. Ich wäre nur des Tanzes wegen dageblieben, wenn...«

»Warum vollenden Sie nicht?«

»Na ja, sagen wir, wenn ich das Schauspiel in Gesellschaft von Kollegen oder doch ernsten Männern hätte genießen können.«

»Es sind doch unsere alten Herren auch drüben. Sagen Ihnen die nicht zu?«

»Nein, denn sie betrachten das Leben der Eingeborenen mit ganz andern Augen. Außerdem wirkt die Anwesenheit so vieler Damen in luftiger Bordtoilette störend. – Doch ich höre Ruderschläge. Das Boot kommt!«

»Ich will nur wünschen, daß er alle Passagiere mitbringt,« erwiderte mein Nachbar, »sonst kracht's da oben.«

Die schwachen Funken, die am Bug des rasch herannahenden Bootes aufleuchteten, zeigten uns, daß die Mannschaft sich alle Mühe gab, ihren Kapitän zufrieden zu stellen. Der Offizier, der die Laterne über Bord hängen ließ, um den Ankommenden die Treppe zu zeigen, bestätigte das und wollte eben einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, als er sich weit vorbeugte und mir zurief:

»Das Boot kommt ja wieder halb leer! Es sind kaum fünfundzwanzig Personen darin! Na, das Donnerwetter!«

Er hatte recht gesehen. Neunundzwanzig Passagiere hatten dem zweiten Sirenenrufe Folge geleistet. Einundzwanzig fehlten noch. Ein älterer Herr, der als General in die Schiffsliste eingetragen war, übernahm es, dem Kapitän, der an die Treppe getreten war, die Entschuldigung der Fehlenden zu überbringen.

»Sie können unmöglich verlangen, Käpt'n, daß das junge Volk mitten aus dem Tanzvergnügen heraus, auf Ihren Ruf an Bord eilt. – Die Damen und Herren amüsieren sich zu gut. – Sie sollen das Boot in zwei, drei Stunden nochmals senden!«

»Ich werde den Teufel tun!« polterte der Kommandant los und auf seiner Stirn schwoll die Zornesader. »Mögen sie die ganze Rächt hindurch tanzen. Ich fahre weiter!«

»Das werden sie nicht tun, Käpt'n!« erwiderte ruhig, aber fest, der General. »Unsere Freunde tanzen natürlich nicht, sondern sind nur Zuschauer. Aber bevor die Eingeborenen nicht aufhören, werden auch die Passagiere nicht kommen.«

»Das kann drei Tage dauern!« warf ich ein.

»Wieso drei Tage?« fragte man.

»Ich habe Feste der Südsee-Insulaner mit angesehen, die ohne Unterbrechung drei Tage und Nächte dauerten. Sie nahmen auch nur deshalb ein Ende, weil sich kein Mitglied des Stammes mehr auf den Füßen halten konnte.«

»Und so lange soll ich hier warten? Nie!« brüllte der Kapitän. »Vorwärts – Hoch den Anker!«

Wie ein Ameisenhaufen stieb die Mannschaft auseinander, um den Befehl auszuführen. Bald hörte man das Schlagen der Ankerwinde und gleich nachher die Meldung »Anker klar.« Unmittelbar darauf begann die Schraube Zu arbeiten und langsam glitt der »Washington« in die offene See.

Einer der zuletzt gekommenen Passagiere fragte mich:

»Wird der Kapitän die Damen wirklich zurücklassen?«

»Gewiß nicht! Es ist aber das einzige Mittel, um die noch auf der Insel weilenden Fahrgäste zur Besinnung zu bringen, wenn sie das Schiff nicht mehr sehen, schwindet ihre Zuversicht und vor allen Dingen: die Eingeborenen werden zudringlich!«

»Das möge Gott verhüten! Die armen Damen werden ja eine furchtbare Angst ausstehen...«

»Sind denn nur noch Damen drüben?«

»Höchstens noch fünf oder sechs Herren – und nicht gerade die Mutigsten. Wäre es nicht besser, Sie machten den Kapitän auf die gefährliche Lage der Zurückgebliebenen aufmerksam?«

»Ich? – Nein! Ich mag mich in die Entschließungen des Kapitäns nicht einmischen. – Uebrigens wird es für die Damen eine Warnung sein. Ein zweites Mal find sie vorsichtiger.«

»Wenn ihnen aber etwas zustößt.«

»So können wir das auch nicht ändern. Uebrigens liegt ja der Schoner noch in der Lagune. Dessen Mannschaft wird im Notfalle Hilfe leisten.«

»Hm – es find fast nur Farbige...«

»Um so schlimmer! Ich habe es an Warnungen nicht fehlen lassen, aber man lachte mich nur aus. Miß Price zum Beispiel kletterte mit einem der Braunen auf den Riffen herum und wollte, wie sie sagte, noch ein wenig schwimmen. Auch sie hörte nicht.«

»Miß Price holte sich einige der Damen, die dann mit auf die Riffe gingen, was dort Interessantes zu sehen war, weiß ich nicht. Als wir heimfuhren, hörten wir fröhliches Lachen vom Riff her.«

»Sie werden den wilden ihre Schwimmkünste gezeigt haben! – Aber nun will ich in meine Koje kriechen, es ist spät.«

Lange vor Sonnenaufgang war ich auf Deck. Aus dem Dunste der nahen Dämmerung hoben sich undeutliche Umrisse einer Insel ab. Der schwache Donner einer Brandung drang an mein Ohr. – Auf der Brücke gewahrte ich neben dem zweiten Offizier den Kapitän. Da ich diesem, wenn es irgend möglich war, aus dem Wege ging, verzichtete ich auf den beabsichtigten Blick auf den Kompaß. Nach den Sternen stellte ich fest, daß wir auf Ostkurs lagen. Da wir die Konturen des nahen Landes an Steuerbordseite hatten, wußte ich, daß wir die Insel in der Nacht in weitem Bogen umfahren hatten. Mit Sonnenaufgang würden wir wieder vor der Einfahrt liegen.

Meine Annahme erwies sich als richtig. Mit dem ersten Sonnenstrahl ließ der ›Washington‹ seine Sirenentöne erschallen. Gleichzeitig setzte er das Boot aus, um zum dritten Male die Fahrt nach der Insel anzutreten. Die Arbeit wurde den Rudersleuten jedoch erspart, denn in diesem Augenblick schoß der Segler aus der Lagune, begleitet von einem großen Schwarm lärmender Insulaner. – Mit großem Interesse beobachtete ich durch mein Fernglas das lustige Treiben, ohne zunächst dessen Ursache feststellen zu können. Als ich dann bemerkte, wie der Schoner gegen uns aufkreuzte, sah ich, daß an dessen Deck ein ungewöhnliches Durcheinander herrschte. Ich unterschied die in der Sonne glänzenden braunen Leiber der Eingeborenen. Dann entwickelten sich helle Figuren aus den Massen...

»Donnerwetter, Kapitän, der Segler hat unsere Passagiere an Deck,« rief ich zur Kommandantenbrücke hinauf.

»Mag er sie behalten. Ich gönne sie ihm,« erwiderte er unwirsch. Als er aber die erstaunten Gesichter einiger Herren auf sich gerichtet sah, schwächte er seine Worte ab und fügte hinzu: »Das bringt ihm einen Extraverdienst, den er gut vertragen kann.«

Das Uebernehmen der Passagiere vom Segler ging ziemlich rasch vonstatten. Eingeborene ließen es sich nicht nehmen, dabei hilfreiche Hand zu leisten, wobei unsere Damen oft in recht bedenkliche Situationen gerieten. Schließlich aber standen alle unversehrt, wenn auch mit recht übernächtigten Spuren auf den schläfrigen Gesichtern, auf Deck. – Nun erschien auch der Steuermann des Schoners und verlangte Bezahlung. Die Damen hätten ihn veranlaßt, sie nach Papeete zu bringen. Er habe vorzeitig seine Ladearbeit unterbrochen und verlange nun Entschädigung.

Bei der Gemütsstimmung unserer Schiffsleiter ging die Regelung der Angelegenheit nicht so einfach vonstatten. Der englische Steuermann verfügte über einen ebenso reichen Wortschatz an seemännischen Kraftausdrücken wie sein amerikanischer Kollege, nur daß ersterer die weniger gewählten Redewendungen in drastischerer Weise zum Ausdruck brachte, als dieser. Zum Unglück mischte sich auch eine der zurückgebliebenen Damen zugunsten ihres Landsmannes in den Streit, der nun Formen annahm, die die Damen in schleunige Flucht trieb. Durch die Intervention eines Herrn wurde die Forderung des Engländers bewilligt und der Dampfer setzte seine Reise fort, ohne die auf eine Entlohnung rechnenden Insulaner auch nur zu beachten.

Die Stimmung unter den Passagieren hatte durch das unbesonnene Verhalten der jungen Damen einen starken Stoß erlitten. Die amerikanische Prüderie konnte sich nicht damit abfinden, daß sich einige Mitglieder der guten Gesellschaft ohne die nötige Aufsicht mit den Insulanern unterhalten hatte. Es kam zu recht unangenehmen Auseinandersetzungen in den Kabinen, deren dünnen Wände nicht immer die nötige Diskretion wahrten. so kam es, daß einige der besonders gekränkten Damen beschlossen, im nächsten Hafen das Schiff zu verlassen. – Ich selbst atmete auf, als wir einige Tage später die Berge von Tahiti sichteten. Ich hatte genug von dem amerikanischen Vergnügungsdampfer. Leichten Herzens nahm ich Abschied von den Mitreisenden und wandte meine ganze Aufmerksamkeit dem Hafen von Papeete zu. Die ziemlich hohen, bis in die höchsten Punkte dicht bewaldeten Gipfel des Gebirges fesselten mein Auge. Im Geiste sah ich mich schon dort oben im Kampfe mit Schlinggewächsen und stachelbewehrten Büschen. – Dann tauchte neben der Einfahrt in die Riffe ein paradiesisch schönes Inselchen, Motu Uta, vor uns auf, an dessen Strand mir allerdings eine bittere Pille in den Freudenkelch geworfen wurde. Französische Offiziere lustwandelten dort mit braunhäutigen Schönen und winkten dem Riesendampfer Grüße zu.

Langsam durchfuhren wir die Einfahrt und genossen in vollen Zügen das reizende Bild, das der Hafen von Papeete von der Seeseite bildet. Zu beiden Zeiten ging der Kranz der Riffe in breite Landzungen über, aus deren dicht bewachsenen Gestaden die Dächer freundlicher Hütten hervorschimmerten. Am Strande tummelten sich Scharen von braunen Kindern in den leise herankriechenden Wellen und ihr frohes Jauchzen klang wie ein herzliches Willkommen hinüber zu den geputzten Menschen auf dem großen Ozeanriesen. Auf der inneren Seite des Bogens zieht sich langgestreckt die eigentliche Stadt hin, die eher einer Kolonie von Gartenhäusern und unter Palmen versteckten Farmen, als einer Handelsstadt gleicht.

Einige Hundert Meter vom Strande rasselte der Anker in die Tiefe. Fünf Minuten später schwärmte das Deck von braunen Gestalten.


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