Hans Dominik
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Dr. Thiessen konnte sich zwar auf die Verschwiegenheit seiner Assistenten verlassen, aber außer diesen hatte auch Chefingenieur Grabbe die Explosion mitangesehen und es für seine Pflicht erachtet, Professor Lüdinghausen darüber Bericht zu erstatten. So kam es, daß Thiessen bereits am Morgen des nächsten Tages von dem Professor zu einer Unterredung gebeten wurde.

»Da haben wir die Bescherung«, meinte er mit einem Seitenblick auf Hegemüller, während er den Hörer wieder auf die Gabel legte. »Grabbe hat Ihre Heldentat natürlich nicht für sich behalten. Jetzt werde ich wohl von Lüdinghausen eine bessere Standrede zu hören bekommen.«

Er streifte den weißen Kittel ab und machte sich zum Gehen bereit, als Hegemüller ihn bat: »Ich möchte Sie begleiten, Herr Doktor Thiessen.«

Thiessen schüttelte den Kopf, »Sie sind nicht gerufen worden, sondern ich. Seien Sie zufrieden, daß Sie nicht mitzukommen brauchen.«

»Ich habe die Geschichte aber eingerührt und will sie auch vertreten«, bestand Dr. Hegemüller auf seiner Absicht. »Und im übrigen bin ich der Meinung, daß die Sache gar nicht so schlimm werden wird. Ich glaube, daß Professor Lüdinghausen gute Miene zum bösen Spiel machen wird, wenn er unsere Resultate sieht. Das Protokollbuch hier müssen wir selbstverständlich mitnehmen und am besten auch gleich noch die Metallprobe.«

»Sie können recht haben«, meinte Dr. Thiessen nach kurzer Überlegung. »Es ist vielleicht am besten, wenn wir die Sache gleich zusammen abmachen. Kommen Sie in Gottesnamen mit.«

Professor Lüdinghausen blickte ein wenig befremdet auf, als Thiessen und Hegemüller zusammen in sein Arbeitszimmer traten.

»Ich hatte nur Sie gebeten, Herr Thiessen«, eröffnete er die Unterhaltung. »Glauben Sie, daß wir Herrn Hegemüller für unsere Besprechung nötig haben?«

Bevor Thiessen noch etwas sagen konnte, ergriff Hegemüller das Wort.

»Ich habe den Zwischenfall oder meinetwegen auch Unfall, über den Sie Aufklärung wünschen, Herr Professor, verursacht und bin bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen.«

Lüdinghausen wußte nicht recht, ob er ärgerlich werden oder lachen sollte. Im Grunde mochte er den munteren, diensteifrigen Dr. Hegemüller ganz gut leiden, aber er konnte es natürlich nicht ungerügt lassen, wenn der in seinem jugendlichen Tatendrang das Forschungsinstitut gefährdete. So setzte der Professor denn eine Amtsmiene auf, während er zu sprechen begann.

»Sie sagen, daß Sie den Vorfall verursacht haben, Herr Doktor Hegemüller. Wäre das Wort ›verschuldet‹ nicht vielleicht richtiger dafür? Zweifellos ist dies bedauerliche Vorkommnis doch auf einen Verstoß gegen die Vorschriften zurückzuführen. Ist das nicht auch Ihre Meinung, Herr Doktor Thiessen?«

»Ich kann es nicht leugnen«, erwiderte Thiessen. »Herr Hegemüller ist von den Vorschriften abgewichen . . .«

»Also es war so, wie ich's vermutete«, unterbrach ihn Lüdinghausen.

»Jawohl, Herr Professor, aber der Erfolg dieses Versuches ist ein derartiger, daß er das Wagnis vollauf rechtfertigt.«

Und nun schlug Thiessen das Protokollbuch auf und begann Zahlen und Werte vorzulesen, von denen Lüdinghausen immer stärker gefesselt wurde.

»Aber das ist ja großartig, meine Herren«, rief er, als Thiessen mit seinem Vortrag zu Ende war. »Dann sind Sie ja tatsächlich ein bedeutendes Stück vorwärtsgekommen. Auf welchem Wege ist Ihnen das gelungen?«

»Ich habe die Menge des Zusatzstoffes verzehnfacht«, Hegemüller stieß die Worte kurz heraus. Für eine kurze Weile war Lüdinghausen sprachlos, dann begann er langsam zu sprechen.

»Sie dürfen diesen Versuch nie wieder in Ihrem Laboratorium machen, Herr Doktor. Ich verbiete es Ihnen hiermit ausdrücklich.«

»Aber wir müssen den Versuch wiederholen«, verteidigte sich Dr. Hegemüller, »wir wollen den Stoff in größeren Mengen herstellen. Wir werden auch noch andere Mischungsverhältnisse erproben müssen . . .«

»Zugegeben, Herr Doktor Hegemüller. Ich verschließe mich der Tatsache nicht, daß weitere Versuche notwendig sind. Sie müssen gemacht werden, und sie sollen auch gemacht werden. Aber das darf dann nur an einer Stelle geschehen, an der etwaige Explosionen keinen größeren Schaden anrichten können.« Lüdinghausen überlegte eine kurze Zeit und wandte sich dann an Thiessen: »Wie denken Sie über unsere neue Schleudergrube? Ich würde sie Ihnen für Ihre Versuche zur Verfügung stellen.«

»Sehr gut, Herr Professor! Die Schleudergrube ist der richtige Ort dafür. Sie ist ja an Explosionen gewöhnt . . . nur . . . allerdings . . .«

»Haben Sie Bedenken?« fragte Lüdinghausen.

»Wir können bei unseren Versuchen keine Zuschauer gebrauchen, Herr Professor. Die Grube liegt offen da. Jeder, der vorbeikommt, könnte uns bei unseren Arbeiten beobachten.«

»Wenn es nichts weiter als das ist, Herr Thiessen!« Lüdinghausen machte eine wegwerfende Bewegung. »Lassen Sie sich von unseren Zimmerleuten einen ordentlichen Zaun um die Grube setzen, dann werden Sie ungestört und unbeobachtet arbeiten können.«

Thiessen und Hegemüller schickten sich bereits an, das Zimmer zu verlassen, als Lüdinghausen sie zurückhielt und noch einmal zur größten Vorsicht ermahnte.

»Ich bitte mir aus, Herr Doktor«, wandte er sich an Hegemüller, »daß Sie mir nicht etwa während der Versuche in der Grube herumkriechen. Sie müssen mit Fernsteuerung arbeiten und während der kritischen Minuten in sicherer Deckung bleiben. Sorgen Sie bitte dafür, Herr Doktor Thiessen, daß das auch geschieht.«

»Na also!« sprudelte Hegemüller los, als sie draußen waren. »Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, daß der Professor für unsere Sache zu haben sein wird? Eine geniale Idee von ihm, uns die Schleudergrube zur Verfügung zu stellen. Jetzt können wir nach Herzenslust weiterarbeiten.«

»Aber mit größter Vorsicht bitte, mein Lieber«, sagte Dr. Thiessen mit einem leichten Seufzer. »Ihnen traue ich es zu, daß Sie auch die bombenfeste Schleudergrube kleinkriegen, wenn man Ihnen nicht scharf auf die Finger sieht.«

Die Schleudergrube war eine kreisrunde etwa zwanzig Meter tiefe und ebenso breite Grube, deren senkrechte Wände mit einer gut meterstarken Schicht aus Eisenbeton ausgekleidet waren. Ursprünglich war sie für Materialprüfungen und Festigkeitsuntersuchungen angelegt worden. Beispielsweise ließ man in ihr Schwungräder und ähnliche Maschinenteile mit immer größerer Umdrehungsgeschwindigkeit rotieren, bis sie schließlich unter dem Einfluß der übermächtig werdenden Zentrifugalkraft zerrissen. Thiessen hatte also mit seiner Bemerkung recht, daß diese Grube an Explosionen gewöhnt sei.

Jetzt wurde sie die Arbeitsstelle für seine gefährlichen Experimente. Schon erhob sich um sie herum ein dichter hoher Zaun, und eine aus kräftigen Bohlen gezimmerte Baracke wuchs schnell aus dem Boden. In ihr befanden sich die elektrischen Einrichtungen für die Fernbedienung der großen Blitzröhren, die in der Grube selbst aufgestellt wurden. Und dann begannen zwischen Dr. Thiessen und seinen Leuten die Besprechungen über den nächsten Versuch.

»Ich habe die Zusatzmenge verzehnfacht«, hatte Hegemüller sowohl Thiessen wie dem Professor Lüdinghausen erklärt. Aber das war nur eine Schätzung, denn tatsächlich hatte er den Stoff ja nicht genau abgewogen, und in Wirklichkeit war es nur etwa das Fünffache der vorgeschriebenen Menge gewesen.

Jetzt schlug Hegemüller für den ersten Versuch eine Verzwölffachung der Zusatzmenge vor, aber Dr. Thiessen hatte noch genug von der ersten Explosion im Laboratorium.

»Nein, mein lieber Hegemüller«, gab er nach einigem Hin und Her seine Entschließung bekannt, »wir nehmen wieder das Zehnfache. Außerdem werde ich diesmal den Regelschalter selber bedienen und nur ganz allmählich Spannung auf die Blitzröhre geben. Leichtsinnige Feuerwerkerei wollen wir uns doch besser ersparen.«

Dr. Hegemüller mußte sich wohl oder übel fügen, sosehr der Entscheid seines Chefs ihm auch gegen den Strich ging. Zu seinem Leidwesen besorgte Thiessen auch zusammen mit Dr. Stiegel selbst die Abwägung der Substanzen, so daß ihm die Möglichkeit genommen war, dabei etwas mehr von dem Zusatzstoff in die Mischung zu bringen. Achselzuckend stand er dabei, als die neue Kathode diesmal in Form einer großen Kugel von etwa einem halben Meter im Durchmesser gepreßt und in die gewaltige Blitzröhre eingesetzt wurde. Es war gut, daß Thiessen nicht hören konnte, was Hegemüller bei sich dachte, denn es wäre nicht sehr schmeichelhaft für ihn gewesen. Lendenlahme Geschichte! Keine Traute hat die Gesellschaft! So werden wir niemals vom Fleck kommen! Lächerlich die ganze Sache! Solche und ähnliche Gedanken gingen Hegemüller durch den Kopf, bis die Stimme Thiessens ihn aus seinen Betrachtungen riß.

»Kommen Sie, Herr Hegemüller, hier unten sind wir fertig, jetzt gehts in die Baracke.« Und als er dieser Aufforderung nicht schnell genug folgte, fühlte er sich von Thiessen beim Arm genommen und mit sanfter Gewalt zu der eisernen Leiter gezogen, die vom Boden der Schleudergrube nach oben ins Freie führte.

Dann standen sie zu dritt in der Baracke, und Dr. Thiessen begann zu schalten und zu regeln. Das tiefe Brummen eines Transformators erfüllte den Raum; ein Hebel wurde umgelegt und gab der elektrischen Energie den Weg auf die Röhre in der Schleudergrube frei; unter der Hand Thiessens bewegte sich ein Rheostat, und der Zeiger eines Spannungsmessers glitt langsam über die Zahlen einer Skala. Die Hand ständig am Schaltergriff verfolgte Thiessen das allmähliche Ansteigen der Spannung und der Stromstärke, bereit, den Hebel sofort herauszureißen, sowie sie unzulässige hohe Werte annehmen würden. Auch die Blicke von Stiegel und Hegemüller hingen an den Zeigern der Meßinstrumente. Keiner von den dreien sprach ein Wort, bis Dr. Thiessen nach langem Schweigen den Mund öffnete.

»Ich denke, noch fünf Minuten, dann wird die Aktivierung der Substanz vollend . . .« Er brach jäh ab, denn plötzlich war der Zeiger des Strommessers auf Null zurückgefallen, während von draußen her ein schwaches, erst zischendes, dann pfeifendes Geräusch in den Raum drang. Mit einem Ruck riß er den Hauptschalter heraus und eilte, gefolgt von Stiegel und Hegemüller, ins Freie nach dem Rand der Schleudergrube hin.

Wo noch vor kurzem die große Blitzröhre gestanden hatte, lagen ein paar verstreute Glassplitter. Sonst war von der Röhre nichts mehr zu sehen. Verschwunden war auch die massige Kathodenkugel, in Unordnung lagen die Stromleitungen, die zu der Röhre führten, auf dem Boden. So stellte sich der Befund von außen dar, und so blieb er auch, als sie in die Grube hinabstiegen und eine genaue Untersuchung anstellten.

»Herr Gott im Himmel, wo ist die Kathode geblieben?« stöhnte Thiessen. »Rund vier Tonnen Metall können sich doch nicht einfach verflüchtigen . . . spurlos verschwinden . . . Wie ist das möglich? . . . Die Sache ist nicht zum Lachen«, fuhr er Hegemüller an, dem die Schadenfreude auf dem Gesicht stand. »Machen Sie lieber einen vernünftigen Vorschlag.«

»Ich schlage vor, Herr Doktor Thiessen«, sagte Hegemüller, ohne sich aus seiner Ruhe bringen zu lassen, »daß wir den Versuch wiederholen, aber das nächste Mal die Schutzkuppel über der Grube schließen. Dann wird uns wohl keine Kathode mehr abhanden kommen.«

*

George Brewster, der Führer des Fischkutters »Lady Jane«, Heimathafen Halifax, steckte die Nase in den Wind, der von Minute zu Minute mehr auffrischte, und versuchte sein Gesicht zu einem nicht ganz geglückten Lachen zu verziehen. Den Anlaß dazu gab der Nordwest, der den Nebel in dichten Schwaden vor sich her fegte und hier und dort bereits ein Stück blauen Himmels sichtbar werden ließ. Zusehends wich der Nebel. Schon ließ sich auf größere Entfernung die weite Fläche des Nordatlantiks überblicken; wohl an die hundert andere, der »Lady Jane« nicht unähnliche Boote wurden auf ihr sichtbar. Überall kamen mit dem weichenden Nebel Leben und Bewegung in die Fischerflotte auf den Neufundland-Bänken. Winden begannen zu knarren, Spieren wurden ausgeschwungen, und bald hier, bald dort sank ein Netz in die Tiefe.

Mit leisem Schleifen glitten auf der »Lady Jane« die Drahtseile, an denen das Schleppnetz hing, von den Windentrommeln, während gleichzeitig der Anker aufgeholt wurde.

»Gutes Fangwetter nach dem verdammten Nebel, Chief«, meinte der Steuermann O'Benira und ging ans Ruderrad, da der Kutter unter dem Druck seiner Segel Fahrt zu machen begann.

»Wollen's hoffen, Steuermann.« Captain Brewster sagte es, während er vom Achterdeck dem Netz nachschaute, das an den Drahtseilen durch die See schleifte. »Können's erst wissen, wenn wir tieferes Wasser unter uns haben. Wollen vorerst auf Südostkurs bleiben.«

In steter Fahrt verfolgte der Kutter seinen Kurs durch die Grenzzone, in der kalte polare Wassermassen mit der warmen Golfströmung zusammentreffen, jenes Gebiet der reichen Fischgründe. Bald mußte es sich nun zeigen, ob das Netz der »Lady Jane« Beute faßte.

Schon schien es praller zu werden, schien stärker an den Trossen zu zerren, als ein pfeifendes, zischendes Geräusch Captain Brewster in die Höhe blicken ließ. Von oben, vom blauen Himmel her, kam etwas Blankes, Schimmerndes in sausender Fahrt herab, schlug, wenige Meter vom Steuerbord der »Lady Jane« entfernt, in die See und verschwand in der Tiefe.

»Dammie, Chief!« O'Benira schüttelte sich die Tropfen ab, mit dem das blinkende Ding ihn beim Aufschlag auf das Wasser bespritzt hatte. »War verflucht nahe! Hätte uns totschlagen können!«

»Hättet euch was darauf einbilden können«, unterbrach Brewster seinen Steuermann. »Habe mal irgendwo gelesen, daß nur alle zweihundertfünfundzwanzig Jahre einmal ein Mensch von einem Meteor erschlagen wird. Wäret danach ein Leckerbissen für unsere Statistiker geworden, O'Benira.«

»Danke für die Auszeichnung. Habe keine Verwendung dafür. Ist mir lieber, daß ich das Ding nicht auf den Kopf bekommen habe«, brummte der Steuermann vor sich hin.

»Mir auch, O'Benira. Könnte euch jetzt schlecht entbehren. Will den Vorfall eben mal ins Logbuch eintragen. Wird vielleicht den einen oder anderen von unseren Sternkiekern interessieren.«

Der Captain ging unter Deck, um sein Vorhaben auszuführen, während der Steuermann am Ruder blieb. Hin und wieder warf O'Benira einen Blick nach achtern auf das Netz, das die Fahrt des Kutters bereits merklich zu bremsen begann. Mit Befriedigung schloß er daraus auf einen guten Fang und verfiel dann für längere Zeit ins Sinnieren, bis Captain Brewster wieder auf Deck kam.

»Habe mir's inzwischen überlegt, Steuermann«, begann er, »könnte die Sache eigentlich nach Halifax funken . . . Teufel, was ist das?! Wo kommen die toten Fische her?« Er deutete dabei nach achtern.

O'Benira drehte sich um und staunte im nächsten Augenblick ebenso wie Brewster. Fische, tot oder doch zum mindesten betäubt, trieben in unzählbarer Menge auf der Oberfläche des Wassers.

Auch auf anderen Booten hatte man die überraschende Erscheinung jetzt wohl bemerkt. Es war von der »Lady Jane« aus zu sehen, wie die Leute ihrer Besatzungen hin und her liefen, gestikulierten und auf die Wasserfläche zeigten.

»Zum Teufel, was ist das, Steuermann?« wiederholte Brewster seine Frage. »Ein Fischsterben auf den Bänken! Habe nie gehört, daß es so etwas gegeben hat.«

»Schlage vor, Chief, wir holen schleunigst unser Netz ein, ehe uns auch das krepiert, was wir drin haben.«

Die Winden des Kutters gingen an. Meter um Meter holten sie die Trossen ein. Jetzt kam das große Schleppnetz an die Wasseroberfläche. Silbrig zappelte es in ihm.

»Die sind noch springlebendig«, meinte Brewster, während die Besatzung der »Lady Jane« in die Maschen griff, das Netz aus dem Wasser zog und über das Deck hin bis zu einer Luke schleifte. Polternd stürzte sein Inhalt in den Fischraum des Kutters.

»So! Die hätten wir in Sicherheit«, sagte O'Benira. »Könnten unser Netz jetzt mal ganz flach durchs Wasser ziehen. Würden es in fünf Minuten wieder vollhaben. Wäre kein schlechtes Geschäft, Captain.«

»Tote Fische, Steuermann? Nein, das mache ich nicht. Mag der Teufel wissen, woran sie verreckt sind.«

»Aber die andern machen's«, wandte der Steuermann ein. »Seht mal den Logger da drüben; der läßt sich den Job nicht aus der Nase gehen. Wird bald randvoll geladen haben und lange vor uns mit seinem Fang auf dem Markt sein.«

Verdrossen schaute Brewster nach dem andern Boot hinüber.

»Will mir den Burschen merken, unserm Sheriff einen Wink geben«, knurrte er ärgerlich vor sich hin, als ein neues Schauspiel seinen Blick fesselte. Ungefähr halbwegs zwischen der »Lady Jane« und dem Logger wirbelte das Wasser auf, brodelte einen Moment stärker und dann – Brewster glaubte seinen Augen nicht zu trauen – hob sich etwas Rundes, Schimmerndes aus der Flut. Langsam zuerst noch, doch dann schnell und immer schneller werdend, stieg es in schräger Richtung empor, ging in beträchtlicher Höhe schon in westlicher Richtung über den Kutter hinweg, wurde immer kleiner, ein silbernes Pünktchen schließlich nur noch, das am Westhorizont in der Himmelsbläue verschwand.

Brewster griff sich an den Kopf. »Bin ich toll geworden . . . das Meteor?! Fliegt wieder in den Himmel zurück? Unmöglich!«

O'Benira fand seine Fassung schneller wieder als Brewster. »Doch Chief!« sagte er mit Entschiedenheit. »Ich hab's auch gesehen und kann mich auf meine Augen verlassen. Es war der verrückte Brocken von vorhin. Flog ja zuerst ganz langsam. Konnte deutlich sehen, daß es eine runde Kugel war, torkelte zuerst, als sie aus dem Wasser kam, wie betrunken hin und her. Schien sich dann anders zu besinnen und sauste mit Volldampf ab. Hatte nach meiner Schätzung Kurs Südwest zu West. Müßte nach den Staaten kommen, wenn sie ihn beihält.«

»Ihr habt's auch gesehen!? Ihr könnt's auf euren Eid nehmen, Steuermann?« fiel ihm Brewster ins Wort.

»Selbstverständlich, Captain, wenn Ihr's ins Logbuch schreibt, will ich's unterzeichnen.«

»Allright, Steuermann, soll sofort geschehen. Hallo, Bob!« Brewster rief einen Mann der Besatzung ans Ruder, dann ging er selber mit O'Benira unter Deck, und nicht nur das Logbuch, sondern auch der Sender des Kutters wurden hier in Anspruch genommen. Captain Brewster funkte einen ausführlichen Bericht über die merkwürdigen und unerklärlichen Erscheinungen, die sich zwischen zwölf Uhr und zwölf Uhr dreißig Minuten ostamerikanischer Zeit auf den Neufundland-Bänken neben seinem Kutter ereignet hatten, in den Äther.

Der Funkspruch Brewsters wurde nicht nur in Halifax empfangen, sondern auch von zahlreichen anderen Stationen aufgenommen und von den Großsendern auch über den Atlantik nach Europa weitergegeben. Er bildete das erste Glied einer Kette von schnell aufeinanderfolgenden Nachrichten, welche die Wissenschaftler der ganzen Erde vor ein schweres Rätselraten stellen sollten.

*

»Georgie! Hallo, Georgie! Wach auf, Georgie!« Mrs. Atwater mußte geraume Zeit rufen und ihren Gatten, den ehrenwerten Farmer und Bürger des Staates Nebraska George Atwater kräftig rütteln, bis er sich ermunterte.

»Was gibt's? Was ist los, Katherine?«

»Einbrecher, Georgie! Ich glaube, es sind Diebe im Garten. Hör doch, wie der Hund bellt und mit der Kette rasselt.«

»Ach was, Diebe? Was sollen die stehlen? Ist ja noch kein Obst reif.«

Mr. Atwater hätte gern weitergeschlafen, aber seine Ehehälfte ließ nicht locker und sprach weiter auf ihn ein. »Nein, Georgie, es ist jemand in unserem Garten. Ich habe einen Fall gehört, als ob einer die große Leiter abgehakt und zu Boden geworfen hätte. Du mußt 'rausgehen und nachsehen.«

Seufzend fügte der Farmer sich in das Unvermeidliche und zog los. Er machte den Hund von der Kette frei, der sofort sein Bellen einstellte und wedelnd um ihn herumsprang. Ein Blick nach der Hauswand überzeugte Mr. Atwater, daß die Leiter sicher an ihrem Platz hing. Kreuz und quer wanderte er durch den Garten, doch nirgends war die Spur eines Eindringlings zu finden.

»Kein Mensch draußen; mußt dich geirrt haben, Katherine«, gab er kurz danach Bericht und machte, daß er wieder in die Federn kam.

Diese Szene spielte sich in der Gegend zwischen Omaha und Columbus zehn Stunden nach dem eigenartigen Vorkommnis auf den Neufundland-Bänken ab. Der folgende Tag verlief auf der Farm ohne weitere Zwischenfälle. Als aber Mrs. Atwater am übernächsten Morgen in ihren Garten kam, stieß sie einen so kläglichen Schrei aus, daß ihr Gatte ihr erschreckt nacheilte. Noch ehe er etwas fragen konnte, jammerte sie los.

»Unser schönster Apfelbaum! Der große Kalvill-Apfel! Sieh nur das Laub, Georgie. Ganz welk, wie verbrannt, hängt es an den Zweigen. O Gott, wie ist das nur gekommen?«

Die Klage von Mrs. Atwater war berechtigt, denn traurig nahm sich die Krone dieses einen Baumes zwischen dem saftgrünen Frühlingslaub der anderen aus. Fast schwarz und zusammengerollt waren seine Blätter, wie von einer Art von Brand schien er befallen zu sein.

Mr. Atwater konnte sich nicht entsinnen, jemals etwas Ähnliches gesehen zu haben. Entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, schleppte er die Leiter heran und stand im Begriff, sie zwischen den Beerensträuchern, die unter diesem Baum wuchsen, aufzurichten, als er mit einem Leiterholm gegen ein Hindernis stieß. Er stutzte. Lag da ein Stein? Ein Feldstein in dem gepflegten Obstgarten? Das war doch ausgeschlossen.

Er warf die Leiter beiseite und bog die Zweige eines Strauches, die ihm die Sicht versperrten, auseinander, und dann ging sein Stutzen in ein Staunen über. Da lag, zum Teil in den Boden hineingetrieben, ein runder blinkender Metallbrocken von fast kugelförmiger Gestalt. Er stieß mit dem Fuß dagegen, aber das Gebilde rückte und rührte sich nicht von der Stelle. Auch als er mit beiden Händen zupackte und es mit aller Gewalt vorwärtszuschieben versuchte, blieb es unbeweglich, als ob es mit dem Boden verwachsen wäre.

Der Farmer zerkaute einen Fluch zwischen den Zähnen, während er sich nach einer letzten vergeblichen Anstrengung den Schweiß von der Stirn wischte. Dann holte er sich einen Spaten.

»Wäre ja gelacht, wenn ich das Ding nicht loskriegen könnte«, brummte er vor sich hin und begann den Metallbrocken von der einen Seite her zu untergraben. Ohne besonderen Widerstand zu finden, drang das Eisen des Spatens in den Boden ein, und immer unerklärlicher wurde es Mr. Atwater, während er weitergrub, daß diese wunderliche Kugel vorher seinen Versuchen, sie zu bewegen, solchen Widerstand geleistet hatte.

Jetzt hatte er sie schon zur Hälfte unterhöhlt. Dann fuhr er mit dem Spaten noch einmal tief in das Erdreich und holte eine kräftige Schaufel Erde heraus, da begann die Metallmasse sich ganz plötzlich und unerwartet zu bewegen. Weil ihr jetzt die Unterstützung durch unter ihr befindliches Erdreich fehlte, geriet sie ins Rollen, rollte bis zur tiefsten Stelle der Grube und dann – Mr. Atwater ließ den Spaten fallen und riß vor Staunen den Mund auf –, dann hob sich die Metallkugel, im ersten Augenblick noch langsam, doch gleich darauf schnell und immer schneller vom Erdboden ab und stieg schräg in die Höhe.

Der Farmer riß den Kopf zurück, als das rätselhafte Projektil an seinem linken Ohr vorbeischwirrte.

By Jove! Hätte was geben können, wenn ich das Ding an den Schädel gekriegt hätte, schoß es ihm durch den Sinn, während er dem fliegenden Etwas nachschaute.

Sein Haus war ein solider Holzbau von der Art, wie sie im amerikanischen Mittelwesten allgemein üblich sind. Auch das Dach war mit hölzernen Schindeln gedeckt. Das einzige Steinerne an dem ganzen Haus war der Schornstein. Der mußte wohl oder übel aus einem unverbrennlichen Stoff hergestellt werden, weil sonst keine Gesellschaft in den Staaten eine Feuerversicherung für das Anwesen abgeschlossen hätte. In leuchtendem Rot hob sich der starke gemauerte Schornstein von dem braunen Schindeldach ab.

Eben noch ruhten die Augen von Mr. Atwater darauf. Im nächsten Moment sah er den Schornstein splittern und brechen, denn mit der Gewalt einer Bombe war die Metallkugel dagegengesaust. Einem kurzen scharfen Krach folgte das Poltern und Rasseln der niederstürzenden Trümmer. Über das Schrägdach rollten sie nach unten, dabei hier und dort Dachschindeln herausreißend und mit sich nehmend.

Der Schornstein war zum Teufel. Mr. Atwater hatte sich die Sache seinerzeit etwas kosten lassen, hatte die besten Hartbrandsteine dafür gekauft, und nun lag der Schornstein in Trümmern. Es dauerte eine Weile, bis der Farmer wieder einen klaren Gedanken zu fassen vermochte, und der lautete ganz kurz und einfach: Dafür muß die Versicherung aufkommen.

Er ging in das Haus an seinen altertümlichen Schreibtisch und kramte in dessen Fächern, bis er seine Versicherungspapiere gefunden hatte. Dann schob er sich eine mächtige Hornbrille auf die Nase, begann in den Dokumenten zu studieren und konnte schnell feststellen, daß seine Vermutung ihn nicht getäuscht hatte. Nicht nur gegen Feuer, sondern auch gegen Schädigungen durch Elementarereignisse verschiedener Art hatte er vor Jahren eine Versicherung abgeschlossen. Weniger seiner eigenen Voraussicht war dieser Umstand zu verdanken als der unwiderstehlichen Beredsamkeit des Agenten, und öfter als einmal hatte sich Mr. Atwater in der Zwischenzeit über die nicht ganz niedrigen Prämien geärgert. Jetzt freute er sich, daß er die Police hatte.

Sorgsam las er sie Zeile für Zeile durch und stieß dabei auf einen Passus, laut dem Schäden von mehr als hundert Dollar der Gesellschaft sofort telegraphisch zu melden seien. Daß dieser Schaden – das Dach würde bei dieser Gelegenheit auch gründlich repariert werden müssen – mehr als hundert Dollar ausmachte, stand außer Zweifel. Hier galt es also schnell zu handeln.

Mr. Atwater zog sein Auto aus dem Holzstall, setzte sich ans Steuer und rollte fünf Minuten später auf der Landstraße nach Omaha dahin. Dort hatte die Versicherungsgesellschaft eine Agentur, und dort an Ort und Stelle wollte er alles gleich mündlich ins reine bringen.

Ungläubig hörte sich der Leiter der Versicherungsagentur, Mr. Yenkins, die Erzählung an, die George Atwater vorbrachte, denn allzu unwahrscheinlich erschien ihm diese Geschichte. Erst als er im Garten des Farmers stand und mit eigenen Augen den verdorrten Baum, das Loch zwischen den Sträuchern und den Schaden am Hause sah, bequemte er sich zu dem Zugeständnis, daß hier möglicherweise eins der in der Police vorgesehenen Elementarereignisse stattgefunden haben könnte, und nahm an Ort und Stelle ein genaues Protokoll über den Vorfall auf. Mit dem Versprechen, daß seine Gesellschaft bald etwas von sich hören lassen würde, empfahl er sich dann. Von Omaha aus gab er die Meldung an die Generaldirektion der Gesellschaft in St. Louis weiter. Dort wurde sie nicht so skeptisch aufgenommen, denn inzwischen waren durch den Rundfunk bereits die Vorfälle auf den Neufundland-Bänken bekanntgeworden, bei denen eine ganz ähnliche Metallkugel eine Rolle gespielt hatte.

Noch waren die Spalten der amerikanischen Zeitungen voll von mehr oder weniger wahrheitsgetreuen Berichten über das Abenteuer der kanadischen Fischereiflotte, und schon erkannte Mr. Fox, der Chiefmanager der Versicherungsgesellschaft, mit sicherem Blick, daß sich hier Gelegenheit zu einer großartigen Reklame für seinen Konzern böte. So entschied er denn: Wir werden diesem Farmer seinen Schaden sehr großzügig ersetzen, und so erhielt Mr. Atwater zu seiner freudigen Überraschung seine ziemlich gesalzene Rechnung ohne jeden Abstrich glatt ausgezahlt.

Gleichzeitig aber begann das Propagandabüro der Versicherungsgesellschaft zu arbeiten. Bereitwillig veröffentlichten die Zeitungen seine Berichte über das neuerliche Auftauchen der geheimnisvollen Kugel in Nebraska und ließen sogar die Zeilen, die im Anschluß daran das Lob der Gesellschaft sangen, ungestrichen. Selbstverständlich ließ sich auch der Rundfunk diesen neuen Fall nicht entgehen, und auf Ätherwellen verbreitete sich die Kunde davon nach allen Richtungen hin über den Erdball.

*

In einer starkwandigen Bleibüchse sorgsam verwahrt lag jenes Stückchen Metall, das Villari und Tomaseo bei ihrer Siesta so rücksichtslos gestört hatte, im Instituto Fisico in Rom und verursachte dem Professor Ruggero täglich neues Kopfzerbrechen. Vergeblich hatte er Nachforschungen angestellt und Erkundigungen eingezogen, nirgends in Rom und seiner Umgebung hatte es zu der kritischen Zeit so etwas wie eine Explosion gegeben. Ungelöst blieb nach wie vor die Frage nach der Herkunft des merkwürdigen Stückes, und die Meinung Tomaseos, daß es aus dem Weltraum stamme, schien ihm nicht mehr so abwegig, obwohl manche Gründe dagegensprachen.

Schon die einfache Untersuchung auf der Waage, die Professor Ruggero alle vierundzwanzig Stunden vornahm, ließ keinen Zweifel darüber, daß der anfangs so starke Gewichtsunterschied dieses Brockens von Tag zu Tag geringer wurde; radiologische Messungen ergaben auch eine starke Abnahme der Strahlung. Ruggero konnte aus den erhaltenen Werten eine Halbzerfallzeit von nur wenigen Wochen errechnen, und das versetzte der Hypothese Tomaseos einen schweren Stoß. Unmöglich erschien es danach, daß der Brocken aus weltenweiter Ferne nach einer Flugdauer von Jahrtausenden oder gar Jahrmillionen in den Anziehungsbereich der Erde gekommen sei. Vergeblich versuchte Tomaseo seine Meinung zu verteidigen. Die nüchternen Zahlen, die Ruggero ihm entgegenhielt, waren beweiskräftiger als alle Worte.

»Dann noch eine letzte Möglichkeit, Signor Professore!« rief Tomaseo, in die Enge getrieben. »Nehmen wir an, daß in unserem Planetensystem – schon in der Nähe der Erde – vielleicht zwischen Erde und Mars ein Meteor explodiert ist und die Sprengstücke erst im Augenblick der Explosion radioaktiv wurden . . .«

Ruggero zuckte die Achseln. »Möglich, mein Lieber; wir wollen besser sagen, vielleicht nicht unmöglich, aber es ist wenig wahrscheinlich, und vor allen Dingen werden Sie es niemals beweisen können. Ja wenn wir diesen Meteoriten hätten;«

»Er ist doch explodiert, zerrissen, zerfetzt!« fiel ihm Tomaseo ins Wort.

»Also wenn wir wenigstens noch andere Sprengstücke oder Trümmer von ihm hätten«, führte Ruggero seinen Gedankengang fort, »dann ließe sich schon eher über Ihre Theorie reden. So aber kommen wir nicht weiter.«

So standen die Dinge, als die Vorkommnisse bei den Fundland-Bänken und in Nebraska auch in Rom bekannt wurden. Eine Nummer des Popolo Romano schwenkend, stürmte Tomaseo in das Zimmer Ruggeros.

»Hier haben Sie's, Signor Professore! Alles, was uns noch fehlte! Sprengstücke unseres Meteoriten sind zur Erde gekommen, so stark und wuchtig, daß sie Schornsteine und Dächer zerstören. So gewaltig strahlend, daß in ihrer Nähe Fische sterben und Bäume verdorren.« Er schob Ruggero die Zeitung hin, während er weiter sprach: »Einen stärkeren Beweis für unsere Theorie als das hier kann es nicht geben. Vor solchen Tatsachen muß jeder Zweifel verstummen.«

Es dauerte eine geraume Weile, bis Professor Ruggero zu Worte kommen und den Enthusiasmus Tomaseos ein wenig dämpfen konnte. Höflich, aber entschieden lehnte er es ab, selber diese Meteoritentheorie zu vertreten und eine Veröffentlichung darüber zu schreiben.

»Wenn Sie es wollen, mein lieber Tomaseo, dann tun Sie es. Ich will Ihnen keine Hindernisse in den Weg legen. Aber Sie werden auf Einsprüche und Angriffe gefaßt sein müssen, dessen dürfen Sie sicher sein.«

»Ich werde die Einsprüche widerlegen! Ich werde die Angriffe abschlagen«, trumpfte Tomaseo auf.

Ruggero hatte nur ein Achselzucken dafür. Er wußte, daß es vergebliche Mühe gewesen wäre, Tomaseo von seiner Absicht abzubringen.

Mit Lust und Eifer ging der an die Arbeit und vollendete noch im Laufe des gleichen Tages eine mit Messungsergebnissen und Zahlen gespickte Abhandlung, in der die Ereignisse von jenem ersten Vorfall in den Albaner Bergen an bis zu dem Abenteuer von Mr. Atwater übersichtlich behandelt und die bewußte Meteoritentheorie entwickelt und begründet wurde. Die Schriftleitung der Atti elettrici nahm die Arbeit an, konnte aber eine Drucklegung frühestens erst für den nächsten Monat in Aussicht stellen. Das war für die Ungeduld Tomaseos viel zu spät. Er stellte der italienischen Tagespresse Auszüge aus seiner Arbeit zur Verfügung, und mit Vergnügen öffnete diese ihre Spalten dem so aktuellen und interessanten Stoff. Weiter fanden die Veröffentlichungen ihren Weg dann auch in auswärtige Zeitungen und waren wenige Tage später in der deutschen und sogar in der japanischen Presse zu finden.

*

»Wir wollen den Versuch wiederholen, aber das nächste Mal die Schutzkuppel schließen«, hatte Dr. Hegemüller nach dem ersten mißglückten Experiment in der Schleudergrube vorgeschlagen.

»Wir können sie schließen«, hatte Thiessen nach einigem Überlegen ihm zugestimmt, »aber die ganze Versuchsanordnung will mir nicht recht gefallen. Es geht nicht an, daß jedesmal unter Feuer und Blitz eine Röhre zerstört wird. Wir wollen doch vernünftig experimentieren und keine sinnlose Knallerlei und Feuerwerkerei treiben.«

»Verzeihung, Herr Thiessen«, mischte sich Dr. Stiegel ein, »die Zerstörung der Röhre können wir vorläufig ruhig in Kauf nehmen. Die paar Glasscherben kosten ja schließlich kein Vermögen.«

»Aber das ist kein sauberer Versuch, wenn die Sache jedesmal mit einem Bruch endet«, begehrte Thiessen auf.

»Es wird sich später sicherlich eine Anordnung finden, bei der sich das vermeiden läßt«, versuchte Dr. Stiegel ihn zu beschwichtigen. »Wir müssen mit der Tatsache rechnen, daß die Kathode, sobald die Aktivierung einen gewissen Grad erreicht hat, starke mechanische Kräfte ausübt, denen die Glaswand der Röhre nicht gewachsen ist.«

»Wir können später starkwandige Röhren aus Metall oder Steingut bauen«, warf Hegemüller ein. »Für den nächsten Versuch bleiben wir besser bei der alten Glasröhre.«

»Ja aber warum denn um alles in der Welt, Herr Hegemüller?« fragte Thiessen.

»Weil wir so am schnellsten vorwärtskommen«, begründete Hegemüller seinen Vorschlag. »Eine neue Glasröhre können wir in einer Stunde blasen. Die Herstellung anderer Röhren würde Tage, wahrscheinlich sogar Wochen in Anspruch nehmen.«

Dieser Logik mußte sich Dr. Thiessen nach kurzem Widerstreben beugen, denn tatsächlich war es ja wichtig, daß sie möglichst bald eine größere Menge der radioaktiven Kathodensubstanz zur Verfügung hatten.

»Also dann in Gottes Namen los«, entschied er sich. »Machen wir den nächsten Versuch noch mit einer Glasröhre.«

Seine Worte waren das Signal für eine angestrengte Tätigkeit. Die zischenden Flammen der Blaubrenner begannen um einen Glasfluß zu spielen, bis er rotwarm und plastisch wurde. Preßluft blies die glühende Masse zu einer mächtigen Hohlkugel auf. Bleistaub und Zusatzstoff wurden abgewogen und vermischt. Eine hydraulische Presse zwang das Gemenge unter dem Druck von vielen hundert Tonnen in die gewollte Form. Eins wurde zum anderen gefügt, und als die Sirene den Werkschluß verkündete, stand alles für den nächsten Versuch bereit.

Hegemüller hätte ihn am liebsten sofort gemacht, aber Thiessen widersprach. »Auf morgen, meine Herren. Für heute ist es genug. Morgen früh werden wir mit frischen Kräften an den Versuch gehen.«

»Haben Sie die heutigen Frühmeldungen des Rundfunks gehört?« fragte Dr. Stiegel am nächsten Morgen Thiessen. Der gab eine verneinende Antwort und ebenso auch Hegemüller.

»Nun denn, Herr Thiessen«, Dr. Stiegel holte ein beschriebenes Blatt aus seiner Tasche, »ich habe diese Meldung mitgeschrieben. Was halten Sie davon?«

Thiessen überlas die Notiz halblaut, ». . . Fischereiflotte . . . Fundland-Bänke . . . Meteor . . . Metallkugel . . . Fischsterben . . . Meteor wieder aus der See aufgestiegen . . . Was soll das?« fragte er kopfschüttelnd.

»Ein Gedanke, Herr Thiessen, eine Vermutung . . . eine Möglichkeit vielleicht . . .«

»Erklären Sie sich bitte deutlicher«, unterbrach ihn Thiessen ungeduldig, »ich verstehe nicht, was Sie wollen.«

»Wenn dieses rätselhafte Meteor unsere verschwundene Kathode wäre, Herr Thiessen . . .«

Dr. Thiessen vergaß vor Staunen den Mund zu schließen. Während er Stiegel noch überrascht ansah, bemächtigte sich Hegemüller der Notiz und nickte mehrmals, während er sie überflog.

»Das sind Hirngespinste«, hatte Thiessen eben herausgestoßen, als Hegemüller sich einmengte.

»Blinkende Metallkugel . . . könnte stimmen. Ungefähr anderthalb Fuß Durchmesser . . . stimmt auffallend. Fischsterben . . . Na, daß das Zeug gefährlich strahlt, wissen wir ja auch.«

»Sie phantasieren, Hegemüller«, unterbrach ihn Thiessen und nahm das Blatt wieder an sich. »Wie denken Sie sich das denn. Um 12 Uhr 30 ist die Geschichte bei den Bänken passiert. Um 11 Uhr ist uns die Röhre in die Brüche gegangen . . .«

»Vergessen Sie die Zeitdifferenz nicht«, unterbrach ihn Dr. Stiegel. »12 Uhr 30 bei Neufundland bedeutet 17 Uhr 30 mitteleuropäische Zeit.«

»Weiß ich selber, Herr Stiegel! Das Ereignis auf den Bänken hat sich sechs Stunden und dreißig Minuten nach dem Vorkommnis in unserem Labor abgespielt . . .«

»Die Entfernung von uns bis zu den Bänken beträgt rund fünftausend Kilometer«, nahm Dr. Stiegel wieder das Wort. »Bei einer durchschnittlichen Stundengeschwindigkeit von 800 Kilometer könnte also . . .«

»Unsere Kathode dort eingeschlagen haben«, vollendete Dr. Thiessen den Satz, »das wollen Sie doch damit sagen, Kollege.«

Dr. Stiegel nickte. »Allerdings, Herr Thiessen. Das ist meine Meinung.«

»Nun trinken Sie 'mal erst ein paar Schluck kaltes Wasser, und setzen Sie sich, mein lieber Stiegel.« Thiessen sprach zu seinem Assistenten wie zu einem Kranken, dem man gut zureden muß, und drückte ihn auf einen Stuhl nieder. »So! Und nun versuchen Sie mal fünf Minuten logisch zu denken. Die Sache ist doch so. Wenn ich von hier aus einer Kanone eine Kugel bis nach den Bänken schießen will, dann muß ich das Kanonenrohr unter einem ziemlich großen Winkel nach oben richten. Ich muß ihm, wie die Artilleristen es machen, eine gewisse Elevation geben. Das berühmte Ferngeschütz des Weltkrieges hatte eine Elevation von 55 Grad und schoß über 130 Kilometer. Wie denken Sie sich die Geschichte nun, wo der Schuß über fünftausend Kilometer gehen soll?«

Thiessen wartete vergeblich auf eine Gegenäußerung. Es war offensichtlich, daß seine Ausführungen Dr. Stiegel in Verwirrung gebracht hatten und er die richtige Antwort nicht sogleich zu finden vermochte.

»Bedenken Sie auch, welche Geschwindigkeit für einen solchen Schuß notwendig wäre«, fuhr Thiessen fort. »Das Geschoß jenes Ferngeschützes verließ das Rohr mit einer Sekundengeschwindigkeit von zwei Kilometer, was einer Stundengeschwindigkeit von 72 000 Kilometer entsprechen würde.«

»Halt, Herr Doktor Thiessen«, kam Hegemüller Stiegel zu Hilfe, »jetzt begehen Sie selbst einen Denkfehler!«

»Wie so, Herr Hegemüller?« unterbrach ihn Thiessen scharf.

»Weil Sie es unberücksichtigt lassen, daß sich unsere entflogene Kathode nicht wie eine abgeschossene Kanonenkugel, sondern wie eine Rakete bewegt. Ihre Flugbahn gehorcht ganz anderen Gesetzen.«

»Doch sie ist ebenso der irdischen Schwerkraft unterworfen wie die Kanonenkugel«, warf Thiessen ein.

»Aber die Rakete kann der Schwerkraft in ganz anderer Weise und viel erfolgreicher entgegenwirken als eine Kanonenkugel«, rief Dr. Stiegel, der sich inzwischen gesammelt hatte; »einmal abgeschossen ist die Kanonenkugel ein willenloses Objekt, während die Rakete während ihres Fluges unaufhörlich wie eine Maschine weiterarbeitet.«

»Natürlich tut sie das!« schrie Hegemüller, »für eine Rakete – und unsere Kathode war eine Rakete – ist ein Flug von hier bis zu den Fundland-Bänken überhaupt nur ein Katzensprung. Die hätte gleich bis zum Mond fliegen können . . .«

»Hegemüller, Sie sollten etwas gegen Ihren Zustand einnehmen«, riet ihm Thiessen.

»Aber die Kugel ist ja wieder aus dem Atlantik aufgetaucht. Wir werden vielleicht noch weiter von ihr hören«, verteidigte Hegemüller seinen Standpunkt. Immer lebhafter platzten die Meinungen der drei aufeinander, bis Thiessen nach einem Blick auf die Uhr der Debatte ein Ende setzte.

»Schluß jetzt, meine Herren, mit dem zwecklosen Streit. Wir wollen an unsern Versuch gehen.«

Die Anordnungen für das zweite Experiment waren die gleichen wie für das erste mit dem einzigen Unterschied, daß die Schleudergrube nach oben hin geschlossen wurde. Bevor Dr. Thiessen die Hochspannung einschaltete, ließ er die Elektromotoren angehen, welche die zweiteilige schwere Panzerkuppel von beiden Seiten her über die Grube schoben. Danach verlief alles fast ebenso wie das letzte Mal. Nach einer gewissen Anzahl von Minuten fiel der Stromzeiger plötzlich auf Null; fast im gleichen Augenblick aber drang von draußen her ein dumpfer Klang in den Schaltraum. Die Panzerkuppel erdröhnte, als ob eine Riesenfaust dagegen geschlagen habe.

»Diesmal ist der Vogel gefangen«, sagte Thiessen, als der Lärm verklungen war.

»Den Brocken haben wir sicher!« schrie Hegemüller, machte einen Freudensprung und wollte ins Freie hinauseilen. Thiessen hielt ihn zurück. »Ruhe, Kollege! Erst überlegen, dann handeln!«

Er nahm einen Zeichenblock und entwarf eine Skizze der Schleudergrube, während er weitersprach.

»Die Kathodenkugel ist nach oben gegen die Schutzkuppel geflogen, das dürfen wir nach dem Krach, den wir hörten, mit Sicherheit annehmen. Weiter ist zu vermuten, daß sie infolge der Rückstoßkraft ihrer Strahlung mit großer Gewalt nach oben gegen die Kuppel drückt. Wenn sie nun gerade auf der Linie sitzt, wo die beiden Kuppelhälften zusammenstoßen . . . sehen Sie hier, meine Herren«, Thiessen deutete auf seine Skizze, »dann geht sie uns unweigerlich durch die Lappen, wenn wir die Kuppel öffnen.«

Die Beweisführung Thiessens wirkte so überzeugend, daß keiner der beiden anderen etwas dagegen sagen konnte.

»Ja, aber schließlich werden wir die Kuppel doch einmal öffnen müssen«, meinte Dr. Stiegel nach einigem Überlegen, »auf andere Weise können wir an das Ding ja nicht 'rankommen.«

»Man müßte die beiden Kuppelhälften nur ganz wenig auseinanderziehen«, schlug Dr. Hegemüller vor, »nur so weit, daß etwa ein zollbreiter Schlitz entsteht. Wenn man den Schlitz dann mit einer Stange abtastete, müßte man auf die Kugel stoßen, wenn sie gerade an der Stelle sitzt.«

»Richtig, mein lieber Hegemüller!« Thiessen klopfte Dr. Hegemüller lachend auf die Schulter. »Sie haben die Sache 'mal wieder richtig erkannt. So wollen wir es machen.«

Er trat an den Motorschalter, während Hegemüller und Stiegel die Baracke verließen und auf die Schutzkuppel kletterten.

»Rufen Sie, sowie der Spalt einen Zoll breit ist«, befahl Thiessen und ließ den Motor ganz behutsam angehen.

»Halt! Stop!« schrie es von draußen, und er setzte die Maschine sofort wieder still und ging dann ebenfalls ins Freie.

»Ich sehe die Kugel«, rief ihm Hegemüller schon von weitem entgegen, »genau auf dem Spalt sitzt sie und am höchsten Punkt der Kuppel.«

Mit ein paar Sprüngen war Thiessen bei ihm und überzeugte sich von der Richtigkeit seiner Beobachtung.

»Ja, was nun«, begann Dr. Stiegel zögernd. »Wenn wir die Kuppel weiter öffnen, saust der Brocken ab . . . Gott weiß wohin in den Weltraum.«

»Ruhe, Ruhe, Herrschaften!« beschwichtigte ihn Thiessen. »Erst raten, dann Taten.«

»Man könnte vielleicht versuchen, die Kugel mit einer kräftigen Eisenstange an den Schlitz entlangzuwälzen«, gab Hegemüller seine Meinung kund. »Nach einer halben Umdrehung müßte sie dann auf den Boden der Grube abstürzen . . .«

»Und in der Grube allerlei unkontrollierbaren Unfug verüben«, unterbrach ihn Thiessen. »Außerdem hätten wir dann noch die Arbeit, sie wieder nach oben zu schaffen. Nein, mein lieber Hegemüller, das muß auf eine andere Weise gemacht werden. Wir wollen's uns in aller Ruhe überlegen.«

In stundenlanger Beratung saß Dr. Thiessen mit seinen beiden Assistenten zusammen. Pläne wurden gemacht und wieder verworfen, bis sie endlich das richtige gefunden zu haben glaubten. Der Chefingenieur Grabbe mußte hinzugezogen werden, weil sie für das, was sie beabsichtigten, Apparaturen und Vorrichtungen benötigten, die in anderen Abteilungen des Werkes hergestellt werden mußten. Mehrere Tage verstrichen, bis alles vorbereitet war, dann endlich konnte der Plan zur Ausführung kommen.

Ein engmaschiges Netz aus daumenstarken Drahtseilen, das in vier mächtige Stahltrossen auslief, wurde an der Stelle, wo die Kugel saß, über den Kuppelschlitz gelegt. Zu vier kräftigen Motorwinden führten die Trossen; auf Betonblöcken waren die Winden unverrückbar verankert.

»Damit werden wir's sicher zwingen«, meinte Dr. Thiessen zuversichtlich.

»Ist auch unbedingt nötig!« unterstrich Grabbe die Bemerkung Thiessens. »Ein zweites Mal darf uns so ein Brocken nicht entkommen. Der erste hat schon genug Malheur in der Welt angerichtet. Wenn die Leute in USA um die Wahrheit wüßten, könnte unser Werk am Ende noch allerlei Schornsteine und Dächer bezahlen.«

Thiessen schaltete die Motoren ein; langsam gingen die Kuppelhälften Zoll um Zoll auseinander. Vier Augenpaare blickten gespannt nach der Kuppel hin. Nur ein leises Dröhnen der gewaltigen durch Motorkraft bewegten Stahlmassen war vernehmbar, doch dann plötzlich ein hartes Scharren, wie wenn Metall auf Metall schleift.

Plötzlich stand das Netz straff nach oben gespannt und zerrte an den Haltetrossen. Noch bebend vom jähen Anprall zitterte schimmernd und glänzend eine Metallkugel in ihm, von seinen Maschen gefangen, gehindert an einem jähen Flug in unbekannte Ferne. Chefingenieur Grabbe und Dr. Thiessen eilten zu den in die Trossen eingeschalteten Dynamometern, um zu sehen, was deren Skalen anzeigten. Mit einem Zug von tausend Kilo war jede Trosse belastet; so groß war die Kraft, mit der die strahlende Kugel nach oben strebte.

Zum Scheitern wäre jeder Versuch verurteilt gewesen, sie einfach durch Menschenkraft von ihrem jetzigen Ort in das Laboratorium zu schaffen. Andere, stärkere Mittel mußten dafür in Anwendung kommen. Der Gewalt der Strahlkugel mußte eine noch größere Gewalt entgegengesetzt werden.

Schnell waren sich Grabbe und Thiessen darüber einig, was weiter zu geschehen hatte, und der Chefingenieur gab seine Anordnungen durch das Telephon. Nicht lange brauchte er zu warten. Motorendröhnen erklang, und über den Werkhof rollte einer jener riesenhaften Spezialwagen mit zwanzig Achsen heran, auf denen sonst die hundert und mehr Tonnen wiegenden stählernen Hochdruckkessel transportiert wurden.

»Das Wägelchen wird uns der Bursche nicht mit in die Luft nehmen«, sagte Grabbe, als das Mammutfahrzeug neben der Kuppel hielt.

Hilfstrossen wurden in das Netz eingeschäkelt und mit dem Chassis des Wagens fest verbunden. Schwere Kettenzüge traten danach in Tätigkeit und holten das Netz mit seinem Inhalt Zoll für Zoll von der Kuppel herunter, während die ersten nun entlasteten Stahldrahtseile gelöst werden konnten Eine gute Stunde währte das Ganze, dann setzte der schwere Wagen sich in Bewegung, fuhr über den Hof und weiter in die Halle ein, in der sich das Laboratorium befand.

»Soweit wären wir glücklich«, meinte Dr. Thiessen mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Ich fürchte, mein lieber Thiessen, das dicke Ende kommt noch nach«, warf Grabbe ein. »Sobald wir das Netz lösen, saust uns der Brocken auch hier ab. Das Dach«, er deutete nach oben, »vermag keinen Widerstand zu leisten.«

»Man müßte die Kugel anbohren, während sie noch im Netz ist«, schlug Dr. Stiegel vor, »eine starke Bohrung, einen soliden zweizölligen Stahlbolzen durchgesteckt. Damit sollte man sie wohl festhalten können.«

»Gut gebrüllt, Löwe!« Chefingenieur Grabbe mußte trotz seiner Sorgen lachen. »Ihre Idee ist gar nicht so übel, aber wie wollen Sie die Bohrung herstellen, wenn Sie das Stück nicht in eine Bohrmaschine einspannen können?«

»Ich habe einen andern Vorschlag«, meldete sich Hegemüller zum Wort, »man braucht die Kugel nur eine halbe Drehung machen zu lassen, dann geht ihre Stoßkraft nicht mehr nach oben, sondern nach unten, und sie muß fest und unverrückbar auf dem Wagenboden liegenbleiben. Man könnte das Netz lüften und die Bohrung an Ort und Stelle vornehmen.«

Dr. Thiessen hob beschwörend die Hände. »Machen Sie lieber keine Vorschläge, Kollege Hegemüller. Ich bin felsenfest überzeugt, daß es auch diesmal wieder eine Katastrophe gibt, wenn wir nach Ihren Ratschlägen handeln.«

Dr. Hegemüller wollte den Beleidigten spielen, als ihm unerwartet in Grabbe ein Helfer erstand. »Ich meine, Herr Doktor«, wandte er sich an Thiessen, »der Vorschlag ist nicht so übel. Wollen wir das nicht doch einmal versuchen?«

Thiessen zuckte die Achseln. »Auf Ihre Verantwortung, Herr Grabbe. Ich sehe noch keinen Weg, wie Sie's machen wollen.«

»Sehr einfach, meine Herren«, begann Hegemüller mit neuem Unternehmungsgeist, »wir stützen die Kugel auf der einen Seite mit einer kräftigen Stahlrolle ab und ziehen das Netz mit den Kettenzügen ein Stück über sie hin, dabei muß sie sich ja drehen.«

Nach einer kurzen Debatte wurde der Vorschlag Hegemüllers angenommen. Was man dazu benötigte, war schnell beschafft. Nach dem Kommando Grabbes begannen sie gleichzeitig an den vier Kettenzügen zu arbeiten, ließen auf der einen Seite die Halteseile aus, zogen sie auf der anderen ebensoviel an, und langsam bewegte sich das Netz quer zur Wagenrichtung. Schon bald war es zu merken, wie der Zug der Kugel nach oben nachließ, während sie immer stärker gegen die Stahlrolle preßte. Dann plötzlich ein jäher Fall. Ein schwerer Schlag, der den Bau des mächtigen Kraftwagens in allen Fugen erzittern ließ. Die Kugel lag fest auf dem Chassis; locker war das Netz über ihr zusammengefallen.

Der Chefingenieur trocknete sich die Stirn. »Wieder ein Stück weiter! Das ist geglückt. Jetzt kommt Ihr Rezept an die Reihe, Herr Stiegel, jetzt wird gebohrt.«

»Also der Tragödie zweiter Teil«, versuchte Dr. Thiessen zu scherzen, »oder sagen wir lieber der Komödie zweiter Teil?«

»Das wird davon abhängen, wie die Geschichte ausgeht«, meinte Grabbe, »wir wollen alles, was in unsern Kräften steht, tun, damit es keine Tragödie wird.«

Das besorgte der Chefingenieur denn auch in einer Art und Weise, daß seine Vorsichtsmaßregeln sogar dem bedächtigen Dr. Thiessen fast übertrieben erschienen, denn mehr als vierundzwanzig Stunden brauchte er für die Vorbereitungen. Dann aber lag die Kugel sicher unterklotzt fest und unbeweglich da, während das Netz für alle Fälle immer noch in geringer Höhe über ihr ausgespannt blieb. Nun konnte eine Bohrvorrichtung angebracht werden, und langsam fraß sich ein handgelenkstarker Spiralbohrer in das weiche Metall der Stahlkugel hinein.

Ohne Zwischenfälle verliefen die nächsten Arbeiten. Eine genau auf das Maß der Bohrung abgedrehte Stahlstange wurde durch die Kugel gesteckt. Kräftige Lager, auf einer viele Tonnen schweren Fundamentplatte montiert, nahmen die beiden Enden der Stange auf, und jetzt endlich hatte man die Stahlkugel sicher gefangen, konnte das Netz beiseiteziehen, konnte den ganzen Aufbau von dem Wagen herunternehmen und in Ruhe untersuchen, was sich da nun eigentlich in der Blitzröhre gebildet hatte.

Das Ergebnis bestätigte die Vermutungen Dr. Thiessens. Ziemlich genau bis zur Hälfte war das Metall stark strahlend geworden, zur anderen Hälfte bestand es aus inaktivem Blei.

»Wie ein Apfel, der eine rote und eine grüne Backe hat«, meinte Grabbe vergleichsweise.

»Wie der Apfel, der Schneewittchen den Scheintod brachte«, führte Dr. Thiessen das Bild weiter, »in unserem Fall ist die strahlende die giftige Hälfte. Wir riskieren mehr als einen Scheintod, wenn wir ihr unvorsichtig zu nahe kommen. Solange die Kugel fest lag, hatte es damit keine Gefahr; jetzt, wo wir sie drehbar gelagert haben, ist Vorsicht geboten.«

»Ja . . . Vorsicht!« Chefingenieur Grabbe hatte die Worte zerstreut und wie abwesend hingesagt. Über einen Zeichenblock gebeugt, war er dabei, zu skizzieren, Maschinenteile zu entwerfen und eine Konstruktion zu Papier zu bringen. Interessiert verfolgte Thiessen die Arbeit des Chefingenieurs. Er wollte etwas sagen, als Grabbe das Blatt von dem Block abriß und zusammenfaltete.

»Später, Doktor Thiessen«, winkte er ab, »mir ist da eine Idee gekommen. Jetzt ist die Sache noch nicht spruchreif. In den nächsten Tagen wollen wir weiter darüber beraten.«

Als Grabbe bereits die Türklinke in der Hand hatte, wandte er sich noch einmal um. »Was ich noch sagen wollte, Herr Thiessen, lassen Sie die Strahlkugel in die Stahlkammer Ihres Laboratoriums bringen. Ich möchte sie gegen neugierige Augen geschützt wissen.«

*

In kühner Wölbung stemmt sich im Boulder Cannon des Colorado-Flusses eine riesige Sperrmauer dem Druck der gestauten Wasser entgegen. Wer auf ihrer Krone entlangwandern will, der muß schwindelfrei sein. Nach der einen Seite zwar wogt nur wenige Meter unter seinen Füßen die unabsehbare Fläche des Stausees, nach der anderen Seite aber fällt sein Blick in eine grausige Tiefe, denn zu doppelter Domhöhe wächst das Betonmassiv der Sperrmauer aus dem felsigen Grund des Cannons empor.

Um die zehnte Vormittagsstunde trat Mac Gray, einer von den Dammwärtern, seinen gewohnten Kontrollgang an. Gemächlich schritt er auf der Mauerkrone dahin, während seine Blicke abwechselnd nach links und nach rechts gingen. Bald ruhten sie prüfend auf den Pegelschächten auf der Seeseite, bald wieder überflogen sie die Landseite des Sperrdamms. Glatt und grau erstreckte sich das Betonmassiv hier in leichter Schräge nach unten, bis es in der dämmrigen Tiefe des Cannons verschwamm.

Mac Gray war eine nachdenkliche Natur mit einem leichten Hang zur Philosophie, und auch jetzt während seines Weges über die vierhundert Meter lange Dammkrone gingen ihm allerlei Betrachtungen durch den Kopf. Was für ein pompöses Bauwerk, sinnierte er. Nur in Gottes eigenem Land konnte so etwas entstehen . . . Spielzeug sind die ägyptischen Pyramiden dagegen. Ein Denkmal für die Ewigkeit hat sich der alte Präsident hier errichtet . . . noch nach fünftausend Jahren wird die Hoover-Talsperre stehen . . .

Ein Sausen und Zischen, das von Sekunde zu Sekunde stärker wurde, riß den Dammwärter aus seinen Gedanken. Er schaute in die Höhe und wandte den Kopf nach allen Richtungen, um die Ursache des Geräusches zu erspähen. Vergeblich blieb sein Bemühen; nichts Besonderes vermochte sein Auge an dem tiefblauen Frühlingshimmel zu entdecken, während das zischende Pfeifen bereits so gewaltig aufklang, daß er sich unwillkürlich die Ohren zuhielt.

Dann war es ihm, als ob zu seiner Linken ein jäher Blitz vom Himmel niederzuckte. Kein Donner folgte dem Blitz, nur ein dumpfer, klatschender Schlag, und dann sah Mac Gray auf der Landseite des Dammes etwa fünfzig Meter unter der Krone einen runden silbrig schimmernden Fleck, dessen Durchmesser er auf etwa dreißig Fuß schätzte. Eine Zeitlang blieb er stehen, benommen von dem überraschenden Ereignis, dann stieg er vorsichtig auf einer der schmalen eisernen Leitern, die in mäßigen Abständen an der Dammwand angebracht waren, in die Tiefe hinab, um sich den so plötzlich entstandenen Fleck aus der Nähe zu besehen. Bis auf wenige Meter konnte er herankommen und gewann den Eindruck, als ob eine dünne Metallfolie fest auf den Beton des Dammkörpers aufgeklebt oder aufgespritzt wäre. Näheres konnte er infolge der Entfernung nicht feststellen. Eilig kletterte er wieder nach oben und eilte über den Kronenweg zum anderen Cannonufer hin, um in der Office über das Geschehene Meldung zu machen.

Wenn er erwartet hatte, mit seiner Meldung auf Unglauben zu stoßen, so war das ein Irrtum. Ruhig, ohne ihn zu unterbrechen, hörte der Oberinspektor des Dammes sich den Bericht bis zu Ende an.

»Was kann das gewesen sein, Mr. Dickinson?« schloß der Dammwärter seine Mitteilungen.

»Vermutlich auch ein Sprengstück von dem italienischen Meteoriten, old shap«, erwiderte der Oberinspektor, und als er aus dem Mienenspiel Mac Grays erkannte, daß der danach noch ebenso schlau war wie vorher, ließ er sich zu einer genaueren Erklärung herbei.

»Sie haben sicher schon mal etwas von Meteoriten gehört. Sie müssen wissen, Mac Gray, das sind so Bummler aus dem Weltenraum, die gelegentlich auf die alte Erde niederstürzen. So ein Ding ist kürzlich in unserer Atmosphäre in viele Fetzen zerplatzt. An den verschiedensten Stellen sind Brocken davon zu Boden gefallen. Die erste sichere Beobachtung hat man drüben in Europa gemacht. Es war zwar nur ein Bröckchen, das da einem Italiener in seinen Suppentopf fiel, aber der Mann war zufälligerweise ein Naturforscher. Er hat das Stück untersucht und einen dicken wissenschaftlichen Bericht darüber geschrieben. Daher wissen wir genau Bescheid über die Sache.«

Mac Gray machte ein ungläubiges Gesicht. »Italien ist weit weg von hier«, meinte er, als Dickinson mit seiner Erklärung fertig war.

»Stimmt, Sir!« gab ihm Dickinson recht. »Ich habe den Italiener – es ist ein Mr. Tomaseo – genannt, weil er die erste Beobachtung gemacht hat. Seitdem sind auch an verschiedenen Stellen in den Staaten Splitter dieses Meteoriten niedergefallen. Das letzte Mal ist es auf einer Farm in Nebraska geschehen. Jetzt scheinen wir einen Brocken davon abbekommen zu haben. Na, unser Damm ist solide, dem wird's nicht schaden. Heut nachmittag will ich mal 'rausgehen und mir die Sache selber ansehen.«

Damit war die Angelegenheit einstweilen erledigt, und von anderen Geschäften in Anspruch genommen, kam Mr. Dickinson auch am Nachmittag nicht dazu, den Sperrdamm zu besichtigen.

Am nächsten Vormittag machte Mac Gray wieder seinen Kontrollgang und verhielt den Schritt, als er die Stelle seines gestrigen Erlebnisses erreichte. Das Aussehen des Fleckes an der Sperrmauer hatte sich geändert. Der metallische Glanz war schwächer geworden und hatte einer dunkleren Färbung Platz gemacht. Eigenartig schwammig und rissig, ähnlich wie Tuffstein sah der Beton dort aus. Der Dammwärter kniff die Lider zusammen, um schärfer zu sehen; ein Zweifel war kaum noch möglich – im Bereiche des Fleckes und noch ein Stück darunter war die Sperrmauer ohne Zweifel feucht.

Nässe an der Außenseite? Es gab Mac Gray einen Stich, als er es feststellen mußte, und noch schneller als am vergangenen Tag eilte er diesmal in die Office. In Hast sprudelte er hervor, was er beobachtet hatte. Ein etwas verwirrter Bericht wurde es, und der Oberinspektor brauchte einige Zeit, um daraus klug zu werden. Dann aber sprang er auf, griff nach seinem Hut und ging zusammen mit Mac Gray zu der Sperrmauer hin.

Nicht viel mehr als eine Viertelstunde war verstrichen, seitdem Mac Gray dort seine Beobachtung gemacht hatte; aber das Bild hatte sich in dieser kurzen Zeit bedeutend weiter verändert. Rund zehn Meter dick war die Sperrmauer an jener Stelle, an der sich der Fleck befand. Durch die ganze Mauerstärke hindurch mußte der Beton eine weitgehende Umwandlung erfahren haben, denn an zahlreichen Stellen spritzten Wasserstrahlen aus der Wand und wurden von Sekunde zu Sekunde fast zusehends stärker. Und jetzt – Dickinson und Mac Gray waren noch etwa hundert Meter entfernt – brachen unter dem Wasserdruck schwere Brocken aus dem Betonmassiv. Polternd rollten sie in die Tiefe, während die Wasserstrahlen, eben noch fingerdick, im Augenblick Arm- und Schenkeldicke gewannen.

Wie unter einem hypnotischen Zwang legte der Oberinspektor die letzte Wegstrecke zurück. Als er oberhalb der Stelle, an der die Katastrophe unaufhaltsam ihren Fortgang nahm, anlangte, war aus den einzelnen Strahlen bereits ein mächtiger Wasserfall geworden. Aus einer fast runden Öffnung, die ziemlich genau der Größe jenes früheren Metallfleckes entsprach, brach das Wasser des Stausees unter einem Überdruck von rund fünf Atmosphären heraus. In breitem Schwall und Gischt stürzte es an der Außenseite des Dammes hinab; schon strömte dreihundert Meter tiefer auf der Talsohle ein breiter Fluß dahin und umspülte rauschend und schäumend die Fundamente der gewaltigen Kraftwerke. Die waren auf festem Fels gegründet und aus Eisenbeton errichtet. Würden sie dem nagenden Angriff der entfesselten Wasser standhalten, oder würden sie unterwaschen werden, zusammenbrechen und mit ihnen die kostbaren Maschinen, die an dieser Stelle aus dem Kraftwasser der Sperre eine halbe Million Pferdestärken erzeugten?

Das waren Fragen, die Mr. Dickinson bewegten, während er mit zusammengekniffenen Lippen in die Tiefe starrte.

Die Augen Mac Grays gingen indes in die Ferne. Auf eine weite Strecke hin ließ sich von der Krone des Sperrdammes aus der Lauf des Cannons verfolgen, ließ sich beobachten, wie der so plötzlich entstandene reißende Strom auf dem Boden der Schlucht weitereilte, und nun kamen auch dem Dammwärter Gedanken, die ein Handeln verlangten. Er rief den Oberinspektor an, schrie endlich so laut, daß der aus seiner Versunkenheit erwachte.

»Das untere Tal ist bedroht! Wir müssen telegraphische Warnung geben, Mr. Dickinson!«

»Ja, telegraphische Warnung, Mac Gray . . . Zehn Milliarden Kubikmeter brechen aus der Sperre . . . es wird im unteren Tal eine Überschwemmung geben!« Zuerst noch langsam und eintönig, dann immer kräftiger und schneller hatte der Oberinspektor die Worte gesprochen. Jetzt war er ganz Leben und Tatkraft. So schnell, daß Mac Gray Mühe hatte, ihm zu folgen, eilte er zu seiner Office zurück und vergaß in der Hast, die Tür hinter sich zu schließen. Der Dammwärter, der wenige Sekunden später eintrat, fand ihn bereits am Morseapparat sitzend und sah die Stromtaste in seiner Hand vibrieren. Schon spielte der Draht und gab die Flutwarnung talabwärts an alle die neuen Farmen und Siedlungen, alarmierte das Land bis tief hinein nach Kalifornien.

*

»Die Idee ist wieder mal genial; das muß man unserm verehrlichen Herrn Chefingenieur lassen!«

»Ja, mein Lieber, gelernt ist gelernt«, meinte Thiessen zu dieser Bemerkung Dr. Stiegels, »Sie dürfen nicht vergessen, daß Grabbe erst auf dem Umweg über den Maschinenbau zur Physik gekommen ist und vorher ein paar Jahre als Konstrukteur tätig war. Seine Entwürfe haben Hand und Fuß, das kann ihm niemand bestreiten. Ich bin gespannt, wie die Anlage arbeiten wird.« Dies Gespräch fand während einer kurzen Arbeitspause statt und galt den Zeichnungen zu einem Strahlmotor, die auf einem Tisch in dem Laboratorium Dr. Thiessens ausgebreitet waren.

»Eigentlich doch verblüffend einfach, die ganze Sache«, gab Hegemüller seine Ansicht zum besten, während er mit dem Finger die Linie auf der Zeichnung verfolgte. »Herr Grabbe setzt die Strahlkugel einfach in eine Art Schlitten, der sich in einer Gradführung hin- und herbewegen kann wie der Kolben einer Dampfmaschine im Dampfzylinder. Dann hat er hier noch eine Steuerung vorgesehen, welche die Kugel am Ende jedes Hubes um 180 Grad um ihre Achse dreht. Es ist ja sonnenklar, daß die Anlage ebenso laufen muß wie eine Dampfmaschine . . . mit dem einzigen Unterschied, daß an Stelle des Dampfdruckes der Strahlungsdruck tritt. Warum sind wir eigentlich nicht selber auf die Idee gekommen, Herr Thiessen?«

»Ja warum, mein lieber Hegemüller? Warum haben die Gegner des Kolumbus das Ei nicht eingeknickt, als sie es auf die Spitze stellen sollten. Einer muß die Idee immer zuerst haben, und nachher wundern sich die anderen, daß sie nicht selber darauf gekommen sind. Trösten Sie sich, Kollege; wir werden bei unseren Arbeiten noch auf andere Aufgaben stoßen, an denen Sie Ihren Witz versuchen können.«

»Wann werden die Teile für den Strahlmotor in unser Labor kommen?« wünschte Dr. Stiegel zu erfahren.

»Die Lieferung ist für morgen früh fest zugesagt«, beantwortete Thiessen die Frage. »Herr Grabbe ist mächtig hinterher gewesen und will auch morgen bei der Montage zugegen sein. Wenn alles gut geht, wird die Maschine morgen mittag laufen können.«

»Morgen früh?« Hegemüller krauste die Stirn. »Morgen früh werde ich dabei nicht mittun können; da erwarte ich die Steinzeugkörper für neue Blitzröhren und würde auch den Kollegen Stiegel gern als Hilfe für den Zusammenbau haben.«

»Wird sich nicht machen lassen, Herr Hegemüller«, wehrte Thiessen ab. »Ihre Röhren laufen Ihnen nicht weg. Wir brauchen alle Hände für die Montage des Strahlmotors. Wenn der glücklich läuft, können wir später mit vereinten Kräften an die neuen Röhren gehen. Immer hübsch eins nach dem anderen, Herr Kollege.«

Nach einigem Knurren und Brummen gab sich Hegemüller mit dem Bescheid Thiessens zufrieden.

»Was sagen Sie übrigens dazu, daß unsere beiden Japaner, die Herren Yatahira und Saraku, uns heute früh verlassen haben, um nach Tokio zurückzukehren?« fragte er unvermittelt.

Dr. Thiessen zuckte die Achseln. »Da ist nicht viel dazu zu sagen. Ihre Rückkehr in die Heimat war ja schon seit längerem eine beschlossene Sache. Trotzdem schien mir Lüdinghausen, mit dem ich gestern darüber sprach, etwas befremdet darüber zu sein.«

»Aber der Abschied soll doch in Frieden und Freundschaft stattgefunden haben«, bemerkte Dr. Stiegel dazwischen.

Thiessen nickte. »Das schon, Herr Stiegel. Aber eine leichte Verstimmung scheint doch auf beiden Seiten vorhanden gewesen zu sein. Ich halte es nicht für ausgeschlossen – es ist freilich nur eine Vermutung von mir –, daß die beiden Herren irgendwie Witterung von unseren Fortschritten bekommen haben.«

»Das ist gänzlich ausgeschlossen, Herr Doktor Thießen«, platzte Hegemüller mit seiner Ansicht heraus, »wir haben uns von niemand in die Karten gucken lassen, haben auch zu niemand ein Wort über unsere Arbeiten gesprochen.«

»Gewiß, mein Lieber« – Thiessen drohte ihm mit dem Finger –, »aber ein bißchen Feuerwerk und Knallerei haben Sie sich geleistet. Glauben Sie, daß die Herrschaften aus dem Fernen Osten nicht auch Augen und Ohren haben? Sehr scharfe sogar, das kann ich Ihnen versichern. Erst das beschädigte Glasdach, danach unsere Arbeiten in der Schleudergrube . . .«

»Die hatten wir doch sicher eingezäunt«, unterbrach ihn Hegemüller.

»Versuchen Sie doch mal, fünf Minuten lang logisch zu denken«, wies ihn Thiessen zurecht. »Plötzlich wird um die Schleudergrube, die bis dahin frei und offen dalag, ein Zaun errichtet. Was wird man daraus schließen? Natürlich doch nur das eine, daß in der Grube Versuche gemacht werden, die geheimbleiben sollen. Zugegeben, Herr Hegemüller?«

Wenn auch widerstrebend, gab Dr. Hegemüller die Richtigkeit dieser Behauptung zu. »Daß in der Schleudergrube nur Versuche gemacht werden, bei denen man mit Explosionen rechnen muß«, führte Thiessen seine Schlußkette weiter, »ist allgemein bekannt. Daß die Arbeiten diesmal von uns gemacht wurden, konnten die Japaner ohne besondere Schwierigkeiten in Erfahrung bringen, und nun steht die Frage offen, was mußten sie daraus schließen? Nur wenn Sie es nicht sagen wollen, will ich es Ihnen sagen. Sie konnten und mußten nur den einzigen Schluß ziehen, daß wir mit unseren Versuchen zu der Grenze gekommen sind, wo der Atomzerfall eine gefährliche Stärke annimmt, während sie selber immer noch mit verhältnismäßig harmlosen Mischungen experimentierten. Berücksichtigt man weiter, daß wenige Stunden vorher Professor Lüdinghausen noch zu größter Vorsicht und einem langsamen schrittweisen Vorgehen gemahnt hat, so ist es mir wenigstens durchaus verständlich, daß die Japaner sich düpiert fühlten und den Entschluß faßten, nach Hause zu fahren, wo sie nach eigenem Belieben weiterexperimentieren können.«

»Wenn Sie es so auffassen . . . hm, ja . . . freilich, dann . . . ja dann könnte es am Ende so gewesen sein«, stimmte Hegemüller zögernd zu.

»Ich bin sicher, Kollege Hegemüller, daß es so ist, und offen gesagt, bin ich über die Abreise der Japaner durchaus nicht traurig. Es ist ja eine ganz schöne Sache um die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit; doch warum sollen wir dabei immer die Gebenden sein und die anderen die Empfangenden? So ist es schon vor den letzten Kriegen gewesen, und zum Schluß haben wir nur schlechten Dank für unsere Großzügigkeit gehabt.«

»Na jetzt sind wir nach der Abreise der Japaner ja wieder ganz unter uns«, mischte sich Dr. Stiegel in das Gespräch. »Jetzt kann Kollege Hegemüller nach Herzenslust Explosionen veranstalten.«

»Aber ich schneide ihm die Ohren ab, wenn er sich's etwa untersteht«, sagte Thiessen mit Entschlossenheit.

Schon im Laufe der kommenden Nacht wurden die von Grabbe in Auftrag gegebenen Maschinenteile angeliefert, und unmittelbar danach ging ein Dutzend Werkleute unter der Leitung eines Obermonteurs daran, sie zusammenzusetzen. Als der Chefingenieur Grabbe in Begleitung von Dr. Thiessen am nächsten Morgen in das Laboratorium kam, war alles bis auf den Einbau der Strahlkugel bereit. Die lag wohlverschlossen im Sicherheitsraum des Labors.

Jetzt galt es zunächst, die Kugel mitsamt ihrer schweren Festhaltevorrichtung aus dem Sicherheitsraum zu der neu aufgestellten Maschinerie hinzuschaffen, eine Aufgabe, die mit Hilfe einiger Kettenzüge schnell bewältigt wurde. Dann aber kam der kritische Punkt. Um die Kugel in den Schlitten der Maschine hineinzubringen, mußte man sie von der Festhaltevorrichtung lösen. Über eine kurze Wegstrecke nur, über kaum ein Meter war sie frei zu transportieren, aber wenn etwas schief ging, konnte auf diesem kurzen Wege Unheil genug geschehen.

»Lieber Kollege«, sagte Thiessen nach einem langen nachdenklichen Blick zu Dr. Hegemüller, »wollen Sie mir einen großen Gefallen erweisen?«

Eilfertig sprang Hegemüller herbei. »Aber gewiß! Gern, Herr Thiessen, womit kann ich Ihnen dienen?«

»Tun Sie mir die Liebe, Kollege, gehen Sie auf ein halbes Stündchen ins Kasino. Lassen Sie sich eine Tasse Kaffee und die Morgenzeitungen geben. Ich rufe an, wenn wir Sie wieder brauchen.«

Hegemüller war offensichtlich gekränkt und versuchte zu protestieren, doch Thiessen ließ sich nicht erweichen.

»Ich bitte Sie dringend darum«, bestand er auf seiner Anordnung, »ich will die Montage mit Schmidt und Lange allein fertigmachen.«

Mit verdrossener Miene verließ Dr. Hegemüller den Raum. »Der scheint eingeschnappt zu sein«, sagte Grabbe, als Hegemüller draußen war. »Warum haben Sie ihn jetzt weggeschickt?«

»Selbsterhaltungstrieb, Herr Grabbe. Der Kollege Hegemüller ist fleißig und tüchtig und ein guter Kerl, aber bisweilen ein wenig zu . . . sagen wir mal . . . impulsiv . . . oder meinetwegen auch zu quecksilbrig. Wir haben ein paar kritische Minuten vor uns, da ist's mir lieber, wenn er nicht dabei ist.«

Diese Minuten kamen in der Tat, und obwohl Grabbe auch hier wieder durch besondere Vorrichtungen bestmöglich vorgesorgt hatte, waren sie reichlich kritisch. Ein Bleiblock, dessen Vorderseite halbkuglig ausgedreht war und der von einem halben Dutzend schwerer Flaschenzüge sicher gehalten war, wurde an die Kugel herangebracht, bis sie, durch den Strahlungsdruck gehalten, sicher in seiner Höhlung ruhte. Mit kräftigen Hammerschlägen konnte nun der schwere Bolzen, der sie bisher festgehalten hatte, herausgeschlagen werden, und dann kam das kurze Stückchen Weg zu dem Maschinenschlitten hin.

Kaum ein Meter war die Strecke lang, aber Dr. Thiessen behauptete später, sie wäre ihm meilenlang vorgekommen. Gewaltig zerrte der Bleiblock unter dem Druck der Strahlkugel an den Flaschenzügen. Nur mit äußerster Vorsicht konnten diese Millimeter um Millimeter angezogen werden. Ein einziger Fehlgriff . . . nur eine Kleinigkeit zuwenig oder zuviel an der einen oder anderen Seite, und es drohte die Gefahr, daß der Block aus seiner Richtung kam, daß die Kugel dadurch frei wurde und mit elementarer Gewalt ihre eigene Bahn verfolgte. Nur ein knappes Meter betrug die Weglänge, aber es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie glücklich überwunden war und die Kugel langsam in den Schlitten hineinglitt. Das schwerste war damit überwunden, doch längst noch nicht alles getan. In einem Schneckentempo holten die Flaschenzüge die Kugel Millimeter um Millimeter in den Schlitten hinein, bis sie endlich nach atemraubenden Minuten dessen Mitte erreichte, bis Grabbe und Thiessen gemeinsam den neuen Stahlbolzen einschieben konnten, der sie nun sicher mit dem Schlitten verband.

»So! Die kommt uns nicht mehr weg!« Thiessen sagte es, während er den Hammer aus der Hand legte, mit dem er soeben den Bolzen eingetrieben hatte. Grabbe war bereits damit beschäftigt, jene Steuerung einzubauen, die bereits am vergangenen Tage die Bewunderung von Dr. Stiegel erregt hatte. Eine überraschend einfache Idee lag ihr zu Grunde; handelte es sich doch nur darum, am Ende jedes Hubes die Kugel um ihren Bolzen zu drehen, so daß sie in entgegengesetzter Richtung strahlte und drückte. Nun mußte es sich zeigen, ob sich auch betriebsmäßig bewähren würde, was auf dem Papier so überzeugend wirkte. Die letzte Schraube hatte Grabbe angezogen; nun trat er einen Schritt zurück, um sein Werk noch einmal zu überschauen. Schmuck und blinkend stand die Maschine da, aber sie rückte und rührte sich nicht.

»Was ist das?« fragte Dr. Stiegel. »Warum läuft der Motor nicht?«

»Weil er auf dem toten Punkt steht, Kollege«, beantwortete Thiessen die Frage und griff in die Speichen des Schwungrades. Mit Gewalt wuchtete er daran, drehte es um wenige Zoll weiter, und dann kam plötzlich Leben in die bis dahin tote Maschinerie. Erst langsam noch, doch gleich danach schnell und immer schneller begann sich das Schwungrad unter der treibenden Kraft der Strahlkugel zu drehen. Schon waren seine dahinwirbelnden Speichen nicht mehr einzeln zu erkennen, waren zu einer schimmernden durchsichtigen Scheibe geworden.

Dr. Thiessen blickte auf den Tourenzeiger. »Der Motor geht uns durch«, wollte er rufen, als Grabbe schon nach dem Regelrad der Steuerung griff. Ein paar Drehungen daran, und der Motor mäßigte sein Tempo und lief, wie es vorgesehen war, mit dreihundert Umdrehungen in der Minute. Hin und her jagte der Strahlkolben in dem Zylinder, in blinkendem Spiel drehte sich das Schwungrad um seine Achse. Regelmäßig wie ein Uhrwerk arbeitete die Steuerung. Lange Zeit standen Grabbe und Thiessen vor der Maschine, ohne ein Wort zu sprechen, bis endlich der Chefingenieur das Schweigen brach.

»Man müßte sie belasten«, meinte er jetzt zu Dr. Thiessen, »sie könnte etwa 200 Pferde hergeben. Ich will sehen, daß ich eine dazu passende Dynamomaschine bekomme.«

»Wissen Sie, was wir dann hier in unserem Labor haben würden?« fragte Thiessen und gab gleich selbst die Antwort auf seine Frage. »Wir hätten hier das erste durch Atomenergie betriebene Elektrizitätswerk. Unser Laboratorium würde in der Geschichte des menschlichen Fortschritts einen besonderen Platz einnehmen. Noch nach Jahrzehnten, ja nach Jahrhunderten würde man es nun als die Stätte betrachten, von der ein neues Zeitalter seinen Ausgang nahm.«

Grabbe hielt es für angebracht, ein wenig Wasser in den Wein der Begeisterung zu gießen, und sprach von harter Arbeit, die noch zu tun bliebe, obwohl er selber von dem Erreichten ebenso stark hingerissen war wie Dr. Thiessen.

In übler Laune war Dr. Hegemüller in das Kasino gegangen, saß dort bei einer Tasse Kaffee und blätterte mißmutig in den ausliegenden Zeitungen. Immer wieder gingen seine Gedanken zu der Halle zurück, wo Thiessen jetzt die letzte Montage machte. Warum hatte der zwei einfache Werkleute für die Arbeit herangezogen und ihn, seinen alten Assistenten, einfach fortgeschickt? Gewiß, er war ein Draufgänger, das mußte er sich selber eingestehen. Öfter als einmal hatte es bei seinen Experimenten Zwischenfälle gegeben; aber hatte er durch sein forsches Vorgehen nicht auch Bedeutendes erreicht? War dieser neue so wirksame Strahlstoff nicht ihm allein zu verdanken? Er nahm sich vor, das Dr. Thiessen bei nächster Gelegenheit einmal gründlich klarzumachen, und dieser Entschluß wirkte beruhigend auf ihn.

Es gelang ihm danach, seine Gedanken zu sammeln und den Inhalt des Zeitungsblattes, das er immer noch in der Hand hielt, wirklich zu erfassen. Nachrichten aus aller Welt durchflog er und stieß dabei auf einen Bericht über die Vorkommnisse am Boulder-Damm, das Auftreffen und Zerspritzen eines Meteors auf der Dammwand und die Zermürbung des Betons wurden darin gemeldet und weiter von den Verwüstungen erzählt, welche die ausbrechenden Wassermassen in dem Tal unterhalb der Sperrmauer angerichtet hatten. Zwar hatte der telegraphische Alarm, den Oberinspektor Dickinson talabwärts gegeben hatte, das Schlimmste verhütet, so daß Menschenleben nicht zu beklagen waren; doch hatten die ausbrechenden Wassermassen in den neuen Kulturen und Siedlungen gewaltige Verheerungen angerichtet.

Wohnhäuser und Stallungen in großer Zahl waren unterspült und weggerissen worden. Ein Gebiet von zehntausend Hektar war überschwemmt, und es würden Tage und Wochen bis zum Abfließen der Wasser vergehen. Hoch in die Dollarmillionen ging der angerichtete Schaden.

Hegemüller krauste die Stirn, während er es las. »Ein Glück, daß die Yankees nicht wissen, woher der Brocken stammt«, wiederholte er im stillen die neulichen Worte Thiessens. »Entsetzlicher Gedanke, wenn unser Labor das alles bezahlen sollte.«

Ein schwerer Betondamm in kaum vierundzwanzig Stunden so tiefgehend zermürbt . . . nur die scharfe Strahlung, die von diesem neuen Stoff ausging, konnte das vermocht haben. Die Gedanken Dr. Hegemüllers nahmen eine neue Richtung. Was konnte geschehen, wenn diese unheimliche Strahlung nicht nur granitharten Beton, sondern auch Eisen und Stahl zerfraß? Der neue Motor? . . . Eine geniale Idee Grabbes, das stand außer Zweifel. Aber wenn nun die gleiche Energie, die ihn antrieb, ihn auch zerstörte? . . . Wenn die strahlende Kraft die stählernen Glieder, die sie zur Arbeit zwangen, in Kürze bis zum Zerbrechen schwächte? . . .

Dr. Hegemüller versank in tiefes Sinnen. Dreimal, viermal mußte die Telephonglocke läuten, bevor er ihren Klang vernahm und nach dem Hörer griff. Wie aus einem schweren Traum erwachend, vernahm er aus dem Apparat die Stimme Thiessens, die ihn in das Laboratorium rief.

*

»Ich habe Sie erwartet. Es ist gut, daß Sie kommen«, empfing Hidetawa seine Landsleute Saraku und Yatahira.

»Wir haben die schnellste Flugschiffverbindung benutzt, als wir Ihren Funkspruch erhielten. Ihr Wunsch, uns bald zu sehen, war uns Befehl«, erwiderte Yatahira mit einer leichten Verbeugung vor dem weißhaarigen Gelehrten.

Die Begrüßung fand im Universitätsviertel Tokios in einem hochgelegenen Arbeitsraum statt, durch dessen großes, fast eine ganze Wand einnehmendes Fenster sich ein weiter Blick über das Häusermeer der Großstadt bis zur See hin bot.

Kaum etwas in dem Zimmer verriet, daß in ihm ein Mann lebte und arbeitete, dessen Name durch seine Leistungen auf dem Gebiet der Atomphysik weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus berühmt war. Schriftstücke verschiedener Art bedeckten einen umfangreichen Tisch in der Nähe des Fensters. Mit Büchern gefüllte Regale, die fast bis zur Decke reichten, nahmen den größten Teil der Wandflächen in Anspruch.

Zwischen den Papieren auf dem Tisch stand ein gläsernes, kugelförmiges Gefäß, das auf den ersten Blick nichts anderes als eine Lichtmühle, eins jener altbekannten physikalischen Spielzeuge, zu sein schien, denn unablässig kreisten im Innern des Glases mehrere Blättchen um eine senkrechte Achse.

Unwillkürlich blieben die Blicke Yatahiras daran haften. Hidetawa bemerkte es und nahm das Wort zu einer Erklärung.

»Es sind die letzten vier Milligramm des Stoffes, die in dem Glaskolben arbeiten. Durch ein besonderes Verfahren gelang es mir, die winzige Menge gleichmäßig auf die vier Glimmerflügel einer Lichtmühle aufzuspritzen. Nun läuft das Flügelkreuz schon seit sechs Tagen mit unverminderter Geschwindigkeit.«

Eine Weile folgten drei Augenpaare dem wirbelnden Spiel der Glimmerblätter, dann begann Saraku:

»Es war nur wenig, was uns durch einen glücklichen Zufall in die Hände geriet. Genügte es, um die Zusammensetzung des Stoffes festzustellen?«

Hidetawa ließ sich nieder und forderte auch seine Besucher dazu auf, bevor er antwortete.

»Es hat genügt. Ich kenne die Zusammensetzung und weiß, daß es eine sehr gefährliche Masse ist. Der Mann, der diesen Stoff in Deutschland herstellte, ist dicht am Tode vorübergegangen. Noch ein wenig mehr von dem Zusatzstoff, und die Strahlung konnte zum unlöschbaren Brand werden. Kennt der Mann in Deutschland die Gefahr, in der er sich befunden hat?«

Yatahira antwortete: »Der Mann ist leichtfertig. Er hätte vorsichtiger sein müssen. Wir alle sind von dem Leiter des deutschen Werkes nachdrücklich auf die Gefahren aufmerksam gemacht worden, aber der Deutsche hat sich nicht an die Vorschriften gehalten. Es hat Explosionen gegeben. Nur dadurch sind wir in den Besitz dieser Probe gekommen.«

»Explosionen?« unterbrach ihn Hidetawa, »in Ihrem Funkspruch war nur von einer Explosion die Rede.«

»Eine zweite hat sich später ereignet, Herr Hidetawa. Wir hörten den Knall, stürzten zum Fenster und konnten gerade noch sehen, wie ein Projektil aus dem abgesperrten Gelände, auf dem die Deutschen ihren Versuch machten, in schräger Richtung nach oben schoß. Mit großer Geschwindigkeit nahm es seinen Flug auf einen Betonbunker des Werkes zu, streifte ihn hart an der Kante und verschwand nach dem Anprall mit geändertem Kurs in westlicher Richtung.

Der Bunker lag dicht bei unserm Laboratorium. Wir sahen, wie etwas von der getroffenen Stelle abbröckelte und nach unten fiel. Wir gingen hin und fanden zwischen den abgesprengten Betonbrocken mehrere Gramm eines metallischen Stoffes. Wir haben ihn mitgebracht.«

»Eine Probe von einem zweiten deutschen Versuch?« Hidetawa hatte Mühe, seine Erregung zu verbergen, während er fragte; Erwartung malte sich in seinen Zügen, als Saraku die bleierne Dose, welche diese zweite Probe enthielt, auf den Tisch stellte.

»Das ist gut, das ist viel mehr als das erste Mal. Das wird uns weiterhelfen!« kam's von den Lippen des Alten, während seine Augen an dem Stückchen strahlender Materie hingen. »Kommen Sie mit in mein Laboratorium, wir wollen es untersuchen.«

Längst war die Helle des Frühlingsmorgens der Abenddämmerung gewichen. Schon wurde es notwendig, das Licht einzuschalten, um die Skalen der Meßinstrumente ablesen zu können, doch Hidetawa achtete nicht der fliehenden Stunden, vergaß seine Jahre, vergaß Zeit und Raum über den Untersuchungen der neuen Probe. Mit stiller Bewunderung sahen die beiden jüngeren, wie er den gefährlichen Stoff meisterte und in immer neuen Versuchen nach immer wieder veränderten Methoden analysierte. Die Uhren im Gebäude kündeten die zweite Morgenstunde, als er die letzte Untersuchung beendete und das Ergebnis niederschrieb. Minuten hindurch saß er danach vor dem Geschriebenen, schweigend, grübelnd, bis er zu sprechen anhub.

»An der Tatsache ist nicht zu zweifeln. Auf zehn verschiedenen Wegen sind wir zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Trotzdem bleibt es kaum glaublich. Fast möchte ich es ein Wunder nennen . . .«

Gespannt lauschten Saraku und Yatahira den Worten, die immer langsamer und schwerer von den Lippen des greisen Gelehrten fielen.

»Hat den Deutschen ein Schutzengel zur Seite gestanden? Sie haben die explosive Phase übersprungen. Fast doppelt so stark als in der ersten Probe ist der den Zerfall fördernde Zusatz in diesem Stoff. Viel stärker als die erste Probe strahlt der neue Stoff. Aber gleichmäßig, gebändigt verstrahlt die Materie. Wie mögen die Deutschen es geschafft haben, die explosive Phase zu überspringen? Man müßte es wissen, sonst . . .«

Erst nach geraumer Zeit wagte Yatahira das Schweigen zu brechen. »Was wäre sonst, Meister?« Gedämpft, fast geflüstert kam die Frage aus seinem Munde.

»Sonst werden wir Opfer der entfesselten Naturkraft, Yatahira. Wenn wir den Stoff nicht besiegen, besiegt uns der Stoff.«

»Opfer müssen gebracht werden.« Mehr zu sich selbst als zu den anderen hatte Saraku es vor sich hin gesprochen.

»Opfer? Keine unnötigen Opfer, Saraku! Es ist schon spät in der Nacht. Wir wollen ruhen; morgen im Licht des Tages wollen wir weiter darüber sprechen.«

Hidetawa stand auf. Saraku und Yatahira verneigten sich und verließen den Raum. Nachdenklich blickte Hidetawa vor sich hin. Langsam begann er auf und ab zu gehen, während seine Lippen abgerissene Sätze formten. »Sie sind noch jung . . . sie sprechen von Opfern und meinen den Tod . . . Eine geringe Unvorsichtigkeit . . . er käme schneller über sie, als sie es ahnen . . . Zwecklose Vernichtung wäre es, kein Opfer. Für eine Sache sterben? Wenn es ihr dient, ja! Besser ist es, für eine Sache zu leben!«

Hidetawa hielt in seinem Selbstgespräch inne, vertiefte sich wieder in die Aufzeichnungen über die letzten Versuche und Analysen, rechnete und plante. Die Strahlen der Frühsonne fielen bereits durch das Fenster, als er das Laboratorium verließ, um für kurze Stunden der Ruhe zu pflegen.

»Wir müssen den gleichen Weg gehen wie die Deutschen.« Wieder und immer wieder mußten Yatahira und Saraku in den nächsten Tagen diese Mahnung hören und zahllose Fragen beantworten, die Hidetawa deswegen an sie richtete. Nebensächlichkeiten, Zufälligkeiten, längst vergessene Dinge mußten sie sich unter dem Zwang seiner Fragen ins Gedächtnis zurückrufen, und wie aus hundert Mosaiksteinchen zusammengesetzt, entstand allmählich ein Bild dessen, was sich vor Wochen und Tagen in dem deutschen Institut ereignet hatte, vor seinem geistigen Auge. Jede Möglichkeit zog Hidetawa in Betracht; jede Gefahrenquelle, auf die er bei seinen Überlegungen stieß, suchte er zu versperren, jede Sicherheitsmaßnahme wahrzumachen. Eine explosionssichere Grube, wie sie die Deutschen bei ihren letzten Versuchen benutzt hatten, stand ihm nicht zur Verfügung, doch etwas anderes, das ihm ebenso gut zu sein schien, hatte er dafür in Aussicht genommen.

Saraku und Yatahira wunderten sich, als er sie am fünften Tage zu einer Fahrt nach seinem Landhaus an der Tokio-Bucht einlud. Vorbei an grünenden Feldern und blühenden Kirschenhainen ging die Fahrt auf der Landstraße am Meeresufer auf Jokohama zu.

Bald wurde das Gelände zur Rechten hügelig. Die Ausläufer des Hakone-Gebirges, dessen Krönung der feuerspeiende Fujijama ist, kam in Sicht. Schon trat hier und dort nackter Fels zutage, als der Wagen auf einen Seitenweg abbog und wenige hundert Meter weiter das Besitztum Hidetawas erreichte.

Zu Fuß durchschritten sie einen gepflegten Garten, der nach den Bergen zu einen parkartigen Charakter annahm. Noch ein paar Dutzend Schritte unter hohen Bäumen einen schmalen Pfad entlang, und sie standen vor einer senkrechten Felswand; doch der Weg war hier noch nicht zu Ende, er führte weiter in den Berg hinein. Beim Schein einer Lampe, die Hidetawa aufleuchten ließ, erkannten Yatahira und Saraku, daß sie im Eingang zu einer natürlichen Höhle standen. Zunächst war es nur ein schmaler Felsgang, doch je länger sie darin fortschritten, um so mehr begann er sich zu weiten, bis sie endlich ein domartiges Gewölbe erreichten, dessen Ende nicht zu erkennen war, obwohl Hidetawa den Lichtkegel seiner Lampe nach allen Seiten spielen ließ.

»Hier ist der Platz, an dem wir unsere Versuche machen werden«, begann er, und von den steinernen Wänden kam jedes seiner Worte in mehrfachem, langhallendem Echo zurück. »Hier werden wir die Strahlröhre aufbauen und von draußen her durch Fernsteuerung in Betrieb nehmen. Sollte es Explosionen geben, dann werden sie keinen Schaden anrichten können. Die Felswände hier sind fest. Sie würden auch einem Ausbruch atomarer Energie standhalten. Sie sind auch verschwiegen . . .« Er fühlte, daß er sich im Ausdruck vergriffen hatte; angesichts des ständigen Widerhalls, der seine Worte oft fast übertönte, konnte man kaum von Verschwiegenheit sprechen. »Ich meine«, verbesserte er sich, »der Schall kann von hier nicht ins Freie dringen. Mag hier geschehen, was da will, draußen wird niemand davon etwas hören; niemand wird etwas von unseren Versuchen erfahren.«

Hidetawa hatte geendet, und langsam verebbte das Echo seiner letzten Worte. Fast unheimlich wirkte die Stille, während sie sich zum Gehen anschickten. Erst wenige Schritte hatten sie zurückgelegt, als von neuem ein dumpfes Dröhnen aufkam und sie veranlaßte, noch einmal stehenzubleiben.

»Was war das?« flüsterte Saraku und glaubte im gleichen Moment ein leichtes Zittern des Bodens zu verspüren.

»Es hat nichts zu bedeuten«, beruhigte ihn Hidetawa. »Von Zeit zu Zeit melden sich die Geister des Berges. Bedenken Sie, daß der Fujijama nicht allzu weit ab ist. Ganz ruhig ist es hier selten, doch bei unsern Arbeiten braucht uns das nicht zu stören.« Noch während er es sagte, ging Hidetawa schon wieder weiter, und wenige Minuten später traten sie aus dem Dunkel der Höhle in den hellen Frühlingstag hinaus. Angesichts des lichtblauen Himmels und der blühenden Bäume wich der Druck, der Saraku und Yatahira im Inneren des Berges befallen hatte, von ihnen; sie vermochten wieder frei zu atmen. Während sie, einer Einladung Hidetawas folgend, in das Landhaus traten, konzentrierten sich ihre Gedanken schon wieder auf die bevorstehenden Arbeiten.

»Wir werden unseren ersten Versuch genau mit dem in der deutschen Probe festgestellten Mischungsverhältnis ansetzen«, begann Hidetawa seine Ausführungen und notierte die dafür erforderlichen Mengen auf ein Blatt Papier. Erst jetzt, als Saraku die Zahlen geschrieben vor sich sah, kam ihm ihre ganze Bedeutung voll zum Bewußtsein, und er erschrak.

»Das ist das Zehnfache dessen, mit dem wir in Deutschland zuletzt gearbeitet haben«, brachte er bestürzt hervor. »Das Gemenge wird in der Röhre explodieren.«

»Dies Gemenge nicht mehr«, unterbrach ihn Hidetawa. »Das ist ja das Geniale an der deutschen Erfindung, daß sie die explosive Phase glücklich vermeidet. Sie finden etwas Ähnliches übrigens auch anderswo«, fuhr er fort, als er die zweifelnde Miene Sarakus sah. »Nehmen Sie beispielsweise ein Gemenge von Benzingas und Luft. Nur in einem eng umgrenzten Mischungsverhältnis ist es explosiv, in allen andern nicht. Sie können sicher sein, wenn wir uns genau an das deutsche Rezept halten, haben wir nichts zu befürchten.«

Die nächsten Stunden galten der Besprechung der Vorbereitungen für den geplanten Versuch. Starkstrom stand auf dem Besitztum Hidetawas in genügender Menge zur Verfügung, aber alles andere würde von Tokio hergebracht werden müssen. Die Höchsttransformatoren, die Schaltgeräte, Leitungsmaterial und schließlich die Röhre.

»Wir werden mit fünf schweren Lastkraftwagen auskommen«, legte Hidetawa als Schlußergebnis der Besprechungen fest. »Morgen früh soll der Transport beginnen. In drei Tagen wird unser erster Versuch stattfinden können.«

*

Die Milliarde Kubikmeter, die am Boulder-Damm ausströmten, waren buchstäblich Wasser auf die Mühle Enrico Thomaseos. Er erblickte darin einen neuen unzweifelhaften Beweis für seine Meteoritentheorie. Da mußte ein ganz gehöriger Brocken dieses merkwürdigen strahlenden Metalles eingeschlagen haben, denn anders ließen sich die Zerstörungen an der mächtigen Talsperre doch nicht erklären.

Jede Notiz darüber, die er in italienischen und andern Zeitungen entdeckte, sammelte er sorgfältig und versuchte mit diesem Material auch Professor Ruggero endgültig zu seiner Ansicht zu bekehren, doch zu seinem Leidwesen hatte er keinen großen Erfolg damit. Alles, was er schließlich erreichte, war ein längerer Urlaub für eine Reise nach Amerika, um die Vorfälle am Boulder-Damm an Ort und Stelle zu studieren.

»Zweck hat Ihre Reise nur«, sagte Professor Ruggero beim Abschied zu ihm, »wenn es Ihnen gelingt, größere Mengen dieses Meteoriten zu sammeln, damit wir sie hier gründlich untersuchen können.«

Mit dieser Weisung bestieg Tomaseo ein Flugschiff nach New York. In der Metropole am Hudson hielt er sich nur wenige Stunden auf, bis das nächste Schiff nach dem Westen fällig war. Die Zeit reichte eben hin, um dort noch einige gewichtige Empfehlungen in Empfang zu nehmen. Dann ging der Flug quer über den amerikanischen Kontinent weiter, und von Los Angeles brachte ihn ein Kraftwagen in schneller Fahrt nach dem Boulder-Damm. Es war gut für Signor Tomaseo, daß er sich mit Empfehlungen versehen hatte, denn am Staudamm herrschte ein Leben und Treiben wie in einem Ameisenhaufen, und niemand hatte viel Zeit und Sinn für den italienischen Wissenschaftler, seine Fragen und seine Forschungen. Erst nach Tagen gelang es ihm, bis zu Mr. Dickinson vorzudringen, und in der Hoffnung, den Italiener um so schneller wieder loszuwerden, fand sich der Oberinspektor schließlich bereit, mit ihm zum Damm zu gehen und ihm die Einschlagstelle zu zeigen.

Ein ohrenbetäubendes Getöse drang ihnen entgegen, als sie die Dammkrone betraten. Viele Dutzend von Preßluftmeißeln waren an der Einschlagstelle in Betrieb. Krachend hieben die schweren Stahlmeißel auf das Massiv des Dammes ein, um den Beton, soweit er angefressen und nicht mehr unbedingt zuverlässig war, zu entfernen. Angeseilt hingen die Werkleute mitsamt ihren Maschinen an der steilschrägen Dammauer über der Tiefe. Tomaseo mußte ein Schwindelgefühl bekämpfen, als er hinter dem Amerikaner auf einer der schmalen Eisenleitern zu der Arbeitsstelle hinabstieg. Über ein schwankendes Brett führte der Weg dann weiter bis zu dem Ort hin, wo die Wasser durch den Damm gebrochen waren.

Erst als Tomaseo von der Planke herunter war und in der Höhlung auf festem Beton stand, fühlte er sich wieder einigermaßen sicher und vermochte freier um sich zu schauen. Eine Stärke von etwa zwölf Meter hatte der Damm in dieser Höhe. Eine kreisrunde Öffnung von ungefähr der gleichen Größe hatten die ausströmenden Wassermassen in ihn gerissen. Auf der Innenseite stand der Spiegel des Stausees bis an die Sohle dieser Lücke heran.

Der Betonboden, über den sie gingen, war naß, denn ständig rieselte noch Wasser aus dem Stausee durch die Öffnung heraus.

»Hier ist es gewesen, Sir«, begann Oberinspektor Dickinson mit seiner Erklärung. »Einer unserer Dammwärter hat gesehen, wie etwas vom Himmel fiel, hier einschlug und zerspritzte. Wir haben es zuerst nicht für gefährlich gehalten. Man hatte in den Staaten schon etwas von einem Meteoriten gehört. In Europa soll sogar ein Professor ein Buch darüber geschrieben haben. Wir glaubten, da wäre eben auch so ein Stückchen Sternschnuppe gegen unseren Damm gesaust. Freuten uns, daß es dem Brocken schlechter bekommen wäre als unserem guten Damm, aber am nächsten Tage sahen wir die Bescherung. Das verteufelte Zeug frißt ja noch schlimmer als Schwefelsäure. Der Beton wurde mürbe, das Wasser brach aus. Was es da unten angerichtet hat, das können Sie von hier aus sehen.«

Dickinson deutete talabwärts, wo der frühere fruchtbare Wiesengrund auf weite Strecken hin zerwühlt und verschlammt war.

Tomaseo wollte eben damit herauskommen, daß er es gewesen war, der über diesen Meteoriten geschrieben hatte, als Dickinson fortfuhr:

»Der Professor – ich glaube, es ist sogar ein Landsmann von Ihnen gewesen – hat leider das Wichtigste in seinem Buch vergessen. Er hätte vor dem Satansstoff warnen müssen. Hätten wir's rechtzeitig gewußt, dann hätten wir das gefährliche Zeug sofort mit Preßluftmeißeln abgestemmt, und das Unglück wäre nicht geschehen.«

Auf diese Worte zog Tomaseo es vor, seine Autorschaft an dem von Mr. Dickinson erwähnten Buch für sich zu behalten, und wünschte nur zu wissen, wo noch etwas von diesem Meteoritenstoff zu finden sein könnte. Dickinson deutete in die Tiefe. »Da unten müssen Sie danach suchen gehen, Sir. Was von dem verdammten Zeug noch auf den Betontrümmern klebt, wurde von den ausbrechenden Wassermassen natürlich mitgerissen und durch das Tal hin verschleppt. Wird keine leichte Sache sein, und vor allen Dingen keine angenehme, Sir, in dem Schlamm und Modder da unten auf die Suche zu gehen; ist aber die einzige Möglichkeit, wenn Sie von dem Kram noch etwas erwischen wollen.«

Die Aussicht, die Oberinspektor Dickinson dem Italiener eröffnete, war nicht sehr erfreulich, doch wenn er nicht unverrichteter Dinge zurückkehren wollte, mußte er sich wohl oder übel der Mühe unterziehen. Nach einigem Sträuben besorgte Dickinson ihm zwei Leute, die das untere Tal genau kannten und gegen einen, wie Enrico Tomaseo fand, reichlich hohen Tageslohn bereit waren, für ihn zu arbeiten.

Mr. Dickinson hatte nicht übertrieben, als er das Unternehmen als schwierig und unangenehm bezeichnete. Tagelang watete Tomaseo mit seinen beiden Hilfskräften in dem verschlammten Talgrund umher. Viele Hunderte von Betonbrocken mußten sie aufheben oder umdrehen, um dann wirklich einmal auf das eine oder andere Stückchen zu stoßen, das auf seiner Oberfläche einen metallischen Belag zeigte. Verhältnismäßig leicht ging dagegen das Abheben der Metallschicht vonstatten, da der einst granitharte Beton unter der Schicht schon fast auf einen Fingerdruck hin in Staub und Schlamm zerfiel.

Mit einer kaum vorstellbaren Wucht mußte der Aufprall des Meteoriten auf die Dammwand stattgefunden haben, denn anders ließ es sich nicht erklären, daß das Metall derart auseinandergespritzt war. Nur dünne Häutchen, Metallfolien, vielfach kaum ein halbes Millimeter stark, waren es, die Signor Tomaseo in mühseliger Sammelarbeit aus den Betontrümmern gewann; aber etwas anderes konnte er dabei noch feststellen, ohne Meßapparate zu Hilfe zu nehmen. Auch jetzt noch mußte dies Metall sehr stark strahlen, denn ein paarmal entglitt ein eben von dem Gestein abgezogenes Stückchen Folie seinen Fingern und flatterte wie ein vom Wind vertriebenes Baumblatt davon, obwohl sich kein Lüftchen regte.

Vorsicht war hier geboten, und Tomaseo beglückwünschte sich dazu, rechtzeitig Vorsorge getroffen zu haben. In der Erinnerung an das Abenteuer in den Albaner Bergen und den dort durch die Strahlung zerstörten Rock Villaris hatte er sich noch vor seiner Abreise in Rom einen geräumigen, mit Bleiblech gefütterten Ranzen besorgt, der zuverlässigen Schutz gegen die Strahlung bot.

Wie Stanniolpapier zusammengeknüllt wanderte ein Stück der gefundenen Folie nach dem andern in diesen Ranzen, und nach vier mühseligen, in dem verwüsteten Tal verbrachten Tagen hatte er eine Menge von mehreren Kilogramm beisammen.

»Sind Sie mit dem Ergebnis Ihrer Expedition zufrieden, Sir?« fragte ihn Mr. Dickinson, als Tomaseo wieder am Boulder-Damm auftauchte.

Der Italiener sah reichlich abgerissen aus, verschmutzt, unrasiert und ein wenig verhungert. In von ihren Bewohnern längst verlassenen Ruinen hatte er während seines Streifzuges nächtigen und von den mitgenommenen Vorräten leben müssen, aber trotz alledem strahlte er über das ganze Gesicht.

»Ich bin zufrieden«, sagte er zu Dickinson und klopfte auf den prall gefüllten Ranzen. »Ich habe alles gefunden, was ich suchte. Jetzt geht's nach Rom zurück. Ich werde von mir hören lassen.«

»Wollen Sie etwa auch ein Buch über diesen dreimal verdammten Meteoriten schreiben?« fragte Dickinson.

»Ja, das will ich in der Tat«, versicherte ihm Tomaseo beim Abschied und bestieg dann den Kraftwagen nach Los Angeles.

*


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