Joseph von Eichendorff
Dichter und ihre Gesellen
Joseph von Eichendorff

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Einundzwanzigstes Kapitel

Wir finden den Baron Manfred fern von seinem stillen, grünen Revier wieder, aus dem ihn eine Familienangelegenheit von besonderer Dringlichkeit verlockt hatte. Das Geschäft, das er heiter zu ordnen gedacht, war indes durch Mißverständnisse unerwartet verwickelt geworden, und unruhig, ja ernstlich besorgt verließ er soeben das Schloß einer ihm verwandten Dame, bei der er mehrere Tage verweilt.

Schon auf dem Schlosse hatte ihn ein verworrenes Gerücht interessiert, das sich weiterhin in den Dörfern immer wunderbarer ausschmückte. Es war die fast märchenhafte Sage von der Einsamkeit eines aufgehobenen Klosters im benachbarten Gebirg und von einem Mönch, der seit kurzer Zeit dort umgehe, während andere ihn wieder für einen wahnsinnigen Einsiedler hielten. Aber auch diese wußten nicht, wann und woher er gekommen; man nannte ihn nur den Waldbruder Vitalis. – Da Manfreds Weg ihn durch das Gebirge führte, beschloß er endlich, den geheimnisvollen Eremiten in seiner eigenen Klause aufzusuchen.

Es war ein schöner Sommerabend, als er zwischen Wiesen und nickenden Kornfeldern den bezeichneten Bergen zuritt. Ein Gewitter war über das Gebirge fortgezogen, und blitzende Tropfen hingen noch in Zweigen und Gras, aus dem ein erquickender Wohlgeruch emporstieg. Ein Holzhauer hatte ihm den Pfad nach der Einsiedelei gewiesen, die Gegend wurde immer höher, kühler und stiller, nur die Abendglocken schallten noch durch das feierliche Rauschen des Waldes aus den Tälern herauf. – In dieser kräftigen Einsamkeit konnte er sich eines zürnenden Mißtrauens gegen den Einsiedler nicht erwehren, den er soeben kennenlernen sollte. Es kam ihm kleinlich, ja verrucht vor, inmitten allgemeiner Lust und Not sich so in hochmütige Selbstliebe abzusondern und über die andern zu stellen. Der Mensch, sagte er zu sich selbst, der Mensch allein verwirrt alles mit seiner Leidenschaft und Affektation!

Durch solche Betrachtungen war er nach und nach ganz in Eifer geraten und nahm sich eben ernstlich vor, den Einsiedler durch vernünftige Überredung womöglich der Welt wieder zuzuwenden, als sein Pferd sich plötzlich scheute und heftig zur Seite sprang. Denn eine wundersame Gestalt war auf einmal zwischen den Bäumen hervorgetreten, unter denen nun auch die in den Fels gehauene, von wilden Weinranken kühl verhangene Einsiedelei nebst einem sorgfältig umzäunten Gärtchen sich zeigte. Der Eremit trug einen breiträndigen Pilgerhut, ein ungeheurer, alter Schlafpelz, der ihm überall zu weit war, rauschte im Grase hinter ihm her, während er aus einer langen Pfeife Tabak rauchte. Manfred traute seinen Augen nicht. »Wie!« rief er, »Herr Dryander – Sie also sind der Vitalis!?« – »Vitalis? Warum denn nicht?«erwiderte Dryander gelassen, »aber bleiben Sie mir mit dem dummen, wilden Pferde ein wenig vom Leibe.«

Manfred band sein Pferd an einen Baum und folgte dem Doktor, der sich fast bei jedem Schritt auf den Pelz trat, zu der Klause. Dort fehlte nichts zum Hausrat eines vollkommenen Waldbruders, ein weißer Totenschädel glänzte aus der Grotte, an deren hinterer Felswand ein großes, schmuckloses Kruzifix aufgerichtet war, ein Brevier lag auf der Bank vor der Klause, noch aufgeschlagen. Manfred sah lange finster umher, endlich brach er los. »Das ist kein bloßer Scherz«, sagte er, »es wäre zu frevelhaft. Aber auch der bitterste Ernst ist hier ein Frevel. Armer, grillenhafter, wetterwendischer Mensch, gehe erst zu den Einfälitgen in die Lehre, erkenne erst unten im Gedränge das unsichtbare Kreuz, das der Herr mitten im Leben aufgerichtet, eh' du es selbst zu fassen und in Seinem Namen die Welt zu belehren und zu richten wagst!« – »Amen, mein Sohn!« unterbrach ihn hier Dryander mit milder Stimme, »aber nimmermehr wird es dir gelingen, durch lose Worte mir das Rauhe meines Eremitenpelzes herauszukehren, denn mich erbarmt in tiefster Seele deine Verblendung. Also von der Welt Rumor, mein Sohn, hoffst du noch immer zu lernen, sondern niederzustürzen auf die Knie, denn mitten in der Stille der Waldeseinsamkeit, plötzlich und von Waffen blitzend, kommt der Engel des Herrn!« – Hier zog und qualmte der Zelot so heftig aus seiner Tabakspfeife, die ihm über dem Reden ausgehen wollte, daß Manfred mitten in seinem Ärger in ein lautes Gelächter ausbrach. Das steckte Dryandern an, er stimmt unaufhaltsam mit ein. Beide aber wandten sich erschrocken, als plötzlich hinter ihnen das herzhafte Lachen noch eines Dritten dareinschallte.

Ein großer, starkknochiger Mann mit gebräuntem Gesicht und wild herabhängendem Haar, eine grobe Kutte mit einem Strick um den Leib gebunden, trat aus dem Gebüsch hervor und konnte sich, noch immer lachend, gar nicht satt sehen an dem abenteuerlichen Aufzuge des Dichters. Es ergab sich nun, daß der Neuangekommene der eigentliche Besitzer der Klause sei und daß Dryander erst vor wenigen Stunden, auf seiner Fußreise vom Gewitter überrascht und ganz durchnäßt, sich hierher geflüchtet und, während der Eremit in den Wald nach Holz gegangen, es sich in dessen trockenem Pelze bequem gemacht hatte.

Der Einsiedler machte sich nun sogleich mit Manfreds Pferde zu schaffen, er zäumte es ab, warf ihm Heu vor, streichelte und betrachtete es mit großem Wohlgefallen. »Eine saubere Kreatur!« sagte er, »da versteh' ich mich noch drauf aus meinen jungen Jahren, als ich bei dem löblichen Kürassierregiment stand.« – Darauf traf er mit gleichem Eifer Anstalten, seine Gäste zu bewirten, die unterdes einige nähere Blicke in die kleine Wirtschaft tun konnten. Im Garten hatten Kartoffeln und Kohl fast alle Blumen verdrängt; am Eingange desselben aber fiel ihnen ein frisch gegrabenes Grab auf. »Das ist nur so gegen die überflüssigen Weltgedanken«, sagter der Einsiedler – »succumbit humi bos et Caesar.« Quer über dem Grabe waren zwei große Speckschwarten auf Stangen befestigt. Der Einsiedler meinte, in der Hütte kämen ihm sonst die Ratten darüber.

Er setzte nun Weinflaschen und Gläser auf den steinernen Tisch vor der Klause, die Gäste mußten sich auf der Bank herumsetzen, er wollte einmal etwas Neues aus der Welt hören. Dryander, den der viele Kohl im Garten ärgerte, nannte ihn einen Canonicus in herbis und sprach wütend das tollste Küchenlatein, der Einsiedler antwortete ebenso und schien erst recht vergnügt in dieser barbarischen Sprachverwirrung. Dazwischen rauchte er, heftig dampfend, stinkenden Tabak aus einer kurzen ungarischen Pfeife, im Wein aber tat er wenig Bescheid, er mache ihn, sagte er, aufgeblasen und zänkisch. Er erzählte ihnen, daß er Frater Sammler in dem Kloster oben gewesen, nach dessen Aufhebung aber sich hier angesiedelt habe und bei den Bauern in der Runde, die ihn aus alter Bekanntschaft mit allem, was er brauche, reichlich versähen, sehr gut seine Rechnung finde. Überhaupt sei es ihm im Leben immer gut gegangen. Schon als Kind habe er mit seinem alten Vater, einem blinden Geiger, so viel erbettelt, daß er die Schulen besuchen konnte. Später sei er zum Kürassierregiment eingezogen aber gleich in der ersten Bataille so übel zugerichtet worden, daß sie ihn doch wieder hätten laufen müssen. Als er darauf in sein Dorf zurückgekommen, habe seine Braut unterdes einen andern geheiratet, den sie nun halb tot keife. »Laus Deo!« schloß er, mit seinem Glase lustig anstoßend.

Manfred betrachtete, nicht ohne tiefe Wehmut, den fidelen Einsiedler, den das Leben mit allen seinen Stößen nicht hatte unterkriegen können und der nun die Frömmigkeit frisch weg wie ein löbliches Handwerk trieb. – »Es ist ganz unmöglich«, rief er endlich nach einigem Nachsinnen aus, »auch Sie sind nicht der Vitalis!«

»Oho!« erwiderte der Waldbruder, »ich und Herr Vitalis! wo denkt Ihr hin, nicht seine Schuhriemen aufzulösen, bin ich würdig und ich tät's ihm gern heut und allezeit, wenn er es litte! Nein, nein, der wohnt dort im ehemaligen Konvente.« – »Als Nachteule«, sagte Dryander, »um die Mäuse wegzuschnappen, die nach deinen Speckschwarten gehen.« – »Still«, fiel ihm der Einsiedler mit überfliegender Röte schnell ins Wort, »schnattert nicht so ungewaschen ins Zeug hinein, wenn Ihr nichts von der Geistlichkeit versteht. ›Contenti estote‹, sagte einmal ein Kapuziner in einer Komödie, die ich noch als Soldat gesehen habe, das heißt: begnügt euch mit eurem Kommißbrote, wenn ihr das Himmelsmanna nicht vertragen könnt!« – »Na, seid nur nicht gleich so grob«, lachte Dryander, den der Vorwurf heimlich wurmte.

»Abgemacht!« rief der gutmütige Klausner. »Aber vom Herrn Vitalis muß ich euch noch erzählen.« – Er rückte voll Eifer näher und dampfte so hastig aus der ungarischen Pfeife, daß Dryander sich an das andere Ende des Tisches setzte. – »Seht«, sagte er, »es war gerade eine so schöne, sternklare Sommernacht wie Anno 1814, da wir über den Rhein rückten. Ich hatte meinen Rosenkranz eben abgebetet und stand auf und zog, wie ich alle Mitternacht zu tun pflege, die Glocke über meiner Hütte, denn den Kranken unten in den Dörfern, wenn alles schläft, ist es tröstlich, das Glöcklein von den Bergen zu hören. Auch das Wild ist's schon gewöhnt, ich hab' jedesmal meine Freude daran, wie die Rehe dann im Mondschein dort auf die Wiese herausgekommen und das Weiden vergessen und die Köpfe hoch nach dem Klange wenden, als wollten die armen Dinger auch Gott loben. Nun, jedes tut, was es kann. Aber diesmal schnaubten sie auf einmal, und eh' ich mich's versah, waren sie plötzlich nach allen Seiten zerstoben. Ich tret' heraus, da steht ein schöner, wilder Jägersmann dicht vor mir. »Laudetur Jesus Christus«, sage ich. Er aber, ohne Amen zu sagen: »Was machst du da?« – »Wie Ihr seht, Herr, ich bin ein Einsiedler und bete, wenn die andern schlafen.« – »Und schläfst, wenn die andern beten, das ist alles eins!« – »Gewiß, so lösen wir einander ab auf der himmlischen Schildwacht.« – Der Jäger darauf stöbert mir in der Hütte herum, sieht mein Moosbett, das Kreuz, den Totenkopf. »Vollständige Dekoration«, sagt er, »bist du so faul, daß dich der Kahlkopf da mit seinen gefletschten Zähnen erst jeden Abend ins Gewissen beißen muß, um zu beten?« – »Herr«, erwidere ich, »Ihr werdet mir nichts weismachen, ich bin Soldat und Mönch in dem Kloster da droben gewesen und weiß wohl, daß es leichter ist, eine Festung als das Himmelreich zu erobern. Nun möcht' ich doch den Prahlhans sehen, der eine Festung ohne Bajonett, Leiter und Handwerkszeug nehmen wollte! Und Ihr wollt den Himmel, der höher liegt, stürmen, nackt und erbärmlich, wie Ihr seid, ohne Wehr und Rüstung und tägliche Übung in den Waffen? Ich sage Euch: Demut ist der Anfang und Ende, hochmütiger Mensch!« – Der Fremde sah mich groß an mit funkelnden Augen, dann stützte er auf dem Tische den Kopf in die Hand, ich meint', er betrachtete den Totenkopf, der vor ihm lag, aber er mochte wohl andere Gedanken haben. Sitz du, solange du willst, dachte ich, ich fürcht' dich nicht, ich trau' dir nicht. Damit streckt' ich mich auf meine Streu und behielt ihn in den Augen, bis sie mir am Ende zufielen.

Als ich aufwachte, waren meine Augen noch immer auf den Tisch gerichtet, aber der Jäger saß nicht mehr auf demselbigen Punkt. Als ich aber vor die Klause trat, sah ich ihn in der Morgendämmerung schon von dem alten Kloster herabkommen. Es war ein prächtiger Morgen, die Hähne krähten unten in den Dörfern, hin und her klang schon eine Morgenglocke durch die stille Luft. Auch der Fremde, nachdem er mich freundlich gegrüßt hatte, blieb stehen und sah lange ins Tal hinaus. »Sieh«, sagte er, »das ist ein Friede Gottes überall, als zögen die Engelscharen singend über die Erde! die armen Menschenkinder! Sie hören's nur wie im Traum. Müde da unten, verirrt in der Fremde und Nacht, wie sie weinend rufen und des Vaters Haus suchen, und wo ein Licht schimmert, klopfen sie furchtsam an die Tür, und es wird ihnen aufgetan, aber sie sollen den Fremden dienen um das tägliche Brot; darüber werden sie groß und alt und kennen die Heimat und den Vater nicht mehr. O wer ihnen allen den Frieden bringen könnte! Aber wer das ehrlich will, muß erst Frieden stiften in sich selbst, und wenn er darüber zusammenbräche, was tut's! – Sieh, Gesell, und das ist geistliches Recht und Tagewerk.«

Ich alter Kerl stand ganz verblüfft vor ihm, denn ich verstand schon gleich damals so viel davon, daß ich bisher eigentlich noch gar nichts verstanden hatte von meinem Metier. Vor meiner eigenen Tür wollt' ich kehren und die ewige Seligkeit für mich allein zusammenknicken, wie ein filziger Schuft, als wär's dem lieben Gott um mich allein zu tun in der Welt. – Und seht, von der Stund' ab blieb der Jäger hier auf den Bergen und wohnte im Kloster droben und machte sich gemein mit mir, wie ein getreuer Kamerad, und ist doch ein grundgelehrter Herr. »Denn du gefällst mir«, sagte er, »du machst keine Flausen mit deiner Frömmigkeit.« Und wenn ich faste, so hungert er, und wenn ich aufwache, so hat er die ganze Nacht gewacht und gebetet und trinkt keinen Wein und mag keinen Speck, und will ich alter Narr manchmal verzagen, so singt er ein schönes Lied, und – kurz, das ist der Herr Vitalis, von dem ihr unten gehört habt.«

Der Einsiedler wandte sich hier und machte sich etwas mit dem Tische zu tun, denn er schämte sich, weil ihm die Tränen in den Augen standen. Manfred aber stand auf, ein überraschender Gedanke schien durch seine Seele zu fliegen. »Führt mich zu Vitalis hinauf«, sagte er, »ich muß ihn durchaus sprechen!« Der Einsiedler schüttelte bedenklich den Kopf. »Ich will's wohl tun«, aber seht Euch vor, wenn Euch bloß die Neugier treibt. – Da war erst neulich einer, ein junges Blut, der wollte durchaus mit Einsiedler werden. – Aber ich dacht' mir's gleich – denn zum gottseligen Leben gehört eine gute, feste Natur – wenn er nachts mit mir im Walde stand, da schauerte ihn, wie ein Mädchen, unsere alten Gebete waren ihm noch nicht schön genug, er setzte sie in künstliche Verse, dann weinte er auch zuviel und hatte allerhand Sehnsuchten. Zuletzt hatter er gar ein junges, hübsches Hirtenmädchen aufgespürt, die wollt' er mit Gewalt bekehren, aber sie war schon frömmer als er, und eh' er sich's versah, verliebt' er sich in sie, da wurde er ganz traurig – und kurz, wie ich's vorausgesagt hatte, mit dem Herrn Vitalis ist nicht zu spaßen, der jagt' ihn wieder fort «

»Hieß der junge Mann nicht Otto?« fragte Dryander – »Wahrhaftig, so nannte er sich«, erwiderte der Einsiedler verwundert.

Die Nacht war indes völlig hereingebrochen, als sich alle drei auf den Weg nach dem Kloster machten. Der Eremit schritt mit einer Fackel auf einem schmalen, halbverwachsenen Fußsteige voran, die andern folgten schweigend und erwartungsvoll. Unterwegs fragte Manfred den Doktor, wo er denn seine kleine Frau gelassen? – »Sie ist unter die Husaren gegangen«, sagte Dryander trocken und mochte durchaus nicht nähere Auskunft geben.

So waren sie, nach einem mühseligen Gange, zu der Ruine gekommen, der Widerschein der Fackel, als sie durch das Tor gingen, beleuchtete den stillen Klosterhof mit seinen alten Bäumen und dem verfallenen Brunnen in der Mitte. Ihr Führer sah sich nach allen Seiten um. »Sollte er noch im Gebirge sein?« sagte er und öffnete knarrend eine eichene Tür. Sie kamen in eine kleine Halle, aber auch dort war niemand zu finden. Nur ein Strohsack auf dem Boden, ein Kreuz auf dem Tisch und einige Bücher bezeichneten Vitalis' Wohnung durch das verfallene Fenster aber sah wunderbar die Nacht herein. Als sie an die Öffnung traten, flatterte verstörtes Nachtgevögel scheu aus den Mauerritzen empor, einzelne Mauerstücke hatten unter ihren Füßen sich abgelöst, sie lauschten, wie es schallend tiefer und immer tiefer hinabrollte. Da trat auf einmal der Mond drüben zwischen den Wolken hervor, sie sahen nichts als stille Schlünde unter sich und das dunkle Chaos uralter Wipfel. – »Entsetzlich!« rief Manfred, in Gedanken hinabschauend.

Hier aber wurden sie plötzlich durch Dryanders Geschrei unterbrochen. Er war neugierig vorgetreten, da hatte ihn der Schwindel gefaßt, er griff krampfhaft in des Einsiedlers Kutte. »Sagt' ich's doch«, rief dieser, »ist dir wohl, so bleibe unten, arbeite und lobe Gott und laß allen Vorwitz!« Damit packte er den Doktor beim Kragen und schleuderte ihn von dem Abgrund zurück und zur Zelle hinaus.

Indem sie aber nun ins Freie wieder heraustraten, sahen sie auf einmal zu ihrem Erstaunen zwei fremde Gestalten erschrocken über den Klosterhof hinwegstreichen. »Er ist's, um Gottes willen nur schnell!« flüsterte der eine, in demselben Augenblick waren beide zwischen dem alten Gemäuer in der Nacht wieder verschwunden. Bei dem Klang der Stimme fuhr Manfred sichtbar zusammen, er hatte die Flüchtlinge in der scharfen Beleuchtung der Fackel unausgesetzt mit den Augen verfolgt; jetzt stürzte er ihnen selbst nach. Aber der Einsiedler schritt mit seinem langen Beinen aus, daß die Kutte rauscht, und faßte ihn mächtig am Arm. »Seid Ihr toll«, rief er, »ich weiß nicht, wer es war, aber das weiß ich, daß Ihr bei Nacht im unbekannten Gebirge das Gesindel nicht fangt, sondern den Hals brecht, wenn Ihr kein Gemsbock seid!« – Manfred mußte ihm nach kurzem Besinnen recht geben, dann aber trieb er plötzlich mit auffallender Hast zur ungesäumten Rückkehr und blieb still und nachdenklich, während sie vorsichtig zwischen den Felsen hinabstiegen.

»Ich muß noch diese Stunde fort, suche aber bald noch einmal den Vitalis auf«, sagte er, als sie endlich bei der Einsiedelei wieder ankamen, schüttelte seinem Wirt herzlich die Hand und schwang sich sogleich auf sein Pferd. – Der Einsiedler hatte kaum die Zeit, ihm den nächsten Weg zu bezeichnen, und sah ihm dann ganz verwundert lange nach. – »Daß ich ein Narr wäre, in dieser Spuknacht weiterzuziehen«, meinte Dryander und bat sich noch eine lange Pfeife Tabak aus, er freute sich darauf, die ganze Nacht einmal das Einsiedlerleben recht gemächlich mit durchzumachen, auch wollte er noch einige von den Nachtliedern des Eremiten abschreiben.

Manfred aber ritt eifrig den Tälern zu, da hörte er nach einiger Zeit, wie im Traum, oben noch des Einsiedlers Glöcklein schallen, die Rehe weideten wieder zur Seite, seine ganze Seele fühlte sich von der Todesstille wie in ein Grab verschüttet. Die Mitternacht aber hatte unterdes den Himmel weit aufgetan und ihre wunderbaren Schleier über die Erde geworfen. So immer tiefer und freudiger stieg er eratmend in die träumende Sommernacht hinunter, schon hörte er unten von fern die Ströme wieder rauschen, und die Nachtigallen schlugen, von einem einsamen Schlosse klang noch eine Gitarre herüber, und Düfte wehten erquickend aus den blühenden Gärten herauf. Von dem letzten Abhang des Berges rief er, wie erlöst, hinab, »Gegrüßt, du schönes Leben, ja ich spür's, ich habe dich wieder!«


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