Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Vierzehntes Kapitel

Hadrian hatte vortrefflich geschlafen; wenige Stunden nur, aber diese genügten völlig, ihm den Geist zu erfrischen.

Jetzt war er in das Wohngemach und an das Fenster getreten, das seine lange westliche Wand mehr als zur Hälfte einnahm und sich nach dem Meere hin öffnete.

Zwei hohe Säulen mit Schäften von edlem braunrotem, weißgesprenkeltem Porphyr und mit vergoldeten korinthischen Kapitellen begrenzten die sehr breite und schon wenige Spannen über dem Fußboden beginnende Öffnung zur Rechten und Linken.

Der Kaiser lehnte sich an einen der Porphyrschäfte und streichelte den Molosser, dessen rüstige Wachsamkeit ihn erfreute. Was fragte er nach dem Schreck, den der Hund einem Mädchen verursacht haben sollte?

Bei der anderen Säule stand Antinous.

Er hatte den rechten Fuß auf die niedrige Fensterbrüstung gestellt und neigte den Oberkörper weit in das Zimmer. Das Kinn ruhte ihm dabei in der Hand, der Ellbogen auf dem Knie.

»Dieser Pontius ist wirklich ein ganzer Mann,« sagte Hadrian, indem er mit der Hand auf eine an der Schmalseite des Gemaches aufgehängte Tapete zeigte. »Dies Gewebe ward nach einem Fruchtstücke verfertigt, das ich einmal malte und hier in Mosaik ausführen ließ. Gestern war dieser Raum noch gar nicht für mich bestimmt, also muß die Tapete da zwischen unserer Ankunft und jetzt aufgehängt worden sein, und wie viel andere gute Dinge stehen hier herum! Es sieht wohnlich bei mir aus, und das Auge findet schon mancherlei, woran es sich freut.«

»Hast du die prächtigen Polster da hinten versucht?« fragte Antinous. »Auch die Bronzefiguren dort in den Ecken gefallen mir nicht übel.«

»Vortreffliche Arbeiten sind es,« sagte der Kaiser; »aber ich möchte sie um dieses Fensters willen mit Freuden missen. Was ist hier blauer, der Himmel oder das Meer? Wie milde Frühlingsluft weht uns hier im Dezember entgegen! Woran soll man sich mehr freuen, an den zahllosen Schiffen im Hafen, die diesen blühenden Ort mit entlegenen Ländern verbinden und mit Reichtum segnen, oder an den Bauten, die das Auge anziehen, wohin es sich auch richte? Man weiß nicht, soll man zuerst ihre stattliche Größe oder die harmonische Schönheit ihrer Form bewundern.«

»Was ist das für ein langer mächtiger Damm, der die Insel mit dem Festland verbindet? Sieh nur, da fährt ein großer Dreiruderer durch einen der breitgespannten Bogen, auf denen er ruht. Und da kommt noch ein anderer!«

»Das ist der Brückenbau, den die Alexandriner mit Stolz ihr Heptastadion nennen, weil er sieben Stadien lang sein soll. In seinem oberen Teile birgt er, wie ein Holunderast das Mark, eine steinerne Rinne, durch die die Insel Pharus mit Wasser versorgt wird.«

»Schade,« bemerkte Antinous, »daß man den Bau und die Menschen und Fuhrwerke, die auf seinem Rücken wie geschäftige Ameisen wimmeln, von hier aus nicht ganz übersehen kann. Die kleine Insel dort und die schmale in den Hafen hineinragende Landzunge mit dem hohen weißen Gebäude am Ende verdecken sie halb.«

»Aber sie dienen für sich zur Belebung des Bildes,« entgegnete der Kaiser. »Das Schlößchen auf dem Eiland mit seinem Hafen hat Kleopatra oft bewohnt, und in der weißen Villa an der Nordspitze der Landzunge dort, die jetzt die blauen Wellen umspülen und die Möwen und Tauben so lustig umkreisen hielt sich Antonius nach der Schlacht bei Actium auf.«

»Um seine Schmach zu vergessen,« rief Antinous.

»Er nannte sie sein Timonium, weil er dort wie der weise Menschenhasser aus Athen von den anderen Sterblichen unbehelligt zu bleiben wünschte. Wie wäre es, wenn ich die Lochias mein Timonium hieße?«

»Ruhm und Größe braucht man nicht zu verbergen.«

»Wer sagt dir,« fragte der kaiserliche Sophist, »daß Antonius sich aus Scham in dem Ding da versteckte? Er hatte oft genug an der Spitze seiner Reiter bewiesen, daß er ein braver Soldat sei, und wenn er bei Actium, als alles noch gut stand, das Schiff wenden ließ, so geschah es nicht aus Furcht vor Schwertern und Lanzen, sondern weil das Verhängnis ihn zwang, seinen starken Willen den Wünschen des Weibes unterzuordnen, von dessen Schicksal das seine abhing.«

»So entschuldigst du sein Verhalten?«

»Ich suche es nur zu verstehen und werde mich nie zu glauben bequemen, daß Scham den Antonius zu irgend etwas veranlassen konnte. Meinst du, ich könnte erröten? Man schämt sich nicht mehr, wenn man es so weit gebracht hat, die Welt zu verachten.«

»Aber warum verschloß sich denn Marc Anton in dieses vom Meer bespülte Gefängnis?«

»Weil für jeden rechten Mann, der mit Weibern, Spaßmachern und Schmeichlern ganze Jahre verschwärmte, einmal der Augenblick kommt, in dem er von Ekel überfallen wird. In solchen Stunden findet er, daß er unter all dem Gelichter der einzige Mensch ist, mit dem es sich zu verkehren lohnt. Nach Actium ging dem Antonius das auf, und um einmal in guter Gesellschaft zu sein, verließ er die Menschen.«

»Das ist es wohl auch, was dich manchmal in die Einsamkeit treibt?«

»Vielleicht; aber du, du darfst mich immer begleiten.«

»So hältst du mich für besser als andere,« rief Antinous erfreut.

»In jedem Falle für schöner,« entgegnete Hadrian freundlich. »Frage nur weiter.«

Antinous bedurfte einiger Minuten, bevor er dieser Aufforderung nachkommen konnte. Endlich nahm er sich zusammen und ließ sich erklären, warum die meisten Schiffe in den jenseits des Heptastadions gelegenen Hafen des Eunostus einführen. Der Eingang in ihn, erfuhr er, sei weniger gefährlich als derjenige, der zwischen dem Pharus und der Spitze der Lochias zu den östlicheren Landungsstellen führte. – Über jedes Bauwerk in der Stadt, nach dem der Günstling sich erkundigte, wußte Hadrian Auskunft zu erteilen.

Nachdem der Kaiser auf das Soma gewiesen hatte, in dem die Reste Alexanders des Großen ruhten, wurde er nachdenklich und sagte vor sich hin:

»Der Große. – Man könnte den mazedonischen Jüngling beneiden! Nicht um diesen Ehrennamen; denn den haben viele von geringem Werte getragen; aber weil er ihn wirklich verdiente.«

Auch auf keine der ferneren Fragen des Bithyniers blieb Hadrian die Antwort schuldig.

Antinous folgte mit wachsendem Erstaunen seinen Erklärungen und rief endlich aus:

»Wie du in dieser Stadt Bescheid weißt, und doch hast du sie noch niemals besucht!«

»Das ist eines der besten Vergnügen, die das Reisen gewährt,« entgegnete Hadrian, »daß wir unterwegs viele Dinge in Wirklichkeit sehen, von denen wir uns nach Büchern und Erzählungen eine Vorstellung gebildet haben. Nun fordern sie uns auf, sie mit dem Bilde von ihnen zu vergleichen, das vor unserem geistigen Auge stand, bevor wir ihnen selbst begegnet waren. Von unerwartetem Neuen überrascht zu werden, scheint mir einen weit geringeren Genuß zu gewähren, als Bekanntes, das wir für wert hielten, uns näher nach ihm zu erkundigen, zum erstenmal zu erblicken. Weißt du, was ich meine?«

»Ich glaube wohl. Man hört von etwas, und wenn man's dann sieht, so fragt man sich, ob man sich's richtig gedacht hat. Ich stelle mir Menschen und Gegenden, die man mir lobte, immer schöner vor, als ich sie dann finde.«

»Der Rest, der sich daraus zum Nachteil der wirklichen Dinge ergibt,« entgegnete Hadrian, »gereicht ihnen zu geringerem Vorwurfe, als der emsigen und verschönernden Einbildungskraft deiner Jahre zur Ehre. Ich – ich –« und der Kaiser schaute, den Bart streichend, ins Weite, »ich erfahre, je älter ich werde, desto öfter, daß es möglich ist, sich Menschen, Gegenden und Dinge so vorzustellen, daß wir, wenn wir ihnen zum erstenmal begegnen, zu glauben berechtigt sind, wir hätten sie längst gekannt, sie besucht und mit Augen geschaut. – Auch hier will es mir scheinen, als erblickte ich nichts Neues, sondern sähe nur längst Gekanntes wieder. Aber das ist kein Wunder; denn ich kenne meinen Strabo und habe hundert Berichte über diese Stadt gehört und gelesen. Doch es gibt auch vieles, das mir ganz fremd war und doch, wenn es an mich herantritt, mich anmutet, als hätte ich es früher schon gesehen oder erlebt.«

»Etwas Ähnliches hab' auch ich wohl erfahren,« versicherte Antinous. »Sollte unsere Seele wirklich schon in anderen Körpern gelebt haben und sich manchmal an Wahrnehmungen aus dem früheren Leben erinnern? Favorinus erzählte mir einmal, ein großer Philosoph, ich glaube Plato, behaupte, daß die Seelen vor unserer Geburt am Firmament auf und nieder geführt würden, damit sie sich die Erde betrachten könnten, auf der es ihnen doch später zu leben bestimmt sei. Außerdem sagt Favorinus . . .«

»Favorinus!« rief Hadrian geringschätzig. »Dieser Schönredner besitzt viel Geschick, dem von Größeren Gedachten neue, ansprechende Formen zu geben; doch die Geheimnisse der eigenen Seele zu belauschen, versteht er mit nichten. Dazu redet er zu viel, dazu kann er den Lärm des Lebens zu wenig entbehren.«

»Die Erscheinung nahmst auch du wahr; doch du mißbilligst die Erklärung des Favorinus?«

»Ja; denn mir sind Menschen und Dinge als alte Bekannte begegnet, die erst lange nach meiner Geburt die Welt erblickt haben oder entstanden sind. Vielleicht paßt meine eigene Deutung nicht auf alle Sterblichen, in mir aber lebt, das weiß ich gewiß, ein geheimnisvolles Etwas, das unabhängig von mir selbst in mir wirkt und schafft, in mich einkehrt oder mich verläßt nach seinem Belieben. Heißen wir es meinen Dämon oder auch meinen Genius, auf den Namen kommt es nicht an. Nicht immer erscheint dieses Etwas, wenn ich es rufe, und oft wirkt es in mir, wenn ich's am letzten erwarte. Zu jeder Stunde, in der es mir innewohnt, gehört vieles mir, was eigentlich ihm an Erfahrung und Können zu eigen. Was ihm bekannt war, das erscheint mir ebenso, wenn es mir später begegnet. Alexandria ist mir nicht fremd, weil es mein Genius auf seinem Fluge gesehen hat. Vieles schuf, erfuhr, erlernte er in mir und für mich. Hundertmal frag' ich mich gegenüber den eigenen vollendeten Werken: Ist es möglich, daß du, Hadrian, der Sohn deiner Mutter, dies vollbracht haben solltest? Wie heißt nur die fremde Kraft, die dir bei seiner Herstellung half? Jetzt kenn' ich sie und sehe sie auch in anderen wirken. In wen sie einkehrt, der überragt bald seinesgleichen, und am wirksamsten zeigt sie sich in den Künstlern. Oder werden aus gemeinen Menschen große Künstler, eben weil der Genius sie zu seiner Wohnung erwählte? Hast du mich verstanden?«

»Nicht ganz,« entgegnete Antinous, dessen großes Auge, solange es mit dem Kaiser die Stadt zu betrachten galt, lebhaft geglänzt hatte, jetzt aber umschleiert und müde zu Boden schaute. »Zürne mir nicht, Herr. Dergleichen werde ich gewiß niemals verstehen; denn es gibt gewiß keinen Menschen, mit dem das, was du deinen Genius nennst, weniger zu tun hat. Eigenes Denken kenn' ich nicht, den Gedanken anderer zu folgen wird mir schwer, und ich möchte wohl wissen, was ich jemals Rechtes zu schaffen vermöchte! Wenn ich etwas leisten soll, dann hilft meiner Seele kein Dämon, nein, sie fühlt sich ganz ratlos und verfällt in Träumereien. Bring' ich einmal etwas fertig, so muß ich mir sagen, daß es mir gewiß möglich gewesen wäre, es besser zu machen.«

»Selbsterkenntnis,« lachte Hadrian, »ist der Gipfel der Weisheit. Jeder hat das Seine getan, wenn er die Vorstellung eines Freundes mit etwas Schönem bereichert. Was andere durch Werke, das mußt du durch dein bloßes Dasein bewirken. Ruhig, Argus!«

Der Molosser hatte sich vor kurzem auflauschend erhoben und sich knurrend der Türe genähert. Trotz des Rufes seines Herrn schlug er laut an, als sich ein kräftiges Klopfen vernehmen ließ.

Hadrian schaute befremdet nach der Pforte hin und fragte: »Wo ist Mastor?«

Antinous rief den Namen des Sklaven in das neben dem Wohnzimmer gelegene Schlafgemach des Kaisers, aber vergebens.

»Was hat nur der Bursch?« fragte Hadrian. »Sonst ist er doch stets bei der Hand und frisch wie eine Lerche, heute aber sah er aus wie ein Träumer und beim Ankleiden fiel ihm erst ein Schuh und dann sogar meine Schulterspange aus der Hand.«

»Gestern las ich ihm einen Brief aus Rom vor. Sein junges Weib ist mit einem Schiffsführer ins Weite gegangen.«

»Wünschen wir ihm Glück, daß er wieder frei ist.«

»Er war ihr gut.«

»Ein hübscher Bursch, der, mein Leibsklav, findet Ersatz, so viel er begehrt.«

»Aber er hat ihn noch nicht. Fürs erste schmerzt ihn noch das, was er verlor.«

»Wie weise! Da klopft es schon wieder. Sieh nach, wer sich erlaubt . . . Aber es hat ja jedermann das Recht, hier zu klopfen; bin ich doch auf der Lochias nicht der Kaiser, sondern ein einfacher Privatmann. Leg dich, Argus! Bist du besessen, Alter? Der Hund hält mehr als ich selbst auf meine Würde. – Das Baumeisterspielen scheint ihm nicht zu gefallen.«

Antinous hatte schon die Hand erhoben, um den Klopfer anzufassen, als die Tür von außen her leise geöffnet wurde und der Sklave des Palastverwalters über die Schwelle trat.

Der alte Schwarze bot einen kläglichen Anblick.

Die ehrfurchtgebietende Gestalt des Kaisers und die schönen Kleider des Günstlings setzten ihn in Verlegenheit, das drohende Geknurr des Molossers aber flößte ihm solche Angst ein, daß er die hageren Negerbeine furchtsam zusammenzog und, soweit es gehen wollte, mit dem fadenscheinigen Röckchen beschützte.

Hadrian schaute dies Bild des Jammers verwundert an und fragte:

»Was willst du, Bursch?«

Da versuchte der Sklave einen Schritt weiter vorzutreten; auf Hadrians kräftiges Geheiß blieb er aber stehen und kratzte, indem er auf die Plattfüße schaute, das kurzgeschorene, an einzelnen runden Flecken ausgefallene graue Wollhaar.

»Nun?« fragte Hadrian abermals in nichts weniger als ermutigendem Ton und lockerte die Finger, die das Halsband des Molossers hielten, in bedenklicher Weise.

Die gebogenen Knie des Sklaven begannen zu zittern und indem er die breite Handfläche dem graubärtigen Herrn, der ihm nicht weniger furchtbar erschien als sein Hund, entgegenstreckte, begann er in grausam verstümmeltem Griechisch die Anrede herzustammeln, die sein Gebieter ihm mehrmals vorgesagt hatte und aus der hervorging, daß er vor dem Baumeister Claudius Venator aus Rom erscheine, um ihm seinen Gebieter, »das Mitglied des Rates der Stadt, den mazedonischen und römischen Bürger Keraunus, Sohn des Ptolemäus, Vorsteher des früher königlichen, jetzt kaiserlichen Palastes auf der Lochias«, zu melden.

Hadrian ließ den armen Burschen, auf dessen Stirn heller Angstschweiß perlte, mitleidslos und indem er sich vor Vergnügen die Hände rieb, zu Ende reden.

Um den willkommenen Scherz zu verlängern, hütete er sich wohl, dem beklagenswerten Alten einzuhelfen, wenn seine stammelnde Zunge auf unübersteigbare Hindernisse stieß.

Als der Neger endlich die schwülstige Meldung zu Ende gebracht hatte, sagte Hadrian freundlich:

»Sage deinem Herrn, er dürfe eintreten.«

Kaum hatte der Sklave das Zimmer verlassen, als der Herrscher dem Günstlinge zurief:

»Das gibt einen köstlichen Spaß! Wie wird der Jupiter aussehen, dem dieser Adler voranfliegt!«

Keraunus ließ nicht lange auf sich warten.

Während er in dem Gange, an dem die Gemächer des Kaisers lagen, auf und nieder gegangen war, hatte sich seine üble Stimmung gesteigert; denn er mußte es wie eine Nichtachtung von seiten des Baumeisters empfinden, daß er ihn, von dessen Geburt und Würde ihn der Sklave gewiß unterrichtet hatte, mehrere Minuten, die ihm so lang wie Viertelstunden erschienen, allein ließ.

Auch seine Voraussetzung, daß ihn der Römer in eigener Person in sein Zimmer führen werde, sollte keineswegs in Erfüllung gehen; denn des Sklaven Botschaft lautete kurz: »er dürfe eintreten«.

»Sagte er: ›ich dürfe‹, nicht ›ich möge‹ oder ›ich möchte die Güte haben‹?« fragte der Verwalter.

»Er darf, hat er gesagt,« entgegnete der Sklave.

Keraunus rief ein kurzes »So«, rückte den goldenen Reifen auf den Locken zurecht, warf den Kopf zurück, kreuzte, tief atmend, die Arme über der breiten Brust und befahl dem Schwarzen: »Öffne die Tür.«

Würdevoll überschritt der Verwalter die Schwelle. Dann verbeugte er sich, um nicht gegen die Höflichkeit zu verstoßen, ins Blaue hinein und wollte schon in scharfen Worten seinen Verweis auszusprechen beginnen, als ein Blick auf den Kaiser, die glänzende Ausschmückung, die sein Gemach seit gestern erfahren, und wohl auch das recht unfreundlich klingende Knurren des Molossers ihn veranlaßten, mildere Saiten aufzuziehen.

Der Sklave war ihm gefolgt und hatte sich zwischen der Türwand des Gemaches und den Polstern einen sicheren Platz gesucht; er selbst aber trat, indem er die Furcht vor der Dogge besiegte, ein gutes Stück in das Zimmer vor.

Der Kaiser hatte sich auf die Fensterbrüstung gesetzt, drückte den Fuß leicht auf den Hals des Molossers und schaute Keraunus wie eine bemerkenswerte Seltenheit an.

Dabei begegnete sein Blick dem des Verwalters und lehrte diesen, daß er es mit einem größeren Herrn zu tun habe, als er erwartet.

Es lag etwas Überwältigendes in der Person des Mannes, der da vor ihm saß; aber gerade darum stellte sich sein Stolz auf die Zehen und wenn auch nicht scharf und ausfallend, wie das in seiner Absicht gelegen, aber doch mit gespreizter Würde fragte er:

»Stehe ich vor dem neuen Gaste der Lochias, dem Baumeister Claudius Venator aus Rom?«

»Du stehst –« entgegnete der Kaiser und warf Antinous einen schalkhaften Seitenblick zu.

»Du hast freundliche Aufnahme in diesem Palaste gefunden. Wie meine Väter, die ihn seit Jahrhunderten verwalten, so weiß auch ich das Gastrecht heilig zu halten.«

»Ich bin überrascht über das hohe Alter deines Geschlechtes und beuge mich vor eurer frommen Gesinnung,« entgegnete Hadrian in ähnlichem Tone wie der Verwalter. »Was werden wir sonst noch von dir erfahren?«

»Ich kam nicht hierher, um Geschichten zu erzählen,« fuhr Keraunus fort, in dem die Galle sich regte, weil er ein spöttisches Lächeln am Munde des Fremden wahrzunehmen glaubte, »ich kam nicht hierher, um Geschichten zu erzählen, sondern um mich zu beklagen, daß du als freundlich willkommen geheißener Gast dich so wenig bestrebt zeigst, deine Wirte vor Schaden zu hüten.«

»Was soll das?« fragte Hadrian, erhob sich von seinem Sitze und winkte Antinous, die Dogge festzuhalten; denn Argus legte eine besondere Abneigung gegen den Verwalter an den Tag. Vermutlich sah er ihm an, daß er nicht gekommen sei, um seinem Herrn etwas Freundliches zu erweisen.

»Ist dieser gefährliche, zähnefletschende Hund dein Eigentum?« fragte Keraunus.

»Ja.«

»Heute morgen hat er meine Tochter zu Boden gerissen und den kostbaren Krug, mit dem sie des Morgens gern ins Freie tritt, zertrümmert.«

»Ich hörte von diesem Unfall,« entgegnete Hadrian, »und gäbe viel darum, wenn ich ihn ungeschehen machen könnte. Das Gefäß soll dir reichlich ersetzt werden.«

»Ich bitte dich, zu dem Übel, das wir durch deine Schuld erfuhren, nicht noch Beleidigungen zu fügen. Ein Vater, dessen Tochter überfallen und verwundet worden ist . . .«

»So hat sie Argus dennoch gebissen?« rief Antinous erschreckt.

»Nein,« gab Keraunus zurück. »Aber ihr Kopf und ihr Fuß haben, als sie zu Boden gerissen wurde, Verletzungen erfahren, und sie leidet Schmerzen.«

»Das ist traurig; und da ich selbst nicht unerfahren in der Heilkunde bin,« sagte Hadrian, »so will ich dem armen Mädchen gern zu helfen versuchen.«

»Ich besolde einen Heilkünstler von Beruf, der mir und den Meinigen dient,« erwiderte der Verwalter in abweisendem Ton, »und kam hierher, um zu bitten, oder wenn ich offen sein soll, um zu fordern . . .«

»Was?«

»Erstens, daß man mich um Entschuldigung bittet.«

»Dazu ist der Baumeister Claudius Venator immer bereit, wenn ein anderer durch seine oder der Seinen Schuld Schaden erleiden mußte. Das Geschehene, ich wiederhole es, tut mir aufrichtig leid, und ich bitte dich, der Jungfrau, die der Unfall betraf, sagen zu wollen, ihr Schmerz sei der meine. Was wünschest du weiter?«

Des Verwalters Züge glätteten sich und weniger erregt als vorher klang seine Antwort:

»Ich muß dich ersuchen, deinen Hund an die Ketten zu legen, einzusperren oder in anderer Weise unschädlich zu machen.«

»Das ist stark!« rief der Kaiser.

»Es ist nur eine billige Forderung, auf der ich bestehe,« entgegnete Keraunus entschieden. »Weder ich noch meine Kinder sind ihres Lebens sicher, solange diese wilde Bestie hier nach Gefallen wütet.«

Hadrian hatte verstorbenen Lieblingshunden und Rossen Denkmäler gesetzt, und sein treuer Argus war ihm nicht weniger teuer als anderen kinderlosen Männern ihr vierfüßiger Genosse; darum erschien ihm das Verlangen des wunderlichen Dicken so frech und ungeheuerlich, daß er unwillig ausrief:

»Torheit! Man wird den Hund bewachen, und nun nichts weiter.«

»Du legst ihn an die Kette,« forderte Keraunus mit rollenden Augen, »oder es wird sich ein anderer finden, der ihn auf immer unschädlich macht.«

»Das würde dem feigen Mörder übel bekommen,« rief Hadrian. »Was meinst du, Argus?«

Die Dogge richtete sich bei dieser Frage auf und wäre dem Verwalter an die Kehle gesprungen, wenn sie ihr Herr und Antinous nicht zurückgehalten hätten.

Keraunus fühlte sich von dem Molosser bedroht; in diesem Augenblicke hätte er sich aber von ihm zerreißen lassen, ohne zurückzuweichen, so ganz beherrschte ihn der aus seinem verletzten Stolz entsprungene Ingrimm.

»Also auch auf mich soll in diesem Hause der Hund gehetzt werden?« fragte er herausfordernd und stemmte die linke Faust in die Seite. »Jedes Ding hat seine Grenze, und so auch meine Geduld mit dem Gaste, der trotz seiner reifen Jahre jede Rücksicht vergißt. Dem Präfekten Titianus werde ich melden, wie du dich hier aufführst, und der Kaiser soll, wenn er hier ist, erfahren« . . .

»Was?« lachte Hadrian.

»Was du dir gegen mich herausnimmst.«

»Bis dahin bleibt die Dogge, wo sie ist, und zwar unter guter Aufsicht. Aber, Mann, laß dir im voraus sagen, Hadrian ist den Hunden ebenso freundlich gesinnt wie ich und mir noch freundlicher als den Hunden.«

»Wir werden ja sehen,« grollte Keraunus. »Ich oder die Dogge!«

»Ich fürchte, es wird heißen, die Dogge.«

»Und damit beginge Rom einen neuen Gewaltstreich,« rief Keraunus und seine Augen rollten dabei von der linken zur rechten Seite und wieder zurück. »Ihr habt den Ptolemäern Ägypten genommen.«

»Mit gutem Grunde, und außerdem sind das verjährte Geschichten.«

»Das Recht verjährt nicht wie eine schlechte Schuld.«

»Doch es wird hinfällig mit den Personen, auf die es Bezug hat. Wie lange gibt es keine Lagiden mehr!«

»Das glaubt ihr, weil es euch nützlich scheint, es zu glauben,« entgegnete der Verwalter. »In dem Manne, der hier vor dir steht, fließt das Blut der mazedonischen Fürsten dieses Landes. Mein ältester Sohn trägt den Namen des Ptolemäus Helios, mit dem, wie ihr vorgebt, der letzte Lagide dahinging.«

»Der gute, kleine, blinde Helios,« fiel der schwarze Sklave seinem Herrn in die Rede; denn er war gewohnt, den Namen des unglücklichen Kleinen wie einen Schild zu benutzen, wenn sich Keraunus in bedenklicher Stimmung befand.

»Also blind ist der letzte Nachkomme des Lagus,« lachte der Kaiser. »Rom kann seine Ansprüche abwarten. Aber ich werde dem Kaiser mitteilen, einen wie gefährlichen Prätendenten dies Haus beherbergt.«

»Gib mich an, verklage, verleumde mich,« rief der Verwalter verachtungsvoll. »Aber ich lasse mich nicht treten. Geduld; Geduld! Du wirst mich kennen lernen!«

»Und du den Molosser,« entgegnete Hadrian, »wenn du nicht augenblicklich mit deiner mausernden Krähe dort dies Zimmer verläßt.«

Da winkte Keraunus dem Sklaven und wandte ohne Gruß seinen Feinden den Rücken.

Auf der Schwelle des Gemaches blieb er noch einen Augenblick stehen und rief Hadrian zu:

»Verlaß dich darauf; ich klage im Rat und schreibe dem Kaiser, wie man sich hier gegen einen mazedonischen Bürger zu handeln erdreistet.«

Als der Verwalter das Gemach verlassen hatte, ließ Hadrian den Molosser frei, der wütend auf die Tür losstürzte, die sich zwischen ihm und dem Gegenstande seiner Abneigung geschlossen hatte.

Hadrian gebot ihm Ruhe und sagte dann, indem er sich an den Liebling wandte:

»Ein Ungetüm von einem Manne! Lächerlich und dabei widerwärtig im höchsten Grade! Wie die Wut in ihm tobte und doch zu keinem rechten Ausbruch zu kommen vermochte! Vor solchen verstockten Gesellen bin ich gern auf der Hut. Gebt acht auf meinen Argus und bedenkt, daß wir in Ägypten sind, dem Lande, das, wie schon Homer sagt, voll ist von Giften. Mastor soll die Augen offen halten; da ist er ja endlich.«


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