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Römerstraße 15, zwei Treppen hoch, wohnt Frau Karoline Maier, die Witwe des verstorbenen Famulus Christian Maier.
Sie ist eine sehr achtbare Frau in den besten Jahren und lebt von ihrer Hände Arbeit und einem kleinen Gratial, das ihr auf Ableben ihres Mannes zugebilligt worden war, und da sie von ihrer bescheidenen Wohnung einige Zimmer an einzelstehende Herrn vermietet, bringt sie es fertig, ohne zu hungern sich schlecht und recht durchzubringen, wie sie selbst sagt.
Dies zeigt sich auch äußerlich, denn sie ist von starker, kräftiger Figur und weist Neigung zu beträchtlicher Rundung auf.
Soeben war sie im Begriffe, die Kleider ihres Mieters zu reinigen. Zu diesem Zwecke band sie eine dunkelgestreifte Hausschürze über die dunkelbetupfte Küchenschürze, nahm Rock, Hose und Weste des Mieters in die linke, ein Paar Stiefel und zugleich den Kleiderklopfer aus Rohrgeflecht in die rechte Hand und begab sich mit dem Vorsatz, einmal ordentlich nach der Sache zu sehen, zu dem Flurfenster.
Sie hängte die Kleider an einem passenden Haken auf, öffnete das Fenster, um dem Staub freien Abzug zu gewähren, nahm sich vorerst die Hosen vor und holte schon mit dem kräftigen, halbentblößten Arme zu einem starken Schlage aus, als sie plötzlich erstaunt den Klopfer sinken ließ und die Hose einer genauen Besichtigung unterwarf.
»Da hört sich doch auch alles auf,« sagte sie kopfschüttelnd.
Noch genauer auseinander zu setzen, weshalb sich alles aufhöre, dazu kam sie aber nicht, denn sie hörte auf der dunkeln Stiege tappende Tritte, und da sie eine gefällige Frau war und außerdem auch neugierig, öffnete sie die Vortür, damit das Licht besser auf die Treppe fiel, und sah hinab.
Von unten tauchten zwei Gestalten auf, als erster ein kurzer, dicker, gutgekleideter Herr und hinter ihm ein langer, hagerer Mann, der ebenfalls gutgekleidet war, nur daß ihm ein gewisses Etwas anhaftete, gerade als ob ihm diese Kleidung ungewohnt wäre.
Frau Karoline Maier betrachtete die Ankömmlinge wortlos, denn sie ging von dem Gedanken aus, daß diese die erste Veranlassung hätten, das Gespräch zu eröffnen.
Zweifelnd sah der vordere Mann nach der Tür und der Achtung gebietenden Frau in der Türöffnung.
»Wohnt hier ein Doktor Romuald Lieberich?«
»Ist nicht zu Hause. Was wollen Sie?« war die Gegenfrage, während die dicke Frau kein Haarbreit von der Türöffnung wich.
Die beiden Männer warfen sich einen Blick zu, als wären sie unschlüssig.
Der lange Hagere zwinkerte mit den Augen, aber Frau Karoline Maier achtete nicht darauf, da sie vollauf damit beschäftigt war, die Kleidung der beiden Herrn zu mustern.
»Ich bin nämlich sein Onkel,« sagte der kurze dicke Herr, »und hätte gerne einmal meinen Neffen besucht.«
Nun war die resolute Dame um eine Idee zugänglicher.
»Du meine Güte! Das hätten die Herrn gleich sagen können. Aber jetzt ist nichts zu machen, der Herr Doktor ist in der Schule und hernach geht er zum Mittagessen und dann wieder in die Schule. Vor fünf Uhr kommt er kaum nach Hause.«
Allmählich dachte sie, es wäre nicht unangebracht, die Herrn die Treppe vollends heraufkommen zu lassen, denn die Musterung war befriedigend ausgefallen, der kurze dicke Herr sah wenigstens ganz respektabel aus.
»Vielleicht wollen die Herrn hereinkommen, in sein Zimmer?«
Sie sagt das mit einem gewissen Selbstbewußtsein und sie zeigt das Zimmer ganz gerne; es ist die gute Stube des seligen Famulus Maier und sie hat immer noch einen Stolz auf ihre schönen Möbel, den polierten runden Tisch, das kleine geblümte Sofa und den Glaskasten mit dem vielen Porzellan.
»Es ist schade,« sagte der dicke Herr, »wir hätten gerne einmal nach ihm gesehen ...«
»Was ganz in Ordnung wäre,« bemerkte Frau Karoline Maier.
»Wieso? Warum? Ich hoffe, er führt sich doch gut auf – mein Neffe?«
Die beiden Herrn haben den Flur betreten und werfen neugierige Blicke umher, aber auf die Bemerkung der Frau Maier kehrte sich der dicke Herr scharf zu ihr. »Ich will doch nicht hoffen, Damenbesuche?«
Frau Maier richtete sich hoch auf. »Aber was denken Sie? Da können Sie gute Ruhe haben. Derlei kommt bei Frau Karoline Maier in der Römerstraße nicht vor, und was außer dem Hause passiert, geht mich nichts an.«
»Außer dem Hause?«
»Hm! Hm! ... Da ist einer, wie der andre. Wissen Sie, wenn man auch nichts Bestimmtes erfährt, aber die Briefchen, die fast alle Tage kommen – da weiß man genug.«
Die beiden Besucher sahen einander an.
»Deshalb ist es gut, wenn einmal jemand nach ihm sieht,« sagte Frau Maier eifrig. »Und auf seine Sachen dürfte der Herr Doktor auch besser acht geben. Die jungen Männer sollten eben heiraten, das ist meine Ansicht. Es verkommt ja alles, Sünd und Schande ist es, es tut einer anständigen Hausfrau in der Seele weh.«
Die beiden Herrn achten nicht auf ihr Geplauder. Es sieht aus, als ob sie ein stummes Gespräch miteinander führen, als ob sie einander mit den Augen Frage und Antwort geben.
Doch in der nächsten Sekunde fahren sie beide betroffen zusammen.
»Sie glauben wohl, ich übertreibe? Sehen Sie her, diese neue Hose, eine teure Hose, und diese Flecken, die er da mit heimgebracht hat. Es soll mich alles täuschen, wenn das nicht Blut ist. Ich bitte Sie, wie bringt er das an seine Hose, wenn er auch nur ein bißchen aufpassen würde.«
Nun steckten alle drei die Köpfe zusammen und besahen die Hose.
»Bei Gott, es ist Blut,« sagte der lange Hagere mit beinahe feierlicher Stimme.
Das Gesicht des andern Herrn zeigte deutlich den Widerwillen, mit dem er sich hütete, das Kleidungsstück anzurühren. »Und dieses Blut ist einige Tage alt!«
Das mußte aber Frau Karoline Maier als gegen sich gerichtet auffassen. »Ob ein oder mehrere Tage alt, das ist alles gleich. Was kann ich dafür, wenn mir der Herr Doktor die Hose erst heute morgen zum Reinigen gibt. Das ist nicht meine Schuld. Ich bin eine pünktliche Frau, aber der Herr Neffe dürfte sich mehr an Ordnung gewöhnen.«
Es kostet Mühe, sie zu beruhigen. Nun drängt sie erst recht darauf, daß die Herrn auch die Wohnung des Doktors betreten, damit sie sehen, daß bei ihr, Frau Karoline Maier, Reinlichkeit und Ordnung herrscht.
Darum öffnete sie die Tür und lud die Herren ein, Platz zu nehmen, bis sie sich selbst eine bessere Schürze umgebunden hätte, denn zum Kleiderreinigen und Stiefelputzen zieht man nicht das Beste an.
Es ist in der Tat ein ganz behagliches Zimmer, etwas altväterisch, aber sauber und bequem. Um den mit einem geflickten, aber reinen Teppich überdeckten Tisch stehen zwei Polsterstühle, wie man sie in alten Haushaltungen noch sieht. In der Mitte des Tischteppichs und auf dem geblümten Sofa aber liegen weiße, gehäkelte Zierdeckchen zur Schonung des Stoffes, und durch die geöffnete Tür des nebenliegenden Alkovens sieht man das frisch überzogene weiße Bett.
Kaum ist Frau Karoline Maier aus dem Zimmer, als die beiden Herrn von ihren Polsterstühlen aufspringen und ihre angenommene Ruhe fallen lassen.
»Entsetzlich, wirklich grauenhaft!« sagte der Polizeirat. »Wer hätte es diesem Menschen zugetraut, wenn schon er mir immer mißfallen hat? Mein Gefühl trügt mich nie ... Die Kleider sind noch mit Blut befleckt. Was wollen Sie mehr, Höhnerlein?«
»Ich für meinen Teil,« versetzte Höhnerlein, »bedarf keines weiteren Beweismittels, Herr Polizeirat. Meine Überzeugung steht fest. Aber man soll der Polizei nicht den Vorwurf machen können, daß sie nicht alles getan hat.«
»So ist es richtig,« sagte der Polizeirat und sie begannen in aller Eile, das kleine Zimmer zu durchsuchen.
Aber nichts Verdächtiges, nichts Bemerkenswertes.
In einer Ecke des Zimmers stand ein Bücherschrank, offensichtlich Eigentum des Doktors. Er enthielt wissenschaftliche Werke in ziemlicher Anzahl, die alten Griechen und Römer, auch die guten alten deutschen Klassiker, wenig Modernes.
An den Wänden hingen einige Bilder, auch Photographien.
Aber auffällig ist, daß kein Frauenbildnis darunter ist. Nicht eines. Das trifft man selten im Junggesellenheim, wenigstens bei den jungen Leuten.
Der Polizeirat konnte eine Bemerkung nicht unterdrücken, doch Höhnerlein lächelte finster. Allen Respekt vor der Ansicht des Herrn Polizeirats, aber ihm genügt, was Frau Karoline Maier in dieser Hinsicht gesagt hat. Ihm ist es mehr als genügend und der Polizeirat muß seinem Untergebenen recht geben. Auch ist der kleine Schreibtisch neben dem Bücherschrank abgeschlossen, und wer weiß, was er enthält. Aber die Durchsuchung der Papiere kann nachgeholt werden, wenn einmal der Richter Einsicht nehmen will.
Vorläufig bleibt also nichts mehr zu tun, als die Stiefelprobe vorzunehmen.
Vorsichtig setzte Höhnerlein das Paket, das er unter dem Arm trug, auf den Tisch nieder, und als er behutsam die Umschnürung löste, enthüllte er den wohlgelungenen Gipsabguß, der im Inselwäldchen abgenommen worden war.
Aber weder in dem Zimmer noch in dem Alkoven fanden sich Stiefel des Doktors, nur ein Paar Filzpantoffel standen verlassen unter der Bettstelle.
»Höhnerlein, Sie müssen die Stiefel holen, die draußen im Flur stehen,« befahl der Polizeirat. »Geben Sie acht, daß man Sie nicht hört, denn es ist besser, wenn die Frau vorläufig noch nichts merkt. Möglicherweise erfahren wir noch mehr von ihr.«
Wie ein Dieb schlich der Polizeiinspektor aus dem Zimmer, wie ein Dieb ging er auf den Fußspitzen über den leise knarrenden Hausgang und holte die Stiefel, wie ein gelernter Langfinger brachte er sie triumphierend herein, während er lautlos die Tür schloß.
»Der Rechte ist's,« sagte der Polizeirat.
Sofort machten sie sich an die Probe.
Eine tiefe Stille herrschte kurze Zeit in dem Zimmer, man hörte nur das leise Atmen der beiden Männer, die sich über den Tisch beugten.
Aber plötzlich, gleichzeitig, brachen sie beide das Schweigen, ohne jede Rücksicht, mit lauter Stimme.
»Identisch!« rief der Polizeirat.
»Identisch!« sagte auch der Polizeiinspektor.
»Ich sah noch niemals eine genauer passende Spur. Sehen Sie, der Absatz ist rechts außen etwas niedergetreten. Sogar dies zeigt die Spur, und sehen Sie, in der Nägelreihe des Absatzes fehlt links der dritte Stift. Vergleichen Sie die Spur! Ein vollkommenerer Beweis läßt sich überhaupt nicht mehr erbringen.«
»Ich habe es gar nicht anders erwartet, Herr Polizeirat,« versetzte Höhnerlein kühl ...
»Gottes Blitz! Was machen denn die Herrn auf meinem Tisch?«
Es ist Frau Karoline Maier, die unter der Tür steht, nachdem sie sich eine ganz frische bunte Schürze über die beiden andern gebunden hat.
Sie steht starr vor Schrecken und im ersten Augenblick durchzuckt der Gedanke ihr Hirn: Es sind Einbrecher, Diebe, Räuber!
Aber sie sieht sofort, daß sie sich getäuscht hat, als sich die Herrn nach ihr umdrehen. Denn Einbrecher bleiben nicht so ruhig, sie sehen auch nicht so ernst und gebieterisch aus, so daß man ganz ängstlich wird.
Nun hat es keinen Sinn mehr, die Maske des Onkels weiter zu spielen.
»Frau Maier,« sagte der Polizeirat mit Würde, »wir stehen hier im Namen des Gesetzes. Ich bin der Vorstand des hiesigen Polizeiamts, Polizeirat Lemberger ... Höhnerlein, zeigen Sie Ihre Legitimationsmarke!«
»Um Jesu Christi willen, was ist passiert?«
Frau Karoline Maier ist zu Tode erschrocken. Noch niemals, und sie ist nun zweiundfünfzig Jahre alt, ist die Kriminalpolizei in ihrem Hause gewesen, und nun gar der Herr Polizeirat selbst, und daß etwas Schreckliches vorgekommen ist, das sieht man den Herrn auf hundert Schritte an.
»Frau Maier, wem gehören diese Stiefel?«
»Herrn Doktor Lieberich.« Sie haucht es mehr, als sie es sagt.
»So muß ich Ihnen eröffnen, daß Ihr Mieter dringend verdächtig ist ...« Doch halt, sie darf es nicht wissen, er unterbrach sich, auf einen warnenden Blick Höhnerleins. »Frau Maier,« fuhr er mit schwerem Ernste fort, »es ist Ihnen verboten, das Allergeringste auszusagen, was Sie hier gesehen haben, insbesondere daß die Polizei hier gewesen ist ... Ich warne Sie eindringlich, schweigen Sie zu jedermann, besonders aber gegenüber ihrem Mieter, falls er je nach Hause kommen sollte. Es ist Ihr höchsteigenes Interesse. Bei dem leisesten Verdacht, daß Doktor Lieberich durch Sie gewarnt wurde, wäre ich genötigt, Ihre sofortige Verhaftung wegen Begünstigung des Täters zu erwirken.« – Frau Karoline Maier muß sich setzen, da ihr die Knie wanken. – »Also wollen Sie sich danach richten ... Die Kleider und Stiefel Ihres Mieters sind beschlagnahmt. Höhnerlein, packen Sie die Sachen zusammen. Und dann so schnell als möglich eine Droschke, damit wir den Herrn Oberstaatsanwalt benachrichtigen. Es ist an der Zeit, sich der Person des Täters zu versichern.«