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Ernst und von langer Dauer war die Unterredung, zu der am nächsten Tage Fräulein Heißenstein Herrn Doktor Wenzel geladen hatte. Es wurde die gewichtige Frage erörtert, ob Bozena nach der gestrigen unerhörten Szene beim «Grünen Baum» im Hause bleiben dürfe.
Eine Person, die ihre eigene Schande in der Wirtsstube ausruft, ist keine passende Umgebung für eine ehrsame junge Dame. Andrerseits ist es auch nicht leicht, Bozena zu entlassen, «weil sie der Familie durch so lange Jahre treu gedient hat», sagt, «weil sie mir sehr nützlich ist», denkt Regula. «Wir haben sie schwer genug vermißt alle die Jahre hindurch.»
«Mein gnädiges Fräulein», meinte nach reiflicher Erwägung der kluge und praktische Doktor Wenzel, «das gestrige Ereignis gehört zu denen, die genau so viel Bedeutung haben, als man ihnen beilegt.»
«Bin ich nicht schuldig, ihm eine große Bedeutung beizulegen?» fragte Regula, «bin ich es nicht mir selbst schuldig? Bestimmt nicht die Strenge, die ich einem Verbrechen gegenüber ...»
«Einem Vergehen – einem Vergehen!» berichtigte lächelnd der Advokat.
«Die ich einem schweren Vergehen gegenüber ausübe, meinen eigenen Wert?» fuhr Regula fort, und Wenzel unterbrach sie von neuem und versicherte: «Keineswegs!»
«Was werden die Leute sagen, wenn ich meinen Abscheu vor so offenbarer Schande durch nichts – durch gar nichts betätige? Fällt nicht ein Teil von ihr – es ist ein grauenhafter Gedanke! – auf mich selbst zurück?» entgegnete Fräulein Heißenstein, indem eine Gänsehaut sie überlief.
Wenzel begann ein wenig ungeduldig zu werden, was sich bei ihm durch verdoppelte Freundlichkeit äußerte. Er ergriff Regulas Hand, küßte sie und sprach: «Getrost! ... Seien Sie getrost! Es wird niemandem einfallen, Sie verantwortlich zu machen für eine Jugendsünde Ihrer bereits in Jahren stehenden Dienerin. Sie waren vermutlich noch nicht geboren, als jene Sünde begangen wurde», versicherte der Advokat mit einem fast zärtlichen Blicke und stand auf, «das enthebt Sie» – er suchte seinen Hut mit den Augen – «jeder Verantwortlichkeit.»
«Glauben Sie wirklich?» flüsterte Regula.
Der Doktor hatte seinen Hut ergriffen und machte rücklings einige Schritte nach der Tür: «Wirklich!» wiederholte er mit seiner süßesten Stimme, «wirklich und wahrhaftig, Gnädigste. Sie nehmen sich in der ganzen Sache aus – unschuldig wie eine weiße Taube! – Und das arme Ding, die Bozena! – Du guter Gott ... Diese Leutchen, das hat andere Ansichten als Sie, engelhaftes Fräulein, über gewisse natürliche Vorgänge ...»
«Doktor Wenzel!» rief Regula streng und vorwurfsvoll, «nichts dergleichen in meiner Gegenwart ... Ich muß bitten –»
«Befehlen! Befehlen! – Sie müssen immer befehlen», sprach der galante alte Herr, und das Fräulein gestand ihm zu, sie sehe ein, daß er im Grunde recht habe: «Es könnte wohl sein und wäre ziemlich natürlich, daß es für niedere Menschenklassen auch niedrigere Klassen der Moralität gäbe. Zwischen dem Stande einer Person und ihren Affinitäten besteht sicherlich eine große Harmonie. Geburt und Begriffe, Delikatesse, Takt, Gewissen decken einander. Ich glaube das. Ich begreife es sogar – und – wie schon Madame Stael-Holstein sagte: Begreifen heißt verzeihen. Nicht wahr, lieber Doktor?»
Wenzel küßte noch einmal Regulas Hand, dankte ihr für das edle Wort, das sie eben gesprochen hatte, fühlte sich beglückt durch den großmütigen Entschluß, der sich darin äußerte, und schied, wie er sagte, «gehoben und gerührt».
Auf dem Gange traf er Schimmelreiter samt Gattin und Bozena. Die Neuvermählten waren in voller Gala gekommen, um dem Fräulein Heißenstein für die Huld zu danken, die sie ihnen gestern durch ihre Anwesenheit beim Hochzeitsfeste erwiesen hatte.
Unterwegs trafen sie die Magd, und vermochten sich, wie es schien, vom Gespräch mit ihr gar nicht loszureißen. Die kleine dicke Frau Kathi, deren Gesicht bei Tageshelle glänzte, als hätte sie es in Öl gebadet, hielt Bozenas Rechte fest in ihren fetten, mit gestrickten Handschuhen bekleideten Händen. Dabei blickte sie mit dem Ausdruck überströmender Liebe, Begeisterung und Andacht zu der Riesin empor.
Schimmelreiter umkreiste die Gruppe stolz und zärtlich, wie ein Schwan sein Nest, und sagte alle Augenblicke zu Bozena: «Verehrte Freundin!»
Es war also ausgemacht. Bozena blieb, aber ihre Stellung im Hause erlitt eine Veränderung. Der geringste Lohn, den die Tugend für mannigfache Entbehrung ansprechen darf, ist wohl der, die Sünde erinnern zu dürfen an die Unübersteiglichkeit der Kluft, die sie voneinander trennt.
Alsbald ereignete sich etwas Seltsames, man könnte es fast ein Wunder nennen. Das Fräulein verlor ihrer Dienerin gegenüber die Sprache und das Augenlicht. Und wenn Bozena noch so dicht vor ihr stand, und wenn sie ihr ein Glas Wasser darreichte, oder einen Befehl einholen wollte, um die Antwort auf eine eingetroffene Erkundigung bat, gleichviel: das Fräulein war ihr gegenüber mit einer Blindheit geschlagen, vollständiger als die Bileams, und mit einer Stummheit, hartnäckiger als die des Zacharias.
Nach einiger Zeit freilich zeigten sich die üblen Folgen dieses Ignorierungssystems. Trotz des besten Willens, die unausgesprochenen Wünsche ihrer Herrin zu erraten, gelang dies Bozena doch nicht immer, es gab so manches Mißverständnis, und Regula entschloß sich endlich, andere Saiten aufzuziehen.
Zuvor jedoch wollte sie, mußte sie der Verirrten die Augen öffnen, mußte einen Funken ihrer eigenen leuchtenden Moral in die Finsternis werfen, in der die Unselige wandelte.
Das Fräulein ließ Bozena in den roten Salon bescheiden, auf dessen größtem Kanapee sie Platz genommen hatte. Sie fand nach einem Blicke in den Pfeilerspiegel, daß sie sich gut ausnahm in dem stattlichen Raume, der gewöhnlich unbewohnt war und in dem es immer, niemand wußte warum, nach Äpfeln roch.
«Bozena», sprach die Dame zu der Eingetretenen nach einer Pause, in der sie sich vergeblich bemühe, dem erstaunten, aber treuherzigen Blick zu begegnen, den die Magd auf sie richtete, «Bozena, ich war lange Zeit zweifelhaft, ob ich Ihnen noch ferner gestatten soll und darf, bei mir zu bleiben. Ja – sehr zweifelhaft.»
Die Rednerin wartete auf eine Einwendung, als keine erfolgte, fuhr sie fort: «Sie werden wissen warum? ... Wissen Sie warum?»
Bozena hatte die Augen gesenkt, ihre Lippen bebten leise, und sie antwortete fast unhörbar: «Ja.»
«Man hat Pflichten gegen sich selbst, Bozena», nahm das Fräulein wieder das Wort, «begreifen Sie das? ... Sie begreifen es vielleicht nicht – aber gleichviel. Ich hätte die meinen gegen mich nicht außer acht lassen sollen ... und dennoch habe ich es getan, um eine Seele zu retten – die Ihre – begreifen Sie das?»
Das Fräulein hatte sich allmählich in eine giftige und erbitterte Stimmung hineingeredet, die durch Bozenas scheinbare Ruhe, vor allem aber durch ihr Schweigen bedeutend erhöht wurde. Sie murmelte etwas, das wie «Klotz!» klang, und sagte dann laut mit beklommener Stimme, als wäre der Hals ihr zusammengeschnürt: «Wenn ich so viel tue, werden Sie sich wohl bequemen, etwas zu tun, hoff ich, Sie werden – hoffe ich, mein Vertrauen nicht mißbrauchen ... Was?» unterbrach sie sich plötzlich selbst, «was haben Sie gesagt?»
«Nichts, gnädiges Fräulein», antwortete Bozena. Dunkelrote Flecken brannten unter ihren Augen, und ihr Busen flog.
Regula wiederholte, mit den Nasenflügeln zitternd: «Nichts? – freilich ... Ich muß Sie aber bitten, etwas zu sagen. Ich muß Sie bitten, mir das heilige Versprechen zu geben, daß Ihr Lebenswandel in Zukunft ein – ein –» sie suchte nach einem bezeichnenden Worte, «ein sittsamer sein wird.»
Bozena schwieg.
«Versprechen Sie!» rief das Fräulein, – ihr Atem wurde immer kürzer, immer bissiger der Zug um ihren Mund – «ich fordere Ihr Versprechen, wie gesagt, Ihr heiligstes, daß Sie – daß ...»
Regula hielt inne, schluckte einigemal hintereinander und sprach dann, wie entschlossen, trotz allen inneren Widerstrebens den entscheidenden Schlag zu führen: «Daß Sie außer Verbindung bleiben ... daß Sie sich nicht wieder einlassen mit Ihrem – Geliebten.»
Das Fräulein warf von der Seite einen raschen Blick nach ihrer Magd. Diese hatte die Hand auf die Brust gedrückt und auf ihrem Angesichte lag der Ausdruck eines Schmerzes, den das Menschenwort nicht ausspricht, jenes Schmerzes, der stumm zum Himmel schreit.
Nein! Nein! ... Hätte Regula gewußt, was sie tat, sie hätte es nicht getan, nicht einmal sie, die herzlose Drahtpuppe!
«Fräulein!» rief Bozena, einen Augenblick fassungslos, außer sich. Bald jedoch kehrte ihr die Macht der Selbstüberwindung zurück. Mit gewaltig erzwungener Ruhe in Ton und Haltung, mit einem Klang der Wahrheit, der das eingefleischte Mißtrauen hätte überzeugen müssen, sprach sie: «Es ist alles aus zwischen ihm und mir, seit Jahren aus.»
Sonderbar und unbegreiflich! Regula empfand bei diesen Worten und der Art, in der sie gesprochen wurden, die Beklemmung und das Unbehagen, die in den Seelen engherziger Menschen die Ehrfurcht ersetzen. Von all den weisen Lehren, die sie sich zurecht gelegt hatte, wollte ihr keine mehr einfallen. So blieb ihr denn nichts übrig, als ein Ende zu machen. Und – einige unverständliche Worte murmelnd – entließ sie ihre Magd.
Bozena sorgte dafür, daß die Schranke, welche das Fräulein zwischen sich und ihr aufgerichtet hatte, niemals überschritten wurde. Ihr ganzes Benehmen gegen die Herrin sagte deutlich: Du hüben – ich drüben. Du hast mit mir nichts gemein.
Die Besorgnis jedoch, die Regula vor dem schädigenden Einfluß der Gefallenen empfand, beschränkte sich auf ihre eigene Person; für ihre Nichte schien sie von ihm nichts zu befürchten. Das Kind befand sich, nach wie vor, unter Bozenas Obhut.
Regula war eine eifrige Besucherin des Theaters, und sobald sie sich, von Herrn oder Frau Wenzel geleitet, dahin begeben hatte, erschien Mansuet, um Bozena und Röschen nach seinen Gemächern abzuholen. Der Alte war zu der Überzeugung gelangt, daß der Unterricht, den Professor Bauer dem Kinde erteilte, eigentlich gar kein Unterricht zu nennen war. Und das Mädchen wächst heran, soll etwas lernen, soll auch Begriffe kriegen von Literatur. Er holte alte Hefte herbei, in die er vor Zeiten Gedichte und Lieblingsstellen aus den Werken vaterländischer Autoren eingeschrieben hatte. Und während Bozena nähte und Röschen eine Strickerei in den Händen hielt, die schon ganz grau aussah, aber durchaus nicht wachsen wollte, las er den beiden Damen vor ...
Zu den köstlichsten Bissen von Mansuets poetischem Schmaus gehörte: «Herkules am Scheidewege», «Psychens Klagen» und «Amors Klage» von Bergel. «Die ersten Genien der Menschen» (liebenden Eltern geweiht) von Paul Lamatsch von Warnemünde. «Trinklied im Frühling» (nach Höltys Trinklied im Winter).
Das Glas gefüllt! Kein Nord mehr brüllt – usw. |
«Letzter Wunsch» von Charlemont, das so wunderschön begann:
Wenn sie einst naht, die düstre Abschiedsstunde, Das Aug' sich trübt und leise pocht das Herz, Wenn banges Weh' entschwebt dem starren Munde Und jede Lust verdrungen hat der Schmerz; ... usw. |
Oder gar: «Der Berggeist des weißen Gebirges», Röschens Lieblingsballade, bei welcher ihr so köstlich gruselte, und bei deren letzten Strophen ihr kleines Herz so laut pochte! – Sie rückte jedesmal ganz dicht an Bozenas Seite, wenn Mansuet las:
«Und die Sonne blutig scheidend, Sinket in der Berge Schoß, Und von wilden Peitschenschlägen Widerhallt das ganze Schloß. Da erbraust's wie Sturmestoben, Rings erregend Angst und Graus, Von vier Rossen fortgezogen, Fährt der Geist zum Schloß hinaus!» |
Hieß es dann dem alten Freunde eine Freude machen, so deklamierte Röschen in voller Begeisterung und mit merkwürdigem Tonfalle «Österreichs Thermopylen» (1809) von Charlemont. Wie glühten dabei ihre Wangen, wie glänzten die Tränen in seinen Augen! Wie befriedigend endete nach einem solchen Hochgenuß der Tag für den Greis und für das Kind!
Andere Male wieder wurde der historischen Überlieferung ihr Recht. Mansuet machte sein kleines Auditorium mit der ereignisreichen Geschichte der Kostka von Postupitz bekannt. Er erzählte, um in Röschen die Liebe zu den Wissenschaften zu wecken und ihr einen Begriff zu geben von den Ehren, zu denen man durch sie gelangen könne, von Johanna von Boskowitz, der berühmten Äbtissin des Zisterzienserinnenstiftes Maria Saal in Altbrünn. Im sechzehnten Jahrhundert lebte sie und war so gelehrt, daß ihr die Philologen Opat und Kzel ihre Übersetzung des Neuen Testamentes widmeten. Auch Nachrichten aus dem Leben des großen Kremsierers Johannes Benedikti, des weisen Bertholdus de Wischaw und des Meistersängers Bliczkowsky, wußte Mansuet mitzuteilen. Ereignete es sich, daß Röschen dabei ein klein wenig schläfrig wurde, so beeilte sich der Alte, etwas Lustigeres vorzubringen. Mit einem Sprunge versetzte er sich in das königlich städtische Nationaltheater zu Brünn, und zauberte «die Fee aus Frankreich», «die Grafen Mombelli», oder «den schwarzen Wundermann» herbei, um seinen Liebling zu ermuntern.
Es waren köstliche Abende, diese bei Mansuet, am schönsten aber wurden sie, wenn Bozena das Wort ergriff. So wie Bozena, meinte Röschen, könne niemand sprechen, denn sie sprach ihr von ihren Eltern. Und auch Mansuet hörte sich niemals satt an ihren Mitteilungen über das geliebte Paar.
«Sagen Sie mir nur», fragte der Alte, «wie war das, als der Herr Leutnant fort mußte ins Feld?»
«Wie ich schon oft erzählt habe: traurig war's», erwiderte Bozena. «Der Doktor hat es dem Leutnant schon gesagt gehabt: Sie muß sterben, und ich hab es von selbst gewußt ... Der Herr Leutnant hat sich beim Abschied sehr zusammengenommen.»
«Freilich, ein Soldat!» murmelte Mansuet.
«Er hat sie sanft geküßt und nur gesagt: ‹Leb wohl und schone dich.› Sie hat ihm auch das Herz nicht schwer machen wollen und von nichts gesprochen als vom Wiedersehen. In ihm war alles wie eingefroren. Doch als er gehen will, streckt sie auf einmal die Arme nach ihm aus und da verliert er seine Fassung.»
Bozena hielt inne, machte eine Bewegung mit der Hand, als ob sie etwas von sich abwehren wollte und fuhr aufatmend fort: «Ich meinte schon, sie könne ihn nimmermehr lassen, er könne sich nimmermehr losreißen ... Sie waren wie die Kinder. Ach – so jung – so schön – so gut – und beide nur einen Schritt vom Grabe!»
Röschen hatte ihren Kopf in Bozenas Schoß gelegt, jetzt erhob sie ihn und sagte mit seligem Lächeln: «So gut waren sie, Bozena?»
«Und dann?» fragte Mansuet.
«Dann nichts mehr. Diese da – die Magd streichelte das Gesicht des Kindes – hat er auf den Arm genommen und sie zärtlich geküßt ...»
«Weil er mich so liebgehabt hat!» warf das Kind voll stolzer Zuversicht ein.
«Und sie mir zurückgegeben», schloß die Erzählerin, «und gesagt: ‹Bozena – du wirst sorgen!›»
Ein langes Schweigen trat ein. Röschen schien eingeschlummert. Plötzlich aber öffnete sie die schlaftrunkenen Augen und sprach, zu Bozena emporblickend: «Bei der Hochzeit meiner Eltern warst du gewiß Brautjungfer!»
Mansuet und Bozena tauschten einen raschen Blick; der seine hatte den Ausdruck der Bestürzung, der ihre war finster und verwirrt.
«Nicht wahr?» lallte Röschen mit schwerer Zunge und senkte die müden Lider.
Bozena beugte sich über sie: «Nein, Kind – nein.»
«Warum nicht?»
«Es hätte sich nicht geschickt.»
Das Kind hauchte leise ein zweites «Warum?» und schlief schon fest, als es kaum ausgesprochen war.
«O Herr Mansuet!» begann Bozena nach einer Weile und öffnete dem Getreuen zum erstenmal ihr verschlossenes Herz. – «In der Nacht meine ich oft, die Worte meines Herrn zu hören: ‹Bozena, du wirst sorgen.› Damals, wie er sie gesprochen hat, da habe ich nur gedacht: natürlich. – Und jetzt sind mir die Hände gebunden, jetzt ist alles verloren, ich kann für niemand mehr sorgen, keinem mehr helfen, denn ich bin – verachtet!»
«Sie?» rief Mansuet.
«Ja, ja, ich bin's! Wenn eines noch so hart ist gegen sich selbst – das fühlt's doch! ... Ich hab das Unglück der Mutter auf dem Gewissen und das Unglück des Kindes dazu! ... Ich kann nichts mehr tun für das Kind ...»
«Was wollten Sie denn tun, Bozena?»
«Ihm helfen zu seinem Recht – was sonst?»
«Wie? ... Dem Fräulein zum Trotz ...»
«Nicht ihr zum Trotz! Mit ihrem Willen. Ich hätt's von ihr erlangt ... Noch ein paar Jahre, Herr Mansuet, und was ich ihr geraten hätt, das hätte sie getan. Glauben Sie's oder nicht – noch ein paar Jahre und geführt hätt ich sie an einem Haar! ... Gott straft mich schwer – ich bin hilflos und gebrochen und werde zu dem Kinde meiner Rosa niemals sagen können an der Schwelle des Vaterhauses: Tritt ein, du bist daheim.»
Mansuet betrachtete sie staunend. Das also hatte sie sich zugetraut? Darum also die schweigende Unterwerfung, der widerspruchlose Gehorsam, die stündliche Selbstverleugnung? ... Das alles war bewußt gewollt – und war die Frucht ihrer großen Liebe und ihrer großen Reue.
Nein, denkt er, die Bozena lernt man nicht aus.
Der alte Mansuet drückt die Hand an seine Stirn und spricht: «Wer weiß! ... Wer weiß! ...»