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VIII.

Die Nacht war dunkel, trotzdem die Luft klar war und einige Sterne und die eben aufgehende Sichel des Mondes am Himmel sichtbar waren.

Der kleine Stumme hatte auf mich gewartet und faßte, nachdem er die Öffnung des Tepees wieder verschlossen, meine Hand und führte mich in die Dunkelheit hinein.

Unser Weg führte uns an der Rückseite der Zeltreihe entlang und ein Stück über diese hinaus. Dann wandten wir uns wieder zurück und wanderten an der Rückseite der gegenüberliegenden Zeltreihe entlang, dem Versammlungshause zu, das ich gestern bereits bemerkt hatte und aus dem ich jetzt Licht schimmern sah und auch ein undeutliches Gemurmel von Stimmen vernahm. Mein kleiner Führer zog mich nach der Rückseite des Bauwerks, wo er stehen blieb und auf eine kleine Öffnung wies, die, wie ich mich sofort überzeugte, mir einen Einblick in das Innere gewährte.

Im Gegensatz zu den Tepees war das Versammlungshaus, Lodge genannt, ein ziemlich massives Gebäude. Seine Wände bestanden aus dicken Pfosten, die eine Höhe von nahezu drei Metern hatten. Sie umgaben kreisförmig einen dicken Pfosten in der Mitte. Ihre Zwischenräume waren mit Baumzweigen aus gefüllt, die mit Lehm verkleidet waren. Das Dach war ebenfalls aus starken Pfosten gebildet, die durch sprossenartig befestigte Äste untereinander verbunden waren und einer Bedeckung von ausgestochenen Rasenstücken als Stütze dienten.

Der innere Raum hatte einen Durchmesser von wenigstens zwölf bis fünfzehn Metern, wurde aber fast zur Hälfte von einer Anzahl käfigähnlicher Verschläge ausgefüllt, die aus kürzeren Pfosten bestanden und deren Abteilungswände nur aus ineinandergeflochtenen und mit Heu verstopften Baumzweigen bestanden. Bedeckt waren diese Käfige mit Tannenzweigen, und an jedem Pfosten war eilt Tannenbaum befestigt, deren frisches Aussehen darauf schließen ließ, daß sie erst ganz vor kurzem zur Ausschmückung hier Verwendung gefunden hatten. Ein schmaler Gang trennte die Käfige von der Wand des Gebäudes, und hier, an der hinteren Seite, befanden sich Öffnungen, die gerade groß genug waren, daß ein Mensch hindurchkriechen konnte. Die vordere, sonst aber offene Seite war durch die an den Pfosten befestigten dichten Tannenbäume ziemlich vollständig verdeckt. Diese Abteilungen waren von gleichmäßiger Form und Größe und gewährten Raum für einen Menschen in sitzender Stellung.

Sie waren auch alle besetzt, denn ihre Verkleidung von Tannenzweigen war nicht dicht genug, als daß ich nicht dunkle Figuren sich darin hätte bewegen sehen können, wenn ich auch nicht unterscheiden konnte, ob es Frauen oder Männer waren.

An den Wänden herum saßen eine Anzahl Indianer, Männer und Frauen, auf der Erde, die dick mit Tannennadeln bestreut war. Unter ihnen befanden sich Regen-ins-Gesicht und Minnehahas Mutter, die einen Platz nahe am Eingang eingenommen hatte. Übrigens bemerkte ich auch mehrere von denen, die mich in meinem Tepee besucht und denen ich Gegenbesuche gemacht hatte. Das ganze Dorf schien hier versammelt zu sein, und alle hatten sich nach Kräften herausgeputzt, was bei den grellen roten, gelben und blauen Farben, mit denen sie bemalt waren, ein außerordentlich farbenprächtiges Schauspiel gewährte.

Neben dem Mittelpfosten brannte ein großes Feuer, dessen Rauch durch eine Öffnung im Dache Abzug fand.

Auf einer Seite des Feuers stand Schi-pi-ku-pi-neß, das Haupt mit der Krone aus Adlerfedern geschmückt, das Gesicht auf beiden Seiten mit drei nebeneinander laufenden gelben Streifen bemalt und in Galakleidung, die durch die perlenbesetzten Mokassins und einen aus einer wollenen Decke zurechtgeschnittenen Mantel noch eindrucksvoller wurde.

Ihm gegenüber auf der anderen Seite des Feuers saß auf einem Baumblock Minnehaha, die Arme auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen verborgen.

Auch sie war geschmückt, denn in ihrem schwarzen Haar glänzte eine goldene oder vergoldete Spange, große Ohrringe von seltsamer Form hingen in den kleinen zierlichen Ohren, und silberne Reifen blinkten an den zart gebildeten kleinen Gelenken der rotbraunen Arme, die von den weiten Ärmeln einer roten Bluse nur zur Hälfte bedeckt wurden.

Sie saß vollständig regungslos und schien den Dingen um sie her nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Brauner Donner klatschte jetzt in die Hände, und auf dieses Zeichen hin begannen einige aus der Reihe der Umsitzenden eine Anzahl Trommeln zu schlagen, die allerdings nur aus einem mit nicht sehr glatt gespannten Kalbsfellen überzogenen breiten Reifen bestanden. Die übrigen begannen einen Gesang, in dem sich die hochgeschraubten schrillen Stimmen der Frauen die Führung anmaßten, aber recht angenehm durch die tieferen der Männer begleitet wurden. Zu gleicher Zeit sprangen aus der Masse der grünen Tannenreiser, welche die Käfige verkleideten, nahezu ein Dutzend junge Burschen und Mädchen in festlicher Kleidung, mit Schmuck und Zieraten behangen und die Gesichter in allen Farben des Regenbogens bemalt. Jeder der Tänzer hatte eine kleine aus den Beinknochen eines Vogels, wahrscheinlich der wilden Gans, bestehende Flöte im Munde, dekoriert mit schön gefärbten Lederfransen, Glasperlen und Stachelschweinkielen, aber ohne durch diese Verzierungen zu sehr beschwert zu sein, dies jedenfalls mit Rücksicht darauf, daß sie während des ganzen jetzt beginnenden Tanzes nicht mit den Händen, sondern nur im Munde gehalten wurden.

Die Tänzer hatten sich in einer Reihe aufgestellt und bewegten ihren Körper nach dem Rhythmus des Trommelschlages und Gesanges auf und nieder, ohne sich indessen von den Füßen zu erheben. Bei jeder Niederbeugung des Körpers wurde die Flöte geblasen, die einen wunderbar angenehmen Mollton erzeugte, der in den Gesang und Trommelschlag der Umsitzenden harmonisch hineintönte.

Während der ganzen Zeit hielten die Tänzer ihre Augen auf das in der Mitte brennende Feuer gerichtet, während der Braune Donner ihre Bewegungen kritisch zu kontrollieren schien und Minnehaha fortfuhr, den Vorgängen um sie her absolute Teilnahmslosigkeit entgegenzubringen.

Der Tanz mochte auf diese Weise etwas über eine Viertelstunde gedauert haben. Ich hatte bemerkt, daß über das Gesicht des Medizinmannes manchmal ein heftiges Zucken, wie Schmerz, flog und sein Körper sich krümmte, Bewegungen, die ich mir nicht erklären konnte, die aber wohl mit zu dem Zeremoniell gehörten.

Er klatschte jetzt wieder in die Hände, worauf die Musik verstummte und die Tänzer eiligst wieder in ihren Käfigen verschwanden.

Alle Augen richteten sich jetzt auf ihn, als er begann, die Versammelten anzureden.

»Männer und Squaws vom Stamme der Sioux,« sagte er, »ich hoffe, daß die Worte, welche ich heute hier spreche, länger leben werden, als die Wellen, welche entstehen, wenn man einen Stein in das ruhige Wasser eines Teiches wirft. Zuerst entsteht ein kleiner, aber deutlicher Kreis, dann kommen mehr, einer nach dem anderen. Jeder ist größer als der vorhergehende, aber jeder folgende macht einen weniger tiefen Eindruck auf das Wasser, bis sie sich ganz verlieren und die Fläche des Teiches wieder ruhig ist wie zuvor. Der Stein machte das Wasser aufspritzen mit einer Kraft, die die ganze Decke des Teiches in Bewegung setzte, und schon nach wenigen Minuten sieht man nichts mehr davon, und er liegt vergessen auf dem Grunde des Wassers. Ich muß heute zu euch sprechen über ernste Dinge, welche die Wohlfahrt und die Zukunft des Stammes der Sioux betreffen, und ich hoffe, daß ihr Eindruck nicht verschwinden wird wie die Wellen, die ein Steinwurf erzeugt, sondern daß sie noch Frucht tragen werden nach langen Jahren. Die hier gebrauchten Redebilder sind keine Erfindung des Verfassers, sondern der Wirklichkeit abgelauscht und ein charakteristisches Beispiel indianischer Rhetorik.

Wieder lief ein Zucken über sein Gesicht, gefolgt von einem Krümmen des Körpers, und es war diesmal so heftig, daß er erst nach einer Pause wieder fortfahren konnte.

»Unser Stamm ist, wie ihr wißt, ohne einen Häuptling. Pis-qua-pi-ta Haar-im-Knoten., unser letzter großer Häuptling, ist im vorigen Froschmond in die ewigen Jagdgründe, die Kitschi-Manitu für seine roten Kinder bereit hält, eingegangen und hat uns nur eine Tochter zurückgelassen.

Auf dieser Tochter ruht die Zukunft unseres Stammes.

Pis-qua-pi-ta war ein großer Häuptling, aber er wurde von Matschi-Manitu betört und faßte den Gedanken, daß seine Tochter die Künste der Weißen lernen sollte. Ich warnte ihn. Ich sagte ihm, daß die Kinder der Kris, Ojibways und der anderen Stämme, welche mit den Weißen Verträge geschlossen haben und für die man diese Schulen errichtet hat, von ihnen als Christen zurückkommen. Und nicht nur das, sondern das Leben in der Reservation gefällt ihnen dann nicht mehr. Sie gehen in die Städte und sind verloren für ihr Volk und meist auch für sich selbst.

Das alles wissen wir, und deshalb warnte ich Pis-qua-pi-ta, Minnehaha auf die Schule der Weißen zu schicken. Aber er sagte, daß die neue Zeit, in der wir leben, auch neue Anforderungen an die Indianer stellt, und daß diese neue Zeit, wenn wir leben wollten, wie unsere Väter gelebt haben, über uns hinwegstampfen und uns zermalmen würde. Mit den Waffen könnten wir die Weißen nicht mehr bekämpfen. Die Indianer hätten sich früher nicht untereinander bekriegen sollen. Aber die Weißen waren zu verräterisch. Sie mischten sich unter die roten Stämme und hetzten die Apachen gegen die Sioux und die Blutindianer gegen die Schwarzfüße auf. Und wir töteten uns untereinander, anstatt zusammen den Krieg gegen die Weißen zu führen. Was nützte all die Tapferkeit von Sitting Bull und Regen-ins-Gesicht, wenn die Indianer doch nicht unter sich einig waren. Die Weißen jetzt noch mit dem Tomahawk zu bekämpfen, dazu sei es zu spät. Es bliebe uns nur übrig, den Weißen gleich zu werden und ihre Sprache und ihre Künste zu erlernen.

Männer vom Stamme der Sioux, ich weiß es, daß mancher von euch ebenso denkt. Aber es sind Gedanken, die Matschi-Manitu euch eingibt, um das rote Volk zu verderben.

Ich wünschte, meine Zunge wäre scharf wie ein Messer, um euch vor jeder Gemeinschaft mit den Weißen zu warnen. Was haben wir von ihnen zu erwarten? Alles haben sie uns genommen. Das Land, in dem wir einst frei herumwanderten, gehört jetzt den weißen Farmern. Sie können es verkaufen für viel Geld, das uns gehören sollte. Mit den Büffelherden, die uns einst unsern Unterhalt lieferten, haben sie die Massen von weißen Männern gefüttert, die ihre Eisenbahnen bauten. Und nun sagen sie, wir sollen auch unsere Kinder in ihre Schulen schicken, damit sie uns auch noch unsern Glauben an Kitschi-Manitu nehmen.«

Er hielt wieder inne, wieder von merkwürdigen Gesichtsverzerrungen und Krümmungen des Leibes unterbrochen. Die Pause dauerte diesmal länger als vorher, endlich richtete er sich aber wieder empor und fuhr fort.

»Die Missionare sind zu uns gekommen und haben uns gesagt, unser Gott sei kein Gott, und wir müßten an den ihrigen glauben. Er sei der rechte. Was würden sie aber sagen, wenn wir zu ihnen gingen und wenn wir ihnen sagen würden: ›Euer Gott taugt nichts. Kitschi-Manitu, der Große Geist des roten Stammes, ist der rechte Gott. Und ihr müßt an ihn glauben?‹ Würden sie es tun? Nein. Sie würden lachen und sagen: ›Du bist ein dummer Indianer, der nichts weiß! Bringe uns Zeichen, daß dem so ist, wie du sagst!‹

Und, meine Brüder, haben die weißen Missionsmänner uns Zeichen gebracht? – Nein, sie verlangen, daß wir ihrem Worte glauben sollen. Ich habe es versucht. Vor langer, langer Zeit, als das Blut noch jung war in meinem Körper und ich nimmer müde wurde, wenn ich dem Moose oder dem Bären nachschlich. Mehr als vierzigmal ist der Schnee seitdem gefallen. Wir hatten die Bleichgesichter bekämpft in dem Lande, das sie heute die Staaten nennen, und ihren Führer, den General Custer, und alle seine Soldaten niedergemacht. Aber dieser Kampf endete auch die Hoffnungen der indianischen Rasse. Es waren schon damals zuviel Blaßgesichter im Land, als daß wir sie hätten ausrotten können. Wir wußten das; wir wußten, daß wir sie nicht besiegen konnten, aber wir wollten ihre Skalpe, denn sie hatten uns verraten und die Verträge gebrochen, die unsere Häuptlinge mit ihnen geschlossen.

Es war nicht das erstemal. Aber es wäre das erstemal gewesen, daß sie einen Vertrag gehalten hätten. Nichts haben wir von ihnen gesehen als Verrat, Heimtücke, Lüge, Betrug und Grausamkeiten von so unmenschlicher Verruchtheit, selbst gegen unsere Squaws und Papooses, wie kein Indianer sie begehen würde. Die Geschichte der nordamerikanischen Indianerkriege rechtfertigt diese Beschuldigung leider nur zu sehr.
Sie ist – wie die nicht von den Behörden abhängigen Geschichtsschreiber zugeben – eine durch zwei Jahrhunderte sich hinziehende Kette von Treulosigkeit, Infamie, Verrat und kannibalischer Grausamkeit.
Eine Wiederholung erfuhr diese »Zivilisationsmethode« im Spanisch-Amerikanischen Kriege (1898) durch die Greueltaten des Generals Weyler auf Kuba. Sie werden zwar amtlich zu vertuschen gesucht, aber selbst amerik. Konversationslexika sprechen von seinen in diesem Kriege angewandten » Savage methods«. In Verbindung mit der Geschichte der Indianerkriege kann man die Greueltaten des Generals Weyler und seiner Soldaten nicht mehr für ein isoliertes Beispiel inkarnierter Teufelei halten, sondern muß sie als typisch für das amerik. Regierungssystem ansehen.

Wir wurden hart verfolgt und mußten uns in Gruppen von fünfzig und hundert auflösen, die sich dann in Sicherheit bringen mußten, so gut oder so schlecht das ging.

Der Truppe, zu der ich gehörte, gelang es, wie mehreren anderen, über die Grenze nach Kanada zu entkommen. Wir hatten Squaws und Papooses mit uns. Auch meine Squaw, die damals noch jung war und frisch wie ein Morgen im Paarungsmonat Mai., und unser Papoose, ein Mädchen, das vier Sommer geschaut hatte, waren dabei.

Wir zogen weiter, als wir die Grenze überschritten hatten, – immer nach Norden – und weiter nach Norden, um ein Land zu finden, wo die habsüchtigen Weißen noch nicht eingedrungen waren. Dort gedachten wir, unsere Tepees aufzuschlagen, alle Stämme der Sioux zu sammeln und kein Blaßgesicht in unser Land zu lassen. Wenn sie doch kamen, und das würden nur vereinzelte Trapper oder Jäger sein, dann sollten unsere jungen Krieger dafür sorgen, daß ihre Skalpe bald unsere Tepees schmückten. Es waren damals noch nicht so viele Siedler in Kanada wie jetzt, aber es kamen immer neue dazu, und wir waren nicht mehr zahlreich genug, um sie von dort, wo sie sich schon festgesetzt hatten, zu vertreiben. Deshalb hatten wir beschlossen, weiter nach Norden zu wandern, wo wir nur Stämme von Kris antreffen würden, mit denen wir keine Feindschaft hatten. Nebenbei hatten wir aber auch noch einen andern Grund. Jäger, die weit im Norden gewesen waren, berichteten uns, daß dort noch große Herden Karibus vorhanden seien, Herden, viel größer, als irgendeiner von euch sich denken kann. Diese, oft aus Hunderttausenden bestehenden Herden, sind auch heute noch vorhanden. Wir würden dort also Nahrung genug finden, und das war wichtig, da die Weißen die Büffel ausgerottet hatten.

Und so wanderten wir weiter, – immer weiter, – immer nach Norden.

Die Jäger hatten wahr gesprochen, und wir fanden die Herden. Sie waren so groß, daß niemand sie zählen konnte, und wanderten stets gegen den Wind, der Moskitos wegen. Zuletzt kamen wir an einen großen Fluß. Ein Faktor der Hudsonsbay-Compagnie, an dessen Posten wir vorübergekommen waren, hatte ihn Friedensfluß Peace River. genannt. Er war freundlich zu uns gewesen, denn auch die Hudsonsbaygesellschaft wollte die weißen Siedler nicht in das Land kommen lassen, weil das ihren Pelzhandel schädigte und sie wünschte, daß wir ihr im Frühjahr alle Felle bringen sollten, die wir mit unsern Fallen im Winter erbeuteten.

Hier, an diesem Flusse, ließen wir uns nieder, zufrieden, einen Platz gefunden zu haben, wo unsere Büchse uns Nahrung genug schaffen würde, denn wenn wir auch nicht mit Sicherheit auf die Karibuherden rechnen konnten, da sie immer auf der Wanderschaft sind, und man in dem großen Lande niemals wissen kann, wo man sie antrifft, so hatten wir doch Moose, Wapitis und Bären in den letzten Wochen genug gesehen und erlegt, um sicher zu sein, daß wir zu jeder Zeit Lebensmittel im Überfluß finden würden. Wir waren daher auch entschlossen, uns von den verräterischen Blaßgesichtern unser neues Land nicht wieder rauben zu lassen.

Es war in der heißen Jahreszeit, als wir unser Lager am Friedensflusse aufgeschlagen hatten. Nicht lange danach kam ein Missionsmann zu uns. Er war jung und trug ein langes schwarzes Gewand, wie die Missionsmänner in Lebret es tragen. Er konnte auch in unserer Zunge zu uns reden. Unsere jungen Krieger wollten ihn töten, und er sagte, sie könnten es tun, wenn sie wollten, aber zuerst sollten wir die Botschaft hören, die er uns von seinem Gott bringe, der ihn zu uns gesandt.

Wir wollten von seinem Gott nichts wissen, aber zuletzt sagten wir ihm, wir würden seine Botschaft anhören, wenn er dafür eine Botschaft von uns zu seinen weißen Brüdern tragen würde. Sie lautete, daß wir kein Blaßgesicht in unser neues Gebiet lassen, uns aber ruhig verhalten würden, wenn man uns ungestört in unserm Besitze ließe.

Der Missionsmann verblieb eine Zeitlang im Kamp und erzählte uns von seinem Gott. Wir hörten zu, wie wir versprochen hatten. Das war alles. Dann befahlen wir ihm, uns zu verlassen, denn Kitschi-Manitu sei der Große Geist der Indianer, und wir wollten keinen andern. Er war sehr traurig, als er ging, und wir, – nun, ich weiß, es gab viele unter uns, die auch traurig waren, denn er war ein guter Mann.

Bevor er ging, sagte er, wir sollten reichlich für frische Nahrung sorgen, wenn die Schneezeit käme, denn dann würde es sehr, sehr kalt werden, und in diesem Lande würden die Menschen krank ohne viel frische Nahrung. Wir sollten oft einander in den Mund sehen, und wenn wir dort schwarze Flecke bemerkten und wenn die Zähne gar lose würden, so sei das ein sicheres Zeichen, daß die Krankheit über uns gekommen sei. Der Häuptling sollte dann darauf halten, daß alle im Stamme, die Squaws und Papooses nicht ausgenommen, viel Arbeit und Bewegung hätten, damit das Blut im Körper nicht zu dick und träge würde. Es sei das einzige Mittel, die Krankheit zu vertreiben, aber auch das würde nicht viel helfen, wenn wir nicht frische Nahrung hätten.«

Er machte wieder eine Pause, und in seinem Gesicht zuckte es, als ob die Erinnerung an das eben Erzählte ihm einen physischen Schmerz bereite. Dann seinen Bericht wieder aufnehmend, fuhr er fort:

»Die Schneezeit kam. Wir fingen eine Menge Fische an Schnüren, die wir durch Löcher, die wir in das Eis gehackt hatten, in das Wasser ließen, und auch in Netzen. Teils verzehrten wir sie frisch, teils räucherten wir sie über den Feuern in unsern Tepees und Wigwams. Dann kam die große Kälte, und alles Leben erstarb. Das Land wurde zu einer großen Wüste von Schnee und Eis, über der die Stille des Todes ruhte. Kein Ton, als höchstens das Brechen eines Zweiges unter dem fürchterlichen Frost. Die Sonne selbst war geflohen und kam immer nur ein paar Stunden, und das Tageslicht war nichts als ein grauer Frosthauch, der die Luft erfüllte und den Himmel in seinen Schleiern verbarg.

Wir fingen keine Fische mehr, denn der Fluß war bis auf den Grund gefroren, und die Fische waren geflohen nach dem tiefen Wasser. Aber wir brauchten frische Nahrung. Der Missionsmann hatte uns gesagt, wir müßten sie haben, und wir sandten unsre Jäger aus. Es war vergebens. Sie kamen stets ohne Fleisch zurück. Nicht einmal die Spur eines Wildes konnten sie auf tagelangen, ja selbst wochenlangen Wanderungen entdecken. Vier von unsern Jägern, die zusammen ausgezogen waren, kehrten überhaupt nicht mehr zurück. Sie kamen in einem Blizzard um, der zu dieser Zeit losbrach. Wir lebten von geräucherten und gefrorenen Fischen – und alles ging gut. Der Missionsmann hatte gelogen.

Hatte er?

Ich war damals noch kein Muskick-ki-wi-ni-ni, aber es blieb mir doch nicht verborgen, daß langsam, so langsam, daß man nicht wußte, wann es angefangen hatte, mit unserm Stamme eine Veränderung vorgegangen war. Die Frische und Heiterkeit war verschwunden, und eine Ahnung von Unheil schien auf jedem Gemüt zu lasten. Die Kinder, die früher lustig umhergesprungen waren, wurden träge, und die Erwachsenen wollten nicht mehr arbeiten. Wozu denn auch, da wir doch genug Nahrung, wenn auch keine frische, für den ganzen Winter hatten? Sie lagen in den Wigwams auf ihren Lagern von Fellen, oft selbst zu träge, das Feuer zu unterhalten.

Und jetzt fingen wir an, einander in den Mund zu schauen. Zuerst lachten wir – oder versuchten es wenigstens, denn das Lachen klang nicht aufrichtig. Eine geheime Furcht, die nicht hinweggelacht werden konnte, die aber auch niemand eingestehen mochte, schien tief in jedem Herzen zu lauern.

Und dann, eines Tages war es da – das Unheil. Die schwarzen Flecke waren da. Wir sahen sie im Munde eines Mannes, der seit einigen Tagen nicht mehr – aus Faulheit, wie wir erst geglaubt hatten – von seinem Lager aufgestanden war. Die Krankheit war über uns gekommen.

Unser Häuptling, Dead Body, der damals noch jung war, nahm die Sache nun in die Hand. Er gab den Männern Arbeit, sandte sie aus, um Feuerholz zu schlagen. Sie widersetzten sich, und es kam fast zu einem Aufruhr. Aber es half nichts, sie mußten sich fügen. Die Squaws und Papooses mußten hinaus aus den warmen Wigwams in die eisige Kälte, zu spielen, zu laufen, zu springen.

Sie wollten nicht. Die Squaws weinten, und die Papooses schrien, denn es war so bitter kalt. Aber sie mußten. Alle Arten einfältiger Spiele wurden erdacht, nur um sie laufen und springen zu machen.

Es half nichts. Die Krankheit war da. Jeden Morgen war einer, der nicht mehr aufstehen konnte, sein Gesicht dunkelgrau, der Mund geschwollen, das Zahnfleisch wund und die Zähne lose. Sie stöhnten, bis das Stöhnen allmählich verstummte und der Körper sich streckte in der Starre des Todes.

Dann trugen wir ihn hinaus und vergruben ihn im Schnee.

Und die Squaws und Papooses fuhren fort, zu spielen, zu laufen, zu springen. – – –

Sie spielten – spielten um Leben und Tod. Aber jeden Morgen war eine Squaw oder ein Papoose, das niemals mehr spielen, oder ein Mann, der niemals mehr arbeiten oder jagen würde. Sie lagen kalt und steif in ihren Wigwams, bis wir sie hinaustrugen in den Schnee zu den andern.

Jeden Tag trugen wir mehr hinaus. Fast die Hälfte unseres Stammes war der Krankheit bereits erlegen. Und jeden Morgen wurde die Zahl der Toten größer und derer, die sie begraben sollten, kleiner.

Auch unser Papoose war von der Krankheit gepackt worden. Es jammerte und wollte bald auf diese Seite, bald auf jene gelegt werden. Kein Schlaf kam in seine Augen. Tag und Nacht saß die Mutter an seinem Lager, wachend mit brennenden, rotgeränderten Augen. Sie tat alles für sie, was sie konnte. Und wie wenig war das – kwahistuck ! kwahistuck = Ausdruck des Bedauerns. – wie fürchterlich, dazusitzen, ihre Schmerzen anzusehen und ihm keine Linderung bringen zu können.

Dann kam es über die Mutter. Sie brach zusammen und mußte ihr Lager suchen. Ich ging nicht mehr aus, und Dead Body zwang mich nicht mehr dazu. Er sah, daß es nutzlos war und daß ich genug mit meiner Squaw und meinem Papoose zu tun hatte.

Der Missionsmann hatte gelogen! Nicht in bezug auf die Krankheit, aber in bezug auf ihre Heilung.

Bis dahin hatte ich mich aufrecht erhalten. Aber auch ich fühlte bereits, wie die unheimliche Krankheit durch mein Gebein schlich und mein Blut gerinnen machte. Und jetzt kam die Verzweiflung über mich.

Es war nacht, und obwohl der rote Schein des Feuers meinen Wigwam durchleuchtete, schien er erfüllt von schwarzen Schatten des Unheils. Der eisige Sturm draußen schlug gegen die Wände, daß sie bebten, aber ich hörte nur das Stöhnen meiner Squaw und meines Papooses, und ein Gefühl tödlicher Verlassenheit kam über mich.

Und wieder dachte ich an den Missionsmann. Hatte er wirklich gelogen in bezug auf die Heilung der Krankheit? Vielleicht hatten wir mit all unserm Arbeiten und Bewegen im Freien nur deshalb nichts erzielt, weil wir nicht zu seinem Gott gebetet hatten? Hatte er nicht gesagt, der Christengott gibt einem alles, um was man ihn bittet? Ja, ganz sicher hatte er das gesagt. Und wie leicht war es, zu dem Gotte des weißen Volkes zu beten! Man brauchte keinen anderen, der für einen betet. Kein Pa-wa-kun. Man betet selbst. Und man kann zu irgendeiner Zeit und alle Zeit zu ihm beten, während man Kitschi-Manitu nicht zu oft belästigen soll. Vielleicht würde der Gott der Christen, wenn ich zu ihm betete, einen armen, verlassenen Indianer erhören in der Stunde seiner größten Not. – –

Vielleicht? – –

Sicher!

Hatte der Missionsmann es nicht gesagt?

Und ich sank nieder auf meine Knie beim Feuer und sah die Schatten des Unheils nicht mehr, die vorher in den Ecken und Winkeln gelauert hatten, als ob sie den Augenblick erwarteten, sich unversehens auf mich zu stürzen; hörte nicht mehr das Stöhnen meiner Squaw, noch das Wimmern meines Papooses, denn ich betete – betete zu dem Christengott, – – betete, wie ich nie zuvor gebetet hatte. – – –

Die Nacht schritt vor. Das Feuer brannte langsam nieder. Es wurde kalt in der Hütte. Ich merkte es nicht. Ich kniete – und betete – –

Es mußte nach Mitternacht sein, als ich die Kleine nach ihrer Mutter rufen hörte.

Ich schalt sie, sagte ihr, ich wollte alles tun, was sie wünschte, nur sollte sie die Mutter ruhen lassen, die erschöpft sei von ihrer Krankheit und den Nachtwachen und die sicher sterben würde, wenn sie nicht die nötige Ruhe hätte. Aber sie sagte, die Mutter sollte nur kommen und ihr Gesicht an das ihre legen – dann wollte sie schlafen.

Schlafen! Großer Gott der Christen! Er hatte mein Gebet erhört. Viele Nächte war kein Schlaf in ihre Augen gekommen – und jetzt wollte sie schlafen!

Ich brauchte die Mutter nicht zu wecken. Sie hatte selbst in ihrem Erschöpfungsschlafe ihr Papoose gehört, und schwach, wie sie war, und in Schmerzen, kroch sie auf ihren Knien zu ihrem Kinde und legte ihr Gesicht an seine heiße Wange. Und die Kleine schlang ihre Arme um der Mutter Hals und preßte einen Kuß auf ihre Lippen.

›Jetzt will ich schlafen,‹ sagte sie und schloß die Augen.

Ich nahm die Mutter in meine Arme und trug sie zurück nach ihrem Lager, wo sie in einen unruhigen Schlaf völliger Erschöpfung verfiel.

Und wieder sank ich auf meine Knie, betend zu dem Christengott für das Leben meines Kindes und meiner Squaw.

Stundenlang betete ich, alles andere um mich her vergessend. Ja, der Gott der Christen war ein großer Gott, war der wahre Gott, denn er hatte das Gebet eines armen Indianers erhört! – –

Plötzlich wurde ich aus meiner Andacht erweckt durch einen Kältestrom, der langsam, wie eine Totenhand, über meinen Rücken fuhr.

Ich blickte auf.

Das Morgengrauen hatte sich bereits in unsern Wigwam geschlichen, und das Feuer war niedergebrannt bis auf einen Haufen glühender Asche. Es herrschte eine merkwürdige Stille, und das fahle Licht des frühen Morgens machte mich frösteln wie im Fieber.

Ich erhob mich von meinen Knien und trat an das Lager meiner Squaw. Sie schlief. Ihre Brust hob und senkte sich in den schweren Atemzügen eines tiefen Erschöpfungsschlafes.

Dann wandte ich mich zu meinem Papoose. Einen Augenblick wollte ich mich glauben machen, es schlafe auch – aber ich konnte es nicht. Auf dem kleinen Gesicht lag etwas, das mir die furchtbare Wahrheit verriet – und der Gedanke, daß es von mir gegangen sei – von mir gegangen für immer – gegangen, während ich glaubte, der Gott der Christen habe es gerettet, – fiel wie ein betäubender Schlag auf mich. Mit einem halberstickten Schrei der Wut und des Schmerzes sank ich neben dem Lager hin – und weinte – – weinte, wie nur völliger Zusammenbruch von Geist und Körper und der Sturz von höchster Hoffnung zu tiefster Verelendung einen Mann weinen machen kann. – –

Ich weinte, Männer vom Stamme der Sioux, und ich schäme mich nicht, es zu bekennen – denn Minnewawa Singender Wind. war mein einziges Kind.« – – –

Seine Stimme brach in einer anscheinend aufrichtigen Gemütsbewegung. Nur ein einziger Ton kam aus der Versammlung als Antwort. Ein einzelnes Schluchzen. Es kam aus dem Munde seiner Squaw, die, das Gesicht in den Händen verborgen, ganz in der Nähe meines Beobachtungspostens saß. Unter den übrigen herrschte eine tiefe Stille, als ob jeder einzelne die Tragödie dieser einsamen Winternacht in der Eiswüste des Nordens vor seinem geistigen Auge sähe.

Ob Brauner Donner diesen Ton jammervollen Schluchzens gehört hatte, konnte ich nicht entscheiden. Er gab kein Zeichen, sondern fuhr fort:

»Wie lange ich neben dem Lager meines toten Papooses gesessen hatte, ich weiß es nicht, aber nach einiger Zeit, von einer unbeschreiblichen Wut erfüllt, erhob ich mich und schaute umher, als wenn ich aus einer Art Betäubung erwacht wäre.

Was hatte ich getan? Gebetet zu dem falschen, ohnmächtigen Gotte der Blaßgesichter, der mich verhöhnt hatte!

Meine Augen fielen auf ein Bild an der Wand. Der Missionsmann hatte es mir gegeben und gesagt, es sei der Sohn des Christengottes, der einst als Mensch auf der Erde gelebt. Es war nicht groß, das Bild. Er hatte es in einem Buche liegen gehabt, und als er sah, daß mir die schönen Farben gefielen, hatte er es mir geschenkt, und ich hatte es an die Wand meines Wigwams gehangen. Jetzt aber in meiner rasenden Wut riß ich es herunter, zerfetzte es in Stücke und warf diese in die glühende Asche, die sie schnell verzehrte.

Niemals – niemals wieder würde ich zu diesem schwachen, verräterischen Gott beten. Es gab nur einen wahren Gott, den Großen Geist der Indianer. Und wieder sank ich auf meine Knie, aber diesmal vor meinem Pa-wa-kun. Es war auf eine Büffelhaut gemalt und hing an der Wand. Und hier betete ich zu dem Großen Geiste der Indianer, daß er einem armen Indianer, der sich geirrt hatte, aber es niemals wieder tun würde, vergeben möchte. Es war zu spät, mein Papoose zu retten, aber meine Squaw wenigstens sollte er mir lassen und den Fluch der unheimlichen Krankheit, der so viele unseres Stammes zum Opfer gefallen waren, von uns nehmen.

Ich mußte wohl eine lange Zeit gebetet haben und endlich in meiner Erschöpfung und Übermüdung in einen Zustand halber Bewußtlosigkeit verfallen sein, aus dem ich plötzlich durch lautes Hundegebell und eine rauhe, scheltende Männerstimme erweckt wurde. Es mußten fremde Hunde sein, denn die unsern hatten wir längst getötet, um frisches Fleisch zu haben.

Als ich wieder vollständig zu klarem Bewußtsein gekommen war, sah ich einen Mann, in dicke Felle gekleidet, im Wigwam stehen. Ich kannte ihn. Er gehörte zu den Stämmen, die von den Blaßgesichtern Eskimos genannt werden. Er lebte ganz allein in einer Blockhütte nicht viele Meilen von unserm Kamp entfernt, und ich hatte ihn einmal auf einem Jagdzuge besucht. Seine Sprache konnte ich nicht verstehen, aber durch Zeichen hatte er mir erklärt, daß er sich nur während der Schneezeit hier aufhalte, um seine Fallen zu stellen, da er nach Spuren, die er in der heißen Zeit gesehen, geglaubt hatte, daß die Gegend hier besonders reich an Pelztieren sei. Wenn die Zeit kam, wo die wilden Gänse und Enten wieder aus den wärmeren Ländern zurückkehren, dann wollte er seine Stammesgenossen wieder aufsuchen.

Trotzdem er ein erfahrener Trapper war, hatten ihn seine Erwartungen doch getäuscht. Seit Wochen und obwohl er seine Fallen in einem Kreise von vierzig und fünfzig Meilen Englische Meilen je = 1,6 km. Es ist unglaublich, welche Entfernungen man in diesen Breiten als Fußgänger täglich zurücklegen kann, was wohl an der durch die Kälte verdichteten Luft und dem dadurch erhöhten Quantum von Sauerstoff in jedem Liter Luft liegt. aufgestellt, hatte er nicht die Spur eines Pelztieres oder gar Hochwildes gesehen. Zuletzt war die große Stille und Öde dieses eisigen Nordlandes über ihn gekommen wie eine Krankheit. Er mußte Menschen sehen und ihre Stimme hören, wenn auch nur für Stunden. Deshalb war er mit seinem Hundeschlitten nach unserm Kamp gekommen.

Der Blick seines grauen, buschigen Auges wurde ernst, als er mein totes Papoose und meine kranke Squaw sah und erfuhr, wie die tückische Krankheit in unserm Kamp gewütet hatte. Er frag, was wir getan hätten, die Krankheit zu vertreiben. Als ich ihm deutlich machte, daß die Männer gearbeitet und die Squaws und Papooses gespielt hätten, um ihr Blut in Bewegung zu halten, schüttelte er den Kopf, womit er meinte, das sei alles nutzlos gewesen. Dann verließ er den Wigwam wieder, indem er andeutete, er wolle zurückfahren, um aus seiner Hütte ein Mittel zu holen, das uns alle gesund machen würde.

Würde es sich als wahr erweisen, was er sagte? War es die Hilfe, die Kitschi-Manitu uns sandte?

In einigen Stunden war er wieder da mit einem Sack Kartoffeln, den er in Pelz gepackt und mit heißen Steinen umgeben hatte, um sie vor dem Gefrieren zu schützen. Er nahm einige heraus, vorsichtig, als seien sie kostbar wie irgend etwas in der Welt. Dann schälte er sie, ganz dünn, um nichts davon zu verlieren, drückte sie zu einem Brei und preßte den Saft heraus. Als er einen Löffel davon gesammelt hatte, goß er ihn meiner Squaw in den Mund, worauf er nach den andern Wigwams ging, um dort dasselbe zu tun.

Auch mir hatte er einen Löffel voll eingeflößt, denn ich fühlte mich schlecht, und mein Kopf schien zu schwimmen. Trotz der Abstumpfung aller meiner Sinne wunderte ich mich aber doch, daß ein so einfaches Mittel imstande sein sollte, eine so heimtückische Krankheit zu heilen. Aber schon am Nachmittage wunderte ich mich nicht mehr, denn ich fühlte mich besser. Auch meine Squaw war besser, wenn sie auch, als sie erfuhr, daß unser Papoose tot sei, wieder niedergeworfen wurde und bis tief in die Nacht hinein weinte und schluchzte.

Am nächsten Tage gab uns der Eskimo mehr Kartoffelsaft, und am Abend dieses Tages konnten wir nicht mehr daran zweifeln, daß Kitschi-Manitu sich seiner bedient hatte, uns von dem Fluche dieser Krankheit zu befreien. Jeder von uns fühlte sich kräftiger, das weiche, schwammige Fleisch im Munde wurde wieder hart und die losen, wackelnden Zähne wieder fest.

Der Eskimo gab uns zu verstehen, daß der Saft von frischen Kartoffeln das einzige Mittel gegen diese fürchterliche Krankheit sei, und daß er den Sack Kartoffeln gerade für einen solchen Notfall, der ihn zu jeder Zeit selbst treffen konnte, aufgehoben habe. Zu diesem Zweck hatte er eine Höhlung in den Boden seiner Hütte gegraben und darüber flache Steine gelegt, auf denen er stets ein Feuer unterhielt, um seinen Schatz vor Frost zu schützen.

Einige Tage später waren wir alle wieder gesund. Und jetzt hatte ich den Beweis, daß Kitschi-Manitu der einzige Gott ist, zu dem die Indianer beten sollen.

Am folgenden Tage bestatteten wir unser Papoose. Nicht im Schnee, sondern nach unserm indianischen Gebrauche in den Zweigen eines Baumes.

Es war anfangs unsere Absicht gewesen, dauernd zu bleiben, wo wir unser Lager aufgeschlagen hatten, aber die Schneezeit dort ist zu lang und die Kälte zu groß. Deshalb zogen wir, als es wärmer wurde, wieder nach Süden, bis zuletzt die Regierungsmänner uns die Reservationen anwiesen, in denen wir noch heute leben.

Zuerst wollte ich den Platz nicht verlassen, wo unser Papoose ruhte. Aber es war ja nicht mein Papoose, das ich dort zurückgelassen hatte. Die heimtückische Krankheit hatte den kleinen Körper so zerstört und entstellt, daß es nicht mehr mein Papoose war, was ich in Matten und Decken gewickelt und in der Krone eines mächtigen Ahornbaumes beigesetzt hatte, wo sein Geist sich auf den Wind schwingen konnte, um nach den glücklichen Jagdgründen zu reiten, die der Große Geist seinen roten Kindern bereitet hat.

Viele Jahre sind seitdem vergangen. Wir sind alt geworden, meine Squaw und ich. Aber unser Papoose haben wir nicht vergessen, und wir haben niemals zu Kitschi-Manitu gebetet, daß er uns ein anderes geben möchte, denn sein Platz in unsern Herzen sollte nicht von einem andern eingenommen werden.« – – –

Er schwieg, und derselbe Ausdruck eines physischen Schmerzes, den ich schon mehreremale beobachtet hatte, flog über sein Gesicht.

Ich mußte sicher das Urteil, das ich mir über den Mann bereits gebildet hatte, einer Nachprüfung unterziehen. Bisher hatte ich ihn für einen Schuft der allergewöhnlichsten Sorte, einen Heuchler und Intriganten, gehalten und mich darüber gewundert, daß die Indianer, denen es nicht nur nicht an Intelligenz mangelt, sondern die durchweg recht verschlagen sind, sich seiner Führung so willig unterwarfen und nicht durch den dünnen Schleier seiner kleinen und großen Betrügereien zu sehen vermochten. Entschieden war er nicht wählerisch oder gewissenhaft in der Wahl der Mittel, die ihm zum Zweck dienten. Das war sicher. Aber in seinem Haß gegen die Weißen wenigstens und in der Überzeugung, daß er seinen Stamm vor der Annahme des Christenglaubens bewahren müsse, schien er aufrichtig zu sein. Und in welcher Form sich seine Heuchelei auch immer äußern mochte, seine Gefühle als Vater waren sicher echt. Vielleicht hatte er in den Tagen seiner Jugend auch wirklich einen guten, ehrlichen Charakter besessen, der ihm seitdem aber wohl zum großen Teil verloren gegangen war, vielleicht unter dem Einflusse des von ihm später gewählten Gewerbes eines Muskick-ki-wi-ni-ni, das mit Ausnahme einiger überraschender Kuren, die hin und wieder gelingen, kaum etwas anderes ist als eine Spekulation auf die grenzenlose Leichtgläubigkeit des eigenen Stammes. Auf jeden Fall stellte er eine sonderbare Mischung von Gut und Böse, Aufrichtigkeit und Heuchelei, Hingabe an das Andenken seines verstorbenen Kindes und bedauernswerter Schwäche gegen alkoholische Getränke dar. Und in dieser Form und unter diesem Gesichtspunkt wurde er zu einem menschlicheren Problem als in dem psychologischen Bilde, das ich mir ursprünglich von ihm entworfen hatte.

»Und zu diesem ohnmächtigen Christengotte hat man nun auch die Tochter von Pas-qua-pi-ta bekehrt,« fuhr er jetzt wieder fort. »Es ist geschehen, wie ich vorausgesagt hatte, – und auf ihr ruht die Zukunft unseres Stammes! Könnt ihr euch vorstellen, was aus der Zukunft des Volkes der Sioux werden soll in der Hand eines Gottes, der nichts vermag? Ich habe sie gefragt, ob sie den Christengott aufgeben will, und sie sagte nein. Darauf habe ich mein Pa-wa-kun gefragt, und es hat mir im Traume mitgeteilt, daß wir ihr den Christengott austreiben sollen und daß sie die Squaw von Regen-ins-Gesicht werden müsse, wenn unsern Stamm nicht großes Unglück treffen soll. Deshalb habe ich euch zusammengerufen zu einem großen Lodgetanz, damit ihr mir helft bei der Austreibung des bösen Geistes von ihr. Allein würde ich nicht mit ihm fertig werden, aber vor so vielen wird er Furcht haben.«

Damit gab er den Anwesenden ein Zeichen, wieder mit der Musik zu beginnen, während zu gleicher Zeit auch die Tänzer wieder aus ihren Käfigen zum Vorschein kamen. Sie hatten die Zwischenzeit benützt, ihre Kleidung nach Möglichkeit zu verändern und sich vor allem die Gesichter anders zu bemalen. Sie begannen ihren Tanz wie vorher und begleiteten ihn mit ihren kleinen Flöten.

Brauner Donner hatte sich währenddessen hinter die Reihe der Käfige begeben, die nach der Seite der Lodge lagen, auf der ich meinen Lauscherposten eingenommen. Hier hatte er seine Teufelsmaske mit den Hörnern und zwei Büffelfelle zurechtgelegt. Er befestigte die erstere vor seinem Gesicht, während er die letzteren, die wie das Meßgewand eines Priesters zusammengenäht waren, wie ein solches über seine Schultern warf.

Als diese merkwürdige Verkleidung beendet war, begab er sich wieder auf seinen früheren Platz in der Mitte der Lodge zurück und stellte sich vor Minnehaha. Eine Weile versuchte er, den Christengott in ihr durch drohende Blicke, die er durch die Augenlöcher seiner Teufelsmaske auf ihn richtete, einzuschüchtern. Als das augenscheinlich ohne Wirkung blieb, denn das Mädchen verharrte in ihrer Unbeweglichkeit, bückte er sich und stürmte ein paar Schritte mit einem schrecklichen: »Huh–u–uh!« auf Minnehaha los.

Als auch darauf nichts erfolgte, sprang er wieder zurück und wiederholte die Attacke.

Eben war er im Begriff, sie zum drittenmal auszuführen, als er sich plötzlich mit einem Schmerzgeheul zu Boden warf und sich dort krümmte, wie ein Wurm.

»Uf! – Uf! – Uf! – Der Christengott ist in mich gefahren!« schrie er. »Uf! – Uf! – Helft mir! Schafft mich zurück!«

Ich wußte nicht, was diese Komödie bedeuten sollte.

Wollte er damit seine Stammesgenossen an die Wirksamkeit seiner Gott-Austreibungsmethode glauben machen?

Es sprangen tatsächlich einige der Männer hinzu, hoben ihn auf und trugen ihn, während er fortfuhr, zu heulen und sich zu winden und zu krümmen, aus der Lodge hinaus.

Das hieß aber denn doch die Realistik seines Verhaltens weiter treiben, als zur Täuschung der Versammlung unbedingt erforderlich schien.

Hätte es sich nur um diese beabsichtigte Täuschung gehandelt, so hätte er ruhig hier bleiben und seine Grimassen fortsetzen können. Das wäre noch viel eindrucksvoller gewesen. Die Versammlung hier freiwillig zu verlassen, nachdem der Opfertanz kaum begonnen, konnte doch wohl kaum in seiner Absicht gelegen haben. Auch schienen mir seine Krämpfe und seine Gesichtsverzerrungen, die ich ganz deutlich hatte beobachten können, da ihm, als er sich niederwarf, die Maske entfallen und einige Schritte davongerollt war, zu natürlich zu sein, um auf eine bloße Komödie zu deuten.

Er war ja auch schon während seiner Rede mehrere Male wie von kolikartigen Anfällen gepackt worden – und wenn ich zuerst noch über deren Natur vielleicht im Zweifel gewesen war, jetzt war ich es nicht mehr.

Hatte ich nicht in seinem Tepee das Kraut bemerkt, das derartige fürchterliche Koliken hervorruft?

Er hatte mich zweifellos von dem heute hier stattfindenden Opfertanze fernhalten wollen. Daher hatte er mir den Absud dieses Krautes als Tee vorgesetzt, und nur meine Vorsichtsmaßregel des Vertauschens der Schalen hatte es bewirkt, daß er selbst das unglückliche Gebräu genoß. Und während er erwartet hatte, daß ich mich jetzt in Krämpfen auf meinem Lager winden würde und er inzwischen in aller Ruhe Minnehaha gegenüber seinen Hokus-Pokus üben könnte, war das ganze Unheil seiner »bösen Medizin« jetzt über ihn selbst gekommen.

Aber selbst unter den größten Schmerzen hatte ihn seine Durchtriebenheit nicht im Stich gelassen, und er hatte den Anwesenden das Vorkommnis – trotzdem ihm der wirkliche Zusammenhang der Dinge jetzt ebenso klar sein mußte wie mir – damit erklärt, »daß der Christengott in ihn gefahren sei«.

Die Vorbereitungen zu dem heutigen Lodgetanz ließen mich jetzt auch das lebhafte Hin- und Herlaufen im Dorfe, das mir am Morgen aufgefallen war, verstehen. Man hatte jedenfalls nach bestimmter Verabredung nur alles vor mir geheim halten wollen.

Das Hinausbringen des Medizinmannes, dem seine Squaw gefolgt war, hatte einen gewissen Tumult in der Versammlungshalle hervorgerufen, der sich aber sofort legte und einer atemlosen Spannung Platz machte, als Minnehaha, jetzt plötzlich ihre anscheinende Teilnahmslosigkeit und Unbeweglichkeit von sich werfend, auf die Füße sprang.

Sie streckte die Hand wie gebietend über die Versammlung aus, ihre Augen strahlten, und ihr Antlitz flammte. Ihre wunderbare Schönheit war mir noch niemals so zum Bewußtsein gekommen, wie in diesem Augenblicke.

»Das ist das Zeichen, auf das ich gewartet habe!« rief sie aus. »Es ist nicht der Gott der Christen, der in ihn gefahren ist, sondern der Teufel, den ihr Matschi-Manitu nennt. Ich wußte es, daß Gott einen solchen Frevel, wie ihr ihn mit mir vorhattet, nicht zulassen würde. Er hat nichts zu tun mit bösen Menschen, sondern er schmettert nieder, wer sich gegen ihn auflehnt, wie er Schi-pi-ku-pi-neß niedergeschmettert hat. Und auch ihr sollt auf ihn hören. Der Christengott ist kein anderer wie Kitschi-Manitu, nur ist euch dieser falsch gelehrt worden. In alten Zeiten hat er zu den Menschen gesprochen, und was er gesprochen hat, ist in einem Buche ausgezeichnet und wird in den Schulen der Weißen gelehrt.«

Das, was das junge Mädchen hier ohne Sophistik und ohne Künstelei sprach, erschien mir als die einzige Art, den Indianern erfolgreich das Christentum zu predigen. Und wenn die Missionare, die meist ohne Verständnis für indianische religiöse Anschauungen zu ihnen kommen, um ihren Gott vom Throne zu stoßen und einen neuen daraufzusetzen, anstatt dessen dem Beispiel dieses Mädchens hier folgen und auf dem Vorhandenen aufbauen wollten, würden ihre Erfolge nachhaltiger sein. Schließlich ist es wohl auch gleichgültig, ob Gott Jehovah oder Kitschi-Manitu genannt wird, wenn man nur nicht die kleinen und oft kleinlichen dogmatischen Nebensachen, welche die einzelnen Religionen und Kirchen voneinander scheiden, zur Hauptsache macht.

»Männer und Frauen vom Stamme der Sioux,« fuhr sie fort, »höret auf mich! Wenn der Christengott in Schi-pi-ku-pi-neß gefahren wäre, könnte er jetzt nicht aus mir sprechen. Ich würde ihn lästern, wie er ihn gelästert hat. – Und was tue ich? Ich stehe hier, um ihn euch zu verkündigen, und das muß euch beweisen, daß Schi-pi-ku-pi-neß ein Lügner ist. Ich bin aus der Schule der Weißen wieder zu euch zurückgekehrt, eine echte Sioux im Herzen, die keinen heißeren Wunsch hegt, als den Stamm der Sioux wieder groß und mächtig zu machen. Und wenn es nötig ist, daß ich euch einen Häuptling gebe dadurch, daß ich seine Squaw werde, so bringt mir einen ehrlichen Mann, und ich werde – –« ihre Stimme wurde hier unsicher, »ihm sein – – was ich kann.«

»Aber verlangt nicht von mir, daß ich einen brutalen, lasterhaften Menschen, wie Regen-ins-Gesicht, zum Manne nehmen soll. Wenn er unser Häuptling würde, so wäre das der Untergang unseres großen Volkes. Die Zeiten sind schwer für uns Indianer. Man hat uns unser Land genommen, und wo ihr früher den Büffel jagtet, da holt heute der Pflug des Weißen goldne Weizenkörner aus der Erde. Uns ist nichts geblieben als unsere Reservation. Aber mein Vater hat recht gehabt, es ist unnütz, davon zu träumen, daß die alten Zeiten wieder zurückkehren werden. Eine neue Zeit ist gekommen, und in diese müssen wir uns hineinfügen. Das geschieht aber nicht dadurch, daß wir von den Weißen nur ihre Laster annehmen und das Gute, das sie besitzen, von uns weisen.

Schi-pi-ku-pi-neß lügt, wenn er sagt, Kitschi-Manitu habe ihm im Traume geoffenbart, daß ich die Squaw von Regen-ins-Gesicht werden müsse. Kitschi-Manitu, den die Christen Gott nennen, hat keine Verbindung mit schlechten Menschen. Und Schi-pi-ku-pi-neß sagt das nur als Belohnung für den Whisky, den Regen-ins-Gesicht ihm gibt, wie er auch euch heute welchen gegeben hat, um – –«

Ich hörte nichts weiter, denn in diesem Augenblicke schnellte ein schwarzer Schatten neben mir empor und zwei eisenstarke Hände legten sich wie ein Schraubstock würgend um meinen Hals.

»Damn you!« zischte eine heisere Stimme, und das wutverzerrte Antlitz von Regen-ins-Gesicht erschien dicht vor dem meinen.

Ich versuchte, mich loszuwinden, aber es gelang mir nicht. Seine Hände legten sich nur fester um meinen Hals, und ich fühlte, wie mir der Atem abgeschnitten wurde. Mein Angreifer hatte alle Vorteile der Überrumpelung für sich und machte von ihnen den besten Gebrauch. Er stand an meiner Seite, und das ist für den Angegriffenen wohl die schlechteste Lage, um sich erfolgreich zu wehren. Es brauchte aber nur einen Augenblick, um mich von der Überraschung zu erholen, und während ich bereits das Blut in meinen Ohren singen hörte und goldene Sterne mir vor den Augen zu schimmern begannen, stieß ich meinem Angreifer mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, die rechte Faust in die Magengrube. In dem Momente, wo der Schmerz des empfangenen Stoßes ihn ganz unwillkürlich seinen Griff an meinem Halse etwas lockern ließ, machte ich eine Wendung nach ihm hin, obwohl der Hals bei der Bewegung kaum mitfolgen konnte, stieß meine beiden Arme aufwärts zwischen die seinigen und diese dann so wuchtig auseinander, daß auch die eiserne Muskelstärke, über die er verfügte, dem Stoße nicht widerstehen konnte und er meinen Hals fahren lassen mußte.

Inzwischen war mein stummer Begleiter mit allen Zeichen des Entsetzens und seinem gewöhnlichen, schrecklich anzuhörenden Geschrei in das Innere des Versammlungshauses gerannt und hatte den Anwesenden dadurch verraten, daß da draußen etwas Ungewöhnliches vorgehe.

Ich war zwei oder drei Schritte von meinem Angreifer zurückgesprungen und hatte meinen Revolver gezogen.

»Wenn du mir einen Schritt näher kommst. Schuft,« rief ich ihm zu, »schicke ich dir eine Kugel ins Gehirn!«

Ob aus Furcht vor meiner Waffe, oder weil jetzt eine ganze Anzahl Indianer, einige mit brennenden Holzscheiten, die als Fackeln dienten, auf der Szene erschienen – er wiederholte seinen Angriff nicht.

Auf einen Mord, solange nur der kleine Indianerjunge als stummer und daher für ihn ungefährlicher Zeuge da war, wäre es ihm sicher nicht angekommen. Angesichts so vieler seiner Stammesmitglieder aber, deren Verschwiegenheit ihm doch nicht ganz sicher war, war das eine andere Sache, und ich hielt es für richtiger, weil ich durch Minnehaha von der mir keineswegs freundlichen Gesinnung auch der übrigen in Kenntnis gesetzt war, diese durch den Anblick meiner Waffe nicht noch mehr aufzureizen, und ließ daher, in der Mitte der Indianer Deckung suchend, meinen Revolver in die Tasche gleiten.

»Was ist hier los? – Was geht hier vor?« riefen verschiedene Stimmen durcheinander.

»Ein Lauscher,« entgegnete Regen-ins-Gesicht höhnisch.

Es kamen immer mehr Indianer aus dem Versammlungshause heraus. Zuletzt auch Minnehaha.

Als sie mich erblickte und erkannte, sah ich, wie ihre Lippen bleich wurden. Aber sie schwieg.

»Er hat gelauscht!« riefen wieder einige den Neuankommenden entgegen.

»Und wem habe ich dadurch geschadet?« rief ich zurück. »Warum soll ich es nicht mit ansehen dürfen, wenn ihr eure Feste feiert?«

Die meisten der Anwesenden nahmen aber doch, trotzdem ich kaum etwas getan hatte, das sie berechtigterweise hätte aufreizen können, eine drohende Haltung an.

Zum erstenmal nahm Minnehaha jetzt das Wort.

»Geh nach deinem Tepee!« sagte sie in englischer Sprache. »Schnell – ich werde die Leute beruhigen!«

»Aber ich möchte – –«

»Geh, bevor es zu spät ist!« wiederholte sie dringender.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihrer Weisung Folge zu leisten.

»Was hast du ihm gesagt?« hörte ich noch eine tiefe Stimme fragen.

»Ich habe ihm gesagt,« war ihre Antwort, »daß er als Gast der Sioux sicher ist in ihrer Mitte – daß ihr aber seine Anwesenheit nicht länger wünscht, und er wird morgen unsere Reservation wieder verlassen.«

Ich hörte noch ein Durcheinander von Stimmen, einige laut und drohend, andere ruhiger, konnte aber bestimmte Wörter nicht mehr unterscheiden, denn ich hatte, den früher gemachten Umweg jetzt vermeidend, mit meinem kleinen Führer, der sich wieder zu mir gesellt und mir nicht von der Seite gewichen war, mich wieder meinem Tepee zugewandt.

Ein Heer von widerstreitenden Empfindungen bestürmte mich.

Ich wußte nicht recht, ob ich mich über Minnehahas Verhalten freuen oder ärgern sollte. Die Rolle, die sie mir zugeteilt, war keine besonders heldenhafte.

Vielleicht nicht. Und doch gehörte mehr männliche Selbstbeherrschung dazu, einer Horde aufgeregter und teilweise halbbetrunkener Indianer aus dem Wege zu gehen, als sich ihr mit dem Revolver in der Hand gegenüberzustellen. Freilich, die schauspielerische Wirkung fehlte meinem Abgange gänzlich. Ich hatte nur die eine Genugtuung, zu wissen, daß Minnehaha mir das Rechte geraten und ich das Rechte getan hatte. Das ist aber nicht immer von überzeugender Kraft. Man fühlt sich häufig viel wohler, wenn man das Verkehrte getan, dabei aber Gelegenheit hatte, seinen Mut zu zeigen. Der Gedanke also, das Richtige getan, mich dabei aber vielleicht dem Verdachte der Feigheit ausgesetzt zu haben, wirkte nicht sehr erhebend auf mich ein. Dazu kam das niederträchtige Gefühl, daß ich, der ich hierhergekommen war, um ein Indianermädchen zu beschützen, nun gewissermaßen von diesem beschützt worden war.

Unter all diesen Gedanken war ich zu einer Unterhaltung mit der alten Indianerin nicht aufgelegt. Ich erklärte ihr kurz, was vorgefallen war, und warf mich dann angekleidet – nur den Pelz hatte ich abgelegt – auf mein Lager. Mich auszukleiden, schien mir denn doch nicht geraten. Dazu war die Stimmung im Dorfe zu unsicher.

Morgen wollte ich die Reservation verlassen, hatte Minnehaha dem Stamme gesagt. Es war klar, daß ich nicht länger hier bleiben konnte, denn der einzige Grund, um nicht zu sagen die einzige Entschuldigung für meine Anwesenheit, war der, Minnehaha zu nützen. Und das erschien mir jetzt einigermaßen problematisch. Ihr Geschick würde sich erfüllen, wie sie mir geschrieben hatte. Sie war eine Sioux und würde die Squaw eines Sioux werden. Das einzige, was ich noch für sie tun konnte, war, Regen-ins-Gesicht von ihr fernzuhalten.

Und das sollte geschehen.

Morgen möglichst zeitig wollte ich den Kamp verlassen. Das war entschieden. Ich hätte gewünscht, Minnehaha vorher noch einmal zu sehen, um mich mit ihr auszusprechen. Wenn das aber nicht zu bewerkstelligen war, dann mußte es eben unterbleiben. Vielleicht war das sogar das beste. Unsere Wege führten ja nach verschiedenen Richtungen. –

Noch lange lag ich unter solchen Gedanken wach, bis sich schließlich mein Denken zu verwirren begann und ich in einen unruhigen Schlummer sank.


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