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Schönberner hatte sich am nächsten Tage bereit gefunden, auf Burkharts Bedingungen einzugehen. Er hatte seine Forderungen ohne viel Nachdenken überhaupt nur gestellt, weil sie auch von anderen gestellt wurden. Die Höhe der Abzahlungen war ihm aber ziemlich gleichgültig, und er ließ sich leicht davon überzeugen, daß halbe Ernteraten für den Käufer undurchführbar sind. Sie einigten sich deshalb auf ein Drittel. Nur gegen die Herabsetzung des Zinsfußes auf sechs Prozent sträubte er sich eine Weile. Als Burkhart ihn aber darauf aufmerksam machte, daß die Banken auf Bargeld, das bei ihnen hinterlegt sei, höchstens sechs Prozent zahlten und er für schwer verkäufliches Land doch nicht mehr fordern könne, sah er auch das ein, und der Kauf wurde abgeschlossen.
Noch an demselben Tage schrieb Burkhart an den Norddeutschen Lloyd in Montreal, seine als Frachtgut nachkommenden Sachen an seine Adresse in Edson weiterzubefördern. Er bedauerte es bereits, eine Anzahl sperrige Sachen in Deutschland zu Schleuderpreisen verkauft und nicht lieber mitgenommen zu haben. Bei dem geringen Frachtsatz hätte das nicht viel mehr gekostet, und hier mußte er sie zum Teil wieder neu beschaffen.
Saubert hatte ein Angebot auf einen gebrauchten Farmwagen für dreißig Dollar erhalten und kaufte ihn. Nun fehlten noch die Pferde. Da es sich für ihn aber darum handelte, jeden Dollar zu sparen, so wollte er sich erst noch diese beschaffen, bevor er sich auf die Heimstättensuche begab. Obwohl sich diese voraussichtlich nicht über eine Woche ausdehnen würde, verringerten sich die Kosten dafür doch um anderthalb Dollar den Tag, denn er hatte auf diese Weise nur noch den Führer zu bezahlen.
Es war nicht schwierig, ein paar starke Farmpferde zu finden. Sie kosteten fünfundsiebzig Dollar das Stück, und die Geschirre dazu, ebenfalls gebraucht, je fünfzehn Dollar. Diesen Betrag zahlte er bar aus. Er war sich klar darüber, daß es ihm nicht möglich sein würde, ganz ohne Schulden durchzukommen, aber er wollte doch nicht gleich damit anfangen.
Da die Richtung, in der die Heimstätten lagen, ihn, ohne daß er einen großen Umweg zu machen hatte, an der Farm von Finsterbusch vorüberführte, verständigte er sich durch den Fernsprecher mit dessen Bruder dahin, daß dieser am nächsten Morgen sich bereit halten solle, mit ihm zu fahren.
Mit wollenen Decken, Nahrungsmitteln und Kochgeschirr versehen, da sie vielleicht mehrmals gezwungen sein würden, im Freien zu übernachten, trat er am folgenden Tage die Reise an. Auf der Farm von Finsterbusch, auf der sie erst gegen Mittag eintrafen und wieder am Mittagessen teilnahmen, hielt man sich nicht weiter auf, denn Stunden waren jetzt ebenso wertvoll wie Dollars. Die Pferde hatten ihr Futter erhalten, und einige Bushel Hafer wurden aufgeladen. Wenn sie nicht arbeiteten, mochten sie sich am Grase sattfressen, bei schwerer Arbeit aber brauchten sie Hafer. Die Fahrt in den Vormittagsstunden hatte sie bei ihrer Schwere – es waren zwar keine Percherons, aber sie wogen doch immerhin gegen zwölfhundert Pfund – zuerst in Schweiß gebracht. Das änderte sich aber bald, denn es war in der Hauptsache nur die Folge einiger müßiger Tage im Fenz, und als sie jetzt weiterfuhren, fanden sie auch schnell den regelmäßigen Trab, der viel weniger ermüdet als eine ungleichmäßige Gangart.
Saubert behielt die Zügel. Er wollte mit den Pferden vertraut werden. Schließlich mußte er ja auch, wie so viele andere Dinge, das Fahren erst noch lernen. Finsterbusch, der auf dem Bündel Decken hinten im Wagen saß, gab ihm manchen Wink und belehrte ihn darüber, wann er die Zügel lose oder straff halten mußte. Mit zwei Pferden ging das ja noch, wenn er aber erst einmal auf seiner Heimstätte mit sechs oder acht Pferden, von denen er noch nicht einmal wußte, wo er sie hernehmen würde, Land zu brechen anfing, war das wohl eine andere Sache. Bis dahin hatte es aber noch gute Weile.
Zuerst erwies sich die Gegend noch als gut besiedelt. Auf einzelnen Farmen waren die Gebäude aus Brettern errichtet und gestrichen, wenn auch die Anlage ausschließlich dem Nützlichkeitsprinzip entsprach und alles, was darüber hinausging, fehlte. Auf anderen fanden sich dagegen nur sehr dürftige, ungestrichene, nur teilweise mit Teerpappe verkleidete Bretterbuden und auf noch anderen Blockhütten. Große Strecken Landes waren noch nicht unter Kultur und mit leichtem Pappelgebüsch und Weidensträuchern bewachsen. Die Bäume standen alle in frischem Grün, wilde Obstbäume, die sich freilich nur als Sträucher entwickelt hatten und niemals Obst zur Reife bringen würden, waren über und über mit weißen und blaßroten Blüten bedeckt.
Nach einiger Zeit schlug Saubert auf Weisung des Führers eine nördliche Richtung ein. Die Wege in Canada führen alle nördlich oder südlich, oder östlich und westlich, den Landvermessungslinien nach. Bald wurde der Boden leicht und sandig, und Ansiedlungen waren nicht mehr zu sehen. Auf großen Strecken gab es nichts als Sand, stellenweise mit verkümmertem Graswuchs und Gruppen verkrüppelter Nadelbäume. Wo der Boden etwas besser war, zeigten auch die Tannen ein besseres Wachstum, mit hochaufragenden, kräftigen Stämmen. In den Niederungen standen Fichten, aber der größte Teil des Waldbestandes war dürr und trocken, und viele verkohlte Stämme bewiesen, daß zu irgendeiner Zeit ein Feuer hier gewütet hatte. Viele Bäume hatte man gefällt und weggeschafft, an anderen Stellen lagen sie aber noch halbverfault am Boden, und der junge Nachwuchs war schon mehrere Fuß hoch.
Nach einigen Stunden änderte sich die Gegend, guter schwarzer Boden zeigte sich, Lehm mit Sand vermischt und mit Pappeln bewachsen.
Saubert hatte die Pferde gehen lassen, die Landschaft hatte all seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Plötzlich wurde er aber aus seinem Schauen herausgerissen: die Pferde erschraken und sprangen zur Seite. Triebartig, denn zur Überlegung blieb ihm nicht Zeit, zog er die Zügel an. Er mußte es mit Gewalt tun, denn im nächsten Augenblick hätten die von Furcht gepackten Tiere den Wagen mit sich über die Böschung der Straße in den Graben gerissen. Finsterbusch sprang auf und ergriff die Zügel. Es gelang ihm auch, die Pferde auf die Straße zurückzubringen, aber sie wollten nicht weiter, und durch ihre Flanken ging ein Zittern.
Aufblickend gewahrten sie in kurzer Entfernung vor ihnen den Kamp einer Indianerfamilie mit einem Planwagen und einem Feuer daneben, über dem ein Kessel hing. Hinter ihnen weideten zwei Pferde im Walde. Das war den Tieren, die wahrscheinlich nur die ruhige, ereignislose Farmarbeit kannten, ein so ungewohnter Anblick, daß sie scheu geworden waren.
»Seltsam, daß sich die Tiere vor Indianern fürchten,« sagte Saubert.
»Unter einem Kutscher, den sie kennen, würden sie vielleicht ruhig geblieben sein,« meinte Finsterbusch, »aber wir sind ihnen beide fremd, und da sind sie ängstlich. Steigen Sie ab und führen Sie sie vorüber, wir kriegen sie sonst nicht vorbei. Ich halte die Zügel fest, damit sie nicht noch einmal scheu werden.«
Das geschah, und das Sattelpferd am Zügel fassend und ihnen gut zuredend, führte er sie, indem er sich selbst zwischen ihnen und den Indianern hielt, langsam an dem Lager, auf das sie scheue Blicke warfen, vorüber. Es waren ein Mann, eine Squaw und drei Kinder. Saubert nickte ihnen freundlich zu, als er an ihnen vorüberschritt, während seine Frau auf dem Wagen nicht sicher zu sein schien, ob die Indianer nicht eine Gefahr für sie bedeuteten. Seine Grüße wurden freundlich erwidert, und es war seine Absicht, ihnen, nachdem er die Pferde vorübergebracht, einen Besuch zu machen, obwohl er vermutete, daß die Rothäute nicht viel mehr englisch sprachen als er selbst und eine Verständigung daher auf Schwierigkeiten stoßen würde. Dazu kam es aber nicht, denn kaum hatten die Tiere das Lager hinter sich, als sie plötzlich davonrannten, so daß es ihm nur mit Mühe gelang, sich auf den Wagen zu schwingen. Erst nach einiger Zeit konnte Finsterbusch sie wieder in eine ruhige Gangart bringen, was dann ebenso plötzlich geschah, wie ihre Flucht vor der vermeintlichen Gefahr.
»Was tun die Indianer hier?« fragte Saubert.
Finsterbusch zuckte die Achseln.
»Weiß nicht. Sie sollten zu dieser Zeit eigentlich auf ihrem Lande sein und Heu machen für den Winter. Aber sie ziehen viel umher. Das liegt ihnen im Blute. Wahrscheinlich geht der Mann im Winter trappen und sucht sich jetzt eine Gegend mit viel Tierspuren aus, wo er im Winter gute Fänge machen kann.«
Und nachdem sie eine Strecke weitergefahren waren, fügte er hinzu: »Ich werde diesen Winter auch trappen gehen, mit einem Nachbarn, einem Englisch-Canadier. Er ist ein erfahrener Trapper, hat letzten Winter schöne Fänge gehabt und besitzt mehr als hundert Fallen. Unsern grub Lebensmittel. bekommen wir im Store auf Kredit. Ich verstehe ja vom Trappen nichts, aber ich werde es lernen. Bekomme deshalb auch nur den dritten Anteil an unserm Fange. Das wird aber wahrscheinlich mehr sein, als ich erzielen würde, wenn ich allein ginge.«
»Braucht Sie Ihr Bruder nicht?«
»Das schon. Aber er ist wahrscheinlich froh, wenn er mich für einige Zeit los wird. Hat mir deshalb auch zugeredet, die Gelegenheit zu benutzen,« entgegnete Finsterbusch mit einem trüben Lächeln. »Es geht eben doch nicht bei Verwandten, und wenn es der Bruder ist. Ich hätte gar nicht herkommen sollen, als er mir schrieb, aber man denkt sich das in Deutschland alles anders. Freilich, dort hatte ich auch nichts. Ich bin achtundfünfzig Jahre alt und konnte drüben keine Arbeit finden. Wer stellt einen Mann von achtundfünfzig Jahren ein? Für die Arbeit war ich zu alt und für die Altersversicherung, von der ja übrigens kein Mensch leben kann, zu jung. So war ich auf die paar Mark, die ich von der Fürsorge erhielt, angewiesen. Als mir dann mein Bruder, nachdem ich meine Frau verloren hatte, schrieb, ich möchte doch nach Canada kommen, es ginge ihm sehr gut hier, und er wäre ein reicher Mann geworden und wolle mir das Reisegeld senden, da dachte ich, ich könnte nichts Besseres tun. Nun arbeite ich ihm aber hier nicht genug. Freilich, wie ein Mann von dreißig oder vierzig Jahren kann ich nicht mehr arbeiten. Lange wird es auch nicht mehr gehen. Ich muß mir anderweit Arbeit und Verdienst suchen, und das ist sehr schwer für einen älteren Mann.«
Saubert hatte den Eindruck, als ob der Mann sein Alter hauptsächlich als Entschuldigung für seine Arbeitsunlust benutzte.
»Soweit ich Canada bis jetzt kennengelernt habe, finde ich aber, daß man hier mit sechzig Jahren noch gar nicht alt ist,« bemerkte er.
»Das schon,« gab Finsterbusch zu, »das Klima ist ja hier sehr gesund, und ich fühle mich auch viel besser, als ich mich in Deutschland gefühlt habe, und ich werde auch hier Arbeit finden, für die meine Kräfte noch ausreichen. Man soll aber doch nicht mehr auswandern, wenn man so alt geworden ist. Es ist hier alles anders als in Deutschland, und man fügt sich nicht mehr so leicht in neue Verhältnisse.«
Nach einiger Zeit kamen sie an eine Stelle, wo erst ganz kürzlich ein Feuer gewütet hatte. Es hatte einen Bestand von Pappelholz ergriffen, lange schlanke Bäume und zwischen ihnen junges Gesträuch, aber alles war verkohlt und kein grünes Blatt mehr zu sehen. Mehrere angekohlte Bäume brannten noch unten am Boden; viele waren auch schon ganz durchgebrannt und über den Weg gefallen, so daß die beiden Männer absteigen mußten, um sie hinwegzuräumen.
Schließlich gelangte man aus dem Walde wieder auf eine weite, freie Ebene, auf der Farmhäuser sichtbar waren. Hier war auch schon viel Land unter Kultur.
»Hier haben früher Indianer gelebt,« bemerkte Finsterbusch. »Sie haben jedes Jahr Feuer angelegt und den Wald, ein Stück nach dem andern, abgebrannt. Der Indianer braucht Weide für seine Pferde und brennt deshalb den Wald einfach ab. Wenn das zur richtigen Jahreszeit geschieht, nämlich im Frühjahr, und wenn aufgepaßt wird, ist ja auch keine Gefahr dabei. Das gute Land ohne Busch war dann leicht unter Kultur zu bringen. Das lockte aber die Weißen heran, die Heimstätten suchten und die Indianer einfach verdrängten. Außerhalb der Reservationen besitzt der Indianer kein Land und kann keine Heimstätten aufnehmen. Er ›squattet‹ nur auf einem Stück Land, das ihm gefällt, das heißt, er bearbeitet es, ohne daß es ihm gehört. Das geht so lange, bis ein Weißer kommt und es als Heimstätte begehrt. Dann muß er es einfach hergeben und weiterziehen. Heute kommt das kaum noch vor, denn gutes Land zum squatten ist nicht mehr da. Es ist schlimm für die Indianer. Sie haben nicht dieselben Rechte wie die Weißen, obwohl ihnen früher doch das ganze Land gehörte. Man sieht sie nicht als gleichberechtigt an und hat ihnen Indianeragenten als Vormünder gegeben.«
In der aus zerstreuten Farmen bestehenden Ansiedlung, die sie jetzt durchfuhren, befand sich auch ein Store, dessen Inhaber zugleich Postagent war, und eine Sägemühle.
Der Abend kam heran, und wenn auch die Pferde noch keine Zeichen der Ermüdung offenbarten, war es doch nötig, ihnen mit Rücksicht auf die Anstrengungen der kommenden Tage bald Rast zu gönnen. Nach der Schätzung von Finsterbusch hatte man etwa dreißig Meilen zurückgelegt und konnte daher gut noch ein paar Meilen weiterfahren. Die brachten sie an einen See.
Auf der Höhe des Ufers, das dann flach abfiel, hielt Saubert die Pferde an. Er blickte hinaus auf die Wasserfläche, die etwa eine halbe Meile breit war, und in deren blaues, klares Wasser die untergehende Sonne rotgoldene Streifen malte. Wilde Enten und Pelikane zogen am gegenüberliegenden hochansteigenden und mit dunklen Tannen und Fichten bestandenen Ufer langsam dahin.
»Müssen wir hier durch?« fragte Saubert.
»Ja,« antwortete Finsterbusch. »Auf der andern Seite befindet sich eine Farm, wo wir übernachten können. Später wird hier wohl eine Brücke gebaut werden, einstweilen aber ist noch keine vorhanden.«
»Ich denke nicht, daß wir es den Pferden zumuten sollten, heute abend noch hindurchzugehn. Sie haben sich warmgelaufen, und das kalte Wasser könnte ihnen schaden. Sie würden dann auf der andern Seite auch naß im Stalle stehen. Ich halte es für richtiger, wenn wir auf dieser Seite bleiben und uns hier für die Nacht, die ja ganz warm sein wird, einrichten. Morgen früh können wir dann den See passieren. Die Pferde laufen sich bald wieder warm.«
»So empfindlich sind unsere canadischen Pferde nicht,« meinte Finsterbusch.
»Trotzdem. Es ist besser so. Ich kann es nicht darauf ankommen lassen, daß sie mir krank werden.«
»Meinetwegen. Übrigens brauchen wir trotzdem nicht im Freien zu bleiben. Wenn wir uns ein wenig nach links wenden, finden wir den Platz eines Indianers. Er hat einen großen Stall und auch ein leeres Blockhaus, in dem wir bleiben können. Also wie Sie wollen.«
Saubert lenkte etwas vom Wege ab, und sie kamen bald in Sicht der Indianerfarm. Niemand war zu sehen. Nur zwei Hunde empfingen sie mit wütendem Gekläff.
Finsterbusch stieg ab und schritt nach dem Hause. Bevor er es noch erreichte, öffnete sich die Tür, und ein noch junger Indianer wurde in ihrem Rahmen sichtbar. Hinter ihm erschien eine Squaw und zwei Kinder, die neugierig auf die weißen Ankömmlinge starrten.
Der Indianer sprach kein Englisch, aber er begriff die Sachlage sofort, und es war für ihn selbstverständlich, daß die Weißen seine Gäste für die Nacht sein würden. Er zeigte auf die Pferde und auf den Stall, dann auf die Ankömmlinge und eine leere Hütte und schickte sich an, ihnen zu helfen, die Pferde abzuschirren. Als er aber sah, daß sie sich vor ihm fürchteten und unruhig wurden, begnügte er sich damit, Heu herbeizuholen und zwei Raufen im Stalle damit zu füllen. Inzwischen hatten Saubert und Finsterbusch die Pferde abgespannt, ihnen die Halftern angelegt und führten sie jetzt in den Stall, den die Tiere aber nur unter gutem Zureden und mit allen Zeichen des Mißtrauens betraten. Zwei Indianerpferde, die sich bereits im Stalle befanden und sich die Ankunft der neuen Geschlechtsgenossen mit einem mißbilligenden Schnauben mitteilten, trugen nicht dazu bei, ihr Mißtrauen gegen den fremden Stall zu beseitigen. Erst als Saubert jedem von ihnen eine reichliche halbe Gallone Hafer in die Krippe schüttete, fühlten sie sich etwas beruhigt und verständigten sich schnaubend darüber, daß keine Gefahr darin liege, die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten.
Der Indianer war ein schlankgewachsener Mann von etwa vierzig Jahren, der die Kleidung der Weißen trug. Sein Gesicht zeigte den echt indianischen Typus mit den hohen Backenknochen und der etwas gebogenen Nase. Sein nicht zu volles Haar war in der Mitte geteilt und hing in zwei dünnen Zöpfen über den Rücken.
Frau Saubert war inzwischen in das Haus eingetreten, wo ihr die Squaw, die ein paar Jahre jünger zu sein schien, die Hand reichte und etwas auf indianisch sagte, das sie nicht verstand, aber als einen Willkommensgruß auffaßte. Von der Vergeblichkeit einer weiteren Unterhaltung überzeugt, machte sich die Squaw dann vor einem alten Blechofen an die Bereitung einer Mahlzeit, da sie mit Recht annahm, daß ihre Gäste hungrig seien.
Das Haus war eine Blockhütte, nur mit den nötigsten und meist selbstgefertigten Ausstattungsstücken versehen, aber äußerst reinlich gehalten. Eine Tür an der dem Eingang gegenüberliegenden Wand führte vermutlich nach dem Schlafraum.
Die Kinder, zwei Mädchen, die acht und zehn Jahre alt sein mochten, standen scheu in den Ecken und blickten verstohlen und mit einer Neugier, der keine Einzelheit ihres Aussehens entging, auf die fremde weiße Squaw. Erst als diese zwei Halsketten zum Vorschein brachte, die sie in der Voraussicht solcher Bedarfsfälle für zehn Cent das Stück im Woolworth Store in Winnipeg gekauft, und sie heranwinkte, um sie ihnen umzuhängen, wurden sie etwas zutraulicher und verrieten eine unbändige Freude.
Bald darauf kamen auch die Männer herein. Nachdem die Pferde getränkt worden waren, hatte der Indianer, der sich als Kri bezeichnete, noch Heu in das leere Haus geschafft und für seine Gäste bequeme Lagerstätten bereitet. Saubert hatte ihm daraufhin als Gegenleistung für seine Gastfreundschaft einige Blechdosen mit Konserven verabreicht, die er mit Freuden annahm.
Inzwischen war auch das Essen fertig geworden, das in seinen Hauptteilen aus gebratenem Fisch, den der nahe See geliefert hatte, und einem Braten bestand, dessen Art und Herkunft in ein gewisses Dunkel gehüllt waren, denn aus einer Bemerkung, die Finsterbusch machte, entnahm Saubert, daß es sich um Moosefleisch handelte – und es war Schonzeit.
» Beef,« fühlte sich der Indianer deshalb auch verpflichtet, zu erklären.
» Good Beef,« sagte Finsterbusch ernsthaft.
» Heap good,« bestätigte der Indianer.
Nach der Mahlzeit verteilte Saubert Zigarren, ein seltener, aber nicht fremder Genuß für die Rothaut und auch wohl ein nicht mehr ganz gewohnter für Finsterbusch.
Als man sie geraucht und mit ein paar Brocken Englisch eine nicht immer ganz verständliche Unterhaltung im Gange zu halten bestrebt gewesen war, erhoben sich die Gäste, um ihre Lagerstätten aufzusuchen. Saubert und seine Frau fühlten sich indessen noch nicht schlafmüde und unternahmen, da der Sommerabend so schön war, noch eine kurze Wanderung nach dem See. Sie ließen sich dort am Ufer in das trockene Gras nieder und blickten auf die langgestreckte, aber nicht sehr breite Wasserfläche, die jetzt im Schimmer des Mondes erglänzte.
Sie sprachen kaum, denn das Bild um sie herum war so erhaben, daß sie seinen Zauber durch das gesprochene Wort zu stören fürchteten.
In einem nahen Tannenbaume glitt ein rotes Eichhörnchen, das eigentlich längst sein weiches Nest in irgendeinem Astloch aufgesucht haben sollte, aber sich wohl auch im Banne der schönen Sommernacht befand, auf und nieder, bis es sich plötzlich mit einem weiten Sprunge auf den nächsten Baum schwang, der wenigstens ein Dutzend Yards entfernt stand. Zwei Meisen hingen verkehrt an einem Baumaste, gaben von Zeit zu Zeit schmelzende Untertöne von sich und suchten emsig Insekten zu erhaschen, die in ihre Nähe kamen. Grasmücken, Purpurfinken und trillernde Wasserläufer vereinigten ihre Stimmen zu einem Konzert, das wie die unendlich zarte Melodie eines wirklichen Sommernachtstraums erklang.
Dann, in der Tiefe des Waldes, vielleicht nahebei, vielleicht auch weiter entfernt, begann eine Einsiedler-Drossel zu schlagen. Ihr Gesang bestand aus drei wundervollen, tiefen und flüssigen Noten. Dann folgte eine Pause, als ob die Sängerin in sinnendes Nachdenken versunken sei. Darauf entschlossen drei Noten mehr, aber in einer höheren Lage, und so fort, ohne Hast und ohne Pause. Es sind die erhabensten Töne des Waldes, unwirklich, verzückt. Sie schwebten heran auf der weichen, warmen Sommerluft, leise, zärtlich, und es war, als ob sie aus den Abendschatten heraus das Herz wachriefen zu einem anderen, besseren Sein.
»Es ist doch ein bezwingend schönes Land,« nahm endlich Frau Saubert das Wort, indem sie sich erhob und den Bann von sich abschüttelte, denn sie wollten zeitig am nächsten Morgen ihre Fahrt fortsetzen. »Wir werden uns nicht einsam fühlen auf unserer Heimstätte.«
»Ausgenommen vielleicht im Winter,« versetzte ihr Mann.
»Der wird andere Reize haben. Wenn der Sturm um unsere Hütte braust, werden wir am Feuer sitzen und zusammen die Edda lesen – und,« fügte sie leiser und stockend hinzu, »er wird unser Kind in den Schlaf singen.«
»Gertrud – –!« rief der Mann. »Du meinst doch nicht – –«
»Doch. Aber jetzt komm, es ist spät geworden.«
*
Am andern Morgen ging es nach einem reichlichen Frühstück weiter.
Auf der andern Seite des Sees, den man auf einer Furt ohne Schwierigkeiten durchquert hatte, stieß man bald auf die Farm, auf der man eigentlich hatte übernachten wollen. Es war ebenfalls eine Heimstätte, aber schon fünf oder sechs Jahre im Besitz des Eigentümers, eines Amerikaners, der aus Wisconsin hier eingewandert war. Er war beschäftigt, neues Land zu brechen, und hatte acht Pferde vor den großen Brechpflug gespannt. Noch im vorigen Jahre war hier ein Bestand von jungem Holz gewesen. Das hatte er niedergeschlagen, und jetzt ging der Pflug durch die in der Erde verbliebenen Stumpen, oft von fünf Zoll Dicke, glatt durch. Es ging leichter, als Saubert es sich vorgestellt hatte. Er konnte ihn eine Weile bei der Arbeit beobachten, da der Mann vom Ende der Furche her sich dem Wege näherte. Der Pflug hob den Boden in einer Breite von zwei Fuß aus, und bei einer Tiefe von acht Zoll waren schon kaum noch Wurzeln vorhanden. Die von dem starken, aufrechtstehenden Messer des Pfluges, das von der Spitze bis an den Pflugbaum reicht, durchgeschnittenen Strünke und Wurzelreste mußte er später freilich noch zusammensuchen, um sie zu verbrennen.
Er hatte auch einen Gemüsegarten angelegt und Kartoffeln für den eigenen Gebrauch gepflanzt. Dieser Garten, mit Ausnahme der Kartoffelbeete, war mit Drahtgitter eingefriedigt, um ihn gegen die Hühner, Enten, Gänse und Truthühner, die überall umherliefen, zu sichern. In einem Pferch lag ein halbes Dutzend junge Schweine, und in der Nähe des Sees, wo üppiges Gras wuchs, weideten zwei Kühe.
Als der Mann seine Furche am Wege zu Ende gezogen hatte, brachte er sein Gespann zum Halten und kam an den Wagen heran. Finsterbusch, der ihn kannte, erzählte ihm nach einer kurzen Begrüßung, daß sie sich auf der Heimstättensuche befänden.
Saubert verstand nicht viel von der Unterhaltung, denn das Englisch, das er auf dem Papier gelernt hatte, deckte sich nicht ganz mit dem gesprochenen Englisch. Finsterbusch sprach übrigens nicht viel mehr und dieses Wenige noch dazu mit einer sehr deutschen Aussprache. Er hatte es aber vom Hören gelernt, und es kam dem unter den Farmern hier gebräuchlichen Englisch daher viel näher.
Der Amerikaner erzählte ihm, daß eine Strecke weiter nördlich noch mehrere gute Heimstätten vorhanden seien. Er selbst sei mit der seinigen sehr zufrieden und käme gut voran. Das ganze Geheimnis des Erfolges für einen Heimstätter liege darin, daß er sich Land in einer Gegend aussuche, wo man auf gute Ernten rechnen könne. Wenn jemand hier, wo man dreißig, vierzig und selbst fünfzig Bushel erziele, und im Peace-River-Distrikt, wo es oft noch mehr gäbe, nicht vorankäme, dann läge es an ihm selber. Ein Faulpelz und liederlicher Arbeiter käme nirgend vorwärts. Auf der Prärie könne das Land natürlich schneller unter Kultur gebracht werden, und auf diese Weise gleiche sich die Sache wieder etwas aus. Das sei aber nur ein Vorteil für die ersten Jahre, denn wenn man es hier erst einmal unter Kultur habe, gäben die besseren Ernten den Ausschlag.
Das bestätigte die Meinung, die Saubert sich durch eigene Beobachtung bereits gebildet hatte, und nachdem sie sich von dem Manne verabschiedet hatten, fuhren sie weiter.
Sie kamen noch an anderen Heimstätten vorüber, auf denen Bretterbuden standen, die aber erkennen ließen, daß die Eigentümer abwesend waren.
»Die gehören einzelnen jungen Leuten, die im Sommer auf Arbeit sind und im Winter ihrer Verpflichtung, sechs Monate im Jahre auf ihrer Heimstätte zu wohnen, nachkommen,« erklärte Finsterbusch.
Gegen Mittag machte man halt an einem Bache, wo man die Pferde tränken konnte, und an dessen Ufern gute Weide für sie vorhanden war.
Nach einer zweistündigen Rast, die für die Pferde notwendig gewesen war, ging es weiter.
Mehrmals kam man an Farmen vorüber, um die sich niemand zu kümmern schien. Es war verkäufliches Land, dessen Eigentümer es zu irgendeiner Zeit billig gekauft oder als Bezahlung für Schulden übernommen hatten, ohne es selbst bewirtschaften zu können. Es kam für Saubert nicht in Frage.
Am Nachmittag traf man auf die erste freie Heimstätte. Sie hatte eine gute Lage mit langen Abhängen, und auch der Boden schien gut zu sein. Ein Teil war freies Land und konnte sofort gebrochen werden; der Rest war mit jungen Pappeln bewachsen. Alte Stumpen waren nur wenige vorhanden und diese so faul, daß die Axt und der Brechpflug leicht mit ihnen fertig werden konnten.
»Wir wollen uns diese merken,« sagte Saubert, indem er den betreffenden Vermessungszettel mit einem Kreuze versah. »Wenn ich keine bessere finde, werde ich die wohl nehmen müssen, aber ich hoffe noch immer eine zu finden, die an einem Wasser liegt.«
»Die liegen dann aber auch weiter von Edson ab.«
»Das läßt sich nicht ändern. Wenn ich eine finde, die an einem Bache oder See liegt, so ist das ein größerer Vorteil. Ich brauche dann keinen Brunnen zu graben und mich um Pferde und Kühe nicht zu kümmern, wenn ich vielleicht einmal mit meiner Frau ein paar Tage abwesend bin. Sie können dann allein zur Tränke gehen. Und wenn ich erst etwas zu verkaufen habe, werde ich es auch loswerden, wenn ich ein paar Meilen weiter von Edson wohne.«
Am Abend kamen sie auf eine andere Heimstätte, die an eine bereits besiedelte angrenzte. Sie mußte wohl schon einmal aufgenommen gewesen sein, denn eine verfallene Bretterbude stand auf ihr und leere Blechdosen und anderes Gerümpel lagen verstreut umher. Der Mann, dem die angrenzende Heimstätte gehörte, machte einen recht unfreundlichen Eindruck, als sie Erkundigungen bei ihm einzogen. Er zeigte sich mürrisch und ziemlich kurz angebunden. Seine Frau, die, als sie die Stimmen hörte, auch zum Vorschein kam, aber in der Tür der Hütte ohne Gruß stehen blieb, schien nicht viel besser zu sein. Ein junger Mensch von etwa siebzehn Jahren, der der Sohn zu sein schien, war mit Buschhacken beschäftigt.
Sie kämen zu spät, sagte der Mann. Vor ein paar Tagen sei schon ein Heimstättensucher dagewesen, der sich entschlossen habe, diese hier aufzunehmen. Er sei nach Edson zurückgefahren, um sie auf seinen Namen eintragen zu lassen.
Da war also nichts zu machen. Da sie übrigens auch nicht am Wasser lag, hätte sie Saubert, der noch immer hoffte, eine solche zu finden, wenn er auch ein paar Tage länger suchen müßte, wohl ohnehin nicht genommen. Der Mann gefiel ihm als Nachbar nicht. Das war auch ein Umstand, der Berücksichtigung verdiente. Er war daher nicht sehr überrascht, als Finsterbusch beim Weiterfahren plötzlich ausrief:
»Jetzt besinne ich mich, ich habe von dem Kerl gehört. Er hat keinen guten Ruf. Das stört natürlich diese Sorte von Leuten nicht. Es sollte mich wundern, wenn er uns nicht belogen hat, als er uns erzählte, die Heimstätte sei aufgenommen. Er wird alles tun, um das zu verhindern. Haben Sie den jungen Bengel, seinen Sohn, gesehen? Er muß bald achtzehn Jahre alt sein. Damit hat er das Alter erreicht, wo er eine Heimstätte aufnehmen kann. Natürlich ist ihm eine, die an die seines Vaters grenzt, lieber als jede andere. Deshalb wird er dafür sorgen, daß sie niemand bekommt. Ich bin sicher, wenn wir nach Edson kommen und auf dem Landamte nachfragen, wird niemand etwas davon wissen, daß sie aufgenommen ist. Das ist dem Kerl natürlich gleichgültig. Er ist doch nicht verantwortlich dafür, wenn sich ein Heimstättensucher später anders besinnt.«
»Das hätte von vornherein keine gute Nachbarschaft gegeben,« meinte Saubert, »und da verzichtet man doch lieber.«
»Es ist noch nicht alles,« fuhr Finsterbusch fort. »Einer hatte die Heimstätte doch aufgenommen. Aber da passierte ihm allerlei Unglück. Schweine liefen ihm davon oder verschwanden, ein Pferd starb ihm und eine Kuh, und ich weiß nicht, was ihm sonst noch alles widerfuhr. Zuerst hatte er keinen Verdacht, als aber dann sein Verhältnis zu Leech, so nennt sich der Kerl jetzt wenigstens, wenn das vielleicht auch nicht der Name ist, auf den er ursprünglich gehört hat, schlechter geworden war, kam ihm doch eine Ahnung, wem er all diese Unglücksfälle zu verdanken hatte. Und die ganze Gegend war davon überzeugt, daß Leech der Urheber war. Er wollte den Mann einfach von der Heimstätte wieder vertreiben. Dabei konnte ihm aber nie etwas nachgewiesen werden, es sah immer aus, als wenn es ein unglücklicher Zufall wäre. Aber es zweifelte niemand daran, daß er dem Hunde, dem Pferde und der Kuh heimlich Gift gegeben hatte. Schließlich hatte er auch seinen Zweck erreicht, der Mann, der die Heimstätte aufgenommen hatte, mußte sie wieder verlassen.«
»Ich hätte es nicht getan,« sagte Saubert. »Ich hätte dafür gesorgt, daß für jeden Unglücksfall, der mich traf, mein liebenswürdiger Nachbar zwei erlitt. Dann hätte man ja gesehen, wer es am längsten aushielt.«
»Das wäre wohl Leech gewesen, denn das ist einer von der Sorte, die vor nichts zurückschrickt, und von denen jeder allein mehr Teufeleien aushecken kann als ein Dutzend andere zusammen. Er und sein Sohn, der auch schon ein nettes Früchtchen zu sein scheint, und den man im Verdacht hat, letzten Winter Fallen gestohlen zu haben.«
»Ist das nicht eine gefährliche Sache?« fragte Saubert.
»Sie riskieren Ihr Leben dabei, denn wenn Sie auf frischer Tat ertappt werden, kann Sie der Eigentümer der Fallen niederschießen. Das steht zwar nicht im Gesetz, aber es würde sich keine Jury finden, die ihn verurteilte. Jedenfalls zog es der Heimstätter vor, sein Land lieber aufzugeben, als sich noch länger mit solchen Nachbarn herumzuärgern.«
Die Weiterfahrt brachte sie noch auf andere Heimstätten. Mit einiger Übung kann man sie ohne Schwierigkeit auffinden. Das Land ist alles vermessen, und in der Mitte einer Sektion sind dicht beieinander vier Löcher in den Boden eingegraben, die den vier Hauptkompaßrichtungen entsprechen. Um jedes herum ist die Erde zwei bis drei Fuß aufgehäuft. Neben den Haufen ist eine eiserne Stange aufgerichtet, an der die Nummer der Sektion und der betreffenden Viertelsektionen verzeichnet ist. Drei Heimstätten waren an dieser Stelle aufgenommen und Bretterbuden darauf errichtet. Auch einiges Land war schon gebrochen, um im nächsten Jahre eingesät zu werden. Die Eigentümer waren aber von allen dreien abwesend; sie befanden sich vermutlich irgendwo auf Arbeit.
Man hätte gut noch ein paar Meilen weiterfahren können, aber es war unsicher, ob man dann noch Wasser finden würde. Auf einer der Heimstätten war indessen ein Brunnen, der, wie man sich überzeugte, gutes, frisches Wasser lieferte. So beschloß man, hier zu übernachten. Die Pferde wurden ausgespannt, erhielten ihre Ration Hafer und wurden dann getränkt. Darauf koppelte man ihnen die Vorderfüße und ließ sie auf ein Stück Land, das mit hohem, saftigem Grase bewachsen war und eine gute Weide abgab, auf der, vermutlich von den Besitzern umliegender Farmen, schon etwas Gras für die Heuernte geschnitten war.
Das Abendessen wurde in einer der Hütten, die nur mit einem Holzriegel verschlossen war, und in der sich ein Blechofen befand, bereitet, und während Saubert für sich und seine Frau auf zwei vorhandenen, aus Baumstämmen und Brettern hergestellten Lagerstätten aus seinen eigenen wollenen Decken ein Lager herrichtete, tat Finsterbusch das gleiche auf dem Wagen.
Am nächsten Morgen ging die Fahrt weiter. Das Land war jetzt weniger besiedelt, und meilenweit war keine Farm zu sehen. Die Heimstätten waren zahlreicher und auch solche, die des Besiedelns wohl wert gewesen wären, fehlten nicht. Da Saubert es sich aber in den Kopf gesetzt hatte, nur eine solche an einem Wasser zu wählen, womit er schließlich auch recht hatte, so prüfte man sie nur oberflächlich und fuhr dann weiter. Aus einer Prüfung der erhaltenen Vermessungszettel wußte er, daß sich etwas weiter nördlich ein See befand, um den herum noch Heimstätten lagen. Solches Land ist aber meist steinig und als Farmland selten zu gebrauchen. Das erklärte vielleicht auch, warum sie noch nicht aufgenommen waren. Diese Annahme erwies sich als richtig, als sie den See erreichten. Auf unwegsamem Gebiet fuhren sie durch Gestrüpp und niedriges Buschwerk um ihn herum. Saubert hatte noch niemals soviel Steine und Felsblöcke auf einem Stück Land beisammen gesehen wie hier. Es erinnerte ihn an die unzähligen Seen in Ontario, an denen sie auf ihrer Fahrt von Osten her vorübergekommen waren. Nur an einer Stelle war das Land besser, und hier hatte ein schwedischer Farmer eine halbe Sektion Land in Besitz.
Auf Befragen sagte er ihnen, daß, wenn sie sich von hier aus westlich hielten, sie auf einen Bach treffen würden, wo auch gutes Land zu finden sei. Er bezeichnete ihnen auf den Vermessungszetteln die Gegend. Der Bach war darauf nicht eingezeichnet. Auf seine Einladung, bei ihm über Nacht zu bleiben, beschloß Saubert, die Fahrt heute nicht fortzusetzen, und sie spannten die Pferde aus.
Ein selbstgezimmertes Boot, das an dem Seeufer lag, erweckte in Saubert den Wunsch, sein Glück im Angeln zu versuchen.
»Der See ist voll von Fischen, meistens Hechten,« sagte der Schwede. »In einer Stunde oder zwei können Sie so viele fangen, daß eine Familie eine ganze Woche daran genug hat. Es kommen auch manchmal Farmer aus der Umgebung her. Die leihen sich mein Boot und fangen sich einen Vorrat von Fischen. Sie können das ja auch tun, wenn Sie sich eine Heimstätte an dem Bache nehmen, denn der hat natürlich nur kleine Fische, hauptsächlich Forellen. Zu verhungern braucht in Canada niemand, wenn auch das bare Geld manchmal knapp ist. Aber arbeiten müssen Sie. Wer das tut, kommt vorwärts. Übrigens das Abendessen ist noch nicht fertig. Wenn Sie wollen, können Sie vorher noch ein paar Fische fangen.«
»Ich habe Angelgerät bei mir,« sagte Saubert.
»Lassen Sie mal sehen.«
Saubert zeigte es ihm. »Das können Sie nicht gebrauchen. Diese Fliegen sind gut für Forellen und die anderen Haken für Weißfische. Aber wir können das meine benutzen.«
Er holte aus einem Schuppen eine kurze Angelrute, an deren Schnur sich ein blinkender Fisch aus Weißblech nebst Haken befand.
»Wenn man die durch das Wasser zieht,« erklärte er, »so wirbelt der Fisch rundum. Der Hecht denkt dann, es sei ein lebender Fisch, schnappt danach und sitzt an der Angel fest.«
Sie bestiegen das Boot, das der Schwede ruderte, und als sie eine Strecke weit in den See gelangt waren, hieß er Saubert die Angel auswerfen. Es dauerte auch gar nicht lange, so erfolgte ein starker Ruck, und er zog einen Hecht von wenigstens vier Pfund heraus. Ein zweiter, der sich bald danach fing, glitt aber von der Angelschnur wieder ab.
»Sie müssen ihn erst sich festhaken lassen, bevor Sie ihn herausziehen,« sagte der Schwede.
Saubert sah ein, daß auch das Angeln eine Kunst sei, die, wie andere Künste auch, gelernt sein will, und richtete sich nach der empfangenen Weisung. Jetzt hatte er mehr Glück, denn es gelang ihm, noch drei andere Fische in ungefähr gleicher Größe zu fangen. Nur einer entkam ihm, als er ihn schon halb aus dem Wasser gezogen hatte. Und noch ein anderes Mißgeschick widerfuhr ihm. Er hatte die Angel wieder ausgeworfen, ohne daß für einige Zeit ein Fisch anbiß. Plötzlich aber und ganz unvermutet gab es einen Ruck an der Schnur, der ihn fast in das Wasser gerissen hätte. Unwillkürlich stieß er einen Ruf des Schreckens aus. Der Schwede warf rasch das Ruder in das Boot, sprang auf und erfaßte den Angelstock. Er konnte es aber nicht verhindern, daß dieser in der Mitte durchbrach und ins Wasser fiel. Lachend begab er sich auf seinen Platz zurück und trieb das Boot dem Stocke nach, der von dem Fische schon eine ganze Strecke fortgerissen worden war. Bald hatte er sie auch erreicht, und Saubert erfaßte sie mit einem schnellen Griff. Den Fisch herauszuziehen, war aber nicht so leicht. Nach den Kräften zu urteilen, mit denen er an der Angel riß, mußte er ein großes Exemplar sein. Er schoß im Wasser hin und her, und wenn der Schwede Saubert nicht wieder zu Hilfe gekommen wäre und durch vorsichtiges Nachgeben in dem einen und Anziehen in dem andern Augenblick das nicht verhindert hätte, wäre die Schnur zweifellos gerissen. Es gab einen harten Kampf, der fast zehn Minuten währte. Schließlich war der Fisch aber doch ermüdet und schwamm ruhig neben dem Boot im Wasser. Saubert griff rasch zu und hob das kräftige, zappelnde, wenigstens fünfzehn Pfund schwere Tier in das Boot.
»Well, der hat uns viel Arbeit gemacht,« meinte der Schwede, »aber er ist sie wert und wird uns heute abend gut schmecken.«
»Ein kolossales Exemplar,« versetzte Saubert.
»Es gibt noch größere. Ich habe letztes Frühjahr einen gefangen, der wog fast dreißig Pfund. Aber ich denke, wir haben jetzt genug. Es bleibt sogar noch etwas für die Katzen und die Hühner übrig.«
*
Am nächsten Morgen setzten sie ihre Fahrt in der Richtung fort, die der Schwede ihnen angeraten hatte. Nach etwa zehn Meilen erreichten sie auch den Bach. Es war ein rasch fließendes Wasser, klar und von ziemlicher Breite. Die Sonne, die dort, wo er nicht von Gebüsch überschattet war, bis auf den Grund leuchtete, zeigte ihnen zahlreiche dahinhuschende Forellen, wenn auch zumeist nur von geringer Größe. An den Ufern entlang, hinter den Gebüschstreifen, war niedriges Land mit Strecken von üppigem Graswuchs.
Nach einigem Suchen fanden sie den Vermessungspfahl, nach dem sie sich die Grenzlinien der Heimstätte, von denen jede ungefähr neunhundert Schritt im Geviert mißt, berechnen konnten. Etwa vierzig Acker davon waren bestes Wiesenland.
»Hier können Sie sofort mit dem Heumachen beginnen,« sagte Finsterbusch. »Sie brauchen viel Heu im Winter für die Pferde und auch für eine Kuh, denn ohne die geht's ja doch nicht. Eine Heumähmaschine und einen Heurechen borgt ihnen ein Nachbar. Arbeiten Sie ein paar Tage für ihn, da lernen Sie die Arbeit gleich. Denn Ihnen geht es so wie mir. Ich verstand auch nichts von Landwirtschaft, als ich herüberkam. Mein Bruder behauptet ja nun freilich, daß ich auch jetzt noch nichts davon verstünde, und ausnahmsweise mag er diesmal recht haben, aber in zwei Jahren lernt man doch manches.«
An dem Bache, der die nordwestliche Ecke der Heimstätte durchströmte, zog sich ein Streifen Fichtenwald hin, auf dem höheren Land standen Pappeln und weiter nach Osten schwerer Busch.
»Den können Sie gut gebrauchen,« meinte Finsterbusch. »Zum Hausbauen. Schlagen müssen Sie das Holz ohnehin, denn Sie brauchen das Land und ersparen sich auf diese Weise das Material für den Hausbau. Wenn Sie es geschlagen haben, dann rufen Sie ein paar Nachbarn zusammen, die Ihnen das Haus bauen helfen. So wird das hier gemacht. Sie arbeiten dann die gleiche Zeit bei denen, und so gleicht sich das wieder aus.«
Es war auch freies, nur mit Gestrüpp bewachsenes Land vorhanden, und einige Spatenstiche ergaben, daß der Boden fetter Lehm war, der unbedingt gute Ernten liefern mußte, soweit das nicht von der Witterung abhing.
»Dieses Land können Sie sofort brechen, aber dieses Jahr ist es zu spät dazu,« meinte Finsterbusch. »Sie können das erst im nächsten Jahre tun, im April oder in der ersten Hälfte des Mai.«
Die Heimstätte zeigte sich in allen Punkten als so vorzüglich, daß Saubert den Entschluß faßte, sie sich zu sichern, ehe ihm ein anderer zuvorkam.
»Hier ist gut sein, hier laßt uns Hütten bauen,« sagte er fröhlich.
»Ich denke auch, Sie können nichts Besseres finden,« stimmte Finsterbusch bei. »Die Auswahl des Landes ist die Hauptsache. Wer darin einen Fehler macht, hat verspielt. Aber mit dem Hüttenbauen geht das nicht so schnell. Es dauert ein paar Wochen, bevor Sie die Bäume gefällt haben, denn Sie sind kein Lumberjack, der das in ein paar Tagen macht. Und bevor Ihr Haus drankommt, brauchen Sie Ställe für das Geflügel, das Sie sich doch werden anschaffen wollen, ich meine Hühner, Enten, Gänse und vielleicht auch Truthühner. Auch für ein paar junge Schweine müssen Sie einen Pferch herstellen. Die Pferde und die Kuh können bis zum Herbst im Freien bleiben, aber Sie müssen ein Stück Weide mit Stacheldraht einfenzen. Das dauert alles nicht lange, denn Sie haben eine Menge von jungen Pappeln hier, aber es muß gemacht werden, ehe Sie an Ihr eigenes Haus denken können.«
»Dann lassen Sie uns jetzt Mittag machen. Auf unserm eigenen Lande. Ich fühle mich schon ganz als Besitzer und sehe dort am Bache bereits die Enten und Gänse herumwatscheln. Heute abend können wir wieder bei dem Schweden übernachten. Er ist ein freundlicher Mann, und ich denke, ich werde mit ihm gute Nachbarschaft halten können. – Wie gefällst du dir, Gertrud, als Frau Gutsbesitzerin?«