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Die Königin begann das Gespräch, das war in Ordnung.
»Ah! mein Fräulein, wissen Sie, daß Sie als Nonne einen seltsamen Eindruck auf mich machen?«
Andrée antwortete nicht.
»Eine alte Gefährtin,« fuhr die Königin fort, »schon für die Welt, in der wir Andere noch leben, verloren zu sehen, ist wie ein ernster Rath, den uns das Grab gibt. Sind Sie nicht meiner Ansicht, mein Fräulein?«
»Madame,« erwiderte Andrée, »wer würde sich erlauben, Eurer Majestät Rathschläge zu geben? Der Tod selbst wird die Königin nicht eher, als an dem Tage benachrichtigen, wo er sie abholt. In der That, wie sollte er es anders machen?«
»Warum?«
»Madame, weil eine Königin durch die Natur ihrer Erhabenheit dazu bestimmt ist, in dieser Welt nur die unvermeidlichen Notwendigkeiten zu erdulden. Alles was ihr Leben verbessern kann, hat sie; Alles was bei Anderen ihre Laufbahn verschönern helfen kann, nimmt eine Königin Anderen.«
Die Königin machte eine Bewegung des Erstaunens.
»Und das ist ein Recht,« fügte Andrée hastig bei; »die Andern sind für eine Königin eine Schaar von Unterthanen, deren Leben, Ehre und Güter den Fürsten gehören. Leben, Ehre und Güter, moralische oder materielle, sind also das Eigenthum der Königinnen.«
»Das sind Lehren, die mich in Erstaunen setzen,« sprach Marie Antoinette langsam. »Sie machen aus einer Souveränin in diesem Land irgend eine Wehrwölfin der Mährchen, die das Vermögen und das Glück einfacher Bürger verschlingt. Bin ich diese Frau, Andrée? Haben Sie sich im Ernste über mich zu beklagen gehabt, als Sie bei Hofe waren?«
»Eure Majestät hatte die Güte, diese Frage an mich zu richten, als ich sie verließ,« erwiderte Andrée; »ich antwortete, wie heute: Nein, Madame.«
»Aber oft,« fuhr die Königin fort, »verletzt uns ein Verdruß, der nicht persönlich ist. Habe ich einem der Ihrigen geschadet und folglich die harten Worte verdient, die Sie soeben zu mir gesprochen? Andrée, die Einsamkeit, die Sie sich gewählt, ist ein Asyl gegen alle schlimmen Leidenschaften der Welt. Gott lehrt uns Sanftmuth, Mäßigung, Vergessen der Beleidigungen, Tugenden, deren reinstes Muster er ist. Muß ich, während ich als Freundin herbeieile, Vorwürfe oder die verschleierte Leidenschaftlichkeit einer unversöhnlichen Feindin treffen?«
Andrée schlug die Augen auf, erstaunt über diese Leutseligkeit, an welche Marie Antoinette ihre Diener nicht gewöhnt hatte. Sie war hochmüthig und schroff, wenn sie auf Widerstand stieß.
Die Worte, welche Andrée gesprochen, anzuhören, ohne sich zu erhitzen, war eine Anstrengung der Geduld und der Freundschaft, welche die heißblütige Einsiedlerin merkbar rührte.
»Eure Majestät weiß wohl, daß die Taverney nicht ihre Feinde sein können,« sagte sie leiser.
»Ich begreife,« sprach die Königin; »Sie verzeihen mir nicht, daß ich kalt gegen Ihren Bruder war, und er selbst klagt mich vielleicht des Leichtsinns, der Launenhaftigkeit sogar an.«
»Mein Bruder ist ein zu ehrerbietiger Unterthan, um die Königin anzuklagen,« entgegnete Andrée, die ihre Starrheit zu behaupten sich bemühte.
Die Königin sah wohl, daß sie sich verdächtig machen würde, wenn sie die Dosis Honig, welche den Cerberus bändigen sollte, vermehrte. Sie hielt mitten in ihren Zuvorkommenheiten inne und sagte:
»Es ist immerhin gewiß, daß ich, als ich nach Saint-Denis kam, um mit Madame zu sprechen, Sie sehen und Ihnen die Versicherung geben wollte, ich sei von nahe wie von fern Ihre Freundin.«
Andrée fühlte diese Nuance; sie befürchtete, diejenige, welche ihr schmeichelte, beleidigt zu haben; sie befürchtete noch viel mehr, ihre schmerzliche Wunde vor dem stets hellsehenden Auge einer Frau enthüllt zu haben.
»Eure Majestät überschüttet mich mit Ehre und Freude,« sagte sie traurig.
»Sprechen Sie nicht so, Andrée,« erwiderte die Königin, indem sie ihr die Hand drückte; »Sie zerreißen mir das Herz. Wie! es soll nicht gesagt werden, eine elende Königin könne eine Freundin haben, könne über eine Seele verfügen, könne mit Vertrauen ihre Augen auf reizenden Augen, wie die Ihrigen, ruhen lassen, ohne im Grunde dieser Augen Interesse oder Groll zu vermuthen! Ja, ja, Andrée, beneiden Sie diese Königinnen, diese Herrinnen der Güter, der Ehre und des Lebens Aller. Oh! ja, sie sind Königinnen! oh! ja, sie besitzen das Gold und das Blut ihrer Völker, doch das Herz! nie! nie! Sie können es nicht nehmen, und man muß es ihnen schenken.«
»Ich versichere Sie, Madame,« sprach Andrée, erschüttert durch diese warme Anrede, »ich habe Eure Majestät so sehr geliebt, als ich je in dieser Welt lieben werde.«
So sprechend erröthete sie und neigte das Haupt.
»Sie ... haben mich ... geliebt!« rief die Königin, diese Worte auffangend, »Sie lieben mich nicht mehr?«
»Oh! Madame!«
»Ich verlange nichts von Ihnen, Andrée ... Verflucht sei das Kloster, das so schnell die Erinnerung in gewissen Herzen vertilgt!«
»Klagen Sie mein Herz nicht an,« rief Andrée lebhaft »es ist todt!«
»Ihr Herz ist todt! Sie Andrée, wie können Sie bei Ihrer Jugend und Schönheit sagen, Ihr Herz sei todt! Ah! spielen Sie nicht mit diesen unseligen Worten! Das Herz ist nicht todt bei derjenigen, welche dieses Lächeln, diese Schönheit bewahrt; sagen Sie das nicht, Andrée.«
»Ich wiederhole Ihnen, Madame, nichts bei Hofe, nichts in der Welt ist mehr für mich. Hier lebe ich wie das Gras und die Pflanze; ich habe Freuden, die nur ich allein verstehe; darum habe ich, als ich Sie vorhin glänzend und fürstlich wiederfand, ich, die schüchterne und dunkle Nonne, nicht sogleich begriffen: meine Augen haben sich, geblendet durch Ihren Glanz, geschlossen; ich flehe Sie an, mir zu verzeihen: es ist kein sehr großes Verbrechen, dieses Vergessen der stolzen Eitelkeiten der Welt; mein Beichtvater wünscht mir jeden Tag Glück hiezu; ich flehe Sie an, seien Sie nicht strenger, als er.«
»Wie! Sie gefallen sich im Kloster?«
»Ich umfasse mit Wonne das Leben der Einsamkeit.«
»Es ist nichts mehr da, was Sie gebieterisch zu den Freuden der Welt hinzieht?«
»Nichts.«
»Mein Gott!« dachte voll Angst die Königin, »sollte ich scheitern?«
Und ein tödtlicher Schauer durchlief ihre Adern.
»Wir wollen sie in Versuchung führen,« sagte sie zu sich selbst; »scheitert dieses Mittel, so nehme ich meine Zuflucht zu den Bitten. Oh! sie zu diesem Ende bitten, sie bitten, Herrn von Charny anzunehmen ... gütiger Himmel! muß ich so unglücklich sein!«
»Andrée,« sagte Marie Antoinette, ihre Aufregung beherrschend, »Sie haben Ihre Zufriedenheit in Worten ausgesprochen, die mir die Hoffnung rauben, welche ich gefaßt hatte.«
»Welche Hoffnung, Madame?«
»Sprechen wir nicht mehr davon, wenn Sie entschieden sind, wie Sie soeben geschienen haben ... Ach! das war für mich ein Schatten von Vergnügen, er ist entflohen! Ist nicht Alles ein Schatten für mich? Denken wir nicht mehr daran.«
»Ah! Madame, gerade weil Sie hieraus eine Befriedigung ziehen sollen, sprechen Sie.«
»Wozu soll es nützen? Sie haben sich von der Welt zurückgezogen, nicht wahr?«
»Ja, Madame.«
»Sehr gern?«
»Oh! ganz mit meinem freien Willen.«
»Und Sie wünschen sich Glück zu dem, was Sie gethan?«
»Mehr als je.«
»Sie sehen wohl, daß es überflüssig ist, mich sprechen zu lassen. Gott ist jedoch mein Zeuge, daß ich einen Augenblick glaubte, ich würde Sie glücklich machen.«
»Mich?«
»Ja, Sie Undankbare, die Sie mich anklagten! Doch heute haben Sie andere Freuden erschaut, Sie kennen besser als ich Ihren Geschmack und Beruf. Ich verzichte ...«
»Ah! Madame, erweisen Sie mir die Ehre, mir etwas Näheres zu sagen.«
»Oh! das ist sehr einfach, ich wollte sie an den Hof zurückführen.«
»Oh!« rief Andrée mit einem Lächeln voll Bitterkeit, »ich! an den Hof zurückkehren ... mein Gott! ... nein! nein! Madame, nie, so schwer es mich ankommt, ungehorsam gegen Eure Majestät zu sein.«
Die Königin schauerte, ihr Herz füllte sich mit einem unaussprechlichen Schmerz; sie scheiterte, das mächtige Fahrzeug, an einem Atom von Granit.
»Sie schlagen es aus?« murmelte sie.
Und um ihre Angst zu verbergen, verschloß sie ihr Gesicht in ihren Händen.
Andrée hielt sie für niedergebeugt, sie warf sich vor ihr auf die Kniee, als wollte sie durch ihre Ehrfurcht die Wunde lindern, die sie der Freundschaft oder dem Stolze geschlagen.
»Madame,« sagte sie, »was hätten Sie aus mir gemacht, aus einer so traurigen, nichtsbedeutenden, armen, ja verfluchten Person, die jeder flieht, weil ich nicht einmal den Frauen die gewöhnliche Unruhe der Rivalitäten, den Männern die gewöhnliche Sympathie der Verschiedenheit der Geschlechter einzuflößen gewußt habe ... Ah! Madame und theure Gebieterin, lassen Sie diese Nonne, sie wird nicht einmal mehr von Gott angenommen, der sie für noch zu mangelhaft hält, während er doch die Schwachen an Körper und Herz aufnimmt. Ueberlassen Sie mich meinem Elend, meiner Vereinzelung: lassen Sie mich.«
»Ah!« erwiderte die Königin aufschauend, »der Stand, den ich Ihnen vorschlagen wollte, bietet allen Demüthigungen, über die Sie sich beklagen, Trotz! Die Heirath, um die es sich handelt, würde Sie zu einer der vornehmsten Frauen Frankreichs machen.«
»Eine Heirath!« stammelte Andrée erstaunt.
»Sie schlagen es aus,« sprach die Königin, immer mehr entmuthigt.
»Oh! ja, ich schlage es aus!«
Da ging die Königin in den Ton der Bitte über und sagte:
»Andrée ...«
»Ich schlage es aus, Madame, ich schlage es aus!«
Marie Antoinette bereitete sich nun mit einer ungeheuren Herzensangst vor, das Flehen zu beginnen. Andrée stellte sich ihr in den Weg in dem Augenblick, wo sie unentschlossen, zitternd, verwirrt aufstand, ohne auch nur das erste Wort ihrer Rede festzuhalten.
»Madame,« sagte sie, die Königin an ihrem Kleide zurückhaltend, denn sie glaubte sie weggehen zu sehen, »haben Sie die hohe Gnade, mir den Mann zu nennen, der mich zur Gefährtin annehmen würde; ich habe so sehr in meinem Leben durch die Demüthigung gelitten, daß der Name dieses edelmüthigen Mannes ...«
Und sie lächelte mit einer stechenden Ironie und fuhr dann fort:
»Der Balsam sein wird, den ich fortan auf alle Wunden meines Stolzes legen werde.«
Die Königin zögerte, doch es war für sie eine Nothwendigkeit, die Sache bis zum Ende zu treiben.
»Herr von Charny,« sprach sie mit traurigem, gleichgültigem Tone.
»Herr von Charny!« rief Andrée mit einem furchtbaren Ausbruch, »Herr Olivier von Charny!«
»Herr Olivier, ja,« erwiderte die Königin, indem sie das Mädchen ganz verwunderungsvoll anschaute.
»Der Neffe des Herrn von Suffren?« fuhr Andrée fort, deren Wangen sich mit Purpur übergossen, deren Augen glänzten wie Sterne.
»Der Neffe des Herrn von Suffren,« antwortete die Königin, immer mehr ergriffen von der Veränderung, die in Andrée's Zügen vorging.
»Wie, Madame, mit Herrn Olivier wollen Sie mich verheirathen?«
»Mit ihm selbst.«
»Und ... er willigt ein?«
»Er bittet um Ihre Hand.«
»Oh! ich gebe sie ihm, ich gebe sie ihm,« rief Andrée entzückt, toll. »Mich hat er also geliebt! ... mich liebt er, wie ich ihn liebte?«
Die Königin wich leichenbleich und zitternd mit einem dumpfen Seufzer zurück; sie war nahe daran, vernichtet in einen Lehnstuhl zu fallen, während die wahnsinnige Andrée ihre Kniee, ihr Kleid küßte und abwechselnd ihre Hände mit Thränen befeuchtete und mit glühenden Küssen versengte.
»Wann gehen wir?« sagte sie endlich, als sie auf die erstickten Schreie und die Seufzer Worte folgen lassen konnte.
»Kommen Sie,« murmelte die Königin, welche ihr Leben entfliehen fühlte und ihre Ehre retten wollte, ehe sie starb.
Sie stand auf, stützte sich auf Andrée, deren brennende Lippen ihre eiskalten Wangen suchten, und während das Mädchen Anstalten zu ihrer Abreise traf, sprach die unglückliche Fürstin, die Frau, welche das Leben und die Ehre von dreißig Millionen Unterthanen besaß, unter Schluchzen:
»Mein Gott! ist es nun genug der Leiden für ein einziges Herz!«
»Und dennoch muß ich Dir danken, mein Gott!« fügte sie bei; »denn Du rettest meine Kinder vor der Schande, Du gibst mir das Recht, unter meinem königlichen Mantel zu sterben! ...«