Joseph von Eichendorff
Dichter und ihre Gesellen
Joseph von Eichendorff

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Zweites Buch

Vierzehntes Kapitel

Über einer der verborgensten Schlüfte der Schweiz rauschte leise die Nacht, nur ein Bach stieg zwischen den Felsen hernieder und plauderte, da die Menschen schliefen, heimlich mit der Wetterfahne auf der ärmlichen Waldherberge, die in dem stillen Grunde lag. Da fuhr auf dem Heuboden des Hauses ein Gesell verwirrt aus dem Schlafe empor. Es war Fortunat, der auf seiner Reise nach Italien spät des Abends das Wirtshaus erreicht und gern das luftige Nachtlager bestiegen hatte, da die wenigen Fremdenstuben schon von anderen Reisenden besetzt waren. Dort hatte ihn ein Traum erweckt, es war ihm plötzlich, als hätte eine altbekannte Stimme unten seinen Namen genannt. Er lauschte hinab, es rührte sich kein Laut. Draußen aber flimmerten noch die Sterne, da setzte er sich in das offene Dachfenster auf die obersten Sprossen der Leiter und sah den weiten, stillen Kreis von Gletschern im hellsten Mondschein über den Wäldern, nur der dumpfe Donner einer Lawine hallte von Zeit zu Zeit durch die große Einsamkeit herüber.

Jetzt erst fiel ihm der grillenhaft verworrene Bau des Hauses auf, er betrachtete schläfrig die kleinen hölzernen Galerien, Winkel und Erker, als auf einmal in dem alten Seitenanbau sich ein Laden öffnete und eine Dame, dicht in einen langen Schleier gehüllt, am Fenster erschien. Fortunat, scharf hinblickend, schauerte innerlichst zusammen – es war der Hut, das Reitkleid, Gestalt und Art der Gräfin Juanna! – Der Mond funkelte über ihren Gürtel, wie damals auf der Jagd, dann wurde das Fenster schnell wieder geschlossen. Gleich darauf aber sah er den Wirt zwei gesattelte Pferde auf den Hof führen, die Dame trat mit einem fremden Mann aus dem Hause, alles ganz sacht und leise, wie Wolken in der Nacht, sie flüsterten heimlich untereinander und mit dem Wirt, der ihm auf einmal selbst gespenstisch vorkam, und eh' er sich noch besinnen konnte, war die ganze Erscheinung, wie ein Zug Verstorbener, im wechselnden Mondlicht zwischen den Felsen und Bäumen verschwunden.

Fortunat war geblendet wie einer, der nachts in den Blitz gesehen; er eilte nun die Leiter hinab, der Hof war leer, als wäre nichts geschehen, aber zu seinem Erstaunen hörte er nun in einiger Entfernung Waffenklang durch die Stille. »Fechten die Toten in der Luft?« dachte er und verfolgte rasch die Richtung. Da erblickte er bald durch das auseinandergebogene Gesträuch zwei Männer, die auf einer mondhellen Wiese in heftigem Zweikampf begriffen waren. Gestalt, Tracht und Haltung, je länger er hinsah, schien ihm nicht fremd. – »Um Gott, ihr Phantasten«, rief er endlich aus, »was habt ihr wieder vor!« denn jetzt erkannte er deutlich den langen Lord und den Maler Albert von dem fürstlichen Jagdschloß.

Als die Kämpfenden ihn bemerkten, traten sie, die Spitzen ihrer Degen senkend, jeder feierlich einen Schritt zurück und verneigten sich kurz und ernst voreinander, dann stürzte der erhitzte Lord, der vor Eifer keine Zeit zum Verwundern und Begrüßen hatte, sogleich auf Fortunaten los. »Entscheiden Sie selbst«, rief er, »und ich behaupt' es nochmals und tausendmal: es gibt keinen kategorischen Imperativ, die Tugend ist nur der Flügelschlag der primitiven Freiheit der Seele, die Ahnung des geistigen Urstoffs, und dieser endlose Urstoff läßt sich so wenig durch Großmut, Keuschheit definieren, daß -« »Keineswegs!« entgegnete Albert ganz empört, »es gibt ein absolutes Sittengesetz, die Tugend, sie ist kein leerer Schall!« – »Aber, so sagt doch nur, was denn? Was gibt's denn?« unterbrach sie endlich Fortunat höchst erstaunt und erfuhr nun nach und nach abgebrochen in einzelnen, verworrenen Sätzen von den Heftigen, daß sie beide, in der festen Überzeugung von einer Entführung Juannas durch Lothario, an jenem unglücklichen Abend, sobald die Gräfin vermißt wurde, die Jagd mit dem Schwure verlassen hatten, sie zurückzubringen oder niemals wiederzukehren. Sehr bald, so behaupteten sie, seien sie auch wirklich den Flüchtlingen auf die Spur gekommen, die sie bis zu diesem einsamen Wirtshaus verfolgt hätten. »Und nun, da wir am Ziele sind«, fuhr der Maler fort, »läßt dieser Herr da plötzlich seine großmütige Larve fallen und will die Gräfin als seine eigene Beute entführen. Aber mit diesem Schwerte, das in dem großen Kriegsjahre dreizehn geweiht ist, bewahre ich die Unschuld jener Dame gegen jeden Verführer, er mag ein deutscher Komödiant oder ein englischer Lord sein!« – Und hiermit gingen sie von neuem aufeinander los und führten ihre Schulterquarten und Schlenkerprimen mit einer bewundernswürdigen Künstlichkeit und Pedanterie aus.

Da fuhr auf einmal der dicke Wirt aus der Haustür wütend zwischen die Fechtenden hinein, er hatte einen umgekehrten Tisch über dem Kopfe, wie ein Stier mit vier Hörnern, die schon gezückten Schwerter klatschten flach auf seinen rindsledernen Schlafpelz. »Tausend Parlament«, schrie er, »Schändlichmens, Lordmajors oder Oberstlieutenant, ich frage den Teufel darnach! Ich nehme nicht tausend Pfund Sperling für den Skandal, verjagt mir da mit eurem Geklimper die besten Gäste, ist das ein Ständchen für eine schöne, ausländische Gräfin!« – »Gräfin! ist sie schon fort? Wohin?« unterbrachen ihn hier die Duellanten, ihre Degen rasch einsteckend. – »Ausländisch?« stotterte Albert vor Eifer, »was für eine Sprache redete sie?« – »Wahrhaftig, mir kam's ganz spanisch vor«, erwiderte der Wirt und schien nun, indem er die beiden geheimnisvoll nach dem Stalle führte, mit ihnen angelegentlich von der Fremden zu sprechen, Fortunat konnte nur noch bemerken, daß der Schalk ihnen eine ganz andere Richtung wies, als die Dame vorhin eingeschlagen hatte. – Als er zurückkam, wollte ihn Fortunat selbst über die Gräfin näher ausfragen. Aber der dicke, schlaue Mann war nicht zu haschen, er sprach von tollen Nächten, Spukgeistern und fahrenden Hexen und brach mit solchem Lärmen den Tag an, daß der Hofhund anschlug und Knechte und Mägde aus allen Winkeln herausfuhren. Mitten in dieser Konfusion hörte Fortunat plötzlich den Lord und den Maler von der andern Seite durch die Dämmerung miteinander disputieren, und ehe er ihnen noch nachrufen konnte, hatten sie in ihren langen, bis an die Knöchel herabhängenden Wachstaftmänteln, aus denen die englischen Pferde ihre dünnen Hälse seltsam hervorstreckten, sich zwischen den fliegenden Morgennebeln schon verloren.

So stand er noch ein Weilchen ganz verwirrt, dann berichtigte auch er schnell seine Zeche, schwang sich auf sein Pferd und schlug den Waldpfad ein, den die geheimnisvolle Erscheinung vor Tagesanbruch genommen. Er ritt den ganzen Morgen fort: aber er fand sie nicht mehr wieder.


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