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Selbständigkeit.

 

»Ne te quaesiveris extra!«

 

Ich las jüngst einige Verse von der Hand eines berühmten Malers; dieselben waren ungewöhnlich und nichts an ihnen war konventionell. In solchen Zeilen vernimmt die Seele stets eine mächtige Mahnung, der Inhalt mag sein, welcher er will. Das Gefühl, das sie einflößen, ist wertvoller als die tiefsten Gedanken, die sie enthalten könnten. An den eigenen Gedanken zu glauben, – zu glauben, daß, was für uns im Innersten unserer Seele wahr ist, wahr sein muß für alle Welt, – das ist Genius. Sprich deine geheimste Überzeugung aus, und sie wird bald die allgemeine sein. Denn das Geheimste wird seiner Zeit das Offenbarste und unsere ersten Gedanken sind es, die uns in den Posaunen des jüngsten Gerichts entgegentönen. Jedem klingt die Stimme des Geistes vertraut, und das höchste Verdienst, das wir Plato, Moses und Milton zuschreiben, ist, daß sie Bücher und Traditionen hintansetzten und aussprachen, nicht was die Leute, sondern was sie selbst dachten. Der Mensch sollte sich mehr bemühen, den Lichtstrahl, der aus seinem eigenen Innern durch seine Seele flammt, zu entdecken und zu beachten, als allen Sternenglanz am Firmament der Sänger und Weisen. Und doch läßt er gewöhnlich seinen eigenen Gedanken unbeachtet – weil es der seine ist. In jedem Werk des Genies finden wir unsere eigenen Gedanken wiedergespiegelt, sie kommen mit einer fremden Majestät bekleidet zu uns zurück. Die größten Werke der Kunst geben uns keine ergreifendere Lehre als die, an unserem spontanen Eindruck mit fröhlicher Unbeugsamkeit festzuhalten, und gerade dann am meisten, wenn das ganze Stimmengezeter für die Gegenseite ertönt. Sonst wird morgen ein Fremder mit meisterhaftem Verständnis gerade das aussprechen, was wir die ganze Zeit über gedacht und gefühlt haben, und wir sehen uns mit Beschämung gezwungen, unsere Meinung von einem anderen zu entlehnen.

In der Entwicklung jedes Menschen kommt der Augenblick, in dem er erkennt, daß Neid, Unwissenheit, Nachahmung Selbstmord ist; daß er sich selbst schlecht und recht als seinen Anteil am Leben hinnehmen muß, daß, obgleich das weite Weltall des Guten voll ist, kein Körnchen Nahrung ihm zukommen kann, außer durch seine eigene Mühe auf dem Ackerfeld, das gerade ihm zum Bebauen gegeben ward. Die Kraft, die in ihm ruht, ist neu in der Natur, und nur er weiß, was er leisten kann, und auch er nicht eher, als bis er es versucht hat. Nicht umsonst macht ein Gesicht, ein Charakter, ein Ereignis mächtigen Eindruck auf ihn und andere nicht. Diese Empfänglichkeit des Gedächtnisses beruht in einer prästabilierten Harmonie. Das Auge ward dort angebracht, wohin ein bestimmter Strahl fallen sollte, um eben diesen Strahl aufzunehmen. Wir sprechen uns immer nur halb aus und schämen uns der göttlichen Idee, die jeder von uns darstellt. Wir könnten uns ruhig auf sie verlassen, sie ist schon gut und führt zu glücklichen Zielen, wenn wir sie nur getreulich mitteilen wollten; aber durch Feiglinge will Gott seine Werke nicht offenbar machen. Der Mensch fühlt sich gehoben und fröhlich, wenn er sein Herz in ein Werk gethan und sein Bestes gegeben hat; aber was er anders gesagt und gethan, gewährt ihm keinen Frieden. Es ist eine Befreiung, die nicht befreit. Im Versuche selbst läßt sein Genius ihn im Stich, die Muse weicht von ihm, kein Einfall, keine Hoffnung kommt ihm zu Hilfe.

Vertraue dir selbst! Jedes Herz vibriert mit dieser eisernen Saite. Nimm den Platz hin, den die göttliche Vorsehung für dich ausgesucht hat, die Gesellschaft deiner Zeitgenossen, die Kette der Ereignisse. Große Männer haben immer so gethan und sich wie Kinder dem Genius ihrer Zeit überlassen, hierdurch verratend, daß das, was ein so unsägliches Vertrauen verdiente, in ihren eigenen Herzen thronte, durch ihre Hände schuf, ihr ganzes Sein beherrschte. Und wir sind nun Männer und müssen uns im höchsten Sinne demselben transscendentalen Schicksal überlassen, nicht wie Unmündige und Invaliden im warmen Ofenwinkel, nicht wie Feiglinge, die vor Revolutionen flüchten, sondern als Führer, Wohlthäter und Erlöser, die dem allmächtigen Triebe gehorchen und durch Chaos und Dunkel vorwärtsschreiten.

Welch zierliche Erläuterungen zu diesem Text giebt uns die Natur im Angesichte und Betragen der Kinder und selbst der Tiere! Ihr Geist ist noch nicht rebellisch und in sich zerrissen; sie kennen das Mißtrauen gegen das Gefühl nicht, das uns lähmt, weil unsere Rechenkunst die Kräfte und Hindernisse, die sich unseren Zwecken entgegenstellen, abgemessen hat. Ihr Geist ist noch ein Ganzes, ihr Auge unbezwungen, und wenn wir ihnen ins Antlitz schauen, werden wir verlegen. Das Kind paßt sich niemandem an, alle fügen sich in seine Art, sodaß ein Baby gewöhnlich vier oder fünf aus den Erwachsenen macht, die mit ihm schwätzen und spielen. So hat Gott Kindheit, Jugend und Mannheit, jede mit ihrem eigenen Reize ausgestattet, und beneidenswert und anmutig gemacht, sodaß ihre Ansprüche nicht zurückgewiesen werden können, wenn sie sich auf sich selbst stützen. Glaubt nur nicht, daß der Junge machtlos ist, weil er mit unsereinem nicht reden kann. Hört nur, im nächsten Zimmer ist seine Stimme klar und sicher genug. Mit seinen Altersgenossen weiß er offenbar zu reden. Schüchtern oder keck wird er uns Erwachsene dort höchst überflüssig machen.

Die Gleichmütigkeit von Knaben, die ihres Mittagessens gewiß sind, und die es ebensosehr, wie ein Fürst, verschmähen würden, auch nur das geringste zu thun oder zu sagen, um sich eins zu verschaffen, – das ist die gesunde Haltung der menschlichen Natur. Ein Bub im Salon ist wie der Olymp im Theater, unabhängig und unverantwortlich schaut er die Leute und Dinge, die ihm vor die Augen kommen, untersucht und beurteilt sie in der raschen summarischen Art der Kinder als gut oder schlecht, interessant oder dumm, unterhaltend oder lästig. Er kümmert sich nicht um Folgen und Interessen und fällt ein unabhängiges und wahrhaftes Urteil. Ihr müßt euch um ihn bemühen, er bemüht sich nicht um euch. Der erwachsene Mensch aber liegt in den Banden des Bewußtseins und der Reflexion. Sobald er einmal etwas gethan oder gesprochen, was die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn zieht, ist er gleichsam ein Arrestant, die Sympathie oder der Haß von Hunderten begleiten seinen Weg, und er muß mit ihren Gefühlen rechnen. Dafür giebt es keine Lethe. Ja wenn man sich wieder in seine Neutralität zurückziehen könnte! Wer alle Verpflichtungen vermeiden könnte, und nachdem er einmal beobachtet, weiter beobachten könnte, mit derselben unbefangenen, freien, unbestechlichen und unerschrockenen Unschuld, müßte immer furchtbar sein. Er könnte Meinungen äußern über alles, was da geschieht; jeder würde fühlen, daß sie von keinem Interesse beeinflußt, keine Privatmeinungen, sondern allgemeine notwendige Wahrheit sind; seine Aussprüche würden wie Pfeile in die Ohren der Menschen dringen und sie mit Furcht erfüllen.

Dies sind die Stimmen, die wir in der Einsamkeit hören, aber sie werden schwach und unhörbar, sobald wir in das Weltgewühl treten. Die Gesellschaft ist überall gegen die Mannheit jedes ihrer Mitglieder verschworen. Die Gesellschaft gleicht einer Aktiengesellschaft, deren Mitglieder, um jedem Aktionär sein tägliches Brot zu sichern, übereingekommen sind, die Freiheit und selbständige Ausbildung jedes Brotessers zu opfern. Ihre gesuchteste Tugend ist Konformität. Selbständigkeit ist ihr verhaßt. Sie liebt nicht Wirklichkeiten und Schöpfer, sondern Gebräuche und Namen.

Wer da ein Mann sein will, muß ein Dissident sein. Wer Unsterbliches erringen will, der darf sich durch das Wort »gut« nicht beeinflussen lassen, sondern muß prüfen, was wirklich gut ist. Zuletzt ist nichts heilig als die Integrität des eigenen Geistes. Sprich dich selber los, und du wirst die Stimme der Welt haben. Ich erinnere mich einer Antwort, die ich als junger Bursch beinahe unwillkürlich einem geschätzten Ratgeber gab, der mich mit den lieben alten Lehren der Kirche zu quälen pflegte. Als ich nämlich sagte: »Was hab' ich mit der Heiligkeit der Tradition zu thun, wenn ich ganz nach den Geboten meines Innern lebe?« meinte mein Freund: »Aber diese Impulse können leicht vom Bösen und nicht von oben kommen!« und ich erwiderte: »Es scheint mir nicht, daß dies der Fall ist, aber wenn ich des Teufels Kind bin, dann will ich auch nach des Teufels Geboten leben!« Kein Gesetz kann mir heilig sein, als das meiner eigenen Natur. »Gut« und »schlecht« sind nur Namen, die man leicht auf dies und jenes übertragen kann. Recht ist einzig und allein, was meinem Wesen entspricht, unrecht nur, was ihm widerspricht. Ein Mann muß sich selbst aller Opposition zum Trotz durchsetzen; als ob alles außer ihm nur ein Schein- und Eintagsleben führen würde. Es ist eine Schande, wie leicht wir vor Namen und Ordenszeichen, vor Gesellschaften und toten Institutionen kapitulieren. Jedes anständige und gutbeleumundete Individuum bestimmt und beeinflußt mich mehr als recht ist. Ich sollte aufrecht und lebenskräftig einhergehen und die rauhe Wahrheit auf allen Wegen sprechen. Wenn Bosheit und Eitelkeit das Gewand der Philanthropie anlegen – soll ihnen das durchgehen? Wenn ein ärgerlicher Mucker die schöne Sache der Sklavenbefreiung in die Hand nimmt und mir mit den letzten Nachrichten von Barbados daherkommt, warum soll ich ihm nicht sagen: »Geh und liebe deine Kinder, liebe die Leute, die das Holz für dich hacken, sei freundlich und bescheiden und sei froh, wenn diese Gnade dir zu teil wird, und verbräme deinen harten lieblosen Ehrgeiz nicht mit dieser unglaublichen Liebe für schwarze Menschen, die tausend Meilen von dir entfernt sind!« Rauh und unlieblich würde ein solcher Gruß allerdings klingen, aber die Wahrheit ist besser, als diese Liebesheuchelei. Auch die Güte muß eine gewisse Schärfe haben, sonst ist sie keine. Wenn die Lehre der Liebe jammert und winselt, dann muß die des Hasses als Gegengift gepredigt werden. – Ich fliehe Vater und Mutter, Weib und Kind, wenn mein Genius ruft – »Laune!« möchte ich über meine Thür schreiben. Innerlich hoffe ich wohl, es ist etwas Besseres wie Laune, aber ich kann meine Zeit nicht mit Erklärungen verlieren. Verlangt nur nicht, daß ich euch meine Gründe sage, warum ich Gesellschaft suche oder fliehe. Und erzählt mir nicht, wie heute ein guter Mann gethan, daß ich verpflichtet sei, die Lage aller armen Leute zu verbessern. Sind sie meine Armen? Ich sage dir, du thörichter Philanthrop, daß ich mit dem Thaler, dem Groschen, dem Pfennig geize, wenn ich ihn Leuten geben soll, die so wenig zu mir gehören wie ich zu ihnen. Es giebt eine Klasse von Menschen, denen ich durch alle geistige Wahlverwandtschaft verkauft und zu eigen bin – für sie will ich im Zuchthaus sterben, wenn es sein muß; aber eure verschiedentlichen Wohlthätigkeitsvereine, eure Schulen für Cretins; eure Vereinsbauten für den eiteln Zweck, dem so viele jetzt nachjagen; Almosen für Säufer und die tausendfachen Unterstützungsvereine – ob ich gleich zu meiner Schande gestehen muß, daß ich manchmal unterliege und den Thaler hergebe – es ist ein übelverwendeter Thaler, und ich werde mit der Zeit Manns genug werden, ihn zu verweigern.

Tugenden sind – nach der gewöhnlichen Meinung – eher die Ausnahme als die Regel. Man kennt den Menschen und seine Tugenden. Die Menschen vollbringen eine sogenannte gute That wie irgend ein Kraftstück oder ein Almosen, ungefähr wie sie ein Pönale für das Ausbleiben von der Parade zahlen würden. Sie thun ihre Werke gleichsam als eine Entschuldigung und Sühne ihres gewöhnlichen Lebens, sowie Kranke und Irrsinnige ein hohes Kostgeld zahlen. Ihre Tugenden sind Strafgelder. Ich aber will nicht sühnen, ich will leben. Und ich lebe fürs Leben und nicht für den Schein. Und ich will lieber ein Leben in bescheidener Niedrigkeit, aber echt und gleichmäßig als ein glänzendes und haltloses Leben führen. Ich will es gesund und wohlig, – und nicht Diät halten und jeden Augenblick Aderlassen müssen. Ich will auf den ersten Blick erkennen, daß einer ein Mann ist und verweigere die Berufung vom Menschen an seine Thaten. Ich für meine Person weiß, daß es ganz gleichgiltig ist, ob ich die Handlungen, die man für vortrefflich hält, ausführe oder unterlasse. Ich kann mich nicht dazu verstehen, für ein Privilegium zu zahlen, auf das ich ein natürliches Recht habe. Gering und ärmlich mögen meine Gaben sein, aber ich bin, wie ich bin, und brauche kein Amtszeugnis zu meiner und meiner Mitmenschen Gewißheit.

Mich kümmert einzig, was ich zu thun habe, nicht was die Leute denken. Diese Regel, gleich schwer zu befolgen im wirklichen wie im geistigen Leben, macht den ganzen Unterschied zwischen Größe und Gemeinheit aus. Sie ist um so schwerer, weil sich immer Leute finden, die da besser zu wissen meinen, was deine Pflicht ist, als du selbst. Es ist leicht, in der Welt nach der Meinung der Welt zu leben, es ist in der Einsamkeit leicht, nach seiner eigenen zu leben, – aber der große Mensch ist der, welcher inmitten der Menge, ohne zu streiten, die Unabhängigkeit der Einsamkeit zu bewahren weiß.

Der Grund, weshalb wir uns Gebräuchen, die für uns tot sind, nicht fügen dürfen, liegt darin, daß wir unsere Kräfte damit vergeuden. Wir verlieren mit ihnen unsere Zeit und sie verwischen das Bild unseres Charakters. Wenn du eine tote Kirche aufrecht erhältst, einer toten Bibelgesellschaft beisteuerst, mit einer großen Partei für oder gegen die Regierung stimmst, offene Tafel hältst, wie so viel niederträchtiges Volk, – wie soll ich unter all diesen Schalen den Kern deines Wesens entdecken? All die Kraft, die du auf diese Erbärmlichkeiten verwendest, wird dem wirklichen Leben entzogen. Aber thu dein Werk, und man wird dich kennen. – Thu dein Werk und neue Kräfte werden dich durchströmen. Jede männliche Seele sollte bedenken, was für ein Blindekuh-Spiel die gesellschaftliche Gleichförmigkeit ist. Wenn ich die Sekte kenne, der einer angehört, weiß ich auch schon, was er denkt. Ein Prediger kündigt an, er werde heute über die Zweckmäßigkeit einer Institution seiner Kirche sprechen. Weiß ich nicht voraus, daß er unmöglich ein neues und ursprüngliches Wort sagen kann? Weiß ich nicht voraus, daß, so sehr er sich den Anschein giebt, die Gründe der betreffenden Institution zu prüfen, er das durchaus nicht thun wird? Weiß ich nicht voraus, daß er vor sich selbst gebunden ist, die Sache nur von einer Seite anzuschauen, von der ihm erlaubten Seite, nicht als Mensch, sondern als Geistlicher? Er ist ein bestellter Anwalt, und das Pathos der Advokaten ist die leerste Heuchelei. Nun wohl, die meisten Menschen haben ihre Augen mit dem einen oder anderen Tuche verbunden und sich einer der landläufigen Meinungen angeschlossen. Diese gesellschaftliche Orthodoxie hat zur Folge, daß sie nicht etwa in einigen Einzelheiten falsch werden, einige wenige Lügen mitmachen, sondern sie werden durch und durch verfälscht. Keine Wahrheit, die von ihnen ausgeht, ist ganz wahr. Ihr Zwei ist nicht das richtige Zwei, ihr Vier nicht das richtige Vier, sodaß jedes Wort, das sie sprechen, uns verstimmt, und wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen, sie zu berichtigen. Und die Natur säumt nicht, uns die Sträflingsuniform der Partei, der wir angehören, anzumessen, wir kommen mit der Zeit dahin, alle ein und dasselbe Gesicht zu schneiden und gewinnen allmählich einen sanften eselhaften Ausdruck. Eine ärgerliche Erfahrung dieser Art, die sich sogar in die Weltgeschichte eingeschlichen hat, macht jeder, ich meine das »blöde Beifallslächeln« das gezwungene Lächeln, das wir in einer Gesellschaft aufstecken, in der wir uns nicht wohl fühlen, mit dem wir ein Gespräch beantworten, das uns nicht interessiert. Die Gesichtsmuskeln, nicht willkürlich, sondern von einer die Herrschaft an sich reißenden Unterströmung des Willens bewegt, verzerren sich mit dem unangenehmsten Gefühle.

Den Dissidenten geißelt die Welt mit ihrem Mißfallen. Und darum muß ein Mann wissen, wie hoch er ein saures Gesicht anzuschlagen hat. Die Umstehenden sehen ihn scheel an auf den Straßen und im Salon des Freundes. Wenn diese Abneigung einer Verachtung und einem Widerstande entspringen würde die seinem eigenen gleichen, dann hätte er allerdings Grund, mit traurigem Gesichte nach Hause zu gehen; aber die scheelen Gesichter der Menge haben so wenig als die freundlichen einen tieferen Grund, sondern werden angenommen und abgelegt, je nachdem der Wind bläst oder die Zeitung befiehlt. Und doch ist die Unzufriedenheit der Menge fürchterlicher als die des Parlaments und der Fakultäten. Für einen festen Mann, der die Welt kennt, ist es gar nicht so schwer, der Wut der gebildeten Stände zu trotzen. Ihre Wut ist anständig und behutsam, sie sind sehr vorsichtig, denn sie wissen zu gut, wie leicht verwundbar sie selbst sind. Aber wenn zu ihrer ohnmächtigen weiblichen Wut die Empörung des Volkes hinzutritt, wenn die Armen und Unwissenden aufgereizt werden, wenn die sinnlose brutale Kraft, die im Grunde der menschlichen Gesellschaft ruht, zu knurren und das Maul zu verzerren beginnt, dann bedarf es sicherer Gewöhnung in Hochherzigkeit und Religion, um es wie ein Gott als unbedeutende Kleinigkeit zu betrachten.

Ein anderer Popanz, der uns von selbständigem Handeln abschreckt, ist die Konsequenz; eine sonderbare Ehrfurcht vor unseren vergangenen Worten und Thaten, weil die Augen der anderen keine anderen Daten haben, um unsere Bahn zu berechnen, als diese, und wir sie nicht gern enttäuschen mögen.

Aber warum sollen wir denn ewig den Kopf über die Schulter zurückdrehen? Warum diesen Leichnam im Gedächtnis mit dir schleppen, damit du nur ja nie dem widersprichst, was du einmal da oder dort an öffentlichem Orte gesagt hast. Und wenn du dir einmal widersprichst, was ist denn dran? Es ist eine alte Weisheitsregel, sich nie auf sein Gedächtnis allein zu verlassen, selbst dort nicht, wo es bloß aufs Gedächtnis ankommt – sondern immer die Vergangenheit vor den Richterstuhl der tausendäugigen Gegenwart zu bringen und stets in neuen Tagen zu leben. – In deiner Metaphysik hast du der Gottheit die Persönlichkeit abgesprochen; – wenn aber eines Tages eine inbrünstige Frömmigkeit deine Seele ergreift und erfüllt – gieb ihr mit ganzer Seele nach und laß sie deinen Gott immerhin mit Gestalt und Farbe bekleiden. Laß deine Theorie, wie Josef seinen Mantel in den Händen der Hure, und fliehe! –

Eine unvernünftige Konsequenz ist der Plagegeist und das Schreckgespenst aller kleinen Geister, angebetet von den kleinen Staatsmännern, Philosophen und Geistlichen. Mit Konsequenz hat eine große Seele einfach nichts zu thun. Ebenso wichtig wäre es, sich um seinen Schatten an der Wand zu kümmern. Sprich, was du heute denkst, in harten Worten, und morgen sprich, was du morgen denkst, wieder in harten Worten, und wenn du jedes Wort des heut Gesprochenen widerrufen müßtest. – »Ja, aber dann wirst du sicherlich mißverstanden werden.« – Ist es denn so schlimm, mißverstanden zu werden? Pythagoras wurde mißverstanden und Sokrates und Jesus und Luther und Copernicus und Galileo und Newton und jeder reine und weise Geist, der hienieden jemals zu Fleisch ward. Groß sein heißt mißverstanden werden.

Ich meine, kein Mensch kann seiner Natur Gewalt anthun. Alle Seitensprünge seines Willens sind vom Gesetz seines Wesens eingerundet, wie die Ungleichheiten der Anden und des Himalaya an der Erdkurve verschwinden. Auch ist es gleichgiltig, wie du ihn aichen und erproben magst. Ein Charakter ist wie ein Akrostichon oder eine Alexandrinische Strophe: vorwärts, rückwärts, über quer gelesen, giebt sie immer denselben Wortlaut. In diesem lieblichen bescheidenen Waldleben, das Gott mir gewährt, will ich Tag für Tag meine ehrlichen Gedanken aufzeichnen ohne vorwärts noch rückwärts zu schauen; und ich zweifle nicht, sie werden harmonisch erscheinen, ohne daß ich's will noch weiß. Mein Buch muß vom Dufte der Pinien erfüllt sein und vom Summen der Insekten wiedertönen. Die Schwalbe über meinem Fenster soll den Strohhalm in ihrem Schnabel in das Gewebe meines Geistes schlingen. Wir gelten für das, was wir sind. Über den Kopf unseres Wollens hin offenbart sich unser Charakter. Die Menschen bilden sich ein, daß sie ihre Tugenden und Fehler nur durch offene Handlungen zur Kenntnis bringen, – und merken nicht, daß Tugend und Fehler mit jedem Atemzuge sich verraten.

In den denkbar verschiedensten Handlungen muß Übereinstimmung herrschen, wenn nur jede zu ihrer Stunde ehrlich und natürlich ist, denn die Handlungen eines Willens müssen harmonisch sein, wie ungleich sie auch scheinen. In einer kleinen Entfernung, bei einer gewissen Höhe des Gedankens verliert man die Verschiedenheiten aus dem Gesichte. Eine Richtung vereint alle, die Fahrt des besten Schiffes ist eine Zickzacklinie mit hundert Zacken. Betrachtet man die Linie aus einer genügenden Entfernung, so streckt sie sich zu einer geraden, welche der Durchschnittsrichtung entspricht. Jede aufrichtige That erklärt sich selbst und wird auch all deine anderen aufrichtigen Thaten erklären. Damit daß du so thust, wie die anderen thun, erklärst du nichts. Handle selbständig und was du bereits selbständig gethan, wird dich heute rechtfertigen. Größe appelliert an die Zukunft. Wenn ich heute fest genug bin, recht zu thun und den Augen zu trotzen, so muß ich schon so viel recht gethan haben als genug ist, mich heute zu verteidigen. Sei dem übrigens wie immer, – thu heute recht! Trotze immer dem Schein und du darfst ihm immer trotzen! Die Kraft des Charakters ist eine kumulative. Alle rechtschaffenen Tage der Vergangenheit teilen dem heutigen ihre Gesundheit mit. Woher kommt die Majestät der Helden des Senats und des Schlachtfeldes, die unsere Einbildungskraft gefangen nimmt? Von dem Bewußtsein, daß ein ganzer Zug großer Tage und Siege ihren Schritten folgt. Wie eine Aureole leuchten ihre vereinigten Strahlen um das Haupt des vorschreitenden Helden. Sie geben ihm wie eine sichtbare Schar von Engeln das Geleit. Das ist es, was Chathams Stimme dem Donner gleich macht, was Washingtons Betragen mit Würde erfüllt, und Amerika aus Adams' Auge leuchten macht. Ehre flößt uns Ehrfurcht ein, weil sie keine Eintagserscheinung ist. Sie ist immer altbewährte Tüchtigkeit. Wir ehren sie heute, weil sie nicht von heute ist. Wir lieben sie und huldigen ihr, weil sie unserer Liebe und Huldigung keine Fallen stellt, sondern nur von sich selbst abhängig, sich selbst entsprossen ist, und darum, auch wo sie dem Jüngsten zu teil wird, einen alten unbefleckten Stammbaum hat.

Ich hoffe, wir haben in diesen Tagen von Konformität und Konsequenz zum letzten mal reden gehört. Die Worte sollen von nun an an den Pranger gestellt und lächerlich gemacht werden. Anstatt des Gongs, das uns zum Mittagessen ruft, müssen wir den Ton der spartanischen Kriegspfeife vernehmen. Wir müssen damit aufhören, uns zu verbeugen und zu entschuldigen. – Ein großer Mann kommt heute, um in meinem Hause zu speisen. Ich begehre nicht ihm zu gefallen, ich begehre, daß er mir zu gefallen wünsche. Ich will die Menschheit vor ihm vertreten, und ob ich es gleich gütig thun möchte, vor allem will ich es wahr thun. Wir müssen die glatte Mittelmäßigkeit und schäbige Zufriedenheit der Zeit beleidigen und zurückweisen – und der guten Sitte, dem Handel, dem Comptoir die Thatsache ins Gesicht schleudern, die das Resultat der ganzen Weltgeschichte ist: daß ein großer Verantwortlicher Denker und Thuer schafft, wo immer ein Mensch schafft, daß ein wahrer Mensch keiner anderen Zeit und Raum angehört, sondern das Centrum aller Dinge ist. Wo er ist, da ist die Natur. Er mißt dich und alle Menschen und alle Ereignisse. Gewöhnlich erinnert uns jede Person in der Gesellschaft an irgend etwas anderes oder an irgend eine andere Person. Nur Charakter und Realität erinnern an nichts anderes, sie nehmen die ganze Schöpfung ein. Der Mensch muß so viel sein, daß er Lage, Umstände und Umgebung gleichgiltig macht. Jeder wahre Mensch ist eine Kausalität, ein Land, ein Zeitalter; braucht unendlich viel Raum und Zeit und Zahlen um seine Pläne ganz zu realisieren; – und die Nachwelt scheint seinen Schritten wie ein Klientenzug zu folgen. Der Mensch Cäsar wird geboren und durch Jahrhunderte nachher haben wir ein römisches Kaiserreich. Christus wird geboren und Millionen von Seelen klammern und heften sich so an seinen Geist, daß er mit dem Guten und Menschenmöglichen selbst verwechselt wird. Jede Institution ist der verlängerte Schatten eines einzigen Menschen: das Mönchstum der des Eremiten Antonius; die Reformation der Luthers; des Quäkertum Foxs; der Methodismus Wesleys, die Sklavenbefreiung der Clarksons. Milton nannte Scipio den »Gipfel Roms«; und die ganze Weltgeschichte löst sich mit Leichtigkeit in die Biographien einiger weniger kraftvoller und ernster Gestalten auf.

Darum soll der Mensch seinen Wert kennen und die Welt zu seinen Füßen niederhalten; und in dieser Welt, die für ihn da ist, nicht ängstlich gucken, und sich herumstehlen und schleichen wie ein Bettelknab', oder ein Schleichhändler, oder ein Findelkind. Leider fühlt sich der Mensch in der Straße, wenn er zu Türmen und marmornen Götterbildern emporblickt, gedemütigt, weil er in sich keinen Wert fühlt, welcher der Kraft, die diese geschaffen, entspräche. Paläste, Bildsäulen und kostbare Bücher sehen ihn fremd und gebieterisch an, ungefähr wie eine prunkvolle Einrichtung und scheinen ihn wie diese zu fragen: Wer sind Sie eigentlich mein Herr? Und doch sind sie alle sein, bitten ihn, sie zu bemerken, wenden sich an seine Fähigkeiten, sich hervorzubemühen und von ihnen Besitz zu ergreifen. Jedes Bild wartet auf mein Urteil; es hat mir nichts vorzuschreiben, ich bin es, der seinen Anspruch auf Lob oder Tadel festzustellen hat. Das beliebte Märchen von dem betrunkenen Bettler, der vollgesoffen in der Straße aufgepackt, in das Haus des Herzogs gebracht, daselbst gewaschen und gekleidet, in des Herzogs eigenes Bett gelegt und beim Erwachen mit all der unterthänigen Feierlichkeit wie der Herzog selbst behandelt, und dem versichert wurde, daß er bisher wahnsinnig gewesen, verdankt seine Volkstümlichkeit dem Umstand, daß es den Zustand des Menschen so wunderbar symbolisiert, der in der Welt wie ein Trunkener wandelt und hier und da aufwacht, zu klarer Besinnung kommt und erkennt, daß er ein Fürst im vollsten Sinne des Wortes ist.

Unsere Lektüre ist bettelhaft und schmarotzend. In der Geschichte sind wir die Narren unserer Phantasie. Königtum und Lordschaft, Macht und Staat sind freilich pomphaftere Worte als die einfachen Namen Hans und Eduard in bescheidenen Häusern und bei gewöhnlicher Tagesarbeit. Aber das Leben ist für beide dasselbe – die Gesamtsumme beider ist die gleiche. Wozu all diese Rücksicht für Alfred und Gustav und Skanderbeg? Angenommen, sie waren brave Leute, ist alle Bravheit mit ihnen heimgegangen? Bei dem unbeachteten Schritt, den du heute thun sollst, steht ein ebenso großer Einsatz auf dem Spiele, als ihrem öffentlichen und berühmten Schritte folgte. – Wenn Privatleute erst mit selbständigen Zielen handeln werden, dann wird der Glanz, der heute die Handlungen der Könige umgiebt, auf die des einfachen Gentleman übertragen werden.

Die Welt ist durch ihre Könige, die die Augen der Nationen so magnetisiert haben, belehrt worden. An diesem kolossalen Symbol lernte sie die gegenseitige Ehrfurcht, die der Mensch dem Menschen schuldig ist. Die fröhliche Loyalität, mit der die Menschen es überall gelitten haben, daß der König, der Edle, der Reiche nach seinen eigenen Gesetzen unter ihnen wandelte, sein eigenes Maß an Menschen und Dinge legte und das ihre umstieß, für Vorteil und Dienste nicht mit Gold, sondern mit Ehren zahlte und das Gesetz in seiner eigenen Person verkörperte, war das hieroglyphische Zeichen, mit welchem sie das Bewußtsein ihres eigenen Adels und Rechtes, das Recht jedes einzelnen Menschen, dunkel andeuteten.

Die magnetische Wirkung, die alles selbständige Handeln auf uns ausübt, erklärt sich, sobald wir nach dem Grunde des Selbstvertrauens forschen. Wem traut man eigentlich, wenn man sich selbst vertraut? Was ist jenes Ur-selbst, auf das ein allgemeines Vertrauen und Weltberuhen gegründet werden kann? Welche Natur, welche Kraft besitzt jener Stern ohne Parallaxe, ohne berechenbare Elemente, der aller Wissenschaft spottet, und doch mit einem Strahl von Schönheit selbst ganz gewöhnliche, ja unreine Handlungen verklärt, sobald sich nur die geringste Spur von Unabhängigkeit darin offenbart? Die Forschung führt uns zu jener Quelle, die zugleich die Quintessenz des Genies, der Sittlichkeit und des Lebens ist, die wir Ursprünglichkeit oder Instinkt nennen. Wir bezeichnen dieses primäre Wissen als Intuition, während alle spätere Erkenntnis auf Beobachtung und Belehrung beruht. Aus dieser geheimnisvollen Kraft, dieser letzten Thatsache, hinter die unsere Forschung nie gelangen kann, nehmen alle Dinge ihren gemeinsamen Ursprung. Denn das Gefühl des Seins, das in unserer Seele, wir wissen nicht wie, in stillen Stunden auftaucht, ist nicht unterschieden von Raum und Zeit, vom Licht, vom Menschen und von den Dingen, sondern eins mit ihnen und strömt offenbar aus derselben Quelle, aus der auch ihr Leben und Dasein quillt. Erst teilen wir das Leben, durch das die Dinge existieren, später sehen wir sie als Erscheinungen der Natur und vergessen, daß wir teil an ihrem Grunde haben. Hier liegt die Quelle alles Thun und Denkens. Von hier strömt jene Inspiration, die dem Menschen Weisheit verleiht und die zu leugnen (die wahre) Irreligiosität und Atheismus ist. Wir ruhen im Schoße eines unendlichen Geistes, der uns zu Gefäßen seiner Wahrheit und Werkzeugen seiner Thätigkeit macht. Wenn wir etwas als recht, als wahr erkennen, dann handeln nicht wir, sondern wir gewähren nur seinen Strahlen den Durchgang. Wenn wir fragen, woher dies kommt, wenn wir nach der Ur-Seele, die der letzte Grund der Dinge ist, spähen, erweist alle Philosophie sich ohnmächtig. Ihr Dasein oder Nichtdasein ist alles, was wir bestätigen können. Jeder Mann unterscheidet zwischen den willkürlichen Handlungen seines Geistes und seinen unwillkürlichen Wahrnehmungen, und weiß, daß die letzteren den vollkommensten Glauben verdienen. Man kann in der Wiedergabe derselben irren, aber jeder weiß, daß sie unbestreitbar sind wie Tag und Nacht. Meine willkürlichen Handlungen und Erlernungen sind höchst unsicher; – aber die müßigste Träumerei, die leiseste ursprüngliche Regung macht mich aufmerksam und neugierig. Gedankenlose Leute sind ebenso geneigt, Wahrnehmungen zu widersprechen wie Meinungen, ja noch viel geneigter, denn sie unterscheiden nicht zwischen Wahrnehmungen und Ideen. Sie meinen, daß ich dies oder jenes sehen will. Aber Wahrnehmungen sind unvermeidlich und hängen nicht von Wunsch oder Laune ab. Wenn ich eine Sache sehe, so werden meine Kinder sie nach mir sehen, und im Laufe der Zeit alle Welt – obgleich vielleicht keiner sie vor mir gesehen. Denn daß ich sie wahrgenommen, ist eine so feststehende Thatsache wie die Sonne.

Die Beziehungen der Seele zum göttlichen Geiste sind so rein, daß jeder Versuch, Vermittler einzuschieben, wie eine Profanation erscheint. Wenn Gott spricht, kann er nicht eins mitteilen, sondern alles; muß die Welt mit seiner Stimme erfüllen; Licht, Natur, Zeit und Seelen aus dem Mittelpunkte des gegenwärtigen Gedankens ausstreuen; neu die Schöpfung schaffen und einen neuen ersten Tag. Wenn die einfältige Seele göttliche Weisheit empfängt, dann schwindet alles Alte, – Mittel, Lehrer, Bücher, Tempel fallen; der Augenblick ist Leben; Zukunft und Vergangenheit schließt die gegenwärtige Stunde ein. Alles heiligt die Beziehung. Alle Dinge lösen sich auf zu ihrem Centrum in dem Dinge, das sie schuf, und in dem allumfassenden Wunder verschwinden all die kleinen Einzelwunder. Wenn daher ein Mensch vorgiebt, von Gott zu wissen und zu sprechen und euch zu den Redensarten einer alten vermoderten Nation, in eine andere Zeit, eine andere Welt zurückführt, glaubet ihm nicht! Ist die Eichel besser als die Eiche, die ihre Erfüllung und Vollendung ist? Ist der Erzeuger besser als das Kind, in das er sein gereiftes Wesen übertragen? Woher also dieser Kultus des Vergangenen? Die Jahrhunderte sind Verschwörer gegen die Gesundheit und Autorität des Geistes. Raum und Zeit sind nur physiologische Farben, die das Auge schafft; der Geist ist Licht; wo er ist, ist Tag; wo er war, ist Nacht; und die Geschichte ist eine anmaßende Beleidigung, wenn sie mehr als eine heitere Apologie oder Parabel meines Seins und Werdens ist.

Der Mensch ist furchtsam und bittet beständig um Verzeihung. Er geht nicht mehr aufrecht einher und getraut sich nicht zu sagen: »Ich denke,« »Ich bin,« sondern citiert irgend einen Heiligen oder Weisen. Der Grashalm und die blühende Rose beschämen ihn. Die Rosen unter meinem Fenster berufen sich nicht auf frühere Rosen oder bessere; sie geben sich als das, was sie sind; sie leben heute mit Gott. Sie kennen keine Zeit, sie sind Rosen, vollkommen in jedem Augenblick ihres Daseins. Ehe die Blattknospe sprang, war ein volles Leben thätig; in der reichen Blüte ist nicht mehr, im entblätterten Strauch nicht weniger. Sie ist befriedigt und befriedigt die Natur in jedem Augenblick ihres Daseins. Aber der Mensch verschiebt oder gedenkt; er lebt nicht in der Gegenwart, sondern klagt zurückgewendeten Auges um die Vergangenheit, oder stellt sich, unbekümmert um die Schätze, die ihn umgeben, auf die Fußspitzen, um die Zukunft zu erspähen. Und er kann nicht eher stark und glücklich sein, als bis auch er im Bunde mit der Natur im Augenblick ein zeitloses Dasein führt.

Das sollte klar genug sein. Und dennoch, es ist zum Staunen, welch starke Geister noch immer nicht Gott selbst zu hören wagen, wenn er nicht die Sprache irgend eines David, Jeremias oder Paulus spricht. Die Zeit wird kommen, wo wir diesen wenigen Texten und Personen keinen so großen Wert mehr beilegen werden. Wir gleichen Kindern, die die Weisheitssprüchlein ihrer Großmütter und Lehrer nachleiern; wenn sie älter werden, diejenigen bedeutender Menschen, die sie zufällig gelernt haben, – immer ängstlich bemüht, den genauen Wortlaut im Kopfe zu behalten. Spät erst, wenn sie zu den Gesichtspunkten jener gelangen, welche diese Maximen aufstellten, geht ihnen der Sinn auf und sie lassen die Worte fahren, denn nun können sie die entsprechenden Worte ebensogut allein finden. Wenn wir richtig leben, werden wir richtig schauen. Es ist für den Starken ebenso leicht, stark zu sein, wie für den Schwachen, schwach. Wer selbst stets Neues aufnimmt, kann sein Gedächtnis leicht der angehäuften Schätze wie von ebensoviel angehäuftem Plunder entlasten. Wenn ein Mensch mit Gott lebt, wird seine Stimme süß klingen wie das Murmeln des Baches und das Rauschen des Korns.

Und nun bleibt die höchste Wahrheit über dieses Thema zuletzt ungesagt und kann wohl gar nicht gesagt werden; denn alles, was wir sagen, ist nur entfernte Erinnerung an die Intuition. Der Gedanke, mit dem ich ihr am nächsten kommen kann, ist folgender: Wenn das Hohe dir nahe ist, wenn du Leben in dir hast, dann kommt es auf keinem bekannten oder gewohnten Wege: du wirst keine fremde Fußspur auf deinem Pfade finden, du wirst keines Menschen Antlitz sehen, du wirst keinen Namen hören: der Pfad, der Gedanke, das Hohe wird völlig fremd und neu sein. Es wird Beispielen und Erfahrungen widersprechen. Du mußt deinen Weg von den Menschen fort, nicht zu ihnen nehmen. Alle Personen, die je existierten, sind seine vergessenen Diener. Furcht und Hoffnung reichen nicht zu ihm hinauf. Selbst in der Hoffnung liegt etwas Niedriges. In der Stunde der Vision empfinden wir nichts, was Dankbarkeit, ja nichts, was eigentlich Freude genannt werden könnte. Die über alle Leidenschaften erhobene Seele schaut die Identität und ewigen Kausalzusammenhang, erfaßt und begreift die Selbstexistenz der Wahrheit und des Rechts, und wird immer ruhevoller in der Erkenntnis, daß alles wohl geordnet ist. Die weiten Räume der Natur, der Atlantische Ocean und die Südsee. die ungeheueren Zeiträume, Jahre und Jahrhunderte schwinden. Dies, was ich denke und fühle, lag jedem früheren Leben und Sein zu Grunde, wie es meinem jetzigen zu Grunde liegt, – so dem, was Leben genannt wird, wie dem, was Tod genannt wird.

Nur das Leben hat Wert, nicht das Gelebthaben. Im Augenblick der Ruhe hört alle Kraft auf. Sie existiert nur im Augenblick des Überganges aus einem Zustand in einen neuen, im Wirbel der Strömung, im Pfeile, der nach seinem Ziele fährt. Dies ist es, was die Welt haßt: das Werden des Geistes; denn es raubt der Vergangenheit allen Schimmer, wandelt Reichtum in Armut, Ehre in Schande, verwechselt den Heiligen mit dem Schurken, stellt Jesus und Judas Seite an Seite. Was schwatzen wir nur von Selbstvertrauen? So lange der Geist in uns ist, ist Kraft in uns, nicht vertrauend, sondern treibend und führend. Von Vertrauen sprechen ist nur eine arme, äußerliche Redensart. Besser wär's, von dem zu sprechen, was sicher ruht, weil es wirkt und schafft. Wer besser gehorchen kann als ich, übermeistert mich, und wenn er gleich keinen Finger rührte. Um ihn muß ich kreisen nach dem Gravitationsgesetz der Geister. Noch halten wir es für eine Redefigur, wenn wir von hervorragender Tugend sprechen. Wir haben noch nicht eingesehen, daß Tugend wirklich Höhe ist, und daß ein Mensch oder eine Schar von Menschen, die plastisch und für die ewigen Principien empfänglich sind, nach dem Naturgesetz alle Städte, Nationen, Könige, Reiche und Dichter niederreiten und überwältigen müssen, die es nicht sind.

Dies ist der letzte Schritt, zu dem wir hier wie überall so schnell gelangen: die Auflösung aller Dinge in das ewigheilige Eine. Selbst-Existenz ist das Attribut des Höchsten Grundes. Nach dem Grade, in dem sie niedrigeren Formen eigen ist, bildet sie das Maß alles Guten. Alle Dinge haben so viel reales Dasein, als sie sittliche Kraft besitzen: Handel, Hausführung, Jagd, Walfischfang, Krieg, Beredsamkeit, die Macht der Persönlichkeit – sind alle etwas und zwingen mir als Beweise der Gegenwart und wenn auch unreinen Wirkung dieser Kraft eine gewisse Achtung ab. Das gleiche Gesetz schafft in der Natur Erhaltung und Wachstum. In der Natur ist Kraft das wesentliche Maß des Rechts. Sie duldet nichts in ihren Reichen, was sich nicht selbst erhalten kann. Die Entstehung und das Reifen des Planeten, seines Gewichts und seiner Bahn, die Widerstandskraft des gebeugten Baumes, der sich vom Stoße des Sturmes erholt, die lebendigen Hilfsquellen jeder Pflanze und jedes Tieres sind ebensoviel Beweise und Äußerungen des sich selbst genügenden und darum selbstvertrauenden Geistes.

So strebt alles dem Mittelpunkt zu – laßt uns nicht umherirren! Laßt uns daheim beim Ur-Grunde bleiben! Laßt uns den eindringenden Schwarm von Menschen und Büchern und Institutionen durch die einfache Erklärung der göttlichen Wirklichkeit betäuben und mit Staunen füllen! Heißet die Eindringlinge die Schuhe von den Füßen ziehen, denn hier ist Gott! Unsere Einfalt soll sie richten und unsere Fügsamkeit in unser eigenes Gesetz sie lehren, wie arm Natur und Glück vor unseren angeborenen Schätzen sind.

Aber jetzt sind wir Pöbel. Der Mensch hat vor dem Menschen keine Ehrfurcht, noch fühlt sein Genius die Mahnung, daheim zu bleiben und aus dem inneren Ocean zu schöpfen, sondern geht umher und bettelt um einen Trunk Wassers aus den Krügen der anderen. Wir müssen allein gehen. Mir ist die schweigende Kirche vor dem Beginn der Messe lieber als die beste Predigt. Wie entfernt, wie kühl, wie keusch erscheinen die Menschen, wenn jeden ein Vorhof, ein Heiligtum umgiebt! So wollen wir immer bleiben. Müssen wir denn die Fehler unseres Freundes, unseres Weibes, Vaters oder Kindes annehmen, weil sie um denselben Herd mit uns sitzen oder vom selben Blute sein sollen? Alle Menschen sind von meinem Blut, und ich von dem aller Menschen. Dennoch will ich ihre Begehrlichkeit oder Narrheit nicht einmal so weit anerkennen, daß ich mich ihrer schäme. Aber deine Absonderung darf nicht nur mechanisch, sondern muß geistig sein – das heißt sie muß Erhebung sein. Zu Zeiten scheint die ganze Welt sich verschworen zu haben, dich mit gewichtigen Kleinigkeiten zu belästigen. Ein Freund, ein Klient, ein Kind, Furcht, Krankheit, Not und Mildthätigkeit, alle klopfen zugleich an die Thür deines Gemaches und rufen: »Komm zu uns!« – Aber du bleibe für dich und lasse dich nicht in ihre Verwirrung zerren. Nur durch schwächliche Neugier mache ich es den Menschen möglich, mich zu verstimmen. Kein Mensch kann mir nahe kommen, außer durch mein eigenes Thun. »Was wir lieben ist unser; aber durch Begierde berauben wir uns der Liebe.«

Und wenn wir uns nicht sogleich zum Heiligtum des Glaubens und Gehorsams emporschwingen können, so wollen wir wenigstens der Versuchung widerstehen, wollen uns in Kriegsrüstung werfen und wollen Thor und Wodan, Mut und Standhaftigkeit in unserer Sachsenbrust erwecken. In unseren glatten Zeiten heißt es da vor allem die Wahrheit sprechen. Diese erlogene Gastfreundlichkeit und erlogene Sympathie muß ein Ende haben. Du kannst nun nicht mehr so leben, wie es diese betrogenen Betrüger, die unseren Verkehr bilden, erwarten. Sprich zu ihnen: O Vater, o Mutter, o Weib, o Bruder, o Freund, ich habe mit euch bisher nach dem Scheine gelebt. Von nun an ist die Wahrheit mein Weg. Wisset, daß ich von nun an keinem Gesetz mehr gehorche, außer dem ewigen Gesetz. Ich will von keinem Bunde mehr wissen, ich will nur mehr euer Nachbar sein. Ich werde mich bemühen, meine Eltern zu erhalten, meine Familie zu ernähren, der keusche Gatte eines Weibes zu sein – aber all diese Pflichten muß ich auf einem neuen, ungewohnten Wege erfüllen. Ich kümmere mich um eure Sitte nicht. Ich muß ich selbst sein. Ich kann mich nicht länger für dich, oder für dich, opfern. Wenn ihr mich lieben könnt, wie ich bin, um so besser, wir werden beide um so glücklicher sein; wenn ihr mich nicht lieben könnt, so will ich mich dennoch bemühen, eure Liebe zu verdienen. Ich will meine Neigungen und Abneigungen nicht verbergen. Ich bin so fest überzeugt, daß alles Tiefe heilig ist, daß ich kühn vor Sonne und Mond das thun will, was immer mich innerlich erfreut und wozu mein Herz mich antreibt. Wenn du edel bist, will ich dich lieben; wenn du es nicht bist, will ich weder dich noch mich durch erheuchelte Aufmerksamkeiten beleidigen. Wenn du ein wahrer Mensch bist, aber einer anderen Wahrheit folgst als ich, so halte dich an deine Gefährten, ich will meine eigenen suchen. Ich thue dies nicht aus Selbstsucht, sondern in Demut und Wahrhaftigkeit. Es ist dein Interesse, wie meines und das aller Menschen, wie lange wir auch in Lügen gelebt haben mögen, von nun an in Wahrheit zu leben. Scheint dies heute hart? Du wirst es bald lieben, was dir deine Natur so gut, wie die meine mir, vorschreibt; und wenn wir beide der Wahrheit folgen, so wird sie uns beide zuletzt zum Heile führen. Ich werde dadurch meinen Freunden weh thun? Mag sein; aber ich kann nicht meine Kraft und Freiheit verkaufen, um ihre Empfindlichkeit zu schonen. Übrigens haben alle Leute vernünftige Augenblicke, manchmal wird jedem ein Einblick in die Region der ewigen Wahrheit gegönnt. Dann werden sie mich rechtfertigen und dasselbe thun.

Der Pöbel meint, daß du den allgemeinen Sittencodex verwirfst, weil du alle Sittengesetze verwirfst, – aus bloßem Antinomismus – und Menschen, die frech ihren Sinnen leben, werden ihren Lastern den Goldmantel der Philosophie umhängen. Aber das Gesetz liegt nicht in der Lust, sondern im Gewissen, und dies Gesetz bleibt. Es giebt zwei Beichtstühle, vor den einen oder den anderen müssen wir treten. Du kannst den Kreis deiner Pflichten erfüllen, indem du dich auf direktem oder indirektem Wege rechtfertigst. Du magst sehen, ob du deinen Beziehungen zu Vater und Mutter, Vetter und Nachbar, zur ganzen Stadt, zu Katz und Hund, Genüge gethan hast, ob einer von diesen dir einen Vorwurf machen kann. Aber ich kann diesen indirekten Maßstab auch fahren lassen und mich vor mir selber absolvieren. Ich stelle an mich meine eigenen ernsten Forderungen und habe einen vollkommenen Wirkungskreis. Ich verweigere gar vielen Dingen den Namen der Pflicht, die man gewöhnlich Pflichten nennt. Aber wenn ich nur mein eigenes Schuldbuch entlasten kann, dann kann ich mich vom allgemeinen Codex dispensieren. Wenn irgend ein Mensch glaubt, dieses Gesetz sei lax, so möge er versuchen, einen einzigen Tag lang seine Gebote zu erfüllen.

Und wahrlich, der Mann muß etwas Gottähnliches haben, der es wagen darf, die gemeinen Beweggründe der Menschen zu verwerfen und sich selbst sein eigener Zuchtmeister zu sein. Hoch muß sein Herz sein, treu sein Wille, klar sein Gesicht, auf daß er in vollem Ernste sich selbst Lehre, Gesellschaft und Gesetz sei, daß für ihn ein einfacher Vorsatz dasselbe bedeute, was die eiserne Notwendigkeit für andere ist.

Wer den gegenwärtigen Zustand dessen, was man vorzugsweise »die Gesellschaft« nennt, betrachtet, wird die Notwendigkeit dieser Ethik begreifen. Es ist, als ob Sehnen und Herz aus den Menschen gezogen wären; wir sind furchtsame, kleinmütige Winseler geworden. Wir fürchten uns vor der Wahrheit, wir fürchten uns vor dem Schicksal, wir fürchten uns vor dem Tod, und wir fürchten uns einer vor dem anderen. Unsere Zeit bringt keine großen und vollkommenen Persönlichkeiten hervor. Wir brauchen Männer und Weiber, die das Leben und die socialen Zustände neu schaffen, und müssen doch sehen, wie die meisten Naturen insolvent sind und nicht einmal ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können, einen Ehrgeiz haben, der mit ihrem wirklichen Können in gar keinem Verhältnis steht, und Tag und Nacht, unaufhörlich, betteln und borgen. Unser Hausführen ist bettelhaft, unsere Kunst, unsere Beschäftigungen, unsere Heiraten, unsere Religion haben nicht wir gewählt, sondern die Gesellschaft für uns. Wir sind Salonhelden. Wir scheuen das rauhere Schlachtfeld des Schicksals, auf dem allein die Kraft geboren wird.

Wenn unseren jungen Leuten der erste Versuch mißglückt, verlieren sie allen Mut. Wenn ein junger Kaufmann falliert, sagen die Leute: »Der Mann ist zu Grunde gegangen!« Wenn der begabteste Kopf, der an einer unserer Universitäten studiert hat, nicht ein Jahr später in einem Amt in Boston oder Newyork angestellt ist, so glauben er und seine Freunde, daß er ein Recht habe, sehr niedergeschlagen zu sein und sich sein lebenlang zu beklagen. Ein handfester Bursch aus New-Hampshire oder Vermont, der es der Reihe nach mit allen Professionen versucht, als Kutscher, Farmer, Hausierer, Schulmeister, – der predigt, Zeitungen herausgiebt, zuletzt Kongreßmitglied wird und ein ganzes Stadtgebiet ankauft – und immer wie eine Katze auf die Füße fällt, ist mehr als hundert solcher Stadtpuppen wert. Er hält Schritt mit seinen Tagen und schämt sich nicht, kein »Studierter« oder »gelernter Professionist« zu sein, denn er verschiebt sein Leben nicht, sondern lebt bereits. Er hat nicht eine Aussicht, sondern hundert Aussichten. Daß doch ein Stoiker wieder aufträte und die inneren Hilfsquellen des Menschen eröffnete und ihnen sagte: daß sie keine schwächlichen Ranken sind, sondern sich freimachen können und müssen, daß sie, sowie sie Selbstvertrauen lernen, neue Kräfte entdecken werden, daß der Mensch das fleischgewordene Wort ist, geboren, um den Völkern das Heil zu bringen, daß er sich unseres Mitleids schämen sollte, und daß im Augenblick, wo er aus seiner eigenen Natur heraus handelt und Gesetze und Bücher, Götzen und Sitten zum Fenster hinauswirft, wir ihn nicht länger bemitleiden, sondern dankbar verehren – ein solcher Lehrer würde dem Menschenleben wieder Glanz verleihen und seinen Namen aller Geschichte teuer machen.

Es ist leicht zu erkennen, daß nur ein größeres Selbstvertrauen – Selbstgehorchen eine heilsame Umwälzung in allen Beziehungen und Thätigkeiten der Menschen herbeiführen kann: in ihrer Religion, ihrer Erziehung, ihren Beschäftigungen, ihrer Lebensweise, ihrer Geselligkeit, ihren Eigentumsverhältnissen und in ihren philosophischen Anschauungen!

1. Was für Gebete erlauben sich die Menschen! Was sie Gottesdienst nennen, zeigt nicht einmal männlichen Mut, geschweige denn heiligen Geist. Jedes Gebet ist ein Umsehen nach fremder Hilfe, ein Flehen um Kräftigung durch ein fremdes Verdienst, und verliert sich in unendliche Irrgänge von Natürlichem und Übernatürlichem, von Mittlertum und Wundern. Jedes Gebet, das irgend einen besonderen Vorteil, das etwas anderes, etwas Geringeres als die höchste Gnade, als alles Gute verlangt, ist blasphemisch. Das wahre Gebet ist die Betrachtung der Dinge dieses Lebens vom höchsten Gesichtspunkte aus. Es ist das Selbstgespräch der beschauenden und entzückten Seele. Es ist der Geist Gottes, der da ausspricht, daß sein Werk gut sei. Aber das Gebet als Mittel, irgend ein privates Ziel zu erreichen, ist Gemeinheit und Diebstahl. Es setzt einen Dualismus in der Natur voraus, anstatt Bewußtsein und Einheit. Ein Mensch, der mit Gott eins ist, wird nie beten. Er wird in jedem Thun ein Gebet erkennen. Das Gebet des Landmannes, der in seinem Acker kniet, um ihn zu jäten, das Gebet des Schiffers, der mit dem Schlage seines Ruders kniet, – das sind wahre Gebete, die die ganze Natur vernimmt, obgleich es sich um geringes handelt. Wie Caratach in Fletchers »Bonduca« sagt, da er ermahnt wird, den Sinn des Gottes Audat zu erforschen:

»In unserm Streben ist sein Sinn verborgen,
Die Tapferkeit ist unser bester Gott!«

Eine andere Art falscher Gebete sind Bedauern und Reue. Unzufriedenheit ist immer Mangel an Selbstvertrauen und Willensschwäche. Unglücksfälle soll man bedauern, wenn dem Betroffenen damit geholfen wird; – wenn aber nicht, so geh an deine Arbeit, und das Übel wird sich lindern. Unser Mitleid ist ein ebenso niedriges. Wir kommen zu denen, die da thöricht weinen, und setzen uns hin und plärren mit ihnen, anstatt ihnen Wahrheit und Gesundheit in rauhen elektrischen Schlägen mitzuteilen, indem wir sie noch einmal mit ihrer eigenen Vernunft in Verbindung setzen. Das Geheimnis des Glückes ist: Freude am Werk unserer Hände. Willkommen Göttern und Menschen ist der Mann, der sich selbst hilft, – ihm öffnen sich alle Thüren, ihn grüßen alle Zungen, ihn krönen alle Ehren, alle Blicke folgen ihm begierig nach. Unsere Liebe kommt ihm entgegen und umarmt ihn, weil er sich nicht um sie bewarb. Wir liebkosen und feiern ihn besorgt und reuig, weil er seinen eigenen Weg ging und unsere Mißbilligung verachtete. Die Götter lieben ihn, weil die Menschen ihn haßten. »Für den ausharrenden Sterblichen,« sprach Zoroaster, »sind die seligen Unsterblichen schnell!«

So wie die Gebete der Menschen eine Krankheit des Willens sind, so ist ihr Glaube eine Krankheit des Intellekts. Sie sagen gleich jenen thörichten Israeliten: »O, laßt nicht Gott zu uns sprechen, auf daß wir nicht sterben; sprich du, spreche irgend einer von euch, und wir wollen gehorchen!« Nirgend kann ich Gott in meinem Bruder finden, weil er die Thore seines eigenen Tempels geschlossen hat und nur Fabeln von seines Bruders, oder von seines Bruders Bruders Gott erzählt. Jeder neue Geist entspricht einer neuen Klassifikation. Wenn es ein Geist von ungewöhnlicher Kraft und Thätigkeit ist, ein Locke, ein Lavoisier, ein Hutton, ein Bentham, ein Fourier, so zwingt er seine Klassifikation auch anderen auf, und siehe! wir haben ein neues System. Je tiefer der Grundgedanke desselben ist, je mehr Dinge es dem Jünger faßbar macht, um so größeren Erfolg wird es haben. Aber nirgends zeigt sich dies so, wie bei Kirchen und Religionen, denn auch diese sind nichts anderes als Systeme irgend eines gewaltigen Geistes, der den elementaren Gedanken der Pflicht und die Beziehungen des Menschen zum Höchsten zu seinem Gegenstande machte. Calvinismus, Quakerismus, Swedenborgismus sind solche Systeme. Der Jünger der neuen Lehre findet ebensoviel Freude daran, alle Dinge der neuen Terminologie einzureihen, wie ein wißbegieriges Kind, das eben Botanik gelernt hat und nun eine neue Erde, einen neuen Frühling entdeckt. Und eine Zeitlang wird er fühlen, daß sein Geist in dem Maße wächst, als er in den seines Meisters eindringt. Aber in allen unsicheren Seelen wird alsbald das System vergöttert, und für das Ziel gehalten, was doch nur ein rasch abgebrauchtes Mittel ist; die Grenzen des Systems verschwimmen ihrem Auge am fernen Horizont mit den Grenzen des Weltalls, und die Himmelslichter scheinen ihnen an dem Bogen, den ihr Meister aufgebaut, zu hängen. Sie können nicht begreifen, wie ihr Heterodoxen ein Recht zu sehen habt, – wie ihr nur überhaupt sehen könnt. »Ihr müßt uns das Licht geradezu gestohlen haben!« Sie fassen noch nicht, daß das unbezwingliche, in kein System zu sperrende Licht in jede Zelle dringt – selbst in die ihre. Mögen sie eine Weile zirpen und es ihr eigen nennen. Wenn sie ehrlich sind und recht thun, so wird ihr zierliches neues Bretterdach bald zu enge und niedrig werden, wird sich biegen, wird springen, faulen und schwinden, und das unsterbliche Licht wird jung und freudig, millionenfarbig, millionenstrahlig über das Weltall wie am ersten Morgen leuchten.

2. Es ist gleichfalls nur Mangel an Selbstbildung, daß der Aberglaube des Reisens, dessen Götzen Italien, England, Ägypten sind, seinen Zauber für alle wohlerzogenen Amerikaner behält. Diejenigen, welche England, Italien oder Griechenland so anziehend und ehrfurchtgebietend für unsere Phantasie machten, bewirkten dies dadurch, daß sie fest an ihrer Scholle klebten, als wäre sie die Achse der Erde. In männlichen Stunden fühlen wir, daß die Pflicht unseren Platz bestimmt. Der Geist ist kein Reisender; der weise Mann bleibt daheim – und wenn das Bedürfnis oder die Pflicht ihn hinausruft und ihn auf die Straße oder in die Fremde führt – er ist dennoch zu Hause, und am Ausdruck seines Antlitzes fühlen die Menschen, daß er als ein Missionär der Sittlichkeit und Weisheit dahinzieht und Städte und Menschen wie ein Souverän, nicht wie ein Bedienter oder Schleichhändler besucht.

Ich bin kein pedantischer Gegner der Reisen um die Welt, wenn sie aus Liebe zur Kunst, aus Wißbegier, aus Menschenfreundlichkeit unternommen werden, wenn der Mensch nur erst eine Heimat hat und nicht in der Hoffnung auszieht, Größeres zu finden als er zu Hause gekannt. Wer um sich zu zerstreuen reist, oder um etwas zu finden, was er nicht mitbringt, der flieht vor sich selbst und wird unter den Trümmern des Alten in seiner Jugend alt. In Theben, in Palmyra werden sein Geist und Herz alt und zerfallen wie diese, und er trägt Ruinen zu Ruinen.

Reisen ist das Paradies der Narren. Unsere ersten Ausflüge lehren uns, wie gleichgiltig die Orte sind. Zu Hause träum' ich, daß in Rom oder Neapel mich die Schönheit berauschen und meine Verstimmung enden wird. Ich packe meine Koffer, nehme von meinen Freunden Abschied und schiffe mich ein – und erwache in Neapel, und an meinem Bette sitzt ernsthaft und wirklich – dasselbe traurige, unnachsichtliche Selbst, vor dem ich geflohen. Ich besuche den Vatikan und die Paläste, ich thue, als wäre ich von Ansichten und Ideen berauscht, aber ich bin nicht berauscht. Mein Riese geht mit mir, wohin ich auch gehe.

3. Aber die Reisewut ist nur ein Symptom einer tieferen Ungesundheit, die unser ganzes geistiges Leben ergriffen hat. Unser Intellekt ist unstät, unser ganzes Erziehungssystem erzeugt Unruhe. Unser Geist ist selbst dann auf Reisen, wenn der Leib daheim bleiben muß. Wir sind Nachahmer – und was ist Nachahmung anders als ein Reisen des Geistes? Wir bauen unsere Häuser nach fremdem Geschmack, unsere Gesimse sind mit fremdem Zierat geschmückt, unsere Ansichten, unser Geschmack, unsere Fähigkeiten sind erborgte und auf Vergangenes und Entferntes gestützt. Wo die Künste geblüht haben, da hat der Geist sie geschaffen. In seiner eigenen Seele suchte und fand der Künstler seinen Stil. Dadurch, daß er den Gegenstand seiner Arbeit und die Gesetze, die er zu beobachten hatte, aus eigenem Denken bestimmte, entstand der Stil. Wer heißt uns, den Dorischen oder Gotischen nachahmen? Schönheit, Zweckmäßigkeit, Größe des Gedankens und Zierlichkeit des Ausdruckes sind uns so erreichbar wie irgend einem, und wenn der amerikanische Künstler mit Hoffnung und Liebe prüfen wird, was eben er zu thun hat, wenn er das Klima, den Boden, die Länge der Tage, die Bedürfnisse des Volkes, die Regierungsform des Landes in Betracht zieht, dann wird er auch ein Haus bauen können, mit welchem all diesen Genüge gethan und doch auch Geschmack und künstlerisches Gefühl zugleich befriedigt sein werden.

Beharre auf dir selbst; ahme niemals nach! Deine eigenen Gaben kannst du in jedem Augenblick, gesteigert durch die Ausbildung eines ganzen Lebens, verwerten, an dem erborgten Talent eines anderen hast du nur einen vorübergehenden, halben Besitz. Das, was einer am besten kann, das kann kein anderer als sein Schöpfer ihn lehren. Kein Mensch weiß noch, was es ist, und keiner kann's wissen, so lange er selbst es nicht offenbart hat. Wo ist der Meister, der Shakespeare hätte lehren können? Wo ist der Meister, der Franklin, Washington, Bacon oder Newton hätte unterweisen können? Jeder große Mann ist ein Unikum. Der Scipionismus Scipios ist eben das, was er von niemand entlehnen konnte; nie wird durch das Studium Shakespeares ein Shakespeare entstehen. Thue, das dir zugewiesen ist, und du kannst nicht zu viel hoffen, nicht zu viel wagen. In diesem selben Augenblick giebt es für dich eine Äußerung, kühn und großartig, wie die des kolossalen Meißels des Phidias, der Kelle der Ägypter, der Feder Mosis oder Dantes – aber verschieden von all diesen. Der tausendzüngige Geist in seinem unendlichen Reichtum, seiner unendlichen Ausdrucksfähigkeit, wiederholt sich nicht. Aber wenn du die Worte jener Patriarchen zu vernehmen imstande bist, wirst du ihnen auch in gleichem Tone antworten können; denn Ohr und Zunge sind Organe gleicher Art. Verweile nur in den hohen, einfachsten Sphären des Lebens, gehorche deinem eigenen Herzen, und du wirst die Vorwelt zu neuem Leben erwecken.

4. So wie unsere Religion, unsere Erziehung, unsere Kunst ein fremdes Gesicht zeigen, so auch der Geist unserer Gesellschaft. Alle Welt pocht auf den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft, und kein Mensch macht einen Fortschritt.

Die Gesellschaft schreitet nie vor. Sie verliert stets auf der einen Seite so viel, als sie auf der anderen gewinnt. Sie unterliegt beständigem Wechsel – sie ist erst barbarisch, dann civilisiert, dann christianisiert – sie ist reich, sie ist wissenschaftlich gebildet – aber all dieser Wechsel ist kein Besserwerden. Für alles, was ihr gegeben wird, wird ihr etwas genommen. Sie lernt neue Künste und verliert alte Instinkte. Welch ein Kontrast zwischen dem wohlgekleideten, lesenden, schreibenden, denkenden Amerikaner mit Uhr, Kragen und Wechsel in der Tasche, und dem nackten Neuseeländer, dessen ganzes Eigentum in einer Keule, einem Speer, einer Matte und dem ungeteilten Zwanzigstel eines Binsendaches, darunter zu schlafen, besteht! Aber wer die Gesundheit der beiden Männer vergleicht, der erkennt, daß der Weiße seine ursprüngliche Kraft verloren hat. Wenn die Reisenden uns die Wahrheit berichten, so triff den Wilden mit einer breiten Axt, und in ein oder zwei Tagen schließt sich die Wunde und heilt, als ob du in weiches Pech geschlagen hättest, während derselbe Hieb den Weißen in sein Grab sendet.

Der civilisierte Mensch hat eine Kutsche erbaut, aber den Gebrauch seiner Füße verloren. Er weiß auf Krücken zu gehen, aber ihm fehlen die Muskeln. Er trägt eine feine Genfer Uhr, aber die Zeit nach der Sonne zu bestimmen vermag er nicht. Er besitzt nautische Kalender, und weil er darin nachschlagen kann, wenn er es brauchen sollte, kennt der Mann auf der Straße nicht einen Stern am Himmel. Die Sonnenwende beachtet er nicht, die Tag- und Nachtgleiche kennt er ebensowenig, und dem ganzen leuchtenden Kalender des Jahres entspricht kein Zifferblatt in seinem Geist. Seine Notizbücher verderben sein Gedächtnis, die Büchereien überladen seinen Geist, die Versicherungsanstalten vermehren die Zahl der Unglücksfälle; und es ist noch die Frage, ob die Maschinen uns nicht mehr hemmen als fördern, ob wir nicht durch Verfeinerung an Energie und durch ein wohleingerichtetes formales Christentum die Kraft wilder Tugend eingebüßt haben. Denn jeder Stoiker war ein Stoiker, aber wo in der Christenheit ist ein Christ?

So wenig also auf der Wage der Größe und Stärke eine Abweichung zu finden ist, so wenig giebt es eine auf ethischem Gebiet. Es leben jetzt keine größeren Männer als sonst. Eine merkwürdige Gleichheit läßt sich zwischen den großen Männern der ersten und letzten Zeitalter erkennen; noch kann alle Kunst und Wissenschaft, Religion und Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts größere Männer erziehen, als die Heroen Plutarchs drei- oder vierundzwanzig Jahrhunderte vorher waren. Der Fortschritt des Geschlechts liegt nicht in der Zeit. Phocion, Sokrates, Anaxagoras, Diogenes sind große Männer, aber sie hinterlassen keine Schule von solchen. Wer wirklich ihresgleichen ist, wird nicht nach ihrem Namen genannt, sondern ist sein eigener Mann und mit der Zeit selbst Gründer einer neuen Sekte. Die Künste und Erfindungen einer Zeit sind nur ihr Kostüm und vermögen die Menschen nicht zu kräftigen. Der Schade, den eine verbesserte Maschinerie anrichtet, mag ihren Nutzen aufwiegen. Hudson und Behring haben in ihren Fischerbooten genug ausgerichtet, um Parry und Franklin in Erstaunen zu setzen, deren Ausrüstung alle Hilfsquellen moderner Wissenschaft und Kunst erschöpfte. Galileo entdeckte mit einem Operngucker eine glänzendere Reihe von Himmelserscheinungen als irgend einer nach ihm. Kolumbus fand die neue Welt in einem ungedeckten Boot. Es ist merkwürdig zu sehen, wie Werkzeuge und Maschinen beiseite gelegt und vergessen werden, die ein paar Jahre oder Jahrhunderte vorher unter lauten Lobpreisungen eingeführt wurden. Das Genie kehrt immer zum Menschen selbst zurück. Wir zählten die Verbesserungen der Kriegskunst unter die Triumphe der Wissenschaft, und doch hat Napoleon Europa durch das Bivouac erobert, dadurch, daß er auf die nackte Tapferkeit zurückgriff und sie aller Hilfsmittel entlastete. »Der Kaiser hielt es für unmöglich, eine vollkommen kriegstüchtige Armee heranzubilden« – sagt Las Casas – »ohne unsere Waffen, Magazine, Kommissarien und Troßwagen abzuschaffen, bis der Mann nach römischer Art seine Kornration empfangen, sie in seiner Handmühle mahlen und sein Brot selbst backen würde.«

Die Gesellschaft gleicht einer Woge. Die Woge bewegt sich vorwärts, nicht aber das Wasser, aus dem sie besteht. Dasselbe Wellenteilchen erhebt sich nicht vom Thal zum Kamm. Die Einheit liegt nur in der Erscheinung. Die Personen, die heute eine Nation bilden, sterben im nächsten Jahr und ihre Erfahrung mit ihnen.

Und so ist das Vertrauen auf Besitz, einschließend das Vertrauen auf Regierungen, die ihn beschützen, nur Mangel an Selbstvertrauen. Die Menschen haben so lange auf Außendinge statt auf sich selbst gesehen, daß sie dahin gekommen sind, religiöse, gelehrte und bürgerliche Einrichtungen für Schutzmittel des Besitzes anzusehen, und Angriffe auf jene zu verdammen, weil sie sie als Angriffe auf ihr Hab und Gut empfinden. Sie bemessen ihre gegenseitige Achtung nicht nach dem, was einer ist, sondern nach dem, was einer hat. Ein wahrhaft gebildeter Mensch aber schämt sich seines Besitzes, weil er Achtung vor seinem Wesen hat. Er haßt, was er hat, wenn er es als zufällig erkennt, – wenn es ihm durch Erbschaft, Schenkung oder Verbrechen zukam – er fühlt, daß dies nicht »Haben« heißt – daß all dies ihm nicht gehört, nicht in ihm wurzelt und nur daliegt, weil keine Revolution, kein Räuber es weggenommen hat. Aber das, was ein Mann ist, das erwirbt notwendig und unaufhörlich, und was der Mann durch sein Wesen erwirbt, ist lebendiges Eigentum und unterliegt nicht dem Gutdünken der Herrscher oder des Pöbels, wird weder durch Aufruhr, noch Feuer, Sturm oder Bankbruch gefährdet, sondern erneuert sich beständig selbst, wo immer er atmet. »Dein Anteil am Leben,« sagte der Kalif Ali, »folgt dir nach – daher bleibe ruhig und suche ihn nicht.« – Unsere Abhängigkeit von solch fremden Gütern führt zu jenem sklavischen Respekt vor Zahlen. Die politischen Parteien kommen in zahlreichen Versammlungen zusammen – und je größer der Zulauf, je größer der Begrüßungslärm: »Die Delegation von Essex! Die Demokraten von New-Hampshire! Die Whigs von Maine!« desto stärker fühlt sich der junge Patriot vor diesem neuen Tausend von Augen und Armen. Ebenso berufen unsere Reformatoren Versammlungen ein und stimmen und beschließen nach Stimmenmehrheit. – Nicht so, meine Freunde! wird Gott in euch einziehen und in euch wohnen, sondern gerade auf dem entgegengesetzten Wege! Nur wenn ein Mann alle fremde Hilfe von sich weist und allein steht, seh' ich ihn stark und siegreich. Jeder neue Rekrut zu seiner Fahne macht ihn schwächer. Ist ein Mann nicht besser als eine Stadt? Verlange nur von den Menschen nichts, und bei dem endlosen Wechsel um dich her wirst über kurz oder lang du als die einzige feste Säule, für den Erhalter alles dessen gelten, was dich umgiebt. Wer da weiß, daß Kraft angeboren ist, daß er schwach ist, weil er das Gute außer sich selbst gesucht hat – und wer nach dieser Erkenntnis sich ohne Zögern auf seinen eigenen Geist wirft – der stemmt sich in diesem Augenblick, der steht gerade und stark, wird Herr seiner Glieder und wirkt Wunder, gerade wie ein Mensch, der auf seinen Füßen steht, stärker ist als einer, der auf dem Kopfe steht.

So gebrauche das, was man Glück nennt. Die meisten Menschen spielen mit ihm und gewinnen alles und verlieren alles, wie sein Rad rollt. Du aber verschmähe solchen Gewinn als ungesetzlich und halte dich an Ursache und Wirkung, welche die Kanzler Gottes sind. Im Willen wirke und erwerbe, und du hast das Rad des Glückes gefesselt und brauchst seine Umdrehungen hinfort nicht mehr zu fürchten. Ein politischer Sieg, ein Steigen der Kurse, die Genesung eines Kranken, die Rückkehr ein Freundes oder sonst ein günstiges Ereignis hebt deine Stimmung, und du denkst, daß frohe Tage für dich im Anzug sind. Glaube es nicht! Nichts kann dir Frieden bringen außer dir selbst. Nichts kann dir Frieden bringen außer dem Triumph der Principien.


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