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Während Bozena in so schweren Herzenskämpfen rang, wurde auch ihr Schützling von seinem Schicksal ereilt. Zugleich glücklicher und unglücklicher als ihre Getreue, hatte Rosa eine Neigung eingeflößt, die sich nicht verbarg, die nur allzu eifrig zur Schau getragen wurde, die aber so gut wie keine Hoffnung bot, zu ihrem Ziele, dem Frieden einer erwünschten Ehe zu gelangen.
Seit einigen Monaten war in der Umgebung Weinbergs ein Ulanenregiment einquartiert, dessen hübschester Leutnant den großen, sehr mittelmäßig gepflasterten Platz des Städtchens für den geeignetsten Ort zu halten schien, wo seinen Pferden die letzte, höchste Dressur beizubringen wäre. Er kam heut auf dem Mohrenkopf und morgen auf dem Schwarzbraun; er umkreiste den steinernen Marktbrunnen im Jagdgalopp, im spanischen Schritt, im kurzen und im langen Trabe. Er jagte, die Hand am Schirme seines Käppchens, im Fluge wie ein Kosak, oder er ritt feierlich und langsam wie der Cid unter Ximenens Altan, an dem alten Hause vorüber. Und am Fenster stand Rosa voll Bewunderung und lächelte ihm zu. Seit dem Augenblicke, da sie ihn zum erstenmale gesehen, hatte ein neues Leben für sie begonnen. Seltsam, seltsam war ihr's damals ergangen. So, meinte sie, so rasch, so plötzlich und unwiederbringlich hätte noch keine ihr Herz verloren, nein, verschenkt – gern, glückselig verschenkt.
Mit klingendem Spiele und flatternden Fähnlein war das Regiment auf einem Marsche nach der neuen Garnison durch die Stadt geritten. Und Rosa, von dem Schalle der lustigen Musik an das Fenster gelockt, hatte sich ergötzt an dem bunten Schauspiel zu ihren Füßen; Zug um Zug marschierte vorüber und manches Auge richtete sich mit Wohlgefallen auf das Mädchen, das so übermütig auf die staubbedeckten Reiter herabsah, als defilierten sie nur ihr zu Ehren und zum Spaße da vorbei.
Endlich kam er herangeritten, nachlässig, mit schlaffen Zügeln, und träumte vor sich hin. Nun schien das alte Haus seine Aufmerksamkeit zu erregen. Wie ein verwitterter Aristokrat inmitten geschniegelter Emporkömmlinge nahm es sich mit seinen etwas abgebröckelten Stukkaturen, seinen schweren Strebepfeilern und tiefen Fensterbogen aus, neben den blanken, charakterlosen Nachbarn. Der Offizier sah an dem grauen Gemäuer empor, wie überrascht von seiner altertümlichen Schönheit. Als wecke es in ihm eine wehmütige Erinnerung, betrachtete er es ernsthaft, ja traurig und doch fast liebevoll. Und jetzt begegnete sein Blick dem der Rose am Fenster, dieser holden, trotzigen Rose, so schön, so frisch in ihrer düsteren Umrahmung. Vier junge Augen ruhten ineinander mit unschuldigem Erstaunen, mit selbstvergessenem Entzücken. Und das alte, ewig neue Wunder vollzog sich; in zwei von Schmerz und Glück noch unberührten Seelen erwachte die Sehnsucht und mit Bangen die Ahnung all der Wonnen und all des Wehs, die sie bestimmt waren einander zu bereiten, die Ahnung des großen Lebensgeheimnisses, das Aufgehen des eigenen in einem fremden Dasein.
Unwillkürlich hielt der Jüngling sein Pferd an, und stand regungslos mit emporgewandtem Haupte, mit dem Ausdruck der seligsten Bewunderung auf seinem Gesichte. Eine Hand, die sich auf seine Schulter legte, eine Stimme, die ihn anrief: «Schläfst du, Fehse?» weckte ihn aus seiner Versunkenheit. Er errötete über und über und setzte sich wieder in Bewegung. Der Kamerad aber war der Richtung, welche die Augen des Freundes genommen, mit den seinen gefolgt, er lächelte und machte eine Bewegung, als wollte er sagen: «Ja so – jetzt verstehe ich!»
Und Rosa, bestürzt, beschämt, eilte vom Fenster hinweg, mit dem Gefühl einer ertappten Sünderin. Wie peinlich war der Augenblick! Und doch – sie hätte ihn nicht tauschen mögen gegen alle frohe Stunden, die sie bisher erlebt.
Das kindische Pärchen flog in sein erstes Liebesabenteuer hinein wie junge Vögel in das Feuer. Damals hatte ein österreichischer Offizier alle mögliche Zeit, seine Privatangelegenheiten zu besorgen. Wenn er, wie Fehse es tat, auch täglich drei Meilen weit ritt, um an der Wand den Schatten seiner Angebeteten oder am Fenster den Schimmer ihres Nachtlämpchens zu erblicken, der Dienst, der ihm oblag, brauchte nicht darunter zu leiden.
Später wurde der Leutnant in ein dem Städtchen näher gelegenes Dorf versetzt, und nun begannen jene Fensterparaden auf dem Platze, die sehr bald Rosas Freude ausmachten und Herrn Heißenstein ein Ärgernis gaben.
Frau Nannette nahm von alledem keine Notiz.
Eine Sache, von der man sich nur Kenntnis verschaffen konnte, indem man aus dem Fenster sah, fand sie für angemessen zu ignorieren. Sie predigte nicht etwa mit Worten allein, sie predigte durch ihr Beispiel. Sie pflegte zu unterlassen, was Regula bleiben lassen sollte.
Jawohl, bleiben lassen! Oder hat man jemals gehört, daß ein wohlerzogenes Mädchen Lust und Zeit hätte, aus dem Fenster zu sehen? Wenn dies der Fall, dann muß Frau Nannette sich schämen und ihre Unwissenheit bekennen. Denn wahrlich, ihr ist dergleichen niemals zur Kenntnis gekommen.
Einen stillen, aber heißen Bewunderer fanden die equestrischen Übungen des Leutnants an Mansuet Weberlein. Von seinem Kasten aus, in dem er hockte wie der Frosch im Wetterglase, begleitete der Kommis die Versuche des Ulanen, Fräulein Augentrosts Aufmerksamkeit zu erwecken, mit seinen innigsten Sympathien. Er war ein so begeisterter Anhänger des Militärs, daß er jedem Unternehmen, gleichviel ob es von dem ganzen Stande oder von einem einzelnen seiner Mitglieder in das Werk gesetzt wurde, das beste Gedeihen wünschte.
Wie es kam, daß sich in Weberleins Seele kriegerische Neigungen entwickelten, ist unerklärt geblieben. Er stammte aus einem friedfertigen Geschlechte. Seine Ahnherren hatten als Kommis im Geschäfte Heißenstein gedient, solange dasselbe überhaupt bestand, und sein Vater hatte ihn auferzogen in der Furcht Gottes und der Militärpflicht. Und trotzdem! Als er achtzehn Jahre alt und noch nicht viel über drei Schuh in der vertikalen, aber schon bedenklich in der schrägen Richtung gewachsen war, da kamen Werber aus Ungarn herüber in die Stadt. Mansuet entlief seinem väterlichen Hause und stellte sich.
Er wurde ausgelacht und heimgeschickt. Aber von diesem Tage an galt er in seiner Familie für einen Haudegen, und fühlte sich in einem gewissen Grade mit dem Soldatenwesen verbunden.
In gemütlichen Stunden sagte er zu seinen Vertrauten: «Sehen Sie, jetzt wäre ich Hauptmann, wenn ich nämlich gedient, ich wäre sogar Major, wenn man mich nämlich dazu gemacht hätte.»
Er wußte den Militärschematismus auswendig und avancierte mit seinen eingebildeten Kameraden, in seinem eingebildeten Range. Wenn der hübsche Leutnant Fehse am Hause vorüberritt, da verfehlte Mansuet niemals, dem zweiten Kommis zuzuflüstern: «Sehen Sie, der wäre jetzt mein Subordinierter, wenn ich nämlich gedient hätte, bei den Ulanen nämlich, und zwar im zweiten Regimente.»
Die unschwer zu erratenden Absichten seines «Subordinierten» aus allen Kräften zu fördern, empfand Weberlein den lebhaftesten Drang. Und eines schönen Morgens, als Fehse wieder sein Pferd auf dem Platze tummelte, bemerkte sein stiller Gönner, mit einer Hand auf den Schützling deutend und mit der andern dem Prinzipal einen Brief zur Unterschrift vorlegend: «Ansprechendes Exterieur, das des Herrn Leutnants. Scheinen hier einen Punkt der Anziehung gefunden zu haben.»
Und als Heißenstein schwieg, fuhr der Kommis mit einem diplomatischen Lächeln fort: «So frei gewesen, über den Herrn Leutnant Erkundigungen einzuziehen. Bei Großhändler Heller. Sind dort täglicher Gast. Gute Referenzen. Sehr estimiert im Regimente, höchst anständig.»
«Kümmert das Sie?» fragte Herr Heißenstein in wegwerfendem Tone und schob dem Kommis den unterzeichneten Brief hin.
Weberlein legte einen zweiten vor und erwiderte: «Sehr viel. Die Anständigkeit des Nebenmenschen kümmert mich immer sehr viel.»
«Sie wollen sich vermutlich mit ihm in Verbindung setzen», bemerkte der Prinzipal spöttisch. Weberlein war einmal entschlossen kühn zu sein; er ließ sich nicht irremachen durch die majestätische Ironie Heißensteins. Er dachte: «Wetter! man muß etwas tun für seine Freunde. Ein gutes Wort kann Wunder wirken; es kann Möglichkeiten ins Auge fassen lassen, die sonst nicht erwogen worden wären.»
Und so sprach er: «In Verbindung – ich? – Nur insofern, als ich vermöchte, eine Verbindung mit anderen Personen zu vermitteln, die ihm wahrscheinlich erwünschter wäre.»
Während dieser letzten Rede hatte der Haudegen seine Augen recht fest auf das Blatt in seiner Hand gerichtet. Jetzt wandte er sie seinem Chef zu. Der saß kerzengerade aufgerichtet und machte eine so eisige Miene, daß Mansuet sich von ihrem Anblick durch und durch erkältet fühlte und hüstelnd, als fröre ihn, seinen Rock zuknöpfte. Heißenstein sah den Kommis von der Seite an, und jede Falte auf seinem Gesichte, jedes Haar seiner emporgezogenen Augenbrauen schien zu sagen. «Dieser Mensch wird mich niemals verstehen!»
Der Tag verging. Herr Heißenstein ging auffallend früh und in auffallend schlechter Laune zum Abendessen. Die letztere wurde noch vermehrt, als er Rosas Platz am Tische unbesetzt fand. Ein unerquickliches Gespräch entspann sich zwischen dem Herrn und der Frau vom Hause.
«Wo ist Rosa?»
«Wie allabendlich bei Heller.»
«Wer gab ihr die Erlaubnis...»
«Die nimmt sie wohl selbst. Wer hätte der etwas zu erlauben?»
«Ich!» schrie Heißenstein.
«Du hast doch bis jetzt gegen diese Besuche nichts einzuwenden gehabt», meinte Frau Nannette.
«Von nun an hab ich dagegen einzuwenden», war des Hausvaters kategorische Antwort, und Bozena erhielt den Befehl, Rosa sofort abzuholen und nach Hause zu bringen. Die Magd gehorchte, und Regel, die inzwischen ihre Suppe ausgelöffelt und ohne das leiseste Geräusch geschluckt hatte, küßte ihren Eltern die Hände, verbeugte sich ehrfurchtsvoll und verließ das Zimmer.
Das Ehepaar war allein.
Er hatte die «Brünner Zeitung», sie ihren Strickstrumpf zur Hand genommen. Vor ihm stand eine Flasche Weines, vor ihr ein kleiner Arbeitskorb, in dem das Knäuelchen, infolge der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der sie strickte, ruhelos umherhüpfte. Die Bewegung dieses Knäuelchens schien Herrn Heißenstein unangenehm zu sein, denn er sah es manchmal über die Zeitung hinweg grimmig an.
Eine Atmosphäre des Unbehagens umgab die beiden alten Leute, und Frau Nannette bemühte sich vergeblich, sie zu zerstreuen. Sie lächelte, nickte mit dem Kopfe, sagte von Zeit zu Zeit: «Ja, ja» und: «Du lieber Gott, schon ein Viertel nach neun!» Oder: «Wie doch ein Tag so rasch vergeht!» Sie versuchte sogar durch ein kleines, gemütliches Gähnen die gezwungene Stimmung in eine bequeme zu verwandeln. Alles umsonst!
Endlich hielt sie im Stricken inne, und indem sie mit der Nadel einige Brotkrümchen auf dem Tische in eine gerade Linie schob, teilte sie ihrem Manne mit, als besänne sie sich dessen plötzlich – daß sich ihr heute vormittags auf der Promenade Leutnant von Fehse habe vorstellen lassen.
Herr Heißenstein äußerte den Anteil, den er an dieser Nachricht nahm, dadurch, daß er halblaut zu lesen begann: «Versteigerung der kärntnerischen Kammerfondsherrschaft Friesach, samt der Fronleichnamsbruderschaft Metnitz...»
Frau Nannette fuhr fort: «Ein sehr gebildeter, sehr wohlerzogener junger Mann...»
«An Gebäuden, an Grundstücken, an Untertanen, an Zehenten», murmelte Heißenstein.
«Du hörst nicht, Lieber», sprach seine Gemahlin, und setzte mit größerem Nachdrucke hinzu: «von altem Adel, aus Hannover.»
In einem Tone, der deutlich sagte: «Ich will auch nicht hören», und mit, wie es schien, gesteigertem Interesse an seiner Zeitung, las Heißenstein: «An Untertansgiebigkeit, an unsteigerlichem Gelddienste 609 Gulden 23¾ Kreuzer...»
«Die Fehse sind so alt wie die Montmorency», rief nun Frau Nannette etwas gereizt dazwischen, und vergaß in der Aufregung, ihrer Rede die logische Gliederung zu geben, die sie ihr sonst so gern verlieh. – «So alt wie die Montmorency, und er spricht das schönste Deutsch, das ich jemals hörte.»
«An Kleinrechten», las Heißenstein weiter: «Ein Paar Filzstiefel, ein Stück Hechten, siebenundzwanzig Hendeln, zwei Faschingshühner – – einhundertundfünf Pfund Harreisten...»
Jetzt riß der Faden von Frau Nannettens Geduld. Mühsam, mit großer Selbstüberwindung knüpfte sie ihn wieder zusammen.
Sie beugte sich vor, tippte mit der Stricknadel auf den Ärmel ihres Mannes und sprach: «Es wäre mir angenehm, wenn meine Regula öfters Gelegenheit hätte, dieses ganz vortreffliche Deutsch sprechen zu hören. Das Kind ist so bildungsfähig! Man sollte es nicht glauben, aber heute vormittags wechselte Herr von Fehse einige Worte mit ihr, und schon nachmittags überraschte sie mich mit der Anwendung einiger Imparfaits und Subjonctifs, und mit einer weichen Aussprache der Zischlaute, die mich entzückte. Gestatte demnach, lieber Mann...»
Die Stricknadel fuhr schmeichelnd über den Rockärmel, und bittende Augen ruhten auf dem hartnäckigen Leser. Dieser erhob den Kopf und lächelte seine Ehehälfte an, spöttisch, geringschätzig, herausfordernd.
Frau Nannette fühlte augenblicklich ihre Lippen trocken werden und ihren Hals sich zusammenschnüren. Sie dachte, nicht ohne einen kleinen Schauder, daß es möglich sei, einen Menschen inständigst zu hassen durch ein ganzes Leben hindurch, wegen eines einzigen Lächelns, wenn es so viel Verachtung, so viel Hohn ausdrücke wie dieses.
«Du wünschest also», sprach Herr Heißenstein, «wenn ich recht verstehe, einen Montmorency – Gott, wie sprach der Mann diesen edlen Namen aus! – als Sprachlehrer für unsere Regel. Ich zweifle, ob diese Art in solcher Eigenschaft zu fungieren pflegt, bei Weinhändlerstöchtern.»
Jetzt wurde die Türe des Vorzimmers geöffnet; die Stimme Rosas ließ sich vernehmen. Herr Leopold stand auf: «Genug gescherzt!» rief er, während seine Tochter eintrat. Er wandte sich gegen sie und schleuderte ihr in drohendem Tone die Worte zu: «Herr Leutnant Fehse wird mein Haus niemals betreten!»
Das Mädchen erbleichte und fragte ganz verwirrt über diesen sonderbaren Empfang: «Warum, Vater? – Warum? – Was hast du gegen ihn?»
«Nichts gegen ihn, nichts für ihn», erwiderte Heißenstein, «und dabei soll's sein Bewenden haben.»
«Warum?» wiederholte sie, «er ist brav und gut, alle Welt liebt ihn.»
«Du wohl auch?» fuhr er sie mit grausamem Spotte an.
«Ja!» antwortete Rosa hochaufatmend.
Er sah sie an und eine leise Regung des Erbarmens mit dem Kinde wurde lebendig in seiner Seele. Streng, aber ohne Härte sprach er: «Schlag dir die Löffelei aus dem Kopfe! Ich will nichts wissen von einem Herrn von Fehse. Du hast gehört, mein Haus betritt er nie.»
«Doch Vater!» war die kühne Antwort des Mädchens, «er kommt morgen. Er will bei dir um mich werben.»
«Werben?!» schrie Heißenstein in aufloderndem Zorne. «Werben?!» Mit flammendem Gesicht schritt er auf seine Tochter zu...
Frau Nannette lief es kalt über den Rücken und mit einem kleinen Schrei sprang sie auf, floh in die Fensterecke und wünschte zu sein, was ihr Mann sie einst genannt: eine Maus – um sich verkriechen zu können.
Anders empfand die Tochter, die Schuldige, auf deren Haupt das Ungewitter sich zu entladen drohte, das die funkelnden Augen des Vaters, seine zuckenden Lippen, sein röchelnder Atem verkündeten. Furchtlos kreuzte sie die Arme und sah ihn mit trotziger Entschlossenheit an. Sie war schön, und Bozena hatte doch recht: sie glich ihrer Mutter. Selbst jetzt noch, in ihrem Zorne mahnte sie an die sanfte Frau. – Jene hätte das Haupt gebeugt, sie erhob's – jene hätte den Kampf vermieden, sie nahm ihn auf – und dennoch! und dennoch!...
Mitten in seiner Wut, in seiner Empörung über den Widerstand, den sie zu leisten wagte, kam es ihm: Ich hab das Mädchen lieb! – Und wie Ekel an all der Kriecherei und Heuchelei um ihn her, erfaßte es ihn und zog ihn mit Macht zu der einzigen, die seinem Willen ihren Willen entgegensetzte.
Es war totenstill im Zimmer. Frau Nannette zitterte unhörbar, und Vater und Tochter standen einander lautlos gegenüber. Endlich sprach Heißenstein: «Er will kommen? Gut denn.»
«Vater!» rief Rosa, jubelnd über diese unerwartete Antwort. Sie ergriff seine Hand und wollte sie küssen. Er entzog sie ihr mit den Worten: «Mache dir keine Hoffnung, du Törin.»
*
Heißenstein empfing den Herrn Leutnant von Fehse mit aller möglichen Steifheit. Als der Offizier von Bozena geleitet eintrat, erhob sich der Herr des Hauses, ging ihm aber nicht entgegen. Er ließ ihn herankommen, erwiderte seinen militärischen Gruß mit einem Kopfnicken, und als Fehse sich nannte, wies er ihm schweigend einen großen Lehnstuhl an, der neben dem Schreibtische stand. Er selbst setzte sich wieder auf seinen kleinen unbehaglichen Strohsessel. Gerade aufgerichtet vor seinem Gaste, die Hände auf die Knie gelegt, jede einleitende Phrase verschmähend, erklärte er dem jungen Manne, er wisse, welch einen ehrenvollen Antrag zu stellen der Herr Leutnant gekommen sei und bedauere lebhaft, daß die obwaltenden Verhältnisse ihn zwängen, denselben abzulehnen.
Fehse wurde abwechselnd blaß und rot, richtete seine sanften blauen Augen voll Treuherzigkeit auf den Kaufmann und erklärte seinerseits, daß er Fräulein Rosa innigst liebe.
Herr Heißenstein schenkte dieser Versicherung unbedingten Glauben und der Offizier fühlte seine Hoffnung, daß der Vater seiner Geliebten nicht unerbittlich sein könne, wachsen. Er rief, er sei zwar noch sehr jung, bekleide noch keine hohe Charge, habe kein Vermögen, aber er stamme aus einer geachteten Familie, trage einen ehrenwerten Namen, besitze leidliche Fähigkeiten und hoffe Karriere zu machen. Über seinen Ruf bei Vorgesetzten und Kameraden möge Heißenstein Erkundigungen einziehen, sein Oberst sei bereit, sie zu erteilen.
Während er sprach, beobachtete der Geschäftsmann ihn scharf. – Eines großen Geistes Kind bist du nicht, dachte er, aber ein hübscher anständiger Bursche. Fehses offenes Wesen machte einen günstigen Eindruck auf den mißtrauischen und zurückhaltenden Kaufherrn, und der Gedanke an die Möglichkeit einer Vereinbarung flog ihm durch den Sinn. Aus Liebe hat schon mancher größere Opfer gebracht, als das wäre, das der junge Edelmann um Rosas willen bringen müßte, sagte sich Heißenstein.
Er begann umständlich und mit Bedacht dem Offizier zu erzählen, seit wie vielen Generationen das Geschäft, an dessen Spitze er stehe, sich in seiner Familie vom Vater auf den Sohn fortgeerbt habe. Ihm hätte der Himmel seinen Sohn genommen, aber seine ehrenwerte Firma müsse doch fortbestehen, und so sei es denn sein unabänderlicher Entschluß, die Hand seiner älteren Tochter nur demjenigen Manne zu gewähren, der sich herbeiließe, den Namen Heißenstein anzunehmen und dereinst das Handlungshaus weiterzuführen.
Das Gesicht Fehses verfinsterte sich, und als Heißenstein mit den Worten schloß: «Wollen Sie auf diese Bedingung eingehen?» antwortete er bebend vor Entrüstung: «Was berechtigt Sie zu glauben, daß ich meinen Namen weniger hochhalte, als Sie den Ihren? ... Ich bin übrigens Soldat mit Leib und Seele und will es bleiben mein Leben lang.»
Herr Heißenstein zollte der klaren und männlichen Sprache des Offiziers, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ und ihre Unterredung beendete, seine Anerkennung. Er fügte, sich erhebend, hinzu, daß er von einem Mann von so korrekter Gesinnung auch ein korrektes Benehmen erwarte. Er äußerte seine, aus seiner Hochachtung für Herrn von Fehse entspringende Überzeugung, daß dieser künftighin jede Gelegenheit, Rosa zu begegnen, meiden werde, und unter der soeben ausgesprochenen Verzichtleistung auf ihre Hand auch die Verzichtleistung auf ihre Neigung verstehe.
«Keine von beiden!» entgegnete der junge Offizier flammend und glühend. «Ich liebe Ihre Tochter und werde von ihr geliebt, ich werde alles daran setzen, sie zu erringen!»
Und gleich darauf, seine Heftigkeit bereuend, flehte er: «Machen Sie uns nicht unglücklich!»
«Verlieren Sie keine Worte», sprach Heißenstein. «Es dürfte Sie später verdrießen, wenn Sie sich erinnern würden, Herr Leutnant von Fehse, daß Sie sich vor einem Weinhändler umsonst gedemütigt haben.» Er machte einige Schritte gegen die Tür.
«Ich werde», rief Fehse außer sich, «nie von Ihrer Tochter lassen! – Und seien Sie überzeugt: sie auch nicht von mir! ... Sie sollen bereuen, was Sie heute tun. Merken Sie wohl: Ich habe Ihnen nichts versprochen. Ich habe kein Wort zu halten als das Wort, das ich ihrer Tochter gab!» Heißenstein stand eine Weile in Gedanken versunken und blickte dem Enteilenden nach. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und verfaßte einen langen Brief, den er noch am selben Tage eigenhändig der Post übergab.
Rosa wurde fortan unter strenger Aufsicht gehalten. Zwei traurige Monate hindurch durfte sie das Haus nicht verlassen, und außer in Gegenwart Frau Nannettens keinen Besuch empfangen. Dennoch gelang es Fehse einmal, ihr Nachricht zu geben, und Bozena, die im Zimmer neben dem ihren schlief, und der es war, als habe sie ihren Liebling schluchzen gehört, fand Rosa, als sie an ihr Bett trat, im Schlafe weinend, wie sie es als Kind oft getan. Und dabei hielt sie ein beschriebenes, von Tränen durchnäßtes Blättchen an ihre hochgerötete Wange gedrückt.
Am nächsten Morgen fragte Bozena wohl: «Was war das für ein Brief?» Aber sie bekam eine ausweichende Antwort, und begnügte sich damit.
«Wie mögen Sie Rosa quälen?» sagte sie zu ihrem Herrn. «So eine erste Liebelei, das ist wie Märzenschnee...»
So rein, meinte sie, und so vergänglich.
Von Ahnungen und Träumen nährt sich die junge Liebe, ist fern von ihrem Gegenstand glücklich durch den Gedanken an ihn; wenn sie weint, so freut sie sich ihrer Tränen, und wenn sie leidet, ist sie stolz auf ihren Schmerz ... Was bedeutet die unschuldige Schwärmerei eines Kindes gegen die lodernde Höllenglut im Herzen Bozenas.