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(1804-1878)
Vortrag, gehalten am 31. Mai 1867 in der Sitzung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien
»In einer Akademie der Wissenschaften ist, falls sie ihren Beruf richtig ergreift, der Urheber einer Entdeckung nie jener entmutigenden Frage des ›Wozu‹ ausgesetzt, die in der Welt so häufig an ihn gerichtet wird.«
Arago (im Fresnel)
I.
Ich entnehme das Thema meines Vortrages einer verbürgten Sage von Pythagoras, wie sie Cicero mitteilt: Dieser erzählt, es habe Pythagoras bei einer Unterredung mit Leon, dem Beherrscher von Phlius, durch sein reiches und mannigfaltiges Wissen so sehr dessen Verwunderung erregt, daß Leon ihn gefragt, welche Kunst er denn eigentlich treibe. Hierauf habe Pythagoras erwidert: Auf eine besondere Kunst verstehe er sich weiter nicht, er sei nur im allgemeinen ein »Liebhaber des Wissens« Philosophos. Von der Neuheit des Namens befremdet, habe nun Leon gefragt, was denn die Philosophen für Leute seien, und wodurch sie sich von anderen Menschenkindern unterscheiden. Das habe nun Pythagoras, zur Erläuterung weiter ausholend, auseinandergesetzt: Ihm komme das menschliche Leben vor wie jene großen Messen und Märkte, die mit dem Pompe öffentlicher Spiele unter dem Zusammenflusse von ganz Griechenland abgehalten würden. Wie nämlich auf jenen Vereinigungen ein Teil der Anwesenden nach der Ehre und dem Ruhme der Kampfpreise strebe, ein anderer Teil nur dem Erwerbe und Gewinne nachgehe, während ein dritter und nicht der schlechteste Teil weder von Ehrgeiz noch von Gewinnsucht getrieben, nur des Schauens wegen komme und sein Genügen darin finde zu beobachten, was geschehe und wie – so kämen auch die Menschen aus einem andern Leben und einer bessern Welt in dieses irdische Treiben, wie aus ihrer Heimat auf eine Messe und jagten, die einen dem Ruhme, die andern dem Gelde nach, und neben diesen seien denn auch einige wenige, die, alles Übrige nicht achtend, nur die Natur der Dinge wißbegierig betrachteten, und diese seien es, die er Philosophen »Liebhaber des Wissens« nenne. Wie es aber bei jenen Zusammenkünften für das Würdevollste (liberalissimum) gelte, bloß Zuschauer zu sein und sich nicht an ihnen zu beteiligen, so scheine ihm auch im Leben die Betrachtung und Erkenntnis der Dinge aller unmittelbaren Beteiligung an demselben bei weitem vorzuziehen.
Hierüber äußert nun Röth (Gesch. uns. abendl. Phil. II.), Pythagoras habe demnach die nicht alltägliche und auch heute noch unsern Philosophen anempfehlenswerte Denkweise geteilt, welche das Wissen und Forschen nicht als ein Mittel zu praktischen Lebenszwecken, sondern als einen Gegenstand selbständigen Wertes, als eines der höchsten Lebensgüter auffaßt; eine Denkweise, wie sie allen großen Denkern wegen des, wenn man will, einseitigen, aber in ihrer geistigen Begabung begründeten Überwiegens der Intelligenz natürlich ist, und wie sie denn wirklich auch bei Plato und Aristoteles in mehrfacher Äußerung vorkomme.
Diesem Gutachten Röths nach sollte Pythagoras, welchen im Kreise seiner Jünger Dahlmann (Politik I) als die erste Universität bezeichnet, so recht die Anlage zu einem Akademiker gehabt haben; – ich mache den wesentlichen Inhalt desselben zum Gegenstand meiner Betrachtung: er ist der selbständige Wert des Wissens und die Befriedigung, die es als eines der höchsten Lebensgüter bietet – ein Thema, über welches nachzudenken man sich, ungeachtet mancher Veranlassung, selten bequemt.
Um dieses Thema zu lösen, d. i. den selbständigen Wert des Wissens und die Befriedigung, die es bietet, zu begründen, kann es sich nicht um die Aufzählung alles dessen handeln, was wir mehr oder weniger gründlich von der Erde und allen dem, was sie birgt und was sie trägt, vom Himmel und seinen Tiefen, von der staatlichen, von der sittlichen Welt wissen, denn augenscheinlich würde auch eine erschöpfende Aufzählung nichts zur Lösung des Themas an die Hand geben. Es kann sich auch nicht um eine Darlegung der aufklärenden gesittenden, heilenden Macht und Wirkung des Wissens, d. i. überhaupt nicht um das praktische Wissen handeln; es kann hier ausschließlich nur das theoretische Wissen gemeint sein.
Die Lösung des Themas, worauf sich ein selbständiger Wert des Wissens und die Befriedigung, die es bietet, gründe, kann nur darin gesucht werden, daß gezeigt wird, wie das Wissen in uns zustande komme, und was es an und für sich leiste.
Bevor ich in diese Erörterung eingehe, ist es nötig, einige nach meinem Erachten ausgemachte Sätze als leitende Punkte in der Untersuchung voranzuschicken. Solche sind: Das Wissen besteht im Festhalten begrifflicher, nach Gegenstand, nach Standpunkt und Stufe der Abstraktion verschiedener, in letzter Instanz in der anschaulichen Welt wurzelnder Erkenntnisse, – wir kennen nur ein begriffliches Wissen, – das begriffliche Wissen ist es, welches die Forschung und die Mitteilung der Erkenntnisse ermöglicht – das Forschen ist Suchen nach theoretischem Wissen. Außerdem ist noch nötig zu erklären, daß ich, wenngleich ich nicht Materialist bin, mich bei dieser Untersuchung doch auf einen materialistischen, oder, wenn man will, organizistischen, physiologischen Standpunkt stellte, und somit, wiewohl ich nicht anstehen kann, dem Wissen eine geistige Natur zuzuerkennen, von der Intervenienz eines geistigen Prinzips als Faktors absehe – zu dem Behufe, um durch Vereinfachung des Gegenstandes denselben dem Verständnisse näher zu legen.
Wenn man sich einigermaßen in den Gegenstand vertieft, so erscheint das Wissen als etwas ganz Außerordentliches, denn es bedingt tatsächlich das Sein, die Welt, und es ist augenscheinlich je größer das Wissen, desto größer nach allen Dimensionen die Welt.
Das Wissen haftet, soweit wir von ihm Kunde haben, an einer Persönlichkeit, welche als das erkennende Subjekt eben seine Erkenntnisse in Begriffen weiß. Wir können, da das Erkennende ein Erkennbares zur notwendigen Voraussetzung hat, ebensowenig ein von der hierin liegenden Beziehung freies, mit Erkenntnis und Wissen ausgestattetes Wesen begreifen, als das Wissen abgelöst von einem Wissenden als etwas Selbständiges denken.
Freilich wohl haben manche Philosophen eine reale Welt aus einem als Absolutum hingestellten formalen Erkenntnisvermögen (Vernunft) entwickelt, allein sie mögen heutzutage kaum mehr irgendwelche gläubige, geschweige denn überzeugte Anhänger finden.
Es zweifelt niemand, daß es eine in bestimmter Weise organisierte, eine mit bestimmten Organen ausgestattete Persönlichkeit ist, welche erkennt und ihre Erkenntnisse weiß; man wird also sagen dürfen, daß beides das Ergebnis normierter Organfunktion, beides eine Leistung der Persönlichkeit sei. Der genauere Nachweis dessen ist für meinen Zweck um so wesentlicher, als auch die Befriedigung, die das Wissen bietet, darin ihre Begründung finden wird. Er wird sich aus der Darlegung der Vorgänge, wie wir zum Wissen gelangen, ergeben. Ehevor dürfte es aber wichtig sein, anzudeuten, wie das Wissen unter den bestehenden Bedingungen seinem Maße und seiner Art nach bestimmt sei.
In ersterer Rücksicht müssen wir glauben, daß das Maß des möglichen Wissens durch die Kombination jenes Grades von anschaulichem Erkenntnis- und Abstraktionsvermögen bestimmt sei, wie wir es in uns realisiert finden.
Eine Erkennbarkeit der Dinge, wie wir sie uns zum Behufe einer tieferen analytischen Anschauung mittels künstlicher Behelfe und Zubereitungen herstellen, wäre mit dem Bestände der Dinge nicht verträglich, – daß aber eine Steigerung des Abstraktionsvermögens bei dem bestehenden Grade des anschaulichen Erkenntnisvermögens unser Wissen erweitern sollte, ist sehr zu bezweifeln. Wir sind ja nämlich tatsächlich in der Lage, hierin Außerordentliches zu leisten; wenn wir aber unbefangen danach fragen, was wir durch eine weit fortgesetzte Abstraktion erreichen, so zeigt sich, daß wir endlich zu Begriffen gelangen, welche inhaltsleere Formen sind, die unser Wissen weder übersichtlich machen noch vertiefen – aus welchen wir die anschauliche Welt durch Ableitung zu konstruieren glauben, während wir sie vielmehr in dieselbe hereintragen. – Wollten wir es aber mit einer Steigerung des einen Vermögens von der Art versuchen, daß das andere dadurch ersetzt würde, so ginge das nur mit dem anschaulichen Erkenntnisvermögen an, weil wir ja das andere als ein selbständiges Abstraktionsvermögen, eine Abstraktion ohne anschaulichen Stoff gar nicht denken können; jenes aber gäbe augenscheinlich, so tief und umfassend es auch wäre, kein Wissen, sondern eine unerquickliche Anschauung der Gegenwart.
Über die Art unseres Wissens muß vor allem in der Darlegung der Vorgänge, vermöge welcher wir zu Erkenntnissen gelangen, Aufklärung zu finden sein. Diese Darlegung wird zugleich zeigen, wie denn die Erkenntnis und das Wissen eine Leistung der Persönlichkeit sei.
Der erste Rang gebührt jenem fundamentalen Vorgange, vermöge dessen wir die Welt als die uns bekannte äußere Welt anschauen oder erkennen. Er stellt die anschauliche, die Erfahrungswelt her, in welcher alles unser Wissen wurzelt, welche keine Abstraktion ganz verlassen darf, wenn sie nicht zu leeren Gedankendingen führen soll. Er besteht in allen seinen Momenten, jenem der Rezeption der Sinneseindrücke und ihrer Leitung, der Verarbeitung derselben zu bestimmten Anschauungen, endlich in jenem merkwürdigsten aller, in dem eine äußere Welt konstruierenden Momente in subjektiver organischer Tätigkeit. Die Wichtigkeit der anschaulichen Erkenntnis kann nicht überschätzt werden. Obgleich im gewöhnlichen praktischen Leben sehr oberflächlich und einseitig geübt, liefert sie durch Schärfe und Allseitigkeit der gemeinhin sog. sinnlichen Auffassung auf Grund seltener natürlicher Begabung ebensowohl die Bausteine aller deskriptiven, klassifizierenden und induktiven Wissenschaft, wie auch die Bürgschaften des Gehaltes der Begriffe und der Verläßlichkeit der Deduktion – wie dies ein unübertreffliches Bild illustriert, welches Arago (im Ampère) über die Geburt und die Entwicklung einer sich bewährenden Idee entwirft: »Gleich einem Gestirn im Aufgange erscheine sie zuerst an den äußersten Grenzen unseres geistigen Horizontes anfangs sehr beschränkt, mit unsicherem, schwankendem Scheine, der wie durch einen dichten Nebel zu uns dringt, dann wachsend an Umfang und Helligkeit, bis alle ihre Einzelheiten zu erkennen sind, endlich mit deutlichen Umrissen, so daß sie sich entschieden von allem absondert, was sie umgibt und nicht sie selbst ist. Da bemächtige sich ihrer die Rede usw., d. h. sie sei dort angelangt, wo sie durch Begriffe hindurchgehend die anschauliche Form annimmt, sich an der Anschauung selbst erprobt und als Entdeckung dasteht. – Und anderseits enthält die anschauliche Erkenntnis die Grundlage einer idealistischen Weltanschauung, denn was ist jener Komplex subjektiver organischer Tätigkeiten im Grunde anderes, als eine Reihe von apriorischen subjektiven Bedingungen, unter welchen die Anschauung zustande kommt? Mit Beziehung hierauf habe ich an einer anderen Stelle angedeutet, wie Kant in seiner idealistischen Auffassung der Dinge die heutigen Standpunkte der physikalischen und physiologischen Forschung antizipierte, indem er gewisse subjektive Formen, sog. transzendentale (vor aller Erfahrung gegebene, dieselbe ermöglichende) apriorische Anschauungen als Bedingungen statuierte, unter welcher die Dinge erkannt werden. In der Tat sind nicht nur sie, sondern alle die vorhin angedeuteten organischen Tätigkeiten als solche subjektive Bedingungen anzusehen, vermöge welcher wir zu bestimmten Anschauungen, ja überhaupt zu Anschauungen gelangen.
Wir sehen die uns umgebende Welt mittels des Lichtes; es ist aber heutzutage außer allem Zweifel, daß das Licht nicht als solches außer uns besteht, sondern daß es Schwingungen des Äthers sind, die wir mittels Vorrichtungen von spezifischer Erregbarkeit jenseits der adäquaten Sinnesvorrichtung zu Licht umsetzen und als solches erkennen. Wir selbst beleuchten uns also den Raum und erkennen darin die Dinge vermöge ihres Verhaltens zum Lichte, nicht nur ihren Oberflächen, ihren äußeren Umrissen nach, sondern bekommen auch über ihr Inneres Aufschlüsse. Ebenso sind es an und für sich Schwingungen tönender Körper von verschiedener Größe und Geschwindigkeit, welche die Luft aufnimmt und uns zuleitet, die wir zum Schalle, zum Tone verarbeiten. Und ebenso sind die Dinge, die wir vermöge der Eindrücke auf andere Sinne vorstellen, außer der Vorstellung gewiß ganz andere, unzweifelhaft in innerer oder Massenbewegung begriffene Dinge.
Nun muß es jedem Unbefangenen höchst wunderbar erscheinen, daß wir die Dinge, deren Vorstellung doch vermöge der gedachten Vorgänge in uns zustande gekommen ist, als äußere Dinge auffassen. Wie geht das zu? Unzweifelhaft liegt auch hier eine weitere subjektive organische Tätigkeit vor. Kant war hierin der erst orientierte, indem er aussprach, daß wir die Dinge vermöge einer apriorischen subjektiven Form im Räume anschauen, daß wir zu jeder Anschauung die uns vor aller Erfahrung innewohnende formale Anschauung des Raumes hinzutun. Die Physiologie faßt sich, in spezieller Beziehung auf die Lichtwahrnehmungen, dahin, wir seien unbedingt gezwungen, die Ursache unserer Lichtwahrnehmungen in den äußeren Raum zu setzen, selbst wenn sie in Wahrheit im Innern des Auges wäre ( Fick).
Ich will hier nicht in eine Untersuchung der Korrektheit sowohl der idealistischen wie der physiologischen Auffassung des Vorganges eingehen. Aber so viel ist unzweifelhaft, daß das Zwingende, demgemäß wir die vorgestellten Dinge außer das Vorstellende verlegen, in der Organisation liegen müsse, daß das Anschauen der Dinge im Räume eine Funktion der Organe unseres anschaulichen Erkenntnisvermögens sei, welche uns konsequent auch im Räume, in der Halluzination, immer eine äußere Welt vorführt.
Diesem Vorgange geht unmittelbar ein anderer vorher, der nicht weniger wunderbar ist. Bekanntlich wird der Eindruck auf die Sinne durch ein Abbild des äußern Dinges, durch das Bildchen auf der Netzhaut des Auges, durch die Oszillation eines oder mehrerer der Elemente des Cortischen Organs in der Schnecke des inneren Ohrs vermittelt. Diese Abbilder sind wie die von ihnen betroffenen rezipierenden Elemente und deren Komplexe außerordentlich klein, und doch sehen wir die Dinge in ihrer, wie wir sagen müssen, natürlichen, realen, das Netzhautbildchen weit übertreffenden Größe, hören wir den Schall, den Ton in einem der Oszillation eines Cortischen Elementes weit überragenden Mächtigkeit. Sie müssen also jenseits jener rezipierenden Elemente zu den mächtigen Dingen, als welche wir sie anschauen, verarbeitet worden sein, und zwar in jenen zentralen Organen, in welchen die verschiedenen Sinneseindrücke überhaupt zu adäquaten Anschauungen umgestaltet werden. Es ist dieser Vorgang unerläßlich, weil sonst nicht einzusehen wäre; warum wir in der in den Raum versetzten Ursache unserer Wahrnehmung, die doch in dem bezüglichen Sinnesorgane als ein kleines Bildchen auftrat, etwas von diesem an Größe, an Mächtigkeit so außerordentlich verschiedenes Ding vorstellen.
Aus diesen Andeutungen, über welche hinauszugehen hier untunlich ist, ergibt sich, daß die uns umgebende anschauliche Welt wesentlich eine Schöpfung der Persönlichkeit sei, daß es Organfunktionen seien, vermöge welcher sich die Dinge als außer uns befindliche, als Dinge von bestimmter Qualität, Form, von bestimmter Größe und Mächtigkeit gestalten.
Aber damit hat es mit unserer Tätigkeit innerhalb der anschaulichen Welt noch nicht sein Bewenden. Noch sehen wir in dem Werden der Dinge und in den an ihnen stattfindenden Vorgängen und Veränderungen eine Sukzession und einen Zusammenhang und wir sagen, die Sukzession geschehe in der Zeit und der Zusammenhang jener Veränderungen sei ein kausaler. Wenn wir aber fragen, wie wir zu diesen Anschauungen gelangen, so zeigt sich, daß dies vermöge subjektiver Formen geschieht, die in unserer Organisation liegen müssen, vermöge welcher wir eben in den Stand gesetzt werden, eine Sukzestion und einen Zusammenhang aufzufassen.
Die Zeit ist vor allem augenscheinlich in uns wir üben ihre Anschauung an den Anschauungen der Dinge (einschließlich unseres eigenen Leibes), sofern sie in die Reflexion eingegangen, zu Gedanken geworden sind – weswegen sie sich nur dem Menschen über die Gegenwart hinaus als Vergangenheit und als Zukunft entfaltet. Ebenso üben wir in der Kausalität eine unseren Organen inhärente Tätigkeitsform, mittels der wir die Dinge und die an ihnen vorgehenden Veränderungen untereinander verknüpfen; wir üben sie mit dem ersten Eröffnen unserer Augen, indem wir, wie die Physiologie sagt, die Ursache unserer Lichtwahrnehmungen in den äußeren Räume versetzen.
Nun könnte man einwenden, diese Tätigkeiten hätten nicht die Bedeutung, die ich ihnen behufs meiner Beweisführung beilege; wir seien ihrer nicht bewußt, die anschauliche Welt komme in automatischer Weise zustande, und wir könnten uns derselben nicht verschließen, – wenn man sich aber erinnert, daß wir die Anschauung auch zu Zwecken der Forschung mit isolierter Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, geleitet von Reflexion, mit Anstrengung, behufs scharfer allseitiger Auffassung üben, so wird man überzeugt, daß hier allerdings ermüdende Tätigkeiten vorliegen, die je nach Maßgabe ursprünglicher organischer Begabung und Ausbildung jene gewöhnliche Anschauung erweitern, ergänzen.
Sobald wir, von der unmittelbaren Anschauung abgewendet, dieselbe denken und in Worte kleiden, befinden wir uns auf einem andern, auf begrifflichen Gebiete, auf dem sich eine andere Reihe von Tätigkeiten eröffnet. Schon auf dieser eben gedachten niedersten Stufe der Abstraktion ist das Forschen, ist eine Erweiterung des Wissens ermöglicht, indem wir – wie vorhin angedeutet – durch fortgesetzte zweckbewußte Anschauung desselben Gegenstandes, oder durch Vergleichung der in einen Begriff übertragenen mit einer unmittelbaren Anschauung veranlaßt, mittels Wiederholung derselben von anderen Standpunkten neue ergänzende berichtigende Anschauungen gewinnen, indem wir die Dinge planmäßig unter abgeänderte Bedingungen ihres Seins und Wirkens bringen, um selbe durch neue Anschauungen möglichst vielseitig zu erkennen. – Alle diese Anlässe und Bedingungen vervielfältigen sich, wenn wir in der Abstraktion weiter gehen; und diese üben wir, indem wir ganze Reihen von Anschauungen von verschiedenen Standpunkten aus unter Begriffe und solche wieder unter höhere Begriffe zusammenfassen – indem wir vermöge verschiedener an bestimmte uns inhärente (transzendentale) Normen gebundener Operationen mit den Begriffen von verschiedener Abstraktionsstufe neue Erkenntnisse, Vernunft-Erkenntnisse schaffen – indem wir die Gesetze erkennen, welche über dem Sein und Werden und dem Wirken der Dinge usw., in den Vorgängen des Erkennens und Denkens selbst, unseres Wollens und Handelns walten, – indem wir mit einem Worte Übersicht in das Detail unserer Erkenntnisse einen Zusammenhang in dasselbe bringen, dieselben vertiefen, Wissenschaften aufbauen.
Es hat keine Zeit gegeben, in welcher man nicht vermutet oder einigermaßen eingesehen hätte, daß hier überall ermüdende an bestimmte Normen gebundene Organtätigkeiten vorliegen – wie sollte unsere Zeit hierüber anders denken, nachdem die Schwelle zu dem wunderbaren elementaren Baue des Tier- und Menschengehirnes, zu den Werkstätten der Anschauung sowohl, wie der Reflexion und ihres leider so oft ungenügenden Fixierungs- und Verkehrsmittels, der Sprache betreten, ja man darf sagen, überschritten ist.
Nach dem Bisherigen haben wir Erkenntnisse erarbeitet; noch müssen wir dieselben, wie vorhin angedeutet wurde, festhalten, wir müssen sie nach Willkür wecken können, damit sich ein Wissen gestalte und ein Forschen möglich werde. Da ist wieder eine und zwar die wichtigste und die lohnendste Arbeit, denn sie setzt uns in den dauernden Besitz einer Welt und macht, daß wir aus der Koordination mit den Dingen heraustreten und uns vermöge der festgehaltenen Erkenntnisse ihnen allen bleibend gegenüberstellen – in einer Beziehung, deren Studium und Auffassung über die Art unserer Weltanschauung entscheidet.
Es ist nun nicht zu verkennen, daß sich die Erkenntnisse, je mehr sie sich über die elementare Form der anschaulichen erheben und sich zu begrifflichen umstalten, desto mehr vergeistigen, daß sie Erzeugnisse geistiger Art sind, welche wir wissen, indem sie fixiert und in einem bestimmten molekularen Zustand der die bezüglichen Organe konstituierenden Materie, entsprechend der Ausprägung dieses letzteren mit mehr oder weniger Klarheit, an uns haften – ein Geist, der in uns aufgegangen, bei uns und unserem Geschlechte bleibt, der überall einkehrt, nach Maßgabe ursprünglicher Begabung, Anregung und Tätigkeit.
Unzweifelhaft haben wir mit der im Vorigen dargelegten Arbeit Werte und wie schon angedeutet einen Besitz geschaffen. Wir erwerben in der Erkenntnis, in dem Wissen kein Eigentum. Hierin liegt ein weiteres höchst wichtiges Moment zur Lösung unserer Aufgabe. Es ist demnach nötig, zu diesem Zwecke dieses Eigentum näher ins Auge zu fassen.
Wenn es richtig ist, daß nur Arbeit ein eigentliches persönliches Eigentum begründet, so ist das durch selbständiges Forschen errungene Wissen das wahrhafteste Eigentum.
Es ist zwar auch das von andern entlehnte, das erlernte Wissen, als ein zusammenhängendes über die Entwicklung und Begründung der Erkenntnisse klares, Rechenschaft gebendes Wissen, ein höchst wertvoller, mühevoll erworbener Besitz, allein er ist eigentlich nur ein Besitz von Mitteln zu dem Zwecke der Produktion eines wahrhaften Eigentums, auf jedem Stadium des gemeinsamen Fortschrittes ein Inbegriff von Bedingungen, unter welchen ein vernünftiges, auf Erfolg rechnendes Forschen, d. i. eben jene Produktion wahrhaften Eigentums, ermöglicht ist. Er ist die Teilnahme an einem Gemeingute, an einem Kapital, auf welches noch zurückzukommen sein wird.
Das auf Grundlage dieses Besitzes durch selbständiges Forschen produzierte Eigentum ist nun, wie die gründlichsten Kenner zugeben, ein Eigentum von besonderer Art. Seine Eigenschaften stehen in dem innigsten Zusammenhange mit der Individualität und ihrem Egoismus und mit der Wahrheit und ihrer kosmopolitischen Natur.
Kein Erzeugnis trägt die Individualität des Produzenten in so ausgeprägter Weise an sich, keines legt das Innere der Werkstätte, die in ihr waltende Arbeitskraft und Richtung so klar dar, als das geistige Eigentum. Deshalb heftet der Produzent gemeinhin mit Besorgnis seinen Namen an die Errungenschaft seines Forschens, spricht dieselbe auch dann noch, wenn sie zum Gemeingute geworden, als sein bleibendes Eigentum an, und verlangt auch von andern diese Anerkennung. Und deshalb ist auch die unbefugte Aneignung desselben der empfindlichste Diebstahl.
Andererseits drängt es als theoretisches Wissen im Gegensatze zu praktischen Kenntnissen, Kunstgriffen und Fertigkeiten ( Whewell) zur Freigebung, zur Mitteilung in den weitesten Kreisen. Das kommt von der Wahrheit, welche allein der Forscher sucht, welche der theoretischen Erkenntnis wesentlich, wenn auch nicht immer ganz zukommt. Mit Mühen und Opfern erworben, durch vielfache Zweifel, die Wächter und Läuterer der Erkenntnis hindurchgegangen, will sie Gemeingut werden, und die Menschheit spricht es vermöge eines unveräußerlichen Rechtes an. Wie das Forschen nach ihr keine Fesseln kennt, und nach Renans (im Dom Luigi Tosti) Tosti, Luigi (1811-1897), ital. Theologe und Historiker. [Anmerk. des Herausgebers.] Wahrnehmung gerade mitten unter allgemeiner Verwilderung die Denker gedeihen, so läßt sich auch ihre Mitteilung nicht hemmen wie die Zeiten lehren, wo sie sich komprimiert und verfolgt von Autorität und Wahn, durch Märtyrertum und im Gewände von Quaestionibus und Paradoxis einführte und zum Gemeingute wurde. – Wenn wir trotzdem klagen mögen, daß manche Wahrheit nicht ausgesprochen worden, daß manche andere nicht in origineller Fassung, in der Reinheit ihrer ursprünglichen Konzeption auf uns gekommen, so haben wir doch nicht Ursache, unsere mächtig und auf sicheren Grundlagen fortschreitende Zeit zu verdammen, wie Steffens, weil sie das Märtyrertum durch Polizeigesetze unmöglich mache, denn es ist in ihr mehr denn je die Überzeugung und die Zuversicht lebendig geworden, daß das Wissen unerbittlich seine Wege vorwärts geht und sich ausbreitet, daß es nicht zerstört, ohne aufzubauen, und daß, wenn es zur Barbarei verflossener Jahrhunderte kommen sollte, wie ehedem die leitenden Wahrheiten als die ewigen Sterne werden zum Vorschein kommen, wenn es genug finster geworden ( Carlyle).
Nicht geringer sind die Besonderheiten des Gemeingutes, des theoretischen Wissens-Kapitals, wie es in unseren Büchern, in unseren Köpfen teils lose, auseinandergeworfen, teils geordnet, verknüpft und verarbeitet aufgespeichert ist. Es wird durch die vielfachste Entlehnung nicht geringer, vielmehr fließen ihm, aus der Verarbeitung des Entlehnten hervorgegangen, neue Elemente als Zinsen zu, deren Größe sich jeder Vorausberechnung entzieht. Es besteht jenes Kapital aus eine Masse des verschiedenartigsten Details sowohl wie umfassender Erzeugnisse, und jedes neu hinzukommende entwickelt in dem Bestehenden eine erweiternde, restituierende, befruchtende, wie eine reduzierende, kondensierende, eine absorbierende, zersetzende, vor allem aber eine metabolische Wirkung, so daß die Masse in einer fortwährenden Umgestaltung begriffen ist. Ich vermag das großartige Schauspiel nur in den gröbsten Umrissen anzudeuten. Wieviel Wissenschaft ist bis auf spärliche Reste untergegangen, wie viele Wissenszweige, die sich nach Methode und Inhalt selbständig dünkten, sind zu Behelfen anderer geworden, wie viele sind von anderen absorbiert worden, wie viele haben sich gespalten, wie viele sind neu erstanden, – und wie haben sich damit ihre Beziehungen untereinander verschoben und geändert. Jedermann kann heutzutage während eines Lebenslaufes irgendeinem Akte des Schauspiels zusehen, wie da und dort ein Strahl hereinbricht, welcher hier wiedererweckt, befruchtet, erleuchtet, dort verdichtet, verödet, zersetzt, chaotische Wirbel anregt und unterhält, bis ein anderer, ein dritter kommt, der den Tumult klärt und neue Gebilde erstehen läßt. – Dieses Kapital repräsentiert durch seine Größe, vor allem aber durch die Natur seiner Bestandteile, ihre Anordnung, durch den Grad und die Art ihrer inneren Verwandtschaft, die Standpunkte und die Bestrebungen, d. i. den Geist der jeweiligen Zeitperiode.
Die eigenartige Natur des geistigen Eigentums macht, daß eine äquivalente Umsetzung desselben zu materiellem Besitze unmöglich ist. Sein Wert liegt in der Arbeit und in der Wahrheit des Erzeugnisses. Abgesehen davon, daß sich die Größe, die Bedeutung der letzteren nicht absolut bestimmen läßt, da eine Entdeckung heute klein erscheint, in der nächsten Zukunft sich aber groß und folgenreich erweist, ist eine kleine Entdeckung oft die Frucht langer, mühevoller, kostspieliger, origineller Arbeit, eine große Entdeckung nicht selten das Werk glücklicher weihevoller Augenblicke. So bietet die Arbeit keinen Anhaltspunkt; wie aber will man das Erzeugnis selbst schätzen, da es den Produzenten ja an und für sich lohnt, ihm an und für sich jenen Genuß bereitet, welchen die Befriedigung eines primitiven Dranges gibt; da es auch nach der Mitteilung sein Eigentum bleibt, und da es seiner Natur gemäß auf Mitteilung dringt und die Menschheit dieselbe als die Erfüllung einer Pflicht fordert. Deshalb appelliert überall die Produktion von geistigen Werten an das Gemeindewesen, den Staat, die Gesellschaft, und das Maß der ihr von ihnen gewordenen Anerkennung und Förderung durch materielle Mittel ist Zeuge und Gradmesser ihrer Zivilisation.
Wenn man fragt, was zu dieser Arbeit als einem Lebensberufe bestimmt, so müssen wir sagen, daß es ein den Organen innewohnender, von der Idee des Organs unabtrennlicher Drang nach Funktion ist, der uns dahin treibt, dem wir folgen, ehe wir noch die Bedeutung, den Wert seiner Befriedigung und ihrer Früchte irgendwie zu ermessen imstande sind. Dieser Drang, der uns im Reiche des Lebendigen, vor allem im tierischen Organismus, entgegentritt, und hier als leitender und beherrschender dem Nervensysteme innewohnt, hier die größte Mannigfaltigkeit in bezug auf seine Richtung entwickelt, dessen individualisierendes Studium unzweifelhaft wieder zum Leitfaden in der Durchforschung des Zentralorgans werden wird – dieser Drang wird durch Tätigkeit, durch Funktion gestillt. Es ist wohl natürlich, daß die hierin liegende Befriedigung zu einem desto edleren Lebensgenüsse wird, je edler der Drang selbst ist, und je klarer seine Befriedigung ins Bewußtsein tritt. Ich weiß in der Tat alles das Gesagte mit Beziehung auf den »selbständigen Wert« des Wissens nicht besser zu erläutern, als durch das Geständnis, welches in den Worten liegt, die Fresnel an Young schrieb: »Ich arbeite viel weniger, um den Beifall des Publikums zu erhaschen, als um meine eigene innere Zustimmung zu erhalten, welche letztere mir immer die süßeste Belohnung aller meiner Mühen gewesen ist.« ( Whewell.)
In diesen Worten liegt übrigens auch noch ein weiteres: Jede Arbeit begründet Selbständigkeit, und es ist nach dem Gesagten erklärlich, daß das seiner Natur nach freie Forschen Denken und Wissen den exquisitesten Grad von Selbständigkeit begründet. Wenngleich nun diese Selbständigkeit den Forscher in seinem Bereiche isoliert, so folgt er doch, indem er wahrnimmt, wie der durch seine Errungenschaft in der flüssigen Masse des Wissens geweckte Wellenschlag über seinen Kreis in entrückte Provinzen hinausgeht, wie die Gärung weit hinaus in die ganze Masse greift, indem er wahrnimmt, wie überhaupt ein in einem Kreise angezündetes Licht in den entlegensten anderer widerscheint, so folgt er doch, sage ich, vor allen anderen einem allgemeinen Kulturgesetze, demgemäß je höher der Grad der Selbständigkeit des einzelnen ist, sich desto mehr der Drang nach Assoziation geltend macht, d. i. nach der Verwirklichung einer Abstraktion, welche ihre Elemente durch wechselseitige Anerkennung und Anregung zu einem gemeinschaftlichen Zwecke bindet und nach außen eine Persönlichkeit repräsentiert. Darum haben eben nur Kulturvölker, deren Elemente durch Talent und Arbeit auf dem Wege freier von Autorität und Tradition emanzipierter Entwicklung selbständig geworden, Assoziationen – Assoziationen der verschiedensten spezielle sowohl wie allgemeine Interessen umfassenden Art –, über denen sich unvermerkt die umfassendste von allen, die öffentliche Meinung, gestaltet, ein einiger, frei gewordener, siegreich aus einem Kampfe ums Dasein mit anderen hervorgegangener Gedanke, der gleich einer Atmosphäre sich niederläßt und alles durchdringt, hier stärkt und belebt und dort lähmt und vernichtet.
Am lebendigsten muß wohl dieser Drang nach Assoziation in den Trägern des theoretischen Wissens sein, da dieses ja an und für sich vermöge seiner im kleinsten Detail waltenden Solidarität faktisch immer und zumal heutzutage innigst assoziiert ist – zu einem Ganzen, bestehend aus dem Erbe unserer Väter und den Schöpfungen der jeweiligen Gegenwart, Früchte zugleich und eine Saat, die keimfähig ist für alle Zeiten. Arbeit, Produktion von Werten, Stillung des Wissensdranges füllen die Geschichte des schaffenden Geistes und werden sie füllen; die Arbeiten mit ihrem gestillten Drang gehen unter, die Werte bleiben und jede Zeit hat die Aufgabe, sich über die ihnen gebührende Stelle in dem assoziierten Wissen zu orientieren. Man könnte meinen, und man sagt es, daß wir heutzutage in dieser Hinsicht Wichtiges vernachlässigen; es wird hiermit eine Geringschätzung des deduktiven, spekulativen Wissens ausgesprochen. Ich glaube mit Unrecht. Auf einer Seite hat unsere Zeit die ungenügenden Resultate deduktiver, spekulativer Bestrebungen in der Mangelhaftigkeit empirischer Grundlagen begründet, es hat die Reichhaltigkeit der Objekte sowie der Reiz induktiver Studien die Forscher in überwiegender Anzahl auf diesem Gebiet versammelt; Objekt und Methode machen, daß hier notwendig Assoziation herrscht. Auf der andern Seite ist es die andersartige, diskursive Natur des deduktiven, des spekulativen Forschens, welche nicht nur das ganze Gebiet desto mehr isolierte, je schroffer sich die Denker dem empirischen Wissen verschlossen, sondern sie ist es auch, welche selbst die einzelnen Denker auseinanderhielt. Die induktive Forschung hat dem Denker Grundlagen und die Hand geboten, und indem es heutzutage keinen Naturforscher gibt, der sich nicht auf höheren Standpunkten zu benehmen wüßte und keinen Denker, der induktives Wissen nicht zu verwenden strebte, so ist tatsächlich das Wissen von heute assoziiert wie nie zuvor und damit auch, wie nie zuvor, eine Macht geworden.
Und nun, ehe ich schließe, noch eine Bemerkung: Indem das Wissen ein Eigentum ist, neben dessen Anhäufung kein Zweiter verarmt, weil das Gebiet des zu Wissenden unerschöpflich und jedem zugänglich ist, und weil jeder Errungenschaft ihre Mitteilung folgt, so können dessen Inhaber und die Kreise, die sie bilden, nur insofern in der Gesellschaft isoliert erscheinen, als das Verständnis für ihre Bestrebungen ohne ihre Schuld nicht zustande gekommen oder ohne ihre Schuld abhanden gekommen ist.
Ich sehe mich hiermit am Ende meiner Erörterung in die Akademie versetzt und nehme die pythagoräische Anschauung des Wissens als den Beruf derselben, als die in derselben herrschenden Denkweise, als das Prinzip ihrer Tätigkeit in Anspruch. Und wenn ich nun auf die Fragen, von deren Lösung ich das Verständnis des Kommentars Röths über das Wissen und Forschen abhängig machte, antworten soll, so ergibt sich:
1. Wir schaffen in dem Wissen auf dem Wege unbewußter automatischer, insbesondere aber zweckbewußter anstrengender, an Organe geknüpfter und damit an bestimmte inhärente Normen gebundener Tätigkeit eine materielle und eine geistige Welt.
2. Wir schaffen durch die hierin liegende selbständige Arbeit ein persönliches Eigentum eigener Art, welchem mit Beziehung auf den spezifischen Drang nach Forscher-Tätigkeit ein selbständiger Wert zukommt.
3. Wir erlangen, indem wir den den edelsten Gebilden unseres Organismus innewohnenden Drang nach Tätigkeit befriedigen, eines der höchsten Lebensgüter – ein Lebensgut, welches sich dem Bewußtsein des Gerechten würdig zur Seite stellt – ein Lebensgut, zu dessen massenhafterer Produktion und Mitteilung die Menschen sich zu Vereinen zusammentun, deren Bestrebung jener ethischen Vereine würdig zur Seite steht.
Wenn ich am Schlüsse das Gesagte überblicke, so zeigt sich, daß, wenn auch das konkrete Thema befriedigend erledigt worden sein mag, doch noch die definitive Beantwortung einer Frage unterblieb, – einer Frage, welche sich aus mehreren der angeführten Daten mächtig hervordrängt – deren Beantwortung somit auch eine Ergänzung der bisherigen Erörterungen abgeben dürfte. Diese Frage ist: Von welcher Art ist unser Wissen in Beziehung auf das Wesen der Dinge, oder was haben wir von den Dingen, die wir erkennen, zu halten? – Die Beantwortung dieser Frage scheint auf den ersten Blick vor allem davon abzuhängen, daß wir die Dinge recht gründlich und allseitig erkennen; allein bald tritt die Überzeugung dazwischen, daß es auch sehr wichtig sein dürfte, zu berücksichtigen, welche Rolle nach dem Gesagten dem Erkennenden zukomme. In der Tat läßt sich besonnenerweise die Frage nur nach gründlichster Beachtung dieses Faktors beantworten. Und diese Antwort wird zugunsten einer idealistischen Anschauung der Dinge ausfallen. – Das Interesse der Frage, deren Beantwortung eine Lücke im Vorigen ausfüllt, bestimmt mich zu einer Erörterung, welche übrigens nicht mehr als eine höchst fragmentarische gleichsam an einem Beispiele versuchte Darlegung des Idealismus sein kann.
II.
Es hat lange gewährt, bis man dahin gelangte, sich die Frage förmlich zu stellen, was wir von den Dingen zu halten haben, und es währte noch länger, bis man einsah, daß es zum Behufe einer gründlichen Beantwortung von unabweislichem Belange sei, unsere Kenntnis zu untersuchen.
Am nächsten lag immer, zu glauben, daß wir die Dinge als gegebene erkennen, und daß sie das auch an und für sich seien, als was wir sie erkennen, »das Wesen derselben sei die Summe ihrer Eigenschaften« d. i. die Summe des an ihnen Erkannten und weiters Erkennbaren – sie seien demnach reale Dinge. Daß wir die Dinge tatsächlich nicht zu jedem Zeitpunkte, ja wegen der Beschränkung unseres Erkenntnisvermögens überhaupt nie völlig erkennen, ändert hieran nichts, denn alles, was über das faktisch an den Dingen Erkannte hinaus an ihnen sein mag, wäre doch nur Erkennbares.
Nun läßt sich anderseits eine Stimme vernehmen, welche sagt, daß, wenn wir auch alles an den Dingen erkannt hätten, wir doch das innerste Wesen derselben nicht erkannt haben würden. Es regen sich Zweifel, ob denn die vollendetste Erkenntnis der Eigenschaften eines Dinges uns sein innerstes Wesen darlegen könne; wir sehen allerdings, daß die Summe der Eigenschaften ein Ding konstituiere, aber wir merken doch bald, daß dieses Ding nicht jenes sein könne, welches vermöge der Eigenschaften erkennbar geworden ist. Und sofort gestalten sich Folgerungen, und zwar auf Seiten der Dinge: Die Dinge müssen außer dem, was an ihnen erkannt wird, noch etwas sein, und zwar etwas, das überhaupt oder mindestens nicht anschaulich erkennbar ist – auf Seiten der Erkenntnis: die anschauliche Erkenntnis der Dinge mag nur auf eine Seite der Dinge berechnet sein.
Ob und inwiefern diese Folgerungen berechtigt sind, muß sich aus der Untersuchung des Erkennens und zwar des anschaulichen Erkennens ergeben.
Aus dem im vorigen Gesagten geht hervor, welch eine wesentliche Rolle gewisse Organfunktionen bei dem anschaulichen Erkennen spielen. Solche waren unter anderem die Umsetzung äußerer Vorgänge zu spezifischen Anschauungen oder Vorstellungen, die Verarbeitung von Abbildern zur Vorstellung und die Verlegung der Dinge in den Raum, demgemäß wir sie als äußere Dinge vorstellen.
Diese Funktionen und ihr Ergebnis, die in jedem bewußten Momente dastehende anschauliche äußere Welt, bilden ein abgeschlossenes Thema, und aus diesem entnehme ich die beiden letzteren und mache sie zum Gegenstande einer Erörterung, über welche eine vorläufige Verständigung nötig ist.
Sie sind gleich anderen im vorigen vom physiologischen Standpunkte als bestimmte einer bewußten Intensitätssteigerung fähige Arbeitsleistungen in Betracht genommen worden. Die folgende Erörterung faßt sie als Bedingungen auf, unter welchen wir die Dinge anschauen. Während es der physiologischen Forschung zukommt, die hier vorliegenden Mechanismen aufzuklären, die Vorgänge zu konstruieren, hat es der nunmehrige Standpunkt mit dem ins Bewußtsein gelangten Resultate dieser Vorgänge, mit der Anschauung selbst zu tun.
Ich wende mich zunächst zu den Ergebnissen jenes wundervollen Mechanismus, vermöge dessen wir, wie der Physiologe sagt, die Ursachen unserer Wahrnehmungen mit zwingender Notwendigkeit in den Raum versetzen. Kant – der Mann der Physiologen – sagte: »wir schauen die Dinge im Raume an«, und sah hierin eine transzendentale Form unserer Anschauung, indem er meinte, wir besäßen eine apriorische Anschauung des Raumes, die wir zur Anschauung der Dinge jedesmal hinzutäten. Die Voraussetzung, welche der Verlegung der Ursachen unserer Wahrnehmungen in den Raum zugrunde liegt, findet in der Kantschen Auffassung einen völlig entsprechenden Ausdruck. Es ist aber von dem größten Interesse, zu erforschen, wie Kant zu seiner Auffassung gelangt sein mochte. Es ist kaum zu zweifeln, daß er zunächst darin eine merkwürdige Eigentümlichkeit unserer Anschauung fand, daß wir die Dinge als außer uns befindliche, als äußere anschauen. Da er aber sah, daß dies den Raum voraussetzt, so gestaltete sich sein Ausspruch dahin, daß wir die Dinge im Raume anschauen. Dabei mußte ihm die anschauliche Erkenntnis des Raumes als eines äußeren als eine solche erscheinen, die uns vor aller Erfahrung, als eine besondere formale Anschauung innewohnt, als eine apriorische Bedingung, ohne welche wir zu keiner Anschauung eines äußeren Dinges kämen.
Man kann nicht umhin, anzuerkennen, daß in unserer Anschauung der Dinge im Räume eine apriorische, subjektive Form liegt, allein bei genauerer Erwägung zeigt sich, daß diese Form nicht in der eben besagten Raumanschauung, sondern in jenem Momente liege, von welchem Kant ausgegangen sein mochte. In der Tat ist die reine primitive Form der Anschauung, soweit unser Bewußtsein reicht, die, daß wir die Dinge als äußere anschauen, daß wir die Anschauung außer uns verlegen. Nun geschieht aber dieses Verlegen nicht in den von Kant als Äußeres vorausgesetzten Raum, sondern wir verlegen vielmehr die Dinge (unsern Leib einbegriffen) und den Raum unter Einem außer uns. Es kann sich hier nicht um die Anschauung der Dinge außer unserem eigenen Leibe, wie solche durch manche geistreiche Konstruktion klar zu machen versucht worden ist, sondern um die Anschauung der Dinge mit Einschluß des eigenen Leibes außer dem anschauenden Subjekte handeln. Wir besitzen allerdings in der räumlichen Anordnung der Elemente der perzipierenden sowohl wie der anschauenden Organe die Bedingung der Anschauung des Raumes, allein wir können sie nicht nur nicht als reine, von den Dingen abgesonderte üben, sondern sie würde auch nie zur Anschauung eines äußern werden, wenn wir sie eben nicht mit den Dingen außer uns verlegten. Es liegt demnach nicht in der Raumanschauung, sondern vielmehr in dem Verlegen der Dinge mit dem sie enthaltenden Räume außer uns eine subjektive apriorische Form unserer Anschauung.
Darin begründet sich viel tiefer die Unzertrennlichkeit beider und der Umstand, daß was wir immer von dem einen sowohl a priori wie auch empirisch aussagen, auch von dem anderen gilt, die nicht bloß einem, sondern beiden solidarisch zukommende Idealität. So können wir uns ebenmäßig weder den Raum, noch die Dinge (Materie) irgendwie begrenzt denken; wir können ebensowenig den Raum ohne Dinge, als die Dinge ohne den Raum anschaulich vorstellen; wir können von den Dingen abstrahieren und einen leeren Raum denken, allein es ist dieser sogenannte Raumbegriff eben eine an sich leere Abstraktion, welche nur fruchtbar wird, wenn wir einen Inhalt in anschaulicher Form hineindenken, Teile desselben anschaulich begrenzen. Der Teilbarkeit der Materie entspricht die des Raumes, der anschaulichen Kontinuität der Materie die des Raumes, und es wird im anschaulichen Räume bei der Bewegung der Massen die aus dem Räume weichende Materie immer wieder durch Materie substituiert. Dagegen erscheint uns in der anschaulich gedachten atomistischen Welt wiederum gleichmäßig sowohl die Materie wie der Raum diskontinuierlich, und es substituieren bei der Bewegung die körperlich gedachten Atome den Raum und dieser jene. Wie dort die Kontinuität das anschauliche Verständnis begründet, so könnte man glauben, daß es hier die Diskontinuität, d. i. die Unmöglichkeit der Anschauung eines leeren Raumes, sei, daß wir keinen Einblick in die Welt der Atome erlangen können. Materie und Raum sind gleichmäßig die Bedingungen der Bewegung; wir messen den Raum mittels der Dinge und umgekehrt usw.
Mit der Anschauung im Raume in untrennlichem Zusammenhange steht die Anschauung mittels Abbildern. Die gewöhnliche (realistische) Auffassung geht dahin, daß wir von den außer uns befindlichen Dingen die Bilder erkennen, daß wir die äußere Welt im Bilde in uns tragen, und daß demnach eine abgebildete Welt in uns neben einer äußeren realen objektiven einhergehe. Allein wir sind uns nie solcher Bilder in uns, sondern immer nur der außer uns projizierten Dinge bewußt; wir gehen nie mit Bildern, sondern immer unmittelbar mit den äußeren Dingen um, wir stellen nie Vergleiche zwischen einem und dem andern an, wir ergänzen oder berichtigen die Anschauung des äußeren Dinges nicht durch die Berücksichtigung eines Bildes, sondern immer nur durch eine wiederholte Anschauung des Dinges; wir reproduzieren z. B. im Traume die einmal angeschauten Dinge nicht als Bilder in uns, sondern immer als die Dinge außer uns in ihren ihnen als äußeren Dingen zukommenden Dimensionen. Wir wissen demnach nichts von solchen zwei Welten, wir stellen die Dinge nicht in Bildern vor, die wir auf die äußeren realen Dinge beziehen, sondern wir stellen die Dinge selbst als äußere, angeregt durch Bilder, vor. Wenn übrigens das erstere wirklich statthätte, so wäre der Vorgang jener Beziehung jedenfalls eine subjektive apriorische Form der Anschauung, ohne welche wir tatsächlich nichts von dem Dasein äußerer Dinge erfahren würden.
Wenn man diese Momente erwägt, so ergibt sich, daß die Herstellung der äußeren Welt das Werk unserer subjektiven Wirksamkeit sei, und zwar glauben wir zunächst, daß wir reale Dinge, die außer uns sind, zu einer vermöge subjektiver Bedingungen ermöglichten ihnen adäquaten Anschauung bringen. Besinnt man sich jedoch, so zeigt sich zunächst, daß die Dinge in der Anschauung andere sein dürften als außer derselben, sodann aber, daß sie, wie sie vor uns liegen, ganz und gar von subjektiven Bedingungen abhängen, daß sie völlig in der Anschauung aufgehen. Und tatsächlich ist dies der Gang, welchen die Entwicklung der Grundlagen und die Ausbildung der idealistischen Auffassung der Welt genommen.
Allerdings hat das Festhalten der einmal gewonnenen Auffassung seine Schwierigkeit; immer nämlich verfallen wir in den realen, physiologischen Standpunkt, demnach die Dinge einmal an und für sich da sein und außerdem erkannt werden sollen. Kant selbst hat sich von diesem Standpunkte nicht ganz und gar los gemacht: Als er nämlich Berkeley im Auge, gleichsam angeweht von dem Hauche des urwüchsigen rasseneigentümlichen Mißtrauens und Zweifels des Hindu-Volkes an der Realität der Welt und getragen von den kritischen Leistungen Lockes und Humes seinen transzendentalen Idealismus begründete und lehrte, daß das Empirische der Anschauung uns von außen gegeben werde, indem wir die Dinge vermöge unserer Sinnlichkeit unter den transzendentalen Formen des Raumes und der Zeit als Erscheinungen anschauen, so legte er der nach ihm der bloßen Sinnlichkeit angehörigen Anschauung eine äußere Ursache unter und vermeinte sogar in diese das Ding an sich verlegen zu können. Diese Ursache, welche vermöge des subjektiven Kausalgesetzes völlig in die Anschauung gehört und nichts von dieser Verschiedens sein kann, blieb denn als ein Gegebenes, ein von der Anschauung Unabhängiges gleichsam als ein Objekt an sich zurück. Kant ging eben vom Objekte in diesem Sinne aus, wandte sich sodann dem Subjekte zu und fand in diesem so wesentliche Bedingungen der Anschauung, daß er sagen mußte; bei der spezifischen Subjektivität, mit der wir die Anschauung der Dinge üben, können sie für uns nur Erscheinungen sein, oder, was wir an ihnen anschauen, ist eine durch Subjektivität bedingte Erscheinung – was die Dinge außer der Erscheinung was sie an sich seien, läßt sich nicht sagen, weil wir über die Erscheinung nicht hinaus können, indem das Subjekt, eben vermöge der an ihm haftenden Bedingungen der Anschauung, nur für die Auffassung von Erscheinungen eingerichtet ist.
Man muß annehmen, daß, wenn Kant seine Richtung unbeirrt festgehalten und verfolgt hätte, er zum Idealismus Schopenhauers gelangt wäre, indem er jedes Gegebene eliminiert hätte durch die Einsicht, daß alles und jedes eben nur durch die Anschauung gegeben sein könne.
Diese Meinung ist nicht weniger begründet, wie die, daß ein rechtes Verständnis des Schopenhauerschen Idealismus nur selten zu finden ist. Es wurzelt dies unzweifelhaft zum wesentlichsten Teile in einer Aversion, deren Ursache in dem uns im gewöhnlichen Leben anhängenden Realismus liegt. Man nimmt es hin, in den Dingen mit Kant Erscheinungen zu sehen, weil dies doch ein Objektives besagt, womit wir immer ein Reales zu verbinden gewohnt sind, dagegen sträubt man sich, in ihnen mit Schopenhauer Vorstellungen zu finden, weil hierin nur Subjektives, nur Wesenloses enthalten scheint.
Während Kant von der Voraussetzung ausgeht, daß Objekte gegeben seien und sodann begründet, daß sie für uns Erscheinungen seien, so konkreszieren diese zwei Welten, die Welt der gegebenen Dinge oder der Objekte an sich und die durch die Anschauung hergestellte Erscheinungswelt, in der Auffassung Schopenhauers zu der einen, umfassenden Welt der Vorstellung.
Wie dies zu verstehen, inwiefern dieser, wie man sagt, auf die Spitze getriebene transzendentale Idealismus Kants berechtigt sei, damit hat es folgende Bewandtnis: Das Wesen dieses Idealismus gegenüber jenem Kants liegt darin, daß es nicht einzelne apriorische Bedingungen sind, unter welchen wir gegebene Dinge anschauen, sondern daß das erkennende Subjekt selbst – als Inbegriff solcher Bedingungen – die Voraussetzung der Dinge sei, deren Wesen in Beziehung auf das Subjekt Anschauung ist, in der Anschauung, in der Erkenntnis aufgeht. Demnach sind die Dinge nicht insofern, als sie angeschaut werden, Erscheinungen, sondern, indem sie überhaupt nur vermöge der Anschauung gegeben sind, durchweg phänomenal, ideal.
Alles was irgend von den Dingen über deren Sein überhaupt, über die Art ihres Seins und Wirkens insbesondere ausgesagt wird, hat zur notwendigen Voraussetzung ein Subjekt, welches sie erkannt hat. Alles was das Subjekt von ihnen aussagt, ist Erkanntes, ist Anschauung oder Vorstellung des Subjektes. Die Welt besteht demnach aus Subjekt und Objekt; die Dinge sind (mit Einschluß des eigenen Leibes) Objekte des erkennenden Subjektes, sie sind als solche Erkanntes, Vorgestelltes; sie sind Objekte, sofern sie erkannt oder vorgestellt werden. Mit dem Wegfalle des erkennenden Subjektes sind sie verschwunden, weil sie eben nur dessen Vorstellung waren. Es läßt sich also nicht sagen, daß sie irgendwie gegeben sind und sodann als Erscheinungen angeschaut werden, sondern sie sind oben nur gegeben, insofern sie erkannt oder vorgestellt wurden, und da weiters mit ihrer Erkenntnis, mit ihrer Vorstellung ihr Objektsein erschöpft ist, so bleibt nichts zurück, was an ihnen noch ein Objekt an sich abgeben könnte. Das Objektsein besteht eben nur im Angeschaut- oder Vorgestelltwerden und hat an sich, ohne Subjekt, keine Bedeutung. Die Welt ist demnach Vorstellung des Subjektes, und es kommt ihr nur ein relatives, durch das Subjekt bedingtes, ein durch die Vorstellung vermitteltes und in ihr erschöpftes, durchaus phänomenales Sein zu.
Dieser Idealismus entschiedenster Form entbehrt jedes realen Elementes: das Objekt wartet nicht als ein irgendwie Gegebenes ein erkennendes Subjekt ab, sondern es ist erst durch das Subjekt bedingt, indem es seine Vorstellung ist; demnach liegt auch sein Ausgangspunkt, die Vorstellung außerhalb aller Kausalbeziehung zwischen Subjekt und Objekt, – wie später gezeigt werden soll, wenn vom Materialismus und seinem Ungenügen die Rede sein wird.
Wenn man auch den Kern dieses Idealismus, demzufolge Objekt und Vorstellung zusammenfallen, aufgefaßt hat, so muß man sich doch noch über die Vorstellung orientieren, um einzusehen, wie die Vorstellungen der Dinge sein können, mit denen wir einen so realen Umgang pflegen. Da ist nun die anschauliche Erkenntnis oder Vorstellung nach Wesen und Leistung das Wunderbarste. Wir stellen nämlich nicht, wie man gewöhnlich glaubt, körperlose Bilder, sondern die leibhaften, stofflichen Dinge selbst, vermöge subjektiver in so vielen auf die Perzeption und Anschauung der verschiedensten Eigenschaften der Dinge berechneten Organen realisierter Bedingungen vor. Wir konstatieren mit einem Worte tatsächlich die Materie, und eben darin, daß wir dies in einer Weise tun, daß sie uns als ein Reales erscheint, besteht die staunenswerte Leistung der Vorstellung. Wir stellen die Dinge ferner unter Einem unmittelbar als äußere vor, wiewohl die Vorstellung in uns ist. Die Vorstellungswelt ist demnach auch eine, wenn auch relativ, so doch sonst gewiß nicht minder reale als die Welt des Realismus, da, was die auch unabhängig vom Subjekte bestehensollenden Dinge für uns seien, so doch immer nur Sache der Erkenntnis sein kann.
Die relative Realität selbst findet ihren angemessensten Ausdruck darin, daß die Vorstellung in uns, innerhalb des Subjekt, ist, so daß die Dinge mit der Aufhebung dieses auch aufgehoben sind. Es ist hiernach die Welt ein subjektives Phänomen und hierin, was hier auszuführen nicht zulässig ist, das von Philosophen und großen Dichtern durchblickte traumartige Sein der Welt begründet.
In der Idealität, in der Subjektivität der Auffassung der Dinge liegt aber auch unstreitig der Reiz sowohl wie die Klarheit der anschaulichen Welt und die Befriedigung, die sie bietet. Immer und überall trachten wir nach anschaulicher Erkenntnis, es mag sich um ein neues induktives Element oder um den Nachweis einer Deduktion handeln, wir wechseln zu diesem Behufe wiederholt die Standpunkte in Raum und Zeit, nehmen künstliche Sinnenbehelfe in Anspruch, isolieren die Dinge oder kombinieren sie im Sinne kausaler Beziehungen, benützen nachahmende Darstellungen in bildlicher und plastischer Form, in Apparaten, versichern uns ihrer mittels Kalkül und geometrischer Konstruktion, ja wir trachten möglichst auch Abstraktes unter ein anschauliches Schema zu bringen. Darum forschen wir überhaupt zunächst auf anschaulichem Gebiete, darum schaffen wir uns eine anatomische Welt, darum befriedigen die großen Dichter, deren Genius die erfaßte abstrakte Wahrheit in anschauliches Gewand kleidet, darum tröstet auch religiöser Glaube desto mehr, je mehr er gestattet, das metaphysische Wesen anschaulich zu denken, je mehr er eine Inkarnation der Gottheit lehrt.
Der Idealismus folgert, daß die Dinge außer der Erscheinung, außer der Vorstellung noch etwas sein müssen, daß es außer dem erscheinenden, außer dem anschaulichen, durch das erkennende Subjekt bedingten relativen, idealen Sein notwendig ein anderes reales Sein gebe – ein Reales, welches außer jeder Beziehung zum erkennenden Subjekte stehend, ein nicht anschauliches, ein Ding an sich ist. Der Idealismus postuliert demnach ein Transzendentes, welches, in uns und der uns umgebenden Welt zum anschaulichen Ausdruck gekommen, das innerste Wesen der Dinge ausmacht und jeder anschaulichen Erkenntnis entrückt ist. Er überweist die Welt der Erscheinungen der Objekte als ein an durchaus immanente Gesetze gebundenes Reich der Materie der empirischen Forschung, feiert aus naheliegenden Gründen ihren Fortschritt und beirrt sie nicht nur in keinerlei Weise, sondern dringt vielmehr auf die eingehendste Forschung der Erscheinung. Er tritt ihr jedoch entgegen, wenn sie sich zu einer realistischen, materialistischen Weltanschauung gestalten will, indem er nachweist, daß sie, die auf ihrem eigenen Gebiete gesammelten Daten zu verwerten, von einem höheren Standpunkt in Rechnung zu bringen, nicht verstanden hat.
Der Realismus sieht in den Dingen reale, von der Vorstellung oder Erkenntnis unabhängige Wesen, als Materialismus in der Materie das Unvermittelte, das Reale, aus welchem alles wird, welches alles wirkt, welches auf seinen höchsten Entwicklungsstufen endlich auch erkennt. Es könnte ihm vorkommen, daß er so recht voraussetzungslos, wie es viele Philosophen wollen, vorgeht. Es ist bekannt, wie nicht nur gegen ihn als Weltanschauung, sondern auch gegen die empirische Forschung geeifert wird, wiewohl jene am Idealismus immer einen unbezwingbaren Gegner findet und diese wesentlich die heutige Wissenschaft und Kultur begründet.
Der Idealismus seit Kant orientiert sich am Subjekte und spricht erst dann den Dingen ihre Bedeutung und zwar die von Erscheinung, von Vorstellung zu. Ihm eröffnet sich hiermit nebst der eben gedachten idealen auch eine transzendente reale Welt, von welcher der Materialismus nichts wissen will. Er wird eher geduldet, vor allem darum, weil er eben nicht Materialismus ist, und weil er ein Metaphysisches anerkennt; wiewohl dies lange noch kein Recht und keinen Anhaltspunkt gibt, in ihm einen Spiritualismus zu entdecken. Vielmehr stellt sich dieser dem Materialismus zur Seite, denn die der Materie beigegebene immaterielle Substanz ändert nichts an der realen Auffassung der Dinge – und der Naturalismus ist entweder reiner pragmatischer Materialismus, oder er fingiert zur Materie ein Wesen hinzu, das nicht Materie sein soll, aber doch nach ihrem Schema tätig ist. – Es kann nur einen Materialismus oder einen Idealismus geben.
Wenn es sich nun darum handelt zu zeigen, woran das Bestreben des Materialismus, sich zu einer gültigen Weltanschauung zu gestalten, scheitert, so ist nötig, den Idealismus noch einmal von einer hier maßgebenden Seite ins Auge zu fassen.
Der eine (transzendentale) Idealismus setzt Objekte und ein Subjekt voraus, welches jene vermöge bestimmter apriorischer, eben im Subjekte liegender Bestimmungen anschaut, weswegen sie für das Subjekt Erscheinungen werden.
Der andere Idealismus behebt weitergehend die vorausgesetzten Objekte, welche im vorigen zu Erscheinungen wurden, und macht das Objekt ganz und gar vom Subjekte abhängig, indem es Vorstellung des Subjekts ist. Es ist klar, daß in dieser Relation zwischen Subjekt und Objekt kein Kausalitätsverhältnis zugegen ist; indem es nämlich ohne Subjekt kein Objekt gibt, dieses erst mit der Vorstellung auftritt, so kann von einem solchen Verhältnisse, dessen Resultat die Vorstellung wäre, keine Rede sein. Erst wenn mit Eintritt des Subjekts das Objekt gegeben ist, kommt das zwischen Objekten mit Einschluß des eigenen Leibes als unmittelbaren Objekts waltende Kausalverhältnis zum Vorschein. – Es ergibt sich ferner hieraus, daß, während das Objekt in der Vorstellung aufgeht, ein Erkanntes ist, das erkennende Subjekt als Bedingung aller Erkenntnis selbst unerkannt bleibt und auch sich selbst nimmer Objekt werden kann.
Diesen gegenüber nimmt nun der Materialismus eine Stellung ein, in der er auf die Geltung einer Weltanschauung resignieren und sich zum Idealismus gestalten muß.
Die Bemühungen des Materialismus gipfeln darin, daß er eine Materie statuiert, deren Funktion das Erkennen ist, eine erkennende Materie, welche, angeregt durch die realen Dinge, d. i. durch eine andere Materie, in Funktion tritt und sie erkennt. Das Erkennen ist das Resultat kausalen Konfliktes zwischen Materie und Materie, von denen die eine organische, tierische, lebendige, in bestimmter Form organisierte die erkennende ist. Die Dinge werden also als gegeben vorausgesetzt und sodann vermöge kausaler Beziehungen als reale erkannt.
Nun sind die materialistischen Studien heutzutage dahin gediehen, daß man nebst andern weiß, wie mancherlei Dinge außer uns etwas ganz anderes seien, als das, wofür wir sie anschauen. Wenn der Materialismus alle diese Daten nicht unbeachtet lassen will, so muß er folgern, daß die Anschauung (Erkenntnis) das Produkt zweier gegebener Faktoren ist, von denen der eine die organisierte, die Dinge in modifizierter Form erkennende Materie ist. Mit jenen Daten liefert er tatsächlich Grundlagen und Illustrationen für den transzendentalen Idealismus und muß sich, wenn er sich der Besinnung nicht verschließt, zu einem solchen gestalten.
Über sein Verhalten zu dem andern Idealismus muß bemerkt werden: Wenn der Materialismus die Materie überhaupt als Gegebenes annimmt, so ist zu erinnern, daß dies ohne eine vorausgegangene Erkenntnis oder Vorstellung untunlich ist. Insbesondere gilt dies auch von der erkennenden Materie, welche er gleichfalls nur aufstellen kann, sofern sie erkannt oder vorgestellt wurde. Beide Faktoren, die erkennende und erkannte Materie, haben die Erkenntnis, die Vorstellung zur notwendigen Voraussetzung. Indem er hiergegen nichts einwenden kann, bleibt ihm auch hier nichts übrig, als den Idealismus anzuerkennen.
Wenn er aber doch den Versuch macht, das erkennende Subjekt als Materie, d. i. als Erkanntes, festzuhalten, so gelangt er in beiderlei Rücksichten zu einem Absurdum. Indem er nämlich dieses materielle erkennende Subjekt nach dem Typus des erkennenden Subjekts des Idealismus als Voraussetzung aller Erkenntnis außer die in Perzeption, Leitung und Verarbeitung bestehenden, durch kausalen Konflikt von Materie mit Materie angeregten Vorgänge stellen muß, so hat er einen isolierten materiellen Punkt, ein isoliertes Stück Materie, in welches ohne Vermittlung die Erkenntnis als ein Ergebnis von außer ihm waltenden Beziehungen fallen soll. Und dabei bleibt ferner jenes (erkannte) Stück Materie, jener materielle Punkt, welcher das erkennende Subjekt, das »Ich erkenne«, repräsentieren soll, gleich dem erkennenden Subjekte des Idealismus ein Unerkanntes; wollte es sich aber selbst erkennen, so müßte es eine Differenzierung eingehen, aus welcher immer wieder ein Subjekt hervorginge.
Da die materialistische Forschung in der Atomenwelt und einer mechanischen Auffassung des inneren Wesens der Materie und ihres Wirkens eine so wohlbegründete Befriedigung findet, so ist es noch wichtig, nachzusehen, von welcher Art diese Befriedigung sei – zumal mitunter vermeint wird, daß die Forschung damit auf einen transzendenten, metaphysischen Boden stehe und jede weitere Frage nach dem inneren Wesen der Dinge ohne Berechtigung sei.
Die atomistische Auffassung der Materie ist eine uralte, dem Verstände notwendige – die von heute führt uns eine sozusagen organisierte, fort und fort geschäftige, ihren Bestand selbst verbürgende elementare Welt in anschaulicher Weise vor, in der wir wenn auch nicht mit dem leiblichen Auge hereinblicken.
Die Größe, Form, Anziehung (Gravitation), Abstoßung, ferner Bewegung, verschieden an Größe und Geschwindigkeit und Form, sind Attribute, die wir den Massen entnehmen und den Atomen beilegen, vermittels welcher wir eine Mechanik schaffen, die den Aufbau der Körper, ihre Eigenschaften, ihre Einwirkung aufeinander, ihre Veränderung begründet, welche die Kräfte in Bewegungen verlegt und eben deshalb für jede ein mechanisches Äquivalent anspricht.
Mit gerechter Bewunderung betrachten wir diese scharfsinnige Schöpfung, die mit überwältigender Macht überzeugt. Allein es wäre gründlicher Mißgriff hierin eine transzendente Erkenntnis zu sehen, eine gründliche Täuschung, zu glauben, daß hiermit eine transzendente Frage erledigt, ein metaphysisches Bedürfnis gedeckt sei. Vielmehr befinden wir uns auf anschaulichem Gebiete.
Wenn wir auch das Gewebe der atomistischen Welt nicht mit dem leiblichen Sinne anschauen, so denken wir dasselbe doch unter dem Typus der anschaulichen Vorstellung und konstruieren die Vorgänge in anschaulicher Weise; denn was ist es anders, wenn wir die mit Notwendigkeit statuierten Atome in Zeit und Raum versetzen und uns das Verhalten der Massen aus deren Gleichgewichtslage und verschiedenartigen Bewegungen erklären?
Wie die Materie überhaupt, so sind auch die sie konstituierenden Atome Erscheinung, Vorstellung, und wie die Frage an die anschauliche Materie, so ist nicht minder die an die Atome berechtigt, was sie außer der Erscheinung, außer der Vorstellung, was sie an sich seien – was in ihnen von Ewigkeit her zum Ausdruck gelangt sei.
Gerade die atomistische Theorie ist es, welche eine idealistische Weltanschauung stützt. Denn sie ist selbst das Ergebnis subjektiver Notwendigkeit, durchaus bedingt durch subjektive Formen der anschaulichen Vorstellung. Und so sieht denn die atomistische, mechanische Auffassung der Welt allerdings in das Innere der Materie, bleibt aber innerhalb derselben, sie zeigt, wie sich die Dinge außerhalb der unmittelbaren leiblichen Anschauung verhalten, allein sie zeigt dies durch die Vorführung einer Welt, die doch immer wieder lauter Anschauliches enthält.
Von welcher Art ist also nach allen dem unser Wissen in Beziehung auf das Wesen der Dinge? Wir wissen von Erscheinungen, Erkanntem, Vorgestelltem. Daran aber knüpft sich die Überzeugung, daß die Dinge außerdem noch etwas, was nicht anschaulich erkannt werden kann, seien, und daß dieses außer jeder Beziehung zu einem Erkennenden an und für sich seiende das Reale sei. Was dieses innerste nicht anschauliche, jenseits aller Erfahrung liegende transzendente Wesen der Dinge sei, wissen wir nicht. Einer anschaulichen Erkenntnis ist es absolut entrückt, weil es außerhalb der Bedingungen derselben liegt, da es ja überall zurückbleibt, nachdem wir die Dinge auch durch und durch anschaulich erkannt hätten. Wir können nur aus der wesentlichen Einheit der Materie und ihrer Kräfte, der subjektiven Notwendigkeit einer einheitlichen, mechanischen Auffassung derselben schließen, daß es ein Einiges in jedem Dinge ganz zum Ausdruck gelangendes Wesen sei.
In der aus dem Durchschauen des Wesens unserer Erkenntnis hervorgehenden Sicherstellung einer transzendenten Weltordnung liegt eine Befriedigung, wie sie der Materialismus nicht zu bieten vermag. – Und wie man schon zu Kants Zeiten sagte, dem Idealismus sei nicht beizukommen, so wird er sich fortan bewähren, erhalten, und je weiter Physik und Physiologie fortschreiten, desto fester sich begründen, und zwar gerade in solchen Kreisen, welche materialistische Studien treiben und immer ernstere Miene machen, Gebiete zu absorbieren, welche bisher nur notgedrungen und aushilfsweise in einem Verkehr mit der Materie einzugehen sich entschließen konnten.