Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Leute, die Archibius ausgesandt hatte, um Kundschaft einzuziehen, waren zu keinem sicheren Ergebnisse gelangt. Ein königlicher Läufer hatte aber vor kurzem ein Brieftäfelchen für ihn abgegeben, worauf Iras ihn einlud, sie morgen zu besuchen. Es seien beunruhigende, doch glücklicherweise noch unsichere Nachrichten eingetroffen. Der Regent biete alles auf, um sich Gewißheit zu verschaffen, doch er kenne das Mißtrauen der Seeleute und aller Welt am Hafen gegen die Regierung und was zu ihr gehöre. Ein unabhängiger Mann wie er bringe oft mehr in Erfahrung als der Hafenstrateg mit all seinen Schiffen und Leuten.
Das Täfelchen wurde von einem zweiten begleitet, das dem Träger im Namen des Regenten gestattete, jederzeit die Hafenkette lüften zu lassen, in das offene Meer zu fahren und ungehindert zurückzukehren.
Der Bote, der Vorsteher der Schiffersklaven des Archibius, war ein erfahrener Mann. – Er nahm es auf sich, den »Epikur«, einen vorzüglichen Schnellsegler, den Kleopatra dem Freunde geschenkt hatte, in zwei Stunden für eine Fahrt in die offene See bereit zu stellen. Der Wagen solle den Herrn abholen, damit keine Zeit verloren gehe.
Als Archibius zu den Frauen zurückgekehrt war und sie frug, ob es ihre Gastfreundschaft nicht mißbrauchen heiße, wenn er den Aufbruch jetzt – kurz vor Mitternacht – noch beträchtlich verzögere, zeigten sie sich aufrichtig erfreut und baten ihn um die Fortsetzung der Erzählung.
»Ich muß mich beeilen,« begann er, nachdem er dem Imbiß schnell zugesprochen, den Frau Berenike schon während er mit dem Boten sprach, bereit gestellt hatte. »Von dem, was die nächsten Jahre brachten, ist nicht viel wert der Erwähnung. Ich hatte außerdem vollauf mit dem Studium im Museum zu thun.
Was Kleopatra und Arsinoë anging, so standen sie wie Königinnen an der Spitze des Hofstaates. Der Tag, an dem sie unser Haus verließen, war der letzte ihrer Kindheit gewesen.
Hatte die Wiedereinsetzung des Königs, ihres Vaters, hatte die Begegnung mit dem Antonius die große Veränderung bewirkt, die damals mit Kleopatra vorging, wer wagte wohl es zu entscheiden?
Kurz vor dem Abschiede von uns hatte meine Mutter beklagt, daß sie die Kleopatra einem Vater wie dem Flötenbläser und nicht einer würdigen Mutter zurückzugeben habe; denn die allerbeste müsse sich wegen solcher Tochter glücklich schätzen. Später war ihr Sein und Wesen indes weit eher geeignet, Männer zu entzücken, als gerade eine Mutter. Mit dem Trachten nach dem Frieden der Seele schien es vorbei. Nur manchmal wurden ihr die rauschenden Feste, das Singen und Musiziren zu viel, woran es im Palast des Virtuosen auf dem Throne nie fehlte. Dann erschien sie in unserem Garten und blieb dort oft mehrere Tage. Arsinoë begleitete sie niemals; denn bald ließ sie sich von einem goldlockigen Offizier der großen germanischen Reiter fesseln, die Gabinius unter der Besatzung Alexandrias zurückgelassen hatte, bald von einem makedonischen Edlen unter den königlichen Jünglingen, die damals noch den Wachdienst im Palaste versahen.
Kleopatra lebte getrennt von ihr, und Arsinoë trug die feindliche Gesinnung gegen sie offen zur Schau, seitdem sie ihr geboten, dem Aergernis ein Ende zu machen, das ihre Liebeshändel erregten.
Von dergleichen hielt Kleopatra sich fern.
Wenn sie sich auch bisweilen mit den magischen Künsten der Aegypter beschäftigte, hatte ihr klarer Geist sie doch in der Philosophie der Hellenen so heimisch gemacht, daß es ein Vergnügen war, sie im Museum – und sie that es nicht selten – mit den Führern der verschiedenen Schulen sich unterhalten oder in einen Streit einlassen zu hören. Ihr Selbstbewußtsein war mächtig gewachsen. Versicherte sie auch, so oft sie bei uns weilte, sie sehne sich nach der Zeit des friedvollen Epikuräergartens zurück, so beschäftigte sie sich doch eifrig genug mit den Händeln der Welt und der Staatskunst. Was in Rom vorging, was die Parteien wollten und erstrebten, war ihr so vertraut wie die Personen der leitenden Männer, ihre Eigenschaften, Aussichten und Ziele.
Der Laufbahn des Marc Anton folgte sie mit der Teilnahme des Herzens. Er war es gewesen, dem sie ihre erste junge Neigung geschenkt. Sie hatte das Größte von ihm erwartet; aber sein späteres Verhalten schien diese hochgespannten Hoffnungen Lügen zu strafen. Ein Schimmer von Verachtung färbte damals, was sie auch über ihn äußerte; aber auch daran war das Herz mit beteiligt.
Den Pompejus, dem ihr Vater die Rückkehr verdankte, hielt sie für glücklicher als groß und weise. Von Julius Cäsar sprach sie dagegen, lange bevor sie ihm persönlich begegnete, mit glühender Begeisterung, obgleich sie wußte, daß er Aegypten gern zur römischen Provinz gemacht hätte. Das größte, was sie von dem thatkräftigen Julier erwartete, war, daß er mit der Republik, die sie haßte, aufräumen und sich zum Tyrannen über die hochmütigen Beherrscher der Welt ausschwingen werde. Nur hätte sie gern den Antonius an seiner Stelle gesehen. Wie oft bediente sie sich damals der magischen Kunst, um sich über seine Zukunft zu vergewissern. Der Vater nahm teil an diesen Dingen, zumal er durch sie und die Macht der großen Isis Heilung von seinen vielen und schweren Leiden erwartete.
Kleopatras Brüder waren immer noch unreife Knaben und durchaus abhängig von ihrem Vormund Pothinus, dem der König die Leitung des Staates überließ, und ihrem Erzieher Theodotus, einem klugen, doch gewissenlosen Rhetor. Diese beiden und Achillas, der Führer der Truppen, hätten gern dem Dionysus, dem ältesten männlichen Erben des Königs, zur Herrschaft verholfen, um ihn auch später zu leiten; der Flötenbläser aber machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Ihr wißt, daß er in seinem letzten Willen die Kleopatra, sein liebstes Kind, zur Nachfolgerin ernannte, doch sollte ihr Bruder Dionysus als ihr Gemahl den Thron mit ihr teilen. Das bereitete viel Aergernis in Rom, obgleich es ja einem alten Gebrauche des Ptolemäerhauses und der Aegypter entspricht.
Der Flötenbläser starb. Kleopatra wurde Königin und zugleich die Gemahlin eines zehnjährigen Gatten, für den sie nicht einmal das natürliche Geschenk schwesterlicher Zärtlichkeit bereit hielt. Doch sie heiratete zugleich mit dem eigenwilligen Kinde, dem seine Berater eingeschärft hatten, ihm allein gebühre die Herrschaft, die früheren Regenten des Landes.
So begann denn für sie eine bittere Zeit. Ihr Leben war ein fortgesetzter Kampf gegen die verruchten Ränke, von denen die schlimmsten ihrer Schwester den Ursprung verdankten. Arsinoë hatte sich mit einem eigenen Hofstaat umgeben, dem der Eunuch Ganymedes vorstand, ein erfahrener Feldhauptmann und zugleich ein kluger, ihr ganz ergebener Berater. Er wußte sie auch dem Pothinus und den anderen Lenkern des Staates nahe zu bringen, und so einigte endlich alles, was in den Königspalästen zu gebieten hatte, das eine Bestreben, Kleopatra vom Throne zu drängen. Pothinus, Theodotus und Achillas haßten sie, weil sie auch ihre Fehler durchschaute und sie die Ueberlegenheit ihres Geistes empfinden ließ. Es wäre auch ihren vereinten Anstrengungen früher gelungen, sich ihrer zu entledigen, wenn die Alexandriner und an ihrer Spitze die Epheben, auf die ich noch immer einigen Einfluß übte, nicht so fest zu ihr gestanden hätten. Was sich ›Jüngling‹ nannte, glühte für sie, und auch unter den makedonischen Edlen in der Leibwache wären die meisten für sie in den Tod gegangen, obgleich sie sie gezwungen hatte, hoffnungslos zu ihr aufzuschauen wie zu einer unnahbaren Göttin.
Als ihr Vater die Augen schloß, war sie siebzehn Jahre alt; doch wie ein Mann wußte sie sich der Dränger und Feinde zu erwehren. Meine Schwester Charmion, die sie bestimmt hatte, in ihren Dienst zu treten, stand ihr dabei treu zur Seite. Das Mädchen war damals schön und liebenswert, und es fehlte ihr nicht an Bewerbern; doch der Zauber der Königin hielt sie fest wie mit Ketten und Banden. Freiwillig entsagte sie der Liebe zu einem edlen Manne – Du weißt ja, es war Dein späterer Gatte, Frau Berenike – um die königliche Freundin nicht in einer Zeit zu verlassen, in der sie ihrer bedurfte. Meine Schwester verschloß seitdem der Liebe das Herz. Es gehört der Kleopatra, Für sie allein lebt sie, denkt sie, sorgt sie bis heute. Dir, Barine, ist sie gut, weil ihr Leonax, Dein Vater, so wert war. Iras, die so oft neben ihr genannt wird, ist die Tochter meiner ältesten Schwester, die schon verheiratet war, als der König dem Vater die Prinzessinnen vertraute. Sie ist zwölf Jahre jünger als Kleopatra, doch auch ihr geht die Herrin über alles. Ihr Vater, der reiche Krates, bot alles auf, um sie abzuhalten, in den Dienst der Königin zu treten, aber vergebens. Eine einzige Unterredung mit der wunderbaren Frau hatte sie auf immer an sie gefesselt.
Doch ich muß kurz sein! Ihr hörtet wohl, wie Kleopatra den Sohn des Pompejus bei seinem Besuche Alexandrias so warm für sich einnahm. Seit der Begegnung mit dem Antonius hatte sie sich keinem Manne so huldreich erwiesen, und es war nicht aus Neigung, sondern zum besten der Selbständigkeit des Vaterlandes geschehen, das sie liebte. Der Vater des Gnejus war damals der mächtigste Mann, und die Staatskunst gebot ihr, ihn durch den Sohn zu gewinnen. Der junge Römer nahm denn auch, ›voll von ihr‹, wie die Aegypter sagen, von ihr Abschied. Das freute sie; doch dieser Besuch kam ihren Feinden mächtig zu gute. Es gab keine Verleumdung, die nicht gegen sie ausgestreut worden wäre. Die Führer der Leibwachen, denen sie nur als stolze Königin begegnet war, hatten sie mit dem Sohne des Pompejus verkehren sehen wie mit einem ihr gleichstehenden Freunde; im Theater und bei manchem andern Anlaß wurden die Alexandriner Zeugen, wie sie sein Wohlgefallen mit der gleichen Münze bezahlte. Aber der Haß gegen Rom schlug damals hohe Wogen. Die Regenten streuten im Bunde mit der Arsinoë aus, Kleopatra wolle Aegypten dem Pompejus ausliefern, wenn der Senat ihr die alleinige Herrschaft über die neue Provinz zusichere und ihr freie Hand lasse, sich des königlichen Bruders und Gemahls zu entledigen.
Sie mußte fliehen und begab sich zunächst an die syrische Grenze, um Freunde unter den asiatischen Fürsten für ihre Sache zu gewinnen. Mir und meinem Bruder Straton – Du, Berenike, kanntest ja den herrlichen Jüngling, der zu Olympia den Kranz beim Ringkampfe gewann – war der Auftrag geworden, ihr den Schatz nachzuführen. Wohl setzten wir uns einer großen Gefahr aus, doch wir thaten es freudig und verließen Alexandria mit einigen Kamelen, einem Ochsenwagen und mehreren vertrauten Sklaven. Bis nach Gaza sollte es gehen, wo sie schon ein Heer zu werben begann. Wir hatten uns beide als nabatäische Kaufleute verkleidet, und die Sprachen kamen mir jetzt zu gute, die ich, um nicht hinter der Kleopatra zurückzubleiben, erlernt.
Es war eine bewegte Zeit. Die Namen Pompejus und Cäsar waren in aller Munde. Nach der Niederlage bei Dyrrhachium schien die Sache des Juliers verloren, aber die Pharsalische Schlacht gab ihm wieder das Heft in die Hand, wenn sich der Osten nicht für den Pompejus erhob. Beide schienen Lieblinge des Glückes. Wem es fester die Treue halten werde, war jetzt die Frage.
Meine Schwester Charmion begleitete die Königin; doch durch eine ihr ergebene Frau der Arsinoë hatten wir aus dem Palast erfahren, das Geschick des Pompejus sei entschieden. Er kam als Flüchtling nach der Niederlage von Pharsalus und ersuchte den König von Aegypten – das heißt die für ihn regierenden Männer – um gastliche Aufnahme. Vor einer größeren Verlegenheit hatten Pothinus und seine Genossen selten gestanden. Truppen und Schiffe des siegreichen Cäsar standen in der Nähe; viele Vertreter des Gabinius dienten im ägyptischen Heere. Empfing man den geschlagenen Pompejus freundlich, so machte man sich den Sieger Cäsar zum Feinde. Ich sollte Zeuge der schrecklichen Lösung dieses Dilemmas werden. Das verruchte Wort des Theodotus: ›Tote Hunde beißen nicht mehr‹, hatte den Ausschlag gegeben.
Mein Bruder und ich waren mit unserem kostbaren Frachtgute bis zum Berge Casius gelangt und hatten die Zelte aufgeschlagen, um dort einen Boten zu erwarten, als eine große Schar von bewaffneten Kriegern von der Stadt her herankam. Erst fürchteten wir, wir würden verfolgt; doch ein Späher berichtete, der König selbst befinde sich unter den Soldaten, und zu gleicher Zeit näherte sich von der Küste her ein großes römisches Admiralschiff. Es konnte nur das des Pompejus sein. So hatte man doch die Meinung geändert, und der König kam, um den Gast selbst zu empfangen. Die Truppen lagerten sich auf dem flachen Ufer, das der Tempel des casischen Amon überragte.
Die Septembersonne schien hell und spiegelte sich in den Waffen. Von der hohen Wand des trockenen Flußbettes, in dem wir das Zelt aufgeschlagen hatten, sahen wir ein blutrotes Etwas sich auf und nieder bewegen. Es war der Purpurmantel des Königs. Die Wellen plätscherten leise, vom Herbstwind bewegt, blau wie Cyanen über den gelben Dünensand hin; der König aber blieb stehen. Mit der Hand über dem Auge schaute er nach dem Admiralschiffe hin. Achillas, der Heerführer, und mit ihm der Tribun Septimius, der zu den römischen Besatzungstruppen in Alexandria gehörte und von dem ich wußte, daß er unter dem Pompejus gedient und ihm mancherlei zu danken habe, waren indes in ein Boot gestiegen und fuhren auf das Schiff zu, dem das flache Meer die Landung untersagte.
Nun begann die Verhandlung, und das Gastgebot des Achillas muß recht warm und Vertrauen erweckend geklungen haben; denn eine hohe Frau – es war Cornelia, die Gemahlin des Imperators – winkte ihm zu, um ihm zu danken.«
Hier stockte der Erzähler, holte tief Atem und preßte die Hand an die Stirn, als er fortfuhr:
»Was nun kommt ... Daß es mir bestimmt war, das Schreckliche als Zuschauer mit zu erleben! Wie oft ist es falsch dargestellt worden, und es ging doch so grausam einfach dabei her!
Das Glück macht seine Lieblinge vertrauensvoll. Auch Pompejus war es. Der Fünfziger – es fehlten ihm bloß zwei Jahre zu sechzig – war schnell genug im Kahne. Nur ein Freigelassener half ihm ein wenig. Ein Matrose – es war ein Schwarzer – stieß den Nachen von dem großen Schiffskörper ab, so heftig, als sei die Stange, womit er es that, ein Speer und das Fahrzeug sein Feind. Er strauchelte, weil die Ruderschläge seiner Genossen den Kahn schon vorwärts trieben, und dabei fiel ihm die braune Kappe vom Wollhaar. Es ist mir, als sähe ich es wieder vor mir. Bevor ich recht ausgedacht, das sei kein freundliches Omen, hielt schon das Boot.
Das Wasser war flach. Ich sah, wie Achillas aufs Land wies. Mit einem Sprunge war es zu erreichen. Pompejus schaute zu dem Könige hinüber. Der Freigelassene legte ihm die Hand unter den Arm, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Septimus erhob sich. Er wollte ihn wohl unterstützen. Aber nein! Was ist das? Neben dem silbergrauen Haare des Imperators blitzt es blendend auf im Sonnenlicht, als sei ein Funke vom Himmel gefallen. Will Pompejus ihm wehren, oder warum hebt er die Hand? Sie hat die Toga aufgehoben, und er bedeckt mit ihr lautlos das Antlitz. Der Tribun schwingt den Arm noch einmal hoch auf. Und dann – welcher Wirrwarr! Hier – da – dort – jäh auffahrende Hände, neues Flimmern in der hellen Luft. Achillas, der Feldherr, stößt so sicher zu mit dem Dolche, als sei er im Morden geübt. Der schwere Körper des Imperators bricht zusammen. Der Freigelassene stützt ihn.
Und nun erhebt sich hier eine wütende, dort eine klagende Stimme, und, alle laut übertönend, der schmerzliche Jammerruf einer Frau. Er kommt vom Schiffe her, von den Lippen Cornelias, der Gemahlin des Gemordeten. Dann Beifallsrufe aus dem Lager des Königs, Trompetensignale: die Aegypter ziehen ab. Da zeigt sich wieder der mohnrote Mantel. Ihm entgegen tritt Septimius mit einem blutenden Haupte in der Hand. Er hebt es hoch. Der königliche Knabe schaut dem Opfer in die gebrochenen Augen, die so manche Feldschlacht, die Rom, die zwei Weltteile gelenkt. Dieser Anblick ist für das Kind auf dem Throne doch wohl zu gewaltig; denn es wendet sich ab. Das Schiff entfernt sich vom Ufer; die Aegypter ordnen sich und brechen auf. Achillas säubert die blutigen Hände im Wasser des Meeres. Neben ihm wäscht der Freigelassene die kopflose Leiche des Herrn. Der Feldherr zuckt die Achseln, als der treue Mann ihm ich weiß nicht was zuruft.«
Hier stockte Archibius und holte tief Atem. Dann fuhr er gelassener fort:
»Achillas führte das Heer nicht nach Alexandria zurück, sondern gen Osten, nach Pelusium, wie ich später erfuhr.
Der Bruder und ich standen auf dem felsigen Schluchtrand. Es dauerte lange, bis einer das erste Wort fand. Eine Staubwolke entzog den König und die Leibwache den Blicken, das Segel des Admiralschiffes verschwand. Es wurde dunkel, und Straton zeigte nach Westen, nach Alexandria hin. Da ging die Sonne unter. Rot, rot! Es war, als ergieße sich ein Blutstrom über die Stadt.
Die Nacht brach herein. Ein elendes Feuer brannte am Ufer. Woher kam das Holz in die Wüste? Wie war es entzündet worden? Dicht an der Stelle des Mordes hatte ein zerbrochener Nachen gelegen. Er war von dem Freigelassenen und seinem Gefährten zerschlagen worden. Mit dürrem Gestrüpp, den zerrissenen Kleidern des Gemordeten und trockenem Seetang speisten sie das Feuer. Jetzt schlugen Flammen auf. Ein Körper ward behutsam auf den elendesten der Scheiterhaufen gelegt. Es war der des großen Pompejus. Ein Veteran des Imperators half dem treuen Diener.«
Hier ließ sich Archibius wieder in das Polster zurücksinken und fügte erklärend hinzu:
»Cordus, Servius Cordus hieß der Mann. Es ist ihm später wohl ergangen. Die Königin sorgte dafür. Die anderen? Sie alle ereilte bald genug das Schicksal. Den Theodotus verurteilte Brutus später zu einem qualvollen Tode. Während seiner lauten Wehklagen rief ein Veteran des Pompejus ihm zu: ›Tote Hunde beißen nicht mehr, doch sie heulen beim Sterben.‹
Es war des Cäsar würdig, daß er sich voller Abscheu von dem Haupte des Gegners abwandte, als Theodotus es ihm überbrachte. Auch Pothinus wartete vergeblich auf Lohn für die Schandthat.
Julius Cäsar war bald nach der Heimkehr des Königs in Alexandria vor Anker gegangen. Erst in Aegypten erfuhr er, wie man dort den Pompejus empfangen. Ihr wißt, daß er neun Monate hier verweilte. Wie oft hörte ich sagen, Kleopatra habe es verstanden, ihn so lange hier zu fesseln. Wahr, und auch nicht wahr. Ein halbes Jahr lang war er zu bleiben gezwungen. Die folgenden drei Monate, sie freilich schenkte er der Geliebten.
Ja, das Herz des vierundfünfzigjährigen Mannes hatte sich noch einmal einer großen Leidenschaft geöffnet. Wie alle Wunden, so sind auch die vom Pfeile des Eros schwerer heilbar, wenn die Jugend hinter dem Getroffenen liegt. Es waren auch nicht nur die Augen und Sinne, die dies an Alter so verschiedene Paar zu einander hinzogen, sondern weit mehr die innere Eigentümlichkeit beider. Zwei geflügelte Geister waren hier einander begegnet. Der Genius des einen hatte den des andern erkannt. Die höchste Mannheit war der vollendeten Weiblichkeit begegnet. Sie mußten einander anziehen. Ich sah es voraus; denn längst hatte Kleopatra atemlos gespannt den Flug dieses Adlers verfolgt, der die anderen und auch den, dem sie schon als Kind sehnsüchtig nachgeschaut hatte, so hoch überflog, und sie war stark genug, sich ihm zur Seite zu halten.
Wir waren glücklich zu Kleopatra gestoßen und hörten, wie Cäsar im Palaste der Ptolemäer sich trotz der Feindseligkeit unserer Bürgerschaft niedergelassen und es in die Hand genommen habe, Ordnung in Aegypten zu schaffen.
Wir wußten, in welchem Sinne Pothinus. Achillas, Arsinoë auf ihn einzuwirken suchen würden. Was Kleopatra angeht, so beunruhigte sie mit Recht die Besorgnis, ihre Feinde könnten Aegypten bedingungslos an Rom ausliefern, wenn Cäsar ihnen die Zügel der Regierung in der Hand ließ und sie von ihr ausschloß. Sie hatte Grund, dies zu befürchten, aber auch den Mut, für die eigene Sache die eigene Person einzusetzen.
Es galt nun, sie in die Stadt, in den Palast, in Verbindung mit dem Diktator zu bringen. Mein Bruder Straton und ich leisteten ihr Beistand. Die Kinder erzählen sich ja das Abenteuer von dem starken Manne, der die Kleopatra in einem Sack durch die Palastpforte trug. Ein Sack war es freilich nicht, der sie den Blicken entzog, sondern ein syrischer Teppich. Der starke Mann ist mein Bruder Straton gewesen. Ich schritt voran und sorgte für freie Bahn.
Julius Cäsar und sie sahen und fanden einander. Das Schicksal zog nur den Schluß, der sich aus den gegebenen Vordersätzen ergab. Glückseliger, höher gehoben an Geist und Herz sah ich Kleopatra niemals, und doch war sie rings von schweren Gefahren umdroht, bedurfte es des ganzen Feldherrngenies des Cäsar, um die wilde Gegnerschaft zu besiegen, die er hier fand. Sie, nicht der Zauber Kleopatras hielt ihn zunächst, ich wiederhole es, hier fest. Was hätte ihn gehindert, – wie er es später ja auch that – die Geliebte sich nachzuziehen nach Rom, wenn es ihm schon damals möglich gewesen wäre? Doch dies war mit nichten der Fall. Die Alexandriner sorgten dafür.
Er hatte das Testament des Flötenbläsers anerkannt, ja dem ägyptischen Königshause mehr bewilligt, als es jenem möglich gewesen wäre. Kleopatra und ihr Bruder und Gemahl Dionysus sollten die Herrschaft teilen, der Arsinoë und dem jüngsten Bruder verlieh er dazu noch Cypern, das ihrem Oheim Ptolemäus von der Republik selbst geraubt worden war. Rom sollte natürlich der Vormund der Geschwister bleiben.
Diese Verordnung enthielt Unerträgliches für Pothinus und die früheren Lenker des Staates. Kleopatra als Königin, und Rom, das hieß Cäsar, der Diktator, ihr Freund, der Vormund, darin lag ihre Entkleidung von der Macht, ihre Vernichtung, und sie wehrten sich kräftig.
Die Aegypter und auch die Alexandriner standen auf ihrer Seite, der junge König trug nichts schwerer als das Joch der ihm überlegenen ungeliebten Schwester. Cäsar war mit einer Streitmacht gekommen, die der ihren bei weitem nicht gleichkam, und vielleicht war es möglich, den Gewaltigen hier zu Falle zu bringen. Und sie kämpften mit dem Aufgebot aller Kräfte, mit so leidenschaftlicher Hingabe, daß dem Diktator die Gefahr zu unterliegen nie näher gewesen war. Aber Kleopatra lähmte wahrlich nicht seine Kraft und besonnene Umsicht. Nein! Nie war er größer, nie bewährte sich die Macht seines Genius so herrlich! – Und gegen welche Uebermacht, welchen Haß hatte er zu kämpfen! Ich war Zeuge, wie der junge König, als er hörte, es sei der Kleopatra gelungen, in den Palast zu dringen und den Cäsar zu sehen, sich wie besessen vor Wut auf die Straße stürzte, sich das Diadem vom Haupte riß, es aufs Pflaster schleuderte und den Vorübergehenden zurief, er sei verraten, bis die Soldaten des Cäsar ihn in den Palast zurückdrängten und den Auflauf zersprengten.
Arsinoë hatte mehr empfangen, als sie erwarten durfte; sie war aber wiederum die am tiefsten Gekränkte. Nach Cäsars Einzug in den Palast hatte sie ihn als Königin empfangen und alles von ihm gehofft. Da war die verhaßte Schwester gekommen, und wie schon so oft wurde sie um Kleopatras willen vergessen.
Das war zu viel, und mit dem Eunuchen Ganymedes, ihrem Vertrauten, ich sagte es schon, einem tüchtigen Krieger, entwich sie aus dem Palaste und trat zu den Feinden des Diktators über.
Da gab es harte Kämpfe zu Wasser und zu Lande, in den Straßen der Stadt, um das vom Feinde abgegrabene trinkbare Wasser, gegen die Feuersbrunst, die einen Teil des Bruchiums und auch die Bibliothek des Museums zerstörte. Aber halb verdurstend, mit genauer Not dem Ertrinken entkommen, auf allen Seiten von grimmem Hasse bedroht, stand er fest und blieb Sieger auch in offener Feldschlacht, nachdem der junge König sich an die Spitze der Aegypter gestellt und ein Heer gesammelt hatte.
Ihr wißt, daß der Knabe auf der Flucht ertrank.
In Kampf und Todesgefahr, unter Blut und Waffengeklirr verrann dem Cäsar und der Kleopatra ein halbes Jahr, bevor es ihnen vergönnt war, die Frucht der gemeinsamen Arbeit zu pflücken. Nun erhob der Diktator sie zur Königin von Aegypten und gab ihr den jüngsten Bruder, ein Knäblein, nicht halb so alt wie sie selbst, zum Mitregenten. Der Arsinoë schenkte er das verwirkte Leben, doch schickte er sie nach Italien.
Dem Siege folgte der Friede. Jetzt allerdings hätten ernste Pflichten den Staatsmann nach Rom zurückführen müssen; doch er blieb noch drei volle Monde.
Wer das Leben des ehrgeizigen Juliers kennt und weiß, was diese Versäumnis ihn hätte kosten können, der schlägt sich mit der Hand an die Stirn und fragt: Ist es wahr und möglich, daß er diese kostbare Zeit benutzte, um mit der Geliebten eine Nilfahrt zu unternehmen bis zu der Insel der Isis, die der Herrin so lieb ist, an der äußersten Südgrenze des Landes? Doch so ist es geschehen, und ich selbst gehörte in dem zweiten Schiffe zu ihren Begleitern und sah sie nicht nur beisammen, sondern teilte mehr als einmal ihr Mahl und ihre Unterhaltung.
Das war ein Geben und Nehmen, ein Eindringen und sich Erheben, eine Reihe von Disharmonien, die man gern mit anhörte, weil die Erfahrung lehrte, daß sie in der schönsten Harmonie ausklingen würden. Da gab es eine Feiertagszeit für alle Sinne.«
»Diese ganze Nilreise,« unterbrach ihn Barine, »ich denke sie mir wie die Märchenfahrt, als das seidene Purpursegel die Kleopatra dem Antonius auf dem Kydnosstrome entgegenführte.«
»Nein, nein,« fiel ihr der andere mit einer abwehrenden Geberde ins Wort. »Das Erdenleben mit schnell verrauschenden Genüssen sättigen, das lernte sie erst für den Antonius. Cäsar verlangte mehr. Ihr Geist bot ihm das höchste Genügen.«
Hier stockte er, bevor er fortfuhr:
»Freilich fand sich auch das nicht von selbst zusammen, womit sie dem Antonius zu Gefallen jahrelang Tag für Tag mit neuem und immer neuem Reize alle Sinne sättigte.«
»Und das,« rief die junge Frau, »das nahm dasselbe Wesen auf sich, das in der Ruhe der Seele das höchste Gut erkannt hatte!«
»Dasselbe,« versetzte Archibius nachdenklich. »Doch es mußte so kommen. Die Lust war das Lebensziel des heranwachsenden Mädchens gewesen. Bevor die Leidenschaft in ihr erwachte, war die Ruhe der Seele das höchste Gut, das sie kannte. Als die Zeit kam, in der diese sich als unerreichbar für sie erwies, blieb doch das fest in ihr eingewurzelte Verlangen nach Glückseligkeit in ihr mächtig. Mein Vater hätte ihr, der künftigen Königin, das Gute als das Grundgesetz ihres Seins in die Seele prägen sollen. Er unterließ es, weil es ihm in seiner Zurückgezogenheit gelungen war, die Glückseligkeit zu finden, die der Meister den Jüngern verheißt. Von Athen nach Kyrene, von Epikur zu Aristipp ist nur ein kleiner Schritt, und sie that ihn, als sie vergaß, daß der Meister weit entfernt ist, im Genuß der einzelnen Lust das höchste Gut zu erkennen. Die Glückseligkeit des Epikur sollte der des Zeus nicht nachstehen, wenn er nur Gerstenbrot und Wasser hätte, um Hunger und Durst zu stillen.
Dennoch hielt sie sich noch immer für seine Jüngerin, und als Antonius später im Partherkriege war und sie lange allein blieb, begann sie wieder nach Schmerzlosigkeit und Seelenruhe zu ringen; doch der Staat, die Kinder, die Ehe des Antonius, der längst der Ihre geworden war, mit der Octavia, die Not des eigenen Herzens, Anubis, die Magie und die ägyptischen Lehren von dem Leben nach dem Tode, und allem voran der brennende Ehrgeiz, der nie schlummernde Trieb, geliebt zu werden, wo sie selbst liebte, und die erste unter den ersten zu sein ...«
Hier ward er von dem Boten unterbrochen, der ihm meldete, das Schiff stehe bereit.