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Beim «Grünen Baum» hatte die Unterhaltung schon begonnen, aber noch war wenig Wein getrunken worden, noch gab es keine ausgelassene Lustigkeit, noch hatte kein Streit stattgefunden. Die Paare drehten sich langsam und mit bewunderungswürdiger Ausdauer. Von Zeit zu Zeit ertönte ein lauter Jubelruf, ein Bursche klatschte in die Hände, hob seine Tänzerin hoch empor, ließ sie dann sich ein Weilchen allein neben ihm herschwenken, umfaßte sie von neuem und ruhig tanzten sie weiter mit denselben schläfrigen Gesichtern, mit denen sie ihre Fronarbeit verrichteten.
Bernhard trat oft in die Mitte der Stube, sah mit Wohlgefallen, wie viele Mädchenaugen sich erwartungsvoll auf ihn richteten, winkte jedoch keine der Anwesenden nach Bauernsitte zu sich herbei. Eva war für diesen Walzer versagt und mit einer Geringeren trat er nicht in den Reigen.
Bozena stand, alle Frauen und die meisten Männer, die sie umgaben, überragend, finster und grollend in einer Ecke und wies alle Aufforderungen, sich an dem Tanze zu beteiligen, kurz ab. Sie sei nur gekommen, ein wenig zuzusehen, müsse gleich wieder heim. Die Musik schwieg, ein Tanz war zu Ende, nach kurzer Pause wurde wieder aufgespielt, und jetzt hatte Bernhard die «Gräfin» erfaßt und wirbelte mit ihr durch die Stube. Nicht langsam und mattherzig, wie ihr früherer Partner, frisch, mit fröhlicher Anmut und Leichtigkeit schwenkte er sie im Takte. Wie zwei Vögel schwebten sie, flogen sie, als ob die Lüfte sie trügen, jetzt im engen Kreise wie die Lerchen, jetzt wie die Schwalben – dahingleitend in weitem Bogen. Er flüsterte ihr etwas zu und die kokette Dorfschöne blinzelte ihn herausfordernd an; fester drückte er sie an sich, warf den Kopf zurück und schien zu fragen: wer widerstände mir? Sie, nicht minder selbstbewußt, aber weniger naiv, schlug die Augen nieder und schien zu antworten: Ich – vielleicht!
Bozena verwandte von den beiden keinen Blick, ihr Herz klopfte zum Zerspringen, schmerzliche Eifersucht zerschnitt ihr die Brust. Oh, jung sein und begehrenswert wie jene dort! Im Angesichte aller mit Stolz von ihm umfangen werden wie sie, nur einmal, nur einen einzigen seligen Augenblick! Tu ein Wunder, Gott, der du alles kannst! Befriedige diese dürstende Sehnsucht, erlöse diese arme, ringende Seele, lasse sie einmal unschuldig sein ohne Reue und Scham!...
Zu so unerfüllbaren Wünschen hatte Bozena sich verstiegen, als eine Stimme sie anrief: «Grüß Gott!» Evas Vater, ein alter schöner Mann, war zu ihr getreten, er deutete mit dem Mundstück seiner Pfeife auf seine Tochter und fuhr fort: «Das tanzt! Das tanzt!» Wohlgefällig betrachtete er sein Kind und sah dann wieder die Angeredete an, als wollte er sie zur Bewunderung auffordern. Schon drängte sich ein hartes Wort auf Bozenas Lippen, aber sie sprach es nicht aus, vielmehr sprach sie, den Greis forschend ins Auge fassend: «Ein schönes Paar!» Der Bauer verzog den Mund: «Paar?» wiederholte er «Paar? die zwei? – Je nun, auf dem Tanzboden – ja.» Und Bozena atmete auf. Derselbe Ausdruck des engherzigen Hochmuts, der in den welken Zügen des Alten wie versteinert lag – das blühende Gesicht seiner Eva trug ihn auch. Die wird ihr nicht im Ernste eine Nebenbuhlerin, der ist der Jäger trotz aller seiner Vorzüge zu gering! – Bozena verließ die Wirtsstube, sie schritt über den Hof einem kleinen Obstgarten zu, von dem aus der Fußsteig, der bis an die Stadtmauer führte, leicht zu erreichen war. Auf eine Bank unter einem Apfelbaum ließ sie sich nieder und versank in ihre düsteren Gedanken. Eine kurze Zeit nur, und lebhafte, eilende Schritte näherten sich. Sie blickte nicht zurück, sie wußte, er ist es, er sucht sie auf. Im nächsten Augenblick war er bei ihr, setzte sich neben sie auf die Bank und sprach schmeichelnd: «Bozena! Läßt sich die Böse endlich finden?»
Sie antwortet ihm nicht. Er suchte, jedoch vergeblich, ihre Hand zu fassen. «Was hast du wieder? So sag doch ein Wort! – Was ist dir?» sagte Bernhard mit dem leicht erregten Unwillen verwöhnter Menschen.
Nun fuhr sie auf: «Er fragt! Er fragt noch! ... Wie? Jetzt kann er kommen, weil ich allein bin! Vor den Leuten kennt er mich nicht! ... Weißt du was? Wie du mit mir spielst, so spielt die Eva mit dir!»
Das hatte sie nicht sagen wollen, nicht gleich, nicht so, aber der Ingrimm, der in ihr kochte, sprudelte die Worte heraus. Keuchend lehnte sie sich zurück an den Stamm des Baumes, biß die Zähne übereinander und kreuzte die Arme über der gequälten Brust.
Bernhard lachte gezwungen.
«Mit mir spielt niemand», entgegnete er. «Die Eva weiß recht gut, daß mir's nicht im Ernst zu tun ist um sie. – Und du solltest wissen, daß ich dich lieb habe!» rief er mit plötzlich ausbrechender Zärtlichkeit und wollte sie umfassen.
Sie stieß ihn zurück und sprach, an allen Gliedern bebend: «Seit einem Jahr vergällt er mir mein Leben. Küßt mich im geheimen und verleugnet mich vor den Leuten ... Fort von mir!» herrschte sie, als er statt aller Antwort die Zürnende an sein Herz zu ziehen strebte: «Es muß sein – hörst du? – ich verstelle und verstecke mich nicht mehr. Laß mich in Frieden, wenn du dich meiner schämst!»
Bozena stemmte die Hand gegen seine Brust und hielt ihn von sich mit ausgestrecktem Arme. Und mit diesem stählernen Arme, das wußte Bernhard wohl, hätte er vergeblich gerungen. So senkte er den Kopf auf ihn nieder, lehnte seine Wange daran und sprach: «Ich mag das Gerede der Klatschmäuler nicht – es könnte meinem Grafen zugetragen werden. Und der, du weißt ja, meint, am besten wär's für mich, wenn ich die Kammerjungfer der Frau Gräfin nähme. Aber ich mag sie nicht!» rief er, sich aufrichtend. «Sie ist mir zuwider – ich hab nur eine gern ... Laß mich nur einmal Förster sein, – und die ganze Welt soll schon sehen – wen?!» Es war ein Klang von warmer, überzeugender Empfindung in seinen Worten. Er hatte sie lieb, die Bozena, gewiß; er war stolz auf den uneingeschränkten Besitz dieses bisher unbesiegten Herzens. Er freute sich der Gewalt, die ihm über die Gewaltige gegeben war. Sein unsicheres Wesen wurde von ihrem starken, sein schwankender Wille von ihrem festen mächtig angezogen. Im Bewußtsein ihrer unbegrenzten Liebe ruhte er wie in einer goldenen Wolke, er fühlte sich durch ihre Hingebung gehoben und verklärt. Schützend umhüllte sie ihn, ohne ihn je gedemütigt zu haben, denn immer war sie bereit, sich ihm zu unterwerfen, und alle Lust und alles Weh kam ihr von ihm. Ein Wort, und die Unbezwingliche lag zu seinen Füßen, die größere Seele beugte sich vor seiner Kleinheit, denn kraft ihrer Liebe war er ihr Herr.
Bozena hatte den Arm sinken lassen, der Jäger schlang den seinen um ihren Hals und preßte seine Lippen auf die ihren. Ihr Zorn zerschmolz unter seinen Küssen. Heiße Tränen traten ihr ins Auge und sie sprach wehmütig: «Ich werde niemals deine Frau! Du wirst dich niemals zu mir bekennen. Schweig!» fiel sie ihm ins Wort, da er widersprechen wollte. «Dazu hast du nie den Mut! ... Ich bin nur eine arme Magd, und du willst höher hinaus – wir sind nicht füreinander ...»
«Ich will dich», beteuerte Bernhard mit Ungestüm, «keine andere, weil sich keine mit dir vergleichen kann. Meinst du, ich bin blind und seh das nicht? ... Hab Geduld! ... Wirf mir nichts vor ... Wir kommen doch zusammen, aber jetzt will ich nichts wissen, nichts hören, nichts fragen als nur: hast mich lieb?»
Bozena legte die gerungenen Hände in ihren Schoß und seufzte schmerzlich auf: «Fragst nicht auch, ob Gott im Himmel lebt? ... O Jesus, ob ich ihn lieb habe? Ich wollt, ich könnte sagen, nein, oder ich wollt, ich könnte sagen, warum?»
Trotzig richtete sie sich auf und sprach, als trachte sie sich selbst zu beruhigen über die Natur ihrer Liebe: «In dein hübsches Gesicht habe ich mich nicht vergafft!»
Der Jäger lachte und küßte sie, und Bozena erduldete seine Liebkosungen, aber sie erwiderte sie nicht.
«So bist du heute», grollte sie, «und morgen ist alles wieder wie früher, und morgen trittst du mir wieder aufs Herz. O könnt ich frei sein! ... Könnt ich mich losmachen von dir!»
Er erschrak über die Verzweiflung, die aus ihrer Stimme klang; zum erstenmale tauchte die Möglichkeit, sie zu verlieren, vor ihm auf und erfüllte ihn mit tiefster Besorgnis, mit bitterstem Weh: «Dich losmachen von mir?» fragte er vorwurfsvoll, «das möchtest du?»
«Wohl möcht ich's!» antwortete sie, «aber was hilft mir das? ... Bin ich nicht wie verfangen im Dorngestrüpp, es zerfleischt mich, – und läßt mich nicht los ... Bernhard! Bernhard!» Sie beugte sich vor, mit beiden Händen griff sie in sein Haar, zog seinen Kopf an ihre Brust und schaute in die Augen, die sich bittend und voll heißer Zärtlichkeit zu ihr erhoben. «Bist mir denn treu?» schrie sie plötzlich auf.
Das rief wieder die alte Bozena! Das war wieder die echte alte Leidenschaft! – Sie zitterte um ihn, er hatte sie wieder! Der funkelnde Blick des Jägers ruhte fest in dem ihren und seine Seele frohlockte. Übermütig strich er mit Daumen und Zeigefinger den Schnurrbart in die Höhe und sprach schmollend, wie ein berechnender, kluger, vollendeter Don Juan:
«Bist du denn mein?»
«Schäm dich!» erwiderte sie, und barg ihr Gesicht in ihre Schürze und schluchzte laut.
Er aber flehte, tröstete, beteuerte. Kein Liebesschwur, den er nicht tat, kein Schmeichelwort, das er nicht sagte. Und Bozena lauschte seiner süßen Rede, von neuem überwunden, von neuem überzeugt. Er wolle ein Ende machen! Das gelobte er, und sollt es ihn die Stelle kosten und seines Grafen Gnade! Von der Bozena läßt er nicht, er kennt ihren Wert, ihr gehört er an in Glück und Not, im Leben und im Tode. Nur sie vermag – – da fährt er zusammen, hält inne ... hinter den Büschen des Zauns hat sich's geregt. Der Teufel! haben seine Worte einen Zeugen gehabt? War ein Lauscher da? Bernhard springt empor und auf die Stelle los, von der aus das Geräusch gekommen. Er ruft laut: «Wer da?» – keine Antwort und ringsum niemand zu erblicken. Sie sind allein.
Etwas verlegen über die Bestürzung, die er unwillkürlich hatte erblicken lassen, kehrt der Jäger zurück. In einen andern Menschen verwandelt, gleichgültig und kalt stand er vor seiner Geliebten und sagte: «Es ist spät – ich muß fort.»
Sie biß die Zähne übereinander und maß ihn mit verachtungsvollen Blicken.
«O du!» rief sie «wenn einer dort gestanden hätt, und wär's der Stallbub gewesen aus eurem Hause ... Und hätte der gespaßt: Unser Jäger geht mit der Magd des Weinhändlers – vor dem Stallbuben hättest du mich verleugnet! Jetzt hättest du's getan! ... Und wenn dich heut abends beim Tische der Hausoffiziere jemand nach mir fragt, wirst du antworten: Ich kenne sie nicht! Gelt?» schrie Bozena mit vernichtendem Hohne und richtete sich hoch auf vor ihm, der mit finsterem Gesichte zur Erde starrte und – schwieg.
«Ich Narr! Ich Narr!» stöhnte sie und wandte sich und rannte davon. Sie schaute nicht – er rief sie nicht zurück, und dennoch hemmte sie bald die Raschheit ihrer Schritte. Sie blieb stehen – sie lauschte – sie wartete und setzte dann immer langsamer ihren Weg fort. Wie oft hatten sie sich schon getrennt, aber niemals hatte ein Abschied ihr das Herz zerrissen wie dieser. Hatte sie doch noch nie so harte Worte zu ihm gesprochen, war ihm doch niemals so weh durch sie geschehen. Wird er ihr je verzeihen? – Schon denkt sie nichts andres mehr als: wird er mir je verzeihen?...
Das macht: sie ist gefangen, ein Spielball in eines Knaben Hand – die große Bozena!