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Persönlichkeit.

(»Character«.)

Ich hab' einst gelesen, daß alle, die Lord Chatham sprechen hörten, stets das Gefühl hatten, es müsse in dem Manne etwas Feineres, Höheres sein als alles, was er aussprach. Man hat wider unseren glänzenden englischen Historiker der französischen Revolution die Klage vorgebracht, daß alle Thaten, die er von Mirabeau zu berichten weiß, die Meinung, die er von seinem Genie hat, nicht rechtfertigen. Die Gracchen, Agis, Kleomenes und andere der plutarchischen Helden können mit dem Bericht dessen, was sie gethan, ihrem eigenen Ruhm nicht die Wage halten. Sir Philip Sidney, der Graf von Essex, Sir Walter Raleigh sind lauter Männer von großer Bedeutung und wenig Thaten. Wir können kaum den kleinsten Teil vom persönlichen Gewichte Washingtons in der Geschichte seiner Leistungen finden. Die Autorität, die der Name Schillers besitzt, ist zu groß für seine Schriften. Dieses Mißverhältnis zwischen dem Ruf und den Werken oder Anekdoten läßt sich nicht mit Phrasen beseitigen wie etwa: der Wiederhall dauere stets länger als der Donner; sondern es stak etwas in diesen Männern, das eine Erwartung erzeugte, die über jede mögliche Leistung hinausging. Der größte Teil ihrer Kraft war latent. Dies ist es, was wir »Persönlichkeit« nennen, – eine aufgespeicherte Kraft, die unmittelbar und durch ihre bloße Gegenwart wirkt. Dieselbe muß als eine nicht demonstrierbare Kraft aufgefaßt werden, gleich einem spiritus familiaris oder Dämon, durch dessen Impulse der Mann geleitet wird, dessen Ratschläge er jedoch nicht mitteilen kann; der ihm Gesellschaft leistet, sodaß solche Leute meist die Einsamkeit lieben, oder wenn sie zufällig geselliger Natur sein sollten, so brauchen sie doch die Gesellschaft nicht, sondern können sich recht gut allein unterhalten. Das reinste litterarische Talent erscheint manchmal größer und manchmal geringer, aber die Persönlichkeit, der Charakter, besitzt eine sternenhafte, unveränderliche Größe. Was andere durch Talent oder Überredung erzielen, das bewirkt sie durch eine Art Magnetisierung. »Die Hälfte seiner Kraft setzte er gar nicht in Thätigkeit.« Er erficht seine Siege durch die bloße Demonstration seiner Superiorität, nicht durch das Kreuzen der Bayonette. Er gewinnt, weil durch seine Ankunft die ganze Sachlage überhaupt eine andere wird. »O Jole woher wußtest du, daß Herakles ein Gott war?« »Weil,« antwortete Jole, »ich in dem Augenblick zufrieden war, in dem meine Augen auf ihn fielen. Als ich Theseus erblickte, da wünschte ich ihn zum Kampfe vortreten oder wenigstens seine Rosse beim Wagenrennen lenken zu sehen; aber Herakles wartete nicht auf den Kampf; er siegte, ob er stand oder ging oder saß, oder was er sonst thun mochte.« Der Mensch, der gewöhnlich den Ereignissen nachhinkt, der mit der Welt, in der er lebt, nur halb, und das ungeschickt genug, verknüpft ist, scheint in solchen Exemplaren seiner Gattung das Leben der Natur zu teilen und ein Ausdruck der Gesetze zu sein, die Ebbe und Flut, die Sonne, die Zahlen und Größen regieren.

Bei unseren politischen Wahlen, bei welchen dieses Element, wenn überhaupt, nur in seiner rohesten Form auftreten kann, wissen wir dennoch seinen unvergleichlichen Wert gar wohl zu schätzen. Die Leute wissen, daß ihr Vertreter viel mehr als bloßes Talent haben muß, nämlich die Kraft, sein Talent vertrauenswürdig zu machen. Sie erreichen ihre Zwecke nicht damit, daß sie einen gelehrten, scharfen und gewandten Redner in den Kongreß entsenden, wenn er nicht zugleich ein Mensch ist, der, bevor er vom Volke erwählt ward, es zu vertreten, vom allmächtigen Gott erwählt wurde, eine Sache zu vertreten – eine Sache, von der er innerlich aufs unerschütterlichste überzeugt ist – sodaß die dreistesten und die gewaltthätigsten Leute einsehen müssen, daß sie hier einem Widerstande begegnen, an dem Unverschämtheit und Einschüchterung gleich verschwendet sind, nämlich der Überzeugung, dem Glauben an die Sache. Die Leute, die ihren Standpunkt zu behaupten wissen, brauchen ihre Wähler nicht erst zu fragen, was sie sprechen sollen, sondern sind selbst das Land, das sie vertreten; nirgends spielen sich seine Erregungen und Meinungen so augenblicklich und wahrhaft ab, wie in ihnen; nirgends treten sie so frei von jedem selbstsüchtigen Nebeninteresse auf! Die Wählerschaft lauscht daheim auf ihre Worte, beobachtet die Farbe ihrer Wangen und richtet, wie nach einem Spiegel, ihre eigene danach. Unsere öffentlichen Versammlungen sind recht gute Probeplätze männlicher Kraft. Unsere freimütigen Landsleute im Westen und Süden haben einen Spürsinn für Persönlichkeiten und lieben es zu wissen, ob der Neu-Engländer ein substantieller Mensch ist, oder ob man die Hand durch ihn hindurchstecken kann.

Dieselbe bewegende Kraft zeigt sich im Handel. Es giebt kaufmännische Genies, so gut wie kriegerische, staatsmännische oder wissenschaftliche; und der Grund, warum der eine Glück hat und der andere nicht, läßt sich nicht sagen. Es liegt im Menschen; das ist alles, was man davon sagen kann. Seht ihn an und ihr werdet seinen Erfolg begreiflich finden, wie ihr das Glück Napoleons begreifen würdet, wenn ihr ihn sähet. Auf dem neuen Gebiet bleibt es das alte Spiel, die Gewohnheit, den Dingen ins Angesicht zu schauen, und nicht aus zweiter Hand, nicht nach den Vorstellungen anderer mit ihnen zu verfahren. Von der Natur selbst scheint der Handel autorisiert, sobald wir den natürlichen Kaufmann erblicken, der kaum mehr wie ein privater Geschäftsmann, sondern als ihr Agent und Handelsminister erscheint. Seine natürliche Rechtschaffenheit, verbunden mit seiner Einsicht in den Bau der Gesellschaft, erhebt ihn über alle Kniffe, und wer mit ihm zu thun hat, dem teilt er seine Überzeugung mit, daß Verträge sich nicht zu beliebigem Vorteil auslegen lassen. Sein Geist hat die natürliche Billigkeit und den allgemeinen Nutzen zur beständigen Richtschnur; er flößt zugleich Respekt und den Wunsch, mit ihm in Verbindung zu treten, ein, und dies sowohl durch die stille Atmosphäre von Ehrenhaftigkeit, die ihn umgiebt, als auch wegen des geistigen Vergnügens, das das Schauspiel solcher vielverwendbarer Fähigkeiten gewährt. Dieser ins Ungeheuere ausgedehnte Handel, der die Vorgebirge der Südsee zu seinen Werften und den Atlantischen Ocean zum Hafen seines Hauses macht, hat sein Centrum in diesem einen Hirn, und kein Mensch in der Welt kann seinen Platz ausfüllen. Schon in seinem Sprechzimmer erkenn' ich, daß er heute morgen schon hart gearbeitet hat, an den Falten seiner Stirn und an seiner bestimmten Art, die all sein Wunsch, höflich zu sein, nicht abschütteln kann. Ich sehe klar, wie viel feste, sichere Akte heute schon vollzogen worden sind, wie viel tapfere »Nein« an diesem Tage ausgesprochen worden, wo andere ein verderbliches »Ja« gesprochen hätten. Ich sehe neben dem Stolz der Kunst, der Gewandtheit meisterlicher Arithmetik und der ausgedehntesten Kombinationsgabe, sein Bewußtsein, ein Diener und Spielgefährte der ursprünglichsten Weltgesetze zu sein. Auch er ist überzeugt, daß niemand ihn ersetzen kann, und daß ein Mann für den kaufmännischen Beruf geboren sein muß, oder ihn nie erlernen kann.

Diese Kraft zieht den Geist mächtiger an, wenn sie sich in Handlungen, die nicht so gemischte Ziele verfolgen, offenbart. Mit höchster Energie tritt ihre Wirkung in den kleinsten Cirkeln und in privaten Beziehungen zu Tage. In allen Fällen bildet sie ein außerordentliches und unberechenbares Agens. Die größte physische Kraft wird durch sie paralysiert. Höhere Naturen überwältigen niedrigere, indem sie sie in einen gewissen Schlaf versetzen. Die Fähigkeiten werden gleichsam abgesperrt und leisten keinen Widerstand mehr. Vielleicht ist das das allgemeine Gesetz der Welt. Wenn das Hohe das Niedrige nicht zu sich emporheben kann, dann betäubt es das Objekt, wie der Mensch den Widerstand der niedereren Tiere niederzaubert. Die Menschen üben auch aufeinander dieselbe geheime Macht aus. Wie oft hat der Einfluß eines wahren Meisters alle Geschichten, die man von Zauberei erzählt, wahr gemacht! Ein Strom der Herrschaft schien sich aus seinen Augen auf alle, die ihn schauten, zu ergießen, ein unwiderstehlicher Strom starken, ernsten Lichtes, gleich einem Ohio oder den Wassern der Donau, der die anderen mit seinen Gedanken durchtränkte und allen Ereignissen die Farbe seines Geistes verlieh. »Welche Mittel habt Ihr angewendet?« fragte man die Frau Concini's, als man herausbringen wollte, wie sie Maria von Medici behandelt hatte, und die Antwort war: »Nur die Mittel, die jeder starke Geist über einen schwachen hat.« Kann nicht Cäsar in Ketten die Ketten abschütteln und sie Hippo oder Thraso, dem Schließer, aufzwingen? Ist eine eiserne Handschelle eine so unzerreißbare Fessel? Nehmt einmal an, ein Sklavenhändler an der Küste von Guinea nähme einen Trupp Neger an Bord, der Personen vom Schlage Toussaint L'Ouverture's enthielte, oder stellen wir uns vor, er hätte unter diesen schwärzlichen Masken einen Trupp Washingtons in Ketten. Wird, wenn sie in Cuba eintreffen, die Ordnung und das Verhältnis der Schiffsgesellschaft noch dasselbe sein? Giebt es denn nichts als Stricke und Eisen? Giebt es keine Liebe, keine Ehrfurcht? Giebt es denn nie einen Funken von Rechtsgefühl in dem Haupt eines armen Sklavenschiffshauptmanns, und sollten diese wirklich nicht imstande sein, die Spannung von ein oder zwei Zoll eiserner Ringe zu brechen, zu lösen oder sonst wie zu überwältigen?

Persönlichkeit ist eine Naturkraft wie Licht und Wärme, und die ganze Natur arbeitet mit ihr. Der Grund weshalb wir die Gegenwart eines Menschen empfinden und die eines anderen nicht, ist so einfach wie die Schwerkraft. Wahrheit ist der Gipfel des Seins: Gerechtigkeit ist ihre Anwendung auf die Lebensverhältnisse. Alle individuellen Naturen stehen in einer Stufenleiter, geordnet nach der Reinheit, in der dieses Element sich in ihnen findet. Der Wille reiner Menschen strömt von ihnen auf Geringere herab, wie Wasser aus einem höheren Gefäß in ein tieferes hinabfließt. Dieser Naturkraft läßt sich so wenig Widerstand entgegensetzen wie irgend einer anderen. Wir können wohl einen Stein für einen Augenblick aufwärts in die Luft treiben; es bleibt dennoch wahr, daß alle Steine zuletzt zur Erde fallen, und wie viel Beispiele von unbestraftem Diebstahl, von Lügen, die Glauben gefunden, sich auch aufzählen lassen, der Gerechtigkeit muß der Sieg bleiben, und es ist das Vorrecht der Wahrheit, sich selbst Glauben zu verschaffen. Nun, Persönlichkeit ist dieses selbe moralische Gesetz, durch das Medium individueller Naturen gesehen. Jedes Individuum ist ein Gefäß. Zeit und Raum, Freiheit und Notwendigkeit, Wahrheit und Ideen sind nun nicht mehr im Freien. Die Welt wird ein Gehege, ein Pfandhaus. Das Universum steckt in dem Menschen, individuell gefärbt je nach der eigentümlichen Art seiner Seele. Mit den Qualitäten, die er besitzt, imprägniert er alles, was er erreichen kann; hat aber nicht das Bestreben, sich in die Weite zu verlieren, sondern seine Blicke kehren, wie lang die Kurve auch sein mag, die sie beschreiben, zuletzt immer wieder zu seinem eigenen Gut zurück. Er belebt alles, was er beleben kann, und sieht auch nur das, was er belebt. Er schließt die Welt ein, wie der Patriot sein Vaterland, als die materielle Basis seines Charakters, als den Schauplatz seines Thuns. Eine gesunde Seele verbindet sich mit dem Gerechten und Wahren, wie der Magnet sich nach dem Pole richtet, sodaß er für alle Beschauer gleich einem transparenten Gegenstand zwischen ihnen und der Sonne steht, und wer immer sich auf die Sonne zu bewegt, sich auch ihm zu bewegen muß. So wird er das Medium des höchsten Einflusses für alle, die nicht auf derselben Höhe stehen. Und so sind Menschen von Charakter das Gewissen der Gesellschaft, der sie angehören.

Das natürliche Maß dieser Kraft ist der Widerstand, den sie den Verhältnissen entgegensetzt. Unreine Menschen sehen das Leben nur so, wie es sich in Meinungen, Ereignissen und Personen spiegelt. Sie können eine Handlung nicht sehen, so lange sie nicht vollzogen ist. Und doch existierte das geistige Element der Handlung längst schon im Thäter, und die Qualität derselben als recht oder unrecht war leicht vorauszusagen. Alles in der Natur ist zweipolig, alles hat einen positiven und einen negativen Pol. Überall giebt es ein Männliches und ein Weibliches, die Thatsache und den ihr entsprechenden Geist, einen Norden und Süden. Der Geist ist das positive, das Ereignis das negative Bild. Der Wille stellt den Nordpol, die Handlung den Südpol dar. Vom Charakter kann man sagen, daß er seine natürliche Stelle im Norden habe. Er nimmt an den magnetischen Strömungen des ganzen Systems teil. Die schwachen Seelen werden vom südlichen, negativen Pol angezogen. Sie fragen nach dem Nutzen oder Schaden, den eine Handlung gebracht. Sie können ein Princip nicht wahrnehmen, so lang es nicht in einer Person verkörpert ist. Sie wünschen nicht, liebenswürdig zu sein, sondern geliebt zu werden. Die eine Klasse von Charakteren liebt es, von ihren Fehlern zu hören, die andere will von den eigenen Fehlern nichts wissen und betet den Erfolg an; wenn man sie einer Thatsache, einer Kette und Folge von Umständen versichert, so verlangen sie nichts weiter. Der Held erkennt, daß der Erfolg etwas Knechtisches ist und ihm folgen muß. Eine gegebene Reihenfolge von Ereignissen kann ihm nicht jene Befriedigung gewähren, welche die Phantasie damit verbindet, denn aus jeder scheinbar noch so glücklichen Lage kann der Geist des Guten fliehen; aber an manche Geister heftet sich das Glück und bringt Macht und Sieg als ihre natürlichen Früchte, welchen Lauf die Dinge auch nehmen mögen. Kein Wechsel der Verhältnisse kann einen Mangel in der Persönlichkeit ersetzen. Wir rühmen uns unserer Emancipation von manchem Aberglauben, aber wenn wir unsere Götzenbilder wirklich zerbrochen haben, so war es nur, um einen neuen Götzendienst einzuführen. Was hab' ich damit gewonnen, daß ich Jupiter oder Neptun keinen Stier, der Hekate keine Maus mehr opfere, daß ich nicht mehr vor den Rachegöttinnen zittere noch auch vor dem Fegefeuer der Katholiken oder dem Jüngsten Gericht der Calviner – wenn ich vor der Meinung zittere, der sogenannten »öffentlichen Meinung«, oder vor der Gefahr eines Einbruchs, eines Schimpfes, vor bösen Nachbarn oder vor der Armut, vor Verstümmlung, oder vor dem Lärm von Revolution und Mord? Wenn ich zittere, ist es nicht ganz gleichgiltig, wovor ich zittere? Unser eigenes Laster nimmt je nach dem Geschlecht, Alter oder Temperament die eine oder die andere Form an, und wenn wir für Furcht zugänglich sind, werden wir unsere Schreckgespenster leicht finden. Die Habgier und Bosheit, die mich verstimmt, und die ich der menschlichen Gesellschaft zuschreibe, ist meine eigene. Ich bin immer von mir selbst umgeben. Auf der anderen Seite ist die Gradheit ein beständiger Sieg, der nicht mit Freudengeschrei gefeiert wird, sondern durch Heiterkeit, die gleichsam fixierte, zur Gewohnheit gewordene Freude ist. Es ist unvornehm, stets nach dem Erfolg als der Bestätigung unseres Wertes und unserer Wahrheit zu fragen. Der Kapitalist läuft nicht allstündlich zum Banquier, um seinen Gewinn in gangbare Münze umzusetzen; es genügt ihm, aus den Marktberichten die Vergrößerung seiner Fonds zu entnehmen. Dasselbe Entzücken, welches das Eintreffen der glücklichsten Ereignisse in der glücklichsten Aufeinanderfolge mir bereiten würde, kann ich in einer reineren Weise durch die Erkenntnis genießen, daß meine Lage allstündlich eine bessere wird, und daß ich bereits Herr über die Ereignisse bin, welche ich wünsche. Dieses Triumphgefühl kann nur noch durch die Voraussicht eines so herrlichen Zustandes gebändigt werden, daß all unser Glück und Erfolg durch ihn in den tiefsten Schatten gestellt werden.

Das Gesicht, das die Persönlichkeit in meinen Augen annimmt, ist Selbstgenügsamkeit. Ich verehre den Menschen, der Reichtum ist, den ich mir allein oder arm oder verbannt oder unglücklich oder als Klienten gar nicht vorstellen kann, den ich mir stets nur als Patron, Wohlthäter und glückseligen Menschen denken muß. Persönlichkeit bedeutet Centralität, die Unmöglichkeit aus seiner Stelle gerückt oder gestürzt zu werden. Ein Mann muß uns den Eindruck einer Masse machen. Die Gesellschaft ist frivol und verschnitzelt ihren Tag zu Läppereien, ihre Konversation zu Ceremonien und Ausflüchten. Wenn ich aber einen genialen Menschen zu sehen bekomme, werd' ich mich nur ärmlich bewirtet glauben, wenn er mir nur ein flüchtiges Wohlwollen und Etiquettestückchen vorsetzt; lieber wär' mir, er stünde stämmig auf seinem Platz und ließe mich wenigstens seinen Widerstand fühlen und erkennen, daß ich hier einer neuen und positiven Eigenschaft gegenüberstehe – eine große Erfrischung für uns beide. Es ist schon viel wert, wenn er nur die konventionellen Ansichten und Bräuche nicht acceptiert. Seine Nonkonformität wird ein Stachel und ein Memento bleiben, und jeder neue Ankömmling wird vor allem zu ihm Stellung nehmen müssen. Es giebt nichts reales und fruchtbares, was nicht zugleich ein Kriegsschauplatz wäre. Unsere Häuser hallen von Gelächter, von persönlichem und kritischem Klatsche, aber das hilft wenig. Der ungefügige, widerspenstige Mann, der ein Problem und eine Gefahr für die Gesellschaft ist, den sie nicht mit Schweigen übergehen kann, sondern entweder hassen oder vergöttern muß – mit dem alle Parteien sich verwandt fühlen, sowohl die Führer des Tages als die Unbekannten und Originalitätssüchtigen – der hilft; er bringt Amerika und Europa ins Unrecht und zerstört den Skepticismus, der da behauptet: »der Mensch ist eine Puppe, laßt uns essen und trinken, es ist noch das beste, was wir thun können«, denn er lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf Unbekanntes und Nieversuchtes hin. Ergebenheit in den gegenwärtigen Zustand und steter Appell ans Publikum beweisen einen schwachen Glauben und einen unklaren Kopf, der ein Haus gebaut sehen muß, wenn er den Plan begreifen soll. Der Weise läßt bei seinen Gedanken nicht allein die Menge unberücksichtigt, sondern auch die Wenigen. Die Menschen, welche Quellen sind, die aus sich selbst Bewegten, in sich Versunkenen, welche gebieren, weil ihnen geboten ward, die Sicheren, die Ursprünglichen – die sind gut; denn sie verkünden die unmittelbare Gegenwart der höchsten Macht.

Unser Thun muß mit mathematischer Genauigkeit auf unserem Wesen beruhen. In der Natur giebt es keine falschen Schätzungen. Ein Pfund Wasser im Meeressturm ist nicht schwerer als im Sommerteich. Alle Dinge in der Welt wirken in genauem Verhältnis zu ihrer Qualität und Quantität; keines versucht etwas, was es nicht leisten kann, ausgenommen der Mensch: er allein in der Welt ist anmaßend, nur er wünscht und versucht Dinge, die über seine Kräfte sind. Ich las einmal in einem englischen Memoirenwerke: »Mr. Fox (nachmals Lord Holland) sagte, er müsse Schatzminister werden, er habe zu diesem Portefeuille hinauf gedient, und er werde es auch bekommen.« – Xenophon und seine Zehntausend waren dem, was sie unternahmen, völlig gewachsen und führten es auch durch; so gewachsen, daß sie gar nicht ahnten, daß sie da eine großartige und unnachahmliche Leistung vollbrachten. Und ihre That steht da, unwiederholt, ein Hochwasserzeichen in der Kriegsgeschichte. Viele haben seither das Gleiche versucht und sind der Aufgabe nicht gewachsen gewesen. Nur auf Realität läßt thatkräftiges Thun sich basieren. Keine Institution kann besser sein als der, der sie geschaffen. Ich kannte einen liebenswürdigen und gebildeten Herrn, der es unternahm, eine praktische Reform durchzuführen, aber nie konnte ich das Liebeswerk, das er in seine Hände nahm, in ihm selbst entdecken. Es kam ihm durchs Ohr, er nahm's mit dem Verstande auf, aus den Büchern, die er gelesen hatte. All sein Thun war ein Experimentieren, ein Stück Stadt ins Feld hinausgetragen, und blieb ein Stück Stadt, es war kein Novum und konnte keinen Enthusiasmus hervorrufen. Hätte in dem Manne etwas gesteckt, ein furchtbarer verborgener Geist, der sein Benehmen aufgeregt und verwirrt hätte, wir hätten seines Advents geharrt. Es genügt nicht, daß der Verstand die Übel und ihre Heilmittel erkenne. Wir werden unsere Existenz stets hinausschieben müssen und den Boden, auf den wir ein Anrecht haben, nicht betreten, so lange es nur ein Gedanke ist, der uns treibt, und nicht der Geist. Wir haben »noch nicht so weit hinaufgedient.«

Dies sind Eigentümlichkeiten des Lebens; ein anderer Zug ist ein unaufhörliches Wachstum. Die Menschen sollen klug und ernst sein, aber sie müssen auch in uns das Gefühl erwecken, daß sie eine glückliche Zukunft als eine Kontrolle ihres Wertes vor sich haben, die ihren Glanz bereits auf die fliehende Stunde wirft. Der Held wird stets mißverstanden, und immer cirkulieren falsche Gerüchte über ihn; er aber kann sich nicht damit aufhalten, die Mißgriffe der Leute zu entwirren; er ist schon wieder unterwegs und erwirbt neue Macht und neue Ehren und neue Rechte auf euer Herz, die euch bankrott machen werden, wenn ihr an den alten Geschichten herumhaspelt, und nicht durch die Vermehrung eures eigenen Reichtums mit ihm Schritt gehalten habt. Neue Thaten sind die einzigen Entschuldigungen und Erklärungen, die ein vornehmer Geist geben und annehmen kann. Wenn dein Freund dein Mißfallen erregt hat, dann setze dich nicht nieder, um darüber nachzudenken, denn er hat es schon längst völlig vergessen, hat seine Mittel, dir zu dienen, verdoppelt und wird dich, ehe du dich wieder erhebst, mit Wohlthaten überhäufen.

Ein Wohlwollen, das nur nach seinen Werken gemessen werden kann, macht uns wenig Freude. Die Liebe ist unerschöpflich und vermag noch zu trösten und zu bereichern, wenn ihr Gut verzehrt und ihre Speicher geleert sind; wenn der Mann schläft, scheint noch die Luft um ihn reiner zu werden und sein Haus die Landschaft zu schmücken und die Gesetze zu kräftigen. Das Volk erkennt diesen Unterschied immer. Wir wissen, wer wohlthätig ist, auf ganz anderem Weg als aus den Subskriptionsbeträgen der Suppengesellschaften. Es sind geringe Verdienste, die sich aufzählen lassen. Fürchte dich, wenn deine Freunde dir sagen, was du gut gemacht hast, und es dir aufzählen können! Aber wenn sie dir mit einem gewissen unsicheren Blick aus dem Wege gehen, der halb Respekt und halb Mißfallen bedeutet, wenn sie ihr endgiltiges Urteil auf Jahre hinausschieben müssen, dann magst du Hoffnung schöpfen! Diejenigen, die für die Zukunft leben, müssen denen, die für die Gegenwart leben, immer selbstsüchtig erscheinen. Es war komisch von dem guten Riemer, der Erinnerungen an Goethe herausgegeben hat, daß er ein Verzeichnis der Schenkungen und guten Werke Goethes verfaßte, wie »so viel hundert Thaler an Stilling, an Hegel, an Tischbein gegeben; ein einträglicher Posten dem Professor Voß verschafft, ein anderer beim Großherzog für Herder, eine Pension für Meyer, zwei Professoren an ausländische Universitäten empfohlen u. s. w.« Die längste Liste specificierter Wohlthaten würde sich da sehr kurz ausnehmen. Ein Mensch ist ein armes Geschöpf, wenn er sich so abmessen lassen muß. Denn das sind lauter Ausnahmshandlungen, Wohlthun aber ist für den guten Menschen Regel und tägliches Leben. Die wahre Wohlthätigkeit Goethes ist aus dem zu entnehmen, was er selbst dem Doktor Eckermann über die Verwendung seines Vermögens sagte: »Jedes Bonmot, das ich sage, kostet mir eine Börse voll Gold; eine halbe Million meines Privatvermögens ist durch meine Hände gegangen, um das zu lernen, was ich jetzt weiß, nicht allein das ganze Vermögen meines Vaters, sondern auch mein Gehalt und mein bedeutendes litterarisches Einkommen seit mehr als fünfzig Jahren. Außerdem habe ich etc.«

Es ist nur armseliges Geschwätz und Klatsch, Züge dieser einfachen, rapid wirkenden Kraft aufzuzählen, es ist als wollten wir den Blitz mit einer Kohle zeichnen; aber in diesen langen Nächten und öden Zeitläuften lieben wir, uns mit solchen Anekdoten zu trösten. Aber sie kann nur durch sich selbst dargestellt werden. Ein Wort, das warm vom Herzen kommt, bereichert mich. Ich ergebe mich auf Gnade und Ungnade. Wie totenkalt erscheint alles schriftstellerische Genie vor diesem Feuer des Lebens! Das sind Berührungen, die meine erschlaffte Seele neu beleben und ihr Augen verleihen, bis ins Dunkel der Natur zu schauen. Ich erkenne, daß ich dort, wo ich mich arm glaubte, am reichsten war. Und daraus entspringt eine neue geistige Erhebung, die ihrerseits wieder von einer neuen Offenbarung der Persönlichkeit verdrängt wird. Seltsamer Wechsel von Anziehung und Abstoßung! Die Persönlichkeit lehnt die geistige Begabung ab und regt sie doch an; und so setzt sich alle Persönlichkeit in Gedanken um, tritt als solche in die Öffentlichkeit, um dann wieder vor neuen Strahlen sittlichen Wertes beschämt den Platz zu räumen.

Persönlichkeit ist Natur in ihrer höchsten Form. Es ist ganz nutzlos, sie nachzuäffen oder gegen sie anzukämpfen. Es ist ihr ein Maß von Widerstandskraft, Ausdauer und schöpferischer Kraft eigen, die jeden Wettstreit unmöglich macht.

Und dieses Meisterstück ist dort am vollkommensten, wo keine anderen Hände als die der Natur daran gelegt wurden. Es ist dafür Sorge getragen, daß die zu Großem Bestimmten im Schatten ins Leben gleiten, ohne daß ein tausendäugiges Athen jeden neuen Gedanken, jede errötende Bewegung des jungen Genies bewache und ausposaune. Zwei Personen – ganz junge Kinder des höchsten Gottes – haben mir jüngst manches zu denken gegeben. Als ich der Quelle ihrer Heiligkeit und des Zaubers, den sie auf die Phantasie ausübten, nachforschte, da schien es, als ob jeder von beiden antwortete: »Das verdanke ich meiner Nonkonformität; ich habe nie auf das Gesetz der Leute, noch auf das, was sie ihr Evangelium nennen, geachtet; ich begnügte mich mit der einfachen ländlichen Armut, die mir eigen war: daher meine Anmut; mein Werk erinnert dich nicht an das eine und ist rein vom anderen.« Durch solche Menschen beweist mir die Natur, daß sie sich selbst in unserem demokratischen Amerika nicht demokratisieren läßt. Wie in einem Kloster, ängstlich behütet vor dem Markt und seinem schamlosen Treiben, zieht sie ihre Lieblinge auf! Erst heute morgen sendete ich einige Schriften fort, die wie wilde Blumen dieser Waldgötter waren. Wie trostreich erhoben sie sich aus unserer Litteratur, – diese frischen Züge aus den Quellen des Gedankens und des Gefühls, wie wenn wir in der Zeit des Schliffes und der Kritik die ersten ältesten Zeilen lesen, die in einer Nation in Vers oder Prosa niedergeschrieben werden. Wie anziehend ist ihre Verehrung für ihre Lieblingsbücher, sei es nun Aeschylus, Dante, Shakespeare oder Scott, gerade als ob sie selbst Anteil an dem Buche hätten, und wer es angreift, sie mit angreifen würde; – und vor allem ihre völlige Abgeschlossenheit von aller Kritik, das Patmos der Gedanken, von dem aus sie schreiben, in völliger Unbewußtheit und Unabhängigkeit von den Augen, die jemals ihre Bücher lesen werden. Könnten sie so weiter träumen wie Engel, ohne je zu Vergleichungen und zur Schmeichelei zu erwachen! Und doch, einige Naturen sind zu gut, als daß Lob sie verderben könnte; und wo die Ader des Gedankens bis ins Tiefe reicht, da ist von der Eitelkeit keine Gefahr zu befürchten. Feierliche Freunde werden sie vor der Gefahr warnen, sich ihre Köpfe durch die Posaunenstöße verdrehen zu lassen, aber sie können dazu lächeln. Ich erinnere mich der Empörung eines beredten Methodisten, als ein Doktor der Gottesgelehrtheit ihn gütig mahnte: »Mein Freund, ein Mann kann weder gelobt noch beschimpft werden.« Aber vergebt denen, die euch gute Ratschläge erteilen, sie sind ja so natürlich. Ich erinnere mich, daß der erste Gedanke, der mich erfaßte, als einige bedeutende ausländische Geistliche nach Amerika kamen, war: »Seid ihr wohl als Opfer hierher gebracht worden?« oder antwortet mir vielmehr erst auf die Frage: »Laßt ihr euch überhaupt als Opferlämmer behandeln?«

Wie ich es bereits gesagt, hält die Natur diese Souveränitäten in ihrer eigenen Hand, und wie gewandt und dreist unsere Predigten und Erziehungsmethoden sich einen Anteil daran zuschreiben möchten, wie oft sie auch lehren mögen, daß die Gesetze es sind, die den Bürger heranbilden, – sie geht ihren eigenen Gang und spottet der Weisesten und ihrer Lehren. Sie legt auf alle Evangelien und Propheten einen geringen Wert, wie jemand, der noch eine ganze Menge solcher vorrätig hat und auf keinen zuviel Zeit verwenden kann. Es giebt eine Klasse von Menschen, Individuen, die in langen Zeitabschnitten erscheinen und in so eminenter Weise mit Einsicht und Tugend begabt sind, daß sie einstimmig als göttlich begrüßt worden sind, und die uns gleichsam als eine Quintessenz der Kraft, von der wir sprechen, erscheinen müssen. Göttliche Personen sind geborene Persönlichkeit, oder um einen Ausdruck Napoleons zu gebrauchen, organisierter Sieg. Sie werden gewöhnlich mit Übelwollen empfangen, weil sie neu sind und weil sie der Übertreibung ein Ende machen, welche mit der Persönlichkeit der letzten göttlichen Person ins Werk gesetzt wird. Die Natur reimt ihre Kinder niemals, noch schafft sie je zwei völlig gleiche Menschen. Wenn wir einen großen Mann sehen, bilden wir uns ein, eine Ähnlichkeit mit irgend einer historischen Person zu entdecken, und prophezeien die Zukunft, die seinem Charakter und seinem Schicksal beschieden ist – eine Prophezeiung, die niemals eintrifft. Kein solcher wird je das Problem seiner Persönlichkeit nach unseren Vorurteilen lösen, sondern nur auf seinem eigenen hohen, unbetretenen Pfade. Persönlichkeit braucht Spielraum; läßt sich nicht von den Leuten umdrängen, noch nach flüchtigen im Drange der Geschäfte oder bei wenigen Gelegenheiten erhaschten Blicken beurteilen. Wie ein großes Gebäude, bedarf auch jede Persönlichkeit der Perspektive. Vielleicht, ja wahrscheinlich, bildet sie ihre Beziehungen nicht so rasch; und wir dürfen daher auch keine rasche Erklärung ihres Wirkens weder nach den Maßen der volkstümlichen Ethik noch nach unserer eigenen verlangen.

Ich betrachte die Skulptur nicht anders als die Geschichte. Ich glaube nicht, daß Zeus und Apollo in Fleisch und Blut unmöglich sind. Jeden Zug, den der Künstler im Steine überliefert, hat er im Leben gesehen und besser als auf seinem Bilde. Wir haben viel Nachahmungen gesehen, aber der Glaube an große Männer ist uns angeboren. Wie freudig lesen wir in alten Büchern, aus der Zeit, da die Menschen noch wenige waren, von den unbedeutendsten Handlungen der Patriarchen. Es freut uns, wenn ein Mensch eine so mächtige und säulenhafte Erscheinung in der Landschaft bildet, daß es der Mühe wert scheint, zu berichten, wie er sich erhob und sich die Lenden gürtete und nach diesem oder jenem Orte ausbrach. Die glaubwürdigsten Bilder sind für uns jene majestätischer Menschen, die schon bei ihrem Eintritt siegten und die Sinne überwältigten, wie es dem Magier des Ostens geschah, der ausgesandt wurde, die Verdienste Zertuschts oder Zoroasters zu prüfen. Als der Yunani-Weise in Balkh anlangte, erzählen die Perser, da bestimmte Gushtasp einen Tag, an welchem die Mobeds aus jedem Lande sich versammeln sollten, und ein goldener Stuhl wurde für den Weisen der Yunani aufgestellt. Und nun trat der geliebte Yezdam, der Prophet Zertuscht, in die Mitte der Versammlung. Als der Yunani-Weise diesen Häuptling erblickte, sagte er: »Diese Gestalt und dieser Gang können nicht lügen, und nichts als Wahrheit kann von ihnen ausgehen.« Plato sagte, es sei unmöglich, an die Kinder der Götter nicht zu glauben, »und wenn sie auch ohne wahrscheinliche oder zwingende Beweisgründe sprechen sollten.« Ich würde mich sehr unglücklich unter meinen Gefährten fühlen, wenn ich das Beste in der Weltgeschichte nicht glauben dürfte. »John Bradshaw,« sagt Milton, »gleicht einem Konsul, der die Fasces nicht am Ende des einen Jahres abgeben muß; und nicht nur auf dem Tribunal, sondern sein ganzes Leben hindurch scheint er über Königen zu Gericht zu sitzen.« Ich finde es glaublicher, insbesondere da es sich hier um ein aphoristisches Wissen handelt, daß ein Mensch, wie die Chinesen sagen, den Himmel kenne, als daß so viele die Welt kennen sollen. »Der tugendhafte Fürst tritt selbst vor die Götter ohne Bedenken. Er wartet hundert Jahre auf die Ankunft eines Weisen und zweifelt nicht. Wer aber den Göttern ohne Furcht entgegentritt, der kennt den Himmel, und wer hundert Jahre der Ankunft eines Weisen harrt, ohne zu zweifeln, der kennt die Menschen. So handelt der tugendhafte Fürst und weist der Herrschaft auf Jahrhunderte den Weg.« Aber wir brauchen nicht nach so fern liegenden Beispielen zu greifen. Der ist ein schlechter Beobachter, den seine Erfahrung noch nicht die Wirklichkeit und Gewalt dieses Zaubers so gut wie die der Chemie gelehrt hat. Der kälteste Rechner kann nicht ausgehen, ohne unerklärlichen Einflüssen zu begegnen. Es kommt ein Mensch und heftet sein Auge auf ihn, und die Gräber der Erinnerung öffnen sich und senden ihre Toten herauf; Geheimnisse, die ihn elend machen, mag er sie bewahren oder verraten, muß er kund thun; es kommt ein anderer, und er kann nicht sprechen, die Gebeine seines Körpers scheinen aus den Gelenken zu weichen; der Eintritt eines Freundes giebt ihm Grazie, Beredsamkeit und Mut; und es giebt Leute, an die er sich erinnern muß, die seinen Gedanken eine überwältigende Weite gaben und ein neues Leben in seiner Brust entfachten.

Was ist so herrlich wie eine enge Freundschaft, wenn sie aus solch tiefer Wurzel entspringt? Keine Antwort, die den Skeptiker so völlig schlägt, der die Kräfte und Begabung der Menschen in Zweifel zieht, wie die Möglichkeit dieses frohen Verkehrs mit anderen Menschen, der das Fundament des Glaubens und die glücklichste Zeitverwendung aller vernünftigen Menschen ist. Ich weiß nichts Befriedigenderes, was das Leben zu bieten hätte, als das tiefe freundliche Verständnis, das nach dem Austausch vieler guter Dienste zwischen zwei tüchtigen Menschen bestehen kann, deren jeder seiner selbst und seines Freundes sicher ist. Es ist das eine Seligkeit, hinter welcher jeder andere Genuß zurücktreten muß, neben der Politik, Handel und Kirche billig und unbedeutend erscheinen. Denn wenn Menschen einander begegnen, wie sie es sollen, jeder ein Wohlthäter, jeder ein Sternenschauer, in Gedanken, Thaten, Vorzüge wie in ein Kleid gehüllt, da sollte die ganze Natur einen Festtag feiern und allen Dingen das freudige Ereignis laut verkünden. Von solcher Freundschaft ist die Liebe der Geschlechter das höchste Symbol, sowie alle anderen Dinge Symbole der Liebe sind. Diese Beziehungen zu den besten Menschen, die wir einst für romantische Jugendschwärmereien hielten, werden für entwickelte Persönlichkeiten der ernsteste Genuß.

Wenn es doch möglich wäre, in den richtigen Beziehungen mit den Menschen zu leben! – wenn wir uns nur jeder Forderung an sie enthalten könnten, wenn wir aufhören könnten, ihr Lob, ihre Hilfe, ihr Mitleid zu verlangen, sondern uns damit begnügen würden, durch die Kraft der ältesten Gesetze auf sie zu wirken! Könnten wir nicht wenigstens mit einigen wenigen Personen, mit einer einzigen, nach den ungeschriebenen Statuten verkehren und die Wirksamkeit derselben versuchen? Könnten wir unserem Freunde nicht das Kompliment der Wahrhaftigkeit, des Schweigens und der Geduld machen? Müssen wir ihm denn so eifrig nachgehen? Wenn wir verwandt sind, werden wir einander begegnen. Es war ein Glaube der Alten, daß keine Metamorphose einen Gott vor einem Gott verbergen könne; und es giebt einen griechischen Vers, der folgenden Wortlaut hat:

»Die Götter sind einander nicht verborgen.«

Die Freundschaft folgt gleichfalls den Gesetzen göttlicher Notwendigkeit, zwei Menschen gravitieren gegeneinander, weil sie nicht anders können:

»Und, wenn sie einander meiden,
Mehren sie der Liebe Freuden.«

Ihr Verhältnis ist kein gemachtes, sondern ein gestattetes. Die Götter werden sich ohne Ceremonienmeister in unserem Olymp niederlassen und sich nach ihrer eigenen göttlichen Rangordnung einzurichten wissen. Alle Geselligkeit wird verdorben, wenn man sich um sie Mühe giebt, wenn man die Leute eine Meile weit zusammentreibt. Und wenn sich keine Geselligkeit ergiebt, dann entsteht ein ärgerliches, niedriges, entwürdigendes Geklapper, und wenn die besten zusammengekommen wären. Alle Größe eines jeden wird zurückgedrängt, und jede Schwäche der Einzelnen zur peinlichsten Aktivität gereizt, als ob die Olympier zusammengekommen wären, um einander Schnupftabak anzubieten.

Hals über Kopf geht das Leben dahin. Entweder wir jagen irgend einem fliehenden Schemen nach, oder wir werden von einer Furcht oder einem Befehle hinter uns gejagt. Aber wenn wir plötzlich einem Freunde begegnen, halten wir inne; unsere Hast und Hitze sieht nun thöricht genug aus; Ruhe und Besitz sind es jetzt, die wir uns wünschen, und die Kraft, dem Augenblick aus den Tiefen unseres Herzens Dauer zu verleihen. In allen edleren Verhältnissen ist der Augenblick alles.

Ein göttlicher Mensch ist die Prophezeiung des Geistes, ein Freund die Hoffnung des Herzens. Unsere Seligkeit wartet auf den Augenblick, wo die Erfüllung beider in ein und derselben Person eintreten wird. Und die Jahrhunderte bilden nur die Eröffnungsfeier für diese erwartete Kraft. Alle Kraft, die wir kennen, ist der Schatten oder das Symbol jener, die kommen soll. Alle Poesie hat Fröhlichkeit und Wirkung, soweit sie von daher ihre Inspiration erhält. Die Menschen schreiben ihre Namen in die Welt, nachdem sie mit ihr erfüllt sind. Die Weltgeschichte ist bisher ärmlich gewesen; unsere Nationen waren Pöbel, einen Mann haben wir noch nicht gesehen: Wir kennen diese göttliche Gestalt noch nicht, wir kennen nur Träume von ihr und Prophezeiungen; wir kennen seine majestätische Weise nicht, die jeden Beschauer beschwichtigen und erheben wird. Wir werden eines Tages sehen, daß die eigenste, intimste Energie die allgemeinste ist, daß Qualität die Quantität ersetzt, und daß Charaktergröße im Dunkeln schafft und jenen zu Hilfe kommt, die sie nie geschaut haben. Alle Größe, die uns bis jetzt erschienen, bedeutete nur Anfänge und Ermutigungen auf dem Wege dahin. Die Geschichte der Götter und Heiligen, die die Welt geschrieben und dann angebetet hat, besteht aus Dokumenten der Persönlichkeit. Die Jahrhunderte jubeln in der Erinnerung an die Weise eines Jünglings, der nichts dem Glücke verdankte, der auf dem Richtplatz seiner Nation ans Kreuz geschlagen wurde und der durch die Reinheit seines Wesens die Ereignisse, die seinen Tod begleiteten, mit einem epischen Glanze übergoß, sodaß jede Einzelheit in den Augen der Menschheit zu einem weltbedeutenden Symbol transfiguriert wurde. Aber der Geist verlangt einen Sieg über die Sinne, eine Macht der Persönlichkeit, die Richter, Geschworene, Krieger und König überwältigt, die die Kraft des Tier- und Mineralreiches beherrscht und mit dem Lauf der Pflanzensäfte, der Ströme, der Winde, der Sterne und der sittlichen Kräfte eins wird.

Wenn wir uns zu diesen Hoheiten nicht mit einemmal erheben können, so laßt uns wenigstens ihnen huldigen. In der Gesellschaft bringen sie dem, der sie besitzt, hohe Vorteile, aber auch Nachteile. Um so vorsichtiger müssen wir in unseren Urteilen sein. Ich kann es meinem Freunde nicht vergeben, wenn er eine herrliche Persönlichkeit kennt, ohne ihr mit dankbarer Gastlichkeit zu begegnen. Wenn endlich das, wonach wir uns so lange sehnten, erscheint und uns mit seinen frohen Strahlen Licht aus jenen fernen Himmeln bringt – da roh zu sein, da zu kritteln und solchem Gast mit dem Klatsche und Argwohn der Straße zu begegnen, verrät eine Gemeinheit, die die Pforten des Himmels zu verschließen scheint. Das ist Wirrnis, das ist der wahre Wahnsinn, wenn die Geister ihr Eigenstes nicht mehr erkennen und nicht wissen, wo sie ihre Huldigung, ihre Andacht darzubringen haben. Giebt es denn noch eine andere Religion als die, zu wissen, daß, wo immer in der weiten Wüste des Daseins, das heilige Gefühl, daß wir lieben, eine Blüte getrieben hat, sie für mich blüht? Wenn niemand das erkennt, ich erkenne es, ich erfasse, und wenn ich der einzige wäre, die Größe des Ereignisses. So lang' die Blume blüht, will ich den Sabbath feiern und die Zeit für eine heilige halten und meinen Unmut sowie meine Narrheit und meine Scherze unterbrechen. Die Natur ist befriedigt, wenn dieser Gast erscheint. Es giebt viele Augen, die die klugen und nützlichen Eigenschaften zu entdecken und zu ehren wissen, es giebt viele, die das Genie auf seiner Sternenbahn zu erkennen vermögen, obgleich der Pöbel auch dies nicht imstande ist; aber wenn jene Liebe, die alles duldet, allem entsagt und alles hofft, und die eher ein Thor und Bettler in dieser Welt sein will, als ihre weißen Hände durch die geringsten Konzessionen beflecken, in unsere Straßen und Häuser kommt, – da können nur die Hochstrebenden und Reinen ihr Antlitz erkennen, und die einzige Huldigung, die sie ihr anzubieten haben, ist, sie sich zu eigen zu machen.


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