Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am Morgen vor dem Hochzeitstage kam Albert zu seiner Braut und brachte ihr einen eben empfangenen Brief von Chala, der dessen Glückwunsch enthielt. Dieser war ehrlich und warm. »Gott segne Dich und Alix, die nun Dein ist, die nie mein hätte sein sollen;« schrieb der Graf. »Es ist mir, als wäre ich nun für die Erde befriedigt; als könnte ich über eure Verbindung hinaus nichts mehr wünschen. Beunruhigt euch nicht um mich. Des seltensten Glückes bin ich nicht werth gewesen – jetzt muß eben die Alltäglichkeit mir genügen. Es ist hier wenigstens mehr Bewegung in ihr, als bei euch, und ich lebe mit und gleich den Andern.« Chala war in eine bedeutende Stadt am Rhein versetzt worden. Nach Bertha fragte er auch dieses Mal nicht; er sandte bloß eine Empfehlung an sie mit.
Alix las diesen Brief mit einem matten Lächeln und sagte dann, indem sie ihn Albert zurückgab: »Er hat Recht; Gott segne Sie.« – »Er wird mich ganz gesegnet haben, wenn ich in Ihrem Auge den ersten Blick der Heiterkeit entdecken werde,« antwortete der junge Mann; »und ich hoffe zuversichtlich darauf,« setzte er gläubig hinzu.
Albert war beglückter, als er es aussprechen, kaum sich selbst eingestehen mochte. Da er allein mit dieser Glückesunruhe, nicht recht ausdauern konnte, besuchte er Bertha. Die junge Frau blickte mit einem geheimen Mitleiden in sein leuchtendes Auge. Er brachte ihr den Gruß von Chala; sie dankte mit niedergeschlagenen Blicken, ohne einen Gruß wiederzugeben.
Es giebt Stimmungen, in denen Augen oder Lippen unwiderstehlich übergehen. Albert sprach zum erstenmale über Chala und erzählte Bertha die beiden Gespräche mit diesem, doch nur, um ihn zu entschuldigen. Albert hatte an diesem hoffnungs- und ahnungsvollen Morgen ein so innerliches Bedürfniß nur an das Gute zu glauben, daß er Chala's eigene Anklage eifrig zu entkräften suchte. Er sagte: »Es ist gar nicht möglich, daß er so schlecht gewesen sein sollte, mich ohne irgend einen erklärlichen Grund, nur aus böser Lust damals an meinem Glücke zu hindern und Alix so leiden zu machen; nicht wahr, gnädige Frau, das ist auch Ihre Meinung? Absichtliche Bosheit ist nicht oft auf Erden; denn sie ist die sichtbarste Offenbarung der Hölle, und die des Himmels ist mächtiger. Ich glaube im Gegentheile, Chala hat Anfangs Alix blind und heftig geliebt und ist dann später gewahr worden, daß er wohl des Begehrens, aber nicht der Beständigkeit fähig sei. Auch das ist ein großer Mangel im Charakter, aber doch nur ein Mangel, kein Brandflecken. Die Selbstanklage dann – ich habe oft gehört, daß excentrische Menschen eine Art sonderbarer Eitelkeit darin suchen, sich recht dunkel zu schildern. Das wird es gewesen sein, warum Chala so auf seiner Schlechtigkeit beharrte. Ich meine, das sei eine richtige und freundschaftliche Beurtheilung.« – »Eine freundschaftliche gewiß,« antwortete Bertha, gerührt durch diese ächte Güte. »Aber keine richtige – wollen Sie das sagen?« fragte er aufmerksam. »Graf Chala ist unbeurtheilbar für mich;« erwiederte Bertha peinlich befangen; »er gehört, dünkt mir, zu den für unser Geschlecht unerklärlichen Männern.« Im Herzen setzte sie schmerzlich hinzu: »Die wir eben deswegen lieben.« Albert sagte ihr bald darauf Lebewohl; seine Stimmung war getrübt, ohne daß er sich deutlich erklären konnte, aus welchem Grunde.
Alix schrieb gegen Abend an Gräfin Lodoiska:
»Morgen ist's, Lodoiska; als Mädchen nehme ich Abschied von Dir. Dieser Gedanke – einem Andern, als Carlos anzugehören – eines Mannes werden der gut, edel, aller Liebe voll ist, aber nicht der Geliebte – Gott schütze Dich in seiner ewigen Gnade, daß Du je in diesem Gefühle ringest. Daß die Mutter es mir aus Erbarmen erlaubt hätte, in ein Kloster zu gehen, daß ich hätte leben können, als wäre ich schon eine Gestorbene! Aber ihr Herz wäre nie zu erweichen gewesen, und im Hause fortzuleben, hätte ich nicht länger ausgehalten, ohne wahnsinnig zu werden, und davor hatte ich Grauen, – vor dem Sterben nicht, aber davor. Ach nein, vor dem Sterben nicht; ich habe Gott auf meinen Knieen gebeten, mich zu sich zu nehmen. Dieses Gebet war eine Sünde – ich weiß es wohl, aber ich war so unglücklich. Als Albert sich mir so edel als Beschützer anbot, da kam ein schwacher Glaube in meine Brust – aber ich habe gleich wieder aufgehört, zu glauben – die Genesung ist für mich unmöglich. Ich bin undankbar und unredlich obenein, daß ich morgen die Frau des edlen jungen Mannes werden, mit diesem Bewußtsein mich ihm aufbürden will – doch er ist meine einzige Zuflucht – ich habe den Muth nicht, wieder allein zu bleiben – ach, und Gottes Erbarmen ist ja so groß, wie seine Macht – vielleicht giebt er mir himmlische Kraft, und ich kann das irdische Leben noch erfüllen. – O, bete Du für
Alix.«
Die Jugend in Alix kämpfte angstvoll gegen das erdrückende Geschick. Wir lasen einst in einer italiänischen Novelle von einem schönen jungen Mann, der von seinem Familienfeinde gefangen und in ein eisernes Gemach gesperrt wurde. Dieses verengte durch eine höllische Einrichtung sich sechs Tage lang täglich um ein Fenster und am siebenten schlossen die ehernen Wände sich ganz aneinander und erdrückten den Gefangenen. Etwa so, wie dieser empfunden haben mochte, empfand Alix. Es war ein Todeskampf des Herzens. Im Todeskampfe pflegt man weder logisch, noch consequent zu schreiben.
Der Polterabend der in dieser Gegend altheimisch war, wurde auch der armen Alix nicht erlassen; Bertha und Antonie allein hatten sich mit richtigem Takt von den Aufziehenden zurückgehalten. Alix ließ sich alles mit ihrer gewohnten Geduld gefallen. Als darauf der beginnende Ball ihr einiges Aufathmen erlaubte, – sie bat Albert, nicht tanzen zu dürfen – nahm sie Bertha's Arm und entfernte sich mit der jungen Frau, um sich in der kühleren Luft des letzten und stilleren Zimmers zu erholen. Es war dasselbe, in welchem einst Chala vor Alix gekniet und sie gefragt hatte: »Wollen Sie mein sein?« Die langen rosaseidenen Vorhänge fielen geschlossen vor den Fenstern herab; der Mond schimmerte magisch hindurch in das Zimmer, das eine Lampe nur dämmernd erhellte. Alix streifte einen Vorhang etwas zurück und trat mit Bertha an das Fenster. Es war eine diamantengestirnte Nacht, und der Mond hatte eine wundervolle Klarheit. Alix sah Bertha mit einem seltsamen Blick voll Schmerz und Lächeln zugleich an und fragte: »Sie haben heute einen Gruß von Chala erhalten?« Mit unsicherer Stimme bejahte die junge Frau; Alix fuhr fort: »Wenn ich abgereist bin und Sie sich meiner erinnern, so können Sie sich immerhin auch sagen, daß ich gewußt, warum Chala mich nicht lieben konnte und Sie doch lieb behalten habe.« Erblaßt starrte Bertha zu dem jungen Mädchen auf. »Er hat Sie sehr geliebt, weil er aus Liebeswahnsinn für Sie unedel handeln konnte;« setzte Alix noch hinzu. »O Gott, mein Gott!« rief Bertha schmerzlich, indem sie mit heißen Thränen das schöne blasse Gesicht ihr gegenüber betrachtete. »Ist es Unrecht, daß ich es gegen Sie ausspreche?« fragte Alix. »Aber ich konnte es nur gegen Sie, und es brannte so lange auf meiner Brust.« – »Unrecht – etwas von Ihnen Unrecht, die Sie ein armes, schönes Opfer sind – o, so schön, daß ich es nie begreife, wie er bei Ihnen noch an mich denken konnte? Aber wie konnten Sie es entdecken?« – »Das wäre zu lang, um es zu erzählen, und zu traurig. Ich habe furchtbar gelitten, als ich es errieth und einsah, daß Chala nur aus Erbarmen um mich geworben hatte. Wenn er bloß mich nicht geliebt hätte, da hätte ich gehofft, mir seine Liebe noch zu erringen; doch da er Sie liebte, da blieb mir ja keine Hoffnung mehr, und ich selbst mußte das Scheiden aussprechen.« – »Alix, Sie vergeben mir?« fragte Bertha bittend und zagend. »Ja, ganz, o ganz!« sprach Alix mit himmlischer Innigkeit. »Sie sind ohne Schuld – das habe ich gleich von Anfang an gesehen. Dennoch mußte ich zuerst mit mir kämpfen, um Ihnen nicht Unrecht zu thun; aber Gott sei Dank, er schützte mich in meinem Leid wenigstens vor dieser Schuld.« Die junge Frau faltete unwillkührlich die Hände, wie vor einem verklärten Bilde. »Ein Geständniß nur noch von Ihnen –« sprach Alix zögernd; »hat Chala Ihnen seine Liebe gesagt?« – »Ja;« antwortete Bertha leise; »als Sie ihn aufgegeben hatten – in einem Abschiedsbriefe.« – »Der hat Sie glücklich gemacht, nicht wahr?« fragte das junge Mädchen melancholisch lächelnd. »Ja;« lispelte Bertha noch leiser fast unhörbar. »O, ich glaube es;« erwiederte Alix, neigte sich dann und streichelte das schöne blonde Haar der jungen Frau. »Wie muß er auch Ihre Locken geliebt haben!« sprach sie sanft und betrachtete Bertha durchdringend, gleichsam um deren Lieblichkeit sich unauslöschlich einzuprägen. Bertha weinte unter diesem Blicke; Alix murmelte nach einem Kusse: »Ich vergebe ihm, daß er Sie geliebt.« Das junge Mädchen erschien in diesem Augenblicke gleichsam königlich; es erhöht nichts so, wie eine edle Vergebung. Bertha stand fast gedemüthigt vor Alix; doch gleich darauf fragte diese einfach, ob sie zur Gesellschaft zurückkehren wollten. Es geschah. Bertha war tief traurig. Sie dachte sich, wie dieses unschuldige Mädchen, durch die Liebe unglückselig hellsehend gemacht, Chala's dunklen Charakter bis in die innersten Beweggründe des gefährlichen Mannes enträthselt habe und was das wohl für eine zernichtende Erkenntniß gewesen sein müsse. »Ihr wäre besser gewesen, sein Auge hätte sie nie erblickt;« sprach die junge Frau unwillig für sich. Aber sie setzte nicht hinzu: »Auch für mich wäre es besser gewesen.« Daß er sie geliebt – es blieb doch die ewigeinzige Erinnerung ihres Lebens.
Der Abend endete gegen Morgen; am nächsten war die Trauung; Frau von der Burg hatte es so angeordnet, und ihre Anordnung war festlich und feierlich. Alix sah während der Handlung marmorbleich aus; dann färbte ihr Antlitz sich mit Feuer, ihre Augen entzündeten sich, und dieses Fieber machte sie ungewöhnlich schön und selbst lebendig; denn sie sprach viel und mit Anmuth, und Albert berauschte sich in ihrem Anblicke mit den köstlichsten Hoffnungen. Die Gesellschaft entfernte sich allmählich. Schon vor diesem Abschiednehmen hatte Alix ihrer Mutter leise gute Nacht gesagt und gefragt, ob diese es erlaube, daß Frau von Garnier sie auf ihr Zimmer begleiten dürfe. »Gott, ja, mit allem Vergnügen!« antwortete die Majorin mit Achselzucken über diese neue sentimentale Albernheit. Die junge Frau also half der Braut, die jetzt minder blaß und kalt war, sich entkleiden, küßte sie oft und inbrünstig und schied weinend von ihr. Alix sprach kaum etwas, schien kaum noch ihre Besinnung zu haben. Eine halbe Stunde später trat Albert in das Zimmer. Alix saß bewegungslos, mit starrem Auge in einem Sessel. Albert kam zu ihr; sie machte eine Anstrengung sich zu erheben; er kam ihr zuvor und hob sie empor an seine Brust. »Meine liebe Alix, habe Zutrauen zu mir!« bat er und wollte sie nur ganz sanft küssen; aber die Leidenschaft besiegte ihn, und mit heftiger Glut drückte er seine Lippen auf die ihrigen. Da rieselte ein zuckender Schauer durch ihren eiskalten Körper, und sie brach in seinen Armen zusammen. Entsetzt riß er am Schellenzuge, schrie nach Hülfe. Alles eilte herbei; man glaubte anfänglich noch an eine schreckliche Ohnmacht; aber Alix war todt – erlöst.
Der Kirchhof des Städtchens hatte noch kein so liebliches erlöschtes Leben, keine so schöne Gestalt aufgenommen. Allgemein war die Erschütterung durch diesen Tod. Bertha und Antonie waren außer sich. Die junge Frau bedurfte aller ihrer Geistesklarheit, um sich nicht in den gespenstischen Glauben hineinziehen zu lassen, Alix sei eigentlich ihr Opfer geworden.
Albert hatte in den wenigen Tagen fast bis zur Entstellung gealtert. Es blieb ihm von diesem geträumten Besitz keine einzige von den heiligen Erinnerungen, die sonst an einem geliebten Grabe trösten – nichts als eine schneidende lebenslängliche Eifersucht.
Als er vom Begräbnisse zurückgekommen war, schrieb er an Chala diesen letzten Brief:
»Herr Graf!
Sie haben geglaubt, durch ein bequemes Eingestehen das, was Sie schlecht angefangen hatten, gut endigen zu können um sich so jede Reue zu ersparen; aber diese Rechnung hat sich als falsch erwiesen – wo die Saat das Böse ist, muß die Erndte das Elend sein – auch hier ist es so gewesen, und Sie werden sich in die unangenehme Reue ergeben müssen: Alix, die für einige Stunden meine Frau hieß, ist vor fünf Tagen gestorben, an meinem ersten Kusse; ihre Liebe zu Ihnen hat sie getödtet, um nicht meine Berührung erdulden zu müssen. Ich kann Ihnen nur Glück wünschen – Sie sind hier glänzend und ganz Sieger geblieben – Sie haben das Geschick dieses jungen Mädchens begonnen und vollendet – ruhen Sie aus nach ihrer Arbeit.
Ich? – ich hasse Sie; gerechter oder ungerechter Weise, ich hasse Sie mit einem Hasse, den ich nie auf der Erde geglaubt, – mit aller Liebe, die ich für meine gemordete Braut gehabt – mit aller der Elendserwartung, die vor mir liegt. Geringschätzen kann ich Sie nicht; denn Alix hat Sie geliebt – dadurch sind Sie ausgezeichnet vor uns Alltäglichen allen; aber hassen kann ich Sie deshalb um so mehr, und es wird mein letzter Gedanke sein.
Albert von Andernach.«
Gleich nach diesem Briefe schrieb Albert um seinen Abschied. Er wollte fortan bei seinen Eltern leben. »Die lieben mich wenigstens;« sprach er mit Bitterkeit.
Frau von der Burg erklärte, der hiesige Aufenthalt sei ihr unleidlich geworden. Allerdings hätte das Andenken an Alix sie im Gesellschaftsgeben etwas stören können. Der Major fand im Gegentheile das einzige letzte Glück darin, dem Grabe seines Kindes nahe zu bleiben. Da seine Frau wie gewöhnlich ihre Entscheidung nicht zurücknahm, und er ungewöhnlicher Weise, dieses Mal unerschütterlich auf der seinigen beharrte, so war eine freiwillige Trennung das Ergebniß dieser unvereinbaren Meinungen. Frau von der Burg reiste nach dem Gute ihrer Schwester, der Gräfin Wallishausen ab; der Major blieb in der Meierei und fand in der Blumenpflege seine Beschäftigung. Eduard und Bertha zogen, da eben ein Abnehmer ihrer bisherigen Wohnung sich fand, auf seine Bitte zu ihm hinaus; da hatte er an dem Kleinen eine Freude, an Bertha eine holde Gesellschafterin. Die Erinnerung an sein Kind erlaubte ihm bei seiner Gemüthsart, zwar noch recht friedlich und selbst heiter zu leben; doch war sie darum nicht minder treu, und die schönsten von den Blumen, die er pflegte, gehörten dem einfachen Grabe, wo Alix schlief. Antonie erfüllte oft das Geschäft, es mit ihnen zu schmücken. Ueber ein Jahr war schon vergangen, als sie eines Herbstabends mit den letzten Georginen dasselbe thun und eben in die kleine Kirchhofpforte treten wollte. Da eilte aus dieser ein junger Mann in einen Mantel gehüllt ihr entgegen und mit einem flüchtigen Gruße an ihr vorüber. Antonie stand betroffen still; sie hatte den Grafen Chala erkannt. Später erfuhr man, daß er auf einem Kommando begriffen, einen Umweg über die kleine Stadt gemacht habe. Außerdem empfing man über ihn keine Nachrichten. Ob er vergessen und noch – gleichgültig werden kann – wer weiß es? Glücklich wohl nicht mehr. Die Frau, die er bisher allein geliebt, Bertha, erzieht in häuslicher Einsamkeit ihren Knaben.