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Kaum waren die Blindfechter vom Schauplatz abgetreten, so entstand ein großer Tumult im Zirkus; auf die Gladiatoren sollten die Tierkämpfer folgen, und das waren Christen, folglich galt der Haß des Publikums den Menschen, und alle Sympathie war auf seiten der Tiere. So groß die Ungeduld der Menge war, mußte sie doch warten, bis die Sklaven den Sandboden wieder mit dem Rechen geglättet hatten; allein diese Arbeit wurde durch wütendes Geschrei beschleunigt, das von allen Ecken des Amphitheaters zugleich ertönte; endlich zogen sich die Sklaven zurück, die Arena blieb einen Augenblick leer, und das Volk harrte in gespannter Erwartung; da öffnete sich das Tor, und alle Blicke richteten sich auf die neuen Opfer, die daraus hervortraten.
Zuerst kam eine Frau in weißem Gewande, mit einem weißen Schleier verhüllt. Man führte sie zu einem der Bäume und band sie dort mit einem Strick um die Mitte des Leibes fest. Dann entriß ihr ein Sklave den Schleier, und die Zuschauer blickten in ein blasses Gesicht von vollkommenster Schönheit, das einen resignierten Ausdruck zeigte. Trotzdem sie eine Christin war, hatte dieses junge Mädchen vom ersten Augenblick an das Herz der wankelmütigen, für jeden Eindruck leicht empfänglichen Menge gewonnen. Während aller Augen auf sie gerichtet blieben, öffnete sich das gegenüberliegende Tor, und ein junger Mann ging daraus hervor. Es war zur Gewohnheit geworden, daß man einen Christen und eine Christin zusammen den wilden Tieren preisgab und den Mann mit allen Waffen ausrüstete, damit der Wunsch, nicht nur den eigenen Tod hinauszuschieben, sondern auch den seiner Gefährtin, zu der man immer die Schwester, Mutter oder Geliebte wählte, dem Bruder, Sohn oder Geliebten erhöhten Mut einflöße und den Kampf verlängere, denn sonst veranlaßte die Christen ihr Verlangen nach dem Martyrium fast immer, auf jeden Kampf zu verzichten, obwohl sie wußten, daß sie gerettet waren, wenn sie die drei ersten Tiere überwanden, die man gegen sie losließ.
In der Tat schien auch der junge Mann nicht geneigt, dem Volke das Schauspiel eines Kampfes bieten zu wollen, trotzdem man auf den ersten Blick die Kraft und Geschmeidigkeit seines Körpers erkannte und ihm zwei Sklaven folgten, von denen der eine ein Schwert und zwei Wurfspieße trug, während der andere einen numidischen Renner vorführte. Mit langsamen Schritten trat er in den Zirkus, schaute mit ruhigen, festen Blicken um sich und deutete durch ein Zeichen mit der Hand an, daß diese Waffen überflüssig seien; er blickte gen Himmel, fiel auf die Kniee und betete. Das enttäuschte Volk wollte aber einen Kampf sehen und kein Martyrium; es fing an zu drohen und zu brüllen, die Rufe: Ans Kreuz! Ans Kreuz! wurden von allen Seiten laut, denn wenn es schon eine Hinrichtung sein sollte, zog man die langwierigere vor. Da leuchtete ein Strahl unbeschreiblicher Freude in den Augen des jungen Mannes auf, er breitete die Arme aus zum Zeichen, daß er ein Gnadengeschenk empfange, glücklich darüber, daß er desselben Todes sterben dürfe, den der Erlöser durch sein Vorbild verklärt hatte. In diesem Augenblick vernahm er einen so tiefen Seufzer, daß er sich unwillkürlich umwandte.
Silas! Silas flehte das junge Mädchen.
Akte! rief der junge Mann, indem er aufsprang und zu ihr hineilte.
Silas, habe Mitleid mit mir, jammerte Akte! Als ich dich erkannte, ging ein Hoffnungsschimmer in meinem Herzen auf. Du bist kühn und stark, Silas, und gewöhnt mit den Bewohnern der Wüsten und Wälder zu ringen; wenn du gekämpft hättest, wären wir vielleicht beide gerettet worden.
Und das Martyrium! unterbrach sie Silas, nach dem Himmel zeigend.
Und der Schmerz! sprach das Mädchen und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Ach! ich bin nicht wie du in einer heiligen Stadt geboren, ich habe das Wort des Lebens nicht aus dem Munde des Meisters gehört, für den wir sterben sollen. Ich bin eine Tochter von Korinth und in den religiösen Anschauungen meiner Väter erzogen, mein Glauben und mein Vertrauen sind noch neu, und das Wort Martyrium kenne ich erst seit gestern. Vielleicht hätte ich noch Mut genug, wenn ich allein wäre, aber Silas, wenn ich dich soll vor meinen Augen diesen langsamen, grauenhaften Tod sterben sehen, weiß ich nicht, ob mein Mut standhält.
Es ist gut, ich werde kämpfen, antwortete Silas, denn ich bin sicher, daß mir früher oder später die Freude doch zu teil wird, die du mir heut entziehst. Dann machte er eine befehlende Gebärde wie ein Kaiser und sagte mit lauter Stimme: Mein Roß, mein Schwert und meine Speere!
Da klatschten die Zuschauer in die Hände, denn sie begriffen beim Ton dieser Stimme und der majestätischen Bewegung, daß sie Zeugen eines jener herkulischen Kämpfe sein sollten, die allein ihre abgestumpften Sinne erregten.
Silas ging auf das Pferd zu, das ein Sohn Arabiens war wie er; die beiden Landsleute erkannten sich. Der Mann sagte einige Worte in einer fremden Sprache zu dem edlen Tiere, das wiehernd antwortete, wie wenn es ihn verstanden hätte. Dann befreite Silas Rücken und Gebiß seines Gefährten von Sattel und Zügel, die ihm die Römer als Zeichen der Dienstbarkeit angelegt hatten, und das Wüstenkind sprang um ihn her und freute sich seiner wieder erlangten Freiheit.
Inzwischen entledigte sich auch Silas alles dessen, was ihm in seinem Anzug hinderlich werden konnte. Er rollte seinen roten Mantel zusammen, schlang ihn um seinen linken Arm und blieb nur mit der Tunika und dem Turban bekleidet. Er gürtete sein Schwert um, ergriff die Speere und rief seinem Pferd, das ihm gehorchte, verständig und flink wie eine Gazelle; er schwang sich auf seinen Rücken, neigte sich auf seinen Hals vor, und ohne sich zu seiner Lenkung eines anderen Mittels zu bedienen als seiner Schenkel und seiner Stimme, ritt er dreimal in der Runde um den Baum, an den Akte gebunden war, wie ein zweiter Perseus, bereit, seine Andromeda zu verteidigen. Der Stolz des Arabers hatte die Oberhand gewonnen über die christliche Demut.
Nun öffnete sich eine Flügeltüre unter dem Podium, und ein corduanischer Stier sprang, von den Sklaven aufgeregt, brüllend in den Zirkus. Aber kaum hatte er zehn Schritte gemacht, so blendete ihn das helle Tageslicht, und die Menge der Zuschauer und das Geschrei des Volkes machten ihn scheu. Er beugte seine vorderen Kniegelenke, senkte seinen Kopf bis auf die Erde, richtete seine blöden, wilden Augen auf Silas und rannte auf ihn los, indem er mit seinem Unterleib den Sand berührte, mit seinen Hörnern den Boden aufriß und Dampf aus seinen Nasenlöchern schnaubte. In diesem Augenblick warf ihm einer der Spielordner einen Strohmann zu. Der Stier stürzte sogleich darauf los und zerstampfte ihn unter seinen Füßen; während er damit beschäftigt war, flog sausend ein Wurfspieß, von Silas' Hand geschleudert, und drang ihm in die Schulter. Der Stier stieß ein wildes Schmerzensgebrüll aus, ließ den scheinbaren Feind liegen und wandte sich seinem wirklichen Gegner zu. Mit gesenktem Kopf stürzte er schnell auf den Syrer los, indem er eine Blutspur im Sande nach sich zog. Silas wartete gelassen, bis das wütende Tier auf wenige Schritte herankam, dann ließ er sein flinkes Roß einen gewandten Seitensprung ausführen, während der Stier in vollem Lauf an ihm vorüberschoß, und sandte ihm noch einen zweiten Wurfspieß nach, der ihm mit seinen sechs Zoll Eisen tief in die Seite drang. Das Tier stellte sich zitternd auf seinen vier Füßen fest, wie wenn es umzufallen fürchtete, aber gleich darauf wandte es sich um und wollte über den Reiter und sein Pferd herfallen, doch diese flohen vor ihm her, wie vom Sturmwind davongetragen.
Dreimal machten sie so im Amphitheater die Runde, der Stier wurde jedesmal schwächer, und der Reiter gewann an Vorsprung; endlich bei der dritten Runde fiel der Stier auf seine Kniee, stand aber sogleich auf mit einem fürchterlichen Gebrüll, und wie wenn er die Hoffnung verloren gebe, Silas zu erreichen, schaute er im Kreise umher, ob er nicht ein anderes Opfer finde, an dem er seinen Zorn austoben könne; jetzt erblickte er Akte. Einen Augenblick schien er daran zu zweifeln, ob sie überhaupt ein lebendes Wesen sei, so sehr glich sie in ihrer vollkommenen Regungslosigkeit und Blässe einer Statue; er streckte den Hals und die Nasenlöcher vor und sog die Luft ein, die von jener Gegend herkam. Gleich darauf nahm er alle Kraft zusammen und rannte geradeswegs auf Akte zu. Das Mädchen sah ihn kommen und stieß einen Schreckenslaut aus, aber Silas wachte über ihr und ging dem Stier entgegen; doch dieser schien ihn zu fliehen. Mit einigen raschen Sätzen holte er ihn auf seinem getreuen Renner ein, dann sprang er von dem Rücken des Pferdes auf den des Stieres hinüber, und während er ihn mit der linken Hand an einem Horn ergriff und ihm den Hals zurückbog, stieß er ihm mit der rechten das Schwert bis zum Griff in die Kehle. Der sterbende Stier fiel eine halbe Lanzenlänge von Akte entfernt zu Boden; sie hatte mit geschlossenen Augen den Tod erwartet, erst der jubelnde Beifall der Menge verkündete ihr, daß Silas gesiegt hatte.
Hierauf traten drei Sklaven in den Zirkus, zwei von ihnen führten je ein Pferd, das sie an den Stier spannten, um ihn aus dem Amphitheater hinauszuschleppen; der dritte trug einen Becher und einen Krug; er füllte den Kelch und bot ihn dem jungen Syrer dar. Dieser berührte ihn kaum mit den Lippen und verlangte andere Waffen. Man brachte ihm einen Bogen, Pfeile und einen Spieß; dann beeilte sich jedermann die Arena zu verlassen, denn unter dem Thron, den der Kaiser leer gelassen hatte, öffnete sich ein Gitter, und ein Löwe vom Atlas verließ seinen Käfig und trat majestätisch in den Zirkus.
Es war gewiß der König der Schöpfung, denn bei dem Gebrüll, womit er das Licht begrüßte, erzitterten alle Zuschauer, und selbst der Renner mißtraute zum ersten Mal der Schnelligkeit seiner Füße und antwortete mit einem erschrockenen Wiehern. Silas allein blieb unerschüttert von dieser mächtigen Stimme, an die er gewöhnt war, und die er oft genug gehört hatte in den Wüsten, die sich zwischen dem Toten Meer und dem Berge, aus dem Moses Wasser schlug, hinziehen; er bereitete sich zur Verteidigung wie zum Angriff vor, indem er sich hinter den Baum stellte, der dem, an welchen Akte gefesselt war, zunächst stand, und legte seinen spitzigsten Pfeil auf den Bogen. Währenddessen schritt sein edler und mächtiger Feind langsam und voll Vertrauen vorwärts; er wußte nicht, was man von ihm erwarte, runzelte die Falten seiner breiten Stirn und schlug den Sand mit seinem Schweif. Nun schleuderten die Festordner stumpfe Pfeile mit bunten Wimpeln nach ihm, um ihn aufzureizen, aber ernst und ruhig schritt er vorwärts, ohne sich im geringsten um diese Neckereien zu bekümmern, bis plötzlich unter den harmlosen Stäbchen ein spitzer Pfeil wie ein Blitz die Luft durchschnitt und tief in seine Schulter drang. Jetzt blieb er stehen, mehr aus Überraschung als aus Schmerz, wie wenn er nicht begreife, daß ein Wesen so kühn sein könne, ihn anzugreifen; er zweifelte noch an seiner Wunde, aber bald wurden seine Augen blutunterlaufen, sein Rachen öffnete sich, ein langes ernstes Brüllen, das dem Rollen des Donners glich, drang wie aus einer Höhle aus der Tiefe seiner Brust hervor. Er erfaßte den Pfeil und zermalmte ihn zwischen seinen Zähnen, dann warf er einen Blick um sich, vor dem die Zuschauer entsetzt zurückwichen, obwohl sie durch ein Gitter geschützt waren; er suchte ein Opfer an dem er seinen königlichen Zorn auslassen konnte.
Da entdeckte er den Renner, der zitterte, wie wenn er eben aus eiskaltem Wasser käme, obwohl er mit Schweiß und Schaum bedeckt war.
Der Löwe hörte auf zu brüllen, stieß einen kurzen, scharfen, verhaltenen Laut aus und holte zu einem Sprung aus, der ihn bis auf zwanzig Schritt dem ersten Opfer nahebrachte, das er sich ausersehen hatte.
Nun begann eine zweite Flucht, die sich noch wunderbarer als die erste gestaltete, weil jetzt kein Mensch mehr dabei war, der den Instinkt der Tiere irreleitete. Kraft und Schnelligkeit entfalteten sich in ihrer ganzen wilden Energie, und die zweimalhunderttausend Zuschauer vergaßen für einen Augenblick die beiden Christen, um dieser phantastischen Jagd durch das Amphitheater zu folgen, die der Menge um so angenehmer war, als sie sich unerwartet darbot. Ein zweiter Sprung hatte den Löwen dem Pferde noch näher gebracht, welches im Hintergrunde des Zirkus in die Enge getrieben, weder nach rechts noch nach links zu fliehen wagte und über den Kopf seines Feindes hinwegsetzte, der es in ungleichen Sprüngen verfolgte, die Mähne sträubte und von Zeit zu Zeit ein scharfes, heiseres Gebrüll hören ließ, dem das fliehende Roß durch ein ängstliches Wiehern antwortete. Dreimal sah man das flüchtige Kind Numidiens wie einen Schatten, wie eine Erscheinung, wie ein Pferd aus der Unterwelt, das vom Wagen Plutos entkommen war, vorübereilen, und jedesmal war ihm der Löwe nähergekommen, ohne daß er sich bei der Verfolgung anstrengte, bis er, den Kreis immer enger ziehend, parallel mit ihm hinlief. Endlich, als das Pferd einsah, daß es seinem Feinde nicht mehr entrinnen konnte, stieg es kerzengerade an dem Gitter in die Höhe und schlug krampfhaft mit seinen Vorderfüßen in die Luft. Nun kam der Löwe langsam herangeschritten, wie ein Sieger, der seines Triumphes gewiß ist, von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um zu brüllen und den Sand der Arena mit seinen Tatzen zu zerstäuben. Der unglückliche Renner war gebannt wie ein Vogel beim Anblick einer Schlange, er stürzte zu Boden und wälzte sich vor Schrecken im Todeskampf. In diesem Augenblick flog ein zweiter Pfeil von Silas' Bogen und drang tief zwischen die Rippen des Löwen ein. Der Reiter kam seinem Renner zu Hilfe und zog den Zorn auf sich, den dieser einen Augenblick von ihm abgewendet hatte.
Der Löwe drehte sich um, denn er fing an zu begreifen, daß er im Zirkus noch einen gefährlicheren Feind habe, als den, welchen er soeben mit seinen Blicken niedergeworfen hatte. Jetzt bemerkte er Silas, der eben einen dritten Pfeil aus seinem Gürtel zog und auf die Sehne seines Bogens legte. Er blieb einen Augenblick still, als er dem Menschen gegenüberstand, diesem anderen König der Schöpfung. Dieser Augenblick genügte dem Syrer, um seinem Feind einen dritten Schmerzensboten zu senden, der seine bewegliche Gesichtshaut durchdrang und tief in seinem Halse stecken blieb. Was darauf folgte, ereignete sich mit der Geschwindigkeit einer Vision. Der Löwe stürzte sich auf den Mann, der ihm seinen Speer entgegenhielt, dann wälzten sich beide auf der Erde, Fetzen von Fleisch flogen umher, und die zunächstsitzenden Zuschauer wurden von einem Blutregen durchnäßt. Akte rief ihrem Helden einen letzten Scheidegruß zu, jetzt hatte sie keinen Beschützer mehr, aber auch keinen Feind, denn der Löwe hatte den Menschen nur um die kurze Spanne Zeit überlebt, die er zu seiner Rache brauchte; sein Todeskampf begann, als der seines Opfers vollendet war, und das Pferd hatte verendet, ohne vom Löwen berührt zu sein.
Die Sklaven kamen wieder und schafften unter dem frenetischen Jubel der Menge die Leichen des Mannes und der Tiere hinaus.
Nun wandten sich wieder alle Augen dem schönen Mädchen zu, das nach dem Tode des Silas ohne Schutz zurückblieb. Solange er lebte, hatte sie die Hoffnung aufrecht erhalten, daß er sie retten werde. Aber als sie ihn fallen sah, begriff sie, daß es nun um sie geschehen sei, und sie versuchte, in unartikulierten Lauten Gebete zu stammeln, für ihn, der tot war, und für sie selbst, die nun sterben mußte. Übrigens brachte ihr das Publikum gegen seine Gewohnheit Sympathie entgegen, sobald man sie an ihren Zügen als Griechin erkannte, während sie zuerst für eine Jüdin gehalten worden war. Frauen und besonders junge Leute fingen an zu murren, und auch noch andere Zuschauer erhoben sich, um Gnade für sie zu begehren, worauf die Rufe: Sitzen! sitzen! von den oberen Reihen ertönten. Ein Gitter hatte sich geöffnet, und eine Tigerin schlich in die Arena.
Kaum war sie aus ihrem Käfig hervorgegangen, so legte sie sich auf den Boden nieder und blickte wild um sich, aber ohne Unruhe und Erstaunen, dann sog sie die Luft ein und kroch wie eine Schlange an den Ort, wo das tote Pferd gelegen hatte, richtete sich an dem Gitter in die Höhe, beschnoberte und beleckte die Eisenstäbe, die es berührt hatte, dann brüllte sie leise und fragte gleichsam das Eisen, den Sand und die Luft nach der abwesenden Beute. Jetzt drang der Geruch von warmem Blut und zuckendem Fleisch zu ihr, denn die Sklaven hatten sich diesmal nicht die Mühe gemacht, den Sand erst umzukehren. Sie ging geradeswegs auf den Baum zu, bei welchem der Kampf des Silas mit dem Löwen stattgefunden hatte, und wandte sich nur nach rechts und links, um einige Fleischstücke aufzunehmen, die das edle Tier, das ihr im Zirkus vorangegangen war, hatte um sich her fliegen lassen; endlich gelangte sie zu einer Blutlache, die der Sand noch nicht aufgesogen hatte, und fing an zu trinken wie ein durstiger Hund; sie brüllte und wurde um so aufgeregter, je mehr sie trank. Als sie damit zu Ende war, schaute sie wieder mit funkelnden Augen um sich; jetzt erst gewahrte sie Akte, die, an den Baum gebunden, mit geschlossenen Augen den Tod erwartete, dem sie nicht entgegenzusehen wagte.
Nun streckte sich die Tigerin wieder und schlich in schräger Richtung auf ihr Opfer zu, ohne es aus den Augen zu verlieren; als sie noch zehn Schritte davon entfernt war, richtete sie sich auf und sog mit vorgerecktem Hals und weit geöffneten Nasenlöchern die Luft ein, die aus jener Richtung kam; dann durchmaß sie mit einem einzigen Sprung den Raum, der sie noch von der jungen Christin trennte, fiel vor ihren Füßen nieder, und während das ganze Amphitheater erwartete, sie in Stücke zerrissen zu sehen, und einen Schmerzensschrei der Teilnahme ausstieß, legte sich die Tigerin sanft und schmeichelnd wie eine Gazelle nieder, ließ kleine Freudenlaute vernehmen und leckte die Füße ihrer früheren Herrin; bei diesen unerwarteten Liebkosungen öffnete Akte erstaunt die Augen und erkannte Phöbe, den Liebling Neros.
Sogleich erschallten die Rufe: Gnade! Gnade! von allen Seiten, denn das Publikum hielt das Wiedererkennen zwischen der Tigerin und dem jungen Mädchen für ein Wunder. Auch hatte ja Akte nun die drei auferlegten Prüfungen überstanden, und da sie unversehrt geblieben, war sie frei. So sehr hatte sich die wechselvolle Stimmung der eben noch so blutlüsternen Zuschauer geändert, daß das Volk der geretteten Christin laut zujubelte. Die jungen Ritter warfen ihre goldenen Ketten herab und die Frauen ihre Blumen. Alle erhoben sich auf den Sitzen und riefen den Sklaven zu, sie sollten das Opfer losbinden. Auf diesen Ruf kam Lybikus, Phöbes schwarzer Wächter, herbei und durchschnitt mit einem Dolche die Fesseln des Mädchens, das sogleich in die Kniee sank, denn diese Stricke waren die einzige Stütze gewesen, die ihren von Schrecken erschütterten Körper aufrecht gehalten hatten. Lybikus hob sie auf und unterstützte sie beim Gehen; er führte sie zu dem Tor, das, wie gesagt, sana vivaria hieß, weil durch dasselbe alle Gladiatoren, Tierkämpfer und Verurteilte den Zirkus verließen, die dem Blutbad entronnen waren. An der Schwelle erwartete sie eine unzählbare Menge, denn Herolde waren inzwischen in den Zirkus hinabgestiegen und hatten ausgerufen, daß die Spiele jetzt zu Ende seien und erst um fünf Uhr abends wieder beginnen würden. Als Akte erschien, brach ein ungeheurer Jubel los, und die Menge wollte sie im Triumph davontragen, aber Akte erhob flehend die verschlungenen Hände; da trat das Volk zur Seite und ließ ihr den Durchgang frei. So erreichte sie den Tempel der Diana, sie setzte sich hinter einer Säule der cella nieder und weinte trostlos, denn sie bedauerte jetzt, nicht gestorben zu sein, da sie sich so allein in der Welt fand, ohne Vater, ohne Geliebten, ohne Beschützer und Freund. Denn ihr Vater war für sie verloren, ihr Geliebter hatte sie vergessen, Paulus und Silas waren als Märtyrer gestorben.
Als es dunkelte, erinnerte sie sich einer Familie, an die sie sich in den Katakomben angeschlossen hatte, und machte sich einsam und schweigend auf den Weg dahin.
Abends um die bestimmte Stunde wurde das Amphitheater wieder geöffnet; der Kaiser nahm Platz auf seinem Throne, der einen Teil des Tages leer geblieben war, und die Spiele begannen von neuem. Als die Schatten der Nacht sich herabzusenken begannen, erinnerte sich Nero des Versprechens, das er dem Volk gegeben hatte, daß er ihm eine Jagd bei Fackelbeleuchtung vorführen wolle. Man band zwölf Christen, die mit Schwefel und Pech überzogen waren, an zwölf Pfähle und zündete sie an. Dann führte man neue Löwen und neue Gladiatoren in den Zirkus.
Des anderen Tages verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, daß die Briefe, welche Nero während des Schauspiels erhalten, und die einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatten, die Nachricht von der Empörung der spanischen und gallischen Legionen unter Galbas und Vindex' Führung enthielten.