Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Hadrian hatte Antinous seit mehreren Stunden erwartet, und die Ungeduld und der Unwille, die ihn schon so lange erfüllten, spiegelten sich deutlich genug auf seiner ingrimmig zusammengezogenen Stirn und in dem drohenden Blick seiner Augen wieder.

»Wo warst du?« herrschte er Antinous zu.

»Ich konnt' euch nicht finden, und da nahm ich einen Kahn und fuhr in die See.«

»Du lügst.«

Antinous zuckte statt jeder Antwort die Achseln.

»Allein?« fragte Hadrian milder.

»Ja.«

»Zu welchem Zweck?«

»Ich sah in die Sterne.«

»Du?«

»Darf ich nicht auch einmal ihre Bahnen verfolgen?«

»Warum nicht? Die Lichter da oben leuchten so gut für Narren wie für Weise. Auch Esel werden unter guten oder schlechten Sternen geboren. Das eine Grautier erwirbt ein hungriger Grammatiker und füttert's mit verbrauchtem Papyrus, das andere kommt in den Dienst des Kaisers und wird gemästet und findet Zeit, des Nachts nach dem Himmel zu schauen. Wie du aussiehst!«

»Der Kahn schlug mit mir um, und ich fiel ins Meer.«

Hadrian erschrak, und als er das wirre Haar des Lieblings, in dem der Nachtwind das Salzwasser getrocknet hatte, und seinen zerrissenen Chiton bemerkte, rief er besorgt:

»Gleich gehst du und läßt dich von Mastor trocknen und salben. Der kam auch zurück wie ein geprügelter Hund und mit geröteten Augen. Es stellt sich alles auf den Kopf an diesem verwünschten Abend. – Du siehst aus wie ein Sklave, der mit Doggen gehetzt ward. Trink einige Becher Wein und dann lege dich nieder.«

»Wie du befiehlst, großer Cäsar.«

»So feierlich? Mein Esel hat dich geärgert.«

»Du wußtest sonst freundlichere Worte für mich zu finden.«

»Und ich finde sie wieder, finde sie wieder. Nur heute nicht; geh jetzt zu Bett.«

Antinous entfernte sich; der Kaiser aber ging mit langen Schritten, indem er die Arme über der Brust kreuzte und finster zu Boden schaute, in dem Gemache auf und nieder. Sein abergläubischer Sinn fühlte sich tief beunruhigt in einer Reihe von bösen Zeichen, die ihm nicht nur in der letzten Nacht am Himmel, sondern auch auf dem Wege zur Lochias begegnet waren und sich jetzt schon zu erfüllen begannen.

In übler Stimmung hatte er die Garküche verlassen. Die schlimmen Vorbedeutungen ängstigten ihn; wenn er aber nach seiner Heimkehr Dinge getan hatte, die ihm jetzt schon mißfielen, so hatten diese sicher keine bösen Dämonen, sondern sein von Besorgnis vor ihnen umdüsterter Sinn verschuldet.

Äußere Einflüsse waren es freilich gewesen, die ihn zum Zeugen eines gegen das Haus eines reichen Israeliten gerichteten Überfalls der erregten Menge gemacht hatten, und einem ärgerlichen Ungefähr war es zuzuschreiben, daß er bei dieser Veranlassung mit Verus zusammengetroffen war, der ihn bemerkt und erkannt hatte.

Die bösen Geister trieben heute ihr Spiel, aber das, was er später auf der Lochias tun und erleben sollte, das wäre gewiß an einem glücklicheren Tage oder vielmehr bei ruhigerer Stimmung seines Gemüts ungeschehen geblieben, daran war er selbst schuld, er allein und kein schlimmes Ungefähr, keine Tücke hämischer Dämonen. Hadrian schrieb freilich diesen alles zu, was er getan hatte, und hielt es darum für unabänderlich. Gewiß ein gutes Mittel, sich der lästigen Pflicht zu entziehen, ein begangenes Unrecht wieder gut zu machen; aber das Gewissen ist eine Tafel, in die eine geheimnisvolle Hand jede unserer Taten unbeschönigt einträgt, und auf der alles, was wir begehen, schonungslos beim rechten Namen genannt wird.

Manchmal gelingt es wohl, die sie bedeckende Schrift für kurze oder längere Zeit zu verwischen und zu verdunkeln, oftmals aber leuchten die Lettern in dieser Tafel mit unheimlich hellem Glanze auf und nötigen das innere Auge, sie zu schauen und zu beachten.

Hadrian fühlte sich in dieser Nacht gezwungen, die Aufzeichnung seiner Handlungen zu lesen, und unter ihnen befand sich manche blutige Untat, mancher kleinliche, auch eines weit geringeren Mannes unwürdige Frevel; aber die Schrift in der Tafel erzählte auch von streng erfüllter Pflicht, von redlicher Arbeit, von rastlosem Ringen nach großen Zielen und dem nie ermüdenden Streben, die Fühlfäden des Geistes bis zu den fernsten, für das menschliche Sinnen und Denken noch erreichbaren Grenzen auszustrecken.

In dieser Stunde dachte Hadrian nur an seine üblen Taten und gelobte den Göttern, über die er mit den philosophischen Freunden spottete und an die er sich dennoch wandte, so oft er das Unzureichende seiner Kräfte und Mittel empfand, hier einen Tempel zu bauen, dort Opfer schlachten zu lassen, um alte Verbrechen zu sühnen und den Groll des Himmels zu beschwichtigen.

Es war ihm zu Sinne wie einem Großen, den die Ungnade seines Gebieters bedroht und der ihn durch Geschenke für sich zu gewinnen versucht. Der mutige Römer ängstigte sich vor unbekannten Gefahren, aber von dem heilsamen Schmerze der Reue blieb er völlig verschont.

Vor kaum einer Stunde hatte er sich selbst vergessen und seine Macht gegen einen Schwächern schmählich mißbraucht. Es verdroß ihn ernstlich, so und nicht anders gehandelt zu haben; aber es kam ihm nicht in den Sinn, seinen Stolz zu demütigen und durch eine dem Gekränkten bewilligte Genugtuung das verübte Unrecht stillschweigend einzugestehen.

Oft fühlte er tief seine menschliche Schwäche, aber es war ihm auch möglich, an die Göttlichkeit seiner kaiserlichen Person zu glauben, und das gelang ihm stets am leichtesten, wenn er jemand, der kühn genug gewesen war, ihn zu verletzen oder seine Überlegenheit nicht anzuerkennen, zertreten hatte.

Verhängten nicht auch die Himmlischen die schwersten Strafen über ihre Verächter?

Heute hatte der sterbliche Jupiter wieder einmal einen allzu kühnen Erdensohn mit seinem Donnerkeil zu Boden geschmettert, und sein Opfer war diesmal der Sohn des Torhüterpaares gewesen.

Der Bildhauer hatte freilich das Unglück gehabt, Hadrians empfindlichste Stelle unsanft zu berühren; aber man verwandelt sich nicht so schnell aus einem freundlich gesinnten Gönner in einen schonungslosen Gegner, wenn man nicht, wie das bei dem Kaiser der Fall war, sich gewöhnt hat, aus einer Stimmung in die andere zu springen, und wenn man nicht sich der Macht bewußt ist, den Willen zum Guten und Bösen sofort in Taten umzusetzen.

Das Können des Bildhauers hatte dem Kaiser Achtung eingeflößt, sein frisches, unbefangenes Wesen ihm anfänglich zugesagt und ihn belustigt; aber schon während seiner Wanderung mit ihm durch die Straßen war ihm die dreiste Art, mit der sich der junge Mann ihm gleichstellte, unbequem geworden.

In seiner Werkstätte sah er in Pollux nur den Künstler und freute sich seiner vollsaftigen, übersprudelnden Kraft; außerhalb derselben, unter Menschen gewöhnlichen Schlages, von denen er Ehrfurcht zu ernten gewohnt war, erschien ihm sein Reden und Sein unziemlich, frech, schwer zu ertragen.

Beim Garkoch hatte der kräftige Esser und Trinker, der ihn neckend anhielt, auch seinerseits wacker einzuhauen, um dem Wirte nichts zu schenken, den Kaiser mit Abneigung erfüllt.

Als Hadrian sodann, verstimmt und von üblen Vorzeichen geängstigt, ohne Antinous auf die Lochias zurückgekehrt war und auch dort den Liebling nicht gefunden hatte, war er ungeduldig in der Musenhalle auf und nieder gegangen und hatte es verschmäht, dem Bildhauer, der laut hinter seinen Schranken wirtschaftete, ein Willkommen zu bieten.

Auch für Pollux waren die letzten Stunden nichts weniger als angenehm verlaufen.

Als er, um Arsinoe wiederzusehen, bis an die Schwelle der Verwalterwohnung durchgedrungen war, hatte Keraunus ihm den Weg vertreten und ihn mit schnöden Worten heimgesandt.

In der Musenhalle hatte er den Meister gefunden und war mit ihm in einen heftigen Streit geraten; denn Papias, dem er den Dienst von neuem kündigte, hatte ihm schnöden Undank vorgeworfen und ihm zornig befohlen, eigene Werkzeuge sogleich von dem seinen zu sondern, dies zu ihm zurückzubringen und sich in Zukunft sowohl von seinem Hause, als auch von den Arbeiten auf der Lochias fernzuhalten.

Schlimme Worte waren dabei von beiden Seiten gefallen, und als Pollux, nachdem der frühere Lehrherr den Palast verlassen hatte, den Baumeister Pontius zu suchen begann, um mit ihm über seine Zukunft zu reden, erfuhr er, daß der Architekt sich vor kurzem entfernt hatte und erst am nächsten Morgen wiederkehren wollte.

Nach kurzem Besinnen hatte er nun den Entschluß gefaßt, dem Befehle des Papias zu folgen und die eigenen Werkzeuge zusammengepackt.

Ohne die Anwesenheit des Kaisers zu bemerken, hatte er diese Hämmer, Modellierhölzer und Meißel in einen, jene in einen anderen Kasten geworfen, und war dabei so schonungslos verfahren, als sei er gewillt, die unschuldigen Geräte für die bösen Dinge, die ihm selbst widerfuhren, zu strafen.

Zuletzt war ihm die von Hadrian geformte Büste Balbillas ins Auge gefallen.

Die häßliche Fratze, über die er gestern gelacht hatte, ärgerte ihn heute, und nachdem er sie minutenlang aufmerksam betrachtet hatte, wallte das Blut ihm auf, und jählings riß er eine Latte von dem Verschlage und schlug mit ihr so wütend auf das Zerrbild los, daß der trockene Ton zersprang und die Trümmer weithin durch die Werkstätte flogen.

Der wilde Lärm hinter des Bildhauers Schranken hatte den Kaiser veranlaßt, die Wanderung zu unterbrechen und nachzusehen, was der Künstler dort treibe. Unbemerkt war er dem Zerstörungswerke gefolgt. Er hatte den Künstler gewähren lassen; doch der Zorn hatte ihm die Brauen zusammengezogen, eine blaue Ader inmitten der Stirn hoch aufgetrieben und ihm drohende Falten über die Augen gefurcht.

Der große Meister der Staatskunst hätte es leichter ertragen, sich einen schlechten Regenten nennen zu hören, als seine Kunstleistungen verachten zu sehen.

Wer sicher empfindet, Großes geleistet zu haben, der lächelt über den Tadel; wer sich aber ungewiß fühlt, hat Grund, ihn zu fürchten und läßt sich leicht hinreißen, denjenigen zu hassen, der das Verdammungsurteil ausspricht.

Hadrian hatte vor Zorn gezittert und seine Faust sich geballt, als er dicht an Pollux herangetreten war und ihn mit grollender Stimme gefragt hatte:

»Was soll das?«

Der Bildhauer hatte sich nach dem Kaiser umgeschaut und indem er die Latte zu einem neuen Streiche erhob, entgegnet:

»Ich schaffe die Fratze dort aus der Welt, weil sie mich ärgert.«

»Komm her!« schrie der Kaiser, griff mit der nervigen Hand in den Gürtel, der den Chiton des Bildhauers umgab, zog den Überraschten vor seine Urania, riß ihm die Latte aus der Rechten, schlug der kaum vollendeten Bildsäule die Schulter vom Rumpfe und rief dabei, indem er die Stimme des Jünglings nachäffte:

»Ich schaffe dies Stümperwerk aus der Welt, weil es mich ärgert.«

Dem Künstler sanken die Arme.

Befremdet, entrüstet starrte er den Zerstörer seiner wohlgelungenen Arbeit an und rief ihm ins Antlitz:

»Verrückter, nun ist es genug. Noch ein Schlag, und du machst mit meinen Fäusten Bekanntschaft.«

Hadrian lachte kalt und schneidig auf, warf Pollux die Latte vor die Füße und sagte:

»Urteil gegen Urteil; so ist es gerecht.«

»Gerecht?« schrie Pollux außer sich. »Dein elendes Pfuschwerk, das mein schielender Lehrbursch so gut gemacht haben könnte wie du, und dieser in einer Feierstunde entstandene Körper! Pfui über dich! Aber noch einmal, du rührst mir die Urania nicht wieder an, sonst sollst du erfahren . . .«

»Was?«

»Daß man in Alexandria Graubärte nur so lange schont, wie sie es verdienen.«

Hadrian kreuzte die Arme, trat ganz nahe an Pollux heran und sagte:

»Vorsichtig, Bursch, wenn das Leben dir lieb ist.«

Pollux trat vor dem gewaltigen Manne zurück, und wie Schuppen fiel es ihm von den Augen.

Die Marmorstatue des Kaisers im Cäsareum zeigte den Herrscher in dieser Stellung. Der Baumeister Claudius Venator war Hadrian und kein anderer.

Der junge Künstler erbleichte, und gesenkten Hauptes und mit leiser Stimme sagte er, indem er sich zum Gehen umwandte:

»Der Mächtigere behält immer recht. Laß mich fort. Ich bin nur ein armer Künstler – du bist etwas anderes. Jetzt weiß ich's: du bist der Kaiser.«

»Der bin ich,« knirschte Hadrian, »und wenn du als Künstler dich mehr dünkst als ich, so werd' ich dir zeigen, wer von uns beiden der Spatz ist und wer der Adler.«

»Du hast die Macht, mich zu vernichten, und ich will ja . . .«

»Der Einzige, der hier zu wollen hat, bin ich,« rief der Herrscher. »Und ich will, daß du diesen Palast nicht mehr betrittst und mir nicht wieder unter die Augen kommst, so lange ich hier bin. Was mit deiner Sippschaft werden soll, will ich bedenken. Kein Wort mehr! Fort, sag' ich, und danke den Göttern, daß ich den Frevel unreifer Wichte manchmal milder hinnehme, als du dich vermessen hast, das Werk eines Größeren zu beurteilen, obgleich du wußtest, daß er es in einer müßigen Stunde mit wenigen Griffen spielend formte. Hinaus, Bursch! Meine Sklaven werden dein Bildwerk da vollends zerschlagen, weil es kein besseres Los verdient und weil es – wie sagtest du gleich? Ja, nun weiß ich's – und weil es mich ärgert!«

Ein trockenes Lachen schallte dem Jünglinge nach, als er die Halle verließ.

Bei der in tiefem Dunkel liegenden Eingangspforte fand er seinen Meister Papias, dem nichts von allem entgangen war, was sich zwischen ihm und dem Kaiser ereignet.

Als Pollux bei Frau Doris eintrat, rief er ihr zu:

»O Mutter, Mutter! Welch ein Morgen und welch ein Abend! Das Glück ist nichts als die Schwelle des Unglücks.«


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