Joseph von Eichendorff
Dichter und ihre Gesellen
Joseph von Eichendorff

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Zwölftes Kapitel

Es kann ein Mensch lange Zeit in den besten Grundsätzen wie ein Schneemann eingefroren sitzen, aber die lustigen Frühlingsbäche unterwaschen schon heimlich plaudernd und neckend den Sitz unter ihm – ein Laut, der leise Flug eines Vogels: und er stürzt kopfüber und verschüttet alle guten Vorsätze wieder. – So erging es Dryandern.

Es war ein schöner, stiller Abend, da ging die Fürstin allein in einem entlegenen Teile des Gartens spazieren, sie schien unruhig, oft blieb sie stehen und hörte zu, wie die Schauspieler unten sangen. Aber die kluge Kordelchen hatte sie schon aus der Ferne bemerkt, Lothario fehlte heut wider seine Gewohnheit bei dem Gesange – sie hatte ihre eigenen Gedanken. So begegnete sie Dryandern am Eingange des Parks, da flog ihr plötzlich ein Anschlag durch den Kopf. »Endlich finde ich Sie!« flüsterte sie ihm geheimnisvoll zu, »die Fürstin dort, sie erwartet Sie. Aber still« sagte sie, den Finger auf den Mund legend, und verschlüpfte schnell wieder zwischen den Bäumen. – Eitelkeit macht dumm. Der überraschte Dryander überblätterte geschwind das Glücksbuch seiner hiesigen Anstellung, jedes Blatt rauschte ihm plötzlich wie die Schleppe der Fürstin, nun verstand er erst alles, ja, er überredete sich in allem Ernste, selber längst in die Fürstin sterblich verliebt zu sein. So, im Garten fortrennend, umspann er sich immer hitziger mit dem tollsten Roman, und als nun die schlanke Gestalt in einem dunklen Bogengange auf einmal vor ihm stand, überschüttete er sie atemlos, ohne Eingang und Vorbereitung, verworren mit der glühendsten Liebeserklärung. Die Fürstin, da er so auf sie losstürmte, stand erst verwundert, dann lächelte sie fein und still, es fiel ihr nicht ein, daß er sich einbilden könnte, sie meine ihn. – »Tasso!« scherzhaft warnend, »wir sind hier nicht in Belriguardo.« – Indem sie aber den Handschuh ausziehen wollte, um ihm ihre weiße Hand zum Kuß zu reichen, fiel ein Mondstrahl durch das Laub auf Stirn und Mund. Da kam sie Dryandern schon eigentlich etwas alt vor, sie gefiel ihm auf einmal gar nicht, und seine Gedanken schlugen ihm unwillkürlich um, wie Milch beim Wetterleuchten. »O Gott, Fürstin!« rief er aus, »die Nacht ist eine wilde, phantastische Blume, berauschenden Duft verstreuend, schöne gefallene Engel wiegen sich auf den Blättern und singen im Traume von den Sternen, wo sie sonst gewohnt, und zwischen den träumenden Kaiserkronen und Blütenglocken flüsternd, ringelt die alte Schlange sich leise empor, und von ihrem Krönlein lösen sich grüngoldene Funken und schwärmen durch das Blütengeflecht, und in ihrem streifenden Widerscheine sehen die Gesichter leichenblaß, wie Sie jetzt, Fürstin, im Mondlicht.« – So redete er sich nach und nach in die Tugend und tragisches Wesen hinein, sprach entsetzlich von der Sünde, immer begeisterter, wilder und herzzerschneidend. Die Fürstin überlief es heimlich eiskalt dabei. Aber sie bezwang sich und unterbrach ihn lachend: »Der Duft der Nachtblume ist Ihnen zu Kopfe gestiegen, gehen Sie nach Hause und nehmen Sie ein Fußbad.« – Dann wandte sie sich stolz nach dem Schlosse.

Dryander stand wie vom Donner gerührt. Jetzt wollte er ihr nach, sie festhalten, rannte aber in der Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er den Hut verlor. Er schimpfte sich selbst einen gefallenen Engel, der gotteslästerlich die Unschuld an die Wand male, die ihn verführt. So eilte er wie besessen quer durch den Wald, in der Ferne verklang eben noch die letzte Abendglocke, die Mädchen im Dorfe unten sangen vor den Haustüren. Und als er am Ende des Parks plötzlich heraustrat, erblickte er vor der letzten Hütte des Dorfs beim hellsten Mondschein eine schöne Jungfrau, die er noch niemals gesehen, in reichem Gewand unter einer Linde sitzend. Sie hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schoß, ein anderes stand auf ihr Knie gestützt und sah an ihr empor, alle von einem weiten Schleier umgeben, durch den die Sterne flimmerten, als wären sie dreingewirkt. Da war's ihm, als hätte der Himmel sich barmherzig auf diesen Hügel herabgeneigt, todmüde, außer sich, warf er sich zu ihren Füßen auf den Rasen hin, vor den unschuldigen Augen. »O heilige Jungfrau, bitte für mich!« redete er sie aus tiefstem Grund der Seele an, »beschütze mich vor der wilden Jagd – ich selber Hund und Wild – erlöse mich von der inneren Lüge!« – Sie sah ihn ernsthaft an, sie konnte vor den Kindern nicht aufstehen. – Er aber achtete nicht darauf; wie ein Kranker, der einen seligen Traum hat, sprach er immerfort zu ihr und bot ihr endlich gerührt seine Hand an. Er wolle sie mit den Kindern auf einen Esel setzen, so wollten sie ziehen durchs einsame Gebirg die Klippen hinab in der schattigen Kühle, alles hinter sich lassen und vergessen, fort nach der blauen Ferne, bis in das stille Himmelreich. – »Was sind das für Bälger?« unterbrach er sich hier plötzlich selbst, das Kind hastig abwehrend, das mit den schmutzigen Händen zu ihm wollte. – »Ich brachte ihnen Speise und Medizin«, erwiderte das Fräulein, »ihre Muter liegt drin krank – « »Krank?!« rief Dryander schnell aufspringend und bedenklich nach der Hütte blickend, denn er hatte eine abergläubische Furcht vor Ansteckung. Ein Bedienter mit einem Handkörbchen war unterdes aus dem Hause dazugetreten, das Fräulein erhob sich, wie erlöst, von dem Rasen, und entfernte sich rasch, noch öfters furchtsam zurückblickend. – In dem Gebüsch daneben aber hörte er ein feines Lachen, er glaubte ein Frauenkleid durch die Zweige schimmern zu sehen.

Es war Kordelchen, die ihm heimlich gefolgt. Aber es bekam ihr schlimm. Denn sie hatte sich kaum in ihrem Versteck zurechtgesetzt, da stürzte Dryander, wie ein Rasender, schreiend und tobend daher und fuhr mit dem Kopf gerade in ihre Röcke. Sie sprang erschrocken auf – eine Fledermaus, da er seinen Hut im Walde gelassen, war ihm unversehens in die Haare geflogen und blickte, dort festgenestelt, mit stieren Augen vom Kopfe des Dichters. Dieser schrie, Kordelchen schimpfte, keines mochte anfassen darüber fuhren Köpfe, Mägde und Kinder aus allen Fenstern und Türen, die Hunde im Dorfe schlugen an, Dryander nahm ganz verblüfft Reißaus, der Nachtwächter, der eben blasen wollte, mit langen Schritten ihm nach – so kam er atemlos nach Hause, wo er, endlich von dem gespenstischen Untier befreit, sogleich zu Bett ging und sich fest einbildete, todkrank zu sein.

Feine Lebensart ist wie ein guter Firnis, den die gemeine Luft nicht angreift; so war auch die Fürstin seit jenem Abend ganz unverändert; sie erwähnte des Vorfalls mit keinem Wort, sie mochte wohl ihre Gründe dazu haben. Dryander, da es ihn nicht mehr interessierte, hatte längst alles wieder vergessen, bis auf die schöne mildtätige Jungfrau vor der Hütte. Diese aber war niemand anders als Fräulein Trudchen von dem wüsten Schlosse des Barons. Die leichte, heitere Art der vornehmen Gäste bei dem fürstlichen Besuche hatte sie ganz verblendet; wie nach Sonnenuntergang flimmerte es noch lange in ihrer Einsamkeit nach, und sie hörte nicht auf zu bitten und zu schmollen, bis der Vater sie endlich auf mehrere Wochen zu dem fürstlichen Forstmeister, ihrem Verwandten hinüberschickte, um sich zu bilden. – Dryander besuchte nun regelmäßig jeden Abend den Forstmeister, disputierte mit den dort häufig versammelten Gutsbesitzern, trank viel und verfolgte das Fräulein mit wahrhaft poetischer Wut. Er schleppte ihr unermüdlich Bücher zu: Goethe, Shakespeare, Calderon, Cervantes, sie mußte geschwind lesen, ihre Unwissenheit reizte ihn nur immer mehr. Es war ihr alles so neu, im Hause hatten alle großen Respekt vor seiner Gelehrsamkeit, er umstrickte sie ganz mit seinem leidenschaftlichen Wesen. – Die Schauspieler hatten insgeheim ihre große Freude daran, und eines Abends kamen die Schalksnarren Ruprecht, Kordelchen, Fabitz, eins nach dem andern, feierlich zu ihm, der eine brachte ein Gedicht, der andere einen dicken Blumenstrauß, und gratulierten zu seiner morgigen Vermählung mit dem Fräulein. Er stutzte und lief sogleich noch zum Forstmeister hinüber. – Es war schon spät, er fand einen seltsamen Rumor im Hause, Spiegel und Kronleuchter wurden geputzt, Gäste vom Lande waren angekommen, andere wurden noch erwartet. Im Garten aber sah er unter den Pflaumenbäumen ein trübes Feuer glühen, vor dem sich dunkle Gestalten seltsam hin und herbewegten. Er eilte hin und fand sein Trudchen, eine Schürze vorgebunden und die Ärmel aufgestreift, in voller Arbeit vor dem Backofen, in welchen soeben Kuchen geschoben wurden. Neugierig und diensteifrig wollte er ihr helfen, um etwas Näheres zu erfahren. Aber sie hatte nicht viel Zeit, er war ihr überall im Wege, sie streifte ein paarmal dicht an ihn an, daß er auf der einen Seite ganz weiß von Mehl wurde. »Nun, nun«, sagte sie, da er sich eifrig abstäubte, »es ist ja nicht Ihr Hochzeitsfrack.« – »Wahrhaftig«, rief er, »wo soll ich bis morgen einen bessern hernehmen?« – »Kommen Sie nur in dem«, erwiderte sie, »und bringen Sie ein hübsches Gedicht mit.« – Er wollte sie, da die Mädchen eben in den Ofen sahen, schnell haschen und küssen. Aber sie hatte gerade den Kochlöffel in einen Topf voll Pflaumenmus getunkt und fuhr ihm fix damit über den Mund. »Morgen!« sagte sie lachend und lief nach dem Hause. Er sah ihr nach – es war ihm, als führe sie unter den Bäumen wie eine kleine Hexe auf dem Kochlöffel davon.

Am folgenden Morgen war er schon frühzeitig auf dem Platz, in Schuh und Strümpfen, einen Klapphut unter dem Arm. In des Forstmeisters Hause schien noch alles zu schlafen; er trat unbemerkt in den stillen Gartensaal. Dort war eine lange Tafel schon festlich gedeckt, buntes Naschwerk schimmerte zwischen den künstlich gefalteten Servietten, in der Mitte ein prächtiger, altmodischer Aufsatz mit Pomeranzenbäumchen von Wachs und porzellanenen Götterfiguren, die sich in dem Spiegelboden wie in einem Weiher verdoppelten. Er schritt neugierig auf und nieder und kostete alle Teller durch. Dann ging er in den Garten, um in der Geschwindigkeit noch die Rede zu memorieren, die er an der Hochzeitstafel halten wollte. Da sangen aber die Vögel so spöttisch und die schlanken Pappeln im Morgenwind verneigten sich vor ihm, als wollte ihm alles gratulieren. Von einem umwachsenen Hügel konnte er gerade ins Haus seiner Liebsten sehen. Dort war es unterdes auch schon lebendig geworden, er sah, wie sich Vettern und Basen im festlichen Staate versammelten, immer neue Gestalten erschienen an den Fenstern, ein galantes Wirren, Scharren und Knicksen flimmernd durcheinander, draußen wurden Pasteten und ein hoher Baumkuchen ins Haus getragen, vom Jubel der Dorfjugend begleitet, die eben zur Schule ging. Er hatte sich das alles noch niemals so recht voraus überlegt, jetzt aber befiel ihn, allmählich wachsend, eine unwiderstehliche Angst vor dem Heiraten, und als er eben in eine Allee hineinbiegen wollte, erblickte er am anderen Ende gar zwei alte Damen, die in taftenen Kleidern feierlich auf ihn dahergerauscht kamen. Da wandte er sich schnell und entfloh in langen Sätzen unaufhaltsam durch den Garten, am Dorfe vorüber in die Berge hinein, es war ihm, als verfolge ihn Gott Hymen und klopfte seine Fackel an seinem Kopfe aus, daß ihm die Funken knisternd um die Augen sprühten.

In dem Hause ging es unterdes schon hoch her, es war des Forstmeisters Geburtstag, kein Mensch dachte an Hochzeit. Trudchen trat oft ans Fenster und ging immer wieder ganz böse fort, daß Dryander noch nicht kam. Auch der Baron, der sich wie gewöhnlich zu dem Feste mit eingefunden, war begierig, ihn zu sehen, denn der Forstmeister hatte ihm schon von seiner Liebschaft, seiner einträglichen Stelle und seinen bedeutenden Verbindungen am Hofe erzählt, und der Baron in seinen verzweifelten Vermögensumständen dachte sogleich daran, seine Tochter unter die Haube und sich unter Dach zu bringen, ehe sein eignes ihm über dem Kopf zusammenstürzte. Aber vergeblich war mehreremal nach Dryanders Wohnung geschickt worden, man hatte sich endlich zu Tisch gesetzt, die Unterhaltung wurde immer lauter, in dem Lärm flogen schon Bonbons und bedeutende Blicke zwischen den jungen Leuten hin und her, vom Knall der Champagenerflaschen salutiert, als sich auf einmal durch die Diener vom Schlosse her das Gerücht verbreitete, der Hofrat sei entsprungen und fern im Walde in vollem Staat gesehen worden. Niemand wußte sich's zu erklären, denn die Schauspieler, die einen solchen Ausgang nicht erwartet hatten, hüteten sich wohl zu verraten, was sie Dryandern eingeredet. – Trudchen aber stand plötzlich auf und ging hochrot hinaus. Da wurde die Sache erst recht auffallend, alle Blicke waren auf die Fortgehende gerichtet, die Mädchen zischelten einander heimlich in die Ohren, der Baron eilte ihr nach, denn es sollte noch getanzt werden. Aber das Fräulein war wie ausgewechselt, schmollend und trotzig, und wollte durchaus nicht mehr zur Gesellschaft zurück. Sie wisse es am besten, sagte sie, die Alltäglichkeit dieser prosaischen Menschen habe den Hofrat vertrieben, sie frage gar nicht mehr nach den unwissenden Leuten, sie kenne nun eine ganz andere Welt! – Der Baron aber schalt sie eine verdrehte Närrin. Dann ließ er voller Zorn mitten in der allgemeinen Verwirrung anspannen, schob sie in den Wagen und verschwor sich: der Kerl, der Hofrat solle sie nehmen, oder er jage ihm eine Kugel durch den Kopf!

Keinem war der Vorfall fataler als Lotharion, denn der Doktor war ihm lange wie ein Blitzableiter, in den sein Witz und Ärger lustig einzuschlagen pflegte. Er ging soeben, die seltsame Flucht besprechend, mit Fortunaten durch den Garten, als ihnen plötzlich Otto mit leuchtenden Augen entgegenkam. »Gute Nachtrichten aus Hohenstein!« rief er schon von weitem, einen Brief emporhalten. Er hatte, über alle Erwartung, nicht nur die Zustimmung des Amtmanns in seine Pläne, sondern auch eine bedeutende Summe erhalten, die mehr als zureichend schien, die Reise durch Italien behaglich zu vollenden. Auch ein Brief von Walter an Fortunat war beigeschlossen, den dieser mit großer Freude sogleich erbrach.

»Unser Otto«, schrieb der wackere Freund, »hat uns von Eurem seltsamen Zusammentreffen und dem poetischen Leben an dem Hoflager des Fürsten ausführlichen Bericht erstattet. Er schreibt überaus lebendig, und es ist uns allen, als wären wir in den Palästen und grünen Gängen mitten unter Euch und sähen und hörten jeden nach seiner Weise sich bewegen und sprechen, diesen Lothario, Kordelchen und Dich selbst nicht ausgenommen. Da sitzen wir dann in Hohenstein, wenn im Feld und Haus alles besorgt ist, jeden Abend wieder unter den Linden vor der Haustür zusammen, und ich muß den Brief immer wieder von Anfang bis zu Ende laut und deutlich vorlesen, bis der Mond über uns aufgeht. So bist Du auch in der Ferne bei uns, wie denn überhaupt eine stille, mondhelle Nacht schon an sich etwas Traumhaftes hat und entfernte, geliebte Gegenden und Personen der Seele wunderbar näherbringt.

Wie glücklich seid Ihr Dichter! Euerem zaubersichen Sinne erschließt sich überall, wo Ihr wandelt, wie dem Geliebten, willig und vertraulich die verborgene Schönheit der Welt, mit jedem Schritt erweitern sich die Kreise, das Entfernte, Dunkele rückt verständlich in freundliche Nähe und neue Fernen heben sich wieder wunderbar immer weiter und schöner. Was ist Dir nicht alles wieder begegnet, seit wir uns trennten! – Mit mir geht es gerade umgekehrt. Je weiter ich komme, je enger wird der Kreis, und die Fernen, die mich in der Jugend entzückten, verbleichen und versinken mir allmählich. – Doch ich denke, das muß wohl so sein. Ruhiger, als Du Dir vielleicht einbilden magst, habe ich endlich meine Stellung in der Welt erkannt und von den vornehmen Täuschungen Abschied genommen. Ich lerne mich bescheiden und beschränken, und mir ist wohl. Euere Aufgabe ist unübersehbar, verwickelt und selten recht in Eurer eigenen Gewalt. Mein Beruf dagegen ist einfach und mir jederzeit klar, und, glaube nur, es ist auch was wert, mit sich selber im reinen zu sein.

Kann ich nun nicht selbst, wie ich früher wohl träumte, mit hinaus in das schöne Land der Poesie, so will ich wenigstens den Dichtern redlich helfen, wie und wo ich's vermag. So ist es mir denn auch endlich gelungen, den Otto mit seinen Pflegeeltern zu versöhnen, denn ich meine, es stand da ein bedeutendes Talent auf dem Spiele. Glaube aber nur nicht etwa, daß das so schwer hielt. Ein rechter, fester Wille tut überall Wunder. Ottos plötzlicher Entschluß die Heimat zu verlassen, hat die bisherige Ansicht der Sache, ich möchte sagen, auf den Kopf gestellt und der Einbildungskraft der Hohensteiner eine ganz neue Richtung gegeben. Dem Amtmann gefällt Ottos Mut, um so mehr, je weniger er ihn dem sanften Stillen zugetraut hatte. Die gute Mutter aber freut sich nun heimlich darauf, Ottos Namen gedruckt oder gar sein Bild vor einem Buche zu sehen.

Du wirst Dich wahrscheinlich über das viele Geld wundern, das wir schicken. Aber es kommt nicht von uns. Otto hat hohe Gönner – mehr darf ich für jetzt davon nicht verraten.

Das ist jetzt eine glückliche Zeit. Kaum war diese Angelegenheit wegen Otto nach Wunsch beseitigt, so erhielt ich aus der Stadt die Nachricht, daß mir das einträgliche Amt eines Gerichtsverwalters hier in Hohenstein, das ich so lange zwischen Hoffnung und Zweifeln ersehnt, zuteil geworden. Nun steht unserer Verheiratung nichts mehr im Wege. – Soeben guckt mir Florentine über die Schulter ins Blatt und hält mir schnell mit der Hand den Mund zu, damit ich nicht alles ausplaudern soll. Da ich aber unterdes fortfuhr zu schreiben, so läuft sie nun gar fort und läßt Dich nicht einmal grüßen. – Ich schreibe im Garten auf demselben Platze mit der großen Aussicht, wo Du alle Morgen zu lesen oder zu dichten pflegtest. Aber die Felder unten sind schon leer, auf den Beeten neben mir prangen nur noch die Astern, und die Blätter auf den Bäumen färben sich und fallen. Das ängstigte mich sonst immer, diesmal ist mir gar wunderlich zumute dabei, denn im Hause durch die offenen Fenster sehe ich die Mutter emsig Federn schütten zu den Brautbetten, der Tischler hat seine muntere Werkstatt vor der Haustür aufgeschlagen und schnitzt die Doppelfenster für unsere künftige Wohnung, und ich richte mich mit innigem Behagen in Gedanken für den Winter ein – da mögen draußen Sturm und Schnee an die Fenster schlagen! Doch dieses Gefühl verstehst Du wohl nicht? – Nun, Gott sei mit Dir, lieber Bruder, und führe Dich auf Deinen weiten Wegen zu solchem Glück und solcher Herzensfreude, als ich auf dem nächsten hier gefunden habe.«

Fortunat legte den Brief mit ganz eigenen Empfindungen zusammen, es war ihm, als stände er tief im stillen Abendrot. Vor ihm aber stand Otto mit Lotharion an dem Abhang und schaute trunken in die Ferne, in die er nun bald hinausziehen sollte.


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