Alexander Dumas d. Ä.
Akte
Alexander Dumas d. Ä.

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VI.

Als die junge Entflohene die Augen wieder aufschlug, befand sie sich in dem Hauptgemach des Schiffes. Lucius saß neben ihrem Lager und unterstützte das blasse, von wirren Locken umrahmte Gesicht, während in einer Ecke auf goldgesticktem Purpurteppich zusammengerollt die Tigerin sanft und friedlich schlummerte, wie eine Gazelle. Es war Nacht, und durch die Öffnung in der Decke konnte man hinaufschauen zu dem herrlichen, blauen Himmel Griechenlands, der mit unzähligen, leuchtenden Sternen besät war. Die Galeere glitt so sanft auf den Wogen dahin, als wäre sie eine ungeheure Wiege, die das Meer fürsorglich schaukelte, wie eine treue Wärterin das Bettchen eines Kindes. Alles ringsumher erschien so ruhevoll, still und klar, daß Akte einen Augenblick glaubte, es halte sie nur ein Traum umfangen, und sie ruhe noch unter dem Schleier, der ihr jungfräuliches Lager verhüllte. Aber Lucius achtete auf ihre leiseste Bewegung; er hatte ihr Erwachen bemerkt und klatschte in die Hände. Alsbald trat eine junge, schöne Sklavin herein, die eine brennende Wachskerze in der Hand hielt, mit welcher sie die goldene Lampe entzündete, die von einem am Fußende des Bettes sich erhebenden Bronzekandelaber getragen wurde.

In dem Augenblick, wo das junge Mädchen hereintrat, blieben Aktes Blicke an ihr haften und folgten ihr mit Aufmerksamkeit. Die Sklavin, die sie zum ersten Male sah, schien ihr doch nicht unbekannt. Ihre Züge erweckten in ihrem Gedächtnis noch frische Erinnerungen, doch war es ihr unmöglich, für dieses junge, melancholische Gesicht einen Namen zu finden. So viele Gedanken kreuzten sich in dem Kopfe des armen Kindes, daß sie ihre Last nicht mehr ertragen konnte und die Augenlider schloß, während sie ermattet in die Kissen zurücksank. Lucius glaubte, sie werde wieder einschlafen; er machte der Sklavin ein Zeichen, daß sie über ihren Schlummer wachen solle, und verließ das Gemach. Als die Sklavin mit Akte allein war, schaute sie die Korintherin mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Traurigkeit an; dann legte sie sich auf den Purpurteppich neben Phöbe nieder, deren Schulter sie als Kissen benutzte. Die in ihrem Schlummer gestörte Tigerin öffnete halb ein wildfunkelndes Auge, aber als sie die Freundin erkannte, leckte sie zwei-, dreimal deren zarte Hand mit ihrer blutroten Zunge, anstatt sie für die Kühnheit zu bestrafen; dann streckte sie sich wieder nachlässig zum Schlummer aus, indem sie einen Seufzer ausstieß, der mehr einem wilden Brüllen glich.

Auf einmal ertönte eine entzückende Harmonie vom Deck des Schiffes herab. Es war derselbe Chor, den Akte schon gehört hatte, als das Schiff in den Hafen von Korinth einlief. Aber mitten in der Stille und Einsamkeit der Nacht wirkte er weit schöner und geheimnisvoller. Bald folgte auf die vereinten Stimmen ein Solo. Lucius sang das an Neptun gerichtete Gebet; Akte erkannte die schmelzenden Laute, die am Tage vorher im Theater die geheimsten Saiten ihrer Seele gerührt hatten. Es waren so süß ergreifende Töne, daß man hätte glauben können, die Sirene vom Kap Palinurus habe sich dem Schiff des neuen Ulysses genaht. Ganz hingerissen von der Macht dieser zauberischen Musik, hob Akte die müden Augenlider und starrte zu dem sternenklaren Firmament empor. Allmählich vergaß sie ihre Gewissensbisse und allen Kummer, um sich in Gedanken ganz in ihre Liebe zu versenken. Lange schon waren die letzten Schwingungen der Leier und die Kadenzen der Stimme sanft in den Lüften verhallt, wie wenn Geister sie auf ihren Flügeln davontrügen, und Akte, ganz erfüllt von der lieblichen Melodie, lauschte noch immer nach oben. Endlich senkte sie die Blicke, und ihre Augen begegneten zum zweiten Male denen des jungen Mädchens. Wie die Herrin, so schien auch die Dienerin demselben zauberischen Banne zu unterliegen. Endlich kreuzten sich die Blicke der beiden Frauen, und Akte war mehr als je davon überzeugt, daß diese traurigen Augen nicht zum ersten Male ihren raschen, leuchtenden Strahl über sie hingleiten ließen. Akte winkte mit der Hand, die Sklavin erhob sich, beide blieben einen Augenblick stumm. Endlich brach Akte das Schweigen.

Wie heißt du junges Mädchen? fragte sie.

Sabina, antwortete die Sklavin. Bei diesem einzigen Wort erzitterte die Fragende, denn wie das Gesicht, so war ihr auch die Stimme keineswegs unbekannt, doch weckte der Name, den sie hörte, keine Erinnerung in ihr.

Welches ist dein Vaterland? fuhr Akte fort.

Ich habe es in so früher Jugend verlassen, daß ich es nicht mehr kenne.

Wer ist dein Herr?

Gestern noch war es Lucius, heute ist es Akte.

Dienst du ihm schon lange?

Seit ich denken kann.

Gewiß bist du ihm treu ergeben?

Wie eine Tochter ihrem Vater.

Dann setze dich zu mir und laß uns von ihm plaudern. Sabina gehorchte, aber mit sichtbarem Widerstreben. Akte hielt dieses Zögern für eine gewisse Scheu und ergriff ihre Hand, um sie zu beruhigen. Die Hand der Sklavin war kalt wie Marmor, doch gab sie der Bewegung nach, mit der die Herrin sie zu sich heranzog, und sank mehr, als sie sich setzte, in den Lehnstuhl, den ihr diese angewiesen hatte.

Habe ich dich nicht schon irgendwo gesehen? fuhr Akte fort.

Ich glaube nicht, stotterte die Sklavin.

Auf dem Ringplatz, im Zirkus, im Theater?

Ich habe das Schiff nicht verlassen.

Wie, du hast Lucius' Siege nicht miterlebt?

Ich bin daran gewöhnt.

Neues Stillschweigen folgte diesen Fragen und Antworten, die von der einen Seite mit wachsender Neugier gestellt, von der anderen mit bemerkbarem Widerwillen gegeben wurden. Dieses Gefühl trat so deutlich hervor, daß Akte sich nicht darüber täuschen konnte.

Höre, Sabina, sagte sie, ich sehe, wie schwer es dir fällt, deinen Herrn zu verlassen. Ich werde Lucius sagen, daß du deinen Dienst nicht wechseln willst.

Tu das nicht, rief die Sklavin zitternd, wenn Lucius befiehlt, muß man ihm gehorchen.

Ist sein Zorn denn so sehr zu fürchten? fuhr Akte lächelnd fort.

Er ist schrecklich, antwortete die Sklavin mit einem solchen Ausdruck von Furcht, daß Akte unwillkürlich erschauerte.

Dennoch scheint ihn seine Umgebung zu lieben z. B. der junge Sporus.

Sporus, murmelte die junge Sklavin.

Jetzt wurde Akte aufmerksam. Die Erinnerung kam deutlicher in ihr Gedächtnis zurück. Gewiß, dem Sporus glich Sabina, und diese Ähnlichkeit war so vollkommen, daß sie sich nur wunderte, daß ihr der Gedanke nicht früher gekommen war. Sie ergriff beide Hände des jungen Mädchens und sah ihr prüfend ins Gesicht.

Kennst du Sporus? fragte sie.

Er ist mein Bruder, stotterte das Mädchen.

Und wo ist er?

Er ist in Korinth geblieben.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe. Der junge Römer erschien, und Akte, welche noch Sabinas beide Hände in den ihrigen hielt, fühlte, wie ein Schauer die Adern ihrer neuen Sklavin durchrieselte. Lucius heftete sein durchdringendes, blaues Auge auf die seltsame Gruppe, die sich seinen Blicken darbot, dann sagte er nach kurzem Stillschweigen:

Liebste Akte, das Morgenrot steigt eben am Himmel empor, willst du nicht auf Deck kommen und die reine Morgenluft genießen?

So klar und sanft seine Stimme bei diesen Worten klang, zitterte doch in ihrer Tiefe etwas, man konnte sagen Metallisches, das Akte zum ersten Mal darin bemerkte und das mit einem Gefühl, das an Schrecken grenzte, durch ihre Seele drang, so daß sie die einfache Frage als Befehl auffaßte und statt zu antworten gehorchte. Aber ihre Kraft kam ihrem Willen nicht zu Hilfe, und sie wäre umgesunken, wenn Lucius nicht rasch herzugeeilt wäre und sie aufgefangen hätte. Wie ein Adler eine Taube davonträgt, so leicht fühlte sie sich von den Armen ihres Geliebten emporgehoben, und zitternd, ohne daß sie sich darauf besinnen konnte, was sie eigentlich fürchte, ließ sie sich stumm und mit geschlossenen Augen davontragen, als ginge es an einem Abgrund vorüber.

Auf dem Verdeck fühlte sie sich neu belebt durch die köstlich frische, duftige Morgenluft, und da sie sich nicht mehr in den Armen des Römers befand, wagte sie die Augen aufzuschlagen. Sie ruhte in einem Netz aus goldenen Maschen, das auf der einen Seite am Mast befestigt war, während auf der anderen eine mit Skulpturen geschmückte Säule dazu bestimmt schien, die Last aufzunehmen. Neben ihr stand Lucius mit dem Rücken an den Mast gelehnt.

Während der Nacht hatte das Schiff, vom Winde begünstigt, den Golf von Korinth verlassen, und das Kap Elis umschiffend, war es zwischen Zakynthus und Kephalonia hindurchgefahren. Die Sonne schien eben hinter diesen beiden Inseln aufzugehen und beleuchtete mit ihren Strahlen die Spitzen der Gebirge, die nun einen merkwürdig geteilten Anblick boten, da der westliche Abhang noch in nächtliches Dunkel gehüllt war. Akte hatte keine Ahnung davon, wo sie sich eigentlich befand. Sie wendete sich daher an Lucius mit der Frage: Ist das noch Griechenland?

Ja, sagte Lucius, es ist der Duft der Rosen von Same (so nannten die Dichter die Insel Kephalonia) und der Orangenblüten von Zakynthus, den der Morgenwind als letzten Gruß zu uns herüberträgt. Es gibt keinen Winter für diese Zwillingsschwestern, die im Glanz der Sonne ihre üppige Blütenpracht entfalten. Wünscht meine schöne Akte, daß ich ihr auf jeder dieser Inseln einen Palast erbauen lasse?

Lucius, sagte das Mädchen, du betörst mich mit deinen Versprechungen, die ein Gott allein erfüllen könnte. Wer bist du denn, und was verbirgst du mir? Bist du der donnernde Zeus und fürchtest du, daß ich wie Semele zerfließen würde, wenn du mir in deiner ganzen Pracht und Herrlichkeit erschienst?

Nein, sagte Lucius lächelnd, ich bin nur ein armer Sänger, dem ein Onkel sein Vermögen hinterlassen hat unter der Bedingung, daß ich seinen Namen trage. Meine einzige Macht liegt in meiner Liebe, Akte, aber ich fühle, daß ich die zwölf Arbeiten des Herkules vollbringen könnte, wenn sie mir beisteht.

So liebst du mich? fragte das junge Mädchen.

Ja, mein Herz! sagte Lucius.

Der Römer sprach diese Worte mit so wahrhaftigem, überzeugendem Tone, daß Akte beide Arme inbrünstig zum Himmel erhob, um ihm für dieses Glück zu danken. Nun hatte sie alles vergessen; Schmerz und Trauer waren in ihrer Seele ausgelöscht, wie vor ihren Augen ihr Heimatland am Horizont verschwand.

Sechs Tage lang schwammen sie unter blauem Himmel auf blauen Wogen dahin, am siebenten erblickten sie Lokri, die Stadt, die einst von den Soldaten des Ajax erbaut worden war. Dann mußten sie das Vorgebirge des Herkules umsegeln und bogen in die Meerenge von Sizilien ein, Messina, das alte Zankle, mit seinem sichelförmig gebogenen Hafen zur Linken lassend und zur Rechten Rhegium, das dem Tyrannen Dionysos die Tochter des Henkers anbot, als er eine Frau begehrte. Sie steuerten genau zwischen den Strudeln der Charybdis und der tosenden Scylla hindurch, und zum letzten Mal die Fluten Joniens grüßend, lenkten sie in das Tyrrhenische Meer ein, das der Vulkan von Stromboli als ewiger Leuchtturm des Mittelmeeres erhellt. Noch fünf Tage fuhren sie, teils von Segeln, teils von Rudern getrieben, dahin und sahen nacheinander an der Küste bekannte Städte auftauchen, zuerst Helea, in dessen Nähe man die Ruinen des Grabmals des Palinurus unterschied, dann Paestum mit seinen drei großen Tempeln und Capri mit seinen zwölf Palästen. Endlich liefen sie in die prächtige Bucht ein, in deren Hintergrund sich Neapel erhebt, die schöne Tochter Griechenlands, die Freigelassene Roms, die sich sorglos an den Fuß des rauchenden Vesuv anschmiegt. Rechts davon waren noch die drei vielgenannten Städte Herkulanum, Pompeji und Stabiä zu sehen, die zwanzig Jahre später unter dem glühenden Lavastrom begraben wurden, und links Puteoli mit seiner riesigen Brücke, Bajä, das Properz so sehr fürchtete, und Bauli, das bald durch Neros Muttermord berüchtigt werden sollte.

Kaum war die Stadt in Sicht, so ließ Lucius die weißen Segel seines Schiffes mit purpurnen vertauschen und den Mast mit einem Lorbeerzweig schmücken. Ohne Zweifel war dieses Zeichen verabredet und verkündete den Sieg, denn als er landete, machte sich eine große Bewegung am Ufer bemerkbar, und das Volk strömte dem olympischen Schiff entgegen. Lucius trat hinaus auf die Reede, begrüßt vom Schall der Instrumente, vom Gesang der Matrosen und vom lauten Jubel der Menge. Ein mit vier weißen Pferden bespannter Wagen erwartete Lucius. Er bestieg ihn, mit dem königlichen Purpur bekleidet und umwallt von dem blauen, goldbesternten Mantel, seine Stirn war mit dem olympischen Olivenkranz geschmückt, und in der Hand trug er den pythischen Lorbeer. Wie ein Eroberer zog er als Triumphator in die Stadt ein durch eine Bresche, die man in die Mauer gerissen hatte.

Auf dem ganzen weiteren Zuge wurden ihm solche Ehren zu teil. In Fondi kam ihm ein 65jähriger Greis namens Galba entgegen, dessen Familie so alt war wie Rom selbst, und dem nach dem afrikanischen Kriege öffentliche Ehrenbezeigungen und drei Priesterwürden angeboten worden waren. Er lud Lucius ein, an den glänzenden Festen teilzunehmen, die er für ihn vorbereitet hatte. Dieser Schritt von seiten einer so hervorragenden Persönlichkeit schien auf Lucius' Gefolge starken Eindruck zu machen, der um so größer war, weil man von diesem Greis wunderbare Dinge erzählte. Als einer seiner Vorfahren einst das Opfer darbringen wollte, stürzte ein Adler aus den Lüften herab, entriß dem Opfertier die Eingeweide und trug sie zu einer Eiche empor. Daraus wurde ihm geweissagt, daß einer seiner Nachkommen Kaiser sein werde, und dieser Nachkomme, sagte man, sei Galba; denn als er eines Tages mit anderen Knaben seines Alters den Kaiser Oktavian begrüßte, habe dieser eine Vision gehabt, und mit seiner Hand des Knaben Wange streichelnd, habe er ausgerufen: Auch du, mein Sohn, wirst es mit unserer Macht versuchen . . . Livia, hieß es, habe ihn so sehr geliebt, daß sie ihm bei ihrem Tode fünfzig Millionen Sesterzien hinterließ, aber da die Summe nur auf dem Papier stand, setzte sie Tiberius auf fünfzigtausend herab. Vielleicht würde sich der Haß des alten Kaisers, der die Weissagung kannte, damit nicht begnügt haben, wenn ihn nicht sein Astrologe mit der Versicherung beruhigt hätte, daß Galba erst in seinem Greisenalter herrschen werde. Dann mag er leben, hatte er darauf geantwortet, dann habe ich nichts mehr von ihm zu fürchten.

In der Tat war Tiberius gestorben, Kaligula und Klaudius waren ihm auf dem Thron gefolgt, jetzt war Nero Kaiser; Galba hatte sein fünfundsechzigstes Jahr erreicht, und nichts deutete darauf hin, daß er je zur höchsten Macht gelangen werde. Weil aber die Nachkommen des Tiberius sich durch die Erfüllung jener Weissagung mehr bedroht glauben konnten und vielleicht nicht dessen Sorglosigkeit teilten, trug Galba auch während des Schlafes einen Dolch an einer Kette um den Hals gehängt und ging nie aus, ohne eine Million Sesterzien bei sich zu tragen, für den Fall, daß er vor den Liktoren fliehen oder gedungene Mörder bestechen müßte.

Der Sieger verbrachte zwei Tage bei Galba inmitten auserlesener Feste und Triumphe. Hier war Akte Zeuge von Vorsichtsmaßregeln, die sie Lucius nie zuvor hatte treffen sehen, und von deren Grund sie sich keine Rechenschaft geben konnte. Die Soldaten, die dem Triumphator entgegengekommen waren, um sein Gefolge zu bilden, wachten des Nachts in den neben seinem Schlafgemach gelegenen Zimmern, und bevor er sich zur Ruhe legte, sah sie ihren Geliebten sein Schwert unter seinem Kopfkissen bergen. Sie fühlte, daß ihn hier eine Gefahr bedrohe, und bat jeden Morgen inständig, daß er abreisen möge. Endlich, am dritten Tage, verließ er Fondi und setzte seinen Triumphzug fort durch Städte, in deren Mauern Breschen gerissen wurden, und gelangte schließlich mit einem Gefolge, das eher dem Heereszuge eines Satrapen als der Begleitung eines einfachen Siegers glich, auf das Gebirge von Albano. Als sie auf dessen Höhe angekommen war, stieß Akte einen Schrei der Überraschung und Bewunderung aus; am Ende der Via Appia sah sie Rom in seiner ganzen Ausdehnung und seiner ganzen Pracht sich entfalten.

Von hier aus bot Rom den Augen der jungen Griechin wirklich den herrlichsten Anblick dar. Die appische Straße wurde die Königin der Straßen genannt, weil sie die schönste und wichtigste war, die, vom Tyrrhenischen Meer ausgehend, den Apennin überschritt, Kalabrien durchzog und am Adriatischen Meere endigte. Von Albano bis Rom diente sie als öffentlicher Spazierweg, und nach der Gewohnheit der Alten, für welche der Tod nur Ruhe bedeutete, und die ihre irdischen Überreste an den malerischsten und belebtesten Orten beisetzen ließen, war sie auf beiden Seiten mit kostbaren Grabdenkmälern eingefaßt, unter denen dasjenige des Askanius im Rufe des höchsten Altertums stand, während das der Horatier wegen der Erinnerung an die Helden geehrt und das der Cäcilia Metella um seiner kaiserlichen Pracht willen gerühmt wurde.

Die ganze Straße war an jenem Tage von Neugierigen belebt, die Lucius einzuholen kamen; die einen, im purpurnen Harnisch, standen auf glänzenden Wagen, die von spanischen Maultieren gezogen wurden; die andern ruhten in Sänften, die von acht reichgekleideten Sklaven getragen und von Läufern in kurzen, aufgerafften Kleidern begleitet wurden. Den ersten sprengten numidische Reiter voran, die den Staub aufwirbelten und die Menge aus dem Weg entfernten, die andern trieben ein Rudel molossischer Hunde mit silberbeschlagenen Halsbändern vor sich her. Kaum hatten die ersten den Sieger erblickt, als sich ihr Geschrei von Mund zu Mund fortpflanzte, bis zu den Mauern der Stadt. Gleichzeitig stellten sich auf Befehl eines Reiters, der im Galopp dahersprengte, die Spaziergänger zu beiden Seiten der Straße auf, die, sechsunddreißig Fuß breit, bequemen Raum bot für das Viergespann des Triumphators, der seinen Weg nach der Stadt fortsetzte. Eine Meile ungefähr vor dem Stadttor erwartete ein Trupp Reiterei von fünfhundert Mann den Zug und stellte sich an dessen Spitze. Kaum hatten sie fünfzig Schritte zurückgelegt, so bemerkte Akte, daß die Pferde mit Silber beschlagen waren und daß die leicht befestigten Beschläge losgingen und auf dem Pflaster hinrollten, so daß sich das Volk gierig unter die Füße der Tiere stürzte, um das Silber zu erhaschen, auf die Gefahr hin zertreten zu werden. Zum Stadttor hinein zog der Siegeswagen unter den jauchzenden Rufen der Menge. Akte verstand nichts von dieser Begeisterung und ließ sich doch von ihr fortreißen. Sie hörte den Namen des Cäsar mit dem des Lucius vermengen, sie ging unter Triumphbögen hindurch auf Straßen, die mit Blumen bestreut und mit Weihrauchduft erfüllt waren. An jeder Straßenkreuzung wurden Opfer auf den Altären der vaterländischen Laren dargebracht.

Sie durchschritt die prächtigsten Stadtteile Roms, vorüber an dem großen Zirkus mit seinen drei Arkadengängen, dem Velabrum und dem Forum. Endlich erreichte der Zug die heilige Straße, er begann zum Kapitol hinaufzusteigen und hielt erst vor dem Jupitertempel an. Jetzt sprang Lucius aus dem Wagen und stieg die Stufen empor, die zum Tempel führten. Die Priester erwarteten ihn an der Pforte und geleiteten ihn bis zum Fuß der Statue. Dort legte er die Trophäen auf die Kniee des Gottes nieder und schrieb mit einem Stift, den ihm der Oberpriester reichte, auf eine goldene Platte folgende Inschrift:

Lucius–Domitius–Klaudius Nero, Sieger im Ringkampf, im Wagenrennen und im Gesang, hat diese drei Kränze Jupiter geweiht, dem Allerhöchsten und Allgütigen.

Inmitten der Jubelrufe, die gleich darauf von allen Seiten erschallten, wurde ein Schreckenslaut hörbar: Akte hatte begriffen, daß der arme Sänger, dem sie als Geliebte gefolgt war, niemand anders sei, als der Cäsar selbst.

 


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