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III.

Der Blizzard wütete am andern Tage noch immer, wenn auch mit verminderter Heftigkeit. Es war mir ohne große Schwierigkeiten gelungen, eine Öffnung in die vor meiner Höhle lose aufgetürmte Schneewand zu stoßen. Ein Blick aber, den ich hinauswarf, überzeugte mich, daß an meinen üblichen Rundgang, um nach den aufgestellten Fallen zu sehen, noch nicht zu denken sei.

Als ich mich von meiner kurzen Inspektion der Außenwelt nach dem Innern der Höhle zurückwandte, fand ich die junge Indianerin erwacht. Sie begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln.

» Well, Minnehaha, wie fühlen wir uns heute morgen? Was macht der Fuß?«

»Ich weiß nicht,« kam die zögernde Antwort, »ich habe die ganze Nacht geschlafen. Ich war so müde, weißt du. Aber der Fuß scheint besser. Er schmerzt nur, wenn ich ihn bewege.«

»Laß sehen!«

Ich löste den Umschlag und untersuchte den Fuß. Er war frei beweglich im Gelenk, wenn die Bewegung auch schmerzhaft war. Der Umschlag hatte ausgezeichnete Dienste getan. Die Schwellung war nur unbedeutend, aber eine blaugrüne Entfärbung der Haut, beim Druck schmerzempfindlich, bewies den Bluterguß in die Gewebe.

Ich rieb ihn wieder mit etwas Whisky, massierte ihn leicht, um die Aufsaugung des ausgetretenen Blutes durch die Lymphgefäße zu beschleunigen, und legte einen neuen Umschlag auf.

Dann machte ich das Frühstück zurecht, dem wir beide herzhaft zusprachen.

Obwohl wir so ziemlich zu vollständiger Untätigkeit gezwungen waren, verging der Tag schnell genug. Minnehaha war stets bereit, alle meine Fragen zu beantworten. Sie schien die gewöhnliche Schweigsamkeit der Indianer, die in der Regel selbst durch angebotene Belohnungen nicht zu brechen ist, in der Mission ganz abgestreift zu haben. Der Einblick, den ich am Abend vorher in ihren Charakter getan zu haben glaubte, vertiefte sich dadurch nur noch mehr, und sie offenbarte, ihr selbst ganz unbewußt, eine Intelligenz und geistige Reife, wie sie nur bei denen zu finden ist, die durch eine harte Lebensschule gegangen sind. Zweifellos stand sie geistig weit über dem Durchschnitt ihrer Stammesgenossen. Und doch konnte ich mir keinen Augenblick verhehlen, daß ihr Lebensschicksal untrennbar mit dem ihres Volkes verbunden war und verbunden bleiben mußte, denn auch die geistige Ausnahmestellung, die sie einnahm, konnte ihr nicht die Aufnahme in die Gesellschaft der weißen Rasse sichern, von der ihre rote Haut sie ausschloß.

So vergingen mehrere Tage.

Am dritten Tage hatte der Sturm so weit nachgelassen, daß ich meinen täglichen Rundgang wieder beginnen und einige nötig gewordene Arbeiten, wie Holzschlagen, vornehmen konnte.

Die junge Indianerin war nicht mehr so hilflos. Die Besserung des Fußes machte gute Fortschritte, und sie konnte einige Schritte in der Höhle tun, wenn ihr das auch Mühe kostete und nicht ohne Schmerzen abging. Sie hatte mit einer Selbstverständlichkeit, die keine Einrede zuließ, die Arbeit unseres kleinen Haushaltes, welche aus kaum mehr als der Bereitung der Mahlzeiten bestand, übernommen.

Die langen Abende, die bereits um vier Uhr nachmittags begannen, und bisher recht einsam und eintönig gewesen waren, hatten durch ihre Anwesenheit einen eigentümlichen Reiz gewonnen, und ich benützte die gute Gelegenheit, meine Kenntnisse in der Siouxsprache zu vervollkommnen.

Unsere Unterhaltung bezog sich hauptsächlich auf die indianischen Sitten und Gebräuche, und sie erzählte von den Zeiten, die sie nicht mehr gesehen hatte, aber von denen die Alten an Winterabenden, wenn sie im Tepee um das knisternde Feuer saßen, erzählten. Von den Zeiten, wo noch die ungeheuren Büffelherden über die Prärie stampften, bevor noch der weiße Mann kam, um sie zu Hunderten und Tausenden zu töten als Nahrung für die Arbeiterkolonnen, welche die Kruppschen Stahlschienen Der Verfasser hat im Westen selbst Schienen mit der Marke »Krupp, Essen« gesehen. in die Wildnis hineinlegten, – als die Indianer noch die einzigen Bewohner der weiten, unermeßlichen Grasflächen waren, frei, dahin zu wandern, wohin ihr Nomadentrieb sie führte, – als sie noch reich waren, da der Moose und der Büffel ihnen alles boten, was sie zum Leben bedurften.

Was die Indianer dem Büffel alles verdankten, ist kaum zu sagen. Jedes Stück des Fleisches wurde konserviert und getrocknet, so daß es monatelang haltbar blieb, ohne etwas von seinem Nährwert oder seiner Schmackhaftigkeit einzubüßen. In den Jahreszeiten, in denen die wilden Vegetabilien fehlten, die sonst für die nötige Abwechslung in der Speisekarte sorgten, lebten und existierten sie ausschließlich von Büffelfleisch. Die Felle wurden zu weichem Leder gegerbt, das sie zum Bau ihrer Wigwams (Hütten) und Tepees gebrauchten. Die mit ungemeinem Geschick behandelten und kunstgerecht geräucherten Büffelhäute dienten ihnen zur Kleidung und zur Anfertigung von Mokassins. Die ungegerbten Häute wurden zu Sätteln und Zügeln und zu Lassos und Riemen benutzt. Aus den Hörnern schnitzten sie Löffel und Trinkbecher. Das Gehirn diente ihnen zum Gerben der Häute. Die Knochen wieder lieferten ihnen die verschiedenen Werkzeuge, die sie zur Verarbeitung der Felle gebrauchten, und dienten außerdem als Sattelhörner, an denen das aufgerollte Lasso hing, und zu Kriegskeulen. Oder sie wurden zerstoßen und das Mark herausgeschmolzen oder gekocht. Die Sehnen wurden getrocknet, und die feineren fanden Verwendung als ›Zwirn‹ bei der Anfertigung ihrer Kleidung, die stärkeren dagegen als Sehne für ihre Bogen, die sie mit Vorliebe auch noch dann benutzten, als ihnen der weiße Mann schon längst die Büchse mit ihrem Blitz und Knall gebracht hatte.

Die Füße und Hufe wurden ausgekocht und der daraus gewonnene Leim zum Befestigen der Pfeilspitzen und zu hundert anderen Zwecken verwendet. Das lange Haar vom Kopfe und den Schultern wurde in dünne Zöpfe geflochten und hing als Zierde von ihren Sätteln oder an ihren Tepees, oder es wurde als ein recht wirksamer Wedel benützt, um die in den Sommermonaten unerträglichen Fliegen und Moskitos zu verjagen.

Die Indianer waren stolz auf ihre Geschicklichkeit und Kühnheit in der Jagd auf diese Tiere und dies besonders, wenn sie ein gutes, auf die Büffeljagd dressiertes Pferd besaßen. Und Kühnheit war sicher ein unentbehrliches Erfordernis für die Büffeljagd, denn die Bullen waren bösartige Burschen und manche brave Rothaut verdankte ihr Entkommen ausschließlich den windesschnellen Sprunggelenken seines struppigen Ponys. Selbst bei der Büffeljagd wurden Bogen und Pfeile benutzt, und es wird an den Lagerfeuern erzählt, daß mehr als einmal ein indianischer Büffeljäger seinen Pfeil durch ein Tier hindurch in ein anderes schoß.

Die Zubereitung der Felle erfolgte durch die Frauen in der folgenden Weise. Nachdem sie von dem Körper des getöteten Tieres abgestreift waren, wurden sie über einen Baumast gehangen und alle noch daran haftenden Fleisch- und Fettreste mit einem Instrument abgekratzt. Dieses Instrument, gewöhnlich aus dem Unterschenkel eines Vorderbeines angefertigt, das zuerst auf einem Steine flach und scharf gefeilt worden war, hatte an seinem Gelenkende scharfe Zähne wie ein Sägeblatt. Der als Handgriff benutzte Teil war mit Büffelsehne umwickelt, die in eine über das Ende hinausragende Schlinge auslief. In dieses wurde der Arm gesteckt, um bei der Arbeit einen festen Halt zu haben.

Nachdem das Fell von allem Fett und Fleisch gereinigt war, wurde es auf der Erde ausgespannt mit den Haaren nach oben, bis die Sonne es ausgetrocknet hatte. Wenn es dann zu Leder verarbeitet werden sollte, wurden die Haare mit einem andern Werkzeug, das einer kleinen Hacke glich und gewöhnlich aus einem Wapitigeweih hergestellt und in gleicher Weise auf dem Steine scharf geschliffen war, abgekratzt. Wenn das geschehen war – und die indianischen Frauen erwiesen sich als außerordentlich geschickt darin – wurde es für einige Minuten über ein Feuer gehangen, dann wieder auf den Boden ausgespannt und mit Fett eingerieben, worauf es noch einmal über das Feuer kam, bis das Fett vollständig von dem Leder aufgesogen war. Damit war die Prozedur aber noch nicht zu Ende. Es wurde jetzt eine Mischung von Büffelgehirn und einer Pflanze, von den Indianern Wurmholz genannt ( Artemisia absinthium), in das Leder gerieben, bis auch diese Substanz völlig aufgesogen war. Danach strich man gekochte Büffelleber, zu Brei zerstoßen, darüber und goß dann vorsichtig, um die Masse nicht herunterzuspülen, warmes Wasser darüber, bis das Leder gut durchweicht war. Darauf faltete man es zusammen, ließ es über Nacht liegen, und am andern Tage wurde es über eine Stange gelegt und alle Reste des Gehirns, Wurmholzes und der Leber sorgfältig abgekratzt. Dann wurde es gewaschen und ausgerungen, bis es trocken war.

Das Ausringen geschah auf die Weise, daß man das Leder um einen jungen Baum und kurzen dicken Stock wand, der dann herumgedreht wurde, bis auch der letzte Tropfen Feuchtigkeit aus dem Leder herausgepreßt war. Danach wurde es wieder in die Sonne gehangen, aber häufig wieder abgenommen, gerieben und geknetet, bis es weich war wie Flanell. Diese letzte Manipulation war stets die ermüdendste, besonders bei den Fellen von älteren Tieren, die viel Arbeit erforderten, bevor sie weich und geschmeidig wurden.

Das so zubereitete Leder war immer ziemlich weiß. Wollte man es zu Mokassins oder anderen Kleidungsstücken verarbeiten, so hing man es in den Rauch. Das geschah, indem man die Haut zu einer Art Sack zusammennähte und diesen mit der Öffnung nach unten über ein Loch in der Erde hing, in dem man durch verrottetes Holz oder Büffellosung, die man in Brand setzte, einen tüchtigen Qualm erzeugte. Wenn die eine Seite auf diese Weise genügend bearbeitet war, wurde der Sack umgestülpt und die andere Seite auf die gleiche Weise behandelt.

Das so hergestellte Leder war von prächtiger Weiche, und kein Regen, keine Feuchtigkeit konnte es wieder hart und spröde machen.

In Fällen, wo es zu Verzierungen verwendet werden sollte, färbte man das Leder mit Farbstoffen, die man aus den Wurzeln verschiedener Pflanzen gewann. Man dekorierte es mit Perlen, Muscheln und Stacheln des Stachelschweins, und die lebhaften Farben, die man in der Regel wählte, machten und machen auch noch heute – denn in bezug auf Kleidung sind die Indianer ihren Überlieferungen treu geblieben, mit dem einzigen Unterschied, daß diese nicht mehr aus Büffelleder, sondern aus Moose- oder Wapitileder hergestellt ist – festliche Gelegenheiten der Indianer zu einem so farbenprächtigen Schauspiel.

Von dem Fleische der erlegten Büffel, soweit man es nicht frisch bei den nächsten Mahlzeiten verzehrte, wurde jedes Stück sorgsam konserviert, und kein Pfund davon durfte verderben, auch wenn die Jäger des Stammes in den heißen Monaten zehn, zwanzig und noch mehr Büffel auf einem einzigen Streifzug erlegten.

Das Fleisch wurde von den Knochen losgelöst und in dünne Scheiben oder Streifen geschnitten, was nach einem glücklichen Jagdzuge oft sämtlichen Squaws des Stammes Arbeit gab. In dieser Form wurde es dann auf ein Stangengerüst gehangen, unter dem man ein Feuer unterhielt, bis die Trocknung und Räucherung beendet war. Unter Mithilfe der Sonnenglut war das in der Regel schnell genug geschehen. Man hatte nur darauf zu achten, daß es häufig genug gewendet wurde, um Hitze und Rauch gleichmäßig darauf einwirken zu lassen, was für die Konservierung unbedingt erforderlich war.

Wenn es zu Pemmican verarbeitet werden sollte, wurde es in eine Tierhaut gewickelt und mit schweren Knüppeln zu Pulver geschlagen. Unter dieses Pulver wurde dann genügend Fett gemischt, um es für die Verpackung in Lederbeuteln geeignet zu machen. Häufig mischte man auch getrocknete Saskatoonbeeren darunter, und in dieser Form hatte ich das Pemmican bei meinen Freunden, den Kris, in deren Tepees ich auf meinen Streifereien in Kanada manchen Tag und manche Nacht zugebracht hatte, als eine ausgezeichnete Delikatesse schätzen gelernt.

Das alles und noch viel mehr erzählte mir die junge Sioux, während der rote Schein des Feuers die Höhle erleuchtete. Nicht im Zusammenhange, sondern in Absätzen und als Antwort auf gelegentliche Fragen von mir. Und ich saß meist rauchend auf meiner Lagerstatt, lauschte der wohllautenden Stimme und vergaß darüber ganz die Welt da draußen, die für uns beide so verschiedene Pfade vorgezeichnet hatte. – –

Fünf oder sechs Tage waren in dieser Weise vergangen. Dem Sturm war eine etwas mildere Temperatur gefolgt, die nicht mehr als zehn Grad Kälte betragen mochte.

Ich hatte meinen gewöhnlichen täglichen Rundgang gemacht, der heute besonders erfolgreich gewesen war, da ich neben zwei kolossalen Buschwölfen auch noch einen Luchs erbeutet hatte.

In der besten Stimmung näherte ich mich der Höhle und wollte eben das kräftige » Halloh« erschallen lassen, mit dem ich mich gewöhnt hatte, mein Kommen anzumelden, als ich plötzlich Stimmen vernahm.

Sie kamen aus der Höhle, und ich war davon so überrascht und auch etwas beunruhigt, daß ich meine Schritte unwillkürlich anhielt.

Es war die tiefe kräftige Stimme eines Mannes, mit der sich manchmal die schwächere meines Schützlings mischte.

Wie kam dieser Fremde hierher?

Ich war noch zu weit entfernt, als daß ich die gesprochenen Worte hätte verstehen können, aber der laute, drohende Ton bewies, daß die junge Indianerin sich mit dem Fremden, wer immer dieser sein mochte, im Streite befand.

Als ich etwas näher kam, sah ich im Schnee die Eindrücke von Mokassins. Gleichzeitig wurden mir jetzt auch die gesprochenen Worte verständlich, obwohl der Streit in der Siouxsprache geführt wurde. Ich hatte aber inzwischen in dieser solche Fortschritte gemacht, daß mir wenigstens jedes von Minnehaha mit ihrer reinen klaren Stimme gesprochene Wort verständlich war. Ihr Stammesgenosse sprach in rauhen, halb heiseren Tönen, und ich hatte Mühe, ihn zu verstehen.

Ich machte noch einige Schritte geräuschlos vorwärts und horchte.

»Geh fort von hier,« hörte ich Minnehaha rufen. »Du bist betrunken!«

»Oh, bin ich?!« war die von einem heiseren Lachen begleitete Antwort. »Hat ... Indianer nicht selbe Recht, Whisky zu trinken wie Weißer?«

»Nein, das hat er nicht. Du weißt, es ist verboten, und es steht strenge Strafe darauf. Du bist immer betrunken. Wo bekommst du den Whisky her?«

Wieder erklang das grölende Lachen.

»Dort, wo der herkommt, gibt's noch mehr. Aber komm jetzt!«

»Ich habe dir schon gesagt, daß ich nicht mit dir gehe.«

»Du mußt. Was tust du überhaupt bei dem Weißen hier?«

»Er hat mich während des Blizzards draußen im Schnee gefunden und meinen Fuß geheilt, den ich gebrochen hatte. Er ist ein Muskick-ki-wi-ni-ni von Winnipeg.«

»Damn him! Er soll bleiben bei seinen Leuten. Die roten Mädchen gehören dem roten Manne.«

»Was redest du da,« war die in erzürntem Tone gegebene Antwort. »Ich sage dir, du bist betrunken. Pack dich fort!«

»Du kommst mit!«

»Laß mich in Ruhe, ich geh nicht mit.«

»Oho, Indianer ist dir wohl schon nicht mehr gut genug? Hast wohl Weißen lieber? Hilft aber nichts! Was hat Indianerin mit Weißen zu tun? Komm jetzt. Kannst nicht bleiben bei Weißen. Also sträube dich nicht.«

»Laß mich los, oder ich rufe um Hilfe!«

Offenbar rangen die beiden miteinander in der Höhle.

»Willst du Weißen ... damn him – zu Hilfe rufen? Laß ihn kommen. Ich werde ihn dorthin schicken, wohin ich Hund von Steuerpolizei vor ein paar Jahren – – –«

Er brach plötzlich ab, als habe er in seiner Betrunkenheit schon zu viel gesagt.

»Komm jetzt, oder ... Gewalt und bei Matschi-Manitu, wenn ... rufst, stoße ich ihm Messer zwischen Rippen, um ihm Appetit auf indianische Mädchen zu verleiden!«

Mit einem Sprunge war ich in der Höhle, wo ein breitschultriger Indianer Minnehaha am Arm gefaßt hielt und die sich Sträubende vorwärtszuziehen versuchte. Die wollene Decke lag am Eingang der Höhle, offenbar von dem Burschen heruntergerissen. Er hatte noch das letzte Wort auf der Zunge, als ihm meine Faust mit einem so wuchtigen Stoße unter das Kinn fuhr, daß er wie ein gefällter Baum zurückschlug und aus der Höhle heraus in den Schnee rollte. Der Schlag schien ihn in seiner Betrunkenheit halb betäubt zu haben, denn es dauerte eine kleine Weile, bevor er sich mit einigen plumpen und ungeschickten Bewegungen wieder erhob und einen Anlauf nahm, sich auf mich zu stürzen.

Ich war darauf vorbereitet, hatte schnell meinen Revolver aus der Tasche geholt und richtete den Lauf der gespannten Waffe auf ihn.

»Wenn du einen Schritt tust, Rothaut,« rief ich ihm in englischer Sprache zu, unbekümmert darum, ob er sie verstand oder nicht, »blase ich dir dein schuftiges Gehirn aus dem Schädel!«

Die Drohung mußte doch verstanden worden sein, denn er blieb stehen und richtete ein wutverzerrtes Antlitz auf mich, dessen Ausdruck durch die roten und gelben Streifen, mit denen es bemalt war, nicht gemildert wurde.

Zum ersten Male konnte ich ihn jetzt näher ins Auge fassen. Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, von untersetzter Gestalt. Sein Gesicht zeigte eine häßliche graubraune Farbe, die er durch die Bemalung wohl zu verschönern versucht hatte. Gekleidet war er in einen aus einer dicken wollenen Decke geschnittenen Mantel, dessen Kapuze jetzt zurückgeschlagen war. Das lange, dicksträhnige, schwarze Haar war in der Mitte geteilt und in Zöpfen geflochten, die über seine Schultern hingen. Seine Beine steckten in engen Hosen von weichem Leder mit Streifen von rotem und blauem Muster. Die Füße waren mit Mokassins bekleidet, deren Schäfte mit Tiersehnen verschnürt waren.

Eine Weile starrte er mich mit frechen, unverschämten Blicken an.

»Mebbiso, Verstümmeltes Englisch. Unter den Indianern sehr gebräuchlich. Soll heißen: May be so = Mag sein so. du schlägst mich und mebbiso, du hast Pistol. »Damn it!« rief er in dem unter den ungeschulten Indianern üblichen Pitschin-Englisch, »Mebbiso, nur treffen uns wieder!«

Ein haßerfüllter Blick vervollständigte die unausgesprochene Drohung. Dann, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, wandte er sich ab und schritt langsam über den Schnee, bis er hinter einer Gebüschgruppe verschwand, nicht aber, ohne vorher noch die Faust drohend gegen mich zu schütteln.

Ich befestigte die Decke wieder vor dem Eingang und wandte mich nach dem Innern der Höhle.

Minnehaha war auf ihr Lager gesunken, hielt ihr Gesicht mit den Händen bedeckt, und das konvulsivische Zucken ihres Oberkörpers verriet, daß sie in ein heftiges Schluchzen ausgebrochen war.

Ich versuchte, sie zu beruhigen, indem ich ihr die Hand auf die Schulter legte, und sagte: »Sei ruhig, Minnehaha, du bist unter meinem Schutz hier.«

Sie gab keine Antwort, aber ihr Schluchzen wurde heftiger.

Ich hielt es für das beste, sie für einige Zeit allein zu lassen, bis sie ihre Fassung wieder gewonnen hätte. Ich konnte überhaupt nicht begreifen, warum sie diese so vollständig verloren zu haben schien. Es handelte sich doch um weiter nichts, als daß ein betrunkener indianischer Schuft frech geworden war und dafür eine gehörige Abfuhr erhalten hatte.

Meine Felle hatte ich draußen abgeworfen, als ich mich auf den Indianer stürzte, der, wie ich keinen Augenblick zweifelte, der Herr Regen-ins-Gesicht war, von dem die Indianerin mir berichtet hatte. Sie waren natürlich steif gefroren, aber wenn ich sie ein paar Stunden ans Feuer hing, würden sie wieder weich genug für die Spannbretter werden, auf denen sie trocknen müssen, um glatt zu bleiben.

Ich schlug dann noch Holz, um für einige Tage Vorrat zu haben. Denn durch die Anwesenheit meines unerwarteten Gastes war mein auf etwa vier Wochen berechneter Proviant früher aufgebraucht worden, und es war notwendig, daß ich mich am folgenden Tag auf den Weg machte, um in Rocanville oder Esterhazy für Ersatz zu sorgen. Meine Fallenstellertätigkeit hier vorzeitig aufzugeben, lag nicht in meiner Absicht. Auch der Fuß meines Schützlings, obwohl besser, verlangte doch noch einige Schonung. Mein Wunsch, sie noch etwas länger hier zu behalten, entsprang auch zum Teil daraus, daß ich noch immer unschlüssig war, wie ich ihr etwa helfen sollte.

Als ich nach einer guten Weile wieder in die Höhle zurückkehrte, fand ich Minnehaha ruhig wie sonst und mit der Zubereitung der Mittagsmahlzeit beschäftigt. Der Sturm ihrer Empfindungen schien sich gelegt zu haben, aber sie war schweigsam und blieb auch den ganzen Nachmittag so, und ich überraschte sie oft, daß sie auf ihrem Lager saß und nachdenklich vor sich hinstarrte. Sie gab zwar auf meine Fragen Antwort, aber immer nur kurz und in einer Weise, die erkennen ließ, daß ihre Gedanken stets weitab von der Sache waren.

Am Abend, als wir wieder am Feuer saßen, begann mir diese Stimmung unbehaglich zu werden, und ich bat sie, mir etwas zu singen. Ich hatte sie noch nicht singen hören.

Sie sah mich einen Augenblick wie erschrocken an und schien eine verneinende Antwort auf den Lippen zu haben. Wenn das aber der Fall war, so hielt sie sie zurück, denn sie fragte: »Was willst du hören?«

»Irgendein Lied deines Volkes.«

»Du weißt, wir haben keine Lieder mit bestimmten Worten, denn der Indianer hat keine Schrift, um seine Lieder niederschreiben zu können.«

»Ich weiß,« nickte ich, »aber ihr habt doch bestimmte Gesänge, welche die Kinder von ihren Eltern lernen und welche die Eltern wieder von ihren Eltern gelernt haben.«

»Das ist wahr, und ich will dir etwas singen, was die Frauen unseres Stammes singen, wenn sie an Sommerabenden am Flusse sitzen. – Weißt du, woher der Qu'Appelle-River seinen Namen hat?«

»Qu'Appelle-River? Das heißt so viel, wie der Wer-ruft?-Fluß. Ich muß gestehen, ich habe noch nicht darüber nachgedacht, woher der Name stammt.«

»Er hat den Namen von dem Echo, das man in den Bergen hört, die in unserer Reservation seine Ufer bilden. Du mußt wissen, daß der schönste Teil des Flusses in unserer Reservation ist. – Ich will dir davon singen, wie das Echo entstanden ist.«

Und sie begann zu singen, in eigentümlich hohen Kehltönen, die wie eine Flöte klangen. Es war keine Melodie mit einem bestimmten Rhythmus; kein schneller Wechsel von hohen und tiefen Tönen, aber es schlug bei all seiner anscheinenden Einförmigkeit den Hörer in Bann.

Sie sang von einem Indianermädchen, das vom Flusse her die Rufe des Geliebten zu hören glaubte und ihr Rindenkanu bestieg, um ihm entgegenzufahren. Man hatte niemals wieder von ihr gehört. Aber ihre Stimme war von den Wassern des Flusses festgehalten worden und antwortete in klagenden Tönen, wenn man rief.

Der Geliebte, der kurze Zeit, nachdem sie ihr Kanu in den Fluß geleitet hatte, im Dorfe erschien und nach ihr suchte, konnte nicht einmal das Kanu wiederfinden. Aber in mondhellen Nächten erschien es manchmal wieder mit der schönen Schifferin auf dem Wasser, um jedoch sofort in Nebel zu verfließen, sobald jemand sich ihm nähern wollte.

Niemals hatte ein Lied einen gleichen Eindruck auf mich gemacht. Die eigentümliche, seltsam wohllautende Stimme, die einmal leise silbern klang, wie die plätschernden Wellen des Qu'Appelle-Rivers, dann wieder hohl und klagend wie das Echo oder hoffnungslos sehnsüchtig, wenn sie die Rufe des Geliebten wiedergab, tönte wie unwirklich an meine Ohren, während draußen die Bäume im Froste knallten und hier in der Höhle die roten Flammen an dem duftigen harzigen Holze emporleckten.

Nachdem Minnehaha das Lied beendet hatte, schien sie noch schweigsamer zu werden und noch tiefer in Nachdenken zu versinken, bis sie schließlich erklärte, müde zu sein, und zeitiger wie sonst das Lager suchte.

Auch ich streckte mich auf dem meinigen aus, da ich am andern Morgen früh meinen Marsch nach Rocanville antreten wollte, aber es war schon gegen Mitternacht, als ich endlich in Schlaf sank.

Es mußte wohl schon gegen Morgen sein, als ein eigentümlicher Traum meine Sinne umfangen hielt. Es war anscheinend ein Sommerabend, und ich stand am Ufer eines Flusses, dessen Spiegel im Zwielicht des Mondes seltsam erglänzte. Plötzlich sah ich auf den Wellen ein Birkenkanu erscheinen, in dem ein wunderschönes Indianermädchen stand und mir zuwinkte. Ich überlegte nicht. Eine unbekannte Gewalt zwang mich, in das Wasser zu steigen und nach dem nicht weit entfernten Kanu hinüber zu schwimmen. Das erforderte nicht die geringste Anstrengung, das Wasser trug mich fast allein nach dem Boote. Als ich es erreicht hatte und seinen Rand erfaßte, beugte sich die junge Mädchenerscheinung darin zu mir nieder und drückte einen Kuß auf meine Lippen. Und das Gefühl dieses Kusses war so deutlich, daß ich darüber erwachte.

Es mußte schon spät sein, denn Minnehaha stand an meinem Lager.

»Du bist wach,« sagte sie, indem sie sich abwandte und das Feuer zu schüren begann. »Ich habe das Frühstück fertig.«


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