Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 3
Alexander Dumas

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XCII.

Das Schemelchen.

Nach langen Debatten war endlich der Tag gekommen, wo der Spruch des Parlamentshofes durch die Anträge des Generalanwalts hervorgerufen werden sollte.

Die Angeklagten waren mit Ausnahme des Herrn von Rohan in die Conciergerie gebracht worden, um dem Sitzungssaale, der um sieben Uhr jeden Morgen geöffnet wurde, näher zu sein.

Vor den Richtern, bei denen der erste Präsident d'Aligre den Vorsitz führte, war die Haltung der Angeklagten beständig dieselbe geblieben, wie während der Instruction.

Oliva treuherzig und schüchtern; Cagliostro ruhig, erhaben und zuweilen strahlend in jenem mystischen Glanze, mit dem sich so gern umgab.

Villette verlegen, niedrig und weinend.

Jeanne unverschämt, das Auge funkelnd, immer drohend, und giftig.

Der Cardinal einfach, träumerisch und in eine Erschlaffung versunken.

Jeanne hatte sehr schnell die Gewohnheiten der Conciergerie angenommen und durch ihre honigsüßen Schmeicheleien und ihre kleinen Geheimnisse sich die Gewogenheit der Concierge des Palastes, ihres Mannes und ihres Sohnes errungen.

Auf diese Art hatte sie sich das Leben angenehmer und die Verbindungen leichter gemacht. Der Affe braucht immer mehr Platz als der Hund, der Intrigant mehr als der ruhige Geist.

Die Debatten lehrten Frankreich nichts Neues. Es war immer dasselbe von der einen oder der andern der zwei Personen, die man anschuldigte und die sich gegenseitig anschuldigten, auf frechste Weise gestohlene Halsband.

Zwischen diesen beiden entscheiden, wer der Dieb, dieß war der ganze Proceß.

Der Geist, der die Franzosen immer zu Extremen führt und sie namentlich zu jener Zeit dazu führte, hatte einen andern Proceß auf den ersten gepropft.

Es handelte sich darum, ob die Königin Recht gehabt, daß sie den Cardinal hatte verhaften lassen und ihn vermessener Unhöflichkeiten bezüchtigte.

Für Jeden, der in Frankreich über Politik raisonnirte, bildete dieser Anhang bei dem Proceß die wahre Sache. Hatte Herr von Rohan der Königin sagen zu können geglaubt, was er ihr gesagt? hatte er in ihrem Namen handeln können, wie er es gethan? war er der geheime Agent von Marie Antoinette gewesen, ein Agent, den man verleumdet hatte, sobald die Sache Aufsehen gemacht? Mit einem Wort, hatte bei diesem Zwischenfall der begünstigte Cardinal in gutem Glauben, als ein inniger Vertrauter, der Königin gegenüber gehandelt?

Hatte er in gutem Glauben gehandelt, so war die Königin also schuldig aller jener Vertraulichkeiten, selbst der unschuldigen, welche sie geleugnet, die aber, den Insinuationen der Frau von La Mothe zufolge, wirklich bestanden hatten. Und dann, als Gesammtsumme in den Augen der Meinung, welche nichts schont, sind Vertraulichkeiten unschuldig, die man vor seinem Gatten, seinen Ministern und seinen Unterthanen abzuleugnen genöthigt ist?

Dieß ist der Proceß, den die Anträge des Generalanwalts nunmehr zu seinem Ziele, zu seiner Moral führen sollten.

Der Generalanwalt nahm das Wort.

Er war das Organ des Hofes, er sprach im Namen der mißkannten, beleidigten königlichen Würde. Er plaidirte für das ungeheure Princip der königlichen Unverletzlichkeit.

Der Generalanwalt ging in den für gewisse Angeklagte wirklichen Proceß ein; er faßte den Nebenproceß in Beziehung auf den Cardinal fest an. Er konnte nicht zugeben, daß die Königin in der Halsbandgeschichte auch nur ein einziges Unrecht auf sich nehmen sollte. Hatte sie keines, so fielen folglich alle auf das Haupt des Cardinals.

Er trug unbeugsam an:

Auf Verurteilung Villette's zu den Galeeren.

Auf die Verurtheilung Jeanne's zur Brandmarkung, zum Staubbesen und zu lebenslänglicher Einsperrung im Hospital.

Auf Lossprechung Cagliostro's.

Auf einfache Instanzentbindung für Oliva.

Beim Cardinal aber, daß er zum Geständnis einer beleidigenden Vermessenheit gegen die königliche Majestät gezwungen, nach diesem Geständniß aus der Gegenwart des Königs und der Königin verbannt, und endlich aller seiner Stellen und Würden entsetzt werden sollte.

Dieses Requisitorium hatte bei den Richtern Unentschiedenheit und bei den Angeklagten Schrecken zur Folge. Der königliche Wille erklärte sich darin so mächtig, daß, wenn man ein Vierteljahrhundert früher gelebt hätte, zur Zeit, da die Parlamente ihr Joch abzuschütteln und ihre Prärogative zurückzufordern angefangen hatten, diese Anträge des Staatsanwalts durch den Eifer und die Achtung der Richter für das noch verehrte Princip der Unfehlbarkeit des Thrones überschritten worden wären.

Doch nur vierzehn Räthe traten völlig der Meinung des Generalprocurators bei, und von da an herrschte eine Spaltung in der Versammlung.

Man schritt zum letzten Verhör, eine beinahe unnütze Förmlichkeit bei solchen Angeklagten, da es den Zweck hatte, Geständnisse vor dem Spruch hervorzurufen, und da weder Friede noch Waffenstillstand von den erbitterten Gegnern zu erlangen war, welche schon seit so geraumer Zeit kämpften. Es war weniger ihre eigene Freisprechung, was sie forderten, als die Verurteilung ihrer Gegenpartei.

Dem Gebrauche gemäß hatte der Angeklagte vor seinen Richtern auf einem hölzernen Stühlchen sitzend zu erscheinen, auf einem demüthigen, niedrigen, schmählichen, durch die Berührung der Angeklagten, welche von diesem Sitze aus nach dem Schaffot gegangen waren, entehrten Schemel.

Dahin setzte sich der Fälscher Villette, der mit seinen Thränen und seinen Gebeten um Gnade flehte.

Er erklärte, was man schon weiß, nämlich, er sei schuldig der Fälschung, schuldig der Genossenschaft mit Jeanne von La Mothe. Er bezeugte, seine Reue, seine Gewissensbisse seien schon für ihn eine Strafe, welche die Richter zu entwaffnen im Stande sein sollte.

Dieser interessirte Niemand. Er war und erschien nur als ein Spitzbube. Vom Gerichtshof entlassen, kehrte er flennend in seine Zelle in der Conciergerie zurück. Nach ihm erschien am Eingange des Saales Frau von La Mothe, geführt von dem Gerichtsschreiber Frémyn.

Sie trug eine Mantille und ein Oberkleid von Leinen-Batist, hatte eine Haube von Gaze ohne Bänder; eine Art von weißer Gaze; ihre Haare ohne Puder. Ihre Erscheinung machte einen lebhaften Eindruck auf die Versammlung.

Schon hatte sie die erste der Beschimpfungen, welche ihr vorbehalten waren, auszuhalten gehabt: man hatte sie über die kleine Treppe gehen lassen, wie die gemeinen Verbrecher.

Die Hitze des Saales, das Geräusch der Gespräche, die Bewegung der Köpfe, welche in allen Richtungen wogten, fingen an sie zu beunruhigen; ihre Augen schwankten einen Moment, als wollten sie sich an die Spiegelung von diesem ganzen Gesammtwesen gewöhnen.

Nun führte derselbe Gerichtsschreiber, der sie bei der Hand hielt, sie ziemlich rasch zu dem im Mittelpunkte des Halbkreises stehenden Schemelchen, das jenem kleinen unheimlichen Blocke glich, der sich auf den Schaffoten erhebt.

Bei dem Anblick dieses entehrenden Sitzes, den man für sie bestimmte, für sie, die stolz darauf war, sich Valois zu nennen und in ihren Händen das Geschick einer Königin von Frankreich zu halten, erbleichte Jeanne von La Mothe und warf einen zornigen Blick umher, als wollte sie die Richter einschüchtern, die sich diese Beschimpfung erlaubten; doch da sie überall nur festen Willen und Neugierde statt des Mitleids oder der Barmherzigkeit traf, so drängte sie ihre wüthende Entrüstung in ihr Inneres zurück und setzte sich nieder, um nicht das Aussehen zu haben, als fiele sie auf den Schemel.

Man bemerkte in den Verhören, daß sie ihren Antworten all die Unbestimmtheit gab, aus der die Gegner der Königin am meisten Nutzen zur Vertheidigung ihrer Sache hätten ziehen können. Sie drückte nichts scharf aus, als die Versicherungen ihrer Unschuld, und nöthigte den Präsidenten, eine Frage an sie über die Existenz der Briefe zu richten, von denen sie behauptete, sie seien vom Cardinal an die Königin geschrieben worden, so wie auch derer, welche die Königin an den Cardinal geschrieben haben sollte.

Jeanne fing damit an, daß sie betheuerte, es sei ihr inniger Wunsch, die Königin nicht bloßzustellen, und fügte dann bei, Niemand könne diese Frage besser beantworten als der Cardinal.

»Fordern Sie ihn auf,« sprach sie, »diese Briefe oder die Abschriften davon zu produciren, damit man sie vorlesen und Ihre Neugierde befriedigen kann. Ich für meine Person kann nicht behaupten, ob diese Briefe vom Cardinal an die Königin, oder von der Königin an den Cardinal geschrieben sind; ich finde diese zu frei und zu vertraulich von einer Fürstin an einen Unterthan; ich finde jene zu unehrerbietig als von einem Unterthan an eine Königin gerichtet.«

Das tiefe, furchtbare Stillschweigen, welches auf diesen Angriff folgte, mußte Jeanne beweisen, daß sie nur ihren Feinden Abscheu, ihren Parteigängern Schrecken, ihren unparteiischen Richtern Mißtrauen eingeflößt hatte. Sie verließ indessen den Schemel mit der süßen Hoffnung, der Cardinal würde nach ihr darauf sitzen. Diese Rache genügte ihr so zu sagen. Wie wurde ihr aber, als sie sich umwandte, um zum letzten Mal diesen Stuhl der Schmach zu betrachten, auf den sie einen Rohan nach ihr niederzusitzen zwang, als sie den Schemel nicht mehr sah, den auf Befehl des Parlamentshofes die Gerichtsdiener weggeschafft und durch einen Lehnstuhl ersetzt hatten!

Ein Gebrüll der Wuth entströmte ihrer Brust; sie sprang aus dem Saal und biß sich mit einer wahren Raserei in die Hände.

Ihre Strafe begann. Der Cardinal kam langsam herbei, er war aus einem Wagen gestiegen, man hatte das große Thor für ihn geöffnet.

Zwei Gerichtsdiener und zwei Gerichtsschreiber begleiteten ihn; der Gouverneur der Bastille ging an seiner Seite.

Bei seinem Eintritt erhob sich ein langes Gemurmel des Mitgefühls und der Achtung von den Bänken des Parlamentshofes. Es wurde durch einen mächtigen Zuruf von Außen erwidert. Das war das Volk, das den Angeklagten begrüßte und seinen Richtern empfahl.

Der Prinz Louis war bleich und sehr bewegt. In einem langen Galakleid erschien er mit der Ehrfurcht und der Unterwürfigkeit, welche ein Angeklagter den Richtern schuldig ist, deren Gerichtsbarkeit er annimmt und anruft.

Man bezeichnete dem Cardinal, dessen Augen den Umkreis geschaut hatten, einen Lehnstuhl, und nachdem der Präsident ihn begrüßt und ein ermuthigendes Wort zu ihm gesprochen hatte, bat ihn der ganze Hof mit einem Wohlwollen, das die Blässe und die Gemüthserschütterung des Angeklagten verdoppelte, er möchte sich setzen.

Als er das Wort nahm, erregten seine zitternde, von Seufzern gehemmte Stimme, seine getrübten Augen, seine demüthige Haltung ein tiefes Mitleid bei den Versammelten. Er erklärte sich langsam, bewegte sich mehr in Entschuldigungen, als in Beweisen, in Bitten, als in Schlußketten, und als er, der beredte Mann, plötzlich inne hielt, brachte er durch diese Lähmung seines Geistes und seines Muthes eine mächtigere Wirkung hervor, als alle Vertheidigungsreden und Beweisführungen.

Dann erschien Oliva; das arme Mädchen fand wieder den Schemel. Viele Leute bebten, als sie dieses lebendige Ebenbild der Königin auf dem Sitze der Schande sahen, den Jeanne von La Mothe eingenommen hatte; dieses Gespenst von Marie Antoinette, der Königin von Frankreich, auf dem Schemel der Diebinnen und Fälscherinnen erschreckte die eifrigsten Verfolger der Monarchie. Doch das Schauspiel lockte auch Mehrere an, wie das Blut, das man den Tiger kosten läßt.

Man sagte sich überall, die arme Oliva habe soeben in der Kanzlei ihr Kind verlassen, das sie stillte, und als die Thüre sich geöffnet, hatte auch das Gewimmer des Sohnes von Herrn Beausire schmerzlich zu Gunsten seiner Mutter plaidirt.

Nach Oliva erschien Cagliostro, der am Mindesten Schuldige von Allen. Man hieß ihn nicht sitzen, obgleich man den Lehnstuhl in der Nähe des Schemels beibehalten hatte.

Der Parlamentshof hatte eine Furcht vor der Vertheidigungsrede von Cagliostro. Ein Anschein von Verhör, abgeschnitten durch das: » es ist gut!« des Präsidenten d'Aligre, entsprach den Bedürfnissen der Formalitäten.

Und nun verkündigte der Parlamentshof, die Debatten seien geschlossen und die Berathung beginne. Die Menge verlief sich langsam in den Straßen und auf den Quais, mit dem Vorsatze, in der Nacht wiederzukommen, um das Urtheil zu hören, das, wie man sagte, bald ausgesprochen werden sollte.


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